Zum Bauopfer in Mittelalter und Neuzeit Eine archäologisch-historische Annäherung mit Beispielen aus Tirol
Bakkalaureatsarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades einer Bakkalaurea der Philosophie an der Philosophisch- Historischen Fakultät der Leopold- Franzens Universität Innsbruck
Institut für Archäologien Fachbereich Ur- und Frühgeschichte sowie Mittelalter- und Neuzeitarchäologie
Objekt und Intention...................................................................................................... 17
4.
Religiöse Vorstellungen hinter dem Bauopfer .............................................................. 18
5.
Vom Menschenopfer zum Grundstein?......................................................................... 20
6.
Vom Bauopfer zum Gedenkstein .................................................................................. 22
7.
Die christliche Überprägung ......................................................................................... 26
VII.
Der Ort der Deponierung .............................................................................................. 28
VIII. Bauopfer im archäologischen Kontext ......................................................................... 29 1.
Archäologie und Vorstellungswelten – Probleme bei der Interpretation ...................... 29 a. „archaeology of mind“/ „kognitive Archäologie“ ..................................................... 31
2.
Wie ist ein Bauopfer zu erkennen?................................................................................ 35
3.
Depotfunde in Gebäuden und ihr Bezug zu Bauopfern ................................................ 38
XIII. Literaturverzeichnis ...................................................................................................... 62
2
I. Einleitung Der Versuch, sich den Glaubensvorstellungen vergangener Epochen anzunähern, führt auf unsicheres Terrain. Dies gilt besonders für den Komplex der „privaten Religiosität“, also jene Bereiche der Glaubensausübung, die außerhalb einer Institution wie der Kirche, ohne „professionelle“ Geistliche stattfinden und sich auch in ihren Vorstellungen darüber hinaus bewegen.
„In
der
Privatsphäre
des
Menschen
ist
mit
höchst
individuellen
Glaubensvorstellungen und -ausübungen zu rechnen, die kaum zu kalkulieren und demnach auch kaum eindeutig zu erkennen sind.“1 Entsprechende Vorsicht muss man bei der Auswertung von Quellen zu diesem Themenkomplex walten lassen. Dennoch entzieht sich der „Alltagsglaube“ nicht gänzlich unserer Erkenntnis, wobei der Archäologie des Aber-, bzw. Parallelglaubens, wie die Bezeichnung in der jüngeren Wissenschaft meist lautet, eine herausragende Rolle bei der Analyse zukommt. Dieser „Alltagsglaube“ stand, soweit bekannt, üblicherweise nicht etwa in Konkurrenz zur „institutionalisierten Religiosität“ wie der christlichen Kirche, sondern wurde als Volksbrauchtum toleriert.2 Als solches hinterließ er Relikte, die archäologisch in großer Zahl fassbar sind. Auch die Praxis, Gebäuden – meist bei deren Errichtung – bestimmte Objekte einzufügen, ist uraltes Brauchtum, das seit Jahrtausenden rund um den Globus praktiziert wurde und wird. Diese sogenannten Bauopfer sind Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Das Bauopfer wird in der wissenschaftlichen Literatur immer wieder erwähnt, doch mangelt es an spezifischen, tief greifenden Forschungen. Der Versuch Informationen zu dieser Materie zu sammeln stößt schnell an die Grenze der problematischen Literatursituation. Prinzipiell existieren nämlich nur zwei Arten von Literatur: Einerseits hat man es mit Sammlungen von Beispielen zu tun, die sich oft kreuz und quer durch Zeit und Raum bewegen, andererseits finden sich kleine Artikel, in denen Einzelfunde als potenzielle Bauopfer angesprochen werden. Diese Fundbeschreibungen werden meist noch ergänzt durch ein paar mehr oder weniger richtige Sätze zu diesem Thema, wobei diese sich häufig auf den gleichen, inzwischen über 100 Jahre alten Aufsatz beziehen. Eine umfassende Aufarbeitung des Materials, die Ursprung, Sinn und Fundobjekte analysiert, Wandel und Kontinuität aufzeigt und versucht, all die Bruchstücke zu einem Bild zusammenzufügen gibt es bisher nicht. Versuche wurden selten und nicht immer erfolgreich unternommen.
1 2
Thier 1998, 85. Thier 1998, 85.
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Erste Impulse, sich mit diesem Thema zu befassen, gingen von der Volkskunde aus. In diesem Zusammenhang ist Sartoris häufig zitierter Aufsatz von 18983 zu nennen, der eine Zusammenstellung zahlreicher völker- und volkskundlicher Beispiele liefert und einen forschungsgeschichtlich interessanten Überblick über die Schriften seiner Zeit gibt. In dieselbe Kerbe schlägt Kurt Klusemann, der im Jahre 1919 eine umfangreiche „ethnographisch- prähistorisch- linguistische Studie“4 zu diesem Thema publizierte. Bei Sartori und Klusemann findet sich eine große Sammlung von Berichten über mehr oder weniger sagenhafte Bauopfer, diachron und aus der ganzen Welt, meist geordnet nach dem Objekt der Niederlegung. Beispiele für die Ansprache von Funden als potenzielle Bauopfer – ohne näher auf dieses Thema einzugehen – finden sich etwa bei Ole Harck.5 Ähnlich der Aufsatz von Albert Sandklef, der zahlreiche Beispiele aus dem skandinavischen Raum anführt. Ausgangspunkt seiner Ausführungen stellen Tierschädel unter Scheunenböden dar, die angeblich den Klang des Dreschens verbessern sollten. Der Autor sammelte zahlreiche Beispiele an Funden, Erzählungen etc., wobei er auch auf den Schutz von Haus und Bewohnern im weitesten Sinne eingeht.6 Klaus Freckmann behandelt dieses Thema in seinem Aufsatz „Das Bauopfer in der Hausforschung – Befunde und Erklärungen“, wobei er hauptsächlich einige Beispiele nennt, auf die Problematik des Begriffes hinweist und einige Erklärungen zum Volksglauben liefert.7 Kurze Artikel betreffend potenzieller Bauopfer verfassten beispielsweise Axel Huber8, Bernhard Bahnschulte9, Emil Hundhausen10 und Martin Hell11. Sabine Felgenhauer-Schmiedts kurzer Abschnitt über das Bauopfer in ihrem Werk „Die Sachkultur des Mittelalters im Lichte der archäologischen Funde“ sagt kaum mehr aus, als dass es diesen Brauch zu jener Zeit gab.12 Auch Wilfried Schabers Aufsatz „Das Bauopfer – Ein archaischer Brauch bei der Errichtung von Gebäuden“13 besteht praktisch nur aus dem kurzen Versuch einer Erklärung anhand alter Literatur und ein paar Beispielen. Die Liste ließe sich lange fortsetzen.
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Sartori 1898, 1-54. Klusemann 1919. 5 Harck 1984, 342-349. 6 Sandklef 1949. 7 Freckmann 2007, 133-146. 8 Huber 1992. 9 Bahnschulte 1961. 10 Hundhausen 1961. 11 Hell 1964. Von diesem Autoren stammen noch weitere ähnliche Artikel z. B. Hell 1967. 12 Felgenhauer-Schmiedt 1993. 13 Schaber 2010. 4
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Etwas ausführlicher wagt Petronella Kainzbauer denselben Versuch, der jedoch ebenfalls nicht ganz gelungen ist, da die Wissenschaftlichkeit mitunter zu wünschen übrig lässt, etwa wenn Aussagen aus sehr alter Literatur oder aus Zeitungen weitgehend unreflektiert übernommen werden.14 Im Gegensatz dazu ist Ines Beilke-Voigts Werk über das Opfer im archäologischen Kontext15, in dem auch das Bauopfer Platz findet, sehr hilfreich. So werden etwa Forschungsgeschichte, ausführliche theoretische Abhandlungen zur Begriffsdefinition und zahlreiche Beispiele dargelegt, wobei besonders der Abschnitt über den Umgang mit fraglichen (Be-)Funden in der archäologischen Praxis sehr informativ ist. Einzelne Definitionen finden sich auch in Nachschlagewerken16 und theologischen Wörterbüchern17, doch sind diese meist nur bruchstückhaft und verweisen Großteils auf Aberglaubensverzeichnisse18.
Diese Arbeit gibt nun einen Überblick über die Sitte des Bauopfers, dabei wird es sich aber um keine Sammlung von Beispielen handeln. Vielmehr werden auf einer kulturübergreifenden Metaebene die allgemeinen Hintergründe dieses Brauches, die ihm zu Grunde liegenden Vorstellungen, Entwicklungen wie etwa christliche Überprägung und Rationalisierung sowie verschiedene Charakteristika und Besonderheiten beleuchtet. Der zweite Teil dieser Arbeit legt den Fokus stärker auf die Rolle der Archäologie, wobei besonders Fragen nach der Erkennbarkeit von Bauopfern im archäologischen Kontext und der Interpretierbarkeit der (Be-)Funde behandelt und nach Möglichkeit beantwortet werden. Im Anschluss folgen einige Beispiele und eine kleine Zusammenstellung von Bauopfern aus dem Tiroler Raum.
II. Der Begriff „Bauopfer“ Die definitorische Einordnung des Begriffes Bauopfer ist ein schwieriges Thema. Meist ist zwar im Groben ersichtlich, was darunter zu verstehen ist, doch gibt es bei genauerer Betrachtung verschiedene Auffassungen darüber, wie der Begriff zu definieren und somit in Theorie und Praxis zu verwenden ist. Doch bevor man sich an die problematischen Details der Terminologie heranwagt, ist es sinnvoll, zunächst den genauen begrifflichen Rahmen abzustecken, um darauf aufbauen zu
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Kainzbauer [1995]. Beilke-Voigt 2007. 16 Z. B. Daxelmüller 1980. Hinz 1976. 17 Z. B. Dodewaard/Schreiber 1958. Eliade 1957a. 18 Meist wird auf das HDA verwiesen. z. B. Peter Dinzelbacher 2000. 15
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können. Das Bauopfer fällt, wie der Name schon sagt, in den großen Bereich jener Praktiken, die gemeinhin mit dem Wort „Opfer“ bezeichnet werden, weshalb zunächst eine Klärung dieses allgemeinen Terminus angebracht ist. Dies soll mit den Worten Michael Rinds geschehen, der mit einer geeigneten Definition aufwartet: „Als Opfer bezeichnet man die Darbringung einer Gabe an eine göttliche Macht und im weitesten Sinne auch die Gabe selbst. Die Opferung ist eine Grundform religiösen Handelns, das auf dem Gefühl der Abhängigkeit zwischen Gottheit und Mensch beruht. Der Begriff ‚Opfer‘ läßt sich vom lateinischen Wort ‚operari‘ ableiten. Die Übersetzung lautet ‚handeln, arbeiten‘; in religiösem Kontext nimmt ‚operari‘ die Bedeutung von ‚einer religiösen Handlung obliegen‘ bzw. ‚einer Gottheit durch Opfer dienen‘ an.“19 Diese Erklärung ist soweit zufriedenstellend, bis auf den kleinen Punkt des Adressaten, also des Empfängers der Opfergaben, worauf später noch zurückzukommen sein wird. Da das Thema des Opfers bekanntlich ein weites Feld ist, ergaben sich bestimmte Kategorien, wonach Einteilungen getroffen werden können: „Opfer lassen sich entweder nach ihrem Zweck, z. B. Bitt-, Dank-, Lob-, Weiheund Sühneopfer, nach Art der Opfergaben, z. B. Libations-, Weihrauch-, Haar-, Tier- und Menschenopfer, oder nach Art der Niederlegung, z. B. Bau-, Brücken-, und Versenkopfer, unterscheiden.“20 Die erwähnten Kategorien überschneiden sich klarerweise, denn jedes Opfer hat einen Zweck, besteht aus einer oder mehreren Arten von Opfergaben und wurde auf irgendeine Art und Weise niedergelegt. Die Frage ist nun aber, welchen Aspekt man zum Auswahlkriterium seiner Forschungen macht. So kommt es zu wissenschaftlichen Fokussierungen auf verschiedene Gruppen wie etwa Menschenopfer, Flussopfer oder eben Bauopfer.
Auch für das Bauopfer finden sich zahlreiche mehr oder weniger ausführliche und richtige Definitionen, von denen keine gänzlich zufriedenstellend ist. Im Laufe der Forschungen für diese Arbeit wurde jedoch folgende Definition herausgearbeitet, die diesen Komplex abdeckt: Unter dem Bauopfer ist die Opferung eines Lebewesens oder irgendeines Gegenstandes zum Wohl eines, in der Regel neu errichteten, Gebäudes zu verstehen. Meist wird die Opfergabe auf irgendeine Weise in das Gebäude integriert. Das Opfer dient entweder dazu, einen übel gesonnenen „genius loci“ zu versöhnen oder dem Haus für die Zukunft Schutz und/oder Segen zu geben. Es wird 19 20
Rind 1996, 13. Rind 1996, 13.
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in der Regel vor, während oder kurz nach der Errichtung dargebracht, in Ausnahmefällen auch später (z. B. bei Umbauten). Dem Bauopfer liegt die Vorstellung zu Grunde, dass der Opfergabe eine bestimmte Wirkmacht innewohnt, die durch die Opferung auf das Gebäude übertragen, bzw. von einer höheren Macht erbeten wird. Die auch in jüngster Zeit noch übliche Deposition eines Grundsteines als Andenken an den Bau stellt eine Reminiszenz an das Bauopfer dar.
Bauopfer wurden beispielsweise in Wohnhäusern, Kirchen, Brücken, Dämmen oder bei Festungs-21 und Stadtgründungen dargebracht; also im Zusammenhang mit all jenen Gebäuden, die zu versichern man als notwendig empfand. Teilweise werden auch Opfer, die beim Stapellauf von Schiffen dargebracht werden, zu den Bauopfern gezählt.22 Die einzelnen Aspekte dieser Definition werden im Laufe der Arbeit aufgegriffen und ausgeführt.
Es gab und gibt allerdings jene erwähnten Unstimmigkeiten bezüglich der genauen Bedeutung des Begriffes Bauopfer und welche (Be-)Funde darunter subsummiert werden dürfen. Bernd Thier etwa kritisiert richtigerweise, dass oft undifferenziert alle merkwürdigen Befunde in, an, oder unter Gebäuden unter diesem Begriff zusammengefasst wurden, dies aber nicht zulässig sei. Als Beispiele nennt er etwa Säuglings- und Nachgeburtsbestattungen und Vorratsgefäße als Objekte, die zwar im Zusammenhang mit einem Gebäude auftreten, aber keineswegs als Bauopfer anzusprechen seien.23 Das Bauopfer wird manchmal auch rein auf die „Einhauchung von Leben“ bei der Errichtung des Hauses bezogen und von magischen Depositionen oder Abwehrzaubern getrennt. An anderer Stelle heißt es, Bauopfer wären all diejenigen Objekte, die während der Errichtung unter einer Wand, dem Fußboden oder dem Herd eingeschlossen wurden, wieder anderen reicht die Tatsache, dass sie sich irgendwo innerhalb einer Gebäudekonstruktion befinden und so weiter. Diese Beispiele zeigen, dass es sehr schwierig ist, den Begriff des Bauopfers zu definieren und die inhaltliche Zuweisung zu klären. Torsten Capelles Aussage aus dem Jahre 1985, dass weder eine allgemeingültige Begriffsklärung noch eine fundierte Analyse der
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Zum Beispiel heißt es, dass die Mauern des Tower of London besonders fest seien, da bei der Errichtung menschliches Blut in den Mörtel gemischt wurde. Rademacher 2005, 30. 22 Zum Beispiel von Klusemann 1919, 4. 23 Thier 1998, 89.
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unterschiedlichen Arten des Vorkommens vorliegt,24 ist Ausdruck dieser schwierigen Sachlage. Beschäftigt man sich mit der Problematik des Begriffes, kristallisiert sich heraus, dass die einzelnen Teile des Wortes nämlich die Begriffe „Bau“ und „Opfer“ unterschiedlich gehandhabt werden und damit verschiedene Ergebnisse und somit Uneinigkeiten evozieren. Aus diesem Grunde wird der Begriff „Bauopfer“ nun in seine Bestandteile zerlegt und die Begriffs-Problematik dieser Teile gesondert betrachtet.25
Was ist nun unter dem „Bau“ zu verstehen? Ist damit die „Errichtung“ des Hauses gemeint oder das „Gebäude“? Für Torsten Capelle etwa bezieht sich dieses Wort, wie für viele andere, auf die Errichtung, denn er unterscheidet fragliche Befunde in Hausopfer, als Resultat einer häuslichen Opfergemeinschaft eines bestehenden Baues, und Bauopfer, das während seiner Errichtung erfolgte. Beide bezeichnet er als „[…] Opferungen zugunsten eines Bauwerkes oder dessen Bewohner […]“. Der Unterschied liegt für ihn nur darin, dass Bauopfer während der Errichtung des Gebäudes eingebracht und später unzugänglich gemacht werden.26 Interessant ist hier, dass beide Formen ausdrücklich dieselbe Intention haben, worauf später noch zurückzukommen sein wird. Auch Beilke-Voigt unterscheidet, der Idee von Capelle sehr ähnlich, zwischen Bauopfern, die unmittelbar vor oder während der Errichtung eingebracht und durch den weiteren Bauverlauf unzugänglich gemacht wurden und Hausopfern, die „im Haus“ liegen.27 Doch sie fügt einen weiteren Punkt hinzu. Laut Beilke-Voigt „dürften […] nur solche Deponierungen [als Bauopfer] erfaßt werden, die […] in ihrer Niederlegung einen direkten Bezug zum Bau haben, also innerhalb seiner statischen Konstruktion zu finden sind“.28 Sie spezifiziert dies noch, indem sie weiter erklärt, der Baubegriff dürfe sich eigentlich nur auf Niederlegungen beziehen, die in Pfostengruben und Wandverläufen bzw. im Schwell- und Eingangsbereich der Häuser anzutreffen sind, denn nur diese Stellen hätten einen deutlichen Bezug und eine feste bauliche Funktion innerhalb einer Gebäudekonstruktion. Der Herdbereich etwa habe keinen unmittelbaren Bezug zur Dauerhaftigkeit der Konstruktion. Dortige Niederlegungen müssten demzufolge ausgeschlossen sein und dürften nicht als
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Capelle, 1985, 498. Hier sei erwähnt, dass nicht alle Personen aufgezählt werden die sich jemals dazu äußerten, da diese Arbeit nicht zum Ziel hat die Forschungsgeschichte aufzuarbeiten. Erwähnt werden nur die relevanten Ergebnisse, wobei besonders Frau Beilke-Voigt viel Platz findet, da sie sich kürzlich und umfassend mit der Begriffsdefinition befasst hat. 26 Capelle 1985, 498. 27 Beilke-Voigt 2007, 72. 28 Beilke-Voigt 2007, 49. 25
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Bauopfer bezeichnet werden.29 Zu den Bauopfern sollten demnach nur solche Objekte gezählt werden, die vor oder während des Bauvorganges deponiert und danach unzugänglich gemacht wurden und darüber hinaus die Bedingung erfüllen, sich auch noch in der statischen Konstruktion des Gebäudes zu befinden. Die Trennung in Bau- und Hausopfer wird in dieser Arbeit nicht zur Anwendung kommen. Hier werden Bauopfer anhand ihrer vermutlichen Intention und nicht anhand des Zeitpunktes, an dem sie dargebracht werden definiert. Somit bezieht sich „Bau“ also auf das „Gebäude“ und nicht dessen „Errichtung“. Sollte ein Gegenstand ein Haus schützen oder segnen, so fällt er in diese Kategorie. Es ist richtig, dass die meisten Bauopfer während, bzw. kurz vor oder manchmal auch kurz nach der Errichtung an ihren Platz gelangten. Doch auch spätere Niederlegungen, mit derselben Intention – Capelle selbst schrieb, dass Bau- und Hausopfer dieselbe Intention haben – können hier ohne weiteres hinzugezählt werden. Zudem kann es bestimmte Ausnahmen geben. Mehr dazu weiter unten. Auch die Aussage, dass nur in der tragenden Konstruktion platzierte Depositionen als Bauopfer gelten, ist kritisch zu betrachten. Es ist vollkommen richtig, dass durch das Wort Bau „[…] solche Deponierungen erfaßt werden, die […] in ihrer Niederlegung einen direkten Bezug zum Bau haben […]“, das bedeutet jedoch keineswegs, dass nur diejenigen Deponierungen damit bezeichnet werden dürfen, die „[…] eine feste bauliche Funktion innerhalb einer Gebäudekonstruktion haben […]“.30 Sinnvollerweise muss der Bau als Gebäude, als Einheit wahrgenommen werden, die statische Konstruktion ist nicht getrennt zu betrachten von alldem, was ein Haus sonst noch ausmacht. Das Bauopfer bezieht sich auf seine Gesamtheit. Auch Deponierungen am Herd können also einen direkten Bezug zum Bau haben, etwa wenn sie das Haus vor Feuer schützen sollten. Damit sich also ein Opfer auf das Haus bezieht, muss es nicht unbedingt in der statischen Konstruktion, sondern in irgendeinem Teil des Hauses liegen. Der Fußboden etwa ist Teil des Hauses, ebenso der Kamin. Funde, die dort gemacht wurden, könnten ebenso Bauopfer sein wie solche in Wänden, sie haben meiner Meinung nach ebensoviel Bezug zur Gebäudekonstruktion. Bekannte Beispiele weisen in dieselbe Richtung. Im Umkehrschluss: Auch die Möglichkeit, dass vermeintliche Bauopfer einen anderen Zweck gehabt haben könnten, gilt für alle Teile des Hauses, also auch für Deponierungen in der statischen Konstruktion.
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Beilke-Voigt 2007, 49. Beilke-Voigt 2007, 49.
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Kommen wir zum zweiten kritischen Terminus, nämlich dem des „Opfers“. Beilke-Voigt meint dazu: „Der Begriff Bauopfer erweckt den Eindruck, daß die Niederlegung nicht nur einen direkten Bezug zum Bau hatte, sondern auch diesem dienen und als Gabe bzw. Opfer an eine mit dem Bau im weitesten Sinne verbundene Macht verstanden werden sollte.“31 An dieser Stelle zitiert sie zustimmend Sartori: „[…] von einem wirklichen Opfer, d. h. von der Hingabe eines Gegenstandes an eine persönlich gedachte, den Bau zu beeinflussen fähige Macht, […]“ könne durchaus nicht in allen Fällen die Rede sein.32 Und gerade hier liegt nach Beilke-Voigt der Hauptansatzpunkt, den Begriff Bauopfer kritisch zu betrachten. Wie in ihrer umfangreicher Publikation schon früher zu lesen ist33, ist der Begriff des Opfers schwer zu fassen und inexakt. Doch setzt er ihren Ausführungen zufolge jedenfalls einen persönlich gedachten Empfänger voraus, an den eine Gabe aus verschiedenen Gründen übertragen wird, also eine bestimmte Gottheit, eine(n) Heilige(n) oder Ähnliches. Dieses Bild zeichnete auch Rinds eingangs erwähnte Definition. Dieser persönliche gedachte Empfänger sei aber aus den archäologischen Quellen zum einen nicht nachweisbar und muss zum anderen auch nicht vorhanden gewesen sein. Intentionelle Niederlegungen innerhalb des Hauses könnten auch als Ergebnis eines rein magischen Vorgangs stehen und wären dann keinesfalls als Opfer zu bezeichnen. Worauf sie zustimmend Siebs zitiert: „Es gibt nämlich zahlreiche Bräuche, die zwar äußerlich mancherlei Ähnlichkeit mit einem Opfer haben, tatsächlich aber nichts anderes sind als zweckbestimmte magische Handlungen. Ein Beispiel dieser Art bietet das sog. Bauopfer.“34 Vom Opfer, das für Beilke-Voigt in den religiösen Sektor fällt, seien rituelle Niederlegungen mit magischem oder abergläubischem Hintergrund zu trennen, die keineswegs als Opfer bezeichnet werden dürften. Die Unterteilung in „religiös“ und „magisch-abergläubisch“ ist bei Beilke-Voigt auch an anderen Stellen zu finden.35 Dieser Trennung zufolge wäre ein großer Teil der Deponierungen im Zusammenhang mit Gebäuden in den magisch-abergläubischen Bereich einzuordnen und nicht als „Bauopfer“ zu bezeichnen. Diese Unterscheidung kommt aber über eine theoretische Ebene nicht hinaus. Archäologisch steht man diesbezüglich nämlich vor einem Problem. Beilke-Voigt weist richtigerweise auf die Krux hin, dass Riten mit derselben Intention unterschiedliche
Hinterlassenschaften bedingen und ebenso auch Riten mit unterschiedlichem Zweck gleiche Hinterlassenschaften erzeugen können. Das archäologische Quellenmaterial lässt also selten konkrete Aussagen zu, der Zweck, beziehungsweise der „Adressat“ der Deponierung entzieht sich unserer Erkenntnis36. Der Fund wird selten preisgeben, ob er an eine persönlich gedachte Gottheit gerichtet war und somit in den „religiösen“ Bereich fällt oder eine magische oder abergläubische Funktion hatte.37 Wie Beilke-Voigt selbst sagt: „An diesem Punkt tritt die Archäologie an die Grenzen ihrer Interpretationsmöglichkeiten und das Motiv der Niederlegung kann nicht beweisführend ergründet werden.“38 Doch abgesehen davon, dass der Adressat sich archäologisch ohnehin nicht nachweisen lässt, ist es in der Praxis nicht so einfach, die Bereiche Religion einerseits und Magie bzw. Aberglauben andererseits zu trennen. Die Bereiche verschwimmen sehr stark ineinander, weshalb eine Grenze zwischen ihnen kaum zu ziehen und der Versuch, zumindest in Bezug auf dieses Thema, von fraglicher Sinnhaftigkeit ist. Zudem können etwa auch magische Rituale einen persönlich gedachten Empfänger haben (wenn sie etwa bestimmte magische Wesen bannen sollten oder ähnliches) und auch eine magische oder „abergläubische“ Niederlegung, deren Zweck es war, das Haus zu schützen oder zu segnen, sollte dem Gebäude „[…]dienen [und kann] als Gabe bzw. Opfer an eine mit dem Bau im weitesten Sinne verbundene Macht […]“39 bezeichnet werden. Auch bei zweckbestimmten magischen Handlungen geht es darum, Mächte zu beeinflussen, selbst wenn diese mitunter nicht als „persönlich gedachte“ Empfänger existierten. Doch nicht nur, dass die „Empfängermacht“ eines solchen Opfers nicht zwangsläufig „persönlich gedacht“ sein musste, so kann es sogar ganz ohne eine solche auskommen und selbst wirksam sein. In diese Richtung weisen die Erkenntnisse Alfred Bertholets, die BeilkeVoigt ebenfalls zitiert. Bertholet spricht davon, dass ein „[…] Opfer keineswegs immer den Sinn einer Gabe an ein übernatürliches Wesen hat, sondern daß es von unmittelbarer Kraftwirkung sein kann, ohne daß es der Einmischung eines solchen Wesens bedingte.“40 Dies zeigt also, dass das Opfer selbst die gewünschte „Macht“ in sich tragen kann. Auf diesen Aspekt wird noch zurückzukommen sein.
Aus all diesen Gründen ist der Begriff „Bauopfer“, wenn auch nicht ganz „lupenrein“ und freilich kritisch zu betrachten, durchaus verwendbar; insbesondere deshalb, da er sich bereits 36
Es sein denn in besonderen Fällen, etwa durch Inschriften. Beilke-Voigt 2007, 28-29. 38 Beilke-Voigt 2007, 31. 39 Beilke-Voigt 2007, 49. 40 Dies bezeichnet er als magisches Opfer oder Zauberopfer. Alfred Bertholet, zitiert nach Beilke-Voigt 2007, 19. 37
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eingebürgert hat. Beilke-Voigt schlägt als Alternative „Kultische Niederlegungen in Verbindung mit Hausfunden“ vor.41 Allerdings werden hier alle anderen Gebäude (Brücken, Dämme, Kirchen etc.) nicht einbezogen, die ebenfalls Bauopfer beinhalten können, da sich die Autorin nur mit Hausfunden beschäftigt. Für das hier vorliegende Thema reicht das freilich nicht aus. Damit ist der Ausgangspunkt dieses Kapitels wieder erreicht, nämlich die Frage, was denn
der Begriff des „Bauopfers“ nun tatsächlich bezeichnet. Um den Kreis also zu schließen: Im Folgenden sind unter „Bauopfer“ kurz gesagt42 Deponierungen im Bereich von Gebäuden zu verstehen, die vermuten lassen, dass sie zum Vorteil des Gebäudes niedergelegt wurden.
III. Das Problem der Einteilung In der Literatur zu diesem Thema finden sich immer wieder Versuche, das Bauopfer zu kategorisieren. Doch ist es überaus schwierig, eine sinnvolle Einteilung zu treffen, weil es sich um einen zwar im Prinzip gleichförmigen, in seinen verschieden Ausprägungen allerdings sehr diffusen Brauch handelt. Da man Einteilungen ja nicht um ihrer selbst willen anfertigt, sondern um damit eine Aussage zu erzielen, wäre einzig eine solche sinnvoll, die sich auf die genaue Funktion des Opfers bezieht (z. B. Schutz vor Feuer, Hochwasser, Krankheit etc.). Leider ist diese Form der Kategorisierung in der Praxis nicht umzusetzen, denn die genaue Funktion der Opfergaben bleibt für uns fast immer ein Geheimnis. Es ist nicht zielführend, eine Einteilung anhand des Objektes zu treffen, wie etwa Klusemann43 dies tat, denn ein und dasselbe Objekt kann verschiedene Bedeutungen gehabt haben. Dies illustriert etwa eine Beschreibung des Antlaßeies44 aus dem Jahre 1910. Hier heißt es, dass das Antlaßei, im Stall vergraben, das Vieh vor Krankheit bewahre, am Ufer eines Baches vergraben vor Hochwasser schütze und so weiter.45 Der Gegenstand des Opfers allein sagt also oft nichts über die Funktion aus, die man ihm zudachte. Selbst im kleinen, regionalen Rahmen können die diesbezüglichen Vorstellungen derart variieren, dass eine Einteilung anhand der verschiedenen Gegenstände zu einer bloßen Aufzählung verkommt, die
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„Kult“ definiert sie als Handlungen, die im weitesten Sinne auf imaginären Vorstellungen beruhen. Worauf im Kapitel „Wie ist ein Bauopfer zu erkennen“ zurückzukommen sein wird. 42 Für die ausführlichere Definition siehe weiter oben. 43 In seiner umfangreichen Monografie über Bauopfer unterscheidet Klusemann folgende Arten: Menschen-, Tier-, Pflanzen- und diverse Sachopfer, die vom Genussmittel über Hühnereier bis zu mystischen Zeichen reichen. Klusemann 1919. 44 Darunter versteht man ein am Antlaßtag (Gründonnerstag) gelegtes Ei, das laut dem Volksglauben schon im Leib der Henne geweiht ist. Es findet im Volksbrauchtum verschiedene Verwendungen. Andree-Eysn 1910, 108. 45 Andree-Eysn 1910, 107-108.
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lediglich aussagt, an welchen Orten sie gefunden wurden. Erkenntnis gewinnt man daraus kaum, da sehr selten klare Muster oder irgendwelche Ordnungen erkennbar sind. Nun liegt der Versuch nahe, die Objekte anhand ihres Fundortes zu ordnen. Eine solche Einteilung zu treffen, funktioniert aber ebenso wenig, denn auch der Fundort allein erlaubt keine klaren Aussagen. So können beispielsweise Hexenflaschen im Kamin, unter dem Boden oder in der Wand eingebettet sein, dennoch handelt es sich um ein- und dieselbe Fundgruppe. Es kommt also zu genau demselben Problem wie beim Versuch einer Einteilung anhand der Gegenstände. Das Ergebnis läge auch hier nur in einer Aufzählung, welche Objekte an einem bestimmten Ort, etwa unter Türschwellen, gefunden werden. Der Brauch folgt auch hier keinen klaren Regeln. Es kann also geschlossen werden, dass keine sinnvolle Einteilung bzw. Kategorisierung von Bauopfern möglich ist. Die Daten über den deponierten Gegenstand und den Deponierungszusammenhang sind dennoch sehr wichtig. In der Kombination identifizieren sie einen Fund als Bauopfer im Unterschied zu Depots mit anderem Hintergrund und lassen ab und zu gewisse Muster erkennen. Zudem erlauben sie manchmal zumindest Vermutungen über die Funktion der Opfer. In den seltensten Fällen kann man genauere Aussagen treffen, nämlich dann, wenn es andere Quellen – vor allem schriftliche Aufzeichnungen – gibt, die sich mit den archäologischen Funden decken. Diese beziehen sich dann allerdings meist nur auf lokale Bräuche und können für andere Gebiete höchstens als Vergleichswerte dienen.
IV. „Umbauopfer“ Es ist ein häufig übergangenes Phänomen, dass sich Bauopfer immer wieder im Zusammenhang mit Veränderungen oder Reparaturen an Bauwerken finden. June Swann berichtet dies beispielsweise für ihr Fachgebiet, versteckte Schuhe.46 Petra Schad erwähnt solche Fälle für Katzenmumien, etwa wurden zwei solche in einem mittelalterlichen Haus in Markgröningen im Landkreis Ludwigsburg entdeckt. Das aus dem Jahr 1414 stammende Haus wurde 1604 aufwendig umgebaut und mindestens eine der Katzenmumien wurde erst zu dieser Zeit in das Gebäude integriert. Vergleichbare Situationen sind für den Landkreis Ludwigsburg in mehreren Fällen belegt.47 Auch Ralph Merrifield erwähnt, dass die meisten als Bauopfer zu bezeichnenden Niederlegungen in Bereichen zu finden sind, die nur während
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Swann 2005, 116. Schad 2005, 153. Dieser Brauch war wohl in Europa weit verbreitet, ist aber nicht überall gleich gut untersucht. 47
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Bau- oder eben Umbauarbeiten zugänglich sind.48 Diese Tatsache ist allerdings schnell erklärt: Es ist, wie wir weiter unten sehen werden, durchaus üblich auch einzelne Arbeitsschritte von Bauarbeiten mit kleinen Ritualen, die Deponierungen einschließen können, zu beenden. Ein Umbau kann also als zusätzlicher Arbeitsschritt der Errichtung – dessen Vollendungsritus eine Deponierung einschließt, oder als „teilweiser Neubau“– gewertet werden, der damit ohnehin ein Bauopfer verlangt.
V. Ein (fast) universelles Phänomen „Sie finden sich in allen Erdteilen und in der gesamten Menschheitsgeschichte.“49Auf solche oder ähnliche Sätze stößt man immer wieder, wenn es darum geht, das Bauopfer zeitlich oder räumlich zu verorten. Die basale Idee, Objekte in Gebäuden zu deponieren, um dadurch für sie und ihre eventuellen Bewohner positive Wirkungen herbeizuführen oder negative abzuwehren, kann wohl als eine anthropologische Konstante bezeichnet werden. Mit der Einführung von Ackerbau und Viehzucht ging eine sesshafte Lebensweise einher, die mit dem Bau fester Behausungen verbunden war. Diese Häuser sollten von nun an eine dauerhafte Wohnstätte für seine Erbauer und deren Familien bilden und ein sicheres Heim darstellen. Dementsprechend wurden seit dem Neolithikum immer wieder Niederlegungen in Häusern beobachtet,50 deren Zweck es wohl war, das Haus zu sichern und ihm Bestand zu geben. Solche als Bauopfer zu deutende Depositionen setzten sich fort bis in die jüngste Zeit.51 Die Niederlegung von Bauopfern hat sich in vielen Kulturen unabhängig voneinander herausgebildet und war auch außerhalb Europas weithin Brauch, beziehungsweise ist es noch heute. Bekannte Beispiele aus unterschiedlichen archäologisch erforschten Regionen aus verschiedenen Zeiten zeigen, wie breit gefächert die einzelnen konkreten Vorstellungen, die dem Brauch zu Grunde liegen, sein können und wie mannigfaltig seine Erscheinungsformen zu Tage treten.52 Dennoch sind die grundlegendsten Hintergründe des Bauopfers stets dieselben und diese sollen im Folgenden beleuchtet werden.
VI. Hintergründe und Dimensionen 1. Die zwei Typen von Bauopfern Es gibt zwei mögliche Motive ein Bauopfer darzubringen.53 Das erste, also Typ 1, ist die Rechtfertigung des Gebäudes: Der Erbauer muss sich quasi das Recht erkaufen, an einer bestimmten Stelle ein Gebäude errichten zu dürfen. Der Ort, an dem es errichtet wird, beziehungsweise bestimmte oft als „genius loci“ bezeichnete Mächte, die an diesem Ort wirken, verlangen ein Opfer als Wiedergutmachung für das Eingreifen des Menschen in ihren Machtbereich. In diese Kategorie fällt auch die Annahme, dass das neue Haus selbst ein Opfer fordere. So taucht immer wieder die Vorstellung auf, dass der Erste, der ein neues Haus betritt oder über eine Brücke geht, dem Tode geweiht sei und innerhalb kurzer Zeit sterben müsse.54 Um dem zu entgehen, wurde meist ein Tier über die Schwelle oder Brücke gescheucht, bevor ein Mensch das Gebäude betrat.55 Das Motiv des Typs 2 bezieht sich nicht auf die unmittelbare Errichtung eines Gebäudes, sondern auf dessen Erhalt für die Zukunft. Hier sollen Einflüsse von außen gelenkt werden, die nichts mit der direkten Errichtung zu tun haben. Nämlich dient die Opferung dem Erhalt des Hauses, entweder indem es segnend, oder indem es unheilabwehrend wirkt. Bertholet brachte eine Einteilung in eine negative und eine positive Geltungskategorie auf, die hier angewendet werden kann. Die negative Geltungskategorie ist im Sinne der Abwehr und Beseitigung von Übel zu verstehen, die positive im Sinne des Versuchs, sich alles Begehrenswerte anzueignen.56 Hierfür gibt es unzählige Beispiele. Was, wie, wann und von wem geopfert wird, kann dabei stark variieren. Auch die Stelle, an der die Gabe deponiert wird und welche positiven Effekte sie herbeiführen (z. B. Fruchtbarkeit) oder welche negativen sie bannen soll (z. B. Unglück, „Hexen“, Feuer etc.). Wichtig ist hierbei auch, dass diese Deponierungen des Typs 2 zwar bereits während der Errichtung ausgeführt werden (um das Haus von Anfang an zu schützen/segnen) aber im Laufe der Zeit immer wieder verschiedene weitere Opfer erfolgen können, sodass ein Haus viele verschiedene, zu unterschiedlichen Zeiten niedergelegte Objekte beinhalten kann. Die beiden Typen können gemeinsam auftreten, entweder, indem ein Opfer beide Funktionen erfüllt oder indem Riten für beide Zwecke ausgeführt werden. Doch es ist auch möglich, dass ein Typ allein auftritt.
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Diesen Grundgedanken hatte bereits Krauss. Krauss 1887. Beispiele etwa bei Beilke-Voigt 2007, 56. 55 Zahlreiche Beispiele für solche Vorstellungen finden sich bei Sartori aufgelistet. Sartori 1898. 56 Beilke-Voigt 2007, 19. 54
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2. „Sekundäre“ Bauopfer Zum Teil werden auch mehrere Deponierungen im selben Gebäude gefunden, was darauf hinweist, dass man bestimmte Aspekte verstärken wollte. Würde etwa in einem Haus ein Opfer in den Grundmauern entdeckt und eines am Herd, so ist zu vermuten, dass das erste wohl allgemein das Hausabsichern und das zweite am Herd zusätzlich besonderen Schutz vor Feuer bewirken sollte. Solch eine „Mehrfachbelegung“ ist durchaus üblich. Zumeist gibt es ein „primäres Bauopfer“ und die weiteren wurden zusätzlich eingebracht, diese könnte man als „sekundäre Bauopfer“ bezeichnen. An und in Häusern sind bei näherer Betrachtung oft ganze Reihen von Schutz- und Segensbringern zu finden. Sie können gemeinsam mit dem „primären Bauopfer“ im Zuge der Errichtung dargebracht werden, doch zusätzliche Segensoder Abwehropfer erfolgen oft auch später. Dabei wird allerdings keine alte Opfergrube (o. ä.) wieder geöffnet und durch neue Objekte ergänzt, sondern weitere neue Opfer werden dargebracht. Diese sind zum Teil nicht baulich in das Gebäude integriert. Ihre Deposition erfolgte dann, wenn der Schutz/Segen für bestehende Gebäude erneuert, ergänzt oder verstärkt werden sollte. Bei solchen zusätzlichen Glücksbringern oder Schutzmitteln kann es sich wieder um viele verschiedene Objekte handeln.57 Manche dieser Objekte bedurften in bestimmter Regelmäßigkeit einer Erneuerung. Ein Beispiel dafür wären an einem gewissen Festtag geweihte Kräutersträuße, die jährlich durch frische ersetzt wurden. Besonders in Bezug auf Wohnhäuser gab (und gibt) es eine schier unendliche Vielfalt an Dingen, die in oder an einem Haus angebracht Unglück abwehren oder Glück bringen sollten, ihre Wirkung ist kumulativ. Viele Autoren sehen den Begriff „Bauopfer“ rein auf neu errichtete Gebäude beschränkt, sie müssten solche später erfolgten Deponierungen als eine eigene Kategorie von Opfern bezeichnen, wie Capelle es tut, wenn er von „Hausopfern“ spricht58. Doch da auch diese Segenswünsche für ein Gebäude denselben Vorstellungen unterliegen, wie ins Haus integrierte Opfergaben des „klassischen“ Bauopfers von Typ 2 (z. B. Schutz vor Blitz und Feuer, Segnung der Bewohner etc.), werden sie hier zu den Bauopfern im weitesten Sinne gezählt. Diese Objekte sind allerdings im archäologischen Kontext nur selten nachweisbar. Einerseits bestehen sie häufig aus vergänglichen Materialien, andererseits sind sie oftmals nicht baulich integriert, wie es bei „klassischen“ Bauopfern der Fall ist. Somit befinden sie sich nicht wie diese in geschützter Lage, die eine Konservierung begünstigt. Ein erhaltenes 57 58
Viele Beispiele finden sich bei Fillipetti/Trotereau 1992. und bei Andree-Eysn 1910. Capelle 1985, 498.
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Beispiel für ein potenzielles sekundäres Bauopfer ist ein Auerhahnkopf (siehe Abb. 1), der in einer Hafnerei in Osttirol gefunden wurde. Eine durch die Nasenscheidewand gezogene Schnur lässt darauf schließen, dass der Schädel einst aufgehängt worden war.59
3. Objekt und Intention Als Bauopfer kommt grob gesagt „so ziemlich alles“ in Frage, wobei es bei der Auswahl der Opfergaben zweifellos auch eine Rolle spielte, wie vermögend der Opfernde und freilich auch welcher Art das Gebäude war. Ein solches historisch und ethnologisch belegtes Opfer ist der Mensch selbst, mitunter auch nur in symbolischer Form.60 Sehr beliebt waren bis in jüngste Zeit Tieropfer, sie fanden noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein Verwendung.61 Dabei wurden gewisse Tiere, wie Katzen und Hühner, offenbar besonders bevorzugt. Dies mag hauptsächlich mit bestimmten Assoziationen zusammenhängen, die man zu diesen Tieren hatte und vielleicht auch damit, dass sie gewissermaßen leicht verfügbar waren und keinen allzu großen (materiellen) Verlust darstellten. Schon Sartori stellte fest, dass es sich bei geopferten Tieren hauptsächlich um Haustiere handelte.62 Auch Pflanzen fanden Verwendung als Bauopfer, oft solche, die im Zusammenhang mit religiösen Praktiken standen, wie beispielsweise Palmbuschen oder Kräuter, Wurzeln und ähnliche Gewächse, denen man bestimmte magische Eigenschaften zudachte. Auch Lebensmittel wie Eier, Wein oder Getreide als Bauopfer sind zu beobachten, sowie ein riesiges Spektrum an Gegenständen das von Schuhen über Münzen, Gefäße, „Donnerkeile“, Messer bis hin zu christlichen oder heidnischen Zeichen, etwa Kreuzen, reicht, um nur einige Beispiele zu nennen. Ferner taucht immer wieder Schriftgut auf, beispielsweise in Form kleiner Zauber-, Weihe-, oder Bibelsprüche sowie Zettelchen mit dem Namen der Bauherren und dem Datum des Hausbaues oder ähnlichen Angaben. Auch verschiedene Symbole tauchen in diesem Zusammenhang häufig auf. Sie wurden auch gerne sichtbar am Haus angebracht, etwa über der Tür oder am Giebel. Die wichtigsten Funktionen des Bauopfers sind, abgesehen von der des „Freikaufens“ des Gebäudes (Bauopfer Typ 1) wie erwähnt, entweder das Gebäude zu schützen oder zu segnen. Und es ist keineswegs eine Überraschung, wovor man sich schützen wollte: vor
59
Harald Stadler beschreibt: „Trockenmumifizierter Auerhahnkopf mit durch die Nasenscheidewand gezogener Schnur. Verwendung als Vogelscheuche oder Apotropäikum?“ Stadler 2002, 273. Beispiele von Tierschädeln als Hausschutz z. B. bei Andree-Eysn 1910, 108-109. 60 Z. B. Der Schatten als Bauopfer. Hier wird der Schatten eines Menschen als symbolische Stellvertretung desselben „eingemauert“. Beispiele bei Sartori 1898. 61 Beilke-Voigt 2007, 62. 62 Sartori 1898, 19.
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Unglück/Unheil jedweder Art („Breitbandschutz“ sozusagen) beziehungsweise differenzierter vor Krankheit, bösen Mächten, Naturgewalten (Feuer, Blitz, Überschwemmung), eben all dem, was den Menschen Angst bereitete. Ebenso gestaltet sich die Situation für die Segnungen. Man erteilte dem Haus durch bestimmte Deponierungen den Segen für Glück, hier erneut ganz allgemein formuliert, für Reichtum und Überfluss, Gesundheit und so weiter.
4. Religiöse Vorstellungen hinter dem Bauopfer Der Brauch des Bauopfers begründet sich auf eine bestimmte magische Vorstellung, die im Grunde immer dieselbe ist. Es geht darum, Mächte zum Vorteil des Gebäudes bzw. seiner Bewohner zu beeinflussen. Dem Gebäude oder den damit in Zusammenhang stehenden Kräften wird etwas überantwortet, entweder als „Preis“ für die Errichtung (Typ 1) oder um Segen oder Schutz zu erhalten (Typ 2). Dies kann indirekt geschehen, indem das Opfer die Funktion einer Gabe an eine höhere Macht erfüllt, um von dieser eine Beeinflussung in die gewünschte Richtung zu erbitten. Das Opfer dient somit als Mittler, die erwünschte Kraft (also der Schutz vor Unheil, die Segnung für Glück etc.), die auf das Haus übergeht, kommt von „außen“, von einer höheren Macht. Diese Kraft kann aber auch von „innen“ kommen, kann dem Opfer selbst entspringen bzw. innewohnen. Das Objekt selbst führt somit die gewünschte Beeinflussung direkt herbei, da die Gabe selbst „[…] von unmittelbarer Kraftwirkung sein kann, ohne daß es der Einmischung eines solchen [höheren] Wesens bedingte.“63 Hier greift wieder die Problematik, auf die im Zuge der Begriffsdefinition hingewiesen wurde, nämlich ob das Opfer an eine persönlich gedachte Gottheit gerichtet wurde oder nicht. Und hier ist zu sagen: Beides ist möglich, wobei bei Typ 1 eine persönlich gedachte Macht als Adressat als sehr wahrscheinlich gelten kann. Bei Typ 2 ist sie möglich, aber keineswegs zwingend vorhanden. Die Grenzen sind, wie bereits erwähnt und wie so oft, fließend. Zudem ist die Antwort auf diese Frage kaum auf archäologischem Wege zu erhalten. Während der Vorgang des Erflehens bestimmter Gegebenheiten von einer höheren Macht (indirekt, von „außen“) leichter verständlich ist, so ist die Vorstellung, dass das Opfer selbst, bzw. die ihm innewohnende Kraft einen Einfluss auf das Gebäude hat (direkt, von „innen“) komplizierter. Wie erwähnt geht es darum, dem Gebäude eine solche Kraft oder eine „Seele“ zu übertragen, entweder als „Preis“ für die Errichtung oder um ihm einen Segens- oder 63
Zur Erklärung des Opfers als Kraftmittel geht er davon aus, dass der Mensch in einem dynamischen Wechselverhältnis mit der Natur steht und beide Gegenseitig aufeinander einwirken. Wenn die Bewegung der Natur nicht zum Stillstand kommen soll, so muss der Mensch ihre Kraft immer wieder stärken. Bertholet, zitiert nach Beilke-Voigt 2007, 19.
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Schutz- „Geist“ zu geben. Diese Kraft bleibt an Ort und Stelle der Deponierung, ist also an das Gebäude gebunden und sichert dessen Fortbestand. Woher diese Kraft aber kommt, unterliegt bestimmten Vorstellungen. Zum Teil bezieht sie sich ganz direkt auf einen geopferten Menschen. Beispielsweise in der Idee des Schutzgeistes, dass lebend begrabene Menschen Feinde abwehren oder vor ihnen warnen würden.64 Deren Leben bleibt gewissermaßen erhalten, die Kraft dieses Lebens, beziehungsweise die „Seele“ wurde aber auf ein bestimmtes Gebäude übertragen. Hier kommen wir nun zu einem wichtigen Punkt. Diese Vorstellungen sind häufig in abstrahierter Form zu finden. Die „Seele“ oder (Lebens-) Kraft muss nicht die eines Menschen sein, sondern kann anderen Quellen entspringen. Auch ein Tier kann diese Funktion erfüllen, ja selbst ein unbelebter Gegenstand. So kann etwa ein geopferter Krug voller Korn ein Fruchtbarkeitswunsch und damit ein solcher „Segensgeist“ sein, der eine Kraft in sich trägt und in der Lage ist, erwünschte Wirkungen zu erzielen. Der springende Punkt ist dabei, dass diesem Krug eine bestimmte Energie innewohnt, die durch die Opferung auf das Gebäude übertragen wird. Dasselbe gilt beispielsweise für einen auf ein Stück Papier geschriebenen Segensspruch, der zum Schutz vor Gewitter im Dachstuhl verborgen wurde. Er erzeugt gewissermaßen einen „Schutzgeist“. Diese Vorstellung des Einhauchens einer „Seele“ ist ursprünglich auf ein animistisches Weltbild gegründet, also auf der Vorstellung, jedem Gegenstand würde eine Seele oder bestimmte Kraft innewohnen, die an dem Ort verharrt, an dem sich das Objekt befindet.65 Für diese allgemeine Betrachtung ist es nicht wichtig, wie genau der Ritus des Opferns aussieht oder welche bestimmte Erklärung die Menschen jeweils dafür fanden. Für den Ursprung des Ritus liefert Mircea Eliade eine Erklärung. Er sieht in der ersten Form des Bauopfers eine – symbolische – Nachahmung eines urzeitlichen Opfers, aus dem die Welt entstand. Die Vorstellung, dass die Welt aus etwas Bestimmtem, oft aus einem von einer Gottheit getöteten Wesen entstand, das gewissermaßen geopfert wurde, um die Schöpfung zu ermöglichen, existiert in sehr vielen Kulturen.66 Laut Eliade vollzog der Mensch durch die Errichtung eines Hauses die Erschaffung der Welt nach. Die Wohnung war „[…] das Universum, das der Mensch sich baut, indem er die […] Schöpfung der Götter […] nachbildet.“ 67 Jede Niederlassung bedeutete deshalb eine schwerwiegende Entscheidung für einen Menschen, da seine Existenz von ihr abhing. Dies erklärt auch, warum das Gebäude so
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Häufig wurden Kinder als Bauopfer bevorzugt, dies beruht auf der Vorstellung, dass das Jugendliche, Unbeschädigte, die größte Gewähr des Fortbestandes in sich birgt. Beth 1986. 65 Huber 1992, 8. Krauss 1887. 66 Eliade 1957b, 51-52. 67 Eliade 1957b, 52.
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gut geschützt werden musste. Indem der Mensch sich seine „Welt“ im Kleinen schuf, übernahm er nämlich auch die Verantwortung für ihren Erhalt. Dabei rekurrierte er auch auf magisch-religiöse Praktiken. Hinter den unzähligen blutigen und symbolischen Opfern sieht auch Eliade die Vorstellung, dass ein Bau der Bestand haben sollte, belebt sein, das bedeutet Leben und eine „Seele“ erhalten musste.68 Diese Übertragung einer „Seele“ geschah wie oben beschrieben durch das Opfer.69 Da das Haus einen derart hohen Stellenwert besaß, ist es nicht verwunderlich, dass sich so viele Bräuche darum drehten. Bereits die Wahl des Bauplatzes war meist mit verschiedenen Bräuchen verbunden. Beispielsweise wurden die zu bebauenden Flächen gesegnet oder durch andere Riten in Besitz genommen. Auch die Auswahl der Baumaterialien unterlag oft bestimmten Sitten, beispielsweise wenn zu bestimmten Mondphasen gefällte Bäume benutzt wurden. Vom unmittelbaren Baubeginn über die Beendigung einzelner Arbeitsschritte bis hin zur Fertigstellung
folgte
nun
eine
unbestimmte
Anzahl
von
Riten
unterschiedlicher
Bedeutsamkeit neben dem eigentlichen Bauopfer. Sie alle dienten dazu, dem Haus die besten Voraussetzungen zu geben.70 Bauopfer wurden nicht nur Häusern, sondern auch im Zuge der Errichtung zum Beispiel von Dämmen dargebracht und bei Reparaturen oft erneuert. Dasselbe gilt für Brücken. Da die Wohnhäuser jedoch Zentralpunkt des Lebens ihrer Bewohner waren, beziehen sich auf sie freilich mehr Riten, besonders solche, die nach der Errichtung ansetzen.
5. Vom Menschenopfer zum Grundstein? An dieser Stelle ist noch eine weitere Frage zu klären, die im Kontext dieses Themenkomplexes häufig auftritt: Sind alle Tier- und Sachopfer lediglich Ersatz für Menschenopfer? Der Autor des nachfolgenden Zitates aus dem Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens vertritt offenbar diese Meinung: „Das Bauopfer ist ein über die ganze Erde und bei Völkern aller Kulturstufen verbreiteter Brauch. […] Der Glaube, jeder Neubau fordere ein Opfer, beruht auf dem Gedanken, dass dämonische Mächte […] versöhnt werden müssen, in deren Herrschaftsbereich der Mensch durch seine Bauten eingreift. […] Zweifellos waren die ursprünglichen Bauopfer Menschen, die lebend in die Fundamente eingemauert wurden. Besonders das Opfer von Kindern ist hier außerordentlich häufig. Bei weiterer Entwicklung mildert sich der Brauch; es treten Tiere, Eier,
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Eliade 1957b, 52. Fillipetti/Trotereau 1992, 64. 70 Viele Beispiele bei Fillipetti/Trotereau 1992,49-85. 69
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Geld, Spielkarten, sogar der Schatten als Bauopfer auf und allerlei Ablösungsbräuche lassen das Opfer ganz zurücktreten.“71 Doch nicht nur, dass hier der zweite Typ des Bauopfers außer Acht gelassen wird, hängt der Autor der inzwischen veralteten Forschungsmeinung an, dass sich die Entwicklung von Menschen zu Sachopfern chronologisch vollzog. Dieser Irrtum hält sich hartnäckig und wird auch in jüngerer Literatur zum Teil noch vertreten.72 Dass es inkorrekt ist, jedes nichtmenschliche Bauopfer als Ersatz für ein Menschenopfer zu werten, postulierte bereits Sartori im Jahre 1898.73 Wie richtig er damit lag, machen archäologische Forschungen deutlich. Im Fundgut ist ganz allgemein betrachtet zwar sehr wohl eine Tendenz zu erkennen, dass Menschenopfer in früheren Epochen häufiger auftraten und ihr Vorkommen mit der Zeit abnahm,74doch keineswegs wurden sie einfach von Tier- oder Sachopfern substituiert. Alle drei Arten von Opfergaben tauchen in verschiedenen Räumen zu verschiedenen Zeiten auf und halten sich dabei an keine bestimmten Abfolgen. So zeigen zum Beispiel Untersuchungen an neolithischen und bronze- sowie eisenzeitlichen Häusern im norddeutschen Gebiet, dass Sachopfer die häufigsten Bauopfer waren.75 Weitere Funde belegen, dass in späteren Epochen Tieropfer offenbar wieder beliebt waren, man denke an die zahlreichen Funde von neuzeitlichen Katzenmumien, die sich über den ganzen mitteleuropäischen Raum erstrecken. Bereits an diesem einen Beispiel ist ersichtlich, dass von einer linearen chronologischen Abfolge nicht die Rede sein kann und man könnte die Liste ähnlicher Ergebnisse beliebig lange fortführen. Hier ist auch zu erwähnen, dass keineswegs immer nur eine Gruppe von Opfergaben innerhalb einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Region auftrat. Archäologische Quellen belegen, dass Opfergaben verschiedener Gruppen parallel vorkamen.76 Dabei kann es sich um getrennte Depositionen von Menschen-, Tieroder Sachopfern handeln, die in dieselbe Zeit zu datieren sind, oder aber um Vergesellschaftungen der verschiedenen Gruppen miteinander. In jedem Fall hat die jüngere Forschung die Hypothese von einer linearen chronologischen Entwicklung von Menschenopfern zum Sachopfer und schließlich zum Grundstein widerlegt. Zwar vollzogen sich verschiedene Veränderungen in Bezug auf die
71
Stübe, 1986. Zum Beispiel von Petronella Kainzbauer. Kainzbauer [1995]. 73 Sartori 1898, 1 und 54. Hier ist jedoch die regionale Komponente zu beachten, da es große Unterschiede in verschiedenen Teilen der Welt gab. 74 Merrifield 1987, 50-54. 75 Untersuchungen Beilke-Voigts in ihrer Habilitationsschrift. Beilke-Voigt 2007. 76 Beilke-Voigt 2007, 62. 72
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Opferpraktiken durch kulturellen Wandel und Veränderungen der damit verbundenen Vorstellungen, diese liefen jedoch keineswegs regelhaft ab.
6. Vom Bauopfer zum Gedenkstein Der Brauch des Bauopfers ist in der Grundform uralt und blieb in seinen basalen Strukturen lange Zeit konstant. In jüngerer Zeit erfuhr er allerdings einen allmählichen Wandel in Form einer Umdeutung, wodurch sich sein Erscheinungsbild änderte. Wie tiefgreifend diese Veränderungen allerdings tatsächlich waren, bleibt zu analysieren. In einer Szene des Werkes „Die Wahlverwandtschaften“ von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) wird ein Aspekt ersichtlich, der sich in unseren Breiten in der späten Neuzeit abzuzeichnen begann. Das Bauopfer erhielt ein neues Gewand und sollte nunmehr nicht nur die Funktion eines Haussegens oder -schutzes, sondern auch die eines Zeugnisses für die Nachwelt erfüllen. Ein Maurer spricht bei der Grundsteinsetzung: „Deswegen machen wir diesen Grundstein zugleich zum Denkstein. Hier in diese unterschiedlichen gehauenen Vertiefungen soll Verschiedenes eingesenkt werden, zum Zeugnis für eine entfernte Nachwelt. Diese metallnen zugelöteten Köcher enthalten schriftliche Nachrichten; auf diese Metallplatten ist allerlei Merkwürdiges eingegraben; in diesen schönen gläsernen Flaschen versenken wir den besten alten Wein, mit Bezeichnung seines Geburtsjahrs; es fehlt nicht an Münzen verschiedenster Art, in diesem Jahre geprägt: all dieses erhielten wir durch die Freigebigkeit unseres Bauherrn. Auch ist hier noch mancher Platz, wenn irgend ein [sic!] Gast und Zuschauer etwas der Nachwelt zu übergeben Belieben trüge.“77 Die Gäste gehen nun dazu über, persönliche Objekte in den Grundstein zu legen. Ein junger Offizier fügt abgeschnittene Knöpfe seiner Uniform hinzu, die Damen Haarkämme oder andere kleine Schmuckstücke und so weiter. Nachdem die Anwesenden ihre persönlichen Objekte beigegeben haben, wird der Deckel aufgesetzt und der Grundstein fest verschlossen. Anschließend spricht der Maurer einen Heilswunsch an die zukünftigen Bewohner aus: „Wir gründen diesen Stein für ewig, zur Sicherung des längsten Genusses der gegenwärtigen und künftigen Besitzer dieses Hauses.“78 Dieses Beispiel verdeutlicht die sich langsam vollziehende Umdeutung des Bauopfers zum Denkstein als Zeugnis für die Nachwelt. Dies schlug sich auch auf die deponierten Gegenstände nieder. Beispielsweise treten nun vermehrt Münzen aus dem Jahr des Baues, Urkunden und schriftliche Nachrichten auf. Doch fehlt es nicht an Anklängen an die alte Sitte
77 78
Goethe 2008, 68. Goethe 2008, 68-69.
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des Bauopfers. Flaschen mit Wein wurden beispielsweise auch schon viel früher als Bauopfer versenkt. Besonders in diese Richtung weisend ist aber der Segensspruch des Maurers, dass der Grundstein den längsten Genuss der gegenwärtigen und zukünftigen Besitzer des Hauses sichern soll. Dies zeigt an, dass der Grundstein eben nicht nur ein Denkstein, sondern auch ein Segenswunsch ist und somit dem archaischen Bauopfer sehr viel näher, als man zuerst denkt. Interessanterweise werden nicht ausschließlich die vom Bauherren selbst stammenden Gegenstände eingemauert, sondern auch die anwesenden Gäste geben einige Gegenstände hinzu, die damit auch Teil des Gedenksteines/Bauopfers werden. Diese Gegenstände sind variabel und man erkennt, dass es zweitrangig ist, welche Objekte dies im Detail sind. Wichtig ist augenscheinlich nur, sich an der Zeremonie zu beteiligen und, indem man ein Objekt in dem Grundstein deponiert, dem Bauherren quasi seinen Segen zu geben. Diese Sitte spielte gerade bei den Freimaurern, denen Goethe bekanntlich angehörte, eine große Rolle. June Swann liefert eine Beschreibung der Grundsteinlegung nach freimaurerischen Riten, welche in dieser Szene ihre Entsprechung findet.79 Die Vermischung von Bauopfer und Gedenkstein ist anhand dieses Beispiels also noch deutlich zu erkennen. Auch Ende des 19. Jahrhunderts ist sie nicht gänzlich verschwunden, wie dieses Zitat Sartoris aus dem Jahr 1898 zeigt: „Wo uns in unseren Culturverhältnissen das Bauopfer oder seine Reste bei officiellen Veranlassungen entgegentreten, beschränkt es sich darauf, der Nachwelt im Grundstein oder im Thurmknopf ein Erinnerungszeichen zu hinterlassen, Münzen mit der Zahl des Gründungsjahres, Urkunden, Zeitungen oder ganz gleichgültige Gegenstände, […]“80 Er bezeichnet die Tradition der Grundsteinlegung damit als Rudiment des Bauopfers, stellt den Bezug also eindeutig und richtig her. Tatsächlich ist die Grundsteinlegung wohl so etwas wie eine rationalisierte Form des Bauopfers. Außerdem könnten Grundsteine mit Namen der Bauherren, Daten der Errichtung etc., abgesehen von den ihnen oft beigegeben Opfer- (oder Gedenk-) Gaben, neben ihrer Funktion als Gedenkstein auch Zeichen der Inbesitznahme eines Gebäudes sein, wie frühere Funde nahelegen. Vergleichbar damit sind kleine Zettel mit denselben Daten, die oft in Flaschen oder Ähnlichem versteckt in ein Haus integriert wurden. Ein Beispiel dafür sind auch Grundsteine des 18. Jahrhunderts aus Lothringen, bei Fillipetti und Trotereau: „Zur Information für spätere Generationen sind das Datum der Erbauung und der Name des Bauherrn eingemeißelt. Die in den Stein getriebenen
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Swann 2005, 116. Sartori 1898, 2.
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Sinnsprüche und Zeichen sollen dem Haus und seinen Bewohnern den Schutz der höheren Mächte sichern.“81 Die Grundform des Bauopfers blieb also bis in jüngste Zeit erhalten, obwohl viele der alten Riten untergingen, beziehungsweise ihren ursprünglichen Sinn verloren und verändert wurden. Dennoch wurden sie beziehungsweise deren rationalisierte Form, weiterhin praktiziert. Dies geschah zum einen, weil es seit alters her so Brauch war, auch wenn die zu Grunde liegenden Inhalte nicht mehr bekannt waren. Doch blieben vage Vorstellungen in der Art übrig, dass dem Haus etwas einzufügen Glück bringe oder ähnliche Wirkungen habe.82 Zum anderen wurden Depositionen mit praktischen Absichten erklärt, am häufigsten damit, der Nachwelt ein Zeugnis zu hinterlassen. Kurt Klusemann beschreibt eben dies in seinem Werk über das Bauopfer aus dem Jahr 1919 im Kapitel über das „moderne Bauopfer“, worunter er „[…] die zeremonielle Grundsteinlegung bei öffentlichen Bauten […]“ versteht: „[…] man [hat] den ursprünglichen Sinn der einzelnen zeremoniellen Akte vergessen und sucht diese nun auf andere Weise zu erklären.“ Es folgt ein Beispiel: „So sagt man z. B. von den bei der Grundsteinlegung beigegeben Münzen allgemein, daß dies den Zweck verfolge, eine Datierung vorzunehmen, wenn der Bau einmal fallen sollte. Dieser Grund schien mir zu nichtssagend – er ist dadurch hinfällig, daß bei einem Baue eine Urkunde eingemauert wird, die außer den Daten die Begründung des Zwecks der Baulichkeit, außerdem die Namen des Baumeisters und der bezüglich der Förderung des Baus wichtigen Personen enthält. Das Geld ist vielmehr an die Stelle von Gold und Silber getreten, welche Metalle, wie erwähnt, das Unheil abwehren.“83 Fillipetti und Trotereau beschreiben ebenfalls Münzen als Bauopfer. So seien früher Gold- oder Silberstücke als Bauopfer vorgekommen. Die in späterer Zeit auf ähnliche Weise verwendeten Münzen überdeckten das ursprüngliche Ritual, besonders da sie inzwischen die Bedeutung der Datierung des Hauses bekommen hatten. Häufig finden sich bei den Grundsteinen auch Heiligenbilder, die das Haus somit unter deren jeweiligen Schutz stellten.84 Die Beibehaltung alter Bräuche kommentiert Ralph Merrifield mit den Worten: „Old rituals die hard […]“.Wenn etwas „immer schon gemacht“ wurde, fand man es wohl
sicherer, es weiterhin zu tun, auch wenn man nur noch vage Begründungen hatte oder es mitunter notwendig war, eine neue Erklärung dafür zu suchen, die mit veränderten Bedingungen zusammenpasste.85 Einen anscheinend praktischen Nutzen für einen Brauch zu finden, war in diesem Fall die beste Rechtfertigung. So behauptete man etwa in Bezug auf tote Katzen als Bauopfer, dass ihr Anblick Schädlinge verjagen würde. Auch wenn der tatsächliche Effekt im besten Fall zweifelhaft ist, reichte die Idee doch aus. Es kann allerdings angenommen werden, dass das abergläubische Motiv im Hintergrund weiter bestand und nie ganz vergessen wurde.86 Ein weiteres Beispiel für eine mögliche Rationalisierung sind die Erklärungsversuche für unter Scheunenböden vergrabene Pferdeschädel, Töpfe oder Ähnliches, die angeblich den Klang des Dreschens verbessern sollten. Nach Meinung einiger Wissenschaftler handelt es sich auch hier um eine neue Deutung für Bauopfer oder einen ähnlichen alten Brauch, an dessen ursprünglichen Sinn man sich nicht mehr erinnert.87 Albert Sandklef zählt zahlreiche solcher Beispiele auf, ist selbst aber nach experimenteller Erprobung der Meinung, dass tatsächlich eine Verbesserung des Klanges bewirkt werden sollte.88 Solche „Klangtöpfe“ tauchen in verschiedenen Zusammenhängen auf. Hier sind unterschiedliche Erklärungen möglich und die Wissenschaft ist sich keineswegs einig.
Das Bauopfer ist in Form der Grundsteinlegung bis heute lebendig. Diese Grundsteinlegungen finden auch heute noch auf dieselbe Weise statt, wie sie in Quellen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert beschrieben sind. Dies zeigt ein Beitrag aus der „Tiroler Woche“ vom 22. Juli 2010. Hier ist von einer Grundsteinlegung für ein Hotel die Rede, bei der „[…] im Grundstein eine unterschriebene Urkunde, Tageszeitungen, Kleingeld und weitere persönliche Dinge […]“
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deponiert wurden. Und trotz aller Rationalisierung hat
dieser Brauch noch heute religiös-magische Züge, denn Grundsteine werden auch heute noch von speziellen Zeremonien begleitet wie etwa drei Schlägen mit einem bestimmten Hammer oder Ähnlichem.90 Wie Ilse Fingerlin beschreibt: „Bei Grundsteinlegungen hat man in diesem Sinne Knochen, Benediktuspfennige, Kränze, Johanniskraut verwendet, in jüngerer Zeit aber in gleicher Tradition eher 85
Merrifield 1987, 107. Merrifield 1987, 185-186. Diesbezüglich sei auch auf das Zitat Merrifields aus dem Beispiel „Katzen“ verwiesen. 87 Sandklef 1949, 70. 88 Sandklef 1949, 67-68. 89 Tiroler Woche 2010. 90 Fingerlin 2005, 18. Rituale wie die besagten drei Hammerschläge sind auch in Goethes Wahlverwandtschaften beschrieben. Goethe 2008, 67. 86
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Tageszeitungen, Urkunden, Flaschen mit Wein und Kursmünzen als Zeitzeugen gewählt. Aber auch diese wurden und werden gesegnet!“91 Bernd Thier meint dazu richtigerweise: „Der Erklärungsversuch ‚Man wolle der Nachwelt etwas hinterlassen‛, befriedigt den neutralen Beobachter, der um die historischen Vorbilder weiß, in diesem Zusammenhang nicht.“92 Der Übergang vom Bauopfer zum Denkstein verlief langsam und uneinheitlich. Während die Szene, die Goethe beschreibt, schon recht „modern“ wirkt und Sartori am Ende des 19. Jahrhunderts quasi heutige Verhältnisse beschreibt, zeigen die Quellen auch, dass die „alte“ noch nicht rationalisierte Form des Brauches bis in jüngste Zeit lebendig blieb. Klusemann beschreibt in seinem Werk von 1919 zahlreiche „[…] noch heute lebende Gebräuche[…]“93. Sehr ausführlich äußert sich Marie Andree-Eysn in ihrem Buch „Volkskundliches aus dem bayrisch-österreichischen Alpengebiet“ aus dem Jahre 1910 über Beobachtungen an Häusern im Alpenraum:„Von der Schwelle bis zum Giebel finden wir christliche und heidnische Schutz- und Abwehrmittel nebeneinander“, denn: „Die Ursachen unheilvoller Ereignisse, von Unglück, Krankheit und Tod, werden vielfach vom Volke noch heute übernatürlichen Mächten, Hexen und bösen Geistern zugeschrieben. Um nun von diesen verursachte gegenwärtige oder in der Zukunft etwa eintretende Übel von sich und seinem Eigentum fernzuhalten, werden mannigfache Mittel angewendet, die auf christlichen, weit öfter auf uralt heidnischen Glauben zurückgehen.“ 94 Hier kommt also ein weiterer Punkt zum Tragen, nämlich die christlichen Einflüsse, die der Brauch des Bauopfers, wie so viele alte Traditionen, erfuhr.
7. Die christliche Überprägung Eine tatsächliche Überprägung, um dies gleich vorwegzunehmen, fand nur in geringem Maße statt, zu beobachten ist sie dennoch. Zum Beispiel tauchen häufig Bibelsprüche oder kleine Kreuze, Heiligenbilder etc. anstelle von oder zusammen mit „heidnischen“ Objekten als Bauopfer auf. Für den Zweck des Bauopfers ist es jedoch nicht erheblich, ob die geopferten Gegenstände christlicher oder heidnischer Natur sind. Ein Beispiel: Man vergrub vielleicht ursprünglich eine Katze unter der Scheune, um das Korn vor Mäusefraß zu schützen. Später vergrub man ein Heiligenbild. Der Zweck blieb derselbe, nämlich die Mäuse fernzuhalten, nur dass man sich nun vorstellte, der Heilige wäre dafür verantwortlich. Solche Heiligenbilder
91
Fingerlin 2005, 18. Thier 1998, 89. 93 Kluseman 1919, z. B. 25-26. 94 Andree-Eysn 1910, 7. 92
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waren sehr beliebt, beispielsweise „[…] nagelt[e] man zum Schutz der Tiere Blechtäfelchen mit dem Bilde des hl. Leonhart oder St. Wolfgangs über der Stalltür an.“95 Ein spannendes Beispiel für die Beziehung zwischen „heidnischen“ Bräuchen und der Kirche findet sich bei Andree-Eysn: Die Autorin erzählt von einer Bäuerin aus dem Salzachtal, die zum Schutz vor Blitzschlag, Hexen und Zauber ein Kränzlein aus Johanniskraut96 an die Tür gehängt hatte. Laut dieser Bäuerin habe der alte Dorfpfarrer die Kinder der Pfarre aufgefordert, diese Kränze von zuhause mitzubringen und weihen zu lassen. Als dann ein neuer Pfarrer das Amt übernahm, machte er die Aufforderung rückgängig, er weigerte sich die Kränze zu segnen und begründete dies damit, dass es kein christlicher Brauch sei, solche Kräuter an die Tür zu hängen. Die Bäuerin kommentierte dies in ihrem, laut Andree-Eysn „[…] an dem Althergebrachten beharrenden Sinn […]“, mit: „Wir hab’n ‘s allm hing’hängt und häng’n ‘s wieder hin.“97 Der alte „heidnische“ Brauch, Kräuter als Abwehrmittel an der Tür zu befestigen wurde in dieser Gegend häufig praktiziert. Der alte Pfarrer bemühte sich offensichtlich diesen Brauch zu „verchristlichen“ indem er die Kränze segnete, um somit die Schutzwirkung auf den christlichen Segen zu übertragen. Dass diese nämlich primär dem Kräuterkränzlein zugeschrieben wurde, wird deutlich, als die Bäuerin erklärt, dass sie immer schon solche Kränze aufgehängt habe und dies auch weiterhin tun werde, auch wenn der neue Pfarrer sie nicht mehr weihen wollte. Das Kränzlein hat seine Wirkung also ohnehin, mit oder ohne Weihe. Interessant ist auch die unterschiedliche Herangehensweise der beiden Geistlichen. Während der erste den Brauch in die Kirche integrieren wollte, lehnte der zweite ihn als unchristlich ab. Die an diesem Beispiel deutlich sichtbare ambivalente Haltung der Kirche bedingte einige Veränderungen in Bezug auf den Ritus der Bauopfer. Manche Praktiken traten nur noch sporadisch auf oder verschwanden ganz, andere veränderten sich. Oft wandelten sie sich nur in der Weise, dass die Wirkmacht von einem Gegenstand auf dessen Segnung übertragen wurde. Ursprünglich wurde also einem bestimmten Gegenstand eine bestimmte Wirkung zugeschrieben. Irgendwann begann man damit, diesen Gegenstand zu weihen oder sonst wie in die christliche Religion zu inkorporieren. Langsam schrieb man nun die Wirkmächtigkeit dem Segen zu, und nicht mehr dem ursprünglich magischen Gegenstand, der ihn trug. Hierzu ist aber zu sagen, dass die 95
Andree-Eysn 1910, 100. Johanniskraut galt als besonders zauberkräftig. Auf Seite 101 beschreibt die Autorin, dass es im Salzburgischen heißt, dass das Johanniskraut jede Krankheit und alles Böse, ja selbst den Teufel zu bannen vermöge. Sie führt auch Beispiele aus Tirol auf. Andree-Eysn 1910, 101. Das Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens widmet dem Johanniskraut einen längeren Eintrag. Marzell 1987. 97 Andree-Eysn 1910, 99-100. 96
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Vorstellung der Wirkmächtigkeit des Gegenstandes dieselbe bleibt, nur die Erklärung des Ursprungs dieser Kraft wurde christlich eingefärbt. In unserem Beispiel mit dem Kräuterkränzchen kam es nicht so weit. Doch es gibt viele Beispiele für dieses Geschehen. Oft veränderten sich auch die deponierten Gegenstände, wie an dem Beispiel mit dem Heiligenbild im Stall zu sehen. Ein ähnliches Beispiel ist ein Kästchen, das in Gmunden gefunden wurde. Es war in einem Haus aus dem Jahre 1677 eingemauert worden und beinhaltete einen Benediktuspfennig, ein kleines hölzernes Kreuz, eine kleine Monstranz aus Zinn sowie einige Münzen. Solche christlichen Symbole fanden in ähnlicher Weise immer wieder als Bauopfer Verwendung, wobei meist auch noch einige „heidnische“ Bestandteile zu finden sind. Mit Sicherheit änderten sich auch bis zu einem gewissen Grad die Riten, mit denen ein Bauopfer versenkt wurde, dafür gibt es jedoch kaum Quellen. Das Bauopfer war und wurde allerdings nie ein christlicher Brauch. Es wurde höchstens mit einem christlichen „Deckmantel“ versehen, das heißt, es fand eine gewisse Überprägung statt. Doch wie eingangs erwähnt, für die gewünschte Wirkmacht des Bauopfers ist es unerheblich ob diese heidnischen oder christlichen Ursprungs ist.
VII. Der Ort der Deponierung Der Fundort ist eines der wichtigsten Indizien, um ein Bauopfer als solches zu identifizieren, zudem kann er wichtige Hinweise auf dessen Funktion geben, denn in Bezug auf den Fundort sind bestimmte sich wiederholende Muster augenfällig. So haben etwa die einzelnen Teile des Hauses fast überall einen ähnlichen symbolischen Wert und in den zugehörigen Bräuchen gibt es viele Parallelen, die mitunter auf eine gewisse Allgemeingültigkeit schließen lassen.98 Dies gilt zwar meist nur in groben Zügen, dennoch ist damit durchaus etwas anzufangen. Die erwähnten Entsprechungen sind übrigens ganz einfach zu erklären, denn die verschiedenen Teile des Hauses (Herd, Dach etc.) haben stets die gleiche Funktion, weshalb eine Ähnlichkeit in der Intention der dort vollzogenen Riten logisch ist.99 Etwa deutet ein Opfer im Dachstuhl eher auf Schutz vor Blitzen und ein Opfer am Herd oder Kamin eher auf Feuerschutz hin. Diese Vermutungen müssen freilich nicht zwangsläufig zutreffen. Dennoch geben Vergleiche der bekannten Bräuche in verschiedenen Gebieten und oft auch großräumige ethnologische Untersuchungen die „Erlaubnis“ zu solchen Vermutungen. Sie zeigen immer wieder
98
Fillipetti/Trotereau 1992, 90. Etwa hat ein Kamin immer mit Feuer zu tun und wird grundsätzlich und relativ allgemein gültig auch Riten verursachen die sich auf das Feuer beziehen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass beim Kamin ausschließlich solche Riten zu erwarten sind.
99
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bestimmte Tendenzen auf, die – natürlich unter Vorbehalt – verwertet werden können. Beispielsweise berichtet June Swann über Schuhdepositionen: „[…] finds come from town and country, and all sorts of buildings: from hovels to palaces, workplaces, grand administration buildings, schools and colleges, religious institutions: monasteries, chapels, churches, cathedrals, synagogues. […] They are from all positions in a building: the roof, openings (such as doors, windows, and especially chimneys), external and internal walls (and field walls), under floors and above ceilings.“100
Dies sieht zunächst so aus, als könnte man Schuhe quasi überall finden und der Fundort dementsprechend wenig Aussagen erlauben. Doch das Gegenteil ist der Fall. Dass Schuhe in so vielen verschiedenen Zusammenhängen gefunden werden zeigt etwa, dass der Brauch bei allen Bevölkerungsschichten verbreitet war. Der Fundort, speziell in Kombination mit anderen Daten, ist also ein wichtiger Faktor in der Analyse von fraglichen (Be-)Funden.
VIII. Bauopfer im archäologischen Kontext 1. Archäologie
und
Vorstellungswelten
–
Probleme
bei
der
Interpretation Die „Private Glaubensausübung“ hinterlässt aufgrund ihres diffusen Charakters nur schwer interpretierbare Überreste. Aus diesem Grunde steht die Archäologie vor einer schwierigen Aufgabe, wenn sie es sich zum Ziel setzt, das Volksbrauchtum zu entschlüsseln. Die Diffusität der diesem Sektor zuordenbaren Praktiken ist durch verschiedene Tatsachen bedingt, etwa sind die fraglichen Relikte nicht so klar bestimmbar wie in anderen Bereichen,
beispielsweise
dem
Handwerk.
Außerdem
beinhalteten
Riten
des
Volksbrauchtums mitunter Aktionen, die keine Spuren hinterlassen (Gebete etc.) und somit im archäologischen Kontext gar nicht vorhanden sind. Überdies konnte diese „private Religiosität“ an beliebigen Orten stattfinden, was die Zuordenbarkeit ebenfalls erschwert.101 Hinzu kommt, dass ähnliche oder gar gleiche Befunde unterschiedliche Zwecke gehabt haben können und vice versa. Wie bereits weiter oben erwähnt, birgt sogar der Begriff des Bauopfers selbst Probleme, nicht nur aufgrund seiner Definition, sondern auch aufgrund seiner Verwendung in Bezug auf
100 101
Swann 2005, 116. Thier 1998, 85-86.
29
archäologisches Fundgut.102 Und wenn dies schon in der Theorie nicht geklärt werden kann, so ist es in der Praxis, also am Fundgut selbst, noch problematischer, da es zu verschiedenen Bezeichnungen kommt. Das größte Problem ist aber wohl die schier gewaltige Anzahl von Vorstellungen, die es im Zusammenhang mit dem Bauopfer gibt. Oder wie June Swann es ausdrückt: „[…] there may be almost as many explanations as there are finds.“103 Die der jeweiligen Deponierung konkret zu Grunde liegende Absicht ist schwer greifbar, da die Motivationen, ein Bauopfer zu bringen unterschiedlich, doch im Fundgut kaum erkennbar sind. Seit jeher haben völlig verschiedenartige symbolische Elemente und magische Gegenstände nebeneinander existiert, die sich im Laufe der Zeit veränderten. Das „magische Denken“ der Leute hat somit zu einer Vielzahl von ganz individuellen Ausformungen geführt. Hinzu kommt, dass innerhalb eines Gebietes zahlreiche Verschiedenheiten auftreten können. „Der Einfluß der regionalen Kultur, die ethnische Herkunft der jeweiligen Bevölkerung und ihre mehr oder weniger intensive Verbindung zu den angrenzenden Regionen, der soziale Status der Beteiligten, die Bedeutung, die den kirchlichen Autoritäten jeweils eingeräumt wird, […]“, diese Faktoren bedingen, dass viele Bräuche nur in einem kleinen Rahmen in der gleichen Form auftreten.104 Bestimmte Riten fanden wohl auch im Geheimen statt. Ein Beispiel dafür findet sich bei June Swann. Sie ist der Ansicht, dass die Praxis der Bauopfer, zumindest im von ihr untersuchten Bereich der versteckten Schuhe, unter Geheimhaltung stattfand. Dieser Umstand hat logischerweise eine Armut an nicht-archäologischen Quellen zur Folge und erklärt, warum der Brauch selbst in Zeiten, als alles „Volkstümliche“ mit großer Begeisterung gesammelt wurde, keine Erwähnung fand.105 Die tiefere Bedeutung von Objekten zu erfahren, ist selbst in Situationen, in denen die Menschen noch zu ihrem Tun befragt werden können problematisch, denn die lukrierte Menge an Information ist oft dürftig. Die Menschen sind häufig zurückhaltend, wenn es darum geht, sich zu diesen Bräuchen zu äußern, beziehungsweise ist es ihnen selbst oft unmöglich, Dinge zu interpretieren, die aus der Vergangenheit übernommen und mitunter adaptiert wurden.106
102
Beilke-Voigt 2007, 71. Swann 2005, 116. 104 Fillipetti/Trotereau 1992, 90-91. 105 Swann 2005, 116. Hierbei ist freilich anzumerken, dass es zweifellos regional und diachron sowie zwischen den einzelnen Praktiken variiert,wie geheim welche Riten jeweils waren. So kann etwa die Grundsteinlegung durchaus ein „öffentliches“ Ereignis gewesen sein, hingegen die Deposition eines Schuhes im Geheimen stattgefunden haben. 106 Fillipetti/Trotereau 1992, 90-91. 103
30
Dennoch ist die Lage nicht ganz aussichtslos, denn der Alltagsglaube kann bis zu einem gewissen Grad doch zumindest indirekt beleuchtet werden, „[…] da sich aus ihm ein ganzer Kosmos von Bildern, Symbolen und Gegenständen entfaltet hat […]“107, der zumindest teilweise fassbar ist. Hier spielt die Archäologie eine große Rolle: „Aus dem Bereich des Aberglaubens erschließen [sic!] sich archäologisch eine Vielzahl von Befunden rund um Haus und Hof […]“108. Da die Befunde üblicherweise schwierig zu deuten sind, bedürfte die Archäologie oft anderer Quellen wie z. B. bildlicher oder schriftlicher Überlieferungen, um konkrete Aussagen treffen zu können.109 Problematisch hierbei ist allerdings, dass diese meist fehlen. Capelle bemerkt etwa, dass aus der vorrömischen Eisenzeit und aus dem gesamten ersten Jahrtausend nach Christus keine schriftlichen Hinweise auf Bauopfer vorhanden sind. Auch danach sind die Quellen mehr als dürftig. Somit sind diesbezügliche Forschungen oft ausschließlich auf die archäologischen Quellen angewiesen.110 Die archäologische Problematik ist somit vielschichtig und erfordert umfangreiche und vor allem differenzierte Materialerhebungen mit Fragestellungen auf eindeutigen methodischen Grundlagen.111
a. „archaeology of mind“/„kognitive Archäologie“ Kann man Vorstellungswelten ausgraben? Diese Frage hat große Relevanz, da die Praxis des Bauopfers ein Paradebeispiel für religiös-magische Bräuche und Vorstellungen darstellt. Colin Renfrew prägte den Begriff der „archaeology of mind“ im Jahre 1982112, synonym verwendet er den Begriff „cognitive archaeology“ und stellt fest: „[…] a cognitive archaeology is indeed possible.“113 Wie, das beschreibt er auch in seinem, zusammen mit Paul Bahn jüngst publizierten Werk, „Basiswissen Archäologie“.114 Die kognitive Archäologie setzt es sich zum Ziel, vergangene Denkwege auf der Basis materieller Hinterlassenschaften zu untersuchen. Anhand der Verfahren dieses relativ neuen Zweiges der modernen Archäologie lassen sich die Auffassungen der Menschen vergangener Zeit beleuchten, sowie die Art und Weise, in der sie dachten. Beispielsweise ist es möglich zu untersuchen, wie die Menschen dazu übergingen, ihre Welt zu beschreiben und zu vermessen, welche materiellen Güter sie am höchsten schätzen und vielleicht als Symbole von Autorität und Macht betrachteten. Und es lässt sich die Art und Weise ermitteln, in der sich die 107
Menschen das Übernatürliche vorstellten und wie sie auf diese Ideen mit ihrer rituellen Praxis antworteten. Dies geschieht über eine eingehende Beschäftigung mit der jeweils verwendeten Symbolik. Der Mensch benutzt als einzige Spezies Symbole und diese stellen die Basis jeder intelligenten Handlung und kohärenten Rede (da auch Worte selbst Symbole für einen Aspekt der echten Welt sind) dar. Den Symbolen wird ihre Bedeutung allerdings auf willkürliche Weise zugeordnet. Diese Bedeutung ist jeweils für eine bestimmte kulturelle Tradition spezifisch, es gibt nur sehr wenige Symbole die eine universelle Bedeutung durch alle Kulturen haben. Aus diesem Grunde ist die Bedeutung eines Symboles innerhalb einer gegeben Kultur nicht allein aus der Form oder dem Bild des Objektes zu erschließen. Vielmehr muss seine Verwendung untersucht werden, um die Bedeutung aus dem Kontext heraus zu verstehen.115 Dadurch lassen sich Symbole, wenn auch nicht in ihrer vollen Bedeutung, so doch zumindest teilweise erfassen.116 Problematisch für das hier relevante Thema ist, dass es sich nicht um große, offizielle religiöse Akte handelt, auf die Renfrew und Bahn sich hauptsächlich beziehen und die mehr Hinweise hinterlassen, sondern um abergläubische Praktiken, die wohl nur im kleinen Kreis vonstatten gingen, weshalb auch der Rahmen der Interpretationsmöglichkeiten kleiner ist. Hier kommen die Forschungen Ralph Merrifields in Spiel. Er wagte sich in seiner 1987 erschienen Publikation ebenfalls an dieses schwierige Thema heran und erweitert es um verschiedene Aspekte, wobei er auch speziell auf die Archäologie der „privaten Glaubensausübung“ eingeht. Er postuliert, dass die Beschäftigung mit Themen, die den großen Komplex menschlichen Denkens berühren – der häufig mit Worten wie „Religion“, „Magie“ oder auch etwas abfällig als „Aberglaube“ bzw. moderner als „Parallelglaube“ bezeichnet wird – zur Feststellung führt, dass die in diesen Bereich fallenden Tätigkeiten, im archäologischen Fundgut fast ebenso viele Spuren hinterlassen haben wie diejenigen, die sich mit menschlichen Grundbedürfnissen wie Nahrung, Unterkunft und Schutz vor Feinden identifizieren lassen. In gewisser Weise ist dieser Bereich als absolute Basis menschlichen Handelns einzustufen, da er die Sicht des Menschen auf sich selbst und seine Umwelt betrifft und somit in alle anderen Aktivitäten einfließt. Wie aber ist als Archäologe damit umzugehen? Merrifield kritisiert, dass Archäologen jenes Verhalten, das keinen offensichtlichen materiellen Nutzen hat, aus verschiedenen Gründen oft weitgehend aus ihren Forschungen 115 116
ausklammern. Die Scheu vor solchen Themen wurde wohl unter anderem dadurch geschürt, dass lange Zeit alles, was man sich nicht sofort erklären konnte als „rituell“, „kultisch“ o.ä. kategorisiert wurde. Dies führte zu einer Überstrapazierung und zunehmenden Unschärfe solcher Begriffe mit dem Resultat, dass man sie nicht mehr verwenden wollte. Auch die Angst als unseriös zu gelten, wenn man sich mit solcher Materie befasst, spielt laut Merrifield eine Rolle. Hauptsächlich aber vermeiden Archäologen genauere Aussagen über derartige Themen mit der Begründung, man könne all das heute nicht mehr verstehen, da wir in einer völlig anderen Welt leben.117 So werden beispielsweise meist höchstens kleine Erwähnungen im Stile von „könnte sich vielleicht um ein Bauopfer handeln“ angeführt. Merrifields berechtigtes Gegenargument ist, dass Archäologen ständig Dingen begegnen, die sie nicht verstehen, wobei sie es üblicherweise als ihre Aufgabe betrachten, solche Probleme zu untersuchen und zu lösen. Er sieht keinen Grund, warum diese Vorgehensweise nicht auch im Bereich der „archaeology of mind“ zur Anwendung kommen sollte.118 Die „archaeology of mind“ kann immerhin Vermutungen über Bräuche und Rituale anstellen, insbesondere, wenn sie durch andere Quellen unterstützt wird: „[…] the inert conservatism of ritual behaviour ensured the continuation of similar basic practises through many changes of belief, so that their interpretation at a particular time may not be possible from archaeological evidence alone. In this, as in other fields of study, archaeology requires the help of history and anthropology, but can make its own special contribution to both of these subjects […]”.119 Der Grund, warum bestimmte Vermutungen angestellt werden können, ist der Folgende: Bestimmte Muster treten immer wieder auf und sie sind es, die helfen, Befunde als Reste von Ritualen/Opferungen im Allgemeinen zu erkennen. Merrifield erklärt dies so: “Through fundamental changes of religious belief, from primitive animism to developed pagnism, from paganism to Christianity, from traditional Catholicism to Protestantism, and even from religious faith to scientific rationalism, the same kinds of simple ritual have survived to give comfort and a sense of security to humble people.” Zwar waren Uminterpretationen nötig, damit die Bräuche mit den jeweils aktuellen Umständen vereinbar waren und um ihre Weiterführung zu legitimieren, doch waren die Veränderungen in den Ritualen selbst bemerkenswert klein. Dies erleichtert freilich die Identifikation und die Möglichkeit von rituellen Aktivitäten und sollte in die Überlegungen
Charakteristika beobachtet werden, unabhängig von deren Datierung. Formen von Tieropfern wären dafür beispielhaft. Die Körper von Tieren oder Teile derselben waren durchwegs ein Charakteristikum für Rituale, ob es nun ihre Intention war, eine höhere Macht freundlich zu stimmen, ein Haus zu schützen oder eine Hexe abzuwehren. Kein Zweifel, dass der Pferdeschädel, der im Eingangsbereich eines Hauses aus dem vierzehnten Jahrhundert in Thuxton/Norfolk, begraben wurde und der ähnlich begrabene Pferdeschädel
unter
der
Schwelle
eines
spätrömischen
Gebäudes
aus
Bourton
Grounds/Gloucestershire, unterschiedlich erklärt werden würde, wenn es uns möglich wäre, die Menschen zu befragen, die die Schädel niederlegten. Dennoch ist es kaum zu bezweifeln, dass es sich um ein abergläubisches Element handelt, das trotz mehrmaliger Umdeutungen, beziehungsweise Rationalisierungen in der Zeit dazwischen niemals ganz vergessen wurde. Ein weiter Hinweis auf mögliche rituelle Aktivität sind Gefäße. “Apart from animal remains, the commonest feature of a ritual deposit at all periods is a vessel of some kind, usually of pottery, but sometimes of glass or metal. It will normally have been complete when depositet, but may of course have suffered damage subsequently, or even in the act of depositig. In certain kinds of ritual deposit that are less easily distinguished from refuse, the damage may have been deliberate.” Solche Gefäße sind ebenfalls „verdächtig“, wenn sie mit bestimmten Dingen kombiniert sind, etwa mit Tierschädeln oder ganzen Tierskeletten oder gar menschlichen Knochen. Sie selbst hatten häufig wahrscheinlich keine Signifikanz, wichtig war ihr Inhalt, von dem sich allerdings meist nichts mehr erhalten hat. Manchmal, und das ist ein deutliches Zeichen für rituelle Bedeutsamkeit, wurden Gefäße auch verkehrt herum begraben (z. B. Hexenflaschen). Auch figürliche Darstellungen oder Miniaturen von Menschen, Tieren oder Dingen, auch Fragmente davon, weisen oftmals in eine rituelle Richtung. Ein anderes sich wiederholendes Merkmal ritueller Aktivitäten ist die bewusste Aufgabe von Besitztümern, die zwar oft nicht mehr neu sind, doch unter normalen Umständen nicht weggeworfen worden wären. Das Auftreten solcher Situationen sollte ebenfalls die Frage nach möglicher ritueller Aktivität aufwerfen, wobei die Unterscheidung zu Verlust oder temporärer Verwahrung häufig schwierig zu treffen ist. Manchmal sind solche Gegenstände auch intentionell zerstört, was die Abgrenzung von Abfall mitunter schwieriger macht, doch andererseits ist diese Zerstörung meist charakteristisch (z. B. verbogene Münzen) wodurch sie von normalen Beschädigungen unterschieden werden kann. Auch der Ort, an dem ein fraglicher Befund entdeckt wurde, kann entscheidend sein. 34
„People not only continued to perform similar ritual acts; they did so in similar places. Although no longer counciously concerned with placating spirits of water and earth, they continued to place ritual deposits for many different purposes in rivers, pools and marshes, an also in the earth, sometimes in pits an shafts, but often in association with buildings. Whether the purpose was to make an offering to a deity in the earth for allowing the building to stand, to provide it with a tutelary spirit, to trap demons or witches, to ensure good luck, or merely to leave a sentimental record of the builders in accordance with tradition, deposits of a similar nature continued to be placed under foundations, in walls and under floors, with a special preference for thresholds, hearths and chimney-pieces when it was intended to give protection against external dangers. The location of a ritual deposit may therefore be a useful aid to recognition.”120 2. Wie ist ein Bauopfer zu erkennen? Es ist also möglich, markante Funde und Befunde die mit Gebäuden im Zusammenhang stehen als Bauopfer zu bezeichnen.121 Doch wie ist in der Praxis zu verfahren? Das größte Problem ist, wie bereits früher erwähnt, dass nicht jeder Fund im Zusammenhang mit einem Gebäude ein Bauopfer sein muss und es sich deshalb als schwierig herausstellt, die „echten“ Bauopfer herauszufiltern. Capelle zufolge ist dies am ehesten möglich, indem ein Ausschlussverfahren zur Anwendung kommt. Einerseits solle möglichst viel Material gesammelt werden, andererseits sollten aber „[…] anhand einer begrenzten Auswahl von Belegen […]“ Kriterien herausgearbeitet werden, „[…] die eine Interpretation als Bauopfer sicherstellen.“ Die Einschränkung erfolge dabei am besten derart, dass Niederlegungen in Wällen, bei Brücken an Wegen etc. zunächst ausgeklammert und erst einbezogen würden, wenn überzeugende Anhaltspunkte für eine Identifizierung vorlägen. Diese ergeben sich laut Capelle vor allem aus der Untersuchung von Häusern, da die dort beobachteten Bauopfer häufig am eindeutigsten in ihrer Bestimmung seien. Hier sei allerdings Vorsicht geboten, da selbst innerhalb einer kurzen Zeitspanne und in einem kleinen Gebiet viele verschiedene Formen parallel existieren können. Vor allem Wohn-, Wirtschafts- und Kultgebäude bieten laut Capelle eine Vielzahl an möglichen Bauopfern, weshalb sie vorrangig zu untersuchen seien, allein schon aus dem Grund, weil sie meist vollständig ergraben sind. Dies ist bei anderen Bauten wie etwa Wällen meist nicht der Fall.
120
Merrifield 1987, 185-189. Beilke-Voigt 2007, 30. Hier ist anzumerken, dass die Autorin schreibt dass solche Funde und Befunde als intentionelle Niederlegungen zu erkennen sind und NICHT als Bauopfer, da sie den Begriff völlig anders verwendet. Für sie bezeichnet der Begriff „Bauopfer“ lediglich Funde die innerhalb der statischen Gebäudekonstruktion liegen und einem persönlich gedachten Empfänger übereignet wurden. In dieser Arbeit wird der Begriff allgemeiner verwendet doch Frau Beilke-Voigts Kriterien treffen hier ebenfalls vollkommen zu. 121
35
Drei Hauptkriterien deuten laut Capelle auf Bauopfer hin: erstens eine exponierte Lage unter einer Schwelle, dem Herd oder in der Wand, zweitens ein sich wiederholendes Auftreten in verschiedenen Siedlungen und drittens die Beobachtung, dass sie im Zuge der Errichtung des Gebäudes eingebracht wurden.122 Das Erscheinungsbild der Bauopfer sei dabei stets das eines Versteckfundes. Zusätzlich seien die Inhalte solcher Funde miteinander zu vergleichen. Ergeben sich dabei Übereinstimmungen, so gewinnt die Deutung erheblich an Zuverlässigkeit. Das größte Problem stellt für Capelle die Suche nach den Motiven, die hinter den Opfern standen, dar.123 Diese Vorgehensweise wird von Beilke-Voigt ergänzt und erweitert. Demnach soll der Fund zuerst als „Beifund“ bezeichnet und an den Ort der Niederlegung geknüpft werden, womit er beispielsweise als „Herdbeifund“ bezeichnet werden würde. Dies impliziert nämlich noch keine Deutung. An dieser Stelle wäre es auch noch möglich, dass es sich um einen Verlustfund oder Ähnliches handelt. Im Vergleich zu anderen ähnlichen Funden und unter kritischer Beurteilung der Fundumstände sowie auch des Materials selbst, ist im Anschluss zu klären, ob man es mit einer intentionelle Niederlegung zu tun hat. Zum Teil ist es möglich, aus solchen Analysen ein gewisses Muster zu erkennen.124 Durch die genaue Analyse der Fundumstände, des Niederlegungsinventars und unter Hinzuziehung weiterer fächerübergreifender Quellenzeugnisse und Vergleiche lassen sich die intentionellen Niederlegungen weiter differenzieren, nämlich in profane und kultische Niederlegungen. Als profan sind sie zu bezeichnen, wenn die Analyse „[…] eine Hinterlegungsabsicht wahrscheinlich macht, die aus alltäglichen Verrichtungen und dem unmittelbaren Betätigungsfeld der Menschen entspringt und funktional zu erklären ist.“ Ist dies nicht der Fall, so kann die Deponierungsabsicht kultischer Natur sein, wobei sie „Kult“ als solche Handlungen definiert, die im weitesten Sinne auf imaginären Vorstellungen beruhen.125 Das archäologische Material soll nach Beilke-Voigt nach folgenden Aspekten ausgewertet werden: Erstens ist der Ort der Niederlegung zu beachten. Dieser muss bei intentionellen Deponierungen bewusst gewählt sein. Hier ist zu beobachten, ob die Deponierung endgültig am Ort verbleiben oder rückholbar sein sollte. Kultische Deponierungen sind meist 122
Hier ist zu beachten, dass bestimmte Bauopfer nicht im Zuge der Errichtung eingebracht werden, obwohl sie dennoch zu den solchen zählen. 123 Capelle 1985, 499-501. 124 Beilke-Voigt 2007, 71. 125 Beilke-Voigt trifft hier eine weitere Unterteilung in Religion (hier würden Opfer nach ihrer Definition hineinfallen) einerseits und Magie/Zauber und Aberglauben/Volksglauben andererseits. Diese weitere Unterteilung wird hier, angesichts der Definitionen die Beilke-Voigt dafür vorsieht, nicht angewendet. Siehe weiter oben.
36
irreversibel. Beobachtungen der Fundumstände können auch Hinweise auf den Zeitpunkt der Niederlegung liefern, der von Bedeutung sein kann. Niederlegungen, die direkt im Haus verbaut sind, also bei seiner Errichtung irreversibel niedergelegt wurden, weisen deutlich in Richtung kultischen Verhaltens. Weitere Deponierungen im Hausbereich, die auch während seiner Nutzung erfolgt sein können, könnten Versteckfunde sein. Doch auch hier gibt es „kultverdächtige“ und außergewöhnliche Orte, wie etwa den Fußboden. Zweitens ist das Inventar der Deposition zu untersuchen. Es ist nach Sachgruppen zu unterscheiden (Menschen, Tiere, Objekte und Naturalien). Weiters ist die Anzahl und eventuelle Auffälligkeiten (z. B. Paarigkeit) zu berücksichtigen. Darauf folgt die Analyse der Zusammensetzung. Die Frage nach bestimmten Objektkombinationen bzw. ob sich bestimmte Objekte ausschließen. Die Kombinationen können innerhalb einer Sachgruppe auftreten oder auch sachgruppenübergreifend. Auch der Zustand und das äußere Erscheinungsbild der Objekte sind zu beachten, wie etwa Deformierungen, Abnutzungen, Halbfabrikate, Miniaturen, Zerstörungen und so weiter. Außerdem sind sachgruppeninterne Analysen anzustellen. Bei menschlichen und tierischen Niederlegungen treten Fragen nach Alter, Geschlecht,
Skelettvollständigkeit/Knochenauswahl,
Manipulationen
am
Skelett,
Tötungshinweise, Beigaben, Sorgfältigkeil/Achtlosigkeit auf. Für Sachgüter sind Wert (Metall, Importe, Seltenheit), Größe und Sorgfältigkeit/Achtlosigkeit zu beobachten. Zudem sind grundsätzlich alle weiteren Auffälligkeiten zu berücksichtigen. Diese Vorgehensweise erlaubt es, anhand von Ortswahl und Zusammensetzung Hinweise zu geben, wie das Fundgut zu ordnen und zu differenzieren ist, auch wenn nicht alle Fragen beantwortet werden können. Nun können weitere Schritte folgen. Drittens soll nun versucht werden, in anderen Fundmilieus ähnliche Beobachtungen zu analysieren. Zum Beispiel können private Niederlegungen Ähnlichkeit mit den „großen“ öffentlichen Niederlegungen auf Kultplätzen haben. Dies würde für eine ähnliche Interpretation sprechen. Doch ist hier darauf zu achten, dass die niedergelegten Gegenstände individuell ausgesucht wurden, je nach Vermögenslage oder Notwendigkeit für die jeweilige Person/Gruppe. Eine Übereinstimmung muss also nicht in jedem Fall existieren.126 Dieser Vergleich ist auch dann kaum mehr möglich, wenn die Niederlegungen sich von öffentlichen Kulthandlungen stark unterscheiden, wie es etwa für abergläubische Praktiken in christlichen Gesellschaften der Fall ist.
126
Beilke-Voigt 2007, 30-33.
37
Viertens ist, nachdem ein profaner Niederlegungsgrund ausgeschlossen wurde, die Frage zu stellen, welcher mögliche kultische Hintergrund mit der Niederlegung fassbar wird. Hier reicht das archäologische Material aber nicht mehr aus. Die Archäologie muss nun auf Quellenmaterial aus Nachbarwissenschaften zurückgreifen, wie Schrift- und Bildzeugnisse, ethnologische Berichte und Analogien, zum Beispiel aus dem klassischen Mittelmeerraum, volkskundliche Überlieferungen, tradierte Sitten und Bräuche oder sprachwissenschaftliche Auswertungen. Setzt man sich mit diesen Quellen kritisch auseinander, können sie Anregungen zur Interpretation der Befunde liefern. Dabei ist allerdings zu beachten, dass es meist nicht möglich sein wird, ein detailliertes Bild zu erhalten. Dennoch können Wahrscheinlichkeiten eingegrenzt und mögliche Deutungen vorgeschlagen werden.127 Dieser Anleitung für den Umgang mit potenziellen Opferfunden ist außer den erwähnten Kleinigkeiten nichts hinzuzufügen. Sie sollte in dieser Form in der archäologischen Praxis zur Anwendung kommen um die Identifikation und Einordnung von fraglichen (Be-)Funden zu erleichtern.
3. Depotfunde in Gebäuden und ihr Bezug zu Bauopfern Diese relativ neue Fundkategorie ist hier kurz zu erwähnen, da sie für den Themenkomplex des Bauopfers von großer Bedeutung sein kann. In Ermanglung eines besseren Begriffes werden Funde dieser Kategorie häufig als Depotfunde in Gebäuden bezeichnet, wobei es diverse andere Vorschläge gibt, die diskutiert werden. Hier wird der Begriff Gebäudefunde verwendet, den Ilse Fingerlin128 aufbrachte, denn er erntete bisher am wenigsten Kritik und die Chance, ihn falsch zu verstehen, ist am geringsten. Gebäudefunde sind Objekte, die in Gebäudehohlräume eingebracht wurden, welche man nach
der
Einbringung
ganz
oder
zumindest
weitgehend
verschloss.129
Solche
Gebäudehohlräume können etwa Gewölbezwickel130, Zwischenböden, Verzapfungslöcher und Kamine sein, oder aber die Objekte sind in Mauern oder Boden integriert.131 Die Funde können aus verschiedenen Gründen in die Hohlräume gelangt sein, etwa durch Zufall, zur Abfallentsorgung, als Versteck, zur Verwahrung oder eben auch als Bauopfer.132 Häufig finden sich die Objekte vermischt mit Bauschutt oder Ähnlichem (etwa
Keramikbruch).133 Der Grund für die hohe Wertigkeit dieser Quellengattung ist der hohe Grad der Erhaltung organischer Stoffe, welche im Erdboden zumeist vergehen.134 Erwähnenswert ist zudem das breite Spektrum der aufgefundenen Objekte, die aus verschiedensten Bereichen des Alltagslebens stammen.135 Die meisten solchen Funde stammen aus dem 15. bis 19. Jahrhundert. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass ältere Bausubstanz selten erhalten ist. Für das Thema des Bauopfers ist diese Fundgruppe deshalb relevant, weil sie zahlreiche potenzielle Bauopfer enthält. Doch ist es wichtig, hier differenziert vorzugehen. Bauopfer sind oft Gebäudefunde, aber nicht alle Gebäudefunde sind Bauopfer. Der jeweilige Befund ist individuell dahin gehend zu prüfen, ob es sich um ein Bauopfer handeln kann, wobei die oben genannten Kriterien zur Anwendung kommen sollten. Besonders interessant, weil „verdächtig“ für Bauopfer, sind Hohlräume an „gefährdeten“ Stellen wie beispielsweise dem Herd, dessen Feuer, außer Kontrolle geraten, verheerend wirken konnte, oder auch dem Kamin, potenzielle Eintrittspforte für „[…] spirits less welcome than Santa Claus.“ 136
IX. Beispiele 1. Schuhe Schuhe spielen in zahlreichen Praktiken des europäischen Volksbrauchtums eine zentrale Rolle. Besonders viele derartige Traditionen sind aus dem englischen Bereich überliefert. Beispielsweise war es dort Brauch, dass eine Frau, die sich Kinder wünschte, die Schuhe einer Frau anprobierte, die vor Kurzem Mutter geworden war. Ein ähnlicher Fruchtbarkeitswunsch scheint es gewesen zu sein, Kleinkinderschuhe in der Wand des Schlafzimmers einzumauern.137 Eine andere englische Tradition besagt, dass ein Junge das Haus nie verlassen würde, wenn einer seiner Schuhe im Haus eingebaut wurde. Wirft man jemandem, der auf Reisen geht, einen Schuh nach, kommt er sicher wieder nach Hause, so der Glaube. Noch heute bindet man einen alten Schuh an das Auto, mit dem ein Hochzeitspaar nach der Trauung davonfährt.138 Eine Sage vom in einen Stiefel gebannten Teufel könnte einen Hinweis darauf geben, dass man Schuhe auch als geeignete Fallen für böse Geister
erachtete.139 Die Liste der mit Schuhen verknüpften Vorstellungen ist lang und macht die Bedeutung deutlich, die ihnen beigemessen wurde. Viele der Bräuche beziehen sich unmittelbar auf Gebäude. Laut Ralph Merrifield ist ein alter Schuh der „[…] commonest charm to protect a building in post-medieval times […]“. Diese Schuhe sind oft mit anderen Dingen vergesellschaftet. Sie finden sich in Wänden, Dächern, beim Kamin oder im Boden. Die Meisten datieren in die Zeit vom 17. bis zum 19. Jahrhundert.140 Zwar bezieht sich Merrifield auf England, er weist aber darauf hin, dass dieser Brauch in ganz Mitteleuropa verbreitet gewesen zu sein scheint, da die Datenmenge zu diesem Thema auch für andere Länder wächst.141 „[…] shoes are very powerful, for both good and evil“ wie June Swann, die sich ausschließlich mit in Gebäuden verborgenen Schuhen beschäftigt, erklärt. Im Volksbrauchtum wurde Schuhen große Kraft zugedacht, basierend auf ihrer starken Verbindung zum Besitzer. Der allergrößte Teil der gefundenen Schuhe ist gebraucht, trägt also einen genauen Abdruck des Fußes seines Besitzers:„[…] moulded to the shape and charakter of the wearer, a substitute for the Person, ready to bless or protect the building.“142 Sohlenabdrücke, ähnlich wie Handabdrücke, lassen etwas von einer Person zurück, können damit quasi als Stellvertreter wirken und tragen so die „Lebenskraft“ des jeweiligen Menschen in sich, was sie zu mächtigen Kultgegenständen macht.143 Dieser Umstand wiederum qualifiziert sie als Bauopfer, wobei sie meist mit anderen Funden wie Katzenmumien, Hufeisen, Tierknochen Flaschen, Samen, Nüssen, Eiern und zahlreichen anderen Gegenständen auftreten. Manche der vergesellschafteten Objekte sind christlicher Natur, wie Seiten aus der Bibel, Gebetsbüchern oder Ähnliches. Bisweilen finden sich auch schriftliche Nennungen bei den deponierten Schuhen, wie in einer bei Swann erwähnten Kapelle, in der ein Schuh entdeckt wurde, in dem ein Zettel platziert worden war, auf dem ein Name mit Geburtsdatum und das Datum der Niederlegung des Schuhes verzeichnet waren. War das nur als Andenken gedacht? Im Alten Testament heißt es, dass ein Mensch, der einen Schuh über Land wirft, Besitzansprüche stellt. Können Ideen wie diese eine Rolle gespielt haben? In ähnlicher Tradition steht der Bericht, dass eine ganze „Familie“ von Schuhen (Männer-, Frauen- und Kinderschuhe) zusammen mit Kleidungstücken, Möbelteilen, Werkzeug und anderen Gegenständen, manche mit
„Inbesitznahme“ des Hauses interpretiert.144 Hin und wieder finden sich auch absichtlich zerstörte Schuhe. Dies hängt vielleicht mit einem Fluch gegen den Besitzer zusammen oder damit, dass der Geist des Besitzers davon abgehalten werden sollte, herumzuwandern. Teilweise wurden Knöpfe, Schnallen und Ähnliches entfernt, dies geschah allerdings vermutlich eher deshalb, weil diese Teile weiterverwendet werden sollten.145 Dass Schuhe häufig als Bauopfer Verwendung fanden, wird an zahlreichen Beispielen wie dem folgenden deutlich. An der Westfassade der Burg Gamburg im Main-Tauber-Kreis wurde ein kleiner mit Mörtel verschlossener Hohlraum gefunden. Er beinhaltete Knochen von verschiedenen Tieren (Stirnpartie und Luftröhre eines Rindes, linker Vorderfuß eines Kalbes Oberarmknochen einer Kuh, Hinterbein eines Schweines und ein Hasenkopf) alles von ungeübter Hand zerteilt, dabei lagen Teile von zwei bis drei Erwachsenen- und eines Kinderschuhes, alle aus dem 17. Jahrhundert. Die Bearbeiterin meint dazu: „Wir haben es hier offensichtlich mit einem Opferfund zu tun, wegen der Vermauerung in einem Gebäude mit einem Bauopfer. Typisch dafür sind Tierknochen anstelle lebender Tiere, keine menschlichen Skelettteile aber Schuhfragmente als Stellvertreter.“ Ähnlich auch ein Beispiel aus der Greifswalder Marienkirche, in deren Gewölbe man Tierknochen fand, die von einem Ziegel abgedeckt waren, der den Sohlenabdruck eines Kindes trug.146 Bei der Untersuchung von Schuhdepositionen fällt auf, dass dieser Brauch sehr geheim gehalten wurde. Ein Beispiel bereits aus dem 20. Jahrhundert zeigt dies: Ein Junge sah 1934 oder 1935 wie sein Vater und einige Bauarbeiter einen einzelnen alten Stiefel im Schotter vergruben, als sie den Boden der Küche legten. Er konnte seinem Vater keine Erklärung entlocken, merkte aber, dass dieser offenbar etwas beschämt war. Dieser Brauch taucht auch nicht in den Schriften des 17. Jahrhunderts auf, als gelehrte Männer sich mit verschiedenem „Aberglauben“ befassten. Auch aus dem 19. Jahrhundert, als alles Folkloristische begeistert gesammelt wurde, gibt es keine Hinweise darauf. Und das, obwohl Schuhdepositionen all diese Zeit sehr verbreitet gewesen sein müssen, wie die Archäologie belegt. Vielleicht wurde es für die Wirkung des Ritus als notwendig erachtet, dass er geheim blieb.147 Schuhe waren also, wie die Funde zeigen, sehr beliebt als Bauopfer, auch wenn nicht alle bekannten Bräuche, die damit zu tun haben, in diese Kategorie fallen. Dennoch wurden die 144
beiden Komplexe „versteckte Schuhe“ und „Bauopfer“ bisher kaum miteinander in Verbindung gebracht, ein Irrtum, den es zu berichtigen gilt.
2. Katzen Ein weiteres häufig angetroffenes Bauopfer sind Katzen. Sie wurden manchmal lebend, meist aber wohl tot in das jeweilige Gebäude integriert, wo die Tiere relativ schnell durch Trocknung148 konserviert wurden. Auch diese Opfer wurden an verschiedenen Stellen deponiert. Sie lagen bei Kaminen, unter Böden, in Mauern und so weiter,149 bevorzugt allerdings in Decken des Wohnbereichs.150Auch die zeitliche Streuung ist beachtlich, dieser Brauch wurde seit dem Mittelalter in ganz Europa praktiziert und war bis in jüngste Zeit lebendig.151 Besonders beliebt scheinen Katzenopfer zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert gewesen zu sein. Das gilt auch für England, wo sich etwa in neu errichteten Häusern nach dem großen Brand von London 1666 sehr häufig so genannte Katzenmumien finden.152 Untersuchungen aus dem Landkreis Ludwigsburg in Deutschland,153 förderten ebenfalls zahlreiche Katzenmumien aus Häusern, die entweder zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert neu errichtet oder umgebaut wurden, zu Tage.154 An einigen Katzenmumien ließen sich Tötungsspuren feststellen, zwei davon stammen aus dem Tiroler Raum, genauer aus Volders (Nordtirol) und Pill im Passeiertal (Südtirol) (siehe Abb. 2-3) Sie wurden geröntgt und die Auswertung der Bilder zeigte, dass den Tieren das Genick gebrochen worden war.155 Schriftliche Quellen zur Deponierung von Katzen fehlen, auch sind im Gegensatz zu den Schuhdepositionen keine Bräuche überliefert, die sie zum Gegenstand haben, was die Interpretation erschwert. Vermutlich gibt es hier mehrere Traditionsstränge, die sich auch überschneiden können. So wird der Brauch besonders in der früheren Neuzeit mit dem Hexenglauben in Verbindung gebracht. Katzen wurden mitunter als Unglücksboten oder als Begleiterinnen von Hexen angesehen. Zum Teil brachte man sie mit Lykanthropie in
148
Dies beschreibt auch Merrifield, diese Trocknung geschah wohl häufig von selbst, wurde aber mitunter auch intendiert. Merrifield 1987, 129. 149 Schad 2005,154. 150 Petri 2011, 120. 151 Schad 2005,154-155. 152 Merrifield 1987, 131. 153 Im Landkreis Ludwigsburg und dessen näherer und weiterer Umgebung fanden sich bisher 65 Katzenmumien aus 41 Gebäuden die in einer Datenbank dokumentiert wurden. Petri 2011, 120. In dieser Region wird das Phänomen besonders gut erforscht. 154 Schad 2005, 155. 155 Untersuchung der Universität Innsbruck, Röntgenbilder erstellt durch Dieter zur Nedden, Institut für Medizin, 200X.
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Verbindung, in der Form, dass Hexen sich in Katzen verwandelten.156 So werden die Katzenmumien in Häusern aus dieser Zeit tendenziell dahin gehend interpretiert, dass man vorsorglich eine tote Katze „einsperrte“, um das Haus und dessen Bewohner zukünftig vor Unglück zu schützen. Damit verbunden waren wohl verschiedene Rituale, die sich heute nicht mehr rekonstruieren lassen. In einem der von Frau Schad untersuchten Häuser wurde eine Katzenmumie zusammen mit einem Gegenstand in Form eines bartlosen Schlüssels gefunden, was sie folgendermaßen interpretiert: Eine Hexe sollte in Gestalt der Katze eingesperrt werden, dem Schlüssel als Symbol wurde die Macht zugesprochen nicht nur Dingliches sondern etwa auch Dämonen einzusperren. Dieser bartlose, also funktionsuntüchtige, Schlüssel soll wohl die Wirkung noch verstärken.157 Der Gedanke an magische Rituale liegt nahe, besonders wenn die Katzen auf bestimmte Art angeordnet oder mit anderen definitiv rituellen Gegenständen vergesellschaftet sind. In Vaihingen/Enz etwa wurden in einem 1617 errichteten Haus zwei über Kreuz angeordnete Katzenmumien zusammen mit zwei Bocksfüßen gefunden. Die Bocksfüße befanden sich in einem aus Getreide geflochtenen Kreis, in welchem sie gewissermaßen „gebannt“ waren.158 Einige der toten Katzen wurden gemeinsam mit einer Ratte oder einer Maus159 eingemauert, die oft in den Pfoten oder im Maul der Katze drapiert worden waren.160 Dies weist in die Richtung der Abwehr von Schädlingen durch die Katze. Doch auch Ratten und Mäuse wurden oft als Begleiter von Hexen gesehen, sollten die Katzen diese fernhalten? Die Frage ist besonders aufgrund des ambivalenten Rufes der Katze nicht klar zu beantworten. Merrifield kommt zu dem Ergebnis: „On the whole it seems likely that the practice of enclosing cats in buildings, […], was probably derived from the ancient custom of building sacrifice, but was rationalised and justified as a deterrent to vermin. As such it was hardly less superstitious[...]. It is also possible that the real fear underlying the practice was of spiritual vermin rather than of actual rodents[…].“161 3. „Witchbottles“ Die so genannten „witchbottles“ oder Hexenflaschen sind ein primär, wenn auch nicht ausschließlich, für den englischen Raum bekanntes Phänomen. Es handelt sich dabei meist
um Flaschen, deren Inhalt üblicherweise aus einer Zusammenstellung aus folgenden Dingen besteht: verbogene Nägel oder Nadeln, Dornen, Haare, abgeschnittenen Fingernägel, Urin, aus Stoff oder Filz ausgeschnittene Herzen, die oft von Nadeln durchbohrt sind, mitunter aber auch anderes. Sie sind seit dem 17. Jahrhundert bekannt, wobei es sich hier meist um Steingutflaschen handelte, die oft mit einer bärtigen Maske verziert sind. Im 18., 19. und selbst noch im frühen 20. Jahrhundert wurden Hexenflaschen deponiert. Dabei kamen aber nicht mehr die typischen Steingutflaschen zum Einsatz, sondern etwa alte Weinflaschen oder Ähnliches. Der typische Inhalt veränderte sich hingegen nicht. Hexenflaschen fanden sich oft unter Gebäuden, nämlich unter der Schwelle, dem Herd, oder auch im Kamin, welche klassische Stellen für Schutzzauber darstellen. Dies gibt Hinweise auf ihre Funktion. Tatsächlich findet sich die Archäologie in Bezug auf dieses Thema in der glücklichen Lage, Schriftquellen zum Vergleich heranziehen zu können. Zeitgenössische Berichte geben Aufschluss über die Funktion der Flaschen als Abwehr von Hexerei. Das Opfer der Angriffe sollte gerettet werden, indem die böse Magie auf den Hexer/die Hexe reflektiert würde. Die Flaschen wurden oft erst im Falle einer akuten „Verhexung“ einer Person hergestellt und entweder ins Feuer geworfen oder vergraben. Allerdings zeigen diejenigen, die in oder unter Häusern gefunden wurden, wo sie nach der Fertigstellung kaum noch verborgen werden konnten, dass sie auch prophylaktisch wirken konnten.162 Hexenflaschen sind ein interessanter Fall, denn eigentlich sind sie keine Bauopfer, da ihre Wirkung üblicherweise nichts mit dem Haus als solchem zu tun hat und sich ihre Verwendung von der Praxis der Bauopfer unterscheidet. Doch werden sie zu Grenzfällen, wenn sie bei der Errichtung als prophylaktischer Schutz eingemauert werden, denn dann verschwimmt ihre Intention mit einem Bauopfer des Typs 2 mit negativer Geltungskategorie.
X.
Beispiele aus Tirol 1. Zwei Bauopfer von Schloss Tirol
Im Keller des Wirtschaftstraktes fand sich in der nordwestlichen Ecke eine unregelmäßige, ca. 45-55 cm große und 30 cm tiefe Grube. Sie war mit Steinen ausgekleidet und enthielt zwei doppelkonische sowie zwei bauchige Glasflaschen (siehe Abb. 4-5), wobei die beiden Erstgenannten intakt und mit einer unbekannten Flüssigkeit gefüllt waren. Die bauchigen Flaschen waren zerscherbt, konnten jedoch wieder zusammengesetzt werden. Verschlüsse sind nicht mehr vorhanden, sie bestanden vermutlich aus organischem Material, das nicht
162
Merrifield 1987, 163-183.
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erhalten blieb. Die Datierung gestaltete sich etwas schwierig, da sich die Flaschen weder stratigrafisch (Inselbefund) noch anhand der Gefäßtypen genauer als 14., Anfang 15. Jahrhundert einordnen lassen. Als Hintergrund der Niederlegung liegt ein Bauopfer nahe, diese Vermutung nährt sich aus mehreren Quellen. Drei Vergleichsbeispiele aus Deutschland zeigen, dass die vom 14. bis zum 17. Jahrhundert hergestellten doppelkonischen Flaschen gefüllt mit „Jordanswasser“, geweihtem Öl oder Wein bevorzugt bei liturgischen Riten von Kirchengrundsteinlegungen zum Einsatz kamen. Eine solche Verwendung, wenn auch aus dem profanen Bereich, liegt auch für Schloss Tirol nahe. Dies passt außerdem gut zu den Ereignissen, die sich auf Schloss Tirol zu der Zeit, in die die Flaschen datieren, abspielten. Es kam nämlich im 14. Jahrhundert zu
einer
massiven
Brandkatastrophe.
baulichen
Umgestaltung
des
Wirtschaftstraktes
infolge
einer
163
Ein interessantes Fundensemble tat sich auch in der so genannten Turris Parva, dem Kapellenturm von Schloss Tirol auf. In einem Zwischenboden konnten dort verschiedene Funde geborgen werden. Dabei handelte es sich um einen kompletten Daubenbecher und Reste von einem zweiten, die Reste eines Hemdes und einen Kinderschuh aus Leder (siehe Abb. 6-8), die nach Vergleichen mit rituellen Praktiken – vermutlich von Bauarbeitern – in Verbindung zu bringen sind, die sich auf den Abschluss eines Bauabschnittes beziehen. Dies stützt auch der archäologische Befund, demzufolge die angeführten Objekte ausschließlich im obersten Horizont der Einlagerungen gelegen haben. „Die Zeit der möglichen Einlagerung dieses Horizontes in den Zwischenboden ist bestimmt von den ermittelten Dendrodaten seiner Bretterdecke um das Jahr 1269/70. Die letzte Möglichkeit einer Beschickung bestand vor der Errichtung der abgehängten Holzdecke im östlich anschließenden Raum, die nach verlegetechnischen Kriterien spätestens in die Barockzeit datiert wird. Gestützt wird diese Feststellung durch das erhobene C-14 Datum des Hemdes mit 14731682 und nach innen gefallene Mauersteine von einem Mauerausbruch nach Westen, der dann wieder sorgfältig verschlossen wurde.“164 Der Kinderschuh war für ein Kleinkind von 1-2 Jahren gefertigt. Sein Zustand zeigt, dass er lange getragen und niemals repariert worden war, er war dem Kind am Ende offenbar auch zu klein, all dies erklärt, weshalb er bereits stark abgenutzt und beschädigt war, als er in das Depot kam. Aufgrund seiner einfachen Fertigung und langen Tragedauer lässt sich vermuten, dass er wohl einem Kind aus der unteren Gesellschaftsschicht gehörte. Er wurde vermutlich im 11. Jahrhundert, spätestens aber im 15. Jahrhundert gefertigt. Zusammen mit der Datierung 163 164
des Gebäudes ins 13. Jahrhundert dürfte es sich wohl um den bislang ältesten in einem Gebäude gefundenen Kinderschuh handeln.165 Schuhe fanden sehr häufig Verwendung in rituellen Praktiken, die mit Häusern in Zusammenhang stehen.166
2. Eine Deposition aus dem Lechtal In Verbindung mit einem Haus im Lechtal wurde im August 2003 eine Beilklinge und ein Bügeleisen seitlich neben dem Hauseingang gefunden (siehe Abb. 9-10). Beide bestehen aus Eisen und sind beschädigt. Bei dem Bügeleisen handelt es sich um ein so genanntes Kastenoder auch Bolzeneisen. Diese bestehen aus einem hohlen, vorne spitz zulaufenden Kasten aus Eisen (wie in diesem Fall), Stahl oder Messing, zur Aufnahme des im Feuer erhitzen Bolzens aus Eisen oder Stahl, der das Bügeln erst möglich machte. Die Verschlüsse, die das Herausfallen des Bolzens verhindern sollten, konnten unterschiedlich gestaltet sein. Auch die Griffe waren verschieden und mitunter sehr kunstvoll gestaltet. In diesem Falle handelt es sich aber offenbar um ein einfaches Bügeleisen, da es vollkommen schmucklos ist und ein simples Eisenband den Griff bildet. Solche Bandeisengriffe waren aber, um die Hand der Büglerin vor der Hitze zu schützen, mit Leder überzogen. Kasten- bzw. Bolzenbügeleisen waren vom 17. bis ins frühe 20. Jahrhundert in Verwendung. Ihre serienmäßige Herstellung nahm ihren Anfang im späten 17. Jahrhundert.167 Das hier behandelte Bügeleisen wies an der rückwärtigen Klappe einen Scharnierverschluss auf. Diese Verschlussart war vor allem im 18. Jahrhundert sehr verbreitet. Das Bügeleisen wurde aber leer, das heißt ohne diesen Bolzen, deponiert. Außerdem ist der Griff verbogen, vielleicht um das Bügeleisen platzsparender zu machen und es so leichter vergraben zu können. Auf eine Verwendung von Bügeleisen als Gegenstand bestimmter Bräuche finden sich keine Hinweise, allerdings wird dem Eisen große Wirkmacht zugeschrieben, eventuell bezieht sich der Grund der Deponierung darauf. Es kommen zwar meist spitze oder scharfe Gegenstände aus Eisen zum Einsatz aber auch Hufeisen und andere Objekte.168 Möglicherweise spielte auch die Tatsache, dass solche Eisen oft sehr heiß waren, eine Rolle, um etwa böse Mächte zu verbrennen und sie so nicht ins Haus zu lassen. Allerdings fehlt die eigentliche Quelle der Hitze, der Bolzen. Das Beil lässt sich nicht datieren, da es sich um einen Funktionstypus handelt, der zeitlich kaum einzuschränken ist. Es hat aber laut dem Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens 165
Hlaváček 1998, 100-106. Siehe dazu weiter oben 167 Strobel 1987, 30-41. 168 Hünnerkopf 1986. 166
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sehr große Bedeutung im Volksglauben. Im Zusammenhang mit einer Schwelle dient es als Abwehrmittel gegen dämonische Wesen und zum Schutz von Haus, Menschen und Vieh gegen Einflüsse aller Art.169 Es spricht also einiges dafür, dass es sich bei dieser Deposition um ein Bauopfer handelt. Besonders spannend ist vor allem die Tatsache, dass eines der Fundstücke eher der männlichen und das andere eher der weiblichen Lebenswelt zuzuordnen ist. Dies dürfte wohl kein Zufall sein. Die Datierung lässt sich leider nicht sehr genau vornehmen, doch ist der Teil des Hausen in dessen Zusammenhang die Deposition entdeckt wurde laut Aussage der Besitzer etwa 200 Jahre alt. Geht man davon aus, dass die Objekte im Zuge der Errichtung deponiert wurden, würde dies eine zeitliche Einordnung um 1800, beziehungsweise ins frühe 19. Jahrhundert bedeuten. Ein Umstand der auch mit dem Alter des Bügeleisens zusammenpasst wenn man bedenkt, dass es wohl nicht mehr ganz neu war, als es vergraben wurde.
3. Zwei Anhänger aus Tulfes Im Jahre 1996 wurden in einem Bauernhaus in Tulfes zwei Anhänger entdeckt die als Bauopfer anzusprechen sind. Beide fanden sich unter zwei verschiedenen Fensterbrettern im ersten Stock des Gebäudes. Das Erste Objekt (siehe Abb. 11) ist ein Weiheanhänger aus Buntmetall mit einer Darstellung der Maria mit Kind auf der einen und des heiligen Alphonsus auf der anderen Seite, mit der heute zum Teil schwer lesbaren Umschrift: MARIA MUTTER DER IMMERWÄHRENDEN HILFE B(itte) [für] U(ns) bzw. HEIL(iger) ALPHONSUS [und] MARIA BITT(et) F(ür) [uns]. Er datiert etwa ans Ende des 19. beziehungsweise den Anfang des 20. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu dem recht stark abgegriffenen Weihemedaillon befand sich der zweite Anhänger in recht neuem Zustand war also kaum benutzt worden. Er wurde aus einem silbernen 20 Kreuzerstück von 1779 mit einem Abbild der Maria Theresia gefertigt (siehe Abb. 12). Für beide Objekte gibt es vergleichbare Funde, allerdings in recht geringer Zahl, denn solche Depositionen tauchen meist im Rahmen von Umbauten oder ähnlichen Arbeiten auf und dabei werden solch kleine Objekte häufig übersehen. Ihre Bedeutung lässt sich teilweise rekonstruieren. Der Weiheanhänger steht eindeutig in christlicher Tradition. Die Bearbeiter halten es für denkbar, dass solche geweihten Gegenstände an Türen und Fenstern etc. dem Bösen den Eintritt verwehren sollten.170 Dies ist durchaus möglich, in jedem Fall stellt der Anhänger das Haus unter den Schutz der Maria und 169 170
Haberlandt 1986. Töchterle/Torggler 2003, 70-72.
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des Alphonsus. Der genaue Grund für die Niederlegung von Münzen ist unsicher, ihre Kraftwirkung ist nicht christlichen Ursprungs, sie könnte beispielsweise von ihrem Wert oder aber auch von ihrem Material herrühren. In diesem Falle ist die Münze aus Silber, dem im Volksglauben große Kraft zugeschrieben wird, insbesondere als Schutzobjekt.171 Die Bearbeiter dieser Funde erwägen auch die mögliche Deposition einer Münze mit dem Bildnis der Herrscherin Maria Theresia aus Gründen der Staatsräson.172 Interessant wäre hier die Baugeschichte des Hauses, um herauszufinden, wann die beiden Anhänger deponiert wurden, denn immerhin liegen zwischen ihrer Herstellung ungefähr einhundert Jahre. So wäre es möglich, dass die Silbermünze bereits um 1800 deponiert wurde und um 1900 das christliche Medaillon zusätzlich unter einem anderen Fensterbrett eingebracht wurde. Oder aber beide Objekte wurden um 1900 eingebracht und die Münze war zu jener Zeit schon über hundert Jahre alt. Auch diese Theorie hätte ihre Berechtigung, denn altes Silber, das über mehrere Generationen vererbt wurde, galt als besonders wirkmächtig.173
4. Eine Kirchturmkugel aus Hall In Hall in Tirol wurde 1994 der Inhalt einer Kirchturmkugel untersucht Es handelt sich dabei um ein Caravacakreuz aus feuervergoldetem Buntmetall, einem kleinen Pfeil aus Buntmetall, Fragmenten von zwei Wachssiegeln, wobei eines davon höchstwahrscheinlich aus Brixen stammt und Eisenresten, vermutlich von einem Siegelbehälter (siehe Abb. 13). Caravacakreuze finden sich besonders an Rosenkränzen,174 außerdem dienten sie zum Schutz vor Gewittern.175 Kleine Pfeile stehen im Zusammenhang mit dem Sebastianskult (Sebastianspfeile) und symbolisieren Seuchen und Tod verbunden mit dem Wunsch um Verschonung davor. Sie waren im 18. und 19. Jahrhundert ein beliebter Teil des Wettersegens. Solche bewussten Deponierungen in Turmkugeln sind weit verbreitet und in Tirol anhand zahlreicher Beispiele seit dem 16. Jahrhundert zu belegen. Sie beschränken sich nicht nur auf sakrale Gebäude. Diese Deponierungen wurden einerseits im Sinne eines historischen Überlieferungswillens vorgenommen, es handelt sich meist um sakrale Gegenstände mit apotropäischer Wirkung. Dies zeigt, dass die Intention dahinter über die Dokumentation des Baues hinausgeht und sie
durchaus zu den Bauopfern gezählt werden können.176 Ihr Hintergrund steht dem der Grundsteine sehr nahe.177
5. Eine Spielkarte aus Lienz Ein interessanter Fund trat im Jahre 2001 in der Tammerburg in Lienz zu Tage. Zusammen mit anderen Kleinfunden (Fragmenten einer Schalenglocke, einer Stecknadel und einer Gürtelschnalle) tauchte in einem Blindboden eine einzelne geknickte Spielkarte aus dem 16. Jahrhundert auf (siehe Abb. 14). Sie ist eventuell als ein Bauopfer zu werten, das wohl mit dem Beginn oder der Beendigung eines bestimmten Bauabschnittes im Zusammenhang steht.178 In diese Richtung weist auch die Knickung, die eine häufig in Zusammenhang mit rituellen Handlungen zu beobachtende Art der intentionellen Zerstörung von Objekten ist. Spielkarten werden in der Mittelalter- und Neuzeitarchäologie immer wieder angetroffen,179 sie finden sich etwa in Gebäudehohlräumen wie Zwischenböden oder hinter Wandvertäfelungen. Oft ist jedoch (besonders wenn sie in Böden gefunden werden) schwer zu sagen, ob sie Verlustfunde sind oder absichtlich deponiert wurden. Und handelt es sich um intentionelle Deponierungen, so ist der Grund dafür nicht immer ein ritueller. Etwa könnten Falschspieler bestimmte Karten schnell entsorgt haben, oder ein anderer Grund so etwas nötig gemacht haben. Mitunter haben sie etwas mit Verboten zu tun, wie ein in einem Klosteraltar in der Schweiz gefundenes Kartenspiel nahe legt. Eine in einer Bronzestatue entdeckte Spielkarte, stellt wohl einen Sonderfall dar. „Die Motive für die Deponierung von Spielkarten bewegen sich zwischen Alltag und Magie, billiger Entsorgung, traditionellem Bauopfer und spontanen Individualereignissen.“180
Zusammenfassung Das Bauopfer ist ein Paradebeispiel für den Bereich des „Alltagsglaubens“
beziehungsweise der „privaten Religiosität“, der für die Wissenschaft aus verschiedenen Gründen schwer zu handhaben ist. Dieser Tatsache ist es wohl auch zuzuschreiben, dass sich die Forschung an dieses Thema bisher nicht so recht heranwagte und wenn, dann oft nur oberflächlich, sodass die Ergebnisse insgesamt wenig zufriedenstellend ausfielen. Erschwerend kommt noch hinzu, dass das Bauopfer ein derart universelles Phänomen darstellt, dass es kaum in seiner Gesamtheit zu erfassen ist. So zeigt sich die Problematik bereits, wenn es darum geht, die Begriffsintention zu definieren. Diesbezüglich existieren in der Forschung zahlreiche Differenzen, die dazu führen, dass der Begriff in unterschiedlicher Weise auf das Fundgut appliziert wird. Daraus ergeben sich unterschiedliche Ergebnisse. Unterteilt in seine Bestandteile wird die Problematik des Ausdrucks deutlich. Das Teilwort „Bau“ kann entweder als die „Errichtung“ eines Bauwerks oder als das „Gebäude“ selbst interpretiert werden, wobei jedoch nur letzteres zielführend ist. Denn das Bauopfer findet zwar oft während der Errichtung statt, doch muss dies nicht zwingend der Fall sein, wohingegen sich das Opfer immer auf das „Gebäude“ als solches bezieht. Der Begriff des „Opfers“ verursacht noch mehr Komplikationen. Seine Verwendung setzt für zahlreiche Forscher einen persönlich gedachten Empfänger der Gabe voraus. Dieser wird als eine Gottheit oder Ähnliches definiert und der Begriff des Opfers wäre demnach dem so genannten „religiösen Bereich“ hinzuzurechnen. Doch Bauopfer können auch Ergebnisse von rein magischen Handlungen sein, womit sie in den „magisch-abergläubischen Bereich“ fallen würden, welcher vom „religiösen Bereich“ zu trennen sei. Niederlegungen dieses Typs entbehren per definitionem eines persönlich gedachten Empfängers und dürften deshalb nicht als Opfer bezeichnet werden. Dies ist aber falsch. Denn erstens sind die Bereiche „religiös“ und „magisch-abergläubisch“ in Bezug auf die Materie des Volksglaubens nicht zu trennen und zweitens können auch magische und abergläubische Niederlegungen persönlich gedachte Empfänger haben. Überdies kommt die Tatsache hinzu, dass die Opfergabe nicht auf einen solchen Empfänger angewiesen ist, sondern aus sich selbst heraus wirksam sein kann. Diese häufig übergangene Vorstellung stellt sogar die ursprünglichere Form des Bauopfers dar. Der Begriff „Bauopfer“ ist also durchaus brauchbar, wenngleich bei seiner Verwendung eine gewisse Vorsicht geboten ist.
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Bauopfer finden sich seit dem Neolithikum rund um den Globus immer dort, wo Gebäude dauerhaft gemacht werden sollten. Die Menschen versuchten bestimmte Mächte zu ihrem Vorteil zu beeinflussen und rekurrierten zu diesem Zweck auf religiös-magische Praktiken. Dabei spielten verschiedenste Rituale, Opfergaben und Vorstellungen eine Rolle, die sich allerdings alle aus derselben Quelle von Vorstellungen speisen. Die dem Bauopfer zugrunde liegende Idee besagt, dass dem geopferten Objekt – worum auch immer es sich dabei handeln mag – eine besondere Kraft innewohnt, die es befähigt, bestimmte Mächte zugunsten des Gebäudes und seiner Bewohner zu beeinflussen. Zwei Intentionen können der Darbringung eines Bauopfers zugrunde liegen: Erstens das Gebäude gewissermaßen freizukaufen, etwa indem ein „genius loci“ besänftigt wird, in dessen Herrschaftsbereich mit der Errichtung des Gebäudes eingegriffen wurde; Zweitens ein Gebäude für die Zukunft abzusichern, entweder indem negative Kräfte gebannt oder positive angezogen werden. Dies konnte durch eine Gottheit geschehen, die durch das Opfer dazu veranlasst werden sollte, die erbetenen Wirkungen herbeizuführen; Viel öfter aber direkt durch die Wirkmacht des geopferten Objekts. Gängigerweise fanden Bauopfer im Zuge der Errichtung eines Gebäudes statt, allerdings gab es Ausnahmen zu dieser Regel. Auch bei Umbauten wurden gerne Bauopfer dargebracht und gerade in Wohnhäusern ist feststellbar, dass immer wieder zusätzliche „sekundäre Bauopfer“ auftauchen, die mitunter bereits im Zuge der Errichtung ergänzend zum „eigentlichen“ Bauopfer oder aber zu einem späteren Zeitpunkt dargebracht wurden. Diese sind in einigen Fällen nicht in das Haus integriert, sondern nur „lose“ angebracht, z. B. aufgehängt.
Bauopfer wurden verschiedenen Gebäuden eingefügt wie etwa Wohnhäusern, Kirchen aber auch Festungen, Dämmen, Brücken, etc., eben all jenen Bauwerken, die zu „versichern“ man als notwendig erachtete. Die Art der Opfergaben variiert dabei zwischen Menschen-, Tier- und verschiedensten Sachopfern. Hier ist allerdings entgegen der immer wieder auftretenden, veralteten Meinung keine chronologisch lineare Abfolge dieser Gruppen zu beobachten. Die Art der Opfergabe hängt von vielen Faktoren, wie etwa dem Gebäudetyp, dem Hintergrund des Darbringers, sowie freilich auch der Zeit, dem Raum und der Intention ab. Der Brauch des Bauopfers erlebte immer wieder Rationalisierungen und Umdeutungen, diese veränderten meist aber nur das Erscheinungsbild und nicht den eigentlichen Brauch. Dieser wurde weiterpraktiziert, allerdings häufig in Verbindung mit neuen Erklärungen, um 51
mit veränderten Bedingungen zusammenzupassen. Die beliebteste Rechtfertigung war die Berufung auf einen praktischen Nutzen, wie etwa die angeblich schädlingsabwehrende Wirkung einer Katzenmumie. In jüngerer Zeit machte das Bauopfer eine markantere Umdeutung durch, die es zur Grundsteinlegung und somit zum Zeugnis für die Nachwelt rationalisierte, wobei es an Anklängen an die alte Sitte nicht fehlt. Auch das Christentum ging nicht spurlos an diesem Brauch vorbei, denn immer wieder finden sich christliche Objekte als Bauopfer. Zu beobachten ist auch, dass als Bauopfer verwendete Gegenstände geweiht und die Quelle ihrer Kraftwirkung vom Gegenstand selbst auf dessen Weihe übertragen wurde. Für die gewünschte Wirkung stellte es allerdings keinen Unterschied dar, aus welcher Quelle sich die Wirkmacht speist. Trotz solcher partiellen „Verchristlichungen“ blieb der Brauch des Bauopfers im Grunde stets „heidnisch“.
Archäologisch ist der Bereich des Volksbrauchtums nicht leicht zu handhaben, da die Funde zwar zahlreich, doch oft schwer zuzuordnen und noch schwerer zu interpretieren sind – insbesondere weil andere Quellen weitgehend fehlen. Dennoch ist es möglich, fragliche Befunde im Fundgut zu identifizieren und oft lassen sich zumindest Vermutungen über den Hintergrund anstellen. Das ist vor allem deshalb möglich, weil bestimmte Muster immer wieder auftreten, bestimmte Indizien auf rituelle Handlungen hinweisen und bestimmte Orte seit jeher für solche Bräuche beliebt sind. All diese Grundmuster kultischen Handelns änderten sich durch die Zeit kaum, auch wenn sie uminterpretiert wurden.
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XII. Abbildungsteil
Abb. 1 Abfaltersbach. Auerhahnkopf mit durch die Nasenscheidewand gezogener Schnur. M 1:1. Quelle: Stadler 2002.
Abb. 2 Volders. Fotografie und Röntgenbild der Katzenmumie aus Volders. Röntgenbild: Dieter zur Nedden, Institut für Medizin, Innsbruck, Foto: Harald Stadler, Institut für Archäologien, Innsbruck. 53
Abb. 3 Pill/Südtirol. Fotografie und Röntgenbild der Katzenmumie aus Pill. Röntgenbild: Dieter zur Nedden, Institut für Medizin, Innsbruck, Foto: Harald Stadler, Institut für Archäologien, Innsbruck.
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Abb. 4 Schloss Tirol. Doppelkonische und bauchige Glasbehälter. Quelle: Stadler/Schick/Torggler/Terzer 2008.
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Abb. 5 Schloss Tirol. Das Flaschenensemble bei der Auffindung. Quelle: Stadler/Schick/Torggler/Terzer 2008.
Abb. 6 Turris Parva Schloss Tirol. Daubenbecher. M 1:2. Quelle: Stadler 1998.
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Abb. 7 Turris Parva, Schloss Tirol. Kinderschuh. M 1.1. Quelle: Hlaváček 1998.
Abb. 8 Turris Parva, Schloss Tirol. Fragment eines Hemdes. Quelle: Tomedi 1998.
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Abb. 9 Lechtal. Bügeleisen eisen und Beilklinge, M 1:2, Zeichnung: A. Blaickner, Institut für Archäologien, Innsbruck 58
Abb. 10 Lechtal. Planskizze des Hausgrundrisses mit Dokumentation des Fundortes nahe dem Hauseingang, Zeichnung: A. Falch, Griesau, Lechtal.
Abb. 4 Tulfes. Alphonsus-Anhänger, M 1:1. Quelle Spindler/Stadler 2003.
Abb. 5 Tulfes. Zum Anhänger umgearbeitetes silbernes 20-Kreuzerstück der Maria Theresia, M 1:1, Foto: A. Torggler, Institut für Archäologien, Innsbruck.
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Abb. 6 Hall, Stadtpfarrkirche. Inhalt des Turmknopfes: 1 Sebastianspfeil, 2-4 Fragmente von zwei Wachssiegeln, 5 Caravacakreuz., M 1:1. Quelle: Stadler 2006.
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Abb. 7 Lienz, Tammerburg. Spielkarte aus einem Blindboden, Größe ca. 75x50mm. Quelle: Stadler 2003.
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XIII. Literaturverzeichnis Andree-Eysn 1910. Andree-Eysn, Marie, Volkskundliches aus dem bayrisch-österreichischen Alpengebiet, (Braunschweig 1910). Bahnschulte 1961. Bahnschulte, Bernhard, Eier und Zweige als Bauopfer, in: Rheinisch-Westfälische Zeitschrift für Volkskunde (1961) Nr. 8, 222-223. Beth 1986. Beth, Karl, Abwehrzauber, in: Hanns Bächtold-Stäubli, (Hrsg.), Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Bd. 1, Unveränd. Photomech. Nachdr., (Berlin 1986), Sp. 146-150. Beilke-Voigt 2007. Beilke-Voigt, Ines, Das „Opfer“ im archäologischen Befund. Studien zu den sog. Bauopfern, kultischen Niederlegungen und Bestattungen in ur- und frühgeschichtlichen Siedlungen Norddeutschlands und Dänemarks (Berliner Archäologische Forschungen 4), (Rahden/Westf. 2007). Capelle 1985. Capelle, Torsten, Programmatisches zu einer Untersuchung frühgeschichtlicher Bauopfer (Frühmittelalterliche Studien 19), (Berlin 1985), 498-501. Daxelmüller 1980. Daxelmüller, Christoph, Bauopfer, in: Lexikon des Mittelalters Bd. 1, (München 1980), Sp. 1669-1670. Derschka 2005. Derschka,
Harald
R.,
Die
Fundmünzen
vom
Kemptener
„Mühlberg-Ensemble“:
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Report "Zum Bauopfer (nicht nur) in Mittelalter und Neuzeit. Eine archäologisch-historische Annäherung (mit Beispielen aus Tirol) "