Wenn Identität mittels einer Maske sichtbar wird. Zu Geschichte, Wesen und Ästhetik von Superhelden. In: Nikolas Immer, Mareen van Marwyck (Hrsg.): Ästhetischer Heroismus. Konzeptionelle und figurative Paradigmen des Helden. Bielefeld: transcript 2013. S. 107–128.
Wenn Identität mittels einer Maske sichtbar wird. Zu Geschichte, Wesen und Ästhetik von Superhelden T HOMAS N EHRLICH
In seinem Aufsatz Heroische und postheroische Gesellschaften vertritt der Politikwissenschaftler Herfried Münkler die These, dass sich im Laufe des 20. Jahrhunderts vor allem die westlichen Staaten zunehmend zu »postheroischen Gesellschaften« gewandelt hätten.1 Grund dafür seien die »Erosion des Religiösen«,2 die nachlassende Unterstützung größerer Bevölkerungsteile für ›heroische Gemeinschaften‹, d. h. für Gruppen und Verbünde, die durch einen Ehrenkodex und / oder militärisches Ethos an Heldenvorstellungen gebunden sind, sowie die ernüchternden Erfahrungen zahlreicher Kriege, von denen nicht einmal die Sieger in erhofftem Maße profitieren konnten. Der politische, militär- und ideengeschichtliche Hintergrund, vor dem Münkler argumentiert, macht seine Auffassung plausibel. Aus kulturhistorischer Perspektive hingegen lässt sich eine andere Entwicklung beobachten: Diese hat statt zur Verabschiedung klassischen Heldentums zu dessen Überbietung, statt zum Abbau »heroischer Dispositionen«3 zur Verbreitung superheroischer Figurationen geführt. Tatsächlich ist der Zweite Weltkrieg als Zeitpunkt, den Münkler für die Durchsetzung postheroischer
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Herfried Münkler: »Heroische und postheroische Gesellschaften«, in: Merkur 61
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Ebd., S. 742.
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Ebd., S. 750 und passim.
(2007), H. 8/9, S. 742–752.
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Tendenzen in Europa und den USA ansetzt,4 zugleich Geburtsstunde eines neuen Heldentyps, der dazu in einem eigenartigen Spannungsverhältnis steht: Superhelden stammen aus dem US-amerikanischen Comic, werden inzwischen jedoch weltweit rezipiert. Ihre imaginären Kräfte, Taten und Geschichten beruhen anders als etwa bei Kriegs-, Sport- oder Arbeitshelden nicht auf realen Leistungen; zugleich haben sie eine Popularität und mediale Präsenz erreicht, die jene lebendiger Vorbilder weit übertrifft.
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Die Entwicklung der Superhelden ist eng verknüpft mit der Geschichte ihres Ursprungsmediums in den USA.5 Comics waren Ende der 1930er Jahre durch ihre Erscheinungsweise vorrangig als knappe daily comic strips oder
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Vgl. ebd., S. 750. Die Geschichte der Superhelden-Comics ist bereits verschiedentlich ausführlich erzählt worden, vgl. insbesondere zu Superman und Batman u. a. Wolfgang J. Fuchs: »Superman – 50 Jahre härter als Krupp-Stahl«, in: Comic Jahrbuch 1988, S. 26-37; ders.: »Superhelden im Wandel«, in: Comic Jahrbuch 1988, S. 38-50; Thomas Hausmanninger: Superman. Eine Comic-Serie und ihr Ethos. Frankfurt a. M. 1989; Uwe Anton: »50 Jahre Batman. ›Verbrecher sind ein abergläubisches, feiges Pack‹«, in: Comic Jahrbuch 1990, S. 155-159; Richard Reynolds: Super Heroes. A Modern Mythology. London 1992, S. 7-10; Les Daniels: Superman – The Complete History. The Life and Times of the Man of Steel. San Francisco 1998; Will Brooker: Batman Unmasked. Analyzing a Cultural Icon. London, New York 2000; Andreas Friedrich, Andreas Rauscher: »Amazing Adventures. Zur Einführung«, in: dies. (Hg.): Superhelden zwischen Comic und Film. München 2007, S. 3-10; Michael Gruteser: »Magic Marvel Moments«, in: Friedrich/Rauscher: Superhelden (Anm. 5), S. 11-22; Andreas C.: Knigge: »Zeichen-Welten. Der Kosmos der Comics«, in: Heinz Ludwig Arnold, Andreas C. Knigge (Hg.): Comics, Mangas, Graphic Novels. Göttingen 2009, S. 5-34; Andreas Platthaus: »Superman – Die Treue zur Utopie und zu Amerika«, in: Klassiker der Comic-Literatur. Bd. 1: Superman. Frankfurt a. M. 2005, S. 3-10; Dietmar Dath: »Batman oder Ich bin der Ausnahmezustand«, in: Klassiker der Comic-Literatur. Bd. 7: Batman. Frankfurt a. M. 2005, S. 3-10; Lars Banhold: Batman. Konstruktion eines Helden. Bochum 42009.
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als Sonntagsbeilage vom Zeitungswesen noch nicht emanzipiert. Im Juni 1938 jedoch veröffentlichte der Verlag Detective Comics (später: DC) in der ersten Nummer seiner neugegründeten Heftreihe Action Comics den mehrseitigen Titel Superman von Jerry Siegel und Joe Shuster, was Medium, Verlag und Figur umgehend zum Durchbruch verhalf. Der Verkaufserfolg der ersten Superman-Geschichten war außerordentlich und der Weg geebnet für die Etablierung jener Comic-Serien, die nicht wie zuvor bloß Strips aus Zeitungen nachdruckten, sondern von eigenen Autoren und Zeichnern verantwortet wurden. Zu diesen eigenständigen Reihen gehörte auch die bereits seit 1937 erscheinende Serie Detective Comics, die ihrem Verlag den Namen gab und in deren 27. Ausgabe im Mai 1939 die erste Geschichte um den von Bob Kane und Bill Finger geschaffenen Batman erschien. Im selben Jahr wurde der Verlag Timely Comics (später Marvel) gegründet, der u. a. ab 1940/41 die Geschichten um den von Joe Simon und Jack Kirby erdachten Captain America publizierte.6 Neben einer rasch ansteigenden Anzahl ähnlicher Figuren hatte im Dezember 1941 mit der von William Moulton Marston erschaffenen Wonder Woman die erste weibliche Superheldin ihren Auftritt.7 Binnen kurzem waren Verlage, Heftreihen und insbesondere die Superhelden derart etabliert, dass Millionenauflagen abgesetzt wurden. Die zunehmende Emanzipation der Comics als autonomer Artefakte der sich weiter differenzierenden ›neunten Kunst‹8 und die wachsende Popularität der Superhelden leisteten einander wechselseitig Vorschub, zumal während des Zweiten Weltkriegs, als der Bedarf an patriotischen Helden, die »truth, justice and the American way«9 gegen äußere Anfechtungen verteidigten, be-
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Die Erstausgabe, Captain America Comics 1 (März 1941), erschien bereits im Dezember 1940.
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Vgl. All Star Comics 8 (Dezember 1941); ab Sommer 1942 hatte Wonder Wo-
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Francis Lacassin prägte diesen Begriff in einem umfangreichen Essay zum Co-
man eine eigene Heftreihe. mic als vielfältiger Kunstform; vgl. ders.: Pour un neuvième art. La bande dessinée. Paris 1971. 9
Zuvor auf »truth and justice« beschränkt, erhielt dieser bekannte Slogan, der Supermans Wertesystem zusammenfasst, den entscheidenden Zusatz »and the American way« nach Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg. Neben Superman und dem seit 1941 mobilisierten Captain America, der seine patriotische
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sonders groß war. Anfang der 1940er Jahre waren über 150 verschiedene Heftreihen auf dem Markt. Die immense Nachfrage danach sicherte den Erfolg dieses bis in die frühen 50er Jahre anhaltenden ›Golden Age‹ des Superhelden-Comics und legte den Grundstein für eine ganze Industrie. Zu Beginn der 50er Jahre wurde zunehmend Kritik an dem populären Medium geäußert: Die Propaganda-Funktion, durch die manche Regelübertretung der Superhelden als Mittel zu übergeordneten (Kriegs-)Zwecken gerechtfertigt worden war, hatte nach dem Zweiten Weltkrieg an Relevanz verloren. In der Folge verurteilten Pädagogen, Politiker und Kirchenvertreter den Einfluss der Superhelden-Geschichten auf die zumeist jugendliche Leserschaft als Bedrohung für deren seelische Gesundheit.10 Der einflussreichste Kritiker war der Psychiater Fredric Wertham, dessen Studie Seduction of the Innocent 1954 die wesentlichen Argumente zusammenfasste:11 Wertham behauptete eine Korrelation zwischen Comic-Lektüre und Jugendkriminalität, u. a. monierte er Gewalt- und Verbrechensdarstellung,
Mission im Namen und die amerikanische Flagge als Uniform trägt und bereits in seiner ersten Ausgabe (März 1941) gegen Hitler kämpfte, wurden in Zeiten heißer oder kalter Kriege die allermeisten amerikanischen Superhelden propagandistisch instrumentalisiert und u. a. gegen Nazis und Kommunisten ins Feld geführt. Vgl. das Kapitel »1939–1945: Origins and Wartime« in Brooker: Batman Unmasked (Anm. 5), S. 33-100; Jason Dittmer: »Retconning America: Captain America in the Wake of World War II and the McCarthy Hearings«, in: Terrence R. Wandtke (Hg.): The Amazing Transforming Superhero! Essays on the Revision of Characters in Comic Books, Film and Television. Jefferson (N. C.), London 2007, S. 35-51; Marc DiPaolo: War, Politics and Superheroes. Ethics and Propaganda in Comics and Film. Jefferson (N. C.), London 2011, besonders S. 11-48. – Die politischen Interventionen der frühen Superhelden während des Zweiten Weltkriegs haben noch einen anderen Hintergrund: Jerry Siegel, Joe Shuster, Bob Kane, Bill Finger, Jack Kirby (eigentlich: Jacob Kurtzberg), Stan Lee und viele weitere Pioniere des Superhelden-Comics waren jüdischer Herkunft und Nachkommen jüdischer Emigranten oder selbst aus Europa emigriert. Vgl. dazu Jens Meinrenken: »Eine jüdische Geschichte der Superhelden-Comics«, in: Margret Kampmeyer-Käding, Cilly Kugelmann (Hg.): Helden, Freaks und Superrabbis. Die jüdische Farbe des Comics. Berlin 2010, S. 26-41. 10 Vgl. Hausmanninger: Superman (Anm. 5), S. 46-49. 11 Vgl. Fredric Wertham: Seduction of the Innocent. New York 1954.
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Amoralität und sexuelle Devianz (etwa in Form eines homoerotischen Verhältnisses zwischen Batman und Robin). 12 Presse und Politik griffen die Kritik auf und machten sie zum Thema von Kampagnen und Senatssitzungen; es kam zu öffentlichen Comic-Verbrennungen. Stark unter Druck geraten, schlossen sich zahlreiche Comic-Verlage noch 1954 zur Comics Magazine Association of America zusammen und gründeten die Comics Code Authority. Diese erließ bald darauf den Comics Code, ein Regelwerk, mit dem sich die meisten publishers zu einer rigiden Selbstzensur verpflichteten.13 Infolge des anschließenden Leserschwunds, der Einstellung zahlreicher Reihen und des Bankrotts etlicher Verlage wurde versucht, die Superhelden diesen neuen Produktionsbedingungen anzupassen, vor allem durch Vertiefung und Differenzierung der Charaktere: Nachdem DC 1956 in Ausgabe 4 der Reihe Showcase die bereits 1940 von Gardner Fox und Harry Lampert geschaffene Figur Flash erfolgreich wieder aufgelegt hatte, lancierte ab 1958 vor allem Marvel eine Reihe innovativer Superhelden, die menschliche Makel und Zweifel kannten, ihre Kräfte unfreiwillig durch Unfälle oder Mutationen erwarben und mit ihrer Vorbildrolle haderten. Unter der konzeptionellen Leitung von Stan Lee und gezeichnet von Jack Kirby und Steve Ditko entstanden so 1961 bis 1963 in rascher Folge die Superhelden The Fantastic Four, Hulk, Thor, Spider-Man, The X-Men und Iron Man.14 Diese ›Marvel-Revolution‹ und die Dauerbrenner von DC – Superman und Batman dominierten, begünstigt durch populäre Formate in Radio, Fernsehen und Kino, auch Ende der 1960er Jahre den Comic-
12 Vgl. Brooker: Batman Unmasked (Anm. 5), S. 110-117. 13 Der Comics Code, der die Darstellung u. a. von Kriminalität, Gewalt, Sexualität und fiktiven Figuren wie Werwölfen und Vampiren stark einschränkte, besteht nach Anpassungen vor allem in den frühen 1970er Jahren in überarbeiteter Form bis heute, hat seine Verbindlichkeit und Regulationsmacht jedoch weitestgehend eingebüßt. Für heutige Comic-Veröffentlichungen spielt er keine Rolle mehr. Vgl. Amy Kiste Nyberg: Seal of Approval. The History of the Comics Code. Jackson, Mississippi 1998, besonders S. 155-183. 14 Die Erstausgaben waren: The Fantastic Four 1 (November 1961); The Incredible Hulk 1 (Mai 1962); Thor in Journey into Mystery 83 (August 1962); SpiderMan in Amazing Fantasy 15 (August 1962); Iron Man in Tales of Suspense 39 (März 1963); The X-Men 1 (September 1963).
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Markt –15 sind bis etwa 1970 die prägenden Elemente dieses ›Silver Age‹ des Superhelden-Comics. Im anschließenden ›Bronze Age‹ führten die großen Verlage viele bestehende Tendenzen fort, versuchten, nachdem zuvor der Teenager-Superheld Spider-Man für Erfolge gesorgt hatte, jedoch wieder vermehrt, ein erwachsenes Publikum anzusprechen – u. a. durch Lockerung und sinkende Verbindlichkeit des Comics Code. Mit personellen Veränderungen in den Verlagen – Jack Kirby wechselte zwischen 1971 und 1975 vorübergehend von Marvel zu DC, Julius Schwartz übernahm 1971 die Redaktion der Superman-Reihe – stieg das Bewusstsein für den konzeptionellen Einfluss von Autoren und Zeichnern. Hatten diese ihre Urheberrechte zuvor vollständig an die Verlage abtreten müssen, wurde ihre Position nun durch neue Verträge und Namensnennung (credits) in den Heften gestärkt. Inhaltlich gewannen politische und gesellschaftlich relevante Themen an Bedeutung in den Superhelden-Comics, etwa Drogenkonsum, Armut und soziale Ungleichheit in Dennis O’Neills und Neal Adams’ Geschichten um DCs Green Lantern und Green Arrow,16 später außerdem Alkoholismus eines Superhelden in David Michelinies und Bob Laytons Iron-Man-Heftfolge Demon in a bottle.17 Nachdem Marvel 1966 mit Black Panther den ersten schwarzen Superhelden eingeführt hatte, folgten – als Reaktion auf die öffentliche Thematisierung von Rassismus und Minderheitenzugehörigkeit durch die amerikanische Bürgerrechtsbewegung – während der 70er Jahre eine wachsende Zahl von minority superheroes, darunter die ab 1975 wieder aufgelegten X-Men.18
15 Vgl. Reynolds: Super Heroes (Anm. 5), S. 9. 16 Vgl. z. B. Green Lantern / Green Arrow 85-86 (August/September-Oktober/November 1970), in der die Drogenabhängigkeit der Figur Speedy dargestellt wird. Vgl. auch Fuchs: Superhelden im Wandel (Anm. 5), S. 43. 17 Vgl. The Invincible Iron Man 120-128 (März-November 1979). 18 Vgl. den ersten Auftritt des von Stan Lee und Jack Kirby geschaffenen Black Panther in Fantastic Four 52 (Juli 1966). Weitere schwarze Superhelden sind u. a. bei Marvel: Falcon ab Captain America 117 (September 1969), Luke Cage in der ersten eigenen Reihe eines schwarzen Superhelden ab Luke Cage, Hero for Hire 1 (Juni 1972) und Storm ab Giant Size X-Men 1 (Mai 1975); bei DC: John Stewart ab Green Lantern, Folge 2, 87 (Dezember 1971/Januar 1972), Tyroc ab Superboy 216 (April 1976), Black Lightning in seiner eigenen Reihe ab
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Das Bemühen um soziale und politische Themen, das diese relevant comics prägte, konnte jedoch die zunehmenden narrativen Probleme vieler Reihen nicht überdecken: Durch die vielfache Variation von Ursprungsmythen und Figurenentwicklung, die stete Rekonfiguration von Allianzen und Feindschaften und die wiederholte aitiologische Neubegründung von Beweggründen und Fähigkeiten der Superhelden ergaben sich Diskrepanzen in Kohärenz und Kontinuität der Serien. Besonders betroffen waren die alten, aber nicht altern wollenden Figuren wie Superman, der inzwischen längst nicht mehr der einzige Überlebende Kryptons war und der mit immer neuen Formen des Kryptonits zu kämpfen hatte, und Batman, der mit Robin, Batgirl, Batwoman, dem Bat-Hound Ace und dem Kobold Bat-Mite zwischenzeitlich eine skurrile Bat-Familie angesammelt hatte.19 Die storylines wurden außerdem dadurch unübersichtlich, dass sich mehrere Figuren eine Superheldenidentität teilten bzw. verschiedene Versionen eines Superhelden nebeneinander in Parallelwelten existierten.20 Überdies kam es 1976 erstmals zu einem crossover zwischen den zwei großen Verlagen, in dem Superman und Spider-Man gegeneinander antraten und die Logik der getrennten Comic-Universen durchbrachen.21 Mitte der 80er Jahre erkannten die Verlage, dass die widersprüchliche und verschachtelte Struktur vieler Reihen neuen Lesern den Einstieg erschwerte. Um die ausgefaserten Enden der Handlung zu verknüpfen und eine allgemeingültige continuity herzustellen, lancierte Marvel mit Secret Wars (1984/85) und DC mit Crisis on Infinite Earths (1985/86) groß angelegte Vereinigungsfolgen, in denen eine Vielzahl der jeweiligen Superhelden zusammengeführt und auf einen ge-
April 1977. Die X-Men, denen seit ihrer Neuauflage ab Giant Size X-Men 1 (Mai 1975) auch eine Afroamerikanerin, die schwarze Superheldin Storm, und ein Native American, der Apache Thunderbird, angehören, sind durch ihren Mutantenstatus seit jeher Sinnbild für gesellschaftliche Minderheiten. Vgl. Aldo Regalado: »Modernity, Race, and the American Superhero«, in: Jeff McLaughlin (Hg.): Comics as Philosophy. Jackson (Miss.) 2005, S. 84-99. 19 Vgl. kritisch dazu Anton: 50 Jahre Batman (Anm. 5), S. 157. 20 DC trieb dieses Konzept auf die Spitze: Es gab parallele, nummerierte Erden (»Earth-1«, »Earth-2« usw.) innerhalb des DC multiverse. 21 Gerry Conway u. a.: Superman vs. the Amazing Spider-Man. Battle of the Century. New York 1976.
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meinsamen Stand gebracht wurde.22 Seit Jim Starlins prominent inszeniertem Death of Captain Marvel – erschienen 1982 als Band 1 einer großformatigen Reihe, die erstmals bei Marvel die klangvolle Bezeichnung graphic novel trug –23 stieg zudem die Sterberate unter Superhelden stark an. Auch dies kann als Versuch verstanden werden, die Komplexität der Handlungsebenen zu reduzieren und eine neue Phase der Superhelden-Comics einzuläuten. Die Abkehr vom ›Bronze Age‹ markieren insbesondere zwei der prägendsten Veröffentlichungen der Comic-Geschichte: Nachdem er sich Anfang der 80er Jahre einen Namen u. a. mit der Aktualisierung von Marvels Daredevil gemacht hatte, legte Frank Miller 1986 bei DC die hochwertig ausgestattete, aus der Batman-Reihe ausgekoppelte Folge The Dark Knight Returns vor, die stilbildend für das gesamte Genre werden sollte. Zugleich Autor und Zeichner, führt Miller darin keinen triumphalen Heros, sondern einen gealterten, traumatisierten Batman vor; die Story ist düster und die Gewaltdarstellung eindringlich, der Zeichenstil expressiv und Batmans dynamischer Schattenriss das häufigste Motiv (Abb. 1). Mit Watchmen, geschrieben von Alan Moore und gezeichnet von Dave Gibbons, erschien 1986/87 ebenfalls bei DC die zweite äußerst einflussreiche graphic novel der Zeit. Visuell weniger drastisch als Millers Werk, zeichnet sich Watchmen durch eine außerordentlich elaborierte Bildkomposition aus – von
22 Vgl. Jim Shooter, Mike Zeck, Bob Layton: Secret Wars. New York 1984/86; sowie Mark Wolfman, George Pérez u. a.: Crisis on Infinite Earths. New York 1985/86. Besonders nachhaltig war dieser Einschnitt bei DC, wo seither eine Trennung zwischen Pre-Crisis-Produktionen und aktuelleren Post-Crisis-Titeln gezogen wird. 23 Vgl. Jim Starlin: The Death of Captain Marvel. New York 1982 (Marvel Graphic Novels 1). DC reagierte ab 1983 mit einer eigenen Prestige-Reihe: DC Graphic Novel. Der Begriff ›graphic novel‹ ist u. a. von Will Eisner bekannt gemacht worden und gilt als Gütesiegel für umfangreiche, komplexe, oft außerhalb von Reihen und als hochwertige, gebundene Ausgaben erscheinende Titel von meist renommierten Autoren und Zeichnern. Außerdem wird durch die Gleichstellung mit Romanen (engl. novels) eine Annäherung an traditionelle, angesehene Gattungen der Literatur beabsichtigt, nicht zuletzt im Interesse des Marketings. Ob es einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Comics und graphic novels gibt, ist umstritten.
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Details einzelner Panels über den Aufbau der Seiten bis hin zur bildmotivlich-formalen Gesamtstruktur –, deren zahlreiche subtile Stilmittel sich erst bei mehrmaligem Lesen ganz erschließen.24 Die Handlung kreist um eine Gruppe abgehalfterter und zwielichtiger Vigilanten, deren fragwürdige Moral und Taten die ehemaligen Supernunmehr als Antihelden erscheinen lassen. Gemein ist beiden Comics die Reflexion und Subversion der Bedingungen und Konventionen des Genres, wodurch die Rolle der Superhelden stark infrage gestellt wird.25 Die radikalen Darstellungen, die Morbidität und die Absage an positive Identifikation, die The Dark Knight Returns und Watchmen prägen, wurden in der Folge Kennzeichen der deshalb auch ›Dark Age‹ genannten modernen Comic-Ära. Im Zeichen von grim and gritty traten sinistre Figuren in den Vordergrund – darunter Marvels Punisher – und neugegründete VerAbb. 1: Batmans Silhouette als lage konnten sich mit entsprechenden Reihäufiges Stilmittel in Frank Milhen neben den beiden Marktführern etalers The Dark Knight Returns.
24 Vgl. dazu u. a. Stuart Moulthrop: »See the Strings. Watchmen and the UnderLanguage of Media«, in: Pat Harrigan, Noah Wardrip-Fruin (Hg.): Third Person. Authoring and Exploring Vast Narratives. Cambridge (Mass.), London 2009, S. 287-302. 25 Vgl. Geoff Klock: How to Read Superhero Comics and Why. New York, London 2002, besonders das Kapitel »The Bat and the Watchmen: Introducing the Revisionary Superhero Narrative«, S. 25-76; Aeon J. Skoble: »Superhero Revisionism in Watchmen and The Dark Knight Returns«, in: Tom Morris, Matt Morris (Hg.): Superheroes and Philosophy. Truth, Justice, and the Socratic Way. Chicago, La Salle (Ill.) 2005, S. 29-41; Iain Thomson: »Deconstructing the Hero«, in: McLaughlin: Comics as Philosophy (Anm. 18), S. 100-129; Terrence R. Wandtke: »Frank Miller Strikes Again and Batman Becomes a Postmodern Anti-Hero: The Tragi(Comic) Reformulation of the Dark Knight«, in: Wandtke: Amazing Transforming Superhero (Anm. 9), S. 87-111.
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blieren.26 Als Reaktion darauf ließ DC – ein zuvor undenkbares Szenario – in der Heftfolge The Death of Superman27 (1992/93) den berühmtesten aller Superhelden sterben – nicht ohne ihn kurz darauf in neuer Gestalt und in aktualisierten Reihen wieder zum Leben zu erwecken. Der Erfolg dieser Story-Volte führt bis heute zu Tod und Auferstehung einer ganzen Reihe weiterer wichtiger Superhelden. Dennoch erreichen die Auflagenzahlen vor allem seit den 2000er Jahren nicht mehr die ehemaligen Höhen.28 DC und Marvel versuchen seither mit immer häufigeren Neustarts und Story-Events wie team-ups und Verknüpfungen eigentlich getrennter Serien, gegen diesen Trend anzukämpfen. So hat DC, nachdem bereits 2005/06 durch Geoff Johns’ Infinite Crisis eine Revision der 80er-Crisis erfolgt war, 2011 mit dem Programmereignis The New 52 einen vollständigen relaunch sämtlicher Superhelden-Reihen unternommen.29 Der größte Konkurrent hat mit
26 Der 1986 gegründete Verlag Dark Horse Comics veröffentlichte z. B. ab der Ausgabe San Diego Comic-Con Comics 2 (August 1993) Geschichten um den von Mike Mignola kreierten Hellboy, außerdem bereits 1991/92 Frank Millers ebenfalls stilbildendes Sin City. Der seit 1993 bestehende Verlag Image Comics wartete u. a. seit der Ausgabe Malibu Sun 13 (Mai 1992) mit Todd McFarlanes Spawn auf. 27 The Death of Superman war eine von Dan Jurgens u. a. verantwortete Heftfolge der Superman-Reihe der Jahre 1992/93; Supermans Tod erfolgt in Superman, Folge 2, 75 (Januar 1993). Kurz darauf ereilte Batman in der von Chuck Dixon und anderen konzipierten vielteiligen Heftfolge Knightfall 1993/94 ein ähnliches Schicksal, als Bane ihm in Ausgabe Batman 497 (Juli 1993) das Rückgrat brach (vgl. Abb. 2). 28 Bereits 1996 war Marvel durch Veränderungen der Geschäftsstruktur in große finanzielle Schwierigkeiten geraten und stand unmittelbar vorm Bankrott. Mithilfe von Investoren und Restrukturierungen konnte der Vertrieb jedoch aufrechterhalten und in der Folge stabilisiert werden. Vgl. James Reynolds: »›Kill Me Sentiment‹. V For Vendetta and comic-to-film adaptation«, in: Journal of Adaptation in Film & Performance 2,2 (2009), S. 121–136, hier S. 122 f. Diesen und weitere Hinweise verdanke ich Lukas Etter, Bern. 29 Selbst DCs traditionsreichste Reihen Action Comics und Detective Comics, die die ersten Auftritte von Superman und Batman enthalten hatten, von 1937/38 bis 2011 ununterbrochen erschienen waren und beide rund 900 Ausgaben erfahren
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Marvel NOW! bereits ein ähnliches Vorhaben für die Jahreswende 2012/13 angekündigt. Ob damit das Ziel steigender Absätze langfristig zu erreichen ist, bleibt abzuwarten. Neben ihrem traditionellen Medium hatten die Superhelden frühzeitig und konstant auch Auftritte in Radio, Fernsehen, Kino und Videospielen. Kurz nach seinem ersten Erscheinen bekam Superman in New York bereits seine eigene Radioshow (The Adventures of Superman, WOR, 1940–51), die erst eingestellt wurde, als der berühmteste Superheld u. a. mit der Zeichentrickserie Superman (Fleischer Studios, 1941/42) und Realfilm-Serials in Kino (Superman, Columbia, 1948) und Fernsehen (Adventures of Superman, u. a. ABC, 1952–58) landesweit in den visuellen Medien etabliert war.30 Besondere Bekanntheit haben die vier Kino-Verfilmungen der 70er und 80er Jahre mit Christopher Reeve in der Hauptrolle erlangt.31 Daneben sendete ABC 1966 bis 1968 die TV-Serie Batman, deren bunter, humoriger camp-Stil noch ein Vierteljahrhundert später in den Breitwand-Verfilmungen von Tim Burton und besonders Joel Schumacher nachwirkte. 32 Eine entschiedene Rückkehr zum düsteren Charakter der Figur vollzog hingegen Christopher Nolans Batman-Trilogie, die mit einem Einspielergebnis von
hatten, blieben vom The-New-52-Neubeginn nicht ausgenommen und starteten danach in neuen Folgen wieder bei Ausgabennummer 1. 30 Vgl. hierzu und zum Folgenden Fuchs: Superman (Anm. 5), S. 31 f.; Massimo Moscati: Comics und Film. Übersetzt von Angelika Drexel und Georg Seeßlen. Berlin 1988, S. 35-37 und 135-139; und besonders Andreas Friedrich: »Der Amerikanische Traum und sein Schatten. Superman, Batman und ihre filmischen Metamorphosen«, in: Friedrich/Rauscher: Superhelden zwischen Comic und Film (Anm. 5), S. 23-50; sowie Andreas Rauscher: »Stadtneurotiker, Outlaws und Mutanten. Das Marvel-Universum im Film«, in: Friedrich/Rauscher: Superhelden zwischen Comic und Film (Anm. 5), S. 51-71. 31 Vgl. Superman: The Movie (USA 1978, R: Richard Donner), Superman II (USA 1981, R: Richard Lester), Superman III (USA 1983, R: Richard Lester), Superman IV: The Quest for Peace (USA 1987, R: Sidney J. Furie). 2006 folgte als weitere große Hollywood-Produktion Superman Returns (USA 2006, R: Bryan Singer), für 2013 ist Man of Steel unter der Regie von Zack Snyder angekündigt. 32 Vgl. Batman (USA 1989, R: Tim Burton), Batman Returns (USA 1982, R: Tim Burton), Batman Forever (USA 1995, R: Joel Schumacher), Batman & Robin (USA 1997, R: Joel Schumacher).
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über 2 Milliarden US-Dollar zu den erfolgreichsten Dreiteilern der Kinogeschichte gehört.33 Nolans Filme sind Teil einer großen, anhaltenden Welle an Comic-Verfilmungen, die seit den 2000er Jahren möglichst realitätsnahe, seriöse Leinwand-Versionen verschiedenster Superhelden in die Kinos schwemmt. Ausgelöst u. a. durch den Erfolg von Sam Raimis Spider-ManVerfilmungen hat seither insbesondere Marvel mit umfangreichen KinoProjekten wie der Avengers-Reihe das Franchise-Potenzial seiner Superhelden ausgeschöpft und das Genre zu einem der lukrativsten des Filmgeschäfts gemacht.34 Gemeinsam mit den zahllosen Videospielen und sonstigen Merchandising-Produkten wird durch diese Superhelden-Filme ein Publikum erreicht, das weit über den ursprünglichen Rezipientenkreis der Comics hinausgeht: Vielen neueren Anhängern der Superhelden sind einzelne Figuren erstmals im Film begegnet. Dadurch haben weltweit und in Deutschland seit der Jahrtausendwende die Superhelden und ihr Medium einen Popularisierungsschub erfahren, der nicht nur die Breite der Rezeption, sondern auch deren Höhe betrifft. Blieben hierzulande Comics im Allgemeinen und Superhelden im Besonderen lange Zeit als bloße Populärkultur von der Literaturkritik unterschätzt, zeichnet sich seither – befördert durch die Filmerfolge – ein Wandel in den deutschsprachigen Feuilletons ab.35 Daneben sind
33 Vgl. Batman Begins (USA 2005, R: Christopher Nolan), The Dark Knight (USA 2008, R: Christopher Nolan), The Dark Knight Rises (USA 2012, R: Christopher Nolan). 34 Vgl. Spider-Man I–III (USA 2002, 2004, 2007, R: Sam Raimi). Zu den Superhelden, die Marvel seit 2000 verfilmt hat, gehören Daredevil, X-Men (beide ab 2003), Punisher, Elektra (beide 2004), Fantastic Four (ab 2005), Ghost Rider (2007); Hulk (ab 2003), Iron Man (ab 2008), Thor und Captain America (beide 2011) hatten zunächst eigene Filme und wurden dann in Avengers (2012) zusammengeführt. DC hat neben Batman und Superman im gleichen Zeitraum u. a. Catwoman (2004), Spirit (2008), Watchmen (2009) und Green Lantern (2011) verfilmt. Beide Verlage haben ab 2013 bereits weitere Kinoversionen angekündigt. 35 Seit Art Spiegelmans genreprägende Comic-Biographie Maus 1992 einen Pulitzer-Preis gewonnen hat, sind Comics in Amerika regelmäßig bei wichtigen Literaturpreisen erfolgreich und schon seit längerem Gegenstand von Rezensionen in renommierten Zeitungen und Zeitschriften. Im letzten Jahrzehnt ist auch in
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(Superhelden-)Comics inzwischen auch Forschungsgegenstand kulturwissenschaftlicher, 36 soziologischer, 37 philosophischer 38 und sogar medizinischer39 und naturwissenschaftlicher40 Untersuchungen geworden. Eine dezi-
der deutschen Presse das Interesse für dieses Medium deutlich gestiegen, u. a. erkennbar an der 20-bändigen Auswahl-Ausgabe der Klassiker der Comic-Literatur (2005) durch das F.A.Z.-Feuilleton. Zur Comic-Rezeption in der deutschsprachigen Presse vgl. Stephan Ditschke: »Comics als Literatur. Zur Etablierung des Comics im deutschsprachigen Feuilleton seit 2003«, in: Stephan Ditschke, Katerina Kroucheva, Daniel Stein (Hg.): Comics. Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums. Bielefeld 2009, S. 265-280. 36 Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive seien neben den oben erwähnten Publikationen noch genannt: Peter Coogan: Superhero. The Secret Origin of a Genre. Austin 2006; Wendy Haslem, Angela Ndalianis, Chris Mackie (Hg.): Super/ Heroes. From Hercules to Superman. Washington 2007; Angela Ndalianis (Hg.): The Contemporary Comic Book Superhero. New York 2009; George Kovacs, C. W. Marshall (Hg.): Classics and Comics. Oxford 2011. 37 Vgl. z. B. Richard J. Gray II., Betty Kaklamanidou (Hg.): The 21st Century Superhero. Essays on Gender, Genre and Globalization in Film. Jefferson (N. C.) 2011; Joseph J. Darowski (Hg.): The Ages of Superman. Essays on The Man of Steel in Changing Times. Jefferson (N. C.) 2012. 38 Vgl. u. a. McLaughlin: Comics as Philosophy (Anm. 18); Morris/Morris: Superheroes and Philosophy (Anm. 25); Mark D. White, Robert Arp (Hg.): Batman and Philosophy. The Dark Knight of the Soul. Hoboken (N. J.) 2008; Mark D. White (Hg.): Watchmen and Philosophy. A Rorschach Test. Hoboken (N. J.) 2009. 39 Vgl. z. B. Danny Fingeroth: Superman on the Couch: What Superheroes Really Tell Us about Ourselves and Our Society. New York, London 2005; Sharon Packer: Superheroes and Superegos. Analyzing the Minds Behind the Masks. Santa Barbara (Calif.) u. a. 2010. 40 James Kakalios: The Physics of Superheroes. London 2005 u. a. Das Interesse an Superhelden ist so groß, dass selbst skurrile Forschungsergebnisse publik werden: Im Juli 2012 meldeten verschiedene Internet-Nachrichtenportale, dass einer Studie britischer Physik-Studenten zufolge der Umhang, den der Superheld in Batman Begins trägt, aus aerodynamischen Gründen nicht ausreichen würde, um die dargestellten Flugszenen in der Wirklichkeit zu realisieren, vgl. »Batman braucht einen größeren Umhang«, in Spiegel online (10. Juli 2012) [http://www.
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dierte Comic-Forschung nach US-amerikanischem Vorbild ist nun auch im deutschen Sprachraum seit einiger Zeit im Entstehen und widmet sich nicht nur den sogenannten graphic novels, die am ehesten Maßstäben des traditionellen literarischen Kanons zu entsprechen scheinen, sondern auch dem populärkulturellen Superhelden-Genre.41
II. W ESEN UND ÄSTHETIK DER S UPERHELDEN Die damit beschriebene, außergewöhnliche und sich immer noch steigernde Präsenz der Superhelden in Kultur, Wissenschaft und Medien verschleiert ein wenig, dass ihr Begriff und Wesen weniger eindeutig bestimmt sind, als es die allgegenwärtige Rede über sie vermuten lässt. Dies ist vor allem ihrer vielgestaltigen Phänomenologie geschuldet, die generalistische Bestimmungsversuche erschwert: Allzu naheliegende Kriterien wie Super-, d. h. übermenschliche Kräfte scheiden als Generalkennzeichen schon auf den ersten Blick aus, da mit Batman eine der bekanntesten Figuren über solche nicht verfügt.42 Aussichtsreicher ist eine Bestimmung anhand der Erscheinungsweise in Comic-Heften bestimmter Verlage, führt jedoch in eine Tautologie: Eine Figur wäre demzufolge ein Superheld, insofern sie Protagonist eines Superhelden-Comics ist. Auf ähnliche Weise erklärt der Comic-Forscher Peter Coogan auf die Frage nach der Gemeinsamkeit der Superhel-
spiegel.de/wissenschaft/technik/aerodynamik-batman-braucht-zum-fliegen-groesseren-umhang-a-843539.html; Zugriff: 1. August 2012], darin auch ein Link zur Studie im Online-Journal Physics Special Topics 10 (2011). 41 Vgl. Daniel Stein: »Comics Studies in Germany. Where It’s At and Where It Might Be Heading«, in: comicsforum.org (7. November 2011) [http://comicsforum.org/2011/11/07/comics-studies-in-germany-where-it’s-at-and-where-it-mi ght-be-heading-by-daniel-stein/; Zugriff: 11. September 2012]. 42 Batmans Fähigkeiten beruhen auf strengem physischem und mentalem Training, nahezu unerschöpflichen finanziellen Mitteln und raffinierten Technologien, nicht jedoch auf außerirdischer Herkunft (wie bei Superman), Mutation (wie bei den X-Men) oder atomaren bzw. gentechnischen Unfällen (wie bei Hulk oder Spider-Man), durch die sich die Kräfte und Fertigkeiten anderer Superhelden über menschliches Maß hinaus steigern.
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den-Figuren: »The answer is genre«,43 räumt aber sogleich ein: »But […] the superhero genre is not well defined.«44 Deshalb arbeitet Coogan eine Reihe von Genre-Konventionen heraus, die sämtlich nicht exklusiv bei Superhelden auftreten, aber eine spezifische Merkmalkombination darstellen. Entscheidend sei die »mission-powers-identity« Trias,45 also eine bestimmte Konfiguration aus altruistischer Pflichterfüllung, beträchtlichen Fähigkeiten und der Annahme einer durch Anzug oder Beinamen symbolisierten Superhelden-Rolle. Coogan fasst seine Darlegungen in einer synthetischen Definition zusammen: Demzufolge ist ein Superheld a heroic character with a selfless, pro-social mission; with superpowers – extraordinary abilities, highly developed physical, mental, or mystical skills, or advanced technology; who has a superhero identity embodied in a codename and iconic costume, which typically express his biography or character, powers, or origin (transformation from ordinary person to superhero); and is generically distinct, i. e. can be distinguished from characters of related genres (fantasy, science fiction, detective, etc.) by a preponderance of generic conventions. Often superheroes have dual identities, the ordinary one of which is usually a closely guarded secret.46
Diese Aufzählung ließe sich noch erweitern: Tod oder Abwesenheit der Eltern, ein initiales (Kindheits-)Trauma, Vorbildfunktion bei gleichzeitigem rollenbedingten Outlaw-Status, unverrückbare moralische Grundsätze (wie z. B. Tötungsverbot), Gottähnlichkeit, sexuelle Askese und nicht zuletzt ein perpetuierter Kampf gegen bestimmte Superschurken sind weitere Charakteristika, die zahlreiche männliche wie weibliche Superhelden-Figuren kennzeichnen.47
43 Peter Coogan: »The Definition of the Superhero«, in: Haslem/Ndalianis/Mackie: Super/Heroes (Anm. 36), S. 21-36, hier S. 21. 44 Ebd. 45 Ebd., S. 36, vgl. auch ebd., S. 24-28. 46 Ebd., S. 19. 47 Vgl. Reynolds: Super Heroes (Anm. 5), S. 12-16, sowie das Kapitel »Sex and Superheroes: Sublimated and Subversive« in Packer: Superheroes and Superegos (Anm. 39), S. 173-196. Die hier genannten Merkmale treffen in ganz ähnlichem Maß auch auf Figuren zu, die keine Superhelden sind, z. B. auf Joanne
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Letztlich bleiben solche Merkmallisten einem essentialistischen Paradigma verhaftet, das durch Eingrenzung versucht, dem wahren Wesen der Superhelden auf die Spur zu kommen. Eine abschließende Definition ist auf diesem Wege jedoch kaum möglich, da in Zweifelsfällen und für eng verwandte Helden-Figurationen immer wieder neue Ein- und Ausschlusskriterien aufgestellt werden müssen. Dieses Dilemma konstatieren auch Stephan Ditschke und Anjin Anhut im ersten Teil ihres umfassenden Definitionsversuchs,48 setzen ihm jedoch alternativ zwei neue Ansätze entgegen: Im Anschluss an Lotman stellen sie Superhelden-Narrative als eine spezifische Konstellation unterschiedlicher semantischer Räume vor, die mit den gegensätzlichen Genre-Instanzen ›Superheld‹, ›Superschurke‹ und der ›etablierten Ordnung‹ besetzt sind, aber ineinander übergehen können und zwischen denen sich wiederkehrende Konfliktmuster bilden.49 Aus einer narratologischen Perspektive heraus schlagen Ditschke und Anhut außerdem eine funktionelle Klassifikation der Superhelden anhand von deren »Grundorientierung« vor:50 Diese ergibt sich primär aus dem telos der Superhelden – positiv auf die Bewahrung des Guten oder negativ auf die Beseitigung des Bösen bezogen – und aus ihrem – natürlichen, affirmativen oder aversiven – Verhältnis zu den eigenen Kräften und den damit verbundenen Fähigkeiten und Verpflichtungen. Daraus folgen die Grundfigurationen ›Beschützer‹, ›Rächer und Jäger‹ und ›Zweifler‹.51 Derartige Muster-Narrative strukturieren jedoch nicht ausschließlich Superhelden-Geschichten, sondern sind allgemein kennzeichnend für mythische und Helden-Erzählungen; es gelten also ähnliche Einschränkungen wie für Coogans Superhelden-Definition. Um eine spezifische Differenz gegenüber Helden aufzuzeigen, soll hier deshalb abschließend eine Perspektive zur Bestimmung von Superhelden verfolgt werden, die stärker auf deren Ästhetik und mediale Verfasstheit fokussiert. Ausgangspunkt dafür
K. Rowlings Harry Potter. Daran zeigt sich das Abgrenzungsproblem, das die Wesensbestimmung von Superhelden erschwert. 48 Vgl. Stephan Ditschke, Anjin Anhut: »Menschliches, Übermenschliches. Zur narrativen Struktur von Superheldencomics«, in: Ditschke/Kroucheva/Stein: Comics (Anm. 35), S. 131-178, hier S. 134-140. 49 Vgl. ebd., S. 133 f. und 144-148. 50 Ebd., S. 150. 51 Vgl. ebd., S. 150-156.
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ist ein einfacher, aber bisher wohl zu wenig reflektierter Befund: Die beiden vorrangigen Medien der Superhelden – Comic und Film – beruhen auf Visualität. Zwar haben auch viele klassische Helden-Figuren sich in diesen Medien etabliert, umgekehrt jedoch kommen Superhelden in nicht-visuellen Medien kaum vor: Es gibt keine bedeutende Superhelden-Literatur.52 Superhelden sind an eine visuelle Darstellungsweise gebunden. Dies liegt zunächst an der mit literarischen Mitteln nicht zu erreichenden Unmittelbarkeit, mit der Film und Comic die dynamischen und raumgreifenden Ereignisfolgen der actionzentrierten Superhelden-Geschichten zu vermitteln vermögen. 53 Im Comic hat sich mit den splash pages – großen, aus dem sequenziellen Panel-Raster ausbrechenden Abbildungen – ein effizientes Abb. 2: Bane bricht Batman auf eiStilmittel zur Darstellung von Schlüsner ganzseitigen splash page das selmomenten solcher HandlungsverRückgrat. läufe herausgebildet (Abb. 2). Dane-
52 Superhelden eignen sich offensichtlich nicht als Helden von Romanen. Anders verhält es sich mit ihrer Geschichte und ihren Erschaffern: Der 2001 mit einem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Roman The Amazing Adventures of Kavalier & Clay von Michael Chabon (New York 2000) verwendet biographische Details aus dem Leben verschiedener Pioniere des Superhelden-Comics, um dessen Entstehung nachzuzeichnen. Es handelt sich gleichsam um einen historischen MetaSuperhelden-Roman. Vgl. Friedrich/Rauscher: Amazing Adventures (Anm. 5), S. 11 f. 53 Die klassischen medientheoretischen Einschränkungen für die bildliche Darstellung einer Handlung in ihrem Zeitverlauf, die u. a. Lessing im Laokoon beschrieben hat, haben für die Bildergeschichten des Comics ihre Gültigkeit verloren, da sie durch die Sequenzierung einzelner Momentaufnahmen – konstitutives Prinzip der Bildergeschichte – und graphische Verfahren zur Abbildung von Handlungen und Prozessen (z. B. Bewegungsunschärfe) ausgeglichen werden.
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ben wurden graphische Verfahren eingeführt, die insbesondere Farblichkeit und Komposition der Bilder nutzen, um völlig unabhängig vom Sprechblasen-Text – und oft genug unter Verzicht darauf – subtile Wirkungen zu erzielen: Häufig wird die bürgerliche Gestalt eines Superhelden in leichter Aufsicht und aus der Nähe gezeigt, so dass der Betrachter aus etwas erhöhter Position auf die Figur hinabschaut, die dadurch kleiner erscheint; die superheroischen Einsätze werden hingegen vielfach in Untersicht und in der Totale vorgeführt, um den Eindruck von Größe und Kraft noch zu potenzieren. Desgleichen wird der Kontrast zwischen gesättigten Primärfarben und matten Sekundärfarben eingesetzt, um die farbig-strahlenden Superhelden-Kostüme von ihrer Umgebung abzuheben.54 Daneben gibt es bei manchen Figuren ganz eigene Gestaltungsregeln: An der Länge der Fledermaus-Ohren an Batmans Anzug erahnen Kenner den Geisteszustand des Superhelden.55 Solche visuellen Konventionen, die fast in allen Superhelden-Comics und -Filmen Einsatz finden, haben sich nicht selten zu charakteristischen Bildmotiven verfestigt, die die Individualität der Superhelden unterstreichen: Kein Spider-Man-Comic verzichtet darauf, den Protagonisten, am dünnen Spinnenfaden schwingend, beim rasanten Beinahe-Flug durch New Yorks Hochhausschluchten abzubilden; in Batman-Storys bricht mit Sicherheit eine dämonische Fledermaus durch die Nacht ins Licht; das ikonische S-Logo blitzt in jedem Superman-Heft unterm aufgerissenen Hemd hervor. Seine beiden mächtigsten Eigenschaften – Kraft und Flugfähigkeit – haben sich bei Superman zu einem weiteren regelmäßigen Motiv verbunden: Es zeigt ihn, wie er im Flug schwere Lasten über dem Kopf balanciert, und zitiert so das Cover der Erstausgabe (Beispiele in Abb. 3).
54 Die Bedeutung der Farbgebung und der damit verbundenen Ausdrucksabsichten verdeutlicht der Fall des von Alan Moore verfassten Batman-Comics The Killing Joke, der zunächst 1988 in der Kolorierung von John Higgins erschien. Da diese seinen Vorstellungen nicht entsprach, hat der Zeichner des Comics, Brian Bolland, zur Jubiläumsausgabe 20 Jahre später eine eigene Kolorierung vorgenommen, die er in einem Nachwort erläutert. Vgl. Allan Moore, Brian Bolland: The Killing Joke. The Deluxe Edition. New York 2008, »Afterword« o. S. 55 Vgl. Dath: Batman (Anm. 5), S. 5.
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Abb. 3: Motivrekurrenz bei Superman.
Die Visualität des Mediums dient auch dazu, inhärente Unplausibilitäten zu nivellieren, die im reinen Textmedium zur Störung der Fiktion führen könnten. So ist rein logisch zunächst einmal kaum nachvollziehbar, dass Superman, der keine Maske trägt, von den Bewohnern von Metropolis nicht als identisch mit Clark Kent erkannt wird. Doch die Comics erleichtern die suspension of disbelief, indem sie gestalterische Freiheiten nutzen und diesen in der Regel etwas schmächtiger zeichnen. Auch die Mimik trägt dazu bei: Superman hat wie die meisten anderen Superhelden fast durchgängig einen entschlossenen Gesichtsausdruck mit geschlossenem Mund und stark zusammengezogenen Augenbrauen, während Clark Kent oft mit gehobenen Brauen und geöffneten Lippen gezeigt wird (Abb. 4). Im Film wird dies meist als Kontrast zwischen den brav gescheitelten Haaren des Reporters und der in Abb. 4: Darstellungsunterschiede der Mimik zwidie Stirn hängenden Tolle schen Superman (l.) und Clark Kent. des Superhelden visualisiert. Der Verzicht auf eine Maske und die freundliche Farbgebung seines Kostüms setzen Superman in Kontrast zu Batman. Beide Figuren sind auch deshalb prototypische Superhelden, weil sie sich so stark voneinander unterscheiden und in ihrer Differenz ein großes Spektrum an möglichen Superhelden-Figurationen ausleuchten. Tatsächlich ist das Verhältnis zwischen ziviler und Superhelden-Rolle bei beiden genau umgekehrt: Während
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der eine, als Bruce Wayne geboren, durch Trauma und Entschluss zur Nachtgestalt wird, muss der andere, als der Kryptonier Kal-El geboren und als Außerirdischer auf die Erde gekommen, erst eine bürgerliche Existenzform finden. Entsprechend gegensätzlich ist die Kostümierung: Bruce Wayne wird durch Anlegen des Batsuit zum Dark Knight, während der Man of Steel seinen Anzug stets unter dem unscheinbaren Alltagsgewand eines Mauerblümchens verbirgt. So ist denn auch die Botschaft, die sie mit ihrer Superhelden-Gestalt vermitteln wollen, völlig konträr: Beabsichtigt Batman mit der Wahl der Fledermaus – vor der dem jungen Bruce Wayne einst selbst grauste –, bei den gejagten Gegnern Furcht und Schrecken zu verbreiten, will Superman durch sympathisches Äußeres das Vertrauen der von ihm Beschützten gewinnen.56 Kostüm und Maske dienen also nicht willkürlich zur Vermummung, sondern als Hinweis auf das individuelle Rollen- und Selbstverständnis der Figuren. Tatsächlich ist das visuell vermittelte Verhältnis von Maske und Identität ein weiteres wichtiges Merkmal von Superhelden. Aus der literarischen Tradition haben wir kaum Begriffe für diese Identitätsmodi der Superhelden; die behelfsmäßige Rede von einer ›dualen Identität‹ – aufgeteilt in Superhelden- und ziviles Ich – ist irreführend: 57 Superhelden-Figuren
56 Dies liegt auch daran, dass Superman und Batman unterschiedlichen Grundorientierungen im Sinne Ditschkes und Anhuts entsprechen, vgl. Ditschke/Anhut: Zur narrativen Struktur von Superheldencomics (Anm. 48), S. 152. Der Entschluss für ein bestimmtes Kostüm erfolgt oft, wenn die Figuren zum ersten Mal die Rolle eines Superhelden annehmen, und hängt fest mit deren Ursprung – ihrer origin story – zusammen. Solche Initiationsmomente sind daher Gegenstand wiederholter Interpretation in bekannten Comics; vgl. z. B. Joe Shuster, Jerry Siegel: »Superman«, in: Action Comics 1 (Juni 1938); Bill Finger, Bob Kane: »Batman«, in: Detective Comics 27 (Mai 1939); Frank Miller, Dave Mazzucchelli: Batman – Year One. New York 1987; Mark Waid, Leinil Francis Yu, Gerry Alanguilan: Superman – Birthright. The Origin of the Man of Steel. New York 2004, besonders Clark Kents Kostümierung S. 82 f. 57 In der Sekundärliteratur zu Superhelden ist das Alter-ego-Paradigma vorherrschend; auch Coogan: Definition of the Superhero (Anm. 43), S. 19, und Ditschke/Anhut: Zur narrativen Struktur von Superheldencomics (Anm. 48), S. 137, sprechen von »dual identities« bzw. »Doppelidentitäten«. Unhaltbar ist Ditsch-
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zeichnen sich ja dadurch aus, dass bürgerliche und superheroische Gestalt zwar unterschiedliche Rollen, dabei aber Elemente einer ungeteilten Identität sind und eine Einheit bilden.58 Die Maske mag innerhalb der Fiktion ein Mittel gegen die Aufdeckung der zivilen Existenz sein; für den Comic-Leser hingegen ist sie Ausweis für die Intaktheit des Superhelden: Der Superheld, der seine Maske nicht mehr trägt, hört auf, einer zu sein.59 Anders als die Larve des gemeinen Kriminellen hat die Maske des Superhelden keine Täuschungs-, sondern im Gegenteil eine indexikalische Funktion: als Hinweis auf beide Rollen seiner Identität.60 Dadurch werden Maske und Wesen des Superhelden untrennbar. Die Maske ist Bezeichnung und Abbild der Identität des Superhelden – statt sie zu verbergen, macht sie sie sichtbar.
III. S UPERHELDEN UND POSTHEROISCHE G ESELLSCHAFTEN Die Geschichte und spezifische Ästhetik der Superhelden, deren ikonische Präsenz aus der westlichen Kultur nicht wegzudenken ist, zeigt, dass ›postheroische Dispositionen‹ im Sinne Münklers kulturell durchaus einhergehen können mit superheroischen Artefakten. Es lässt sich auf dem Gebiet des Heroischen also nicht nur eine ›Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen‹ beobachten, wie sie Münkler bei der Entwicklung des Postheroismus im kes und Anhuts Behauptung, Batman sei die »wahre Identität« (ebd.) von Bruce Wayne: Batman und Bruce Wayne sind zwei Seiten einer Identität. 58 Nicht von ungefähr gibt es auch Superhelden, die ihre bürgerlichen Namen aller Welt bekanntgegeben haben und diese deshalb nicht verbergen und beschützen müssen, etwa die Fantastic Four oder Iron Man/Tony Stark. 59 Vgl. dazu exemplarisch die Figur des Nite Owl in Watchmen. 60 Die Maskierung spielt auch bei der Entgegensetzung von Superheld und Superschurke eine Rolle: Batman etwa ist durch seinen einfarbigen Anzug deutlich vom knallbunten Aufzug des Jokers unterschieden. Unter diesem Gesichtspunkt war es ein guter Einfall Christopher Nolans, die Maske des Superschurken Bane für seinen Auftritt in The Dark Knight Rises etwas zu modifizieren: Während sie in den Comics sein gesamtes Gesicht verdeckt, verbirgt sie im Film nur genau jene untere Gesichtshälfte, die Batmans Maske freigibt, und vergrößert so den Kontrast zwischen ihnen.
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globalen Maßstab konstatiert, 61 sondern auch eine intrakulturelle Koexistenz konträrer Heldenvorstellungen. Vielleicht jedoch lässt sich dieser Gegensatz versöhnen: Obwohl sie in ihren Geschichten mit diesem Versprechen auftreten, sind Superhelden als kulturelles Phänomen wohl nicht im Sinne einer Potenzierung des Heroischen zu verstehen, sondern als dessen Kompensation. Mit ihrer Kombination von Identifikationsangebot und Fiktionalitätssignalen62 leiten die Comics das Bedürfnis nach Helden von der Wirklichkeit ab in die Fiktion.63 In einer Kultur, in der gelebtes Heldentum an Bedeutung verloren hat, bewahren die Superhelden diesem einen letzten akzeptierten Modus: den eines genuin ästhetischen Heroismus.
Bildnachweise Abb. 1: Frank Miller: The Dark Knight Returns. New York [1986] 2002, S. 55. Abb. 2: Doug Moench, Chuck Dixon, Jim Aparo u. a.: Batman – Knightfall. New York [1993] 2000, Bd. 1, S. 276. Abb. 3: Action Comics 1 (Juni 1983), Cover; Frank Miller: The Dark Knight Returns. New York [1986] 2002, S. 130; Mark Millar, Dave Johnson, Kilian Plunkett u. a.: Superman – Red Son. New York 2004, S. 22; Mark Waid, Leinil Francis Yu, Gerry Alanguilan: Superman – Birthright. The Origin of the Man of Steel. New York 2004, S. 50. Abb. 4: Jeph Loeb, Tim Sale u. a.: Superman For All Seasons. New York 1998, S. 41, 63.
61 Vgl. Münkler: Heroische und postheroische Gesellschaften (Anm. 1), S. 751 f. 62 Zahlreiche häufige Merkmale von Superhelden – außerirdische Herkunft, Superkräfte etc. – machen das Genre eindeutig als nicht-realistisches kenntlich. 63 Da Superhelden-Comics stets eine jugendliche Stammleserschaft hatten, findet diese Kanalisierung des Heroismus-Bedürfnisses in unschädliche Bahnen bezeichnenderweise primär bei jener Altersgruppe statt, die laut Münkler selbst in postheroischen Gesellschaften am stärksten für die Restitution heroischer Dispositionen anfällig ist. Vgl. Münkler: Heroische und postheroische Gesellschaften (Anm. 1), S. 751 f.
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Report "Wenn Identität mittels einer Maske sichtbar wird. Zu Geschichte, Wesen und Ästhetik von Superhelden. In: Nikolas Immer, Mareen van Marwyck (Hrsg.): Ästhetischer Heroismus. Konzeptionelle und figurative Paradigmen des Helden. Bielefeld: transcript 2013. S. 107–128. "