Jens Oliver Krüger, Georg Breidenstein, Tanya Tyagunova & Kai Böckelmann Von Schullandschaften zu Schulmärkten? Ambivalenzen im Diskurs zur Grundschulwahl
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Zusammenfassung: Privatisierungstendenzen im Grundschulbereich werden vielfach als Hinweis auf eine allgemeine „Vermarktlichung“ des Bildungssystems beschrieben. Der Beitrag fragt nach der empirischen Verwendung bzw. Zurückweisung von Marktsemantiken durch die „Marktteilnehmer“ selbst. Diskursanalytisch wird die Rede von Konkurrenz und die Beschreibung der lokalen Schullandschaft als „Markt“ in Interviews mit Schulleitungen analysiert.
Schlagworte: Schulmarkt, Konkurrenz, Schulwahl, Diskursanalyse
Abstract: The privatization trends in primary schools are often described as an indication of a general “marketization” of the education system. This paper addresses the question about empirical use or rejection of market semantics by “market participants” themselves. The main purpose of this paper is to examine, using discourse analysis, how competition is talked about as well as the description of the local school landscape as a “market” in interviews with school administrators.
Keywords: School market, competition, school choice, discourse analysis
1. Besuch einer „Schulmesse“ Im Herbst 2012 besuchten wir eine Veranstaltung, die als „Schulmesse“ bezeichnet wurde.1 Um Eltern bei der Privatschulwahl zu unterstützen und ihnen die Gelegenheit zu
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Veröffentlicht in: Zeitschrift für Grundschulforschung (ZfG) 2015/8 (2), S. 42-54.
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Das Projekt „Exzellenz im Primarbereich. Die ‚Beste Schule‘ als Gegenstand der Aushandlung im Entscheidungsdiskurs der Eltern“ (Leitung: Prof. Dr. Georg Breidenstein, MitarbeiterInnen: Dr. Jens Oliver Krüger, Anna Roch) ist am Zentrum für Schul- und Bildungsforschung der Martin-Luther-
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bieten, sich vergleichend einen Überblick über das regionale Privatschulangebot zu verschaffen, hatte ein örtlicher Verein eine entsprechende „Messe“ organisiert und stellte seine Räumlichkeiten dafür zur Verfügung. Wir waren gespannt auf diese Veranstaltung, denn sie schien uns in den Kern unseres Forschungsinteresses, das nach den Kriterien und Praktiken von Schulwahl fragt, zu führen. Wenn der Sinn einer „Messe“ ganz allgemein darin besteht, Transparenz in Hinblick auf eine „Marktsituation“ herzustellen, dann bot sich hier – so dachten wir – eine außergewöhnlich gute Gelegenheit um zu klären, inwiefern sich eine lokale Schullandschaft als „Schulmarkt“ in den Blick nehmen lässt. Der Besuch der Grundschulmesse wirkte auf uns jedoch irritierend. Auffällig erschien, wie vehement alle schulischen Vertreterinnen und Vertreter (überwiegend in Person der Schulleitung und/oder der Geschäftsführung), mit denen wir auf der Veranstaltung ins Gespräch kamen, betonten, dass das Verhältnis zu den anderen anwesenden Schulen auf der Messe keinesfalls als „Konkurrenz“ im Rahmen einer „Marktsituation“ verstanden werden dürfe. Doch in welcher Relation standen die Privatschulen, die hier nebeneinander für sich warben, dann zueinander? Und warum wurde die Rede von „Konkurrenz“ und „Markt“ von den schulischen Vertreterinnen und Vertretern so vehement zurückgewiesen? Die „Schulmesse“ gab uns einige Rätsel auf, denen wir im Folgenden genauer nachgehen möchten. In dem Beitrag soll die Widerständigkeit, die die Rede von Konkurrenz und die Beschreibung der lokalen Schullandschaft als „Markt“ aus Sicht der schulischen Akteure besitzt, näher untersucht werden. Welches Problem wird hier bearbeitet? Und in welchem Verhältnis stehen die Selbsteinschätzungen der schulischen Akteure zu der in erziehungswissenschaftlichen Diskursen vielfach kolportierten Diagnose einer zunehmenden „Vermarktlichung“ des Bildungsbereichs? Das Problem der Thematisierung von Konkurrenz kam auch im Rahmen von Interviews zur Sprache, die wir mit den Schulleitungen von Grundschulen – staatlichen und privaten – führten, und die hier genauer auf die Verwendung von Marktsemantiken und den Bezug auf Konkurrenz hin analysiert werden sollen. Nach einer Skizze des Forschungsstandes, die nach der erziehungswissenschaftlichen Verwendung der Marktmetapher fragt, stellen wir in knapper Form das Forschungsprojekt vor, das den Hintergrund dieses Beitrages bildet, um dann anhand des Interviewmaterials Figuren der diskursiven (Ent)Problematisierung von „Konkurrenz“ herauszuarbeiten.
2. Forschungsstand Es gibt verschiedene Gründe, sich näher mit der erziehungswissenschaftlichen Verwendung der Marktmetapher zu beschäftigen. Privatisierungstendenzen im Universität Halle-Wittenberg angesiedelt und Teil der DFG-Forschergruppe 1612 „Mechanismen der Elitebildung im deutschen Bildungssystem“.
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Grundschulbereich werden vielfach unter Hinweis auf eine allgemeine „Vermarktlichung“ des Bildungssystems beschrieben (Krüger/Helsper 2014, 5). Im schulpädagogischen Diskurs wird eine „Konjunktur ökonomischer Begriffe“ (Zymek 2004, 121) diagnostiziert. Allerorten ist von „Markt“, „Wettbewerb“, „Konkurrenz“ und „Kunden“ die Rede. Während in den achtziger Jahren noch festgestellt wurde, dass sich lokale Anbieter im Grundschulbereich „keine Konkurrenzkämpfe liefern“ (Meisel 1988, 104), scheint das Sprechen über Konkurrenz zunehmend an Plausibilität zu gewinnen. So wird insbesondere für den großstädtischen Raum, in dem sich verschiedene Schulangebote auf engem Raum konzentrieren konstatiert, dass Grundschulen sich selbst ‚vermarkten‘, wie sie auch sonst in vielfältiger Weise „auf einem Bildungsmarkt mit ihren funkelnden pädagogischen ‚Profilen‘ um Schüler konkurrieren“ (Radtke 2006, 58). Gegenwärtig ist von einem regelrechten „Boom“ (Kraul 2015, 9) im Privatschulbereich die Rede. Komplementär dazu gewinnt die elterliche Schulwahl im Grundschulbereich an Bedeutung. Eltern schulpflichtig werdender Kinder werden längst als ‚Kunden‘ adressiert. Schulwahlratgeber werben mit dem Untertitel: „Was Eltern wissen sollten, wenn sie sich auf dem ‚Schulmarkt‘ umsehen“ (Bönsch 1994, vgl. hierzu Krüger 2013). Inzwischen gibt es eine ganze Reihe an Studien, in denen herausgearbeitet wird, dass sich bestimmte Eltern mit der staatlichen Zuweisung an Einzugsgebietsschulen nicht mehr zufrieden geben und in komplexe Prozesse der Schulwahl eintreten (Breidenstein/Krüger/Roch 2014, Graßhoff/Ullrich/Binz/Pfaff/Schmenger 2013, Suter 2013, Trumpa 2010). Schulwahl bezieht sich dabei nicht ausschließlich auf Privatschulen, die zu staatlichen Schulen in Konkurrenz treten (Gürlevik et al. 2013, 10). Selbst an Orten, an denen Schuleinzugsgebiete nach wie vor verbindlich sind, lassen entschlossene Eltern häufig nichts unversucht, um andere staatliche Schulen anzuwählen, wenn sie mit der zugewiesenen Schule nicht einverstanden sind (Noreisch 2007). Ball und Nikita sprechen diesbezüglich von ‚grauen Märkten‘ (Ball/Nikita 2014, 82). Indessen deuten empirische Befunde darauf hin, dass die freie (aber auch die verdeckte) elterliche Schulwahl zu sozialen Segregationseffekten führen kann (Kirsten 2005, Riedel 2011, Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2013). In eigenen Arbeiten konnten wir zeigen, dass schulwahlinteressierte Eltern, denen die Segregationsproblematik durchaus bewusst ist, Schulwahl im Allgemeinen für legitimationsbedürftig halten, sie aber im Namen der ‚Verantwortung für das eigene Kind‘ trotzdem für sich in Anspruch nehmen (vgl. Breidenstein/Krüger/Roch 2014). Im frei anwählbaren Privatschulbereich ist zu beobachten, dass es in Abhängigkeit zum jeweiligen Verhältnis von Angebot und Nachfrage zur Installation unterschiedlicher Auswahlmechanismen kommt, die bislang erst in Ansätzen untersucht sind (vgl. Helsper/Krüger 2015, Mierendorff/Ernst/Krüger/Roch 2015, Krüger 2015). All dies ließe sich als Beleg für die „Forcierung eines Bildungsmarktes“ (Radtke 2006, 55) werten, die auch den Grundschulbereich betrifft. Während ein relativ breiter
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Konsens herrscht, was die Diagnose einer „Vermarktlichung“ des Bildungssektors betrifft – mit unterschiedlichen Aussagen zu deren Intensität (vgl. Peter 2014, 113) –, ist die Bewertung dieser Entwicklung umstritten. Es lassen sich zwei gegenläufige Thematisierungen auffinden: - Einerseits gibt es eine affirmative Bezugnahme auf die Marktmetapher. Man geht davon aus, dass ‚mehr Markt‘ die Effizienz im Bildungsbereich steigern könne, da von einem zunehmenden Wettbewerb zwischen Schulen Impulse für eine allgemeine Schulentwicklung erwartet werden. Die Vielfalt von Bildungsangeboten könne so gesteigert, die Qualität erhöht und die Wirtschaftlichkeit verbessert werden. - Andererseits kommt es aus unterschiedlichen Gründen zu einer Kritik an Versprechungen des Marktes: Erstens wird die schlichte Affirmation des Marktes in Zweifel gezogen. So wird bemerkt, dass im Wettbewerb „neben Gewinnern auch Verlierer generiert werden“ (Fuchs 2009, 374). So lange keine geeigneten Mechanismen zur Stützung der Verlierer existierten, ließe sich in Zweifel ziehen, ob „mehr Markt“ tatsächlich wünschenswert erscheint (vgl. hierzu auch Giesinger 2010). Zweitens wird bemängelt, dass die Marktsituation nicht hält, was man sich von ihr verspricht (Weiß/Steinert 1996). So stellt Weiß fest, dass die „vorliegende Forschungsevidenz […] zu berechtigten Zweifeln an der »Bildungstauglichkeit« der Wettbewerbssteuerung Anlass“ (Weiß 2001, 82) gebe. Neben kontroversen Diskussionen über Versprechen und Probleme einer „Vermarktlichung“ werden punktuell Zweifel geäußert, dass es sich bei der Marktmetapher überhaupt um ein adäquates Beschreibungsformat für den Bildungsbereich handelt. Hier bliebe der Markt keinesfalls sich selbst überlassen, sondern unterliege weiterhin „Mechanismen staatlich-bürokratischer Steuerung“ (Weiß 2001, 70). Vor diesem Hintergrund erfährt u.a. das Modell eines „Quasi-Marktes“ (Glennester 1991) eine besondere Aufmerksamkeit, wie es insb. in Großbritannien kontrovers diskutiert wird (vgl. hierzu Bellmann/Weiß 2009, Clausen 2006, Weiß 2001, 69, 71, Zymek 2009). Gegenüber diesen, hier nur schlaglichtartig skizzierten Kontroversen um eine mögliche „Vermarktlichung“ im Bildungssektor tritt unser Beitrag einen Schritt zurück und fragt nach der empirischen Verwendung bzw. Zurückweisung von Marktsemantiken durch die Teilnehmenden selbst. Nicht um die Brauchbarkeit oder Validität der Beschreibung von Schullandschaften als Märkte zu prüfen, sondern um die Effekte der Rede vom Markt im Feld in den Blick zu bekommen.
3. Die Untersuchung Im Rahmen des Projekts, dessen (Zwischen-)Ergebnisse wir hier vorstellen, werden ausführliche Interviews mit Schulwahl-interessierten Eltern und mit Schulleitungen geführt. Die ethnographische Feldforschung mit teilnehmenden Beobachtungen bei
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„Tagen der offenen Tür“, Schulmessen, Elternabenden und zu zahlreichen weiteren Gelegenheiten erstreckt sich auf zwei kontrastive städtische Räume, die mit Blick auf deren je spezifische Schullandschaft im Primarbereich erfasst werden. Ort A zeichnet sich durch ein übersichtliches Angebot von sechs überwiegend reformpädagogisch oder konfessionell orientierten Grundschulen in privater Trägerschaft aus. In Ort A sind Schuleinzugsgebiete verbindlich, d.h. Eltern besitzen jenseits der Anwahl einer privaten Grundschule offiziell kaum Möglichkeiten der Schulwahl. Ort B verfügt über ein vielfältigeres Schulangebot, das neben reformpädagogisch orientierten und konfessionell ausgerichteten auch internationale Schulen aufweist. Ferner finden sich hier liberalisierte Schuleinzugsgebietsregelungen, was dazu führt, dass sich auch staatliche Schulen in Konkurrenz zueinander sehen können. Die Frage, wie die Schulleitungen ihre Position innerhalb lokaler Schullandschaften bestimmen, gewinnt – das wird im Folgenden deutlich – einen pointierten Ausdruck in der (De-)Thematisierung von „Konkurrenz“. Im Rahmen von Leitfadeninterviews und vor dem Hintergrund der eingangs geschilderten Eindrücke von der Schulmesse fragten wir in unseren Interviews u.a. explizit danach, ob sich die Schulen in Konkurrenz zu anderen Schulen der regionalen Schullandschaft sähen. Alle Interviewten antworteten dazu ausführlich. Methodisch sehen wir die Interviews als Interaktionen, in denen Sprechräume entstehen, die auch die Forschenden und deren Beiträge einschließen. Das Ideal der Interviewführung besteht nicht unbedingt in einer möglichst zurückhaltenden und „neutralen“ Haltung der Forschenden. Auch die eigene Involvierung und die argumentative Herausforderung von Gesprächspartnern und Gesprächspartnerinnen kann produktiv sein (Roch 2014). Im Falle der Verwendung der Konkurrenz- und Marktsemantik kam der Anstoß tatsächlich oft von den Interviewenden, die sich gewissermaßen als Repräsentanz des erziehungswissenschaftlichen Diskurses in das Interviewgespräch einbrachten und auch als solche adressiert wurden. Die Auswertung der Interview-Daten erfolgt diskursanalytisch. Im Panorama vielfältiger Einsätze erziehungswissenschaftlicher Diskursforschung (Fegter et al. 2015) konzentrieren wir uns auf die Rekonstruktion diskursiver Figuren (SchmidtBrücken/Wrana 2014, 147), in denen die Konkurrenzthematik in den Interviews bearbeitet wird. Dabei zeigt sich, dass Debatten zur schulischen „Konkurrenz“ im Grundschulbereich einen ebenso zentralen wie umstrittenen diskursiven Knotenpunkt darstellen, der die Artikulation spezifischer Ansprüche ermöglicht, zu Positionierungen Anlass gibt und diskursive Verständigungen über das Verhältnis verschiedener Schulen zueinander herausfordert.
4. Figuren der diskursiven Bearbeitung von „Konkurrenz“
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Im Folgenden stützen wir uns vorwiegend auf die Interviews in A-Stadt, der etwas kleineren Stadt mit dem überschaubaren Angebot von derzeit sechs Grundschulen in privater Trägerschaft, und ziehen erst abschließend und kontrastierend Daten aus der komplexeren Situation in B-Stadt hinzu. 4.1 Legitimation von „Konkurrenz“ im Einnehmen einer „überlegenen“ Position Auf eine erste Variante der Bearbeitung des Themas der Konkurrenz treffen wir im Interview mit der Schulleitung von Privatschule A, die mit dem Verweis auf starke Nachfrage eine mögliche Konkurrenzsituation entproblematisiert. I: „Sehen Sie sich denn in Konkurrenz zu diesen anderen freien Schulen in A-Stadt?“ S: (atmet tief ein)„Is natürlich immer ne Konkurrenzsituation. Momentan ist sie aber sehr komfortabel, einfach daher, weil die Nachfrage sehr stark ist, muss man einfach so sagen. Also es gibt im Prinzip ja mehr Nachfrage als der Markt anbietet, ist betriebswirtschaftlich natürlich ein Traumergebnis (lachen alle) so wie Ferraris verkaufen, jetzt mal ganz blöd gesprochen.“ Die Frage nach einem möglichen „Konkurrenzverhältnis“ zu anderen freien Schulen trifft offenbar durchaus einen heiklen Punkt, dies scheint das im Transkript verzeichnete tiefe Einatmen zu markieren, vor allem aber auch das gemeinsame befreiende Lachen als die Schulleitung die Lösung der unbequemen Frage präsentiert. Sie weist eine ökonomische Sichtweise nicht per se zurück, sondern greift sie auf, um dann im Rahmen „betriebswirtschaftlicher“ Rede auf die „sehr starke Nachfrage“ zu verweisen, die das Verhältnis zu den anderen Anbietern entlaste. Solange die Nachfrage nach Privatschulplätzen insgesamt das Angebot übersteigt und alle Schulen genügend Bewerber erhalten, kann das Verhältnis der Schulen untereinander als entspannt gelten. Wohlgemerkt: Diese Darstellung muss nicht der Realität entsprechen, aber sie dient dazu, die eigene „Marktposition“ als „komfortabel“ auszuweisen und die Exklusivität des eigenen Angebotes zu betonen. Dieser Effekt wird auch in der Metapher des „Ferraris Verkaufens“ betont: Diese Edelmarke verkauft sich dann gut, wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt. – In ähnlicher Weise stießen wir mehrfach darauf, dass Schulen ihren Überbuchungsfaktor bei Schulanmeldungen betonten, was offenbar ein probates Mittel der Eigenwerbung ist und auch bei interessierten Eltern als Ausweis der Popularität dieser Schule gewertet wird und zu einer weiteren Steigerung der Nachfrage führen kann (vgl. Mierendorff/Ernst/Krüger/Roch 2015; Krüger 2015).Hier wird die prinzipielle Vorstellung eines Marktes als Kampffeld nicht gänzlich zurückgewiesen. An späterer Stelle im Interview wird auch konzediert, dass es bei einer anderen Nachfragesituation sein könne, „dass man auch mit härteren Bandagen wieder kämpft oder so“. Nichtsdestotrotz gelingt die Entlastung gegenüber einer potentiellen Konkurrenz zu anderen Schulen, indem man sich selbst eine überlegene „Marktposition“ zuschreibt, die sich über Nachfrage keine Sorgen zu machen braucht.
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Eine vergleichbare, aber etwas anders gelagerte Wendung findet sich in dem Interview mit der Leitung der Schule B, die auch zunächst die Existenz eines Konkurrenzverhältnisses bestätigt, um es dann zu entschärfen. I: „Und sie erwähnten schon die anderen ähm freien Schulen in A-Stadt[…]. Sehen Sie sich in Konkurrenz mit denen oder wie ist das Verhältnis?“ (4 Sek.) S: „Also de facto stehen wir in einer Konkurrenz, ja. Auch in Zeiten wo die Kinder weniger (..) geworden sind, die Lehrerinnen knapp werden, ist natürlich ne Freie Schule für uns, ist jede Schule ne Konkurrenz, ja. Und ne Freie Schule ist das natürlich stärker, weil wenn man einmal als Elternteil den Horizont der Freien Schulen entdeckt hat, dann steht erstmal als Konkurrent die staatliche Schule und da müssen wir uns nun wenig sorgen ja, da können wir einfach guten Mutes sagen, da bestehen wir den Vergleich. [...] Und ich will gar nicht das mit einem wir sind da besser, wir sind auf jeden Fall anders.“ Diese Argumentation ist nicht nur auf den ersten Blick verwirrend. Eine Konkurrenz zu anderen Schulen wird zunächst (allerdings nach vier Sekunden Pause) als „de facto“ bestehend bestätigt und sogar differenziert hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Kinder und des zur Verfügung stehenden Lehrpersonals. Insofern beides „knapp“ wird, ist eine Konkurrenzsituation kaum von der Hand zu weisen. Und nun vollführt die Sprecherin eine interessante Wendung, um das Problem der Konkurrenz zu entschärfen: Sie etabliert als neue Leitdifferenz die Unterscheidung zwischen „staatlichen“ und „freien“ Schulen. Dies sei auch für Eltern die primäre und strukturierende Unterscheidung, vor deren Hintergrund der „Horizont der Freien Schulen“ zusammengefasst und gemeinsam gegen „die staatliche Schule“ in Stellung gebracht werden kann. Nachdem die Opposition zwischen staatlichen und freien Schulen etabliert ist, kann für letztere eine überlegene Position behauptet werden („da bestehen wir den Vergleich“). Die Abwertung der staatlichen Schule und die rhetorische Vergemeinschaftung mit anderen Schulen in privater Trägerschaft wird dann im Interviewverlauf mit der Beschreibung der „Zusammenarbeit“ mit anderen freien Schulen vor Ort aufgegriffen und konkretisiert. Die Entproblematisierung der Konkurrenzsituation funktioniert hier also so, dass mit „der staatlichen Schule“ ein Gegenüber aufgerufen wird, von dem sich abzugrenzen legitim erscheint. 4.2. Entproblematisierung von Konkurrenz durch das Lob der „Vielfalt“ und die Philosophie der „Passung“ Die Schulleitung der Schule C antwortet auf die Frage nach einer möglichen Konkurrenz zwischen verschiedenen Schulen: S: „Ähm, würde ich das gar nicht so beschreiben, ja, da würde ich einfach sagen, wir wissen gut um unsere Konzepte, um unsere Schwerpunkte und ähm ich finde es wunderbar, dass es ne Freinetschule in A-Stadt gibt, aber eben auch ne
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Montessorischule, ja und dass es Schulen gibt, die eher Bekenntnisschulen sind und dass die A-Schule nochmal mit nem ganz eigenen. Also ich finde das wunderbar und freue mich da sehr, in einer Stadt zu sein, die eine solche konzeptionelle Vielfalt auch in dem Freien Schulsektor hat und würde das also insofern wiederum nicht als Konkurrenz, eher als eine auch uns bereichernde Vielfalt beschreiben.“ Anders als in den zunächst diskutierten Varianten wird hier nicht nur die problematisierende Bewertung von Konkurrenzverhältnissen abgelehnt, sondern schon das Beschreibungsformat der „Konkurrenz“ zurückgewiesen. Die Schulleitung offeriert eine alternative Beschreibung des Verhältnisses der Schulen zueinander im Modus des Konjunktivs („da würde ich einfach sagen“), aber es wird deutlich, dass es sich bei dem Lob der Vielfalt um eine Version handelt, die durchaus geläufig zur Verfügung steht und die man auch detailliert und anschaulich zu präsentieren weiß. Jede Privatschule besetzt eine eigene „Nische“. Man konkurriert also nicht um die Eltern, sondern wird mit einem „vielfältigen“ Angebot der „Vielfalt“ der elterlichen Wünsche gerecht. Das Ideal eines „vielfältigen“ Bildungsangebotes erscheint als Konsensformel, die in der Lage ist, die Implikationen von Rivalität im „Wettbewerb“ zu entschärfen: Im Rahmen eines Konzeptes der „Vielfalt“ haben unterschiedliche schulische Profile die gleiche Berechtigung. Festzuhalten ist allerdings, dass die einzelne Schule (die konkrete Schulleitung) mit dem Rekurs auf „Vielfalt“ die Perspektive wechselt und gewissermaßen die Gesamtschau auf die Schullandschaft wählt. Nur aus der MetaPerspektive stellt sich „Vielfalt“ als Gewinn und als Möglichkeit eines unproblematischen Nebeneinanders dar. Der Rekurs auf die Vielfalt der Konzepte kommt auch in einem weiteren SchulleitungsInterview prägnant zur Sprache, als der Interviewer darum bittet, das eigene Profil in Abgrenzung zu anderen Schulen in privater Trägerschaft zu beschreiben. I: „Wie würden sie das im Verhältnis zu freien Schulen wie der B-Schule, Montessori, Waldorf, wie würden sie das dort sagen, was macht oder was hebt da ihre Schule besonders heraus dort.“ S: „Kann man so nicht sagen, also hier ist es einfach so der Schwerpunkt. Also ich habe auch Eltern, wo die Kinder an verschiedenen Freien Schulen angemeldet sind und ja dann immer eine ein Stück favorisieren, weil sie sagen wenn‘s da klappt is es okay, aber es sollte dann auch eine freie Schule sein. Das gibt es auch, aber in der Regel is es so, dass man sich oder nach dem Schwerpunkt geht. Also Montessori, das muss man als Eltern also auch ein Stück mitleben [...] wenn man dann sagt wir wollen eine konfessionell gebundene Schule, das wäre also, dann wären wir diejenigen oder […] diese evangelische Schule. Dass man sagt, das is für mich so der Schwerpunkt, weil letztlich ist es so, dass wir alle die Kinder ja auf ihr Leben vorbereiten. Also da so gesehen machen wir alle das gleiche, nur dass eben jeder die Art wie er das umsetzt.“ Einerseits wird hier also, um die Konstatierung von Konkurrenz zu vermeiden, auf ein gemeinsames Anliegen aller (freien) Schulen rekurriert („die Kinder auf ihr Leben
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vorbereiten“). Andererseits wird hier sehr deutlich das Konzept der „Passung“ vertreten: Unterschiedliche Profile der verschiedenen Schulen haben deswegen ihre Berechtigung, weil es verschiedene Eltern mit verschiedenen Bedürfnissen oder Wünschen gibt. Durch konzeptionelle Vielfalt vervielfältigen sich Möglichkeiten der Passung zwischen Elternwünschen und Schule. Das Konzept der „Passung“ bietet eine spezifische Perspektive an, die nicht mit Bezug auf ‚objektive Marktbedingungen‘ wie etwa das Verhältnis von Angebot und Nachfrage argumentiert, sondern die möglichst passgenaue Entsprechung zu den unterschiedlichen Wünschen von Eltern akzentuiert. Die klassischen Vorstellungen des Marktes als Optimierer, auf dem sich nur „das Beste durchsetzt“, werden durch die Vorstellung ersetzt, für jedes Kind gäbe es eine andere Schule, die passt. In einem solchen Rahmen konkurrieren die verschiedenen Schulen nicht um das Gleiche (dieselben Familien), sondern sie bedienen unterschiedliche Bedarfe. Schulwahl muss dann nicht als konkurrenzförmiges Geschehen begriffen werden, sondern die Praxis der (gegenseitigen) Wahl hat lediglich die Herstellung von Passung zu leisten. 4.3 Konkurrenz als Effekt elterlicher Entscheidungssouveränität In A-Stadt funktioniert unter den Schulen in privater Trägerschaft also das Ideal einer möglichst „vielfältigen“ Schullandschaft als Konsensformel, die geeignet ist, die Wahrnehmung von „Konkurrenz“ zwischen den einzelnen Schulen zu vermeiden. Staatliche Schulen können als das Gegenüber der Freien Schulen stilisiert werden, von denen man sich (gemeinschaftlich) abhebt. Diese Sicht wird übrigens auch von der Schulleitung einer staatlichen Schule in A-Stadt übernommen. I: „Würden Sie sagen, dass ne Marktsituation entstanden ist im im Grundschulbereich oder, also dass man wirklich mit Konkurrenten zu tun hat?“ S: „Mit Mitbewerbern. Ich bin nutze das immer auch in der wirtschaftlichen Seite ja. Es ist ein Mitbewerb und ich finde, es ist ne offene Schullandschaft und genau das brauchen wir. Das ist, es wäre schlimm, wenn wir ja so wenn ich noch dran denke. […] [Bei meinem Kind hatte ich gar keine Chance] Der musste das. Und für den wäre das vielleicht viel besser gewesen, in ne andere Schule, da hätte ich zum Beispiel als Lehrer einer öffentlichen Schule überhaupt kein Problem gehabt. Es muss passen, es muss für das Kind passen, es muss für die Familie passen, ja? Und ich finde das gut, dass sich da auch welche ansiedeln.“ Auch die staatliche Schulleitung schließt sich der Philosophie der „Passung“ an und begrüßt die Erweiterung des schulischen Angebotes durch Schulen in privater Trägerschaft. Um ihr Verhältnis zu anderen Schulen zu beschreiben, greift sie auf den betriebswirtschaftlichen Euphemismus der „Mitbewerber“ zurück. Im Rahmen unserer begleitenden Recherchen wurde deutlich, dass sich von den Eltern aus dem Einzugsbereich ihrer Schule regelmäßig ca. ein Drittel bei „freien Schulen“ anmelden,
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wobei die Kapazitäten der Schule trotzdem voll ausgeschöpft werden. So befürwortet diese Schulleitung einer staatlichen Schule explizit eine gewisse „Wahlfreiheit“ für Eltern – wohl wissend, dass ihre Schule deswegen keine Probleme bekommen würde. In B-Stadt stellt sich die Situation anders dar: Hier sind die Einzugsgebiete für Grundschulen nicht mehr festgeschrieben, so dass sich auch die staatlichen Schulen in Konkurrenz zueinander um dieselben Schülerinnen und Schüler sehen können. Auch die meisten staatlichen Schulen weisen spezifische Profile aus (musische, reformpädagogische, sprachliche), mit denen sie Eltern für sich zu interessieren und zu gewinnen suchen, d.h. in B-Stadt reagieren auch staatliche Schulen auf die Aus- und Anwahloptionen von Eltern. Die Schulleitung einer staatlichen Schule findet die Kennzeichnung dieses Verhältnisses als Konkurrenz durchaus treffend: I: „Sehen Sie das so als n ja als son son Markt? Son Schulmarkt, kann man das so beschreiben?“ S: „Zum Teil ja, zum Teil ja.“ I: „Ja?“ S: „Dat is ähm ja und hört sich, die Zusammenarbeit hört sich ganz gut an, aber letztendlich ist sich auch jeder jeder der Nächste.“ I: „Ist das auch so ein bisschen ne Konkurrenzsituation durchaus?“ S: „Ja, ja. Durchaus. Durchaus. Da wird auch nicht mit, nicht immer mit, nicht immer mit fairen Mitteln nur gearbeitet. Ist so meine Erfahrung. Aber es ist halt so. Das ist halt so. Man muss dann immer Ja man im Prinzip kann man immer nur sagen, man versucht seine Arbeit täglich so gut wies geht zu machen und die Eltern entscheiden letztendlich, ob ihnen das gut genug ist oder nicht.“ In dieser Passage wird ein spezifisches Verständnis „des Marktes“ angesprochen, das diesen weniger in wirtschaftlichen, als in moralischen Termini verhandelt: Während „Zusammenarbeit“ proklamiert werde, sei sich tatsächlich „jeder der Nächste“. Der Redefluss stockt zwar, aber dann wird doch zur Sprache gebracht, dass aus Sicht der Schulleitung „nicht immer mit fairen Mitteln gearbeitet“ werde. Mit dieser Formulierung sind starke moralische Implikationen verbunden: Ein Wettbewerb, in dem mit unfairen Mitteln gekämpft wird, diskreditiert sich selbst und kann weder zu gerechten Resultaten noch zu Qualitätssteigerung führen. Wem die Schulleitung diese „nicht immer fairen Mittel“ zuschreibt bleibt allerdings vage. Stattdessen bezieht sie eine eher fatalistische Position („das ist halt so“) und beschreibt eine Haltung, die einer letztlich undurchschaubaren Situation relativ wehrlos ausgeliefert ist: „man versucht seine Arbeit täglich so wie’s geht zu machen“, ob man damit auf dem Markt erfolgreich ist, hat man nicht in der Hand – das entscheiden die Eltern. Die „Marktmacht“ scheint aus dieser Perspektive eher bei den Eltern zu liegen. In anderer Weise als das Lob der Vielfalt relativiert doch auch diese Darstellung das klassische Bild eines über Konkurrenz funktionierenden „Marktes“. Denn der Elternwunsch, der die Schulwahl steuert, wird hier und auch in anderen Passagen des
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Interviews als kaum prognostizierbar und schwer zu beeinflussen beschrieben. Diese Schulleitung zumindest stilisiert sich als einem anonymen Geschehen ausgeliefert und schreibt sich selbst kaum Handlungsmöglichkeiten zu.
5. Fazit In den vorgestellten Figuren wird die Vielschichtigkeit der Verhandlung von „Konkurrenz“ im Primarbereich deutlich. En passant werden hier ganz unterschiedliche Bilder eines Schulmarktes konstruiert, die mal rivalisierend, dann wieder eher konsensuell ausfallen. Die Frage, ob und in wie weit sich Schullandschaften als Märkte beschreiben lassen, lässt sich vor diesem Hintergrund drehen: Es geht nicht lediglich darum, ein der Wirklichkeit angemessenes Beschreibungsformat zu entwickeln, sondern Beschreibungsformate schaffen ihrerseits Wirklichkeiten. In unserer Analyse ging es uns vorrangig um die diskursive Bearbeitung von Problemen, vor die sich Schulleitungen in einer diversifizierten Schullandschaft gestellt sehen. Immer dann, wenn Schulen herausgefordert werden, sich zu dieser Diversität zu verhalten, wie z.B. durch die Metaphern von „Markt“ und „Konkurrenz“, entsteht für sie ein Sprechraum, in dem sie herausgefordert sind, ihre Unterscheidbarkeit zu anderen Schulen betonen zu müssen. (Für die Gründung von freien Schulen ist dies sogar Gründungsvoraussetzung.) Damit stehen Schulleitungen vor dem Problem, in welchem Beschreibungsformat sie diese Unterscheidbarkeit zur Sprache bringen und welche Effekte sie dieser zuschreiben. Über Beschreibungsformate, die sich an Marktsemantiken orientieren, stellt sich für die interviewten Schulleitungen die Notwendigkeit her, Positionierungen und spezifische Relationierungen zu anderen „Spielern“ auf einem Markt vorzunehmen. Die Ambivalenz, in der sich viele der interviewten Schulleitungen zur Konkurrenzthematik verhalten, verweist immerhin darauf, dass dieses Beschreibungsformat Irritationen auslöst und zu diskursiven Verständigungen zwingt. Wir haben anhand der Ausschnitte aus den Interviews mit den Schulleitungen drei sehr unterschiedliche Figuren konturieren können, die die Idee eines „Schulmarktes“, auf dem Anbieter um das beste Bildungsangebot konkurrieren, relativieren oder ganz zurückweisen. In einer ersten Version wurde die Diagnose konkurrierender Schulen zwar prinzipiell akzeptiert, aber mit dem Verweis auf eine insgesamt kaum zu befriedigende Nachfrage deutlich entschärft – jedenfalls was das Verhältnis zu anderen Schulen betrifft. In einer zweiten Version wird das Bild konkurrierender Schulen dadurch harmonisiert, dass eine Meta-Perspektive auf eine „Schullandschaft“ eingenommen wird, die sich durch „Vielfalt“ auszeichnet und für die unterschiedlichsten Wünsche die je passende Schule bereit hält. Hier wird die Nachfrage nach Grundschulbildung durch die Eltern als so stark diversifiziert konzeptualisiert, dass man kaum noch um dieselben Eltern wirbt, sondern um höchst unterschiedliche. In einer dritten Version schließlich, die wir in B-Stadt auffinden, erscheint die Beschreibung des
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Verhältnisses zu anderen Schulen deutlich konflikthaltiger. Aber auch hier ergibt sich nicht das Bild eines freien Marktes, auf dem man strategisch operieren könnte, sondern eher das eines weitgehend intransparenten Geschehens, in dem man als schulischer Anbieter den schwer kalkulierbaren Entscheidungen von Eltern ausgeliefert ist. Die oben referierte erziehungswissenschaftliche Diagnose einer „Vermarktlichung“ des Bildungssektors, die auch den Primarbereich betrifft, und die im schulpädagogischen Diskurs sowohl Hoffnungen als auch Befürchtungen auslöst, stößt also bei den involvierten Schulleiterinnen und Schulleitern auf Abwehr und löst verschiedene Formen der Reformulierung und Entproblematisierung eines als „Konkurrenz“ gedachten Verhältnisses zu anderen Schulen aus. Worin mag diese Abwehr begründet liegen? Diese Frage lässt sich nicht mehr auf empirischer Basis beantworten, aber man kann spekulieren: Ein ungebrochenes Marktmodell dürfte kaum geeignet sein, um über die Qualität von Bildungsangeboten zu entscheiden. Jedenfalls erschiene es aus der Sicht von Schulen als riskant und auch kaum plausibel, das Urteil über die Qualität ihrer Arbeit allein von der Nachfrage durch Eltern abhängig zu machen. Bildungsqualität oder „gute Schule“ erscheint zu komplex, als dass man die Bewertung einem Markt überlassen möchte, der durch Elternurteile gebildet wird. Die Plausibilität der Marktmetapher scheint auf den ersten Blick darin zu liegen, dass sie es erlaubt, die Eltern als Entscheider über die Qualität von Schule zu beschreiben. Für Schulleitungen allerdings erscheint diese Beschreibung kaum akzeptabel, weil so die eigene pädagogische Professionalität einer unkalkulierbaren „Abstimmung mit Füßen“ unterworfen würde. Andererseits wird in den Interviewanalysen ebenfalls deutlich, dass die Konkurrenzthematik auch nicht pauschal zurückgewiesen werden kann. Sie betrifft eine Situation, mit der alle Schulleitungen von Schulen in privater Trägerschaft und auch staatliche Schulen, die nicht auf ein stabiles Einzugsgebiet zurückgreifen können, zu Recht kommen müssen: Es gilt jedes Jahr aufs Neue sich einer hinreichenden Nachfrage durch Eltern zu vergewissern. Darin liegt ein kaum zu überschätzendes Risiko, denn die Schulwahlsituation wird offenbar nicht nur von Eltern als ausgesprochen komplex und intransparent wahrgenommen (Mierendorff/Ernst/Krüger/Roch 2015), sondern auch den Schulleitungen ist bewusst, dass der „Ruf“ ihrer Schule im Modus des „Hörensagens“ (Krüger 2014) prozessiert wird und letztlich viele Unwägbarkeiten produziert. Das Schulwahlgeschehen als „Markt“ zu beschreiben erscheint vor diesem Hintergrund als Simplifizierung und Rationalisierung einer höchst komplexen und vielgestaltigen Praxis, wobei das Beschreibungsformat (und die offene Inszenierung) einer marktförmigen „Konkurrenz“ der Bildungsanbieter selbst wiederum Risiken enthält.
Literatur
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Dr. Jens Oliver Krüger, Zentrum für Schul- und Bildungsforschung, Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg; e-mail:
[email protected] Prof. Dr. Georg Breidenstein, Institut für Schulpädagogik und Grundschuldidaktik, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; e-mail:
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Tanya Tyagunova, Zentrum für Schul- und Bildungsforschung, Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg;
[email protected] Kai Böckelmann, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg;
[email protected]
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