\"Wir\" sprechen? Elfriede Jelineks \"Die Schutzbefohlenen\" am Burgtheater

May 22, 2017 | Author: Teresa Kovacs | Category: Migration, Elfriede Jelinek, Drama and Theater, Theater
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Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen am Burgtheater Teresa Kovacs Teresa Kovacs: Zu Beginn Ihrer Inszenierung von Jelineks Die Schutzbefohlenen am Burgtheater fällt auf, dass wir als ZuschauerInnen zunächst kaum etwas sehen. Die Bühne wird bestimmt durch ein überdimensional großes und hell strahlendes Kreuz, das den hinteren Bühnenraum bestimmt. Was wir nur vage erkennen können, sind die Körper der SchauspielerInnen, die im Dunkeln bleiben, deren Gesichter nicht sichtbar sind. Neben der visuellen macht die akustische Ebene einen speziellen Raum auf: wir hören das Geräusch von Wasser und an SchauspielerInnen und später auch für deren Sprechen vorgibt. Während viele RegisseurInnen sich dazu entscheiden, mit ihrer Inszenierung von Die Schutzbefohlenen in die Öffentlichkeit und in den Stadtraum zu gehen, beziehen sie dezidiert das Theater als Kunstraum ein. War Ihnen von Beginn an klar, dass Sie so arbeiten möchten? Michael Thalheimer: Ja, das war klar für mich, denn ich komme vom Theater. Ich tue, was ich am besten kann und suche keinen anderen öffentlichen Raum als dass sie Texte für das Theater sind. Es sind Flächen oder Thematiken, die keine Dramatis personae oder Geschichte kennen. Und trotz dieser Verweigerung aller Kennzeichen, die sonst Bühnenstücke ausmachen, habe ich manchmal das Gefühl, das Theater hat Jelinek gesucht. Vielmehr als Jelinek das Theater. Und so erging es mir auch. Es ist meine erste Arbeit mit einem Text von ihr. Als das Burgtheater mich fragte, ob ich es nicht reizvoll fände, etwas von ihr zu machen, kannte ich vorher schon – reizte es mich sehr zu sehen, wie Jelinek eine antike Formensprache teilweise erhalten hat, beispielsweise das Sprechen zwischen Chor und Gegenchor, sowie eine bestimmte Dramaturgie. Schließlich fand ich, dass die Zeit und der Ort es gebieten, das Stück in Wien umzusetzen. Teresa Kovacs: Jelineks Texte werden immer wieder mit dem Begriff der Überforderung in Kovacs, Thalheimer

scheint es, dass manche RegisseurInnen, wie beispielsweise Nicolas Stemann, setzen. Sie meinten in einem Interview zur Premiere: „Jelinek malt mit vielen Farben – am Ende entsteht ein schwarzes Bild.“ Wie positioniert sich Ihre inszenatorische Arbeit zu dieser Poetik? Michael Thalheimer: Ich kann mich nicht anders konzentrieren als über die Reduktion. Stemann hat das Jelinek-Theater-Bild im deutschsprachigen Raum geprägt. Er geht humorvoller und verspielter an die Texte heran, als ich das tue. Ich arbeite mit derselben Stringenz und Ernsthaftigkeit, als hätte ich beispielsweise einen Aischylos vorliegen. Die enorm umfangreiche Vorlage erfordert es, dass man viel kürzt, ganz ohne sich dabei an einer Geschichte orientieren zu können. Zudem war die Konzentration meinen Anforderungen an die SchauspielerInnen geschuldet: Für mich war klar, dass an diesem Stück chorisch gearbeitet werden soll und die einzelnen SchauspielerInnen innerhalb von acht Wochen ihren Text auch komplett auswendig können müssen. Dass wie bei Stemann abgelesen wird, ist nicht meine Art zu arbeiten. Teresa Kovacs: Sie haben angedeutet, dass sie einige Stränge des Textes weglassen durch die Strichfassung stark betont. Nun hat Jelinek ihren Text, der ursprünglich stark ereignisorientiert auf die Besetzung der Votivkirche durch Asylsuchende reagierte, noch mehrmals erweitert und fortgeschrieben. Etwa hat sie später auch noch das Unglück vor Lampedusa und die Einrichtung eines neuen

Inszenierung in Wien in erster Linie Österreich ansprechen? Michael Thalheimer: Alles andere wäre feige gewesen. Jelineks Text beinhaltet den Diskurs und die Provokation. Wir wurden zudem noch während der Inszenierung mit neuem Textmaterial konfrontiert, sodass für manches am Schluss gar nicht mehr die nötige Zeit vorhanden war. Jelinek hat dann später, inspiriert von der Inszenierung, noch einen zusätzlichen Text über das Wasser geschrieben. Dieses Element funktioniert vielschichtig und assoziativ, es symbolisiert einerseits das Ertrinken, kann andererseits aber auch Geburt bedeuten. Wir haben in der Inszenierung durch das Kreuz auch bildlich die Votivkirche aufgerufen, dann – durch das knietiefe Wasser symbolisiert – wiederum ins Bodenlose zu umgehen. Das Thema Flüchtlingskrise wächst ja ständig weiter, insofern kann Teresa Kovacs: Aus der Inszenierung geht hervor, wie intensiv Sie an der griechischen Formensprache, die Jelineks Stück eingeschrieben ist, arbeiten, beispielsweise mit dem Wechsel zwischen Wir und Ich, Chor und Individuum. Ihre starke Bezugnahme auf Aischylos, die Sie bereits angesprochen haben, macht die chorische

Elfriede Jelinek: Die Schutzbefohlenen. Burg2015. Ensemble. Foto: Reinhard Werner, Burgtheater

Umsetzung der Wir-Passagen nachvollziehbar. War Ihnen von Beginn an klar, dass dieser Part nicht von LaiendarstellerInnen oder Flüchtlingen übernommen werden kann, wie es so oft bei anderen Inszenierungen der Schutzbefohlenen üblich ist? Michael Thalheimer: Tatsächlich stand das außer Frage. Ich kann mit Laien nicht nung, dass im deutschsprachigen Raum zunehmend Experten des Alltags auf die Bühnen gebeten werden, um aus ihrem Leben zu erzählen, offenbar in dem Glauben, hierdurch authentisches Theater zu erzeugen. Das Gegenteil ist der Denn die Bühne schreit nach Öffentlichkeit. Außerdem lebt sie von der Wieder-

Text mit seinen ständigen Perspektivwechseln gar keine im eigentlichen Sinne realen Figuren zu gestalten versucht. Jelinek meinte einmal in einem Telefonat: „Ich kann mir den Text auch ausschließlich von Frauen auf einer Cocktailparty gesprochen vorstellen.“ Diese Distanzierung bestätigte, was ich schon geahnt hatte: Die Schutzbefohlenen erzählt viel weniger über tatsächliche Flüchtlinge als über uns selbst und z.B. unsere Unfähigkeit zur Empathie. Was Jelinek im Endeffekt unternimmt, ist, den antik vorkommenden Perspektivwechsel zwischen Chor, Gegenchor und Individuum in einen Fluss zu überführen, angesichts desverortbarkeit des Sprechens entsteht, evoziert den Gedanken, den ich auch den realen Ereignissen gegenüber hatte: die Welt ist aus den Fugen geraten. Teresa Kovacs: Christiane von Poelnitz hatte vor der Premiere in einem Interview von ihren Bedenken gesprochen, dieses Wir zu verkörpern. Bei Ihnen ist das Wir zwar nicht mit den Schutzsuchenden identisch, ein bisher singulärer Ansatz, der, noch: Traten in der konkreten Probenarbeit mit dem Ensemble des Burgtheaters derartige Vorbehalte zutage? Michael Thalheimer: Es gab Vorbehalte der gesamten Unternehmung gegen-

hochbezahlter Burgtheaterschauspieler in seiner geschützten, barocken Kunstwelt gesagt bekommt, er solle einen ertrinkenden Flüchtling spielen oder die Not und das Leid dieser Personen zeigen. Diese Lüge wollten wir alle nicht, aber was kommt an ihrer statt? Wie groß soll die Distanz sein, die man einnimmt? Das Wir ist dabei nicht das größte Problem, es lässt sich in ein verallgemeinerndes Sprechen übersetzen. Passagen, die in der Ich-Form erzählen, mussten hingegen

alle einzeln zwischen gebotener Distanzname und der Gefahr, zu akademisch und unsinnlich zu geraten, austariert werden. Dabei sind wir auch auf Irrwege Teresa Kovacs: sich deutlich abhebt vom Rest und die zunächst irritiert: Eine opulent ausgestattete Opernsängerin, die die Bühne in dieser ungewöhnlich langen Sequenz räumlich und zeitlich vereinnahmt, wird hier in einen starken Kontrast zu der Inszenierung räumlich entfalten können. Wie kam es zu der Idee? Michael Thalheimer: Die Bigotterie in der Frage, wer Asyl bekommt und wer nicht, die von Jelinek selbst kritisiert wird, die ja auf zwei konkrete Fälle Bezug nimmt, nämlich auf die Einbürgerung der Jelzin-Tochter und auf Anna Netrebko, die als Aushängeschild für Österreich ihren Pass innerhalb von zwei Tagen bekommen hat, sollte auf die Chorsituation übertragen werden. Der Chor beklagt wiederholt, dass „die“ singen darf, während „wir“ nicht gehört werden. Opernsängerin sollte nicht nur als Bild vorhanden sein, sondern auch tatsächlich etwas singen, bei dem das Empathie-Potenzial groß ist. Deshalb habe ich eine bekannte Händel-Arie ausgewählt. Sie handelt von jemandem, der Freiheit sucht tete Staatsoper direkt neben dem Burgtheater, in der dieselben Wienerinnen und Wiener Opern gerührt beklatschen, die dann im echten Leben unfähig zur Empathie sind. Ich lese demnach aus Jelineks Text auch eine Kritik an der Oper und einer Hochkultur heraus, die sich an nichts mehr wirklich reibt. Teresa Kovacs: Sie haben sich für eine zyklische Abfolge der Szenen entschlossen, bei der vor der 19-minütigen Schluss-Sequenz ein Punkt kommt, an dem sich bereits Gesehenes wiederholt, nämlich die Anfangssequenz. Ergab sich die Idee dafür aus der Sprache Jelineks, die selbst immer so wirkt, als würde sie das Bezeichnete lediglich umkreisen, ohne es jedoch gänzlich greifen zu können bzw. aus der zyklischen, scheinbar nicht von der Stelle kommenden Struktur des Textes? Michael Thalheimer: Was Sie sagen, ist richtig. Jelinek schreibt zudem, wie erwähnt, nach der Veröffentlichung an ihren Texten weiter. Vielleicht könnte man ten. Das wäre dann aber nur möglich, weil Sie und ich es in der Sprache spüren. An der besagten Stelle der Inszenierung habe ich Jelinek jedoch lediglich beim Wort genommen. Der Text lautet: „Fangen wir noch einmal von vorne an, es hat gar keinen Sinn, wenn Sie nein! schreien, wir fangen wieder an, und wir werden ohnedies nirgendwo hinkommen […].“ Darüber musste ich auf der Probe sehr lachen und sagte dann: Lasst es uns so machen. Teresa Kovacs: Sie haben die Unabgeschlossenheit des Schutzbefohlenen-Textes erwähnt. Würde es Sie reizen, einen der Fortschreibungstexte zu inszenieren oder gar Ihre aktuelle Inszenierung derart fortzuführen?

Elfriede Jelinek: Die Schutzbefohlenen. Thalheimer, 2015. Ghazal Kazemi. Foto: Reinhard Werner, Burgtheater

Elfriede Jelinek: Die Schutzbefohlenen. Thalheimer, 2015. Ensemble. Foto: Reinhard Werner, Burgtheater

Michael Thalheimer: Reizen würde es mich schon, aber so, wie ich bisher arbeite, ist das Letzte, was ich zu sehen bekomme, die Generalprobe. Ich habe noch so gut wie nie nach der Premiere an etwas weitergearbeitet. Es gibt Regisseure, die das machen, aber ich bin es nicht gewohnt, und mein Zeitplan lässt es wahrscheinlich auch nicht zu. Teresa Kovacs: Abschließend möchte ich mich noch auf ein Interview mit Ihnen im Kurier beziehen, in dem Sie meinten, es sei die Aufgabe des Theaters, Gedächtnis und Gewissen zu sein. Haben Sie einen dezidiert politisch-moralischen Anspruch mit Ihrer Arbeit? Michael Thalheimer: Das ist z.B. etwas, worüber auf den Proben zu den Schutzbefohlenen rege diskutiert wurde. Wenngleich wir es uns als ein Verbot setzten, einen Flüchtling zu spielen, kam ich immer wieder zu dem Punkt, uns dennoch vertretend eine Stimme geben und an das Gewissen und Gedächtnis der Leute appellieren. Denn wenn man mit einem solchen Text umgeht, der so gut seine antiken Bezüge kennt, darf man nicht außer Acht lassen, dass ein griechisches Chor-Wir immer auch auf Inhalte des kollektiven Bewusstseins referieren kann. Nennen wir es also durchaus moralisch, auch wenn dieser Begriff so abgegriffen



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