"Walter" Woidt - ein ungewöhnlicher Geschäftsmann in China
Als >> Rudolf und Ursula Hamburger 1930 von Berlin nach Shanghai reisten, konnten sie vorübergehend in dem Haus von "Walter" wohnen, der zu dieser Zeit selbst verreisen wollte. "Walter" war der Name, den Ruth Werner in ihrem Buch "Sonjas Rapport" für einen Bekannten wählte, dessen tatsächlichen Namen sie nicht verraten wollte. Trotzdem schrieb sie einige interessante Details: Die Hamburgers kannten den Herrn schon viele Jahre; dieser hatte - nachdem er selbst eine Stelle in China bekommen hatte - seinem Freund Rudolf in Shanghai eine Stelle vermittelt und lud sie ein, in ihrem Haus zu wohnen (S.31).
Nachdem Ursula ihre Agententätigkeit für >> Richard Sorge begonnen hatte, versuchte sie (nach ihrer Darstellung) "Walter" ebenfalls anzuwerben. Sie bezeichnete ihn als "einer der führenden europäischen Geschäftsleute in Shanghai mit Verbindung zu chinesischen Geschäftsleuten und zur Nanking-Regierung". (S.96)
Eigentlich sollten diese Angaben ausreichen, um einen - von nicht allzu vielen - deutschen Geschäftsleuten in Shanghai zu identifizieren, dies ist aber bisher wohl nicht gelungen. Erst nach dem Tod der Autorin (2000) gab es entscheidende Hinweise in einem Buch eines Kollegen aus DDR-Zeiten: E. Panitz schrieb in "Treffpunkt Banbury oder Wie die Atombombe zu den Russen kam": in Shanghai "hatte Rudi Hamburger eine Anstellung als Architekt durch Vermittlung seines Freundes Helmuth Woidt gefunden, in dessen Haus er zunächst mit seiner Frau wohnte". Dies scheint nun der richtige Name zu sein, weitere Informationen gibt es jedoch an dieser Stelle nicht.
Interessant ist allerdings, daß der SPIEGEL vor mehr als einem halben Jahrhundert (34/1951) in einem Artikel über Spionage eine Reihe von Mitarbeitern von Richard Sorge aufzählte - darunter:
"Dr. Woidt (auch sonst unbekannt)"
Die Klammer steht so im Original und deutet an, daß weitere Informationen auch hier nicht zu finden sind, auch bleibt die Quelle unklar.
Bemerkenswert ist, daß sich die Liste auf Japan Ende der dreißiger Jahre bezieht; dies scheint eine Bestätigung dafür zu sein, daß der mysteriöse Herr erstens für Sorge arbeitete und zweitens sowohl in China und als auch in Japan tätig war. Da hier nicht nur der seltene Name in gleicher Schreibweise auftaucht, sondern auch der Titel, stellt sich die Frage, wann und wo Woidt studiert und promoviert hat. Da er 1930 bereits in China war, müßte er schon in den zwanziger Jahren sein Studium abgeschlossen haben. In der Universität Jena gab es 1924 von einem Helmut Woidt die folgende wirtschaftswissenschaftliche Dissertation: "Die Anwendung der Kartellverordnung gegen Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellung."
Es ist zwar nicht eindeutig der gleiche Autor, das Thema würde jedoch zu einem Geschäftsmann der dreißiger Jahre passen. Interessant wäre es auch zu wissen für wen der Dr. nun in China tätig war. Ein chinesischer Aufsatz von 1997 - in dem der Name Woidt vorkommt - erwähnt, daß dieser 1938 (im Regierungsauftrag) in China war und einige Jahre vorher in Shanghai für die deutsche PUTONG DIANLIAO GONGSI gearbeitet hatte - das ist die AEG.
Ein deutscher Autor - Udo Ratenhof - bestätigt beide Angaben; im Register seines Buches steht:
Woidt, Mitarbeiter der AEG, Generalbevollmächtigter des Reichswirtschaftsministers für Ostasien.
(Dies würde Ruth Werners oben erwähnte Einschätzung, er wäre "einer der führenden europäischen Geschäftsleute" gewesen, durchaus bestätigen. Gleichzeitig verwundert es, daß so wenig über diesen Mann bekannt wurde.) In Ratenhofs Buch steht über die Person und die frühen Chinaaktivitäten Woidts nichts, die Darstellung beschränkt sich auf die Zeit 1938/39.
In einer umfangreichen Dissertation über Shanghai erwähnt Astrid Freyeisen einen Brief des Journalisten Klaus Mehnert (1906-1984) an Woidt (1942), der beweist, daß die beiden sich kannten. (Kurioserweise findet sich in Mehnerts Shanghaier Zeitschrift "XXth Century" - 1945 - ein Beitrag von einer Hanna Woidt, über die sonst nichts bekannt ist.)
Es ist auch davon auszugehen, daß der NS-Propagandamann Erwin Wickert (1915-2008), der damals in China und Japan arbeitete und Sorge kannte, Woidt gesehn oder zumindest von ihm gehört hat.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, daß der Geschäftsmann John Rabe (1882-1950),der ebenfalls NSDAP-Mitglied und ein Bekannter von Wickert war, zur gleichen Zeit in China (für Siemens) arbeitete und vermutlich in den gleichen Kreisen wie Woidt verkehrte.
Ein weiterer Propagandaexperte, der sich - wie Woidt - für den deutsch-chinesischen Handel interessierte, war Wolf Schenke (1914-1989). Dieser publizierte im Winter 1937/38 ebenso wie Woidt im OAB (Ostasiatischer Beobachter) über ostasiatische Wirtschaftsprobleme. Auf diesen Zusammenhang wies Christian Taaks in einem neueren Buch hin, in dem er Woidt als Leiter der Wirtschaftsstelle der Landesgruppe China der NSDAP-AO (Auslandsorganisation) in Shanghai bezeichnet. (S.445) In diesem Buch wird auch für "Hellmut Woidt" das Geburtsjahr 1903 angegeben (Geburtsort Penzig oder Landeshut, beides Schlesien), außerdem: NSDAP Mitglied seit 1933, Autor zahlreicher OAB-Beiträge.
Ein weiterer Name, der schon in Sonjas Rapport auftauchte, findet sich auch in dem neuen auch: der Lehrer Fritz Kuck. Laut Ruth Werner war dieser einer der ersten Deutschen, die sie in Shanghai kennen lernte als sie bei "Walter" wohnte (S.36); laut Taaks wurde er 1934 Leiter der Pressestelle der NSDAP-Landesgruppe China-Japan und übernahm 1937 die Schriftleitung des OAB - Woidt war zu dieser Zeit einer der Autoren. (S.546) (Das in diesem Buch angegebene Geburtsjahr von Woidt ist das gleiche wie bei dem oben erwähnten Rudolf Hamburger, auch dieser stammte aus Landeshut - möglicherweise kannten sich beide schon als Schüler.) Allerdings steht auch in dem letztgenannten Buch nichts über die Nachkriegsaktivitäten Woidts, ein Todesjahr ist auch nicht angegeben. Ruth Werner schrieb in ihrem Buch von 1977: "Er starb vor einigen Jahren." Bemerkenswert ist, daß sie davon wußte, da er sicher bis dahin nicht in der DDR - sondern vermutlich in der BRD - gelebt hatte. (Vgl. SHAN-NL Nr. 04, Oktober 2006)
Zusammenfassend kann man also festhalten, daß Woidt wohl aus Schlesien stammte, in den frühen zwanziger Jahren in Deutschland studiert hatte und - mit Unterbrechungen - mindestens zehn Jahre in China gearbeitet hat und in dieser Zeit "nebenberuflich" für Richard Sorge tätig war. Da beide in der Öffentlichkeit als Nazis auftraten und in den Botschaften verkehrten, konnten sie sich problemlos treffen.
Unklar sind vor allem die tatsächliche politische Einstellung des Mannes und der Zeitpunkt des Endes der Zusammenarbeit mit Sorge. Weiterhin wäre es interessant zu wissen, ob Woidts Aufstieg vom
AEG-Geschäftsmann zum NSDAP-Funktionär von Sorge (und seinen sowjetischen Auftraggebern) inspiriert oder gefördert wurde und wie weit Sorge später von Informationen aus diesem Umfeld profitierte.
Woidt war offenbar nicht von der Verhaftung der meisten Mitglieder des Spionagerings in Japan (1941) betroffen und lebte vermutlich - wie Mehnert, Rabe, Schenke und Wickert - nach Kriegsende im Westen Deutschlands und war in den fünfziger Jahren wahrscheinlich noch berufstätig.
Da die heutigen Bibliothekskataloge ihn nicht als Autor weiterer Bücher aufführen, gibt es wohl keine (veröffentlichten) Memoiren, zumindest nicht unter seinem Namen. Man wüßte gern mehr.
Literatur:
Ruth Werner: Sonjas Rapport, Berlin, 1977.
Eberhard Panitz: Treffpunkt Banbury oder Wie die Atombombe zu den Russen kam, Berlin, 2003.
Udo Ratenhof: Die Chinapolitik des Deutschen Reiches 1871 bis 1945, Boppard, 1987.