Widerstand gegen Weiterbildung – eine notwendige Verhaltensweise? Seminararbeit als Modulprüfungsleistung im Modul WB 1 „Genese und Strukur der Weiterbildung“ im Seminar „Weiterbildungsteilnahme und Lernmotivation“ (SoSe 2011, Henrik Bruns, Justus-Liebig-Universität Gießen) vorgelegt von Verena Wellnitz Matrikelnummer: 3013179 Clevelandstraße 28 35394 Gießen
[email protected] Studiengang: BA Außerschulische Bildung
am 09.November 2011 zur Zeit der Abgabe im 3. Semester
Inhaltsverzeichnis 1Einleitung......................................................................................................1 2Regulative der Weiterbildungsbeteiligung...................................................2 3Bildungswiderstand historisch......................................................................3 4Nichtbeteiligung an Weiterbildung ..............................................................5 4.1Nichtteilnahme und Abstinenz .............................................................5 4.2Abstinenztypen nach Bolder.................................................................6 5Widerstand....................................................................................................7 6Zwischenfazit................................................................................................8 7Lernen lebenslänglich: eine Absage.............................................................9 7.1Der Begriffswandel des Lebenslangen Lernens....................................9 7.2Lebenslanges Lernen als Machtspiel..................................................11 7.3Widerstand gegen Lebenslanges Lernen ............................................12 8Fazit............................................................................................................13 9Literaturverzeichnis....................................................................................14
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Einleitung Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Widerstand gegen Weiterbil-
dung, um diese Verhaltensweise kritisch zu hinterfragen. Dafür ist zunächst die Notwendigkeit von – vorrangig beruflicher – Weiterbildung zu klären. Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht ist heute eine hohe Qualifikation der erwerbstätigen Bevölkerung erforderlich, um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu erhalten. Diese Ansicht vertrat Joachim Knoll bereits 1988 in seinen „Thesen zur Weiterbildung“: Neben einem flexiblen bedarfsorientierten Angebot sei eine „hohe Weiterbildungsbereitschaft der Bevölkerung“ vonnöten. (Knoll, 1988: S. 22) Aktuell wird dies aufgrund des diagnostizierten Fachkräftemangels in Deutschland wieder betont. Das Konzept des „lebenslangen Lernens“ der UNESCO impliziert ebenfalls die Forderung ständiger Weiterbildung. Hevorgehoben wird dabei die besondere Bedeutung der beruflichen Weiterbildung, die Verwertbarkeit von Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt. Allerdings besteht bereits seit längerer Zeit eine Diskrepanz zwischen Menschen, die Weiterbildung befürworten und der erheblich geringeren Zahl an tatsächlich Teilnehmenden. So gaben bei einer Umfrage des Berichtssystem Weiterbildung im Jahr 2000 91% der Befragten an, dass jeder bereit sein sollte, sich ständig weiterzubilden. 83 % hielten Weiterbildung für wichtig, um im Alltag besser zurechtzukommen. Andererseits waren immerhin 36 % der Meinung, auch ohne berufliche Weiterbildung im Beruf gut zurechtzukommen (vgl. BMBF 2003: 79). Dies bildet sich auch bei den Teilnahmefällen ab: Die Weiterbildungsbeteiligung der Bevölkerung im Alter von 19 – 64 Jahren lag laut BSW im Jahr 2007 insgesamt bei 43 %, allerdings partizipierten nur 26 % an beruflicher Weiterbildung (vgl. Rosenbladt / Bilger 2008: 71).
Folglich
stellt sich die Frage, aus welchen objektiven und / oder subjektiven Gründen Erwachsene nicht an Kursen teilnehmen oder ob sie sogar aktiv Widerstand dagegen leisten. Da die allgemeine Erwachsenenbildung eher freiwillig ist,
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beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit dem Widerstand gegen institutionalisierte berufliche Weiterbildung. Die Untersuchung des Phänomens Widerstand gegen Weiterbildung wurde in der Forschung lange vernachlässigt. Im Hinblick auf den demographischen Wandel mit dem ein Rückgang der Erwerbstätigen einhergeht, ist es allerdings unvermeidbar, sich mit den Gründen für Nichtteilnahme an und Widerstand gegen Weiterbildung auseinanderzusetzen. Es gibt Menschen, die strukturell benachteiligt sind und nicht an Weiterbildung teilnehmen können. Andere wollen nicht – sie leisten sozusagen aktiven Widerstand. Es bleibt zu untersuchen, auf welche Art sich Widerstand in der Weiterbildung
äußert, welche objektiven und subjektiven
Gründe es dafür gibt und welche Konsequenzen sich daraus für die Erwachsenenbildung in der heutigen 'Wissensgesellschaft' ergeben. Zu Beginn dieser Arbeit werden Regulative nach Wittpoth genannt, welche objektive Hinderungsgründe für eine Weiterbildungsteilnahme auf der Makro- und Mesoebene darstellen. Nach kurzem geschichtlichen Rekurs werden einige Positionen vorgestellt, die sich kritisch mit dem Thema Widerstand in der Weiterbildung beschäftigen: Die Studien von Axmacher, Bolder und Hendrich sowie Holzer ermöglichen die Auseinandersetzung mit der Thematik zusätzlich aus der Subjektperspektive. In diesem Zusammenhang erfolgt die Klärung und Abgrenzung einiger Synonyme. Nach einem Zwischenfazit sollen zudem die Postitionen von Pongratz und Ahlheit in die Diskussion mit einbezogen werden, welche die Anforderungen des ökonomisierten Bildungssystems an den Menschen verdeutlichen. Abschließend werden Konsequenzen für die Erwachsenenbildung genannt.
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Regulative der Weiterbildungsbeteiligung
Jürgen Wittpoth fragt, ob sich anhand soziodemographischer und milieuspezifischer Merkmale von Personen eine Weiterbildungsbeteiligung erklären läßt und inwiefern gewisse Lebensumstände – z.B. die Familienphase – als Kontextfaktoren regulierend wirken. Er verweist auf das vom
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Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vorgelegte „Berichtssystem Weiterbildung“, dessen Befunde zu soziodemographischen Faktoren eine höhere Teilnahme von Menschen mittleren Alters, höherer Schulbildung und gesichterter beruflicher Position belegen (vgl. Wittpoth 2009: 772). Neben dem milieuspezifischen Einfluß erläutert Wittpoth die Regulation der Weiterbildungsbeteiligung
durch die Kontextfaktoren
Betrieb, Beruf, Familie, soziale Welt, ebensolches Kapital und Raum (vgl. a.a.O.: 774 – 781). Er kommt zu dem Schluß, „...dass sich ohne die Berücksichtigung solcher Faktoren auf keinen Fall erklären lässt, warum Menschen mit bestimmten Personenmerkmalen mehr oder weniger an Weiterbildung teilnehmen.“(a.a.O.: 783)
Es sei darüber hinaus fraglich, ob es ausreiche, diese objektiven Bedingungen aufeinander zu beziehen. Vielmehr liege die Entscheidung für oder gegen eine Teilnahme beim Subjekt. Wittpoth kritisiert den mainstream des Diskurses, die „normativen Implikationen des Blicks auf Weiterbildungsbeteiligung“, welche Nichtteilnahme „a priori […] problematisch“ sieht und nicht nach Ursachen und Gründen fragt (vgl. a.a.O: 784 f). Dies sei nicht länger haltbar, zumal sich Nichtteilnahme grundsätzlich nicht auf bestimmte Milieus beschränkt, sondern sich „durch alle Gruppen der Gesellschaft [zieht]“(ebda: 786).
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Bildungswiderstand historisch
Die Geschichte zeigt, dass Widerstand gegen Bildung kein neues, aber ein im Gegensatz zur Teilnehmerforschung bislang wenig untersuchtes Phänomen ist. Bereits im 19. Jahrhundert war Widerstand gegen bestimmte Bildungsformen feststellbar, der sich jedoch vor allem auf Schulbildung bezog. Holzer verweist in diesem Zusammenhang auf Tolstois radikale Bildungskritik, der sich 'Gedanken über Volksbildung' macht und fordert, den Widerstand gesellschaftlich anzuerkennen und damit konstruktiv umzugehen (vgl. Holzer 2004: 194 – 195). Der subjektive Widerstand gegen Weiterbildung wurde erstmals eingehender von Dirk Axmacher Ende der 1980er Jahre erforscht: Er untersuchte 3
den Widerstand von Meistern, Gesellen und Lehrlingen im Königreich Hannover gegen institutionalisierte Handwerkerfortbildungen im 19. Jahrhundert. Dieser äußerte sich aufgrund der „Enteignungsproblematik“: schulisches, „lebensweltexternes“ Wissen sollte das Erfahrungswissen der Handwerker ersetzen (vgl. Axmacher 1990: 66). In diesem Sinne war Widerstand aus der Subjektperspektive eine notwendige Verhaltensweise. In den 1990er Jahren untersuchte eine Forschungsgruppe des Instituts zur Erforschung sozialer Chancen in Köln wie Barrieren, also objektive Hinderungsgründe, für eine bessere Weiterbildungsbeteiligung abgebaut werden könnten. Das Erkenntnisinteresse verschob sich diametral zur Suche nach subjektiven Gründen für Weiterbildungsabstinenz in der beruflichen Weiterbildung. Die Autoren verweisen darauf, dass die Forderung des Lebenslangen Lernens für viele Menschen negativ konnotiert ist: als „Verhaltenszumutung unter permanentem Innovationsdruck“(Bolder 2000: 17). Wie sich dies als Nichtbeteiligung an Weiterbildung niederschlage, sei jedoch kaum erforscht. In Anlehnung an Axmacher formulierten daher Bolder und Hendrich folgende Generalhypothese: „Es ist von Ablehnung der Teilnahme an und in beschäftigungsnaher Weiterbildung auszugehen, solange deren Sinn nicht einzusehen ist, weil die monetären und psycho-sozialen Kosten in keinem akzeptablen Verhältnis zu ihrem erfahrbaren oder erwartbaren Nutzen stehen und Weiterbildung als fremdbestimmt erlebt wird.“ (Bolder / Hendrich 2000: 35)
Bolder und Hendrich erstellten eine hypothetische Einteilung von „Phänotypen
der
Nicht-Beteiligung
an
beschäftigungsnaher
Weiterbildung“(a.a.O:37). Diese wurde anhand von Falldokumentationen und Interviews empirisch belegt. Bolder hebt an anderer Stelle hervor, dass Weiterbildungsabstinenz aus einer negativen Kosten-Nutzen-Bilanzierung, dem Abwägen objektiver Chancenstrukturen und individueller Ressourcen, entsteht. Die Entscheidung für oder gegen eine Weiterbildungsteilnahme fällt also auf der subjektiven, der Mikroebene (vgl. Bolder 2006: 28). Ablehnende
Motive
können
die
erwartete
mangelnde
berufliche
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Verwertbarkeit der Weiterbildung, welche Bolder als „Sinnlosigkeit“ bezeichnet, sein. Auch kann die durch eine Bildungsmaßnahme zusätzlich nötige Zeit, die z.B. zu Lasten der Familie geht, als „Belastung“ empfunden werden. Bolder hebt hervor, dass es sich um „komplexe Motivgemengelagen“ handelt, die kumuliert die Kosten-Nutzen-Bilanzierung negativ ausfallen lassen (vgl. Bolder 2006: 29 – 30). Eine österreichische Studie aus dem Jahr 2004 von Holzer befaßt sich mit dem Widerstand gegen Weiterbildung und untersucht Gründe für die Weiterbildungsabstinenz im Kontext der Forderung des lebenslangen Lernens als pädagogischem Instrument der Wissensgesellschaft. Sie vergleicht dabei Daten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die forschungsleitende These ihrer Arbeit beruht auf der Annahme, dass „Widerstand
gegen
organisierte
berufliche
Bildungsprozesse
[...]als
Ausdruck einer bewussten Verweigerung der Anforderung, lebenslang zu lernen, gewertet werden [kann].“(Holzer 2004: 3)
Während Bolder und Hendrich in ihrer Arbeit nur am Rande auf Widerstand gegen Weiterbildung eingehen, wird durch ihre Ergebnisse dennoch deutlich, dass Abstinenz nach ihrer Ansicht sehr wohl sinnvoll sein kann. Es scheint daher zunächst eine Abgrenzung der z.T. von den Autoren synonym verwendeten Begriffe Nichtteilnahme, Abstinenz und Widerstand in Bezug auf Weiterbildung erforderlich.
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Nichtbeteiligung an Weiterbildung
4.1 Nichtteilnahme und Abstinenz Nach Holzer ist der Begriff Nichtteilnahme „lediglich Ausdruck für fehlende körperliche Anwesenheit, ohne die dafür relevanten Ursachen zu ermitteln“(Holzer 2004: 143). Allerdings sei ihrer Meinung nach die negative Konnotation des Begriffes Nicht-Teilnahme auffällig. Hier manifestiere sich über Sprache der Anspruch des Systems, wonach
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„Teilnahme als normativ richtiges Handeln gilt. Nichtteilnehmende werden unter diesem Gesichtspunkt zu […] Noch-Nicht-Teilnehmenden. (a.a.O.: 234)“
Für eine Nichtteilnahme gibt es lt. Holzer „Barrieren, Hemmnisse, Hinderungsgründe“, im Sinne von fehlenden Teilnahmemöglichkeiten, nach deren Beseitigung der Zugang zur Weiterbildung frei ist (vgl. a.a.O.: 143 f). Gibt es keine objektiven Barrieren und entscheidet sich das Individuum für Abstinenz, eignen sich nach ihrer Ansicht die Termini Ursachen und Gründe besser, um die Subjektperspektive zu betonen (vgl. ebda). Weiterbildungsabstinenz betont also die Möglichkeit des Menschen, sich bewusst gegen eine Teilnahme an organisierter Weiterbildung zu entscheiden (vgl. ebda). Hier ist eine weitere Differenzierung notwendig, die ich im folgenden erläutern werde.
4.2 Abstinenztypen nach Bolder Bolder et al definieren verschiedene Abstinenztypen: Die Typen der ersten Gruppe tauchen in einer Weiterbildungsmaßnahme deshalb nicht auf, weil sie als „Nicht-Erwerbspersonen“, z.B. Kinder, Invaliden, Ruheständler, und Auszubildende sich gar nicht beruflich weiterbilden müssen. Von der zweiten Gruppe wird normativ die Weiterbildungsteilnahme erwartet, sie bleibt jedoch aus unterschiedlichen Gründen abstinent: Die „Ausgegrenzten“ sind von der Teilnahme branchenspezifisch oder qualifikationsspezifisch ausgeschlossen, oder aufgrund ihres Beschäftigungsverhältnisses als Zeit- oder Schichtarbeiter (vgl. Bolder 2000: 37). Die „Desinteressierten“ verfügen zwar über die nötigen Ressourcen, stehen aber kurz vor dem Ruhestand, arbeiten in einer „wandelresistenten Branche“,
sind generell demotiviert oder „extrinsisch Motivierte“ und
bleiben daher abstinent (vgl. ebda). „Verweigerer“ stellen die dritte Gruppe bei Bolder et al dar, welche sich wiederum in zwei Untergruppen aufteilt: „Ausweicher“ und „Widerständler“. Erstere reagieren auf die Weiterbildungsforderung mit Vermeidung, indem sie in eine andere Tätigkeit wechseln oder in gesellschaftlich
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akzeptierte Rückzugsformen ausweichen, z.B. Krankheit, Überlastungssyndrom oder die familienfixierte Hausfrauenrolle (vgl. ebda). Die Gruppe der „Widerständler (im engeren Sinne)“(ebda) äußert ihren Unmut entweder durch „Wegschlafen“, bzw. „Nicht-Beteiligung am Weiterbildungsprozeß“ oder aber in deutlicheren Formen wie offener Verweigerung, Stören des Unterrichts, öffentliches Untergraben der Lehrpersonalautorität sowie „anomische[m] […] Abbrechen“ (vgl. ebda). Hier wird deutlich, dass Bolders „Widerständler“ zwar an organisierter beruflicher Weiterbildung teilnehmen, sich jedoch entweder innerlich zurückziehen oder offen protestieren. Dieses eher enge Verständnis von Widerstand steht dem weiteren von Axmacher und Holzer gegenüber, welches zusätzlich zum gesellschaftskritischen ein politisches Verhalten des Widerständigen unterstellt. Im Folgenden wird dies herausgearbeitet.
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Widerstand
Der Duden definiert Widerstand als „das Sichwidersetzen, Sichentgegenstellen“
(Duden
2011:
„Widerstand“).
Axmachers
Definition
von
Widerstand als besonderer Form der Abstinenz geht damit konform: Demnach müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein, um von Widerstand gegen Bildung sprechen zu können. Dies sind gesellschaftliche Normen, die den Einzelnen zum Handeln auffordern und seine Verweigerung bzw. sein Unterlassungshandeln als Widerstand bewerten. Das setzt lt. Axmacher voraus, „daß (1) eine Erwartungsstruktur im Hinblick auf ein Aktivhandeln institutionalisiert ist, die (2) ihren Adressaten – über welche Medien auch immer – bekannt ist und (3) in der gemeinsam geteilten Kultur über ein Mindestmaß an Legitimität verfügt“(Axmacher 1992: 204)
Nichtteilnahme wird dann zum Widerstand, wenn es dem Adressaten finanziell möglich ist, das Angebot zu nutzen und er über Gründe verfügt, dies nicht zu tun (vgl. ebda). Konsequenterweise fragt Axmacher in seiner „Paratheorie des Widerstands“:
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„Was hält eigentlich Erwachsene bei […] einem auf hohem Niveau institutionalisierten
Dauerappell
zur
Teilnahme
an
Angeboten
der
Erwachsenenbildung über Jahr und Tag davon ab, von diesen Angeboten Gebrauch zu machen[...]?“(Axmacher 1990: 55)
Axmacher vermutet, dass die Gründe nicht in der Ablehnung von Weiterbildung an sich, sondern gegen die Herrschaft des Bildungssystems, welches
Bildung normativ propagiert und Widerstand nur als Defizit
wahrnimmt (vgl. a.a.O.: 56). Holzer bezeichnet die von Bolder beschriebene Form des Widerstandes in Lehr-Lern-Situationen als „interne Abstinenz“ (vgl. Holzer 2004: 217). Ihre Arbeit befaßt sich schwerpunktmäßig mit der externen Abstinenz, also der körperlichen Nichtteilnahme an beruflicher Weiterbildung (vgl. ebda). Diese definiert Holzer im Sinne Axmachers als Widerstand gegen ein defizitäres Bild vom Menschen (vgl. a.a.O.: 230). In diesem Sinne leisten Menschen
„Widerstand
zur
Verteidigung
eines
positiven
Selbstbildes“(a.a.O.: 232). Sie kommt zu dem Ergebnis, dass bildungspolitische Diskurse, die nur die Steigerung der Teilnehmerfälle im Sinn haben „hinterfragt und zwanghafte Konzepte, wie das des lebenslangen Lernens beseitigt werden [müssen]“(Holzer 2004:248) Im Fazit ihrer Arbeit fordert sie einerseits die Beseitigung von Barrieren, damit mehr Menschen ihr „Recht auf Bildung“ wahrnehmen können. Andererseits liege die Entscheidung gegen eine Weiterbildungsteilnahme beim mündigen Subjekt, weshalb sie konsequenterweise die Anerkennung eines „Rechts auf Widerstand“ für nötig hält.
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Zwischenfazit
Wittpoth arbeitet heraus, dass nicht die Regulative, sondern allein die subjektive Entscheidung über Teilnahme oder Nichtteilnahme an Weiterbildung ausschlaggebend ist und kritisiert, dass die Subjektperspektive in der Teilnahmeforschung zu wenig berücksichtigt wurde und wird.
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Axmacher fragt nach der subjektiven Relevanz von Bildung und charakterisiert Widerstand als Unterlassungshandeln, um sich nicht dem normativen Anspruch des Systems unterwerfen zu müssen. Auch Bolder und Hendrich fordern die Abschaffung der „Weiterbildungsforderung als von außen gesetzte Bringschuld“(Bolder / Hendrich 2000:
264).
Sie
weisen
daraufhin,
dass
Weiterbildungsabstinenz
gesamtgesellschaftlich wenig, aus der Subjektperspektive aber durchaus sinnvoll sein kann, weshalb sich die Weiterbildungspädagogik mehr den lebensweltlichen Bedingungen der Adressaten annähern müsse (vgl. ebda). Holzer teilt diese Ansicht und erhebt Widerstand als bewußte Verweigerung zur pädagogischen Kategorie, welche durch die Anerkennung eines „Rechts auf Widerstand“ legitimiert werden sollte. Läßt sich aus den beschriebenen Positionen ableiten, Widerstand gegen Weiterbildung sei eine notwendige Verhaltensweise? An dieser Stelle soll dazu die Perspektive des kritischen Bildungswissenschaftlers Ludwig A. Pongratz in die Diskussion eingebracht werden.
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Lernen lebenslänglich: eine Absage
7.1 Der Begriffswandel des Lebenslangen Lernens Der aktuelle Begriff des 'lebenslangen Lernens' beschreibt laut Pongratz einen „bestimmten Handlungstypus […] innerhalb eines marktförmigen Bildungsraums.“ (Pongratz 2010: 154) Der Mensch ist dazu aufgerufen, sein eigenes Lernvermögen ständig weiterzuentwickeln. Die emanzipatorische Idee freiwilliger Erwachsenenbildung ist endgültig obsolet – europäische Programme proklamieren (man beachte die Wortwahl!) „Alle in Europa lebenden Menschen - ohne Ausnahme – sollen die Chance haben, sich an den gesellschaftlichen Wandel anzupassen.“ (Europäische Kommission 2000: 3)
Pongratz weist darauf hin, dass der von der UNESCO in den 70er Jahren geprägte ursprüngliche Begriff „lifelong education“ die Entfaltung des Menschen innerhalb eines egalitären, partizipatorischen Gesellschaftsmodelles, welches Lebenslanges Lernen als ein Bürgerrecht sah, bezeichnete. 9
Der ebenfalls in den 70er Jahren von der OECD geprägte Begriff der „recurrent education“ schloß bereits wechselnde Phasen von Beruftstätigkeit und Aus – und Weiterbildungszeiten Erwachsener ein. Zu dieser Zeit wurde sehr in Bildungssysteme investiert, um die Bildungsbeteiligung zu erhöhen und das Wirtschaftswachstum zu fördern (vgl. Pongratz 2010:156). In den 90er Jahren wird das Konzept schließlich zur „Produktionsstrategie anpassungsfähiger Humanressourcen“(a.a.O: 157). Die Forderung, dass alle lebenslang lernen dürfen wird nun um die Überzeugung reicher, dass dies auch alle können: Die Lebenszeit des Erwachsenen bezeichnet nicht länger einen Zustand der Stabilität und Ruhe. Vielmehr rücken permanente Wandlungsprozesse in den Vordergrund, die den Einzelnen verunsichern. Pongratz verweist auf Kade, der dieser Verunsicherung den pädagogischen Zuspruch gegenüberstellt, diese könne durch lebenslanges Lernen immer wieder bewältigt werden (vgl. a.a.O: 158). Gleichzeitig wächst die Erwartung an den Einzelnen im Sinne einer Bringschuld, sein Know-how ständig auf dem laufenden zu halten. Dadurch wird der Begriff des lebenslangen Lernens laut Pongratz entgrenzt: „[...] er bezieht sich auf organisiertes wie nichtorganisiertes […] Lernen; er richtet sich
ohne Ausnahme an alle und jeden; er stellt nicht nur den
Anspruch an Einzelne, ein Leben lang zu lernen, sondern zielt darauf ab, die 'lernende Gesellschaft' hervorzubringen.“(Pongratz 2010: 160)
Offensichtlich gab es an dieser Stelle bereits Kritik, denn die Europäische Kommission erklärte das Jahr 1996 zum „Europäischen Jahr des lebensbegleitenden“ - und nicht lebenslänglichen Lernens, die negative Konnotation vermeidend. Dieser Terminus erinnert laut Pongratz an Foucaults „Pastoralmacht“, welche die christlich-religiöse Darstellung einer Beziehung zwischen einem „Hirt“, der seine „Herde“ führt mit der „Regierung der Seelen“ gleichsetzt (vgl. Foucault 1987: 248). Auch Peter Ahlheit weist auf diesen Zusammenhang hin, worauf im folgenden eingegangen wird.
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7.2 Lebenslanges Lernen als Machtspiel Ahlheit bringt in seiner Diskursanalyse zum Lebenslangen Lernen das Foucaultsche Konzept der „Gouvernementalität“, d.h. die Art der Regierung als Verknüpfung „politischer“ und „pastoraler“ Machttechniken, in Verbindung mit aktuellen Verlautbarungen der europäischen Kommissionen (vgl. Ahlheit 2010: 81). Aus Platzgründen wird an dieser Stelle nicht auf Foucault eingegangen, zur vertiefenden Lektüre auf Ahlheit verwiesen, der dies ausführlich erläutert (vgl. ebda: 80f). Nach Ansicht des Autors wird Wirklichkeit konstruiert und dies geschieht in Bezug auf Lebenslanges Lernen – ähnlich wie im religiösen Kontext – durch die subtile Ausübung von „Pastoralmacht“ (Ahlheit 2010: 82). Dies belegt er exemplarisch anhand eines Textabschnittes über die „Eigenverantwortung und Selbststeuerung der Lernenden“ des Bund-Länder-KonferenzModellprogramms zum Lebenslangen Lernen von 2001, worin z.B. von einem „Bekenntnis zum lebenslangen Lernen“, sowie von einem „Einstellungswandel“ - im pseudo-religiösen Kontext Bekehrung genannt die Rede ist (BLK, zit. n. Ahlheit 2010:81). Hier wird über subtile Machtmechanismen versucht, die Idee des lebenslangen Lernens in allen Lebensbereichen zu etablieren und die internalisierte Herrschaft zu stabilisieren. Ist ein Aufbegehren dagegen möglich? Bereits 1997 warnte die OECD vor den Folgen des Widerstands gegen 'lifelong learning': „For those [...]who choose not to participate,the generalisation of lifelong learning may only have the effect of increasing their isolation from the world of the 'knowledge-rich'. The consequences are economic, in […] increases welfare expediture, and social, in terms of alienation ...“ (OECD, zit.n. a.a.O.:80)
Ahlheit fragt, wer eigentlich Lernprozesse steuert und kontrolliert und folgert, dass innerhalb des deutschen Lifelong-Learning-Diskurses selbstgesteuertes Lernen unter dem Aspekt der Verwertbarkeit offensichtlich fremdgesteuert wird (vgl. a.a.O.: 83).
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Desweiteren weist Alheit auf eine „subtile Verschiebung von Inhalten“(a.a.O.: 84) hin. Da die Rede über lebenslanges Lernen einerseits wichtig, aber doch wenig konkret sei, kommt er zu dem Ergebnis „dass wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch eine gewisse Verpflichtung haben könnten, die möglicherweise riskanten Folgen des LifelongLearning-Diskurses aufzudecken“(a.a.O: 86-87).
7.3 Widerstand gegen Lebenslanges Lernen Die Bedenkden Ahlheits werden von Pongratz geteilt, der zu bedenken gibt, dass sich die Verheißung des lebenslangen Lernens als Garant für Erfolg und persönliches Glück nur für wenige Mitglieder der Gesellschaft erfüllt. Für die Verlierer des marktorientierten Systems könne es sich „subjektiv als sinnvoll erweisen“, dagegen Widerstand zu leisten und „auszusteigen“ (vgl.Pongratz 2010:164). Er arbeitet heraus, dass es durch die lebenslange Verpflichtung zu Lernen keine Rückzugsmöglichkeiten mehr gäbe: selbst in Zeiten von kurzfristiger Arbeitslosigkeit sei eine ständige Weiterbildungsbereitschaft gefordert. Informelle Lernangebote, Qualifizierungsmaßnahmen, Bildungsgutscheine u.ä. würden bereitgehalten, um die Menschen fortlaufend zu beschäftigen (vgl. ebda). Pongratz prognostiziert, der „alternativlose Zwang zum Dauerlernen [wird] nicht die Verhältnisse menschlicher, sondern die Menschen verhältnismäßig machen“(ebda). Aufgrund der Grenzen menschlicher Belastbarkeit und Anpassungsbereitschaft hält der Autor Widerstand für eine notwendige Verhaltensweise, die allerdings nicht verallgemeinerbar sei, sondern verschiedene Gestalten annehmen könne (vgl. a.a.O.: 165). Interner und externer Widerstand wurden bereits im ersten Teil der vorliegenden Arbeit thematisiert und werden daher nicht mehr ausgeführt. Pongratz fordert eine kritische Auseinandersetzung mit den Widersprüchen innerhalb des Systems und eine Neudefinierung der Programme des lebenslangen Lernens. Dies sei nur durch die Schaffung einer Perspektive möglich, welche „den Menschen zutraut, sie könnten auch
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radikal anders lernen, leben und arbeiten, als die Verheißung des 'lebenslangen Lernens' suggeriert.“(ebda)
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Fazit
Bezugnehmend auf die eingangs gestellte Frage, ob Widerstand gegen Weiterbildung eine notwendige Verhaltensweise darstellt, fasse ich die Ergebnisse der Diskussion zusammen. Bolder und Hendrich, sowie Axmacher und Holzer bemängeln, dass die individuellen Gründe für Widerstand gegen Weiterbildung in der Vergangenheit zu wenig berücksichtigt wurden. Sowohl Bolder, als auch Holzer kritisieren die Marktlogik, die Wissensvermittlung von der Verwertbarkeit der Kenntnisse auf dem Arbeitsmarkt abhängig macht. Nicht jeder sei gewillt, sich diesem System und dem damit vermittelten Bild vom defizitären Subjekt zu unterwerfen. Bolder und Hendrich fordern deshalb einen neuen Diskurs über
den Stellenwert von Weiterbildung aus
Subjektperspektive und die Reorganisation des Weiterbildungssektors (Bolder / Hendrich 2000: 264 – 265). Hier wird auf die Ergebnisse einer aktuellen Betriebsbefragung zum Thema „Weiterbildungspotential Teilzeitkräfte“( Baden / Heid 2011) verwiesen, welche Ursachen für Weiterbildungsabstinenz aufzeigt und Konsequenzen für die Erwachsenenbildung aufzeigt: mehr öffentliche Förderung und die Schaffung eines passgenauen Angebots, welches die Bedarfe der Adressaten berücksichtigt (vgl. ebda). Holzers Forderung nach einem „Recht auf Widerstand“ geht darüber hinaus. Nur dadurch könnte der systemorientierte Totalitätsanspruch aufgebrochen werden. Solange diese noch nicht umgesetzt ist, scheint deshalb Widerstand eine notwendige Verhaltensweise zu sein. Forschungsdesiderate sieht Holzer in einer Ausweitung der Widerstandsforschung, insbesondere im Hinblick auf die unterschiedlichen Ausprägungen der widerständigen Erwachsenen, z.B. in Bezug auf Bildungsstand (vgl. Holzer 2004: 229). Die neueren Beiträge von Pongratz und Alheit zum Diskurs des Lebenslangen Lernens verdeutlichen die Dringlichkeit des Widerstandes gegen die
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Indoktrination, gegen den Zwang zum lebenslangen Lernen. „Burn out“ ist nicht mehr nur ein Syndrom überarbeiteter Manager, sondern längst zur Volkskrankheit geworden, was die Grenzen menschlicher Leistungsfähigkeit deutlich aufzeigt. Um die Neuausrichtung der Weiterbildung – weg von marktwirtschaftlichen Interessen hin zu den Möglichkeiten und Fähigkeiten der Adressaten – zu erreichen, halte ich subjektiv begründeten Widerstand gegenüber Weiterbildung für eine absolut notwendige Verhaltensweise. Wie die aktuelle „Occupy“-Bewegung gegen das Finanzsystem zeigt, kann umso mehr erreicht werden, je mehr Menschen ihren Widerstand gegen Weiterbildung unter Angabe von Gründen öffentlich machen. Die Unterstützung dieses Anliegens durch weitere Publikationen der kritischen Bildungswissenschaft erscheint mir ebenso notwendig, damit der gesellschaftliche Diskurs vorangetrieben wird.
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Literaturverzeichnis
Ahlheit, Peter, „Diskurspolitik“: Lebenslanges Lernen als postmodernes Machtspiel?, in: ders., Lebenslanges Lernen und erziehungswissenschaftliche Biographieforschung:Konzepte und Forschung im europäischen Diskurs, Wiesbaden: VS 2009, S. 77 - 88 Axmacher, Dirk, Bildung, Herrschaft und Widerstand. Grundzüge einer „Paratheorie des Widerstands“ gegen Weiterbildung, in: Probleme des Klassenkampfs 79 (=20 (1990) 2), S. 54 – 74 ders., Widerstand gegen Bildung – Handlungsstruktur und narrativer Kontext eines vergessenen Phänomens, in: Kipp, M. / Czycholl, R. / Dikau, M. / Meueler, E. (Hrsg.): Paradoxien in der beruflichen Aus- und Weiterbildung, Frankfurt a.M.: Verl. der Ges. zur Foerderung arbeitsorientierter Forschung u. Bildung 1992, S. 187 – 213 Baden, Christian / Heid, Sabine, Weiterbildungspotential Teilzeitkräfte, in: Weiterbildung Nr.1, 2011, S. 29 - 31 Bolder, Axel, Warum Lisa M. Und Otto N. nicht weitergebildet werden wollen, in: Faulstich Peter / Bayer, Mechthild (Hg.), Lernwiderstände, Hamburg: VSA 2006, S. 26- 38 Bundesministerium für Bildung und Forschung, Berichtssystem Weiterbildung VIII. Integrierter Gesamtbericht zur Weiterbildungssituation in Deutschland. Bonn 2003, S. 79 Foucault, Michel, Das Subjekt und die Macht, in: Dreyfus / Rabinow / Foucault, Frankfurt:Athenäum 1987, S. 243 – 261 Knoll, Joachim H., Erwachsenenbildung vor der industriellen Revolution: Befunde und Zukunftsprogrammatik in Quellen und Dokumenten, Ehningen bei Böblingen: Expert -Verl., 1988: S.22 Pongratz, Ludwig A., Lernen lebenslänglich: eine Absage, in: ders., Kritische Erwachsenenbildung. Analyse und Anstöße, Wiesbaden : VS, Verl. für Sozialwiss., 2010, S. 153 – 166 Rosenbladt, Bernhard v. / Bilger, Frauke: Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland – Eckdaten zum BSW-AES 2007, München: TNS Infratest Sozialforschung 2008, S. 71 Wittpoth, Jürgen, Beteiligungsregulation in der Weiterbildung, in: Tippelt, Rudolf (u.a. Hg.), Handbuch Erwachsenenbildung / Weiterbildung, 3., überarb. u. erw. Aufl., Wiesbaden: VS, 2009: S. 771 – 788 Bolder, Axel / Hendrich, Wolfgang, Fremde Bildungswelten. Alternative Strategien lebenslangen Lernens, Opladen: Leske und Budrich, 2000 Holzer, Daniela, Widerstand gegen Weiterbildung. Weiterbildungsabstinenz und die Forderung nach lebenslangem Lernen, Wien: LIT, 2004 Duden: „Widerstand“ http://www.duden.de/zitieren/10014508/1.8 (Zugriff 13.10.2011)
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