Vorformen und gelöste Zustände – Spielen mit Huizinga und Winnicott

June 3, 2017 | Author: Alexandra Trencséni | Category: Anthropology and Psychoanalysis, Donald W. Winnicott, Psychoanalysis and art, Johan Huizinga, homo ludens, Johan Huizinga, Playing and the discourse of rules
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Alexandra Trencséni

Vorformen und gelöste Zustände Spielen mit Huizinga und Winnicott

Vorformen und gelöste Zustände – Spielen mit Huizinga und Winnicott

© Alexandra Trencséni 2016

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1. Intro Ich nehme an, dass Kulturerfahrungen sich direkt aus dem Spiel ableiten, und zwar aus dem Spiel derjenigen, die noch nie von Spielregeln gehört haben. (D. W. Winnicott: Vom Spiel zur Kreativität. S. 116)

Alexander Calder, 1975.

Ein roter Punkt kann vieles sein. Wie in Calders Zeichnung: durch seinen Ort am oberen Rand des Blattes und eine hinzugefügte Figur im unteren Feld als Luftballon hoch oben denkbar – oder als Selbstzitat seiner farbigen Mobile-Scheiben aus Stahl (dazu noch eine dünne rote Linie, aus der unser Geist die Schnur macht) – zugleich schon fast eine S ­ onne, die sozusagen fest am Bändel gehalten wird… Dieses Ineinandertreten von konkretem Ausgangsmaterial (Papier, Punkt, Rot) und dem, was man daraus machen kann (und unweigerlich machen wird), nämlich Bedeutungen zuweisen, abzubilden – gleichsam ein Produktionsportrait liefernd – vollzieht sich hier im leichten Register; Calder war an einer Aufnahme seiner Arbeiten in den Kanon Großer Kunst eher mäßig interessiert, bastelte bis zuletzt an winzigen skurrilen Drahtfiguren für seinen »Circus«. Für Kinder wäre so ein Luftballon sehr groß, für Erwachsene hingegen eher klein. Dieser Betrachter auf dem Bild ist der Statur nach eher kein Kind mehr.… Was wir aber auf der Zeichnung von dem roten Punkt sehen, ist, wie mir jemand sagte, was ein Kind sehen würde: nämlich einen riesig großen Luftballon. Calders Zeichnung, die er mit 75 Jahren, ein Jahr vor seinem Tod, machte, manifestiert, was es heißt, spielen zu können – zum Beispiel, sich flexibel in offenen Registern zu bewegen, die man sonst für einander ausschließend halten könnte; die Fähigkeit zu so einem beweglichen

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Umgang mit Widersprüchen wird nur möglich in einem Raum jenseits von Festlegungszwängen – einem offenen Raum: ohne Fixierungen, aber nicht ohne Qualitäten. (…) der englische Psychoanalytiker D. W. Winnicott hat gezeigt, dass es falsch ist, das Spiel des Kindes auf eine rein spielerische Tätigkeit zu reduzieren. Dazu hat er an den Gegensatz zwischen game (streng geregeltes Spiel) und play (frei sich entfaltendes Spiel) erinnert. TW ist natürlich auf der Seite des play, nicht des game. Aber das ist nicht alles. In einem zweiten Stadium seines Unternehmens geht Winnicott vom play, das noch zu steif ist, zum playing über: das Reale des Kindes – und des Künstlers – ist der Manipulationsprozess, nicht das produzierte Objekt (Winicott ersetzt schließlich systematisch die Begriffe durch die ihnen entsprechenden verbalen Formen: fantasying, dreaming, living, holding usw.) All das gilt sehr wohl für TW: sein Werk ist nicht Sache eines Begriffs (trace), sondern einer Tätigkeit (tracing), besser noch: eines Feldes (des Blattes), sofern sich darin eine Tätigkeit entfaltet. Für Winnicot verschwindet beim Kind das Spiel zugunsten seines Platzes. Für TW verschwindet die »Zeichnung« zugunsten der Gegend, die sie bewohnt, mobilisiert, bearbeitet, durchkreuzt – oder ausdünnt. (Roland Barthes: Cy Twombly. Merve 1983)

2. Spielen mit Huizinga und Winnicott Zeitgeist ist, unser Handeln und Miteinander in Begriffen von Spiel und Regeln zu beschreiben; Game-Maker, Game-Changer, »beste Regelbrecher« und ähnliche Gestalten zirkulieren als Adressaten von Coaching-Rethoriken und in anderen Arenen der Selbstoptimierung – in der Finanzsphäre ohnehin, die Wesentliches den mathematischen Spieltheorien Mitte des 20. Jahrhunderts zu verdanken hat (von denen wenigstens eine ihren Anfang im Casino nahm). »Gesellschaft spielen: Das Spiel als Methode«, ein Panel der UDK Berlin im Jahr 2014, kann als prototypisches Veranstaltungskonzept gelten, wenn es darum geht, Gesellschaft, Entwürfe, Zukunft, Regeln, mögliches Miteinander zu verhandeln.1 In diesem Spannungsfeld werden aus Regeln und ihren Absprachen, wie aus ihren Übertretungen, so etwas wie Ich-Agenten: Handeln in der Hoffnung, darin selber noch vorzukommen:

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Die Unterscheidung Gesellschaft versus Gemeinschaft über das ›Als ob‹: Die Freiheit und sogar Notwendigkeit, in einer Gesellschaft jenseits von Identifikation Rollen spielen zu können, und auf diese Art gleichsam vom System im Innern unangetastet zu bleiben (wenigstens, solange man nicht aus der Rolle fällt – das ist leider das kleine »Muss« im freiheitlichen ›Als ob‹), hat Helmuth Plessen 1924 in einem Essay kontrastiert mit den multiperspektivisch weniger toleranten »Grenzen der Gemeinschaft«. (Vgl. Dirk von Petersdorffs anregenden Aufsatz zu Plessners Spielbegriff und dem Verhältnis von Gesellschaft & Moderne zu Divergenzpotentialen moderner Kunst in: »Auch eine Perspektive auf die Moderne: Helmuth Plessners ›Spiel‹-Begriff«, Heidelberg 2007). Festzuhalten ist, dass beiden Modi jeweils Freiheitsaspekte eignen, die umschlagen können: In der Gesellschaft die wir kennen, schlägt er leicht um in Gewalt wenn etwa jemand benötigen würde, nach ihren konkreten, individuellen Umständen jenseits von Rollenerwartungen beurteilt oder respektiert zu werden oder s/eine Situation von Brauchen oder Kapazität die Regelregister sprengt.

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gemäß den eigenen, individuellen Umstände handeln zu können und behandelt zu werden. (So gesehen adressiert Griechenland in diesen Tagen die EU seinerseits als Gemeinschaft, wird von ihr aber als Gesellschaft beantwortet.) Spiel, mit wachsender Ausschließlichkeit als Ort der Regeln aufgefasst (die zunehmend in vorauseilendem Gehorsam aufgestellt und eingefordert werden),2 wird auf diese Weise zum symbolischen Terrain für das Ineinander von Freiheits- und Gewaltmomenten. Ich will im folgenden weder Bourdieu oder Flusser, noch die vielen aufgreifen, die sich vor und nach Schiller in Ästhetik, Philosophie, Politik, Gesellschaft, Sprache und Pädagogik vielfältig mit dem Spiel und seinen Regeln befassten, sondern über Huizinga und Freud mit Winnicott darüber nachdenken, wann Regeln eigentlich zustande kommen – und was ihre Diskurse aufrufen, wenn man sie von dem her betrachtet, was ihnen vorausgeht. Johann Huizinga publizierte »Homo Ludens« 1938 als Studie der eben erst aufblühenden Kulturwissenschaft, die dem Homo Faber und Homo Oeconomicus Menschen als Spielende gleichberechtigt an die Seite stellt. Das Spiel interessiert ihn weniger individual- oder entwicklungspsychologisch, denn als und in Formen und Funktion der Sozialität – was heißt, weniger das Spiel und Spielen selbst als Thema zu erkunden, als vielmehr darüber gleichsam leitmotivisch Kultur zu erfassen – die seinem Nachweis folgend ganz aus (von ihm als agonal aufgefassten) Formen des Spiels besteht. Um diese Theorie zu bilden (und auch, um sie tragfähig anzuwenden), muss er vieles weglassen: Wir werden uns auf Spiele sozialer Art beschränken. Sie sind leichter zu beschreiben als die Spiele von Säuglingen weil sie ihrer Gestalt nach entwickelter und gegliederter sind und weil sie vielfältigere und sichtbarere Kennzeichen an sich tragen, während man bei der Definition des primitiven Spiels fast unmittelbar auf die unabweisbare Qualität des Spielhaften stößt, die unserer Meinung nach einer Analyse unzugänglich ist. Das Nachdenken über Spiel als soziale Funktion ist, was ihn am meisten interessiert. (…) Gegenstand ist das Spiel als eine Form von Aktivität, als sinnvolle Form und als soziale Funktion (…) das Spiel in seinen mannigfaltigen konkreten Formen selbst als soziale Struktur. (S. 6) (…) Das Gemeinschaftsleben erhält seine Ausstattung (…) in Gestalt von Spielen. In diesen Spielen bringt die Gemeinschaft ihre Deutung des Lebens und der Welt zum Ausdruck. Dies ist nicht so zu verstehen, dass Spiel in Kultur umschlägt oder sich in Kultur umsetzt, vielmehr dass der Kultur in ihren ursprünglichen Phasen etwas Spielmäßiges eigen ist, Ja dass sich in den Normen und der Stimmung eines Spiels aufgeführt wird. (Abschnitt Spiel & Wettkampf HL Ausgabe 2011, S. 77)

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Vgl. Ina Hartwig zu den »Regeln der Sensibilisierten« nach Foucault, »ZEIT« Nr. 11, 12. 3. 2015, S. 45.

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Den Nachdruck, mit dem er an vielen Stellen im Text in seiner Definition des Spiels den »Agon« als Grundlage fasst, den Wettkampfaspekt, begründet Huizinga durch die Absicht, ›ursprüngliche‹ Spiele samt kriegerischem Potential produktiv zu integrieren und von da aus all unsere gesellschaftlichen Kulturformen entwickelt zu finden: Gerichtsszenarien ebenso wie Kriegsformen, Philosophie, Dichtkunst, Liederwettstreit u. v. a., die auf Vereinbarungen basieren (Regeln), und erlauben, das Spiel dank seiner Regeln selbst als ordnungsstiftendes Gefüge zu etablieren. Es liegt dennoch nahe, diese deutliche (und später vielfach kritisierte) Betonung des Agon nicht nur als Abgrenzung zu idealisierenden Spielauffassungen zu lesen, sondern auch als Reaktion auf das Nazi-Regime und seine Propagierung des »totalen Krieges«: d. h. eines Spiels, das nach Huizinga keine Regeln mehr kennt und auch keine zu respektierenden Mitspieler mehr: (…) Konnte der Krieg unter dem Aspekt einer Kulturfunktion betrachtet werden, solange eine Gemeinschaft die andere als »Menschen« anerkannte und den Kriegszustand (…) deutlich vom Friedenszustand einerseits und von verbrecherischer Gewalt andererseits schied. Erst die Theorie des totalen Krieges verzichtet auf den letzten Rest des Spielmäßigen im Krieg und damit zugleich auf Recht, Kultur und Menschlichkeit überhaupt.3

Ginge man von der im ›Homo Ludens‹ als »Einspielung/in-lusio« erkannten »Relativität und Sprödigkeit« auch dieser gemeinschaftlich etablierten, auf Unentrinnbarkeit angelegten Gewalt-Welt des Naziherrschaft aus, wäre Spielverderber sein die einzige Möglichkeit hinaus gewesen. (Flucht war die andere: Das Spiel nicht notwendig verderben, es dafür aber überleben. 1968 dann die Spielverderber-Formel des amerikanischen Lyrikers Carl Sandburg: »Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!«) Aber in seinem Anliegen, die Welt und unser Miteinander weiterhin von Vereinbarungen her denken zu können, mussten die Nazis die Spielverderber sein; zumindest konnte Huizinga sie so wenigstens noch als solche bestimmen und unterscheiden; wenn sie ihrerseits schon keinen Unterschied mehr machen wollten. Man muss sich den auf allen Fotos wunderbar eigensinnig-versonnen dastehenden Mann im Zentrum dieser ausgehärteten Welt im ›totalen Krieg‹ vorstellen; drangsaliert von den Nazis und schreibdenkend um seine Lebendigkeit und das innere wie äußere Recht darauf: Vielleicht ein Grund, weswegen er weitergehende Überlegungen zum ›Spielen vor Regeln‹ ausließ: mehr als die Gültigkeit einer Theorie stand auf dem Spiel. Die Funktionen des Spiels, wie es die frühe Psychoanalyse reflektiert, galten ihm (wie auch das Fachgebiet selbst) jenseits ihres therapeutischen Rahmen irrelevant – zudem interessierte ihn das Spiel durchaus gegen Freuds Verknüpfungen:

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Zugleich erlaubt ›Krieg als Spiel nach Regeln‹ bis heute die Argumentation, einen solchen für angemessen halten zu können, sofern nur (seine) Regeln eingehalten werden.

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Alle Forscher legen den Nachdruck auf den uninteressierten Charakter des Spiels. Dieses Etwas, das nicht das »gewöhnliche Leben« ist, steht außerhalb des Prozesses der unmittelbaren Befriedigung von Notwendigkeit und Begierden, ja, es unterbricht diesen Prozess.4 Man könnte fragen, weswegen es Huizinga so wichtig ist, das Spiel frei von solchen Motivationen zu halten? Festzuhalten ist, dass er sich in eben diesem Abschnitt auf interessante Weise mit Winnicott trifft, wenn der (gegen Freud wie auch zum Teil gegen Melanie Klein), schreibt: Mit Spielen ist immer Erregung und ein Wagnis verbunden. Dieses Merkmal ist nicht auf Triebregungen zurückzuführen, sondern auf das Wagnis, das entsteht, wenn in der Vorstellung des Kindes Subjektives (mit Halluzinationen vergleichbares) und objektiv Wahrgenommenes (die wirkliche, erlebbare Realität) zusammenwirken. (S&K S. 61) »Wenn Psychoanalytiker vom Spiel sprechen«, so der Zürcher Analytiker Peter Schneider über Freuds Aufsatz über den »Dichter und das Phantasieren«, »denken sie in der Regel an ein Konzept, das Freud (…) entworfen hat, in welchem er die künstlerische Produktion aus dem kindlichen Spiel ableitet: Der Gegensatz zu Spiel, schreibt er dort, laute nicht Ernst, sondern Wirklichkeit. Im Spiel werde ein Raum jenseits der Realität geschaffen. Spielen bedeute handelndes Phantasieren. Es habe für das Kind dieselbe Bedeutung wie der Tagtraum für den Erwachsenen. (…) In dieser Sichtweise erscheint das Spiel als eine Stufe in der psychischen Entwicklung, welche freilich niemals vollständig aufgegeben wird. Das Spiel ist mehr oder minder geheimes Theater mehr oder weniger verborgener Wünsche und als solches Katharsis und Kompensation zugleich.« – Trotz eines gemeinsamen Bezugs auf Vorstellungskraft steht Freuds Vermittlung des Spiels im komplexen Verhältnis von Lustprinzip und Realitätsprinzip über Trieb & Sublimierungen (so sie einem denn möglich sind)5, Huizingas Auffassung der Grundlage von Kultur ganz entgegen. Etwa, wenn Huizinga zum »Freudianismus« in den kulturkritischen Schriften (Band 1 S. 75, Fink Verlag, Berlin 2014) schreibt: »Seine Voraussetzung infantiler Triebe als Grundlage des gesamten psychischen und geistigen Lebens lässt nämlich, in christlichen Begriffen gesprochen, die Tugend unter der Sünde rangieren, lässt aus der Fleischlichkeit die höchsten Erkenntnisse hervorgehen.« Immerhin schreibt er hier: »die höchsten Erkenntnisse«, und nicht etwa: belanglose – das zeigt, dass er den sonst nie erwähnten Freud ziemlich genau gelesen haben muss. »Doch was schert das ein Geschlecht, das von christlicher Weisheitsliebe oh-

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Als Referenz nennt er hier nicht Freud, sondern den Psychologen Botendijk.

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Jaques Derrida: »Ich werde diesen Speicher hinaufsteigen (…). Subliminal, unter dem Himmel, die Werkstatt und der Beginn meiner Sublimierung, meine akzeptierte Trennung, meine geliebter Verzicht, die Heiterkeit der Katastrophe. Lust bereits, hier zu sterben. Jetzt schnappt die Falle, die Falltür zu.« Biografie von B. Peeters, S. 427.

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nehin schon abgefallen ist und mit dem dehnbaren Begriff der Libido so genüsslich spielen kann wie mit einer Ziehharmonika.« 6 Huizingas Bemerkung mutet beinahe wie eine skurrile Verdrängung an – als ob er, der sich als christlicher Mennonit verstand, eine der produktivsten Denkfiguren seiner Zeit zwar erfassen kann – sie aber nun nicht weiter verarbeiten, sondern leider verwerfen muss. Womöglich, weil sich daraus keine Ethik ableiten ließ? Ethik, Spiel, Kultur : diese drei sucht »Homo Ludens« just über Regeln und ›Agon‹ verknüpft zu halten. Es wäre möglich, die Setzungen Freuds dem konservativen Freigeist Huizinga gleichsam als Provokationen gegenüberzustellen; etwa Überlegungen zu Sexualität, Trieb, Libido, Religion und theistischen Religionsformen aus »Die Zukunft einer Illusion«7, oder andere Texte, und in Huizingas Texten die feinen Echos seines Widerstands zu suchen. Aber um Huizinga weiterhin produktiv zu machen für unsere ludifizierte und zugleich gründlich wie diskret – d. h. unbemerkt bis ins psychische Innerste – bestens durchregelte Gegenwart, ist es, glaube ich, ergiebiger, nach Ergänzungen oder weiteren Verknüpfungen seines Ansatzes wie seiner Arbeitsdefinition des Spiels zu suchen – sogar für sein höchst­ eigenes Anliegen: dem Erfassen der Hervorbringung von Kultur als Spiel; und diese Ergänzungen unter anderem aus eben jenem Bereich zu holen, den er so füglich erledigt fand: etwa mit dem britischen Analytiker Winnicott, wenn es um die Schwebe des Verhältnisses von subjektiver Wirklichkeit und äußerer Wirklichkeit geht. An dieser Stelle sei nochmals an die Definition Huizingas vom Spiel aus dem Anfang des Homo Ludens erinnert: Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des »Andersseins« als das »gewöhnliche Leben«. So definiert scheint der Begriff geeignet zu sein, alles zu umfassen, was wir bei Tieren, Kindern und erwachsenen Menschen Spiel nennen: Geschicklichkeitsund Kraftspiele, Verstandes und Glücksspiele, Darstellungen und Aufführungen. Diese Definition kann bis heute als richtig gelten, aber ganz vollständig ist sie nicht: denn sie kann nach Huizingas Auslegung zwar »Agon« enthalten, den binär verfassten Wettkampfaspekt; aber Spielen ohne Regeln führt er, wie eingangs erwähnt (neben rein physischen Spielen, wie etwa den später von Caillois notierten Drehschwindelspaß), nicht an.

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Erstaunlich bleibt, dass das psychoanalytische Hinterfragen der Möglichkeit, so etwas wie die eigene Epoche/Gegenwart in situ überhaupt angemessen zu realisieren, für Huizingas spannende Überlegungen zu Möglichkeiten und eben auch Begrenzungen des Kulturhistorikers nicht einmal s/ein mildes Interesse an Psychoanalyse hat motivieren können.

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Unwahrscheinlich, dass dieser Titel von Freuds Aufsatz eines Tages so lauten wird, wie ihn die Verfasserin des vorliegenden zuerst getippt hatte: »Die Geschichte einer Illusion«.

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3. Vorformen und gelöste Zustände Außer ihrer Qualität, Absprachen zu justieren darüber, was auf welche Art geteilt werden kann, sind »Regeln« das, was hinzukommt, wenn das Spielen oder ein neu gefundenes Spiel formalisiert wird, und das heißt eben auch: wenn sich so etwas wie eine Gewohnheit, und das heißt auch: Konditionierung, entwickelt. »Mama, ich geh’ spielen!«: Calvins Sprung in den offenen Raum Versuchsweise könnte man behaupten: Spiele ohne Regeln gibt es, bevor sich Regeln bilden: Beispielsweise die Aktivität der Skater, bevor es »Skaten« gab: nichts anderes nämlich, als eine Gruppe hormonell schwankender Jugendlicher mit einem Überschuss an Bewegungsenergie, die an einem zu ruhigen Tag an ihren Rollschuhen herumschrauben und sodann ihre gesamte Umgebung ausschließlich unter dem Aspekt der Befahrbarkeit betrachten… Man könnte, wenn man sich die künftigen Skater ansieht, so weit gehen zu sagen, dass der erste unvermeidbare Aspekt, wenn es ans Spielen geht, eigentlich der ist, Regeln außer Kraft zu setzen – nicht aus Opposition heraus, sondern einfach, weil die vorgefundene Situation für die innere im Moment nicht adäquat ist: es finden also Neu-Anpassungen statt – aber nicht unbedingt an die Umgebung, sondern der Umgebung an die eigenen Ideen: sie wird auf eine Weise genutzt werden, für die sie den Übereinkünften und der bisherigen Gewohnheit nach nicht vorgesehen war. Außerkraftsetzen der Regeln – oder vielmehr das Betrachten der Umgebung unter dem Aspekt der Brauchbarkeit (Material) – wäre hier der Vorgang, durch den zuletzt aus dem Vorplatz der neuen Nationalgalerie ein Skatepark wird. Es ist dabei nicht immer nötig, etwas eigens herzustellen oder zu erschaffen (»creare«, zuerst als allein göttliche Kompetenz im theologischen Feld verortet) – oft findet sich eine Möglichkeit; oder man könnte sagen: Potentialität ist vorhanden, wird entdeckt, und setzt Handlungsenergie frei, der nur noch zu folgen ist.8 Gleiches gilt für »Parcour«, das Spiel, das im letzten Jahrzehnt von Jugendlichen aus den frz. Banlieus entwickelt wurde: Großstadt als Hindernislauf: nichts an der Stadt wird verändert, nur umgedeutet – und das öffnet neue Möglichkeiten. – Ein Raum des Spielens, und noch keine Regeln. Dann erst kommt, wie immer in so einem Prozess, gleichsam das Aushärten: Verfeinerungen, Virtuosität, Regeln, Ge- und Verbote; bis zu offiziellen Wettkampf und einer ganzen SkatingIndustrie – und Splitt vor der neuen Nationalgalerie: damit dort nicht mehr geskatet werden kann… Also das ganze Programm von Formalisierung, Kommerzialisierung und Einhegung. 8

Für Erwachsene womöglich noch schwieriger als Sublimation: Kein Plan, kein Abwägen, sondern unmittelbare spontane Manifestation: »– Ich geh’ spielen!« (In jedem Fall ein Umgang mit Erscheinungen, der auch dem üblichen Vorgehen von Theoriebildung und -anwendung entgegengesetzt ist: der Nationalgalerie muss fürs Skaten weder etwas hinzugefügt noch entfernt werden: sie kann bleiben was sie ist – sie wird nur anders gedeutet.)

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Anfangen konnte das Neue aber nur als Spielen ohne Regeln (im Sinne Huizingas). Rasch entstehen daraus Vereinbarungen – Verabredungen zum Spiel, könnte man sagen; d. h. darüber, was dazu gehört und was nicht… (Wobei für das Spielen und Spielende selber egal, ist wie viele spielen, solange man noch beim Spielen ist/sein kann.) Das Wesen der Regel, eine Verabredung zu sein, erinnert an die Schlussszene von »Blow Up« von Antonioni: das pantomimische Tennismatch im Park, mit der unausgesprochenen Entscheidung, gemeinsam zu sehen was nicht da ist.9 …. Dass dieser Ball, also das Objekt, nicht einmal sichtbar sein muss, um in dieser Situation im Park ein veritables Tennismatch und das Vergnügen aller Beteiligten zu ergeben, liegt an unserer erstaunlichen Kapazität zu teilen, was keinem ganz gehört – die Winnicott (S/K. S. 23f) so formuliert: Wir behaupten nun, dass die Akzeptierung der Realität nie ganz abgeschlossen sein wird, dass kein Mensch frei von dem Druck ist, innere und äußere Realität miteinander in Beziehung setzen zu müssen, und dass die Befreiung von diesem Druck nur durch einen nicht in Frage gestellten intermediären Erfahrungsbereich (Kunst, Religion usw.) geboten wird. (Vgl. Riviera 1936). Dieser intermediäre Bereich entwickelt sich direkt aus dem Spielbereich kleiner Kinder, die in ihr Spiel »verloren« sind.10 (…) Einen Erwachsenen, der uns zumutet, seine subjektiven Phänomene anzuerkennen, halten wir für geistesgestört. Gelingt es ihm aber, seinen persönlichen, intermediären Bereich ohne diese Ansprüche zu genießen, so können wir unseren eigenen intermediären Bereich zur Kenntnis nehmen und uns freuen, wenn wir Überschneidungen entdecken; dies sind die gemeinsamen Erfahrungen mehrerer Mitglieder einer Gruppe auf dem Gebiet der Kunst, der Religion oder der Philosophie.

9 Ein erfolgreicher Modefotograf, der davon lebt, andern die Blickrichtung vorzuschreiben – den Models – und sich die Welt und alle möglichen Bindungs-Objekte darin eigentlich fast nur als Motivressource erschließt, findet sich zuletzt nochmals im Park, nun aber seiner Gewissheit bezüglich der Blickrichtungen, denen zu folgen ist, beraubt. – Beim Fotografieren eines Liebespaars im Park hatte er zuerst eine davon ignoriert und entdeckt später, über letztlich in keine brauchbare Eindeutigkeit mündende Bildvergrößerungen und vergebliche Handlungsversuche zur Aufklärung, dass diese kleine Ignoranz einen Mord entweder übersehen oder aber sogar erst ermöglicht hat. In einer zuletzt doch erschütterten oder wenigstens brüchigeren Verfassung trifft er nochmals auf eine Gruppe Pantomimen, die sich diesmal auf einem leeren Tennisplatz zu einem Match mit Zuschauern zusammentun und beginnen, einen unsichtbaren Ball mit aller Präzision über die Schnur zu spielen – und der Fotograf, der ihnen in einer Art müden Belustigung folgt, greift nun selber ihre Blickrichtungen auf, folgt gleichsam dem Ball… Alle zusammen bewegen aufeinander abgestimmt diesen nicht existenten Ball – zuletzt spielt Antonioni noch sein Klacken auf die Film-Tonspur, und der bisher so selbstbezogene Fotograf wirft schließlich diesen Ball, der plötzlich zu ihm über den Zaun geflogen kommt, zurück ins Spiel – verdirbt es also nicht, spielt auch nicht mit den Regeln selbst, sondern greift das Angebot zur Teilnahme auf. 10 Verlorengehen ist möglich (und kann ein Vergnügen sein, solange es befristet bleibt und mit Gefundenwerden endet), aber vielleicht weniger absolut als vermutet: Hans W. Loewald greift Winnicotts Unterscheidung auf und formuliert, dass es eigentlich kein »Zwischen« geben muss, weil Realität und Phantasie gerade nicht als trennbar zu verstehen sind, sondern sich ständig in gegenseitiger Durchdringung realisieren. (Vgl. Loewald 1986, S. 358). Das kann beunruhigend erlebt werden, aber auch mühelos. Die Geschmeidigkeit des 4-Jährigen an der Bushaltestelle etwa, der einen flachen runden Keks am ausgestreckten Arm sich um sich selbst drehend hochwirbelte und begeistert rief – Raumschiff! Dann davon kurz abbiss: Keks. Ihn sodann wieder in den Raum wirbelte, bis zum nächsten Bissen... Die Mutter war skeptisch: Ihr erschien der Keks nicht raketenförmig genug; das Kind blieb davon unbeeindruckt.

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Und die sich bei Huizinga so findet: (S. HL Ausgabe 2011, S. 30) Die Spielstimmung ist ihrer Art nach eine labile. Jeden Augenblick kann das »gewöhnliche Leben« seine Rechte zurückfordern, sei es durch einen Stoß von außen, der das Spiel stört, oder durch einen Verstoß gegen die Regeln, oder von innen heraus durch einen Ausfall des Spielbewusstseins, durch Enttäuschung und Ernüchterung. Anlässlich von Überlegungen zum Bildhaften und Symbolischen des Spiels, u. a. in Rollen, schreibt Huizinga über Franz von Assisi und seine hochverehrte Braut »Armut«: (…) Sind nicht vielmehr alle die Verbildlichungen von Anfang bis Ende nur ein Spielen des Geistes? (…) Stellen wir aber die nüchterne Frage, ob er an ein geistiges Wesen, an eine Himmelsehe mit Namen Armut, glaubte, an ein Wesen somit, das wirklich die Idee der Armut war, dann stocken wir. Schon mit der Fragestellung in solch nüchtern logischen Worten hat man den Gefühlsinhalt der Vorstellung forciert. Der ­heilige Franz glaubte an sie und glaubte auch nicht an sie. Die Kirche autorisierte ihn kaum, wenigstens nicht ausdrücklich (…). Die Stimmung der Armutsvorstellung musste zwischen dem Gebiet der dichterischen Verbildlichung und dem des gläubig bekannten Dogma in der Schwebe bleiben, mag sie auch nach diesem zu gravitiert haben. Der bündigste Ausdruck für diese geistige Aktivität bleibt der: der heilige Franz von Assisi spielte mit der Figur der Armut. (…) Das Spielgehege, innerhalb dessen Heilige und Mystiker spielen, liegt jedoch über der Sphäre des vernünftigen Denkens, die für an logische Begriffe gebundene Spekulationen unzugänglich ist. Die Begriffe Spiel und Heiligkeit behalten immer Kontakt miteinander.11 [Kursivierung A.T.]

Ungewöhnlich für Huizinga, dass er den Glauben von Assisi gleichsam als Kapazität zu spielen fasst und so ein paradoxes Spiel jenseits von Regelverhältnissen entfaltet, das sie auf subtile Weise unterläuft – nah an Winnicotts Schwebe der Wirklichkeitsverhältnisse, wenn dieser schreibt: In diesem Spielbereich bezieht das Kind Objekte und Phänomene aus der äußeren Realität ein und verwendet sie für Vorstellungen aus der inneren, persönlichen Realität. Das Kind lebt mit bestimmten, aus dem Innern stammenden Traumpotentialen in einer selbst gewählten Szenerie von Fragmenten aus der äußeren Realität (ohne dass man dabei von Halluzinationen sprechen könnte). (S. 63)

11 Vgl. hierzu Caillois’ Kritik an dieser Verknüpfung in »Das Spielelement in der Kultur«, Hrsg. Knut Ebeling, S. 67f.

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In seinem Aufsatz »Über den Dichter« setzte Freud 1908 wie erwähnt den Gegensatz zum Spiel nicht mit dem Ernst wie Huizinga (der den Ernst als »Nicht-Spiel« auffasst, d. h. dem Spiel nachgeordnet), sondern mit der Wirklichkeit: Die liebste und intensivste Beschäftigung des Kindes ist das Spiel. Vielleicht dürfen wir sagen: Jedes spielende Kind benimmt sich wie ein Dichter, indem es sich eine eigene Welt erschafft oder, richtiger gesagt, die Dinge seiner Welt in eine neue, ihm gefällige Ordnung versetzt. – Womit wir wieder bei den Skatern sind, die en passant zeigen, dass ›Wirklichkeit‹ eben nicht gegeben ist, sondern immer etwas Hergestelltes, d. h. auch Veränderliches – ohne, dass etwas ausgelassen werden muss. Freud beschreibt einen Grundzug des Spielens nicht – wie auch das multiple, relative und immer schon konstruierte Wesen von Wirklichkeit (die so gesehen von uns allen immer nur auf Zeit erspielt wird) – er denkt aus der Sicht von Erwachsenen…12 Es wäre dann unrecht zu meinen, es nähme diese Welt nicht ernst; im Gegenteil, es nimmt sein Spiel sehr ernst, es verwendet große Affektbeträge darauf. Der Gegensatz zu Spiel ist nicht Ernst, sondern — Wirklichkeit. Das Kind unterscheidet seine Spielwelt sehr wohl, trotz aller Affektbesetzung, von der Wirklichkeit und lehnt seine imaginierten Objekte und Verhältnisse gerne an greifbare und sichtbare Dinge der wirklichen Welt an. Nichts anderes als diese Anlehnung unterscheidet das »Spielen« des Kindes noch vom »Phantasieren«.

Die von Freud beobachtete Verselbstständigung von noch an die Wirklichkeit angelehnten »Spielgeschichten« als Tagtraum des Erwachsenen auf einer nur noch innerlichen Bühne – in dem

12 Vgl. Vilém Flusser, der im Kurzessay »Spiele« die ›fließende Welt‹ (»ukiyo«) ohne festen Ursprung oder Ausgangspunkt – allerdings nur in einer Sphäre von Regeln erkundet.

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Maß, wie das »Realitätsprinzip« den Aufschub all jener Impulse aufnötigt, die (ihrer Natur nach in der Funktionsweise des Lustprinzips verfasst), eigentlich etwas wie Zeit und Aufschub gar nicht kennen oder wollen können, ergänzt der französische Philosoph Bernard Stiegler in seinem Essay »Logik der Sorge« durch den Gedanken, dass dieses Realitätsprinzip durchaus gebraucht wird, will das Lustprinzip seine im Imaginären verankerten Wunschzustände wenigstens annähernd ins Wirkliche umgesetzt finden können. Diese Bedingtheit entfaltet er anlässlich neuerer Rechtsprechung zur Strafmündigkeit Jugendlicher – das Ineinandergehen von Hyperjugendlichkeit der Älteren und Minderung der Fähigkeit oder Möglichkeit zum freien, d. h. nicht trieb-basierten Spielen der Jüngeren – ganz ohne Huizingas »Puerilismus« oder den »Homo Ludens«. Stattdessen nutzt er Winnicotts Beobachtung, dass Spielen etwas ist, das durchaus nicht jedem Menschen möglich ist: wenn die Umstände es nicht erlaubt haben, in einer sehr frühen Zeit ohne Angst, d. h. ausreichend gesichert13 das Wagnis des Spielens auf sich zu nehmen.14 Wagnis ist das Spielen, Winnicott folgend, nicht so sehr wegen darin enthaltener Spannungsmomente, was etwa den erfolgreichen Ausgang im Rahmen eines wie auch immer formalisierten und motivierten Spielablaufs betrifft, sondern: Das Wagnis des Spiels ergibt sich daraus, dass es stets an der theoretischen Grenze zwischen Subjektivem und objektiv Wahrgenommenen steht. (S & K, S. 62) Man könnte sagen, Huizinga ist psychoanalytischem Denken nirgends so nah gekommen wie in seiner Überlegung zur Funktion der Regeln für die Fragilität der Abgrenzung des Spielfeldes von der äußeren alltäglichen Wirklichkeit: Sobald die Regeln übertreten werden, stürzt die Spielwelt zusammen. Dann ist es aus mit dem Spiel. (…) Der Spieler, der sich den Regeln widersetzt oder sich ihnen entzieht, ist Spielverderber. Der Spielverderber ist ganz etwas anderes als der Falschspieler. Dieser

13 »Ausreichend gesichert« hieße nach Winnicott verkürzt gesagt einen geglückten Bindungs- und stufenweisen Entbindungsprozess zu jener Bezugsperson zu durchleben, die dem Säugling durch ihre anfängliche Art, sich so auf seine Kapazität, Komplikationen und Koinzidenzen einzuschätzen, abzustimmen, dass es davon meist gar nichts bemerkt – was ihm, durch unvermeidliche Fehler in der Feinabstimmung, aber auch nach und nach ermöglicht, ohne größeres Erschrecken einen Unterschied zu machen, in dem sie für ihn allmählich zum »Nicht-Ich« und als solches dann von ihm auch vollständig (samt freudvoller Schrecken der Individuation) realisiert werden kann – »hullo object!« Fände so eine Entwicklung nicht statt, könnte die benötigte Milch mit einem Beispiel Winnicotts zwar leicht halluziniert werden, aber auch zum Hungertod führen – und ein Gegenüber für das heranwachsende Kleinkind und den späteren Erwachsenen (und diese womöglich auch sich selber), wie Lewis Carols Tweedledee sagen würde: »nur eine Art von Ding in seinem Traum« sein. (Zit. nach M. Khan, 1983). 14 Stieglers Sorge gilt dem Verfall intergenerationeller Balancen, in denen die Jüngeren (deren Spielsphäre und -kapazität zu schützen wären) ihre Aufmerksamkeitsfähigkeit gegen den Angriff der Bewusstseinsindustrien entwickeln könnten, der nach Stiegler im Kapitalismus massiv über die Adressierung der primären Triebe schon im Spielzeug und -raum der Kleinsten erfolgt und bald frei wählbare Fokussierungen wie auch Unterscheidungsvermögen zu verhindern hilft und die Jüngsten so zu idealen Kunden heranbildet – deren Wunschkapazität dann Aufschub nach Stiegler kaum mehr tolerieren, geschweige denn für sich nutzen kann.

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stellt sich so, als spielte er das Spiel, und erkennt dem Scheine nach den Zauberkreis des Spiels immer noch an. Ihm vergibt die Spielgemeinschaft seine Sünde leichter als dem Spielverderber, denn dieser zertrümmert ihre Welt selbst. Dadurch dass er sich dem Spiel entzieht, enthüllt er die Relativität und die Sprödigkeit der Spielwelt, in der er sich mit den anderen für einige Zeit eingeschlossen hatte. Er nimmt dem Spiel die Illusion, die »in-lusio« buchstäblich: die Einspielung –

… Jeder, der Homo Ludens gelesen hat, wird sich deutlich an die kleine Anekdote (aus dem Abschnitt »formale Kennzeichen des Spiels« S. 17) erinnern, in der das Dampflok spielende 4-jährige Kind, das einer Reihe von Stühlen vorsitzt, dem Vater (der, ganz wie Huizinga, wohl mehrere davon aufgezogen haben wird) verbietet, es zu küssen: »Vater, du darfst die Lokomotive nicht küssen, sonst denken die Wagen, es wäre nicht echt!«

Im Spiel, sagt Freud in seinem Aufsatz über den Dichter, werde ein Raum jenseits der Realität geschaffen, der sich gleichwohl ›an sie anlehnt‹. Für Huizingas Beispiel scheint mir wesentlich, dass es der Dampflok egal sein wird, ob der Vater einsteigt oder nicht: das ändert nichts an ihrer Tätigkeit. Außerdem ist es ein zweistufiger Vorgang: zuerst beschließt das Kind, dass ein Stuhl der Wagon hinter einer Lok sein kann; und dann i s t der Stuhl ein Wagon (geworden) – nun darf auch nicht mehr geküsst werden; weil es sonst der Lok an Echtheit fehlt: eine Regel ist gegeben. (Eigentlich: entstanden).

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Man könnte sagen, dass es zwei Aggregate gibt: von denen eines etwas flüssiger ist und worin Entdeckungen gemacht werden und eines, das etwas fester ist, worin sie zur Anwendung kommen. Der charakteristische Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen scheint mir persönlich weniger der zwischen nach innen verlagertem Tagtraum und noch ins Außen getragener Phantasiewelt – sondern eher in der Fähigkeit oder Geschmeidigkeit zu liegen, mehr oder weniger die ganze Zeit über zwischen diesen beiden Aggregaten zu wechseln: also entweder, als Kind, mit großer Selbstverständlichkeit vom ersten zum zweiten Zustand und wieder zurück und wieder zurück zu wechseln; oder als Erwachsener weniger geschmeidig vor allem im zweiten, dem festeren Aggregat zu sein, wo die Dinge eine (ihnen) bestimmte Nutzung behalten und die sie – als einziges – Wirklichkeit nennen. Vielleicht könnte man soweit gehen und sagen, dass Kinder deswegen spielen, und Erwachsene deswegen Spiele spielen (müssen)? (›Vorformen und gelöste Zustände‹ würden dann der grundsätzlich immer existenten Möglichkeit zum Wechsel gelten – wobei die zweite Bedeutung von »gelöst« sich auch darauf bezieht, dass dies ein ganz entspannter Vorgang ist: eben weil er (beim Kind) die ganze Zeit und selbstverständlich im Umgang mit der Welt stattfindet. Erst für den Erwachsenen wird es nötig, (nur noch) Spiele zu spielen.15 (Vielleicht ließe sich, falls eine Unterscheidung hier von Nutzen sein sollte, sagen, dass Spielen einen Aspekt von Forschung hat und Spiel eher einen der Anwendung, und dass sie einander gut ergänzen.) 16

15 Das Ineinandergreifen der beiden Aggregatzustände wahrzunehmen, wie auch damit umzugehen, wird in unserer Gesellschaft gern an KünstlerInnen delegiert. John Cage: »Wir stehen auf und haben gut geschlafen und wollen etwas tun. Das ist alles.« 16 Hacker böten diesem Gedanken folgend ein Beispiel für Erwachsene, die unerwartet doch eher spielen: weil sie nämlich zuerst eine Sache ganz genau verstehen und sie sich dann im Detail aneignen – dann aber ihren Gebrauch vollkommen verändern. Selbst bei den Dingen, die zum Spielen gar nicht vorgesehen waren. Wie die ersten Telefonierer, die den Piepton fanden, durch den man kostenlos telefonieren konnte. (Vgl. u. a. Chaos Computer Club – Kongress 31C3, Dez. 2014: Die Programmiererin Hong Phuc Dang berichtet, wie sie mittels eines versuchsweise angeschlossenen Laptops die Einsatzfähigkeit von Strickmaschinen aus den 70ern revolutioniert; ursprünglich nur, um einen Pullover für eine sehr zierliche Erwachsene aus Asien stricken zu können.) – Auf diese Weise über Spielen nachzudenken hieße womöglich, daraus etwas zu machen, das in die wirkliche Welt eingreift (bzw. sie ständig erst hervorbringt), anstatt sich ›daran anzulehnen‹ oder sie auszuüben – nur schon, indem sie sie umdeutet, anders liest. Eine Korrespondenz zum Potential analytischer Situationen liegt nahe. Auch in kaum bemerkten Alltagssituationen ließe sich diese Art spielerischen Umgangs wohl auffinden – zumal mit KH Brodbecks Auffassung von »Kreativität«: nämlich jenseits ihrer christlich-theologisch geprägten (›creare‹) Ursprünge – als achtsamkeitsbasierter Zustand, der neue Verknüpfung zulässt. Diesem Zulassen, Wahrnehmen und Entdecken korrespondieren auch künstlerische Produktionshaltungen fern von (­Hollywoods) Identifikations-Narrativen, wie etwa die Zufallsoperationen von John Cage – da sie für Präsenzräume oder -erfahrungen gerade nicht über daumenwarme Identifikation (oder Projektion, wie Timo Storck im Aufsatz »Spiel am Werk«, in »Psyche« Nummer 65/2011, S. 1156ff, überlegt) arbeiten müssen und wollen. – Use it or loose it wäre so gesehen eine brauchbare Formel für westliche Ichfestungen und ihre Objekt- bzw. Weltzugänge, denen nur existent erscheint, worin sich etwas von einem selber wiederfinden lässt – oder eben abzulehnen; was aber dieselbe Kategorie ergibt. (So wird ein Gitarrenhals in »Blow-Up« erst vom Star im Konzert gespielt, dann von ihm zerschlagen, den Fans vor Ort zum Fetisch, dann weggeworfen und als Müll übersehen.) Manche KünstlerInnen arbeiten außerhalb dieser Kategorie oder such(t)en sie zu überschreiten. Aussagen über Kunst/ Werkprozesse bilden auch immer zugrundeliegende kulturell geprägte Ich-Auffassungen ab – und ändern sich zudem, oder sollten es, je nach Kunstbegriff und -praxis. Das gilt für Selbstaussagen- und Werkauslegungen von Künstlern ebenso wie für jene von Kommentatoren. Die jeweilige Basis ist unbedingt mitzureflektieren, will man Denkformen und Methodiken zeitgenössischer Kunst erfassen. Das Verhältnis von psychoanalytischen Auffassungen der Ich-Genese zur Deutung

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– Vielleicht wäre für unsere Gegenwart und der ihr eigenen Gleichzeitigkeit von sehr verfestigten und unerwartet verflüssigten Nutzungen und Verhältnissen ein Spielbegriff ergiebiger, der sich an anderen Kriterien als Huizinga orientiert, oder zusätzliche findet und ›Regeln‹ nicht länger als wesentlichstes Kriterium hält.17 Das Verhältnis von äußerer Wirklichkeit und subjektiver Wirklichkeit und ihren Objekten hat die Psychoanalyse mit und seit Freud in höchstem Maß beschäftigt, und es ergibt sich eine Frage nach der »Lokalisation des Spielens«, wie D. Winnicott es formuliert. Auch außerhalb der klinischen Sphäre berühmt wurde seine Formulierung des sogenannten »Übergangs­ objekts«; also jene weichgekauten Gebilde in den Händen sehr kleiner Kinder, nach deren Wirklichkeitsgrad – etwa: »hast du es gemacht oder gefunden?« man niemals fragen könnte, ohne vollkommen zerstörerisch zu wirken auf den Wirklichkeitsraum, den das Kind zu ­diesem Zeitpunkt bewohnt. Winnicott hat diesen prekären Raum so beschrieben: »Der Spielbereich ist nicht Teil der intra­ psychischen Realität. Er liegt außerhalb des Individuums, ist aber auch nicht Teil der äußeren Welt.« (S. 63) Huizinga selbst wendet sich gelegentlich doch dem paradoxen Spiel jenseits von Regeln zu, etwa bei Franz von Assisi, dessen Kapazität zum Spielen eher im Sinne Winnicotts aufgefasst wird, und auch ganz ohne den ihm sonst unverzichtbaren (und in Teilen auch ergiebigen) Agon-Aspekt auskommt. Ich vermute, dass Huizinga auch deswegen so an einer Verknüpfung der Sphären von Heiligkeit und Spiel (die wiederum Caillois in seinem Reflexion zum Homo Ludens entgegengesetzt auffasst) gelegen war, bewusst oder unbewusst, weil in diesem Bereich Manifestationen auch jenseits einer agonalen Struktur möglich sind, bzw. ihr innerpsychischer Raum hier zu den Schwebeaspekten »hin gravitiert.« – Anders wäre auch kaum zu erklären, wieso ein Nickerchen auf einmal durch ein kaltes metallenes Gerät unter dem Kinn gestört wird: die Nachfrage ans Kind ergibt, dass eine Garage gebaut worden war.

von Kunstwerk-Prozessen & Potentialen im interkulturellen Vergleich überschreitet leider den Rahmen des vorliegenden Themas.) … Wollte man Hacker mit Huizinga beschreiben, müsste man wohl sagen, dass sie eher wie Falschspieler handeln – aber nicht mehr solche, die heimlich ein Ass im Ärmel haben, sondern solche, die einfach aus allen Karten Asse machen: sie kommen nah an die Spielverderber heran. Insofern aus Verstehen Selbstermächtigung wird im Umgang mit einer Situation (oder einem Werkzeug), die einem als abgeschlossen vorgesetzt werden – jedoch ohne das Spiel selber zu zerstören, wird es durch diese Art der Selbstermächtigung geöffnet und in Bezug auf seine Regeln unerwartet weitergeführt. (Flusser hat das im Ansatz thematisiert. Vgl. Florian Rötzer »Ist das Leben ein Spiel?«, 2013). Und mit Winnicott könnte man überlegen, ob die »Level« der Computerspiele, außer als technische Notwendigkeit, nicht erlebt werden als (flache) Surrogate des intermediären Raums, bzw. der Gesichertheit, derer er bedarf, um sich zu manifestieren. 17 Auch wenn sie zur Verhinderung von Katastrophen oder als Werkzeuge pragmatischer Fairness nützlich, oder vergnüglich sein können.

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Offenheit (die nicht nur in Selbstaussagen von PsychoanalytikerInnen oft als Herausforderung, Ziel und unverzichtbare Grundlage thematisiert wird), ist nichts, was besonders einfach auszuhalten wäre. Das gilt für Gruppendynamiken ebenso wie für subjektives Erleben. Winnicott ist es geradezu ein therapeutisches Ziel, Patienten, wo nötig – etwa eine Frau, die gleichsam unablässig Schnittmusterregulierungen ihres Lebens phantasiert, aber, so Winnicott, »nicht träumen kann«, und so phantasmatisch gebunden bleibt (und ihre wirkliche Welt weiterhin starr) – zurückzubringen in die Verbindung mit Formlosigkeit. Mit der Religionsphilosophin und Winnicott-Leserin Carolin Neubaur gesprochen: »(…) Ihr ihre Kompetenz der Weltkonstruktion zurückzugeben. Denn das war die Ausgangslage, in der sie anfing, Welt zu konstruieren: die Erfahrung der Formlosigkeit. Nur solange man von dieser Ausgangslage nicht abgeschnitten ist, hat man seine Kompetenz.« (C. Neubaur, »Übergänge«, 1986, S. 33). (Eine Sichtweise, nach der es Kreativitätsprozesse schon gibt, bevor wir »ich« sagen, und »meins«.)

Winnicott setzt wiederum eine Kette, die entlang einer Deutung von Hamlets berühmter Frage »Sein oder…. Nichtsein« läuft und findet, dass Hamlet eine »wirkliche Alternative« deswegen unzugänglich war, weil sich der Gegenpol, oder eher die Weiterentwicklung von Sein, nämlich Tun (Handeln oder mit sich Handeln lassen), nicht ohne die vorgängige Erfahrung eines Zustands von Existieren erschließen lässt. Um diesen erleben zu können, sich also anwesend zu fühlen, muss man Ungerichtetheit zulassen können. Das kann beinhalten, dass man nicht sofort etwas Gewisses zu oder über eine Sache oder Situation weiß, und auch, dass es ganz unterschiedliche Möglichkeiten gibt, etwas mit ihr anzustellen.18 18 Wie ein Stuhl aussieht, wenn man sich nicht erinnern kann, schon einmal einen gesehen zu haben. Vgl. Gertrude Steins Vorlesungen zur englischen Literatur und »Tender Buttons – Zarte Knöpfe«. »Selbst Stühle und Tische sind nur Stühle und Tische, weil wir einen verständigen Gebrauch von ihnen machen – außerhalb dieses Kontextes sind sie nichts weiter als eine seltsam geformte Materiesammlung.« (Hans W. Loewald, »Psychoanalyse«, Klett-Cotta 1986, S. 81.)

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Der Lyriker John Keats hat das in einem berühmt gewordenen und sehr schönen Brief an seinen Freund 1807 »Negative Capability« genannt; Bion, Winnicott und weitere Analytiker, aber auch der Dichter und Buddhist Allan Ginsberg haben sich darauf für ihre Arbeitsweise und -haltung bezogen.

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… Wie leicht man verlockt wird, aus Winnicotts komplexen, in oft nicht aufzulösenden Paradoxien formuliertem Denken etwas ordentlich Unterteiltes zu machen, das zeigt sich schon an der Kluft zwischen dem englischen Originaltitel seines vielleicht allgemein bekanntesten Buches, nämlich »Playing and Reality« - aus dem im Deutschen: »Vom Spiel zur Kreativität« wurde. Stellten wir uns den deutschen Titel vor als »Spielen und Wirklichkeit«, wären wir in einer Lesart, die Spielen und Wirklichkeit in ein nachbarschaftliches Verhältnis, möglicherweise sogar in eines wechselseitiger Hervorbringung stellt19 und worin das schöpferische Element – das im Deutschen dann als eigene, ordentlich abgetrennte Rubrik, die erst noch zu erreichen ist, erscheinen darf – längst schon enthalten ist: und zwar in beiden Begriffen, in dem des Spielens ebenso wie in dem der Wirklichkeit. Durch Winnicotts Favorisierung von »Playing« vor dem von Melanie Klein üblicherweise verwendeten (triebbasierten) »Play« wird nicht nur der Aspekt der Tätigkeit, die Winnicott wie Huizinga für das Spielen nennen, betont – sondern durch die Verlaufsform wird es auch möglich, eine Situation, ein Tun weniger aus zwei Perspektiven, denn durch zwei A ­ ggregate zu charakterisieren – wovon eines sich unabhängig von Regeln entfaltet, während es mit Wirklichkeit umgeht bzw. sie erzeugt und so die Veränderlichkeit einer Situation oder eines Zustandes eröffnet und realisiert; während das andere eine temporäre eindeutige Basis bietet, den Halt. (Über Metaebenen verfügen beide, insofern auch Spielen von sich weiß). 19 Was auch mit B. Stieglers Überlegung korrespondiert: »Denn auch die Wissenschaft geht, wie Gaston Bachelard sagt, zunächst vom Spiel der Imagination aus, in jener spezifischen Form der Aufmerksamkeit, die man Kontemplation (theoria) nennt und die als solche zur Tätigkeit des Beobachtens führt, in der sich Lust und Realität verbinden. Insofern ist das Realitätsprinzip nicht der Gegensatz des Lustprinzips, sondern dessen Produkt (…)«. (»Logik der Sorge«, S. 31).

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– Wobei im Idealfall einer analytischen Situation beiden Beteiligten Versunkenheit oder Hingabe an die Situation ebenso zugänglich sind, wie diese beiden Aggregate, und von ihnen oder durch sie beweglich gehalten werden.

Schlussüberlegung (Anwendung) … Zuerst dachte ich, es wäre hilfreich, das Spielen – das ich als Begriff zugegebenermaßen bevorzuge, hin zu »spielerisch« zu modifizieren und es als ›Haltung‹ noch weiter zu öffnen: als Bereitschaft zu einer erst einmal situativen, nicht-analytischen, spontanen Dekonstruktion von Regeln und Situationen und ihrer Transformation für einen zuvor nicht geplanten oder unbedingt planbaren Gebrauch. Denn dann würde auch der Gegensatz von Arbeit und Spiel, den etwa Bataille in seiner Erweiterung & Kritik des »Homo Ludens« als kulturell prägend voranstellt, obsolet; mehr noch die Unterscheidung in »Arbeit« und »Nichtarbeit« – ohne dies mit der allseits beliebten Gamification verwechseln zu müssen (die, so glaube ich, weder Huizinga noch Winnicott in vielen ihrer aktuellen Formen als Spiel/en auffassen wollten). D.W.:

(…) Spiele mit Spielregeln müssen als Teil eines Versuch betrachtet werden, diesem beängstigenden Aspekt des Spielens zuvorzukommen. Denke ich weiter, dann finde ich tendenziell, dass auch »Spielen« als Kategorie (obschon mir selber so sehr daran liegt), womöglich die derzeit aufgebrachten Gegensätze von Arbeit – Spiel,20 Ernst – Spiel, Arbeit – Nichtarbeit und ähnliche, nur immer weiter fixiert. Adornos Bestimmung des Wiederholungsmoments in der mechanisch anmutenden Bewegung des Spielers am »einarmigen Banditen« als »Nachbild unfreier Arbeit« (zit. nach »Call for Papers« der IFK-Akademie 2015: »Die Regeln des Spiels«), erinnert an das entrückte Klicken heutiger »Gamer« in der U-Bahn. Über das Potential der Wiederholung im kindlichen Spiel/en sagt sie nichts – denn Kinder wiederholen alles (gern), worin sie sich wohlfühlen. Offenheit und Vertrautheit bleiben darin füreinander geöffnet, deswegen ist wiederholte Aktivität nicht unbedingt Gewohnheit. Wiederholung bildet so gesehen noch kein Kriterium für Unfreiheit.21

20 Nachzulesen im von Knut Ebeling herausgegebenen und klug kommentierten Band »Huizinga – Das Spielelement der Kultur«, Matthes & Seitz Berlin 2014. Bataille und andere Postsurrealisten waren an Intensität interessiert, als möglichen Gegenpol verinnerlichter Regulationen im Kapitalismus – perpetuieren so seine Struktur aber umso mehr. Nach Winnicotts Überlegungen zum Verhältnis von Trieb und der Fähigkeit zu spielen sind Intensität und Lebendigkeit nicht dasselbe. 21 Vgl. seriell arbeitende KünstlerInnen. In dieser Profession dient Wiederholung häufig als Vehikel, um wieder in einstige Präsenzqualitäten im Tun selbst zu finden oder aber, um das Verhältnis von Ähnlichkeit und Unterschied im verschiedenen Selben auszukosten.

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Kinder malen (oder tun), wie UNESCO-Pädagoge Arno Stern in 65 Jahren »Mal-Dienst« beobachtete, problemlos hundertmal, oft monatelang, nacheinander immer dasselbe, denselben Ablauf – malen ein Aquarium oder ein Piratenboot. Was nichts mit Gewohnheit zu tun hat: eben weil sie, während sie das tun, IN der Aktivität sind. Um diese geht es im kindlichen Spielen, nicht um das Bild als Ergebnis. Bei Gamification und »Serious Games« diverser (Selbst)-Optimierungsprogramme liegen die Prioritäten im Bezug zum Ergebnis umgekehrt: sie sind darum nichts als die raffinierte Weiter­entwicklung des Fließbandes. Erwachsenen wird Immersion oft nur verdünnt, innerhalb von Gewohntem und Ritualen, möglich: Gaming.22 (Entsprechend findet sich das Wort ›spielen‹ jetzt immer häufiger im Feuilleton verknüpft mit beinahe elegischen Freiheitsutopien: so dass man es eigentlich schon retten will vor seinen VerehrerInnen.)

… Das Problem, das ich bei Huizinga sehe, und warum ich ihn mit Winnicott (dem er vielleicht weniger fern hätte stehen wollen als seinem Zeitgenossen Freud) verbinden möchte, ist, dass Huizingas Ansatz einer Theorie als Beschreibung, mit all ihren (dazu nötigen) Auslassungen, so wunderbar funktioniert, wie diese Rädchen, deren Ineinandergreifen er beschreibt (agonal oder nicht-agonal), die zusammen ein Gesellschaftsgefüge ergeben, in dem

22 In die Art Wiederholung, von der Adorno spricht, ist keiner mehr versunken. Im Gegenteil. Die seltenen, sekundenkurzen und vollkommen beiläufigen Seitenblicke/Blickfluchten von Fließbandarbeitern, die die Tätigkeit ihrer Hände nicht einen Moment unterbrechen, und die in Langzeitaufnahmen zu entdecken sind, wirken wie Momente, in denen die Person abtaucht, oder entweicht, entwischt. So beiläufig, dass man annehmen muss, dass es sich um keine bewusste Bewegung handelt. (Nur der feine Impuls eines jederzeit mehrspurig arbeitenden Gehirns, seinem potentiellen Überfluss stattzugeben. Der wird sich künftig im »ernsten Spiel« absorbiert finden und so die Effizienz weiter steigern helfen. Auswirkungen dieser fast unmerklich weiter perfektionierten Okkupation des subtilen Eigenraums sind noch nicht untersucht.) Pädagogikauffassungen, die Wagenhofers Dokumentarfilm »Alphabet« 2014 versammelt, zeigen gleichsam nebenbei, dass es noch immer, und heute wieder verstärkt (wenn auch unmerklicher als früher) »ein Regime der Angst« (Zitat Pablo Pineda Ferrer), ist, das unsere Gestaltungen und Auffassungen des Lernens (und zunehmend auch des Spielens) prägt: Kontrolle als das A & O (durchaus auch im Freudschen Sinn, insofern die Spule am Bändel zu bleiben hat). Regeln eignen sich, um Angstreaktionen (z. B. auf Offenheit) individuell wie gruppendynamisch und gesellschaftlich zu bändigen und vielbeanspruchte Individuen der Mühe und Verantwortung individueller Entscheidungen zu entheben. Regel-Varianten und -Optionen mit aufklärerischer Absicht en Detail zu erörtern, kann darum leicht über zugrundeliegende Vermeidungen hinwegtäuschen und sollte sich darum immer auf mögliche Verinnerlichungen durchaus auflösbarer Voraussetzungen hinterfragen.

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alles am Platz ist – und sich die Frage der Öffnung oder mehr noch: nach immer schon gegebener Offenheit, aus diesem Feld heraus gar nicht stellt oder stellen lässt.23 »Ein-Spielung, also jene »in-lusio«, die Huizinga so zutreffend als Grundlage herausstellt, hat ein ambivalentes und spannendes Potential, wenn man sie aufs alltägliche Zustande kommen von allem erweitert. (In diesem Sinn erzählt »Des Kaisers neue Kleider« von der Notwendigkeit, Spielverderber zu sein. Dazu besteht von ganz außen gesehen fast immer und bis zuletzt die Möglichkeit; von innen her muss dazu oft erst ein Scheinwerfer vom Himmel fallen – oder aber einem auch einfach nur einmal langweilig sein (dürfen, können)… (Frage an den ukrainischen Grenzbeamten während der Dreharbeiten an der Grenze, 2005, mit verstecktem Mikro: ob er schon einmal die Zugvögel habe fliegen sehen, große Schwärme von Störchen unterwegs nach Afrika? Seine Antwort: »Ich schaue nie nach oben.«)24 … Huizinga, der mit seinem charakteristischen Hin und Her von Quellen und Gesichtspunkten unter wechselnden Gravitationsverhältnissen eine komplexe Sichtweise entfaltet, wird gleichwohl mit seiner Agon- und Regelfixierung zum Echo einer Zementierung, an der ihm eigentlich gar nicht liegen kann… aber der formaffine, systematische wie konservative Aspekt von Huizingas Denkens dominiert hier, unabhängig vom Bemühen, unter dem ›totalen Krieg‹ gleichsam hindurchzudenken, womöglich zu sehr. (Deswegen verfehlte er wohl auch die Potentiale der damals zeitgenössischen Kunst so gründlich; zumal er Kunstbetriebsrethoriken und -rituale mit den eigentlichen Arbeiten für seine Kritik in eins setzte.) Huizinga mit Winnicott zu lesen, eröffnet die Möglichkeit, eine Offenheit zu denken, die radikaler (lebendig) ist, als eine in wie auch immer veränderlichen Regelgefügen gegebene Welt, und deren Fehlen im Diskurs über das Spiel als Symptom der Anpassung in einer eben nur auf letzterem basierten Kultur gelesen werden kann. Es ist meine Mutmaßung, dass es heute produktiver ist, einige Gegensatzbildungen wie Arbeit-Spiel weder zu übernehmen, noch, sie immer genauer bestimmen zu wollen – sondern vielmehr nach Wegen zu suchen, sie jenseits von Negation zu überschreiten und über ein Entweder-Oder-Denken hinaus zu kommen – ohne dadurch jeweilige Qualitäten zu verlieren.

23 Nämlich, wie Neues oder Alternatives auftaucht, und welches produktive Moment dem Nichthandeln, etwa im Sinne eines nicht einmal besonders achtsamen Herumstreunens zukommt; oder wie andererseits umzugehen wäre mit dem, was ich persönlich vorerst »Spiele ohne Außen« nennen will, und damit (an andrer Stelle ausführlicher) Strukturen erfassen, die von weiter außerhalb gesehen vielleicht ihr Außen haben mögen – von innen her gesehen aber gibt es eben keines mehr: mit Huizinga gesprochen jene Welt, wie sie erlebt und geteilt wird, ehe ein Spielverderber »die Relativität und die Sprödigkeit« enthüllt, »in der er sich mit den anderen für einige Zeit eingeschlossen hatte«. – Ein Arbeitsfeld nicht nur der Analyse. Sie vollzieht sich auch im Alltagsbewusstsein. (Vgl. »Die Truemanshow«: Alles ist ausreichend wirklich, solange genügend Ich da ist – oder bis ein Scheinwerfer vom Himmel fällt.) 24 Vgl. das Aufwachen aus der »Matrix« gegen den Sog der eigenen Identitätsbahnen. Das System bleibt undurchschaubar, solange man sein Freiheitsangebot nutzt. (Ein Film, den man auch als Erzählung zum Kapitalismus sehen kann: sich von unseren Traumquanten nährend und zu seinem Funktionieren wirklich wache und lebendige Menschen leider keineswegs benötigend: solange die Wünsche, durchaus wörtlich, am Laufen – und Kaufen – gehalten werden.)

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Vielleicht müsste man dazu auch dasjenige in die Theoriebildung integrieren, was nach Huizingas Überlegungen zum Spiel womöglich eher dessen Vorformen und gelöste Zustände wären.25 Es wäre interessant zu überlegen, was geschieht, wenn man beides, Spiel und Spielen, durch die Wörter »Handlung« und »Handeln« ersetzt? Wiederholung und Gewohnheit unterscheiden sich darin, dass das Erleben in ersterer jedes Mal neu sein kann, während letztere nur dafür sorgt, ein System zu stabilisieren. (Stabilität am Strand: Sandkuchen kaputtmachen ist ungefähr genauso freudvoll, wie sie herzustellen und den Unterschied zwischen einem Haufen und einer Form zu entdecken und zu erzeugen ((oder ihn aufzulösen)). Die Sandburg der Erwachsenen darf hingegen erst zum Urlaubsende abgebaut werden – Ichgebirge.) Gewohnheit ist ein Mittel gegen Angst, ebenso wie Regeln. Offenheit braucht eigentlich nur die Bereitschaft (und Kapazität), sie zuzulassen. Und dabei zu unterscheiden in konditionierte und nicht-konditionierte Handlungen. Solche, die durch Gewohnheit zustande kommen und solche, die das nicht tun. They said, ›You have a blue guitar, You do not play things as they are.‹ The man replied, ›Things as they are Are changed upon the blue guitar.‹ (Wallace Stevens, 1937)

25 Zeitgenössisch interessant, da entspannt zwischen allerlei Kategorien operierend, gleichsam im nach-deleuzianischen Geist – dabei dem jetzigen Verknüpfungs- und Gleichwertungssog des Kapitalismus angemessener als die schönen SchizoUtopien der 60er bis 80er – fand sich unlängst die Argumentation des »Cradle to Cradle«-Designers Michael Braungart, der den Bataillschen Begriff der Verschwendung aufgreift, den dieser auch zu Huizingas »Homo Ludens« aufruft: nun aber nicht länger als ›Exzess‹ – eines gleichsam kontrakapitalistischen Widerstand gegen jedwede Art Funktionalismus und Effizienz-Terrors; sondern, wie Braungart kategorienbeweglich feststellt: »Die Natur lebt von Verschwendung. Da ist keine Effizienz, sondern Effektivität. (…)« Da die Praxis der Theorie immer voraus ist, fragt sich, was im Zeitalter von Hacking und Open-Source-Ökonomien angemessene kritische Theorie (Praxis) sein kann.

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Bildnachweis Alexander Calder, o. T., Lithographie, 1975 Thomas Eifler, o. T., Öl auf Leinwand, 1991 Schneemann-Photo: gepostet oder getagged von Nanna Heidenreich via Facebook Alexandra Trencséni, »The City of Delusion will be evacuated« (Ausschnitt), Table Talks, 3-teilige Photocollage, 2007

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