Artikel in: Eckardt, Frank; Seyfarth, René & Werner, Franziska (Hrsg.) (2015): Leipzig. Die neue urbane Ordnung der unsichtbaren Stadt. Münster: Unrast. S. 132-162. Sandra Schindlauer Wohnungslosigkeit in Leipzig Zwischen historischem Erbe, zentralisiertem Hilfesystem und sich verengendem Wohnungsmarkt1 Mehrere Jahre infolge führte Leipzig die Rangliste der deutschen Großstädte2 mit der höchsten Armutsgefährdung3 an (WDR 29.08.2013). Erst im Jahr 2012 wurde die Stadt, in der 25,9 Prozent der Bevölkerung als armutsgefährdet4 gelten, von Dortmund mit 26,4 Prozent abgelöst (Handelsblatt 03.10.2013). Unterdessen berichten die Medien von Leipzig als »Boomtown« (Die Presse 30.11.2012), »In-Stadt« (Manager Magazin 25.09.2013) oder, in Anlehnung an die poetische Umschreibung Goethes, als »Klein-Paris im Osten« (RP Online 06.05.2009). »Hypezig« (Neue Presse 23.09.2013, Handelsblatt 03.10.2013, Zeit 23.09.2013) wurde mit seinen »prachtvolle[n] Altbau[ten] in Bestlage« (Lutz Schlegel Immobilien 2013) in den vergangenen Jahren zunehmend zum Aktionsraum finanzkräftiger Investor_innen (LVZ 10.08.2012). Während die Stadt seit der Wiedervereinigung bis zum Beginn der zweitausender Jahre noch unter starken Bevölkerungsverlusten, deutlichen Mietrückgängen und hohen Leerständen litt und im Jahr 2000 sogar mit einem Zusammenbruch des Immobilienmarktes gerechnet wurde, scheint sich der Trend inzwischen umgekehrt zu haben (Glock 2006: 167f., Stadt Leipzig 2013: 17). Zeitungen titeln »Immer weniger Leerstand, immer höhere Mieten. Langsam wird’s eng in Leipzig!« (Bild 22.02.2013), Wirtschaftszeitungen (Handelsblatt 05.12.2012) und Finanzcoaches (Menke Finanz Coach GmbH o.J.) raten ihren Kund_innen zu investieren, bevor der »Trend in Richtung Wohnungsengpass« (Deutsche Sachwert Kontor AG 14.02.2011) in Leipzig Wirklichkeit wird. Gleichzeitig liest man in der Leipziger Volkszeitung Überschriften wie »Pro Tag zwei Zwangsräumungen in Leipzig: Mehr Wohnungslose – viele Familien betroffen« (LVZ 16.12.2013) oder »Mehr Obdachlose, aber Caritas und Diakonie schließen "Nachtcafé"« (ebd. 18.12.2013). Zwischen 2008 und 2013 ist die Zahl der Menschen, die das Übernachtungsangebot der drei Leipziger Übernachtungshäuser für wohnungslose Personen nutzen, von 308 Personen auf 476 Personen gestiegen5 (Sozialamt Stadt Leipzig 05.04.2014). Das entspricht einem Anstieg von knapp 54 Prozent6. Hinzu kommen 1
Im Rahmen der Entstehung dieses Beitrages wurden im Jahr 2013 aufgrund der stark limitierten Literatur zum Thema fünf halbstrukturierte Expert_inneninterviews durchgeführt. Auf Wunsch der Gesprächpartner_innen, bei denen ich mich an dieser Stelle herzlich für ihre Unterstützung bedanken möchte, wurden die Namen anonymisiert. Die Codes repräsentieren folgende Personen: I1 2013 ist Straßensozialarbeiter, I2 2013 städtische Bedienstete, I3 2013 Sozialarbeiter, I4 2013 Professor für Sozialarbeit und I5 2013 ist ebenfalls als städtisch Bediensteter tätig. 2 Als Großstadt gelten in Deutschland Städte mit mehr als 100.000 Einwohner_innen (Just 2013: 255). 3 Armutsgefährdet sind nach der Definition des Statistischen Amtes der Europäischen Gemeinschaften (EUROSTAT) Personen, die in Haushalten leben, denen weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Realeinkommens der Gesamtbevölkerung (aktuell 869,00 Euro) zur Verfügung stehen (vgl. Krüger 2011: 16). 4 Die Berechnung und vergleichende Beurteilung des statistischen Armutsrisikos in deutschen Großstädten ist problematisch, weil die bundesweiten Unterschiede in den Lebenshaltungskosten unberücksichtigt bleiben (BSHG i.d.F.v. 13.2.1976, WDR 29.08.2013). Das bedeutet: jemand, der in München, der aktuell teuersten Stadt Deutschlands, statistisch als „arm“ eingestuft wird, hat es schwerer seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, als jemand, der in Leipzig statistisch gesehen arm ist (FAZ 28.10.2013, LVZ 29.08.2013). 5 Daten zum Umfang der Wohnungslosigkeit in anderen sächsischen Städten sind zwar verfügbar, allerdings ist ein Vergleich aufgrund der uneinheitlichen Zählweise in Sachsen nicht sinnvoll. Bisher ist Nordrhein-Westfalen das einzige deutsche Bundesland, in dem alle Städte nach einer einheitlichen Definition seit 1965 jährlich Wohnungslosenzahlen erheben (MAIS 2012 : 28). 6 Bei den angegebenen statistischen Kennziffern handelt es sich um eine Zusammenfassung der Anzahl übernachtender Personen in den drei Übernachtungshäusern der Stadt Leipzig, von denen jeweils eines für Frauen, eines für Männer und eines für Personen mit Suchtmittelabhängigkeit zur Verfügung steht. Kritisch anzumerken ist, dass lediglich die Anzahl der übernachtenden Personen gezählt wird. Es findet kein Abgleich der Nutzer_innen zwischen den Einrichtungen statt. Wegen der Möglichkeit zur Aufnahme beider Geschlechter im Übernachtungshaus für Personen mit Suchtmittelabhängigkeit besteht daher die Möglichkeit von Doppelzählung. Aufgrund der besonderen Suchtproblematik ist jedoch davon auszugehen, dass es sich hierbei um eine geringe Anzahl von Überschneidungen handelt.
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im Jahr 2013 237 Personen, die in so genannte ›Gewährleistungswohnungen7‹ eingewiesen wurden (ebd. 31.12.2013). Des Weiteren darf auch eine unbekannte Anzahl von Personen, die unter freiem Himmel, in Abrisshäusern oder in anderen prekären Wohnverhältnissen (z.B. bei Bekannten oder Freund_innen) übernachtet, nicht außer Acht gelassen werden. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und der Steigerung der (vor allem baulichen) Attraktivität avancierte Leipzig in den vergangenen Jahren zu einer gefragten Großstadt im östlichen Teil der Bundesrepublik. Dass diese Entwicklung häufig auch mit einem steigenden Risiko zur ›sozialen Polarisierung‹ einhergeht, zeigt sich besonders deutlich in den Großstädten, die sich im Wettbewerb um Investor_innen und die erfolgreiche Vermarktung ihres Images bereits etabliert haben. Armut, Gentrifizierungsprozesse und die Entstehung einkommensschwacher Stadtteile sind in diesen Städten ebenso typisch wie steigende Mieten und die zunehmende Verknappung von Wohnraum im Niedrigpreissegment. Die Kombination der beiden letztgenannten Phänomene ist im Hinblick auf die aktuelle Entwicklung der Wohnungslosenzahlen in Leipzig von besonderer Relevanz. Denn dort, wo die Mieten steigen und die Ausweichmöglichkeiten schrumpfen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit zur Anhäufung von Mietschulden und dem anschließenden Verlust der Wohnung infolge von Räumungsklagen. In einer Stellungnahme vom 24.07.2012 gab die Stadt bekannt, dass die Mieten in Leipzig (weiter) gestiegen seien. Als Grund für die allgemeine Mieterhöhung wurde der »Anstieg der Ausstattungsqualität der Leipziger Wohnungen« genannt8 (Stadt Leipzig 24.07.2013). Bedingt durch den Bevölkerungszuwachs9, die Tendenz zur personellen Verkleinerung von Haushalten, die steigende Zahl an Einpersonenhaushalten und den Wohnungsrückbau im Rahmen des Programms ›Stadtumbau-Ost‹, hat sich der Wohnungsleerstand in Leipzig von 69.000 Wohnungen im Jahr 2000 auf 34.000 im Jahr 2010 reduziert (ebd. 2012: 22, vgl. zum Stadtumbau-Ost z.B. Neubauer 2007). Betrachtet man sich analog dazu die Entwicklung der Räumungsklagen in Leipzig, zeigt sich, dass diese zwischen 2006 und 2013 von 987 auf 1.300 gestiegen sind (Sozialamt Stadt Leipzig 30.01.2014). Die Befürchtung hinsichtlich einer zunehmenden Prekarisierung der Wohnungsmarktsituation in Leipzig scheint sich damit zu bestätigen. Geht man davon aus, dass auch die Entwicklung der Wohnungslosenzahlen in starkem Maße von der Beschaffenheit des Wohnungsmarktes abhängig ist, stellt sich vor dem oben beschriebenen Hintergrund einerseits die Frage, ob auch in Zukunft mit einer Steigerung der Wohnungslosenzahlen in Leipzig gerechnet werden muss und andererseits, welche Mittel der Stadt zur Verfügung stehen, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Zwei Umstände werden für die Beantwortung dieser Fragestellungen als zentral angesehen: erstens die Tatsache, dass sich ein großer Teil der Immobilienbestände im Besitz der kommunalen Leipziger Wohnungsbaugesellschaft LWB befindet und nicht, wie z.B. in der Nachbarstadt Dresden10 geschehen, an private Investor_innen verkauft wurde. Zweitens die Tatsache, dass die präventive Ausrichtung und die zentralisierte Organisation des Leipziger Wohnungslosenhilfesystems nach dem Vorbild des ›Fachstellenkonzeptes11‹ dafür sorgt, dass bedürftigen Personen deutlich schneller Hilfen zur 7
Im Rahmen dieser unterkunftssichernden Maßnahme sichert sich die Stadt Leipzig Belegungsrechte bei der kommunalen Immobiliengesellschaft der Stadt Leipzig, der Leipziger Wohnungsbaugesellschaft (im Folgenden LWB). Wohnungs- oder obdachlose Familien können über das Leipziger Sozialamt ordnungsrechtlich in diese Wohnungen eingewiesen werden (I3 2013, I4 2013). 8 Die primären Gründe für den Mietpreisanstieg liegen einerseits in den Neubauaktivitäten finanzkräftiger Investor_innen und andererseits in den intensiven Sanierungsarbeiten (Immobilien Zeitung 22.05.2014). In vielen Altbaugebieten Leipzigs sind die Sanierungsmaßnahmen so weit vorangeschritten, dass nur noch einer von zehn Altbauten modernisierungsbedürftig ist (LVZ 22.03.2012). 9 Die Bevölkerungszahl der Stadt Leipzig ist zwischen 2001 und 2011 von 493.052 auf 531.809 angestiegen (Stadt Leipzig 2012: 12). Allein im Jahr 2011 ergab sich ein positiver Wanderungssaldo von 9.064 Personen (ebd. 7). Vor allem junge Erwachsene im Alter zwischen 18 bis einschließlich 24 Jahren betrachten Leipzig zunehmend als attraktiven Ausbildungsort (ebd. 2009: 4). Im Jahr 2011 bildeten sie mit 5.907 Personen die größte Zuwanderungsgruppe (ebd. 2012: 10). 10 Zur Schuldentilgung verkaufte die Stadt Dresden im Jahr 2006 den gesamte kommunale Wohnungsbestand der ›Woba‹ an einen privaten Investor (FAZ 10.03.2006, SZ 19.03.2014, vgl. für ähnliche Verfahren in den Städten Hamburg, Berlin, Kiel und Nürnberg Held 2011: 676). 11 Ein Fachstellenkonzept in der Wohnungslosenhilfe zeichnet sich primär dadurch aus, dass es in einer Stadt eine zentrale Fachstelle gibt, die mit allen affiliierten Ämtern und Einrichtungen (z.B. Wohnungsamt, Sozialamt, Übernachtungshäuser etc.) in Kontakt steht und von der aus jegliche Beratungsangebote und Hilfen (z.B. die Zuweisung in Gewährleistungswoh-
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Beseitigung oder Verhinderung der Wohnungslosigkeit vermittelt werden können, als dies bei den, vor allem in Westdeutschland weit verbreiteten, dezentral organisierten Hilfesystemen der Fall ist (vgl. zum Fachstellenkonzept MASQT, KGSt & LAG Ö/F 1999, Lutz & Simon 2007: 136ff.). Obwohl beide Umstände im Kontext der aktuellen Entwicklung der Wohnungslosenzahlen zunehmend an Wirkkraft zu verlieren scheinen, ermöglichen sie es der Stadt Leipzig dennoch, den Wohnungsmarkt und damit auch die aktuelle Entwicklung der Wohnungslosenzahlen bis zu einem Mindestmaß unter Kontrolle zu behalten. So lautet eine der zu überprüfenden Thesen des vorliegenden Artikels. Da die beschriebenen Möglichkeiten zur Wohnungsmarktkontrolle offenbar nicht allen deutschen Städten gleichermaßen zur Verfügung stehen, stellt sich ferner die Frage, warum dies in Leipzig der Fall ist. Zur Beantwortung dieser Frage ist es notwendig, einen genaueren Blick auf die wohnungspolitische Geschichte der Stadt zu werfen. Genauer gesagt auf die Entwicklung der Wohnungspolitik vor, während und nach der Wende. Denn die Voraussetzungen für die beiden zentralen Mittel zur Wohnungsmarktkontrolle, so eine weitere These, wurden in der DDR-Zeit geschaffen. Als ein Indiz für die Bestätigung dieser These kann die Tatsache angesehen werden, dass es aufgrund der zentralstaatlich organisierten Wohnungspolitik der DDR-Regierung nach der Wende möglich war, die Bestände der volkseigenen Wohnungsbaugesellschaften in den Besitz der Kommune zu überführen und auf diese Weise eine ausgeglichene Vergabe von Wohnraum an alle Einkommensschichten sicherzustellen. Des Weiteren erlaubte der Umstand, dass es in der DDR kein Hilfesystem für wohnungslose Personen gab, nach der Wiedervereinigung den Aufbau eines Wohnungslosenhilfesystems von Grund auf. Ein weiteres Ziel des vorliegenden Artikels ist es daher, die Bedeutung des ›wohnungspolitischen Erbes‹ der DDR-Zeit für die vergangene und zukünftige Entwicklung der Wohnungslosenzahlen in der Stadt Leipzig zu klären. In diesem Zusammenhang sollen folgende Teilfragen beantwortet werden: wenn man davon ausgeht, dass es in der DDR nach offiziellen Angaben keine Wohnungslosigkeit gab, wie lässt sich dann die hohe Anzahl wohnungsloser Personen in Leipzig nach der Wende erklären? Der Anstieg der Wohnungslosenzahlen erreichte erst im Jahr 1996 seinen Maximalwert von 620 wohnungslosen Personen (Sozialamt Stadt Leipzig 05.04.2014). Wie aber kann die Anzahl wohnungsloser Personen bis sechs Jahre nach der Wiedervereinigung stetig ansteigen, wenn Leipzig noch bis zum Beginn der zweitausender Jahre von starken Bevölkerungsverlusten, deutlichen Mietrückgängen und hohen Leerständen geprägt war? Nachdem die Anzahl wohnungsloser Personen in den Folgejahren stetig zurückging, stieg sie zwischen den Jahren 2000 und 2004 von 403 Personen auf 516 Personen an, bevor sie im Jahr 2005 durch die Einführung der Hartz IV Gesetzgebung und der damit verbundenen verbesserten Absicherung der Mietkosten wieder auf 352 Personen fiel. Seit 2008 steigt die Anzahl der wohnungslosen Personen in Leipzig wieder stetig. Im Jahr 2013 lebten 476 Personen in Leipzig ohne mietvertraglich abgesicherten Wohnraum (ebd.). Vor diesem Hintergrund stellt sich daher abschließend die Frage, wie der steigende wirtschaftliche Wohlstand, die vermehrten Investitionen auf dem Leipziger Wohnungsmarkt und der Rückgang der Armutsgefährdung mit einer steigenden Anzahl wohnungsloser Personen in Einklang zu bringen sind. Wer ist wohnungslos? »In Deutschland muss niemand ohne Wohnung sein, der es nicht will. Schließlich haben wir eines der besten sozialen Sicherungssysteme der Welt. Wer wohnungslos ist, ist selbst schuld an seiner Situation!« Diese Art der Betrachtung wurde von Teresa Gowan (2010: xviii) treffender Weise unter dem Begriff ›sin-talk‹ zusammengefasst. Gemeint ist damit eine Individuen bezogene Schuldzuweisung bei der systembedingte und strukturelle Zusammenhänge im Hinblick auf die Erklärung von Wohnungslosigkeit unbeachtet bleiben. Tatsächlich werden erst seit dem Ende der achtziger Jahre verstärkt auch gesamtgesellschaftliche Entwicklungen wie z.B. die Situation auf dem Wohn- und Arbeitsmarkt in die Erklärung von Wohnungslosigkeit einbezogen. nungen, die Beantragung von sozialen Hilfen etc.) vermittelt und koordiniert werden. Im Gegensatz dazu sind Betroffene bei dezentral organisierten Wohnungslosenhilfesystemen dazu gezwungen, die zuständigen Ämter und Einrichtungen separat aufzusuchen und benötigte Hilfen mehr oder weniger eigenständig aufeinander abzustimmen.
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In Anlehnung an die Definition der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (im Folgenden BAG W)12 wird im Bundesland Sachsen zwischen ›wohnungslosen‹ und ›vom Verlust der Wohnung bedrohten‹ Personen unterschieden (BAG W 2010: 1f.). Grundlegendes Unterscheidungsmerkmal zwischen den beiden administrativen Gruppen ist die Tatsache, ob jemand (noch) über einen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum verfügt (d.h. vom Verlust der Wohnung bedroht ist) oder nicht (d.h. wohnungslos ist). Als ›wohnungslos‹ werden nach den Empfehlungen des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales auch Personen eingestuft, die (freiwillig oder unfreiwillig) weder über ein schützendes Obdach verfügen, noch (institutionelle oder nicht-institutionelle) Unterkunftsmöglichkeiten nutzen (Sächsische Staatskanzlei 22.12.2005: 1258). Da sich diese Personen z.T. vollständig dem institutionalisierten Wohnungslosenhilfesystem entziehen (unabhängig davon, ob es sich dabei um eine freiwillige oder unfreiwillige Entscheidung bzw. um einen temporären oder permanenten Zustand handelt), unterscheidet sich ihre Lebensgestaltung mitunter signifikant von der der übrigen (untergebrachten) wohnungslosen Bevölkerung. Eine begriffliche Abgrenzung bzw. Differenzierung scheint daher notwendig. Deshalb wird für die folgende Betrachtung eine definitorische Differenzierung zwischen ›wohnungslosen‹ und ›obdachlosen‹ Personen vorgeschlagen. Nach diesem Verständnis wären alle obdachlosen Personen wohnungslos, aber nicht alle wohnungslosen Personen obdachlos. Die Wohnungspolitik der DDR-Regierung Neben dem »Recht auf Arbeit« (Art. 24, § 1-3), dem »Recht auf Bildung« (Art. 25, § 1), dem »Recht auf Freizeit und Erholung« (Art. 34, § 1-2) usw. war in der Verfassung der DDR auch das »Recht auf Wohnraum für sich und seine Familie« (Artikel 37 § 1-3) verankert (Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik i. d. F. v. 7. Oktober 1974, Häußermann 2000 : 191, Neubert 1998: 263). Dieses Gesetz garantierte jedem DDR-Bürger und jeder DDR-Bürgerin den Erhalt einer Wohnung zu niedrigen Mietpreisen. Der rechtliche Anspruch auf Wohnraum sollte durch eine zentralstaatliche Vergabe der Wohnungen (›Wohnraumlenkung‹) über volkseigene Wohnungsgesellschaften sichergestellt werden (Geigenmüller 2011: 12, vgl. zur Wohnraumlenkung Melzer 1983: 191ff.). Die Umsetzung des verfassungsrechtlich verankerten Rechts auf Wohnraum scheiterte jedoch an der Realität (Genter 2007: 51, Neubauer 2007: 18). Das lag zum einen daran, dass der Wohnungsbau in den ersten Nachkriegsjahren aufgrund der Fokussierung auf den Aufbau der Grundstoff- und Schwerindustrie stark vernachlässigt wurde (Häußermann & Siebel 1996: 168). Zum anderen überstieg der Bedarf an Wohnraum die Produktionskapazitäten in Ostdeutschland aufgrund der Tatsache, dass bestehende Altbauten nicht instandgehalten oder modernisiert wurden und dadurch nicht länger als Wohnraum zur Verfügung standen: »[…] neu gebaute Wohnungen [wirkten] nur zu etwa zwei Dritteln bestandserhöhend. Ein Drittel des Neubauvolumens wurde durch den zunehmenden Verfall alter Wohngebäude, die nicht mehr bewohnbar und nur statistisch ein Teil des Wohnungsbestandes waren, absorbiert.« (Sander 1994: 8). Ein wesentlicher Grund dafür waren die staatlich festgeschriebenen subventionierten Mieten, die sich zum Zeitpunkt der Wende noch auf dem Niveau von 1936 befanden (Pape 1996: 24). Während die ostdeutschen Mieter_innen von der äußerst geringen Mietbelastung (ca. drei Prozent des Einkommens) profitierten, konnten viele private Vermieter_innen die Kosten für die laufenden Bewirt12
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es zurzeit weder eine allgemeingültige administrative Definition des Begriffes ›Wohnungslosigkeit‹ noch eine bundeseinheitliche Statistik zur Erfassung des Umfangs von Wohnungslosigkeit. Der Antrag auf die Einführung einer bundesweiten Wohnungsnotfallstatistik wurde vom deutschen Bundestag mit Verweis auf die Föderalismusreform, die Zuständigkeit der Kommunen für die Beseitigung von Wohnungslosigkeit und eine Machbarkeitsstudie aus dem Jahr 1998 bereits mehrfach abgelehnt (vgl. hierzu Drucksache 13/1014 vom 13.03.1998, Drucksache 17/10187 vom 27.06.2012, Drucksache 17/10414 vom 31.07.2012). Auf Basis von Beobachtungen der Entwicklungen am Wohnungs- und Arbeitsmarkt, der Zuwanderung, der Sozialhilfebedürftigkeit, regionaler Wohnungslosenstatistiken und Blitzumfragen hat die BAG W ein Schätzmodell entwickelt mit dessen Hilfe sie berechnete, dass im Jahr 2012 rund 414.000 Personen in der Bundesrepublik entweder akut von Wohnungslosigkeit betroffen oder bedroht waren. In Ostdeutschland stieg der Anteil wohnungsloser Personen im Vergleich zum Vorjahr um knapp 17 Prozent von 30.000 Personen in Jahr 2011 auf 35.000 Personen im Jahr 2012 (BAG W 01.08.2013).
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schaftung und Instandhaltung der Immobilien nicht länger aufbringen und waren gezwungen, ihre Wohnungen verfallen zu lassen (Eekhoff 2002: 207, Häußermann & Siebel 1996: 167, Krummacher 1992: 44, Neubauer 2007: 20). Ungefähr die Hälfte aller Altbauwohnungen war zum Ende der DDRZeit so verfallen, dass sie als unbewohnbar eingestuft werden mussten. Hinzu kamen zahlreiche Wohnungen, die sich in einem unzumutbaren und sanierungsbedürftigen Zustand befanden (Häußermann 2000: 191, Krummacher 1992: 45). Häußermann und Siebel (1996: 169f.) sahen eine weitere Ursache für den dramatischen Verfall der Altbauten im sozialistischen Selbstverständnis der DDR-Regierung: »Das Gehäuse einer abgelebten Gesellschaft zu pflegen, paßte nicht in die Theorie, und in der Praxis fehlten Geld, Material und allmählich immer mehr auch die handwerklichen Fähigkeiten.« Dieses immense Defizit an Wohnraum konnte auch nicht durch den deutlichen Bevölkerungsrückgang infolge von Wanderungsbewegungen in Richtung Westdeutschland kompensiert werden (ebd.). Aufgrund der mangelhaften Fähigkeiten der DDR-Regierung zur Wohnraumsicherung waren zu Beginn der siebziger Jahre 600.000 Personen auf Wohnungssuche. 20 Jahre später waren es bereits rund 800.000. Die Wartezeit für die Zuweisung einer Wohnung betrug zwischen einem und anderthalb Jahren, im schlechtesten Fall jedoch bis zu zehn Jahren (ebd., Genter 2007: 51, Rohrmann 1991: 76, Sander: 1994: 8). 1990 lebten schätzungsweise zwei Millionen Menschen in sanierungsbedürftigen oder baufälligen Gebäuden (Geißler 2008: 221). Wohnungslosigkeit in der DDR Die Gleichzeitigkeit von Wohnungsmangel und hohem Leerstand war symptomatisch für die zentralwirtschaftlich organisierte DDR. Die Vergabepolitik der Regierung legte bei der Wohnungsvergabe zum einen die politische, soziale und ökonomische Situation der Bewerber_innen zugrunde und zum anderen das Kernelement der sozialistischen Lebensweise: die Familie. Diese Prioritätensetzung hatte für die Teile der Bevölkerung, die den Vergabekriterien nicht entsprachen, verheerende Folgen. So fielen vor allem unverheiratete Menschen, kinderlose junge Personen und alte Menschen häufig durch das Wohnungsvergaberaster (Geigenmüller 2011: 12, Geißler 2008: 222, Häußermann & Siebel 1996: 174). Da eine Wohnung für diese Personengruppen auf offiziellem Wege unerreichbar schien, richteten sich einige in den vielen leerstehenden und sanierungsbedürftigen Gebäuden ein und schufen dadurch einen parallelen Wohnungsmarkt (Geigenmüller 2011: 12). Die Etablierung des Schwarzwohnens, wie Udo Grashoff (2011) die selbstständige Wohnraumbeschaffung außerhalb der zentralisierten staatlichen Wohnraumlenkung nennt, wurde paradoxerweise durch gesetzliche Regelungen ermöglicht; denn Zwangsräumungen waren in der DDR gesetzlich verboten (Art. 37 § 1-3 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik i. d. F. v. 7. Oktober 1974, Geigenmüller 2011: 12, Häußermann & Siebel 1996: 170). Da der DDR-Regierung eine rechtliche Handhabe gegen das Schwarzwohnen fehlte, gab es trotz staatlicher Wohnraumlenkung und dem Recht auf Wohnraum Menschen, die ohne mietvertraglich abgesicherten Wohnraum in der DDR lebten und damit per definitionem wohnungslos waren. Auf eine weitere Form der Wohnungslosigkeit weisen Hanesch et al. (1994: 86) hin: wenn Alleinstehende nicht (mehr) in der Lage waren ihre Mietverhältnisse fortzusetzen, wurden sie in Alters-, Pflege- oder Behinderteneinrichtungen eingewiesen, auch wenn sie den formalen Anforderungen für eine Einweisung nicht entsprachen. Mithilfe dieser Maßnahmen konnte zwar der Verlust der Unterkunft vermieden werden, allerdings gab es in den Einrichtungen keine Hilfsangebote, die auf die Bedürfnisse und Problemlagen dieser alleinstehenden, als ›wohnunfähig‹ eingestuften, Personen zugeschnitten waren. Doch das war auch nicht das Ziel der DDR-Regierung, die im Hinblick auf die Entwicklung bedarfsgerechter Hilfsangebote keinen Handlungsbedarf sah, da das primäre Ziel der Unterkunftssicherung erreicht schien. In diesem Zusammenhang soll noch einmal ausdrücklich auf Personen hingewiesen werden, die als Stadt- und Landstreicher_innen in der DDR unterwegs waren. Bei dieser heterogenen Personengruppe handelte es sich überwiegend um »[…] junge Menschen, die die geforderte berufliche und politische Anpassung verweiger[te]n.« (John 1988: 394), von Stadt zu Stadt vagabundierten und unter freiem Himmel nächtigten. Dem Vagabundieren, d.h. dem Umherziehen ohne festen Wohnsitz und 5
klares Ziel, galt es mit erzieherischen Maßnahmen entgegenzutreten, um die betroffenen »kriminell gefährdete[n] Bürger13« (zit. in Willing 2008: 313) zu disziplinieren. Vagabundieren wurde von der DDR-Regierung als deviante Lebensweise eingestuft, die nicht nur als Verweigerung der Eingliederung in das bestehende Werte- und Normensystem der DDR angesehen wurde, sondern auch eine Störung und Gefährdung des sozialistischen Gemeinschaftslebens darstellte (ebd. 312, vgl. hierzu auch Hanesch 1994). Hierzu Sven Korzilius (2005: 325): »Die nichtseßhafte Lebensweise entsprach ganz und gar nicht dem Idealbild einer disziplinierten Arbeitsgesellschaft, die in Kollektiven organisiert war, welche eine gewisse gegenseitige Kontrolle ihrer Mitglieder gewährleisteten.« Aufgrund ihrer mangelnden Kontrollierbarkeit betrachtete die Regierung die ›nichtseßhafte Lebensweise‹ als eine Bedrohung für die innere Sicherheit, die strafrechtlich verfolgt werden musste14. Zu diesem Zweck wurden zunächst Erziehungs-, Betreuungs- und Unterstützungsmaßnahmen15 ergriffen. Bei Härtefällen konnten auch Aufenthaltsbeschränkungen, Verweise, Ordnungsstrafen, die Unterbringung in Besserungsanstalten oder Auflagen zu gemeinnütziger Arbeit verhängt werden (John 1988: 395). Grundlage dieser Maßnahmen bildete unter anderem die Festlegung, dass mit dem »Recht auf Arbeit« auch eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Arbeit einherging (Geißler 2008: 221). Land- und Stadtstreicher_innen verbrachten ihr Leben überwiegend auf der Straße und in öffentlich zugänglichen Räumen. Da sie demzufolge weder über mietvertraglich abgesicherten Wohnraum verfügten, noch Teil des parallelen Wohnungsmarktes waren, müssen sie - entgegen der Feststellung von Häußermann (2000: 191), dass es in der DDR zwar Wohnungslosigkeit, aber keine Obdachlosigkeit gab - als ›obdachlos‹ bezeichnet werden. Aufgrund der Kriminalisierung von Obdachlosigkeit und Vagabundentum und den damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen ist anzunehmen, dass es sich dabei um eine geringe Anzahl an Personen handelte. Abschließend bleibt festzuhalten, dass Wohnungslosigkeit und Nichtsesshaftigkeit bzw. Obdachlosigkeit in der DDR existierten, der größte Teil der Bevölkerung jedoch in mietvertraglich abgesichertem Wohnraum lebte, weil es aufgrund des Rechtes auf Wohnraum in der DDR kaum möglich war, bestehenden Wohnraum zu verlieren16 (Art. 37 § 1-3 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik i.d.F.v. 7. Oktober 1974, Häußermann et al. 1996: 170). Die Auswirkungen der DDR-Wohnungspolitik nach der Wiedervereinigung Aus mehreren Gründen kam es in Leipzig nach der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 trotz der vielen Menschen, die aufgrund der schlechten Bausubstanz, Haftentlassungen usw. potentiell von Wohnungslosigkeit bedroht waren, erst mit einer Verzögerung von ungefähr fünf bis sieben Jahren zu einem merklichen Anstieg der Wohnungslosenzahlen. Als primäre Ursache für diese Verzögerung kann die Tatsache angesehen werden, dass sich aufgrund der zentralstaatlich gelenkten Wohnungspolitik der DDR-Regierung nach der Wende nur ein Bruchteil 13
Unter ›kriminell gefährdete Bürger‹ wurden seit 1979 Personen zusammengefasst, »[…] die ernsthafte Anzeichen von arbeitsscheuem Verhalten erkennen lassen, obwohl sie arbeitsfähig sind, sonstige Anzeichen der Entwicklung einer asozialen Lebensweise erkennen lassen, infolge ständigen Alkoholmissbrauchs fortgesetzt die Arbeitsdisziplin verletzten [sic!] bzw. das gesellschaftliche Zusammenleben beeinträchtigen, nach Vollendung des 18. Lebensjahres aus der Betreuung der Organe der Jugendhilfe ausscheiden und bei denen wegen ihres sozialen Fehlverhaltens die Weiterführung der Erziehung notwendig ist.« (§ 1 der Zweiten Verordnung über die Aufgaben der örtlichen Räte und der Betriebe bei der Erziehung kriminell gefährdeter Bürger vom 06.07.1979, GBl. Der DDR I, S. 195-297 zit. in Willing 2008: 313) 14 In der DDR ging man davon aus, dass dem Bürger oder der Bürgerin ›asoziales Verhalten‹ durch harte Strafen (d.h. Arbeitserziehung und Haftstrafen) „aberzogen“ werden konnten. Individuelle Problemlagen, die für die Lebenssituation dieser Personen verantwortlich waren, blieben bei der Beurteilung zur Strafverfolgung unberücksichtigt (Geigenmüller 2011: 12). Das Vagabundieren wurde erst nach mehrfachen Verstößen gegen die Gefährdeten-Verordnung als asoziales Verhalten eingestuft (John 1988: 395). 15 Die zu ergreifenden Maßnahmen waren in der ›Verordnung über die Aufgaben der örtlichen Räte und der Betriebe bei der Erziehung kriminell gefährdeter Bürger‹ (auch ›Gefährdeten-Verordnung‹) (in der Fassung vom 06.07.1976) festgeschrieben. 16 (Offizielle) Angaben zum Umfang der Wohnungslosigkeit in der DDR gibt es nach den Kenntnissen der Autorin nicht. Es liegen lediglich Daten zum Ausmaß der Armut vor (vgl. hierzu Manz 1992: 88).
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des vorhandenen Wohnraums in Privatbesitz befand. Der überwiegende Teil der Wohnungen wurde von den volkseigenen Wohnungsbaugesellschaften verwaltet. Dieser Umstand bedeutete nach der Wende im Hinblick auf die Verwaltung und Zuweisung von vorhandenem Wohnraum eine enorme Erleichterung (I4 2013). Diese positive Wirkung der DDR-Wohnungspolitik sollte allerdings nur bis Mitte der neunziger Jahre anhalten. Bis zur Wende operierte die LWB nach dem zentralstaatlichen Vergabesystem der DDR-Regierung. Im Zuge ihrer Überführung in das westliche Konstrukt einer GmbH erstellten die Verantwortlichen eine Anfangsbilanz, in der neben dem vorhandenem Wohnungsbestand auch der Status der Mieter_innen erfasst wurde. Bei der Durchsicht der Unterlagen fiel auf, dass ein Großteil der Mieter_innen im Zahlungsrückstand war. Maßgeblicher Grund: die Wohnungspolitik der DDR-Regierung. Während in Westdeutschland das Ausbleiben von Mietzahlungen zu einer Kündigung des Mietverhältnisses, einer anschließenden Räumungsklage und letztlich zum Verlust der Wohnung führen konnte, mussten DDR-Bürger_innen aufgrund des »Recht auf Wohnraum für sich und seine Familie« (Artikel 37 § 1-3) in dieser Hinsicht keine Konsequenzen befürchten (I2 2013, I3 2013, I4 2013, Rohrmann 1991: 76). Entsprechend gering erschien nach der Wiedervereinigung auch die Dringlichkeit bzw. Notwendigkeit etwaige Mietrückstände zu begleichen (I3 2013, I4 2013). Als nach 1990 das zentralisierte ostdeutsche System der Wohnraumlenkung durch das westdeutsche System des freien Wohnungsmarktes ersetzt wurde, wurde die Annahme, mietwidriges Verhalten bliebe folgenlos, zu einem großen Problem; denn als sich nach der Wende erste finanzielle Schwierigkeiten infolge von Mietschulden abzeichneten, suchten die Betroffenen keine Hilfe (ebd., I2 2013). Umgekehrt verhängten die ostdeutschen Vermieter_innen zunächst auch keine Sanktionen, wenn Mietparteien im Zahlungsrückstand waren. Erst als mit der Bilanzaufstellung der LWB Mitte der neunziger Jahre das tatsächliche Ausmaß der Mietschulden sichtbar wurde, wurden erstmals Konsequenzen aus Mietrückständen gezogen. Der Schuldenbetrag der Mieter_innen war zu diesem Zeitpunkt aber häufig schon so hoch, dass die fällig gewordenen Ausgleichzahlungen nicht geleistet werden konnten (I3 2013, I4 2013). Infolgedessen stieg die Anzahl der Räumungsklagen in Leipzig sprunghaft an: von 589 im Jahr 1994 auf 934 im Jahr 1996. Im Jahr 1998 waren es bereits 1.222 (Sozialamt Leipzig 30.01.2014). Nun könnte man davon ausgehen, dass parallel dazu auch die Anzahl der wohnungslosen Personen anstieg. Die statistischen Daten belegen diese Vermutung allerdings nicht. Lediglich im Zeitraum zwischen 1994 und 1996 kam es zu einem Anstieg wohnungsloser Personen (von 480 auf 620). Im Jahr 1998 war dieser Wert aber bereits wieder auf 555 Personen gesunken (Sozialamt Leipzig 05.04.2014). Da auch in Leipzig ein nicht unbeträchtlicher Teil des vorhandenen Wohnraums unbenutzbar war, konnte ein Überangebot an Wohnraum nicht der primäre Grund für den ausgebliebenen signifikanten Anstieg bzw. den Rückgang der Wohnungslosenzahlen sein. Warum war dies aber dennoch der Fall? Zunächst kam es unmittelbar nach der Wende zu enormen Wanderungsbewegungen. Für die Stadt Leipzig bedeutete das zwischen 1989 (530.010 Einwohner_innen) und 1991 (503.191 Einwohner_innen) den Verlust von 26.819 Einwohner_innen; 1998 lebten nur noch 437.101 Menschen in Leipzig17 (Stadt Leipzig 2002: 19). Erschwerend hinzu kamen negative Entwicklungen in der natürlichen Bevölkerungsentwicklung. Das Geburtendefizit lag im Jahr 1992 bei 3.793 Neugeborenen (ebd. 35). Weiterhin wirkten die Eigenheimzulage und steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten kompensierend auf den potentiellen Anstieg der Wohnungslosenzahlen. Zu Beginn des neunziger Jahre kam es in Ostdeutschland zu einer Art ›Stadtflucht‹, im Zuge derer auch viele Einwohner_innen der Stadt Leipzig ihren bisherigen Wohnraum verließen, um sich den „Traum von einem Eigenheim im Grünen“ zu erfüllen. Gleichzeitig wurden Investor_innen steuerliche Vergünstigungen für die Sanierungen von in der DDR-Zeit verfallenen Wohngebäuden angeboten. Das Resultat war ein immenses Überangebot an Wohnraum zum Ende der neunziger Jahre (LWB 2006: 20). Der Verlust von Wohnraum infolge des sprunghaften Anstiegs von Räumungsklagen konnte dadurch in der Regel erfolgreich verhindert werden. Unterstützend wirkte dabei auch die Implementierung des städtischen Instrumentes der Ge-
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Der Bevölkerungsverlust in Leipzig sollte bis zum Ende der neunziger Jahre anhalten. Im Zuge der Gebietsreform wurden mehrere umliegende Siedlungen eingemeindet, was zu einem künstlichen Bevölkerungsanstieg führte. „Echten“ Bevölkerungszuwachs verzeichnet die Stadt erst seit dem Jahr 2002 (Stadt Leipzig 2012: 12).
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währleistungswohnungen18. Zwischen 1994 und 1998 wurden auf diese Weise insgesamt 2.485 Männer, Frauen und Kinder mit Wohnraum versorgt (Stadt Leipzig 2002: 60). Aufgrund der genannten Entwicklungen war die Stadt Leipzig nach der Wende nicht gezwungen, innerhalb kürzester Zeit ein Hilfesystem für wohnungslose Personen zu entwickeln. Mittelfristig war der Aufbau eines derartigen Systems für wohnungslose Personen nach Ansicht des damaligen Sozialdiakons und späteren Wohnungsamtsleiters der Stadt, Klaus Hinze, aber unumgänglich (Der Spiegel 1990: 70f.). Bereits kurz nach der Wende trat er deshalb im Rahmen eines Fachforums mit Vertreter_innen der westdeutschen Wohnungslosenhilfe in Kontakt, um deren langjährigen Erfahrungen dazu zu nutzen, Mängel im Aufbau des Leipziger Hilfesystems von Beginn an zu vermeiden (I3 2013, I4 2013, I5 2013). In der dezentralen Organisation vieler westdeutscher Wohnungslosenhilfesysteme erkannten Hinze und seine Mitstreiter_innen ein erstes Defizit: die Verteilung der Zuständigkeiten auf eine Vielzahl von Ämtern und Anlaufstellen verkomplizierte einerseits die Koordination und Kommunikation zwischen den beteiligten Institutionen. Andererseits erschwerte dieser Zustand den Betroffenen die Orientierung im Hilfesystem. Das Leipziger Wohnungslosenhilfesystem sollte deshalb nach dem Vorbild des Fachstellenkonzeptes der Stadt Köln zentralisiert strukturiert werden. Während die Zuständigkeiten weiter bei den entsprechenden Ämtern verblieben, wurde unter kommunaler Leitung eine zentrale Beratungsstelle für wohnungslose Personen eingerichtet, von der aus Hilfeangebote zentral und zielgruppenspezifisch koordiniert werden konnten (I2 2013, I3 2013). Im Gegensatz dazu sollte bei der geographischen Verteilung der Versorgungseinrichtungen für wohnungslose Personen eine dezentrale Verteilung angestrebt werden. Dadurch sollten einerseits die Wege für Betroffene verkürzt werden. Andererseits konnte man auf diese Weise Stigmatisierungsprozesse infolge der Konzentration von Hilfeeinrichtungen in bestimmten Stadtgebieten vermeiden (I3 2013). Mit diesem Gedanken entsprach Hinze den Empfehlungen des Deutschen Städtetages von 1987. Diese besagten, dass eine konzentrierte Unterbringung von obdachlos gewordenen Haushalten zu einer »Entstehung und Verfestigung sozialer Brennpunkte« (Deutscher Städtetag 1987: 34) beitragen würde und daher verhindert werden muss (vgl. hierzu auch Vaskovics & Weins 1979 : 21). Eine weitere Schwäche der westdeutschen Wohnungslosenhilfesysteme stellten Hinze und seine Mitarbeiter_innen im Hinblick auf die primär ›stationäre19‹ Ausrichtung der Unterstützungsangebote fest. In ihren Augen war dieses System für eine schnelle Hilfe und zeitnahe Reintegration der wohnungslosen Personen ungeeignet. Bedingt durch die primär stationären Angebote, verbrachten wohnungslose Personen Menschen im Westdeutschland der neunziger Jahre teilweise mehrere Jahre in den Hilfeeinrichtungen. Um die Betroffenen möglichst schnell wieder zur Normalität zurückführen bzw. die Normalität zu erhalten, wurde das Leipziger Hilfesystem daher ›ambulant‹ strukturiert (I3 2013). Zwischenfazit und aktuelle Entwicklungen
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Das Aufenthaltsrecht in den Gewährleistungswohnungen ist zunächst auf drei Monate begrenzt, kann aber bei Bedarf bis auf sechs Monate erweitert werden. Da die Bewohner_innen dieser Wohnungen zunächst keinen Mietvertrag erhalten, gelten sie per definitionem weiterhin als wohnungslos (I3 2013). Allerdings besteht die Möglichkeit, dass die Gewährleistungswohnungen in ein reguläres Mietverhältnis umgewandelt werden. Jede umgewandelte Gewährleistungswohnung wird durch eine andernorts frei werdende Wohnung mit Belegungsrecht ersetzt. Die Wohnungen sind dadurch über das gesamte Stadtgebiet verteilt. Hierbei handelt es sich um eine bewusste Strategie der Stadt Leipzig zur Vermeidung der Entstehung einkommensschwacher Wohnghettos und damit einhergehender Stigmatisierungsprozesse (vgl. hierzu auch die Forderungen Krönings 1992). Für die Bewohner_innen der Gewährleistungswohnungen hat diese Vorgehensweise zusätzlich den Vorteil, dass sie in ihrem gewohnten Wohnumfeld verbleiben können (I4 2013). 19 Das Hilfesystem für wohnungslose Personen setzt sich aus stationären und ›ambulanten‹ Hilfeeinrichtungen zusammen. Zu den stationären Angeboten gehören z.B. Tagesaufenthalte und Wohnungslosenheime. Den Betroffenen werden von hier aus weiterführende Angebote vermittelt (z.B. die Zuweisung eines Sozialarbeiters oder einer Sozialarbeiterin). Bei ambulanten Angeboten stehen demgegenüber die Prävention und die Erhaltung der Normalität im Vordergrund (Lutz & Simon 2007: 169f.). So werden in Leipzig Personen bei drohendem Verlust der Wohnung (z.B. bei Vorliegen einer Kündigung des Mietvertrages) von Sozialarbeiter_innen in ihrer Wohnung aufgesucht oder unmittelbar nach dem Verlust der Wohnung in Gewährleistungswohnungen eingewiesen (I2 2013).
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Das Ziel des vorliegenden Artikels war es, die Ursachen für die steigenden Wohnungslosenzahlen und die damit zusammenhängenden Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt der Stadt Leipzig zu ergründen, um auf dieser Grundlage eine Prognose über die zukünftige Entwicklung der Wohnungslosenzahlen in Leipzig abgeben und die Möglichkeiten zur Wohnungsmarktsteuerung durch die Stadt bewerten zu können. Indem die Entwicklung der städtischen Wohnungspolitik vor, während und nach der Wende nachgezeichnet wurde, konnte zunächst die Vermutung über den maßgeblichen Einfluss des wohnungspolitischen Erbes der DDR-Regierung auf die Wohnungspolitik und die Wohnungslosenhilfe in Leipzig bestätigt werden. Die Tatsache, dass sich während der DDR-Zeit alle Wohnungen in Staatsbesitz befanden, erwies sich als entscheidende Voraussetzung für die spätere Überführung der Wohnungsbestände in die genossenschaftliche Wohnungsbaugesellschaft LWB. Dieser Umstand stellte nach der Wende eine enorme Erleichterung für die Zuweisung von Wohnraum an bedürftige Personen dar. Als die angestauten Mietschulden der Mieter_innen dann Mitte der neunziger Jahre zu einem rapiden Anstieg der Räumungsklagen führten, hatte die Stadt Leipzig bereits ein ambulant ausgerichtetes Wohnungslosenhilfesystem nach dem Fachstellenkonzept der Stadt Köln eingerichtet. In Verbindung mit der Bereitstellung von Gewährleistungswohnungen, dem hohen Wohnungsleerstand infolge von Wanderungsbewegungen, dem negativen natürlichen Bevölkerungswachstum und der Eigenheimzulage konnte ein Anstieg der Wohnungslosenzahlen nicht nur verhindert, sondern sogar eine Senkung der Wohnungslosenzahlen erreicht werden. Des Weiteren hat die Nachlässigkeit der DDR-Regierung bei der Instandhaltung und Sanierung von Wohngebäuden heute positive Effekte auf die steigende Nachfrage nach Wohnraum in Leipzig: was während der Teilung Deutschlands zu einer Gleichzeitigkeit von Wohnungsmangel und hohem Leerstand führte und nach der Wende Anlass für den Abriss von mehreren tausend Wohngebäuden gab, fungiert heute als so etwas wie eine ›stille Wohnraumreserve‹, die bei Bedarf marktfähig gemacht werden kann. Aktuell handelt es sich dabei in Leipzig um 25.000 bis 30.000 Wohnungen (L-IZ 05.06.2014). Dennoch tauchen in Leipzig ernstzunehmende Probleme im Hinblick auf die Wohnraumversorgung im Niedrigpreissegment auf. So unterliegen die wesentlichen Voraussetzungen für den Erfolg und die Wirkkraft der wohnungssichernden Instrumente (wie z.B. der Gewährleistungswohnungen) seit einigen Jahren tiefgreifenden Veränderungen. Die Unabhängigkeit der LWB und die große Anzahl von Wohnungen in ihrem Kernbestand20 ermöglichten es der Stadt Leipzig, die Entwicklungen auf dem städtischen Wohnungsmarkt, insbesondere im Hinblick auf den Erhalt von Wohnungen im Sozialwohnungs- und Niedrigpreissegment, bis zu einem gewissen Maß zu steuern. Ebenso wie viele andere deutsche Großstädte verkaufte allerdings auch die Stadt Leipzig einen Teil ihrer kommunalen Wohnungsbestände. Unter einer Schuldenlast von 790 Millionen Euro sah sich die Stadt im Jahr 2011 gezwungen, insgesamt 2.577 Wohneinheiten der LWB zu einem Preis von 72,8 Millionen Euro an einen privaten Investor zu verkaufen (LWB 2012: 12, LVZ 12.04.2011). Insgesamt ist der Kernbestand der von der LWB verwalteten Immobilien zwischen 2008 und 2012 um 3.075 Wohnungen geschrumpft (LWB 2012: 12, ebd. 2010: 10). Betrachtet man sich parallel dazu die Entwicklungen im Bestand der teilsanierten Wohnungen, die nach Angaben der LWB primär »die Nachfrage nach Wohnraum im mittleren und unteren Preissegment [bedienen soll]« (ebd. 2012: 12), stellt man fest, dass der Bestand in diesem Segment zwischen 2008 und 2012 von 15.624 Wohnungen auf 12.537 Einheiten zurückgegangen ist21. Der Schluss liegt daher nahe, dass es sich bei den Verlusten im Bestand der LWB um Wohnungen aus dem teilsanierten Kontingent handelte oder anders ausgedrückt: um einen Verlust von mindestens 3.087 Wohnungen im Niedrigpreissegment. Hinzu kommt folgendes Problem: bisher bedeutete jeder Wohnungsverlust von Mieter_innen für die LWB einen weiteren Leerstand und jeder Leerstand Mietverluste. Da die LWB auf Mietzahlungen angewiesen war, hatte sie bisher auch ein ökonomisches Interesse an der Vergabe von Belegungs20
Im Jahr 2012 verwaltete die LWB insgesamt 35.639 Wohnungen in Leipzig (LWB 2012: 13). Das entspricht einem Marktanteil von ungefähr zehn Prozent (LVZ 16.04.2013). 21 Der Bestand an sanierten Wohnungen, die nach Angaben der LWB »hauptsächlich die mittleren und zum Teil gehobenen Preissegmente des Leipziger Wohnungsmarktes [bedient]« (LWB 2012 : 12) stieg dagegen zwischen 2008 und 2010 von 22.809 auf 24.784 Wohnungen an (LWB 2010: 11). Seit 2011 liegt der Anteil an sanierten Wohnungen stabil bei rund 23.000 (LWB 2012: 12).
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rechten an die Stadt. Wie eingangs erwähnt, zeichnet sich seit wenigen Jahren jedoch ein Umbruch auf dem Leipziger Wohnungsmarkt ab. Es ist zu befürchten, dass die LWB bei zunehmenden Interesse privater Investor_innen künftig nicht mehr auf die Mietzahlungen aus Belegungsrechten angewiesen sein wird und es aufgrund der Reduzierung von Wohnungen im Niedrigpreissegment und dem damit einhergehenden Abbau von Gewährleistungswohnungen, auch zu einer Verschärfung der Wohnungslosenproblematik kommen könnte. Der Leipziger Stadtrat hat unlängst auf dieses Risiko reagiert, indem er in einem Beschluss zu Beginn des Jahres 2014 festlegte, dass der Kernbestand der LWB künftig bei 36.000 Wohnungen liegen soll22 (L-IZ 19.03.2014). Der Stadtrat hielt die LWB ferner dazu an, 20 Prozent ihrer Wohnungen auf einem sozialhilfeverträglichen Mietniveau zu halten (Neues Deutschland 04.08.2014). Ein weiterer Grund für die Prekarisierung des Leipziger Wohnungsmarktes liegt in der Erhöhung der Wohnqualität in Verbindung mit den bereits beschriebenen zunehmenden Aktivitäten finanzkräftiger Investor_innen. Zwar leisten die Investor_innen einen wichtigen Beitrag zur Prosperität und zum Aufschwung der Stadt Leipzig, gleichzeitig führen der steigende Wettbewerb und die zunehmende Nachfrage nach Wohnungen aber auch zu einer Steigerung der Mietpreise in Leipzig. Die ersten einkommensschwachen Haushalte haben die Auswirkungen dieser Entwicklung im Rahmen von Gentrifizierungsprozessen im Stadtteil Connewitz bereits erfahren (vgl. hierzu LVZ 09.11.2011). Mit steigenden Mieten bei gleichzeitiger Reduzierung von Leerständen bieten sich für einkommensschwache Haushalte in Leipzig immer weniger Ausweichmöglichkeiten. Der oben bereits erwähnte Verlust von 3.087 teilsanierten Wohnungen aus dem Kernbestand der LWB, die im mittleren und unteren Wohnungspreissegment nicht länger zur Verfügung stehen, kommt erschwerend hinzu. Darüber hinaus droht die Entstehung einkommensschwacher Wohngebiete infolge der Fokussierung der Aktivitäten der LWB auf bestimmte Stadtteile (I4 2013). Da die Gewährleistungswohnungen ebenso wie die Bestände im Niedrigpreissegment an die Wohnungsbestände der LWB gekoppelt sind, wird sich ein erhöhtes Vorkommen dieser Wohnungen in bestimmten Stadtgebieten zukünftig kaum vermeiden lassen. Nicht nur das bereits erreichte Ziel der Verhinderung der Bildung sozial schwacher Stadtteile (nach den Empfehlungen des Deutschen Städtetages von 1987) scheint dadurch gefährdet. Auch die Wohnraumversorgung für einkommensschwache Haushalte, deren Gewährleistung für die Verhinderung von Wohnungslosigkeit entscheidend ist, wird zunehmend unsicherer. Es bleibt abzuwarten, ob das Vorhaben der LWB, den geplanten Wohnungsneubau im Niedrigpreissegment vor allem in den Stadtgebieten Leipzigs zu verwirklichen, in denen ihr Bestandsanteil bei unter fünf Prozent liegt (Neues Deutschland 04.08.2014), dieser Entwicklung entgegenwirken kann. Ein weiterer Hinweis auf eine mögliche Verschärfung der Wohnungslosenproblematik in Leipzig wurde sichtbar, als im Jahr 2011 ein von der Stadt neu eingerichteter Sozialdienst seine Arbeit aufnahm. Mitarbeiter_innen des Leipziger Sozialamtes hatten im Rahmen ihrer ›aufsuchenden Sozialarbeit23‹ die Aufgabe erhalten, Personen, die aufgrund einer beim Gericht vorliegenden Mietvertragskündigung und/oder Räumungsklage akut vom Wohnungsverlust bedroht waren, in ihrer Wohnung zu besuchen. Bei diesen Hausbesuchen trafen die Mitarbeiter_innen des Sozialamtes häufig zehn oder mehr Personen in einer Wohnung an. Bei den Hauptmieter_innen handelte es sich häufig um osteuropäische Staatsbürger_innen, die in Deutschland über ein Aufenthaltsrecht verfügten, amtlich gemeldet waren und dementsprechend legal eine Wohnung anmieten durften. Die zahlreichen Untermieter_innen wurden der Vermieterin oder dem Vermieter hingegen nicht gemeldet24 (I2 2013). Für die Stadt Leipzig ergaben sich daraus gleich mehrere Probleme. Zum einen waren plötzlich mehrere Personen von Wohnungslosigkeit bedroht. Der Erhalt der Wohnung wäre darum umso wichtiger. Andererseits handelte es sich bei den Untermieter_innen aber vielfach um Personen, die sich illegal 22
Dem aktuellen Geschäftsbericht zufolge liegt die LWB im Jahr 2012 mit 361 Wohnungen im Rückstand (LWB 2012: 13). Dieses Defizit soll künftig durch den Neubau von mindestens 500 Wohnungen behoben werden. 23 In der Sozialarbeit mit wohnungs- und obdachlosen Personen unterscheidet man zwischen Angeboten mit ›GehStruktur‹, bei denen die Sozialarbeiter_innen die Hilfebedürftigen z.B. in ihren Wohnungen oder auf der Straße aufsuchen (aufsuchende Sozialarbeit) und solchen mit ›Komm-Struktur‹, bei denen Betroffene die Beratungsstellen eigeninitiativ anlaufen müssen. 24 Es ist unklar, ob dieses Phänomen eine langfristige Folge der EU-Osterweiterungen aus den Jahren 2004 und 2007 ist oder ob sich diese Menschen bereits seit Jahren unbemerkt in Leipzig aufhalten (I2 2013).
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in der Wohnung aufhalten und, aufgrund ihrer ausländischen Staatsbürgerschaft, nur im Einzelfall Anspruch auf Sozialleistungen in Deutschland haben (vgl. hierzu §23 Sozialgesetzbuch XII). Die Stadt Leipzig reagierte auf die Problematik, indem sie den betroffenen Personen eine Fahrkarte bis zur Grenze der Bundesrepublik finanzierte. Die Nachhaltigkeit dieser Maßnahme erscheint jedoch fragwürdig, wenn man bedenkt, dass diese Personen häufig ihre Heimat verlassen haben, um in Deutschland Arbeit zu finden (Erwerbsmigration) und sich hier temporär oder dauerhaft niederzulassen (vgl. z.B. für Pol_innen in Leipzig Glorius 2007: 135ff.). An dieser Stelle sollte angemerkt werden, dass Zuwander_innen aus Osteuropa in Leipzig kein neues Phänomen sind. Kurz nach den EU-Osterweiterungen (in den Jahren 2004 und 2007) kamen viele Menschen aus Osteuropa auf der Suche nach Arbeit nach Leipzig. Damals war das Jobangebot in der Messestadt jedoch nur gering. Nachdem sich diese Information unter den (Erwerbs-)Migrant_innen verbreitet hatte, wurde Leipzig nur noch als Zwischenstation auf dem Weg nach Westdeutschland genutzt (I4 2013). Mittlerweile hat sich der Arbeitsmarkt in Leipzig jedoch erholt und befindet sich im Aufschwung (Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen 2013). Damit einher geht ein erhöhter Bedarf an Facharbeiter_innen, der u.a. durch Erwerbsmigrant_innen aus Osteuropa gedeckt werden könnte. Allerdings eilt der Ruf der Vergangenheit offenbar nicht nur der Stadt Leipzig, sondern dem gesamten Bundesland Sachsen voraus. So klagt die Regionaldirektion der Bundesarbeitsagentur in Chemnitz in einem Zeitungsartikel darüber, dass »zahlreiche Osteuropäer durch Sachsen [reisten], um in Bayern, Baden-Württemberg oder Hessen zu arbeiten« (LVZ 22.08.2011). Die Regionaldirektorin weiter »Die Wirtschaft in Sachsen müsse sich dringend überlegen, wie sie diesen Arbeitskräftedurchzug auf den heimischen Arbeitsmarkt umlenken kann.« (ebd.). Wenn man über die zukünftige Entwicklung der Wohnungslosigkeit in Leipzig sprechen möchte, darf man den Osten der Stadt, insbesondere das Gebiet entlang der Eisenbahnstraße, nicht außer Acht lassen. Neben seiner einkommensschwachen Bewohner_innenstruktur, der hohen Kriminalitätsrate und der dort aktiven Drogenszene, zeichnet sich dieser Teil der Stadt vor allem durch eine hohe Anzahl leerstehender Häuser aus (I1 2013). Diese sind entweder schon seit längerer Zeit unbewohnt oder wurden aufgrund ihrer Unbewohnbarkeit von der Stadt in die Kategorie ›Abrisshaus‹ eingestuft (ebd., I4 2013). Ein Großteil dieser Häuser war bis vor wenigen Jahren relativ offen zugänglich, weil die Gebäude entweder nicht ordnungsgemäß verriegelt wurden oder weil sich Schrottsammler_innen gewaltsam Zugang verschafften. Die zeitweilig bis zu 30 leerstehenden Bauten im Gebiet des Leipziger Ostens wurden von wohnungslosen Personen, Betäubungsmittelabhängigen und Punkern als Unterkunft genutzt25. Nachdem die Medien das Thema aufgegriffen hatten, sah sich die Stadt zum Handeln gezwungen und forderte die betroffenen Hauseigentümer_innen über das Ordnungsamt auf, die Gebäude so zu verriegeln, dass sich niemand mehr unbefugt Zugang verschaffen konnte. Konnte man die Besitzer_innen nicht erreichen bzw. ausfindig machen, wurden die Gebäude durch das Ordnungsamt verriegelt. Mit der Schließung der Abrisshäuser schrumpften die Rückzugsmöglichkeiten für die circa 30 Bewohner_innen26 auf aktuell drei Häuser (I4 2013). Obwohl die Verriegelung sowohl mit Blick auf die illegale Besetzung der Häuser, als auch in Bezug auf die Beendigung menschenunwürdiger Lebensbedingungen als notwendige Maßnahme erscheint, ist es eher unwahrscheinlich, dass die Mitglieder dieses »verborgenen Milieus« (Strunk 2012: 230) die städti-
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In dem Wissen, dass sie sich illegal in den Häusern aufhalten, entwickelten die Bewohner_innen Strategien um unentdeckt zu bleiben. So wurde beispielsweise darauf geachtet, dass nachts kein Licht einzuschalten und die Fenster so abzudunkeln, dass von außen kein Licht zu sehen war. Man stieg durch den Keller, das Hinterhaus oder das Nachbarhaus in das „eigene“ Haus ein, damit nur im Nachbarhaus Bewegung wahrgenommen werden konnte. Auf diese Weise erschienen die okkupierten Häuser weiterhin unbewohnt. Ihre sozialen Kontakte in der Stadt, nutzten die Bewohner_innen dazu, sich mit den überlebensnotwendigen Ressourcen zu versorgen. So transportierten sie auf ihren Fahrrädern regelmäßig Autobatterien zu ihren Bekannten und Freund_innen, luden diese in den Haushalten mit Stromversorgung auf und nahmen sie wieder mit zurück in die Abrisshäuser. Die Bewohner_innen waren dadurch sogar in der Lage, in den Abrisshäusern heißes Wasser und Strom zu erzeugen (I1 2013). 26 Aufgrund der zurückgezogenen Lebensweise können selbst Straßensozialarbeiter_innen nur Schätzungen über die tatsächliche Anzahl der Personen abgeben, die in den Abrisshäusern leben.
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schen Übernachtungseinrichtungen aufsuchen werden27 (I1 2013). Vermutlich werden diese Menschen von einer prekären Unterkunftssituation in die nächste wechseln. Der Mangel an Alternativen außerhalb institutionalisierter (stationärer und ambulanter) Hilfeeinrichtungen hat einige dieser wohnungslosen Personen bereits dazu veranlasst, Unterschlupf in Gartenlauben und Garagen zu suchen oder unter freiem Himmel zu übernachten (I4 2013). Ausblick und Prognosen Der wohnungspolitische Kurs der LWB wird zukünftig eine maßgebliche Rolle bei der Möglichkeit zur Verhinderung und Beseitigung von Wohnungslosigkeit spielen; denn je mehr Bestände an private Investor_innen verkauft werden, desto weniger Kontrolle wird die Stadt Leipzig über den Wohnungsmarkt haben und desto mehr wird sie bei der Unterbringung von Wohnungsnotfällen auf das Wohlwollen privater Investor_innen und Wohnungsbauunternehmen angewiesen sein. Im Hinblick auf die Verhinderung von Wohnungslosigkeit bzw. auf die Möglichkeit der ordnungsrechtlichen Zuweisung von Wohnraum wird insbesondere die Verfügbarkeit von Gewährleistungswohnungen immer wichtiger sein. Die Belegungspraxis für die Gewährleistungswohnungen muss in diesem Zusammenhang neu überdacht werden: während der Bedarf für wohnungslose Haushalte mit Kindern bisher über Gewährleistungswohnungen abgedeckt werden kann, sorgt die Zuwanderung von Studierenden und Auszubildenden aufgrund ihrer Präferenz für kleine und günstige Wohnungen für eine Erschwerung der erfolgreichen Vermittlung alleinstehender wohnungsloser Personen in günstige Wohnungen auf dem freien Wohnungsmarkt28. Da Auszubildende und Studierende auch bereit sind, in Stadtgebiete zu ziehen, die von Einheimischen als eher unattraktive Wohnstandorte (z.B. der Leipziger Osten) angesehen werden, zeichnet sich der Trend der Wohnraumverknappung im Niedrigpreis- und Kleinraumwohnungssegment mittlerweile auch in Stadtteilen ab, die früher nicht besonders nachgefragt waren (I3 2013, LVZ 25.06.2014). Die Zukunft der wohnungslosen Personen in Leipzig ist jedoch nicht allein von den Aktivitäten und den Entscheidungen innerhalb der LWB abhängig. Leipzig verfügt über ein sehr differenziertes Fachstellenkonzept. Von der ›Fachstelle Wohnungsnotfallhilfe‹ des Sozialamtes werden persönliche Hilfen, Notunterbringungen und die Versorgung mit Wohnraum zentral organisiert und koordiniert. Da die zeitintensive Abstimmung zwischen verschiedenen kommunalen Stellen (z.B. zwischen Sozialamt und Wohnungsamt) wegfällt, kann eine zeitnahe, individuelle und dadurch auch effektive Betreuung der Betroffenen stattfinden. Wie sich im Rahmen der vorliegenden Untersuchung gezeigt hat, ist die Anzahl der Nutzer_innen der Leipziger Übernachtungshäuser jedoch trotz des gut ausgebauten Hilfesystems zwischen 2008 und 2013 um knapp 54 Prozent gestiegen. Steigen die Zahlen weiter, kann sich neben den bereits beschriebenen Konsequenzen ein weiteres Problem ergeben: (öffentlich) sichtbare Symptome von Armut wie z.B. bettelnde Menschen in öffentlich zugänglichen Räumen. Bisher trifft man auf Leipzigs Straßen nur selten Bettler_innen an. Obwohl der Umgang mit bettelnden Personen in der Polizeiverordnung der Stadt Leipzig geregelt ist (Stadt Leipzig 2014b: 2) bestand deshalb bisher kaum eine Notwendigkeit zur Durchsetzung dieser Richtlinien. Das könnte sich mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und steigender Attraktivität der Stadt ändern. Leipzig könnte mittel- oder langfristig zu einem Anziehungspunkt für Menschen aus dem Inland und, aufgrund der geographischen Nähe, insbesondere auch für Menschen aus dem (süd-)osteuropäischen Ausland werden. Als erstes Signal für die Verifizierung Bewahrheitung dieser Prognose kann die große Anzahl an Untermieter_innen mit (süd-)osteuropäischer Staatsangehörigkeit, die im Rahmen der aufsuchenden Sozialarbeit entdeckt wurden, angesehen werden. Diejenigen, die es nicht schaffen am neuerlichen Wohlstand der sächsischen Stadt teilzuhaben, werden ebenso wie diejenigen, die z.B. mit organisier27
Als mögliche Ursachen dafür können schlechte Erfahrungen in den Einrichtungen (Gewalt, Diebstahl, Enge, Lärm etc.) oder mit dem Personal, Vorurteile gegenüber den Einrichtungen, psychische Erkrankungen, Freiheitsliebe oder die Tatsache sein, dass sich die betroffenen Personen nicht den Hausregeln der Übernachtungshäuser unterwerfen möchten (I1 2013). 28 Nach einer Erhebung der Stadt betrachten vor allem junge Erwachsene im Alter zwischen 18 bis einschließlich 24 Jahren Leipzig zunehmend als attraktiven Ausbildungsort (Stadt Leipzig 2009: 4). Im Jahr 2011 bildeten sie mit 5.907 Personen die größte Zuwanderungsgruppe (ebd. 2012: 10).
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ten Bettel- oder Drückerbanden nach Leipzig kommen, nicht nur die Leistungsfähigkeit des städtischen Sozial- und Wohnungslosenhilfesystems auf eine harte Probe stellen29, sondern die Stadt auch zu einer Änderung ihres bisher eher liberalen ordnungspolitischen Kurses zwingen. Vor einigen Jahren erlebten die wohnungslosen Personen in Leipzig schon einmal die Konsequenzen der gestiegenen Attraktivität der Stadt. Mitte der neunziger Jahre wurde der Leipziger Hauptbahnhofes zu einem Einkaufs- und Erlebnisbahnhof umgebaut. Vor dem Umbau erfüllte der Hauptbahnhof, nach den Angaben eines interviewten Experten, ausschließlich seine Funktion als Transitstelle; Besucher_innen hielten sich hier in der Regel nicht länger als nötig auf, eine dauerhafte Frequentierung war nicht gegeben. Für wohnungslose Personen, die sich unauffällig verhielten (d.h. nicht herumschrien, Passant_innen ansprachen oder in die Ecken der Bahnhofshalle urinierten) war es zu dieser Zeit relativ problemlos möglich, die Nacht im Hauptbahnhof zu verbringen: das McDonald´s Restaurant auf dem Querbahnsteig, welches an sieben Tagen in der Woche durchgehend geöffnet war (und ist), wurde als Treffpunkt und Aufenthaltsort genutzt und die Bänke in der Bahnhofshalle zum Schlafen. Das änderte sich mit dem Umbau des Hauptbahnhofes innerhalb kürzester Zeit. Plötzlich stand nicht länger nur der Transit, sondern auch das Konsumerlebnis im Vordergrund. Da die Geschäfte im Segment ›Reisebedarf‹ ebenso wie die Cafés im Hauptbahnhof auch an Sonn- und Feiertagen geöffnet waren, wies der Leipziger Hauptbahnhof seitdem auch an den Wochenenden eine durchgehend hohe Frequentierung auf. Mit der Steigerung der Besucher_innenzahlen und der erhöhten Attraktivität stieg auch der Anspruch: der Hauptbahnhof sollte nicht länger nur seine Verkehrsfunktion erfüllen, sondern auch als repräsentativer Referenzpunkt für Besucher_innen und als attraktives Eingangstor zur Stadt Leipzig fungieren. Damit ging auch die Auffassung einher, dass die Nutzung des Hauptbahnhofs reisenden und konsumierenden Menschen vorbehalten sein sollte. Die Umsetzung dieser Richtlinie wurde an einen privaten Wachdienst übertragen, der, gemeinsam mit dem Sicherheitsdienst der Deutschen Bahn und der Bundespolizei, seither für die Kontrolle des Einkaufsbereiches zuständig ist. Seitdem sei der Aufenthalt im Hauptbahnhof ohne erkennbare Konsum- oder Transitabsicht kaum mehr möglich. Selbst Jugendliche, die in Gruppen zusammenstünden und sich lachend miteinander unterhielten, würden von den Wachdiensten (z.B. mit dem Hinweis, dass sie den Laufweg versperrten) zum Weitergehen aufgefordert. Die wohnungslosen Menschen, denen man ihre prekäre Lebenslage (z.B. anhand schmutziger Kleidung) ansehen könne, würden umgehend aus dem Bahnhof verwiesen. Selbst an dem kaum einsehbaren jahrelangen Treffpunkt für die Wohnungslosen- und Trinkerszene, der sich zwischen den beiden Ausgängen des Hauptbahnhofes in einer Ecke mit Warmluftschächten befand, träfen die Sozialarbeiter_innen mittlerweile niemanden mehr an. Die Vermutung liegt nahe, dass die Sicherheitsdienste mittlerweile auch außerhalb des Bahnhofes dafür Sorge tragen, dass sich unerwünschte bzw. potentiell imageschädigende Personen nicht länger im und um das Bahnhofsgebäude aufhalten30 (I2 2013). Im öffentlichen Straßenraum würde die Präsenz von (anhand von Äußerlichkeiten und Verhaltensweisen vermeintlich erkennbaren) wohnungslosen Personen dagegen geduldet so lange ihr Verhalten nicht die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne der Richtlinien der Polizeiverordnung (Stadt Leipzig 2014b) gefährde. Hielten sich wohnungslose Personen allerdings an den repräsentativen und touristisch wichtigen Orten der Stadt auf, sinke die Toleranzschwelle. Lagerten diese Personen z.B. längere Zeit (d.h. länger als zwei Stunden) unter den Arkaden am Rathaus, sei die Wahrscheinlichkeit, dass sie durch die dort ansässigen Geschäftstreibenden bzw. Beamt_innen des Ordnungsamtes zum Gehen aufgefordert würden, wesentlich höher als z.B. in den Nebenstraßen rund um den Markplatz (I2 2013). Im Jahr 2012 stieg die Anzahl der Übernachtungen in Leipzig um gut 13 Prozent an. Die sächsische Stadt führte damit die Liste der wachstumsstärksten Großstädte Deutschlands an. Im Jahr 2013 verzeichnete Leipzig dann einen neuen Besucher_innenrekord (LVZ 26.08.2013). Folgt man der Einschätzung der Leipziger Tourismus und Marketing GmbH, kann auch in Zukunft mit einem zunehmenden 29
Vgl. zur aktuellen Debatte um die Sozialhilfe- und Wohnraumversorgung osteuropäischer Migrant_innen in Deutschland Süddeutsche Zeitung 28.02.2013, Augsburger Allgemeine 04.12.2013 und Zeit 17.01.2014. 30 Es kann damit gerechnet werden, dass die Toleranzschwelle gegenüber wohnungslosen Personen am Leipziger Hauptbahnhof mit der Eröffnung des City-Tunnels im Dezember 2013 und dem geplanten Ausbau bis 2017 weiter sinken wird.
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Interesse der Tourist_innen an der Stadt gerechnet werden (L-IZ 26.07.2014). Es bleibt zu hoffen, dass mit dem steigenden Besucher_inneninteresse nicht auch eine steigende Restriktivität der Ordnungspolitik einhergeht, die sich z.B. an einer verstärkten Bestreifung der Innenstadt durch Beamt_innen des Ordnungsamtes erkennen ließe. Abschließende Bemerkungen Die Stadt Leipzig hat das Risiko einer möglichen Verschärfung der Wohnungslosenproblematik erkannt und auf administrativer Ebene bereits die Erweiterung der präventiven Ausrichtung des Wohnungslosenhilfesystems eingeleitet. So wurde vom Leipziger Sozialamt ein Konzept zum Umgang mit Wohnungslosigkeit bis zum Jahr 2018 erarbeitet, in dem die Verfasser_innen zu dem Ergebnis kommen, dass zwar auf verschiedenen Ebenen Handlungsbedarf besteht, sich aber aktuell keine Anzeichen für die Notwendigkeit einer grundlegenden strategischen Neuausrichtung des Wohnungslosenhilfesystems erkennen lassen (Stadt Leipzig 2014a: 35). Im Konzeptbericht wurde unter anderem festgelegt, dass die Kapazitäten der beiden Übernachtungshäuser für Männer und für Frauen trotz Unterauslastung nicht reduziert werden31 (ebd. 38). Darüber hinaus wurde im Jahr 2011 die Wohnungslosenberatungsstelle „Vier Wände“ um den bereits angesprochenen Sozialdienst erweitert, dessen primäre Aufgabe die Verhinderung des Wohnungsverlustes bei Vorlage einer Mietvertragskündigung oder Räumungsklage ist. Durch die Umstellung auf aufsuchende Sozialarbeit ergab sich die Möglichkeit zur Früherkennung neuer Problemlagen (wie z.B. die überbelegten Wohnungen osteuropäischer Mieter_innen). Die begrüßenswerte Erweiterung der präventiven Angebote im Leipziger Wohnungslosenhilfesystem darf allerdings nicht über den Beschluss zur Schließung des Tagestreffs in der Rückmarsdorfer Straße 5 hinwegtäuschen (ebd. 39f.). Dieser erscheint vor dem Hintergrund der deutlich steigenden Wohnungslosenzahlen kaum verständlich. Insbesondere auch deshalb nicht, weil sich mit der Schließung der Einrichtung nicht nur die ›niedrigschwelligen32‹ Anlaufmöglichkeiten für (zukünftige) wohnungslose Personen reduzieren, sondern auch weil dadurch die entstandene Verbundenheit der Betroffenen mit diesem Ort, die aufgebauten soziale Bindungen und die tagesstrukturierende Funktion des Tagestreffs wegfallen. Aufgrund des stetigen Wachstums der Stadt Leipzig bei gleichbleibendem Wohnungsbestand wird es zunehmend schwieriger Menschen in geeigneten Wohnraum zu vermitteln. Auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse und der Einschätzung der interviewten Expert_innen kann prognostiziert werden, dass sich der Leipziger Wohnungsmarkt in den kommenden zehn Jahren insbesondere für die unteren Einkommensschichten ernsthaft verengen wird. Erste deutliche Tendenzen in diese Richtung sind bereits erkennbar. Von entscheidender Bedeutung für die Verhinderung des, vor diesem Hintergrund als höchstwahrscheinlich geltenden, weiteren Anstiegs der Wohnungslosenzahlen in Leipzig wird nicht nur die ständige Anpassung und der Ausbau zielgruppenspezifischer Hilfeangebote (u.a. durch den Erhalt und die Schaffung niedrigschwelliger Einrichtungen) für wohnungslose und vom Verlust der Wohnung bedrohte Menschen sein. Ebenso wichtig wird sein, inwieweit die Stadt Leipzig in der Lage ist, Veränderungen von mittelbaren Einflussfaktoren der Stadtentwicklung (u.a. die Bestandsentwicklung der teilsanierten Wohnungen im Niedrigpreissegment) zu verfolgen, die Steuerung des Wohnungsmarktes (u.a. über den Bestandserhalt der LWB) unter Kontrolle zu behalten und entsprechend frühzeitig und nachhaltig auf komplementäre Veränderungen (wie z.B. den Zuzug von Menschen aus Südosteuropa) zu reagieren.
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Zwischen 2005 und 2011 betrug die durchschnittliche Auslastung im Männerwohnheim 61 Prozent und im Frauenwohnheim 74 Prozent (Stadt Leipzig 2014a: 32). 32 Ein weiteres Differenzierungsmerkmal in den Angeboten der Wohnungslosenhilfe liegt zwischen ›niedrigschwelligen‹ und ›hochschwelligen‹ Hilfeangebote. Niedrigschwellige Angebote sollen insbesondere die Befriedigung der Grundbedürfnisse für Jedermann sicherstellen. Sie sind so strukturiert, dass eine möglichst geringe Hemmschwelle zur Nutzung besteht. So ist es in Tagestreffs z.B. nicht notwendig seine Identität preiszugeben. Im Gegensatz dazu erfordern hochschwellige Angebote z.B. die Betreuung durch Sozialarbeiter_innen. Es handelt sich hierbei in der Regel um exklusive und spezialisierte Einrichtungen, die z.B. auf die Behandlung von Suchterkrankungen ausgerichtet sind.
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Report "Wohnungslosigkeit in Leipzig. Zwischen historischem Erbe, zentralisiertem Hilfesystem und sich verengendem Wohnungsmarkt. "