»Ihren vorläufigen Höhepunkt findet die reaktionäre Rehabilitierung der Salonmalerei in den Unternehmungen des ›Art Renewal Center‹ –
2016
Autorenexemplar – nur zur persönlichen Verwendung
ein 2000 gegründetes Steckenpferd des Millionärs und BouguereauSammlers Fred Ross. Als jemand, der wie ich über Édouard Manet promoviert hat, fühlt man sich auf der Homepage wie ein Darwinist zu
Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken
Besuch bei den Kreationisten.« Barbara Wittmann
Reinhard Brandt, Die Lobby der Tiere Barbara Wittmann, Revival der Salonmalerei Thomas Thiemeyer, Deutschland postkolonial
»Hannah Arendt hat als Erste die radikale Provokation beschrieben und durchdacht, die von der Figur des Flüchtlings ausgeht, woran wiederum als Erster Giorgio Agamben erinnert und angeschlossen hat;
Christoph Menke, Zurück zu Hannah Arendt Andreas Eckert, Über Achille Mbembe Jan Wilm, Louis C. K., Comedian Jan von Brevern, Museumsbesuch in Los Angeles
alle seine vermeintlichen Übertreibungen – das Lager als die Wahrheit der modernen Politik – werden in der gegenwärtigen Krise wahr.« Christoph Menke »Selbst den hartnäckigsten Verfechtern studentischer Selbstbestimmung
Erika Thomalla, Anwesenheitspflicht an Hochschulen Markus Knell, Politique Automatique Hannes Böhringer, Wer da? Harry Walter, Frauen mit Pudel
leuchtet unmittelbar ein, dass man ein Studium der Biologie oder der Chemie nur unter der Bedingung regelmäßiger Anwesenheit in Laboren erfolgreich bewältigen kann. Dass auch wissenschaftliche Basisoperationen wie das Analysieren, Verstehen oder Interpretieren von Texten nur durch wiederholtes Training und in der Interaktion mit anderen erlernt werden können, scheint dagegen schwer vermittelbar zu sein.« Erika Thomalla
Aber welche Alternativen sind das? Worin besteht der Gegensatz, den die FlüchtZurück zu Hannah Arendt – lingskrise hervortreibt? Und spiegelt der die Flüchtlinge und die Krise der Gegensatz, in dem sich die öffentliche DeMenschenrechte batte der letzten Monate bewegt, die wahVon Christoph Menke re Herausforderung dieser Krise? Mark Siemons hat die Grundlinie dieser Debatte so rekonstruiert: Dem »›humanen L ängst ist klar, dass die Wucht, mit der Imperativ‹ (Merkel), der von der Not der die »Flüchtlingskrise« in die europäischen Flüchtlinge ausgeht«, steht der »›territoVerhältnisse eingebrochen ist,1 nicht nur riale Imperativ‹« (Sloterdijk) gegenüber, eine Folge der – anfangs unübersehbar »der durch den staatlichen Kontrollverscheinenden – Menge der Ankommenden lust gefährdet ist«.2 Ist das aber die ganze ist. Sie ist daher auch nicht nur ein Aus- Alternative, vor der wir stehen: »human« druck der Panik angesichts der unbezwei- oder »territorial«, Merkel oder Sloterdijk? felbaren Größe und Schwierigkeit der an- Bevor wir uns darüber der Melancholie stehenden logistischen, administrativen, (oder Verzweiflung) hingeben, sollten wir ökonomischen Aufgaben. Es ist vielmehr noch einmal einen Schritt zurücktreten. die Wucht einer Erschütterung der politischen Einheit, ja der normativen GrundNoch einmal zurück zu Arendt lagen der europäischen Verhältnisse, auf die man umso mehr vertraut hatte, umso Dieser Schritt führt zu Hannah Arendt. weniger sie jemals wirklich in Anspruch Sie hat als Erste die radikale Provokation genommen und nur vage beschworen, beschrieben und durchdacht, die von der aber nicht ausgesprochen werden muss- Figur des Flüchtlings ausgeht (woran wieten. In der Flüchtlingskrise zerfällt die derum als Erster Giorgio Agamben erinpolitische Einheit, weil sich erweist, dass nert und angeschlossen hat; alle seine verdie normative Grundlage nicht nur gänz- meintlichen Übertreibungen – das Lager lich unklar, sondern völlig strittig ist. als die Wahrheit der modernen Politik – Die Krise ist der Moment, in dem die werden in der gegenwärtigen Krise wahr). Alternativen scharf gegeneinander treten Diese Provokation gründet in einer und sich der weitere Verlauf entscheidet. schockhaften Erfahrung. Es ist die Erfahrung des »Zusammenbruchs« einer Poli1 Ich kümmere mich im Folgenden nicht um tik, die sich auf die Menschenrechte bedie Frage, ob und wie etwa zwischen Migranruft. Arendt: »Der Begriff der Menschenten und Flüchtlingen unterschieden werden könnte. Es geht hier nicht um die Gründe und Umstände ihres Weggehens, sondern um die Weise ihres Ankommens.
ne parteiliche Grundannahme als unumstrittenes Grundprinzip der soziopolitischen Ordnung zu etablieren. Das Erstaunliche an diesem Aufstieg liegt darin, dass und wie es dem Liberalismus gelungen ist, seinen initialen Grundgedanken so zu reformulieren, dass er diese schlechthin umfassende Geltung zu gewinnen vermochte. Geboren ist der Liberalismus – der »klassische Liberalismus« von Humboldt, Constant, Tocqueville und Mill – aus der Reaktion gegen staatlichen Absolutismus und revolutionären Moralismus.5 Deshalb definiert er die soziopolitische Ordnung als eine Ordnung der Rechte: als die Ordnung, die die Rechte jedes Einzelnen schützt. Daher der Name »Liberalismus«, denn das versteht er unter Freiheit: Freiheit, so definiert Benjamin Constant, das sind für den »Modernen« die »Rechtsgarantien«, die »die Institutionen seinem privaten Genuß gewähren«; Freiheit ist, liberal verstanden, »Sicherheit im privaten Genuß«. Der Aufstieg des Liberalismus von einer Partei zum Prinzip bestand in nichts anderem als darin, diese Form – die unverletzbaren Rechte des Einzelnen – als Modell legitimer politischer Regelungen überhaupt durchzusetzen. Dafür war es entscheidend, das enge, privatistische Verständnis hinter sich zu lassen, das Constant exemplarisch formuliert hatte: die Rechte als institutionelle Garantie des privaten Genusses; in protestantisch-deutscher Fassung (also ohne an den Genuss zu denken): als »ein Gebiet unabhängiger
5 Raymond Geuss, Liberalism and Its Discon-
tents. In: Ders., Outside Ethics. Princeton University Press 2005.
Herrschaft des individuellen Willens« (Savigny). Solange der Liberalismus die Idee der Rechte so bestimmte, war er ganz offensichtlich – und meist auch ausdrücklich – die Partei der Besitzenden; Rechte hieß Sicherheit im Privateigentum. So hat Marx (in Zur Judenfrage) die Idee der liberalen Rechte bekämpft. Zum normativen Grundprinzip wurde die Form der Rechte allerdings erst, als es gelang, die konkurrierende Freiheitsidee zu absorbieren, die vor allem die Arbeiterbewegung gegen den »klassischen Liberalismus« (Geuss) ins Feld geführt hat. Für den klassischen Liberalismus hieß Freiheit, soweit die Politik sich darum zu kümmern hatte, die nach außen gesicherte Möglichkeit, nach eigenem Willen zu handeln. Die »sozialistischen Grundrechte«, vorweg die Rechte auf Arbeit und Bildung, auf Altersvorsorge und Krankenversicherung, die die Arbeiterbewegung proklamiert, verstehen die Freiheit radikal anders: Freiheit ist die zu gewährleistende Möglichkeit der sozialen Teilhabe. Solange die Freiheit altliberal als ungestörte private Verwirklichung des eigenen Willens verstanden wird, bleiben ihre tatsächlichen sozialen Voraussetzungen unsichtbar. Werden diese Voraussetzungen hingegen (durch soziologische Reflexion und sozialistische Agitation) ans Licht gebracht, dann wird die Teilhabe an all den sozialen Zusammenhängen und Institutionen, in denen der Einzelne allein handeln kann, zum Inhalt der Rechte. Die Rechte sind jetzt Teilhaberechte: Die ursprünglich parteiliberale Form der Rechte wird sozialliberal. Der Liberalismus als Partei hat abgedankt; die liberale Form der Rechte ist universal geworden.
Das Paradox der Rechte Die Universalisierung der Form der Rechte setzt ihre Neutralisierung voraus. Die liberale Grundannahme lautet: Die Forderungen der Gerechtigkeit können, ohne Verlust, durch die Sicherung von Rechten verwirklicht werden. Rechte aber verzerren, durch ihre Form, ihre eigenen gerechten Ziele. Der klassische Liberalismus will die freie, vernünftige, verantwortliche, selbstbestimmte Lebensführung ermöglichen – aber Rechte können nur den ungestörten »privaten Genuß« (Constant) oder die »unabhängige Herrschaft des individuellen Willens« (Savigny) garantieren: Aus der angestrebten Autonomie wird die rechtlich garantierte Willkür. Und der Sozialliberalismus will die aktive, soziale Teilhabe ermöglichen, aber Rechte können nur Ressourcen, Vermögen, Zugangsmöglichkeiten zur individu ell beliebigen Nutzung bereitstellen: Aus der angestrebten Partizipation wird der rechtlich garantierte Konsum. Mit der Einführung jedes neuen Rechts beginnt daher sogleich die Klage über seinen »Missbrauch«: Die privaten Spielräume werden gar nicht vernünftig, zur Persönlichkeitsentfaltung, sondern hedonistisch oder egoistisch, nach eigenem Belieben, genutzt; die sozialen Zugangsmöglichkeiten, die die sozialen Rechte – auf Bildung, auf Arbeit, auf Absicherung gegen Krankheit und Armut usw. – gewährleisten, werden gar nicht sozial und zur aktiven Partizipation genutzt, sondern allein und konsumistisch verzehrt. Aber dieser Missbrauch der Rechte, den die liberale Politik beklagt, ist nichts anderes als ihr Gebrauch. Die »Patholo-
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gie« der Rechte ist ihr normaler Zustand.6 Es gibt keine Rechte jenseits ihrer Pathologie. Genau dies ist die »Wirklichkeit«, die die Politik in der Form der Rechte stets erneut hervorbringt und nach Arendts eingangs zitierter Diagnose ebenso hartnäckig nicht sehen will oder kann. Aber warum geschieht das? Durch welchen Form-Mechanismus unterlaufen die Rechte immer wieder ihre guten Absichten? Sie tun das dadurch, wie sie berechtigen: Ein Recht berechtigt den Einzelnen, etwas zu wollen und zu tun. Es sichert oder gewährt dem Einzelnen etwas: Es sichert ihm private Spielräume, oder es gewährt ihm soziale Chancen. Diese werden dadurch sein Eigenes; alle Rechte, ob klassisch oder sozialliberal, sind »Eigenrechte« (Roberto Esposito). Das bedeutet: Mit dem, worauf er ein Recht hat, kann der Einzelne tun, was er will. Er darf nur nicht in die gleichen Rechte des Anderen eingreifen. Deshalb ist die Ausübung meines Rechts, das, was ich mit meinem Eigenen tue, auch meine eigene Sache. Wenn ich ein Recht auf etwas habe, dann ist alles, was ich in Ausübung dieses Rechts tue, dadurch dem Eingriff und der Kritik, ja schon dem Urteil der Anderen entzogen. Es ist für sie eine Tatsache, wie ein bloßes Stück Natur – das sie als etwas Gegebenes hinzunehmen haben. Das ist der grundlegende Einwand gegen die liberale Politik der Rechte, den Arendt mit den Antipoden Burke und Marx, der konservativen und der kommunistischen Kritik des Liberalismus, teilt. Mit Foucault kann man daher sagen, dass diese Politik »viel eher ein Naturalis6 Vgl. Axel Honneth, Das Recht der Freiheit.
wir als Mitglieder unseres Gemeinwesens andere Seite, ja dasselbe ist wie die Ungekeine Menschen sind: bloß Deutsche, kei- rechtigkeit uns selbst gegenüber. Also müssen wir auch umgekehrt die ne Menschen. Denn wenn es wahr ist, dass der Mensch Gerechtigkeit gegenüber dem Flüchtling als Anteil definiert ist, dann definiert das ganz anders denken, als dies in der Gezugleich, wie wir Anteile oder Mitglieder genüberstellung von Individuen mit ihren sind. Wir sind dies immer in bestimmten unabdingbaren Rechten und GemeinweGemeinwesen oder sozialen Zusammen- sen mit ihren Interessen, Ressourcen und hängen, daher auf eine bestimmte Wei- Werten möglich ist. Gerechtigkeit gegense. Und darin anders als die Mitglieder über dem Flüchtling zu üben heißt nicht, anderer Gemeinwesen oder sozialer Zu- ihn als einen oder gar den Anderen zu sesammenhänge. Aber wenn jede dieser be- hen, der Ansprüche an uns erhebt. Die stimmten Weisen die Aktualisierung ei- Gerechtigkeit des Gemeinwesens gegenner Potentialität ist, die allen Menschen über dem Flüchtling ist nicht die Gerechgleichermaßen zukommt und die darin tigkeit gegenüber dem Anderen, sondern unbestimmt ist, dann ist jedes bestimm- gegenüber sich selbst. Sie verlangt von te Mitglied zugleich ein Mitglied über- uns, einen sozialen Zusammenhang zu haupt, jeder Teil eines bestimmten sozi- schaffen, in dem es wahr ist, dass wir soalen Zusammenhangs zugleich Teil eines ziale Anteile sind (oder dass wir das Recht auf Rechte haben). Gemeinwesens überhaupt.8 Dass wir einen solchen ZusammenDas Nein, das das Gemeinwesen dem Flüchtling entgegenruft – Du bist gar kein hang schaffen müssen, heißt, dass es ihn Anteil, denn Du bist kein Teil von uns – nicht gibt. Tatsächlich leben wir nicht ist daher in Wahrheit ein Nein des Ge- als soziale Anteile zusammen; nicht in meinwesens zu sich selbst. Es ist die Ein- unserem Land und nicht in Europa. Und mauerung des Gemeinwesens in seinem weil wir selbst nicht so sind, können wir Sosein (seiner Identität, seinen Werten). In- auch den Flüchtling nicht als ein polidem ein Gemeinwesen bestreitet, dass tisches Tier, als einen sozialen Anteil, der Flüchtling ein Anteil ist, bestreitet sondern nur als ein nacktes Individuum es dies seinen eigenen Mitgliedern. Die mit natürlichen Ansprüchen sehen. DesUngerechtigkeit gegenüber dem Flücht- halb ist die Krise, die das Auftauchen ling liegt nicht darin, dass wir ihm etwas des Flüchtlings hervorbringt, so tiefgreiabschlagen, das wir selbst haben; so er- fend. Die moralische, menschenrechtlischeint es nur, wenn man die Situation che Deutung der Krise geht davon aus, in der untauglichen Kategorie der Rech- es ginge darum, konsequent zu sein: das, te beschreibt. Macht man mit Arendt den was wir für uns schon haben, nun auch Schritt von den Rechten zum Recht auf Anderen einzuräumen; das Wir zu »erRechte, dann ist klar, dass die Ungerech- weitern«, bis es den Anderen mitumfasst.9 tigkeit gegenüber dem Flüchtling nur die 9 Richard Rorty, Gerechtigkeit als erweiterte 8 Vgl. Jacques Derrida, Von der Gastfreund-
schaft. Wien: Passagen 2001.
Loyalität. In: Ders., Philosophie & die Zukunft. Frankfurt: Fischer 2000.
Die Krise, die das Auftauchen des Flüchtlings hervorbringt, reicht aber viel weiter. Sie betrifft nicht nur die Frage, wer zu uns dazugehört, sondern wer oder wie
wir sind. Die Flüchtlingskrise zeigt, dass wir nicht nur konsequenter wir selbst sein, sondern dass wir zugleich anders werden müssen.