Vom Bürgerkrieg ins KZ. Die Deportationen republikanischer Spanier in das KZ Mauthausen

May 29, 2017 | Author: Christian Dürr | Category: History of Spanish Civil War, History of National Socialism, Konzentrationslager
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Nr. 83, Mai 2016, 41. Jg.

Wissenschaftliche Zeitschrift des Studienkreises Deutscher Widerstand 1933 –1945

Spanischer Bürgerkrieg Geschichte & Gegenwart

Christian Dürr

Spanier in Mauthausen

Vom Bürgerkrieg ins KZ Die Deportationen republikanischer Spanier in das KZ Mauthausen Gegen Ende des Spanischen Bürgerkriegs flohen Zehntausende spanische Staatsbürger – Soldaten der republikanischen Armee und Milizen ebenso wie Zivilpersonen und ganze Familien – vor den faschistischen Truppen General Francos über die Pyrenäen nach Frankreich. Dort angekommen erfuhren sie neben Solidarität auch offene Anfeindung. Der Großteil der Geflüchteten wurde unter prekären Umständen in provisorischen Internierungslagern entlang der Mittelmeerküste untergebracht – zunächst in Argelès-sur-Mer, später auch an Orten wie Le Barcarès, Saint-Cyprien, Camp de Gurs, Camp de Rivesaltes, Le Vernet und Septfonds.1 Eine große Zahl der männlichen Flüchtlinge schloss sich später der französischen Armee zumeist in Arbeitskompanien, vereinzelt auch in regulären bewaffneten Truppen an. Viele gerieten so nach dem Angriff NS-Deutschlands ab Sommer 1940 in deutsche Kriegsgefangenschaft und wurden früher oder später in verschiedene sogenannte KriegsgefangenenStammlager (Stalag) innerhalb des Deutschen Reichs deportiert. Bei ihrer Einlieferung in die Stalags hatten die meisten der spanisch-republikanischen Gefangenen bereits mehrere Jahre an Kriegserfahrung, Vertreibung und Internierung hinter sich. Nun begann ein neues Kapitel ihrer Verfolgungsgeschichte, das alle ihre bisherigen Erfahrungen übersteigen und ihr Schicksal von dem anderer Gruppen von Kriegsgefangenen wesentlich unterscheiden sollte.

Überstellung nach Mauthausen Noch im Sommer 1940 begann die Gestapo mit der Filtrierung republikanischer Spanier in den Kriegsgefangenenlagern der Wehrmacht, um sie danach weiter in die Konzentrationslager der SS im Reich zu überstellen, vor allem in das KZ Mauthausen. Während in den Lagern der Wehrmacht die Haftbedingungen zumindest für Angehörige der westeuropäischen Nationen im Wesentlichen den Vorgaben der Genfer Konvention entsprachen, änderte sich dies mit der Überstellung in ein KZ radikal. Die Gefangenen wurden sämtlicher Rechte beraubt. Fortan gingen sie in der entrechteten Häftlingsmasse des Konzentrationslagers auf. Der erste Transport republikanischer Spanier aus einem Kriegsgefangenenlager der Wehrmacht traf am 6. August 1940 aus dem Stalag XIII-A (Moosburg) im Konzentrationslager Mauthausen ein.2 Damit wurde eine Praxis geschaffen, die erst einige Zeit später in schriftlicher Form offiziell amtlich legitimiert wurde. In einem Rundschreiben des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD vom 25. September 1940 an alle nachgeordneten Stellen im Reich und den besetzten Gebieten wurde die „Behandlung reichsdeutscher und ausländischer ehemaliger Rotspanienkämpfer“ für die Zukunft geregelt. Darin heißt es unter anderem:

„Ehemalige Rotspanienkämpfer ausländischer Nationalität – auch spanische Staatsangehörige – die in Feindstaaten (besonders im besetzten Frankreich) interniert oder aktiv gegen Deutschland eingesetzt waren und in deutsche Gefangenschaft gerieten, werden auf Befehl des Führers aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und der Geheimen Staatspolizei überstellt. (…) Die Entlassenen sind (…) von den Staatspolizei(leit) stellen zu übernehmen und im Einvernehmen mit dem Referat IV C 2 des Reichssicherheitshauptamtes in das von diesem zu bestimmende Konzentrationslager zu überstellen.“3

Dr. Christian Dürr studierte Philosophie und Geschichte an der Universität Wien. Seit 2006 Leiter des Archivs der KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Ausstellungskurator und Mitherausgeber der Schriftenreihe „Mauthausen-Studien“. Forschung und Publikationen zu den Themenbereichen NS-Konzentrationslager, Militärdiktatur in Argentinien, Erinnerungskultur und Gedenkpolitik.

Spanier im KZ Mauthausen Damit war die Überstellung von republikanischen Spaniern aus den Kriegsgefangenenlagern in die KZ amtlich besiegelt. Auffällig ist, dass dieser offenbar von höchster Stelle ausgehende Befehl just in einem Moment erging, in dem sich der spanische Außenminister Ramón Serrano Suñer gerade auf Besuch in Berlin befand, im Zuge dessen er sich auch mit Hitler traf.4 Etwa 80 Prozent der Gesamtheit der in die Konzentrationslager im Reich deportierten spanischrepublikanischen Gefangenen wurden auf diese Weise aus den Lagern der Wehrmacht überstellt, die überwiegende Mehrzahl von ihnen in das Konzentrationslager Mauthausen.5 Die neuen politischen Herren des spanischen Staates waren für diese massenhaften Deportationen und die Ermordung ihrer Landsleute in deutschen Konzentrationslagern direkt mitverantwortlich. Über das Schicksal der spanischen Gefangenen in Mauthausen liegen relativ detaillierte Informationen vor. Dies hat mit der spezifischen Situation dieser Gruppe selbst und ihrem allmählichen Aufstieg in der Häftlingshierarchie des KZ Mauthausen zu tun. Die wichtigsten Quellen, die das Schicksal der republikanischen Spanier in Mauthausen dokumentieren, wurden nämlich vor der Befreiung des Lagers von spanischen Funktionshäftlingen vor der Vernichtung gerettet und aufbewahrt. Eine der maßgeblichen

Gruppe von republikanischen Spaniern vor dem Lagerzaun in Mauthau sen, Mai 1945. Quelle: BMI/ Fotoarchiv der KZ-Gedenkstätte Mauthau sen/Sammlung Mariano Constante informationen 83 | Seite 25

Spanier in Mauthausen

Anna Pointner versteckte Bilder aus dem KZ Mauthausen. Hier ist sie mit ihren beiden Töchtern und republikanischen Spaniern vor ihrem Wohnhaus in Mauthausen zu sehen. Quelle: © MHC-Fons Amical de Mauthausen informationen 83 | Seite 26

Personen dabei war der aus Valencia stammende Casimir Climent Sarrión, der in der Politischen Abteilung, also im Büro der Lager-Gestapo als Schreiber tätig war. Im Jahr 1975 schrieb er über seine dortige Arbeit: „(…) Vom ersten Tag an, an dem ich ins Lager kam (25. November 1940) arbeitete ich für die Politische Abteilung und dort war ich der einzige, der sich mit sämtlichen Angelegenheiten befasste, die mehr oder weniger die Spanier betrafen.“6 In die Politische Abteilung folgte ihm später José Bailina Sibila aus Barcelona. Zur gleichen Zeit wurde der ebenfalls aus Barcelona stammende Juan de Diego Herranz als Lagerschreiber in der Lagerschreibstube eingesetzt, wo er mit dem Ersten Lagerschreiber Kurt Pany und Hans Maršálek, dem Zweiten Lagerschreiber und späteren Chronisten des Lagers7 zusammenarbeitete. Laut der Erzählung von José Bailina wurden die von den spanischen Funktionshäftlingen geretteten Listen und Dokumente nach der Befreiung von zeitweise mehr als zehn Personen geordnet, verglichen und ausgewertet. Diese Arbeit wurde noch in Mauthausen begonnen und später im Pariser Exil fortgesetzt. Die Ergebnisse wurden danach dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz sowie dem französischen Ministère des anciens combattants et victimes de guerre übergeben. Die auf diese Weise erstellten Listen von spanischen Häftlingen des KZ Mauthausen sind bis heute unter anderem im Archiv der Federación Española de Deportados e Internados Políticos Víctimas del Fascismo (FEDIP), dem Verband ehemaliger spanischer Deportierter, erhalten.8 Die zu Grunde liegenden Originalquellen sind jedoch verschollen, und es ist auch nicht bekannt, was die Quellenbasis für die Erstellung der sekundären Deportiertenlisten war.9 Aufgrund der Beweissicherung und -auswertung durch die Überlebenden des Lagers ist heute im Wesentlichen bekannt, wie viele republikanische Spanier wann, woher und in welchen Transporten in das KZ Mauthausen eingeliefert wurden. Auch über die Zahl der Opfer liegen relativ klare Informationen vor. Insgesamt wurden in den Jahren 1940 bis 1945 etwa 8.700 spanische Republikaner in die nationalsozialistischen Konzentrationslager verschleppt. Rund 60 Prozent von ihnen haben ihre Haft nicht überlebt. Mit etwa 7.200 wurden in das Konzentrationslager Mauthausen bei weitem die meisten spanischen Gefangenen deportiert. Mehr als 4.700 kamen

ums Leben, die überwiegende Mehrheit von ihnen im Zweiglager Gusen.10 Der erste Transport umfasste 392 Personen und kam am 6. August 1940 aus dem Stalag XIII-A in Moosburg in Mauthausen an.11 Insgesamt wurden im Jahr 1940 in 15 Transporten 2.239 republikanische Spanier eingeliefert, darunter Transporte aus dem Stalag I-B (Hohenstein), dem Stalag XI-B (Fallingbostel), dem Stalag V-D (Straßburg) sowie vom 24. August 1940 aus dem Internierungslager Angoulême, von welchem noch die Rede sein wird. Die Transporte aus den Kriegsgefangenenlagern setzten sich besonders in der ersten Hälfte des Jahres 1941 verstärkt fort. Die mit Abstand größten trafen am 25. und am 27. Januar des Jahres in Mauthausen ein, der erste mit 775 Gefangenen aus dem Stalag XII-D (Trier), der zweite am 27. Januar 1941 mit 1.506 Gefangenen erneut aus dem Stalag XI-B (Fallingbostel). Insgesamt wurden im Jahr 1941 4.582 republikanische Spanier in das KZ Mauthausen deportiert.

Ein besonderer Transport von Deportierten Am 24. August 1940 fuhr ein Zug mit etwa 900 Deportierten aus dem Internierungslager Les Alliers bei Angoulême im Bahnhof Mauthausen ein. Speziell an diesem Transport war, dass es sich bei den Gefangenen nicht um ehemalige Kämpfer im Spanischen Bürgerkrieg und auch nicht um Angehörige der französischen Armee handelte, sondern um Personen – Männer, Frauen und Kinder – die als zivile Kriegsflüchtlinge von Spanien nach Frankreich geflohen waren. In Mauthausen angekommen holte die SS 430 Männer und männliche Jugendliche ab 14 Jahren aus den Waggons und trieb sie hinauf in das KZ Mauthausen. Die Frauen und Kinder dagegen wurden quer durch Deutschland und Frankreich zurück an die spanische Grenze geschickt, wo sie am 1. September 1940 bei Irún der spanischen Polizei übergeben wurden. 12 Auch in diesem Fall agierten die spanischen Behörden als Komplizen Nazideutschlands. In einem Aktenvermerk des spanischen Außenministeriums vom 11. September 1940 wird zwar über die Ankunft und Einreise von 442 Personen am 1. September 1940 informiert. Zum Schicksal der weiteren Deportierten heißt es dagegen lakonisch: „Über den Aufenthaltsort der Männer und Jugendlichen und die Gründe, warum sie nicht repatriiert wurden, ist nichts bekannt.“13 Weitere Nachforschungen dürften nicht angestellt worden sein. 90 Prozent der 430 Männer und Jugendlichen aus dem Angoulême-Transport, die im KZ Mauthausen interniert wurden, kamen am Ende dort ums Leben.14 Besonders in den Jahren 1940 bis 1942 waren Mauthausen und sein Zweiglager Gusen die Konzentrationslager mit den härtesten Haftbedingungen und der höchsten Todesrate. Insbesondere Gusen erfüllte in dieser Zeit die Funktion eines wahren Vernichtungslagers für bestimmte, der SS unliebsame Häftlingsgruppen. Trotz der hohen Todeszahlen stieg die Gesamtzahl der Gefangenen aufgrund permanenter Neuzugänge vor allem aus den besetzten Gebieten dennoch stark an. In dieser Situation einer sich ständig erweiternden Häftlingsgesellschaft bei gleichzeitig verschärften Überlebensbedingungen und

Konkurrenzverhältnissen hatten Häftlinge, die in der Lagerhierarchie ganz unten standen, kaum eine Chance, längere Zeit zu überleben. Dies war für die republikanischen Spanier der Fall, die in dieser Phase als „ideologische Feinde“ zu einem Hauptziel der Vernichtungspolitik der SS wurden. Etwa 4.500 spanische Häftlinge kamen in den Jahren 1940 bis 1942 in Mauthausen, Gusen oder einem der Außenlager zu Tode, das sind beinahe 95 Prozent der Gesamtzahl aller spanischen Opfer von Mauthausen. 15 Hunderte spanische Häftlinge wurden auch in der Gaskammer der Vernichtungsanstalt Hartheim in der Nähe von Linz ermordet. In den Jahren 1941 bis 1942 sowie im Jahr 1944 führten SS-Ärzte in den Krankenunterkünften der Konzentrationslager Mauthausen und Gusen regelmäßige Selektionen durch. Die selektierten Kranken und Arbeitsunfähigen wurden daraufhin in das Schloss Hartheim, das in den Jahren 1940/41 im Zuge der „Euthanasie“-Aktion „T4“ bereits als Vernichtungsort etabliert worden war, überstellt und im Rahmen der sogenannten „Aktion 14f13“ vergast.16 Von den etwa 5.000 Häftlinge aus Mauthausen und Gusen, die in Hartheim der Vernichtung zum Opfer fielen, befanden sich mindestens 460 spanische Häftlinge, von denen wiederum etwa 360 in Gusen selektiert worden waren.17

Aufstieg in der Lagerhierarchie Die spanischen Häftlinge, die die Jahre 1940 bis 1942 überstanden hatten, hatten gute Chancen zu überleben. Die enormen Todeszahlen der ersten Jahre gingen im Verlauf des Jahres 1942 langsam zurück, auch ein Zeichen für den allmählichen Aufstieg der republikanischen Spanier innerhalb der Lagerhierarchie. Dieser war einerseits Folge der Einlieferung neuer, besonders benachteiligter Häftlingsgruppen wie den sowjetischen Kriegsgefangenen oder zumeist aus politischen Gründen oder im Zuge von „Vergeltungsmaßnahmen“ deportierten jüdischen Gefangenen. Zum anderen waren aber auch spezifische Charakteristika der Gruppe der Spanier selbst dafür verantwortlich, dass dieser Aufstieg gelang. Mehrere Aspekte sind hier zu erwähnen: Die spanischen Deportierten verfügten in der Regel über eine langjährige

kollektive Kriegs- und Verfolgungserfahrung, im Zuge derer sie Strategien entwickelt hatten, um sich als Gruppe zu schützen und zu verteidigen. Das Maß an Organisierungsgrad unter den spanischen Häftlingen war im Vergleich zu vielen anderen Gruppen besonders hoch. Dies ermöglichte nicht nur wirksamere kollektive Selbstschutzmaßnahmen. Die Fähigkeit zur Selbstorganisation hinterließ auch bei der SS Eindruck, die nun zunehmend auf die Qualitäten der Spanier zurückgriff. Spanische Häftlinge wurden nun vermehrt in verschiedenen Lagerfunktionen eingesetzt: vom Blockfriseur, über den Stubendienst bis hin zum Blockältesten oder verschiedenen, oft auch zentralen Funktionen in der Lageradministration. Auch besondere handwerkliche Fähigkeiten konnten zu einer Verbesserung der individuellen wie kollektiven Lebenssituation beitragen. So wurden besonders viele Spanier etwa als Maurer beim permanenten Ausbau des Lagers eingesetzt. Die erworbenen Privilegien drückten sich unter anderem darin aus, dass es den Spaniern ab Sommer 1943 als einziger nicht-deutscher Häftlingsgruppe erlaubt wurde, in ihrer Muttersprache Briefe an Angehörige zu versenden.18 In den Erinnerungen der Überlebenden kommt dabei einem SS-Angehörigen eine besondere Rolle zu: Gerade Georg Bachmayer, der als Schutzhaftlagerführer für das Massensterben der Spanier in den ersten Jahren wesentliche Mitverantwortung trug, vertraute ab 1942 paradoxerweise zunehmend auf die Gruppe der Spanier und gewährte ihnen Schutz und gewisse Privilegien.19 Auch in den Außenlagern begann die SS mit der Zeit, auf spanische Häftlinge zu vertrauen. In Vöcklabruck richtete sie in den Jahren 1941 und 1942 ein aus 300 Personen bestehendes rein spanisches Häftlingskommando unter dem Lagerältesten César Orquín Serra ein.20 So wie vielen anderen Funktionshäftlingen stellten ihm seine Mitgefangenen nach der Befreiung ein ambivalentes Zeugnis aus, worin das allgemeine Dilemma von Funktionshäftlingen in nationalsozialistischen Konzentrationslagern zum Ausdruck kommt. Ihre Aufgabe war es, für die Ordnung im Lager sorgen. Im Gegenzug erhielten sie einen gewissen Handlungsspielraum und Privilegien, welche sie zu Gunsten ihrer Mitgefangenen im weiteren Sinn oder auch nur zum eigenen Vorteil oder dem ihres engeren Freundeskreises einset-

Portbou Nach dem Fall Barcelonas flüchteten Ende Januar 1939 zehntausende Zivilisten über Portbou und die kleinen Pyrenäen-Orte La Jonquera, La Vajol und Puigcerdà nach Frankreich. General Enrique Lister versuchte, mit

Spanier in Mauthausen

den Resten der XI. Division den Vormarsch der Franquisten zu verzögern und den Rückzug der Flüchtenden zu decken. Frankreich hatte zunächst die Grenze geschlossen, doch als der Druck zu groß wurde, ließ es die Grenzübergänge wieder öffnen und über 200.000 Menschen kamen ins Land, für die keinerlei Vorkehrungen getroffen waren. Am 5. Februar erlaubte Frankreich auch den verbliebenen Einheiten der republikanischen Armee den Übertritt nach Frankreich. Auf die Kämpfer warteten provisorische Internierungslager, so u.a. in Argelès-sur-Mer, St. Cyprien, Rivesaltes, Le Vernet und Gurs. Insgesamt nahm das kleine Departement Pyrénées-Orientales eine halbe Million Flüchtlinge aus Spanien auf. Der Weg über die Pyrenäen war als Lister-Route bekannt. Zwei Jahre später wurden auf dieser Route u.a. von Lisa und Hans Fittko Menschen vor den Nationalsozialisten in Sicherheit gebracht. Unter ihnen war Walter Benjamin, nach dem die Route heute benannt ist. informationen 83 | Seite 27

Spanier in Mauthausen

Spanier im Kriegsgefangenenlager Kaisersteinbruch vor dem Transport nach Mauthausen, 1940/1941. Fotograf unbekannt . BMI/ Fotoarchiv der K Z- Gedenkstätte Mauthausen/Sammlung Mariano Constante informationen 83 | Seite 28

zen konnten. Auch wenn sie ihre Position zum Schutz ihrer Mitgefangenen nutzen konnten, machten sich Funktionshäftlinge unter den verschärften Mangel- und Konkurrenzbedingungen des KZ immer auch in unterschiedlichem Maß zu Erfüllungsgehilfen der SS. In Vöcklabruck mussten die Spanier vor allem Infrastrukturarbeiten verrichten. Sie bauten Straßen, Brücken, Wasserleitungen und führten Abrissarbeiten durch. Im Mai 1942 löste die SS das Lager auf und überstellte das gesamte Kommando nach Ternberg, wo die Gefangenen Zwangsarbeit beim Bau eines Wasserkraftwerks an der Enns verrichteten. Von den insgesamt etwa 400 Häftlingen des Lagers Ternberg war die Mehrzahl republikanische Spanier. 21 Zwei weitere Außenlager des KZ Mauthausen mit überwiegend spanischen Häftlingen sind zu nennen: Von Sommer 1941 bis Dezember 1942 verrichtete ein aus 170 überwiegend aus spanischen Häftlingen bestehendes Kommando unter härtesten klimatischen Bedingungen Bauarbeiten an einem Güterweg in Bretstein in der Steiermark.22 Dieses Kommando wurde danach in das Außenlager Steyr überstellt. Dort hatten ab Anfang 1942 rund 300 vorwiegend spanische Häftlinge ein Barackenlager für die Steyr-Daimler-Puch AG errichtet. Später wurden die Häftlinge dort in der Produktion von Kugellagern und Flugmotoren, beim Bau von Luftschutzstollen sowie bei Aufräumarbeiten nach Luftangriffen eingesetzt.23 Neben diesen vier Lagern mit spanischer Häftlingsmehrheit gab es in zahlreichen weiteren der insgesamt etwa 40 Außenlager des KZ Mauthausen ebenfalls spanische Gefangene. In der ersten Jahreshälfte 1942 kamen die Transporte republikanischer Spanier aus den Stalags der Wehrmacht allmählich zum Erliegen. Von nun an gelangten Spanier zumeist als Mitglieder der französischen Résistance in die Konzentrationslager im Reich, viele von ihnen über das Sammellager Compiègne. Etwa zehn Prozent der im Zuge von politischen Repressionsmaßnahmen aus Frankreich deportierten Personen waren Spanier.24 Das KZ Mauthausen war nicht mehr länger der primäre Zielort dieser Transporte. Die ab dem Jahr 1943 nach Mauthausen eingelieferten Spanier wurden in vielen Fällen zunächst in anderen Konzentrationslagern wie etwa Dachau oder Buchenwald interniert und später überstellt. Im Jahr 1943 gab es im KZ Mauthausen nur rund 40 Neuzugänge spanischer Häftlinge, im Jahr 1944 rund 240.25 1945 gelangten nur vereinzelt Spanier im Zuge großer Evakuierungstransporte aus den Lagern im Osten nach Mauthausen. Dazu gehörten auch fünf spanische Frauen, deren Ankunft aus dem Frauen-Konzen-

trationslager Ravensbrück am 7. März 1945 in Mauthausen registriert wurde.26

Dokumentation der Verbrechen Spanische Häftlinge hatten eine zentrale Rolle bei der Befreiung des KZ Mauthausen und auch bereits in der Zeit davor. Hans Maršálek schreibt dazu: „Die spanischen Republikaner waren es, die als erste Solidarität im internationalen Rahmen übten, sie nahmen mit den im Lager befindlichen Interbrigadisten Verbindung auf und unterstützten diese.“27 Die Initiative zur Internationalisierung des Widerstands, welche schließlich in der Gründung eines ersten Internationalen Komitees im Frühjahr 1944 mündete, ging somit wesentlich von spanischen Gefangenen aus.28 Während sich der Lagerwiderstand zunächst auf grundsätzliche Solidaritätsakte, die gerechte Verteilung zusätzlicher Essensrationen, den Schutz besonders gefährdeter Gefangener oder Gruppen sowie in manchen Fällen auch auf Sabotageakte beschränkte, formierte sich im Frühjahr 1945 angesichts der näher rückenden Front auch bewaffneter Widerstand. Auch dabei waren spanische Häftlinge mit federführend, was etwa erhaltene Fotoserien aus den Tagen der Befreiung eindrucksvoll belegen.29 Da die SS am 3. Mai 1945 das Lager kampflos geräumt und die Bewachung Einheiten der Wiener Feuerschutzpolizei übertragen hatte, wurden die vom Internationalen Häftlingskomitee für den Notfall vorgesehenen Aufstandspläne nicht mehr in die Tat umgesetzt. Die Kampfhandlungen beschränkten sich letztlich auf einzelne Scharmützel mit marodierenden SSEinheiten. Am 5. Mai 1945 fuhren die ersten USamerikanischen Soldaten in die befreiten Lager Mauthausen und Gusen ein, am 6. Mai nahm die US Army das befreite Lager schließlich endgültig unter ihre Verwaltung. Auch nach der Befreiung sollte spanischen Häftlingen eine wichtige Rolle zukommen, vor allem in der Beweissicherung und den späteren Prozessen gegen die Täter. Einen besonderen Fall der Sicherung von Beweisen stellt die Rettung einer großen Zahl an Original-Fotonegativen aus dem Bestand des SS-Erkennungsdienstes des Lagers dar. Noch während des Bestehens des Lagers waren sie von dem aus Barcelona stammenden Francisco Boix, der im Fotolabor des Erkennungsdienstes tätig war, mit der Hilfe von spanischen Mitgefangenen aus dem Lager geschmuggelt und dort durch eine Bewohnerin von Mauthausen, Anna Pointner, bis zur Befreiung aufbewahrt worden. Die auf diese Weise geretteten Fotos stellen den vielleicht wichtigsten erhaltenen Fotobestand aus dem Inneren eines NS-Konzentrationslagers dar. Sie dokumentieren verschiedenste Aspekte des Lageralltags: von Baufortschritten des Lagers bis zum Eintreffen von Häftlingstransporten; vom Besuch hochrangiger NS-Funktionäre bis zur Tötung von Gefangenen.30 Diese Fotos und viele andere von spanischen Häftlingen gesicherte Dokumente dienten als wichtige Beweismittel im Nürnberger Hauptkriegsverbrecher-Prozess, in den US-Militärprozessen in Dachau und in anderen nachfolgenden Prozessen.31 So wie Francisco Boix in Nürnberg und Dachau traten auch viele andere spanische Überlebende als Zeugen in verschiedenen Prozessen gegen die Täter auf. Nach der Befreiung war für die Überlebenden die Rückkehr in das von Franco regierte Spa-

nien kaum möglich, ohne Gefahr zu laufen, ins Gefängnis gesteckt oder umgebracht zu werden. Nur eine Minderheit der Überlebenden der NSKonzentrationslager ging dieses Wagnis ein. Der Großteil ließ sich in Frankreich nieder.32 Eine Handvoll Überlebender des Konzentrationslagers Mauthausen verblieb in Österreich und baute sich dort ein neues Leben auf.33 Ein besonderes Beispiel ist jenes des aus Madrid stammenden Manuel García Barrado, der von März 1941 bis Mai 1945 Häftling im KZ Mauthausen war. Von Ende der 1960er bis Anfang der 1980er Jahre fungierte er als Verwalter der KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Sein Büro hatte er im Gebäude der ehemaligen SS-Kommandantur.

Anmerkungen 1 Einführend zu diesen Orten siehe auch das Internetportal „Gedenkorte Europa 1939–1945“ unter: http:// www.gedenkorte-europa.eu/content/list/30/. 2 José Borras, Histoire de Mauthausen, Les cinq anneés de deportation des républicains espangnols, o.O., Eigenverlag, 1989, S.363. 3 Bundesarchiv, Koblenz: R 58/265. 4 Benito Bermejo/Sandra Checa, Libro Memorial. Españoles deportados a los campos nazis (1940–1945), Madrid, 2006, S. 19. 5 Ebd., S.16. 6 zitiert nach: ebd., S.25 (Übersetzung C.D.). 7 Siehe: Hans Maršálek, Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, Wien/Linz, 1995. 8 Die Archive der FEDIP befinden sich heute im Centro Documental de la Memoria Histórica in Salamanca, Teile auch im Museu d’Història de Catalunya in Barcelona. Die FEDIP war eine von zwei in Frankreich von spanischen Häftlingen (mit-)begründeten Überlebendenorganisationen. Die andere ist die Amicale des déportés politiques de la Résistance de Mauthausen et de ses kommandos dépendants (kurz: Amicale de Mauthausen). Beide Organisationen unterschieden sich aufgrund ihrer ursprünglichen politischen Ausrichtung. Während die Gründer der FEDIP hauptsächlich einen anarchistischen Hintergrund hatten, war die Amicale kommunistisch orientiert. Der Amicale gehörten zudem spanische ebenso wie französische Überlebende an. (vgl. Martina Schröck, Vom spanischen Bürgerkrieg ins Konzentrationslager. Die republikanischen Spanier im KZ Mauthausen, Diplomarbeit, Passau, 1996, S.72). 9 Vgl. ebd., S. 25–27. 10 Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen (AMM), Metadatenbank. 11 Diese und die folgenden Angaben zu Transporten nach Mauthausen laut: José Borras, Histoire de Mauthausen, S.363–369; siehe auch: Hans Maršálek, Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, Wien/Linz, 1995, S.111. 12 Benito Bermejo/Sandra Checa, Libro Memorial, S.18; siehe auch: Erich Hackl, Wo Gott war, in: Der Standard, 22. August 2015, http://derstandard. at/2000021076141/Wo-Gott-war. (Zugriff: 24.2.2016). Erich Hackl beschreibt in seinem Essay die Geschichte des Transports aus Angoulême anhand des Schicksals der Familie Valsells Casasús. 13 Archivo Central del Ministerio de Asuntos Exteriores de España, amae-r-1260-75-03 (Kopie im AMM; Übers. C.D.). 14 Benito Bermejo/Sandra Checa, Libro Memorial, S.19. 15 Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen (AMM), Metadatenbank. 16 Vgl. Pierre-Serge Choumoff, Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas auf österreichischem Gebiet 1940–1945. Wien, 2000 (= Mauthausen-Studien 1a), S.27–79. 17 AMM, Metadatenbank. 18 Vgl. Martina Schröck, Vom spanischen Bürgerkrieg ins Konzentrationslager, S.49; Hans Maršálek, Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.49.

19 Dies kommt in vielen Überlebendenberichten zum Ausdruck. Vgl. Martina Schröck, Vom spanischen Bürgerkrieg ins Konzentrationslager, S. 33; Benito Bermejo, Francisco Boix, der Fotograf von Mauthausen, Wien, 2007, S.69; Hans Maršálek, Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S. 305. 20 Vgl. Florian Freund, Vöcklabruck, in: Wolfgang Benz/ Barbara Distel (Hrsg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 4: Flossenbürg, Mauthausen, Ravensbrück, München 2006, S. 443f. 21 Florian Freund, Ternberg, in: Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hrsg.), Der Ort des Terrors, S. 441–443. 22 Bertrand Perz, Bretstein, in: Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hrsg.), Der Ort des Terrors, S. 351–353. 23 Bertrand Perz, Steyr-Münichholz, in: Wolfgang Benz/ Barbara Distel (Hrsg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 4: Flossenbürg, Mauthausen, Ravensbrück, München 2006, S. 437–440. 24 Benito Bermejo/Sandra Checa, Libro Memorial, S.16. In den Jahren 1943/44 wurden knapp 1.100 Spanier über Compiègne in die Konzentrationslager im Reich überstellt. (ebd. S.20) 25 AMM, Metadatenbank. 26 Ebd. 27 Hans Maršálek, Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, S.312. 28 Vgl. auch: Martina Schröck, Vom spanischen Bürgerkrieg ins Konzentrationslager, S.57.63. 29 Vgl. Das sichtbare Unfassbare | The Visible Part. Fotografien aus dem Konzentrationslager Mauthausen, Wien 2005, S.170–193. Der Großteil dieser während und nach der Befreiung geschossenen Fotos stammen von der Kamera von Francisco Boix. 30 Zahlreiche Fotos dieses Bestandes finden sich etwa in: Das sichtbare Unfassbare | The Visible Part. Fotografien aus dem Konzentrationslager Mauthausen, Wien 2005. 31 Zur Person Francisco Boix und zur Geschichte der aus dem Lager geschmuggelten Fotos siehe: Benito Bermejo, Francisco Boix, der Fotograf von Mauthausen, Wien, 2007; Benito Bermejo/Sandra Checa, Fotografías del Kommando Poschacher (1944). Un grupo de jóvenes españoles prisioneros en el campo nazi de Mauthausen, in: Cuadernos Republicanos, nu.60 (2006), S.51–71. 32 Vgl. Martina Schröck, Vom spanischen Bürgerkrieg ins Konzentrationslager, S.69–77. 33 Zur Geschichte der in Österreich verbliebenen republikanischen Spanier siehe auch: https://grsoe.wordpress. com/geschichte/ (Zugriff: 2.3.2016)

Spanier in Mauthausen

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