Zur Verwahrlosung archäologischer Denkmäler Catanias, ANTIKE WELT 5 / 2016, 46-50

May 27, 2017 | Author: Stefan E. A. Wagner | Category: Cultural Heritage, Heritage Conservation, Roman Baths (Archaeology), Roman theaters, Istanbul, Monuments, Catania, Megara Hyblaea, Monuments Conservation, Monuments, Catania, Megara Hyblaea, Monuments Conservation
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Description

Abb. 1 Die Piazza Duomo mit der Kathedrale der Heiligen Agata und dem Elefantenbrunnen, Catanias bekanntestem Wahrzeichen. Der Elefant aus Lavagestein wird von den Catanesen liebevoll Liotru genannt. Die prachtvollen Barockmonumente werden von der Stadt gut gepflegt, da sie einen hohen Wert für Touristen besitzen; weniger prestigeträchtige Monumente werden hingegen mit sehr viel geringerer Fürsorge bedacht und sind häufig Opfer von Vandalismus und Verwahrlosung.

«Nur ein hässlicher Haufen Steine, der mich nicht interessiert» Zur Verwahrlosung Catanesischer Altertümer

Die wenigen erhaltenen antiken Denkmäler der ostsizilianischen Stadt Catania, deren moderne Besiedlung auf eine griechische Koloniegründung des 8. Jhs. v. Chr. zurückgeht, sind in einem bemerkenswert schlechten Zustand des Verfalls und der Vermüllung. Grund hierfür sind mangelndes Interesse an der Antike in einer ansonsten von besser erhaltenen Barockmonumenten geprägten Stadt ebenso wie fehlender Respekt vor den materiellen Hinterlassenschaften der Vergangenheit

von Stefan E. A. Wagner

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irft man einen Blick in moderne, in jeder Buchhandlung erhältliche Reiseführer, so werden für die Sizilianische Stadt Catania häufig in erster Linie Sehenswürdigkeiten aus der Zeit des Barock sowie des 19. Jhs. aufgelistet. An allererster Stelle steht hierbei meistens die Kathedrale der Heiligen Agata, ein dreischiffiger Basilikalbau des Barockarchitekten Girolamo Palazzotto, die angrenzende Piazza Duomo samt dem berühmtestem Wahrzeichen der Stadt, der Fontana degli Elefanti (Abb. 1), oder das Teatro Massimo Bellini, welches zum Ende des 19. Jhs. mit der Aufführung der Oper Norma des sizilianischen Star-Komponisten Vincenzo Bellini eingeweiht wurde. Und in der Tat prä-

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sentiert sich Catania dem heutigen Reisenden vor allem als eine von üppigen Barockkirchen und opulenten Palazzi geprägte Stadt, etwa entlang der von Gotteshäusern und Ordenskonventen gesäumten Via Crociferi, der sie schneidenden Via Antonino di Sangiuliano oder der Viale Mario Rapisardi. Doch jenseits dieses in Bildbänden gefeierten Image von Catania als einer barocken Metropole Ostsiziliens existiert noch eine weitere Facette der Stadt, die häufig hinter den Fassaden von aus schwarzem Lavagestein erbauten Häusern und der Pflasterung moderner Straßen verschwindet und die, wo immer sie im Stadtbild sichtbar zutage tritt, das Opfer von zu geringer öffentlichkeitswirksamer Würdigung und, noch schlimmer, von Verwahrlosung und Vermüllung wird. Es sind

«Nur ein hässlicher Haufen Steine, der mich nicht interessiert» – Zur Verwahrlosung Catanesischer Altertümer

die Reste des antiken und mittelalterlichen Catania  – die Reste einer Stadt, die einst im Jahr  729 v.  Chr. von griechischen Kolonisten gegründet worden war und die ihren Namen – Katane – einem Hügel verdankte. Die Stadt gehörte somit zu den ältesten Siedlungen griechischer Einwanderer auf der Insel, zusammen mit annähernd zeitgleichen Gründungen wie etwa Naxos (heute: Giardini-Naxos unweit von Taormina), Zankle (Messina), Syrakus (Siracusa), Leontinoi (Lentini) und Megara Hyblaia (Megara Iblea). Jedoch schaffte es die Bürgerschaft Katanes nie, ihrer Polis zu einer größeren, überregionalen Bedeutung zu verhelfen – zu stark war der politische und militärische Druck, der von der südlich gelegenen Stadt Syrakus ausging. Im Jahr 476 v. Chr. ließ der syrakusanische Tyrann Hieron  I. die Stadt belagern; nach ihrem Fall wurden die Einwohner der besiegten Polis ins nahe gelegene Leontinoi zwangsumgesiedelt. Obwohl in späterer Zeit eine Rückkehr der Deportierten ermöglicht wurde, gelangte Katane nie zu einer Blüte, da sich die Gemeinde in diversen kriegerischen Auseinandersetzungen mit beinahe parodistischer Regelmäßigkeit stets auf die Seite der Verlierer schlug  – im Peloponnesischen Krieg kämpfte sie beispielsweise an der Seite Athens, später unterstützte sie Pompeius in

Abb. 2 Die Terme dell’Indirizzo, gleich neben der Kirche Santa Maria gelegen, sind für die Öffentlichkeit ebenfalls nicht zugänglich. Das Schild, das eigentlich nützliche Erklärungen zu den Bauten und ihrer Geschichte liefern sollte, ist Opfer von Vandalismus geworden.

seinem erfolglosen Kampf gegen Caius Iulius Caesar. Ein gewaltiges Erdbeben vernichtete im Jahr  1693 fast die gesamte Stadt, die in den Folgejahren von namhaften Architekten wie Giovanni Battista Vaccarini (Erbauer etwa des Elefantenbrunnens) oder des bereits genannten Girolamo Palazzotto wiederaufgebaut wurde. Dieses Erdbeben und der darauf folgende Wiederaufbau der Stadt sind

Abb. 3 a.b Die Kirche Santa Maria dell’Indirizzo ist für die Öffentlichkeit gesperrt, der Bau als solcher komplett unzugänglich. Die Fassade der Kirche ist mit Kritzeleien beschmiert, im Treppenaufgang türmen sich Müllsäcke und Unrat.

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der Hauptgrund dafür, dass im modernen Stadtbild Catanias so gut wie keine archäologischen Denkmäler des antiken Katane mehr zu sehen sind.

Die vergessenen Denkmäler Catanias

Abb. 4 Die Terme Romane di Piazza Dante. Die Reste des Baus sind unter wild wucherndem Gestrüpp kaum auszu­ machen, auch hier ist die Vermüllung allgegen­ wärtig: Plastikflaschen, weg­geworfene Kleidungs­ stücke, altes Holz und Metallschrott sind zwischen den Gewächsen zu erkennen.

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Dennoch – obwohl sich so viele Reiseführer entweder nur sehr knapp über sie äußern oder sie sogar ganz verschweigen  – gibt es einige Überreste der antiken Stadt Katane. Im Süden der Stadt beispielsweise befinden sich die Ruinen einer kleinen römischen Thermenanlage  – der Terme dell’Indirizzo (Abb.  2). Das Gelände ist von der Straße aus einsehbar, jedoch für die Öffentlichkeit nicht zugänglich  – ein hoher Metallzaun verhindert den Zugang. Doch es ist unnötig, die Reste der Thermenanlage aus der Nähe zu inspizieren, um zu erkennen, dass dieses Denkmal

aus römischer Zeit sich in einem Zustand schlimmer Verwahrlosung befindet: Überall liegen weggeworfene Plastikflaschen und Metallgegenstände im hohen, seit langer Zeit schon nicht mehr gemähten Gras, und über der gesamten Anlage liegt ein kloakenhafter Gestank  – ganz offensichtlich wird der Ort von den Obdachlosen Catanias als Latrine benutzt. Kaum anders verhält es sich mit einer nahebei gelegenen Kirche  – der Chiesa Santa Maria dell’Indirizzo – auch sie ist unzugänglich, und auf den Stufen, die zum Eingangsportal der Kapelle führen, stapeln sich prall gefüllte Müllsäcke und alte Pappkartons übereinander (Abb. 3 a.b). Eine weitere Thermenanlage Catanias, deren Überreste sich vor dem monumentalen ehemaligen Monasterium der Benediktiner an der Piazza Dante befinden, ist in einem ähnlichen Zustand: unbetretbar, abgeschirmt durch eine eiserne Absperrung und wiederum angefüllt mit Abfällen – nicht derart viele wie bei Santa Maria dell’Indirizzo, aber doch deutlich sichtbar (Abb.  4). Die wenigen erhaltenen Mauerzüge indes verschwinden unter meterhohem Pflanzenbewuchs. Dabei befinden sich diese Thermen der Piazza Dante auf dem ehemaligen Stadthügel Catanias, auf der Akropolis, also an einem für die Geschichte der Polis nicht ganz unbedeutenden Platz – war dieser doch einer der ersten, der von den Griechen bei der Gründung Katanes besiedelt wurde. Allein, befindet man sich vor den so schlimm vernachlässigten und ungepflegten Resten der Thermen, deutet nichts auf die Bedeutung des Ortes hin – kein Schild könnte einem neugierigen Touristen bei der Orientierung helfen. Ganz ähnlich verhält es sich mit den erhaltenen Teilen des römischen Amphitheaters an der Piazza della Borsa  – auch sie sind unzugänglich und wirken im Stadtbild wie ein unerwünschter Fremdkörper, an dessen Seiten – wie könnte es anders sein – die unvermeidlichen Müllansammlungen zu sehen sind. Einzig und allein zwei Monumente aus der Antike werden hinsichtlich ihrer Bedeutung ausreichend gewürdigt: Die direkt nebeneinander stehenden Strukturen des römischen Theaters und des Odeons, beide an der Via Vittorio Emmanuele II. gelegen (Abb. 5).

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Die Hässlichkeit der Ruine Was ist der Grund für die so traurige Vernachlässigung der römischen Denkmäler Catanias? Und warum wird beispielsweise der Komplex des Theaters und des Odeons offenbar bevorzugt behandelt? Immerhin befinden sich Theater und Odeon in einer geschützten Zone, für die Eintritt verlangt wird, wohingegen die Terme dell’Indirizzo und die Terme di Piazza Dante dem allgemeinen Vandalismus und der unsachgemäßen Nutzung als Mülldeponie schutzlos preisgegeben sind. Einer der Gründe liegt sicherlich darin, dass Theater und Odeon noch wesentlich besser erhalten sind als die oben genannten Thermenanlagen. Von beiden Thermen sind im Wesentlichen nur einige wenige Mauerzüge erhalten, die einem Laien, insbesondere einem an Archäologie bestenfalls oberflächlich interessierten Touristen scheinbar wenig zu sagen haben und auf den ersten Blick hässlich und unscheinbar wirken. Die Überreste beider Thermenanlagen erschließen sich einem Besucher Catanias nur schwer, wohingegen Theater und Odeon selbst ohne profundes Vorwissen schnell und eindeutig zu identifizieren sind. Die touristische Wertschätzung ist daher für letztgenannte Monumente wesentlich größer, oder, um es salopp auszudrücken: Der Komplex des Theaters und des Odeons bietet dem Auge wesentlich mehr als die Überreste der Thermen. Die Wertschätzung für die Ruinen der Bäder ist daher geringer – und umso geringer ist auch die Bereitschaft, sie vor Verfall, Vermüllung

Abb. 5 Im Gegensatz zu den touristisch wenig verwertbaren Ruinen der Thermen wird das Teatro Romano samt daneben befindlichem Odeon gut gepflegt. Überwachungskameras sollen unbefugtes Eindringen und Vandalismus verhindern, das Denkmal befindet sich in gutem Zustand.

und Vandalismus zu bewahren, geschweige denn sie einem interessierten Publikum zur Besichtigung zu öffnen. Die Wertschätzung der Öffentlichkeit (und somit auch die Fürsorge vonseiten der Behörden) gegenüber Denkmälern ist ungleich verteilt  – je besser erhalten, prächtiger und einem gewissen populären Stereotyp von Archäologie und Vergangenheit entsprechend, desto wertvoller ist das Monument. Dieses Phänomen ist jedoch kein spezifisch catanesisches, nicht einmal ein spezi­ fisch sizilianisches. Auch die Ruinen der antiken griechischen Koloniestadt Megara

Abb. 6 a.b Die Ruinen des antiken Megara Hyblaia inmitten des Industriegebietes Augusta-Priolo sind unter dem ungebändigten Bewuchs kaum zu erkennen. Rechts im Bild erkennt man ein umgestoßenes und zerstörtes Beschriftungsschild (Abb. 7.1). Zahlreiche weitere Schilder wurden Opfer von Vanda­lismus, wie etwa dieses verbrannte und mit Kot beschmierte Exemplar, das eigentlich Erläuterungen zu einem Wohnhaus liefern sollte.

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dachlosen als Toilette genutzt: ­Müllsäcke, gebrauchte Spritzen und weggeworfene, verdreckte Kleider liegen herum; über allem liegt der Gestank von Fäkalien und Verwahrlosung. Und das ganze wohlgemerkt mitten in einer Stadt, die im Jahr 2010 den Titel der europäischen Kulturhauptstadt trug. Doch wie in Catania auch, so ist die kulturelle Wertschätzung für einige vermeintlich aussagelose Mauerzüge geringer als für die große und prächtige Hagia Sofia, die stimmungsvoll ausgeleuchteten Yerebatan-Zisternen oder den opulenten Harem des Topkapi Saray.

«Nur ein Haufen Steine»

Abb. 7 Die Überreste der Kirche Hagios Polyeuktos im Istanbuler Stadtviertel Sarachane. Die Begehung des Ortes, der heute von zahlreichen Obdachlosen der Metropole als Müllplatz und Latrine genutzt wird, ist nicht ungefährlich: Am Boden liegen Glasscherben und gebrauchte Spritzen.

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Hyblaia, einige Kilometer nördlich von Syrakus haben mit diesem Problem der fehlenden Wertschätzung zu kämpfen (Abb. 6 a.b). Da das Ausgrabungsgelände inmitten zahlreicher Raffinerien des modernen Industriereviers Augusta-Priolo liegt, verfügt es ohnehin über keine gute Verkehrsanbindung  – und da dort kein einziges intaktes Gebäude mehr vorhanden ist, sondern nur noch Hausgrundrisse, Architekturfragmente und ­Substruktionsmauern ist der archäologische Park heutzutage so gut wie verwaist. Die ergrabenen Reste der Häuser scheinen im immer höher wuchernden Gras zu ertrinken. Die Abgelegenheit des Ortes bewahrt das antike Megara Hyblaia immerhin vor einer Nutzung als Müllkippe. Ein diesbezüglich besonders trauriges Extrembeispiel außerhalb Italiens stellen die Überreste der Polyeuktos-Kirche in Istanbul dar (Abb. 7). Diese byzantinische Kirche, die etwa zu Beginn des Zeitalters Kaiser Justinians erbaut wurde (527–565 n.  Chr.), repräsentierte einen der prächtigsten Sakralbauten des 6.  Jhs. n.  Chr.. Lange Zeit wusste die Forschung nicht, wo sich dieser Bau, der aus Schriftzeugnissen gut bekannt war, befand, doch die Errichtung einer Unterführung im Istanbuler Stadtteil Sarachane ließ die wenigen baulichen Reste der Kirche wieder ans Licht kommen. Das Gelände, auf dem sich diese Reste heute befinden, wird heute von einem Zaun umgeben und von Istanbuls Ob-

Es ist ein Problem der Mentalität, das ein Aufbegehren der Bevölkerung gegen die Verschmutzung und Vernachlässigung der römischen Denkmäler Catanias verhindert. «Wieso sollte man eine Ruine, die weder schön noch berühmt ist, auch erhalten», wurde ich neulich gefragt, als ich eine Gruppe junger catanesischer Studenten über den Zustand der Terme dell’Indirizzo befragte. «Queste sono solo pietre che non mi interessono», lautete die knappe und doch so aufschlussreiche Bemerkung eines Catanesen: «Das ist doch nur ein Haufen Steine, der mich nicht interessiert». Doch dieser traurige Kommentar übersieht, dass auch vermeintlich unansehnliche Ruinen materielle Zeugnisse der Vergangenheit sind, die es zu erhalten gilt. Wir haben nur eine Vergangenheit, und davon ist wenig genug auf uns gekommen. Ein Grund, für das Erhaltene zu sorgen und es nicht der Verwahrlosung preiszugeben.

Adresse des Autors Stefan E. A. Wagner ***Bitte liefern!*** **** ******* Bildnachweis Alle Abb. von dem Verfasser. Literatur L. CERCHIAi u. a., Greek cities of Magna Graecia and Sicily (2004). M. HARRISON, Ein Tempel für Byzanz. Die Entdeckung und Ausgrabung von Anicia Iulianas Palastkirche in Istanbul (1990).



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