Viva Garibaldi! – Heldentum und mediale Inszenierung am Übergang zur politischen Moderne

July 4, 2017 | Author: Robert Lukenda | Category: Media Studies, Italian Studies, Risorgimento, Giuseppe Garibaldi
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helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen.

Mediale Strategien der Heroisierung Die Briefe Philipps von Hutte­n zwischen Medium und Memoria des Heroischen Tilman Moritz Der ‚Kunstheld‘ im Spannungsfeld zwischen Krieg und Frieden Christina Posselt-Kuhli Transfigurations du héros dans la culture mondaine du siècle classique Isabelle Chariatte Intermediale Heroisierungs­ strategien bei Molière und Pierre Mignard Christina Posselt-Kuhli, Jakob Willis Zur Heroisierung Theodor Körners im 19. und 20. Jahr­hundert Nikolaus Immer, Maria Schultz Heldentum und mediale Inszenierung am Übergang zur politischen Moderne Robert Lukenda Leningrad als Heldenstadt in der medialen Vermittlung durch Reiseführer Kristina Offterdinger John Harrison (1693-1776) and the Heroics of Longitude Ulrike Zimmermann

Herausgegeben von Katharina Helm und Jakob Willis

Band 2.2 (2014) helden. heroes. héros.

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Inhaltsverzeichnis

Editorial Katharina Helm, Jakob Willis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Aufsätze Neue Welten, alte Helden? Die Briefe Philipps von Hutten zwischen Medium und Memoria des Heroischen Tilman Moritz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Der ‚Kunstheld‘ im Spannungsfeld zwischen Krieg und Frieden – Ein herrscherliches Tugendexempel im Deutschland des 17. Jahrhunderts Christina Posselt-Kuhli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Transfigurations du héros dans la culture mondaine du siècle classique : Madeleine de Scudéry, La Rochefoucauld, le chevalier de Méré Isabelle Chariatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 « La voilà, cette main, qui se met en chaleur » – Intermediale Heroisierungsstrategien bei Molière und Pierre Mignard am Beispiel des Gedichts La Gloire du Val-de-Grâce Christina Posselt-Kuhli – Jakob Willis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Lützows wildester Jäger. Zur Heroisierung Theodor Körners im 19. und 20. Jahrhundert Nikolas Immer – Maria Schultz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Viva Garibaldi! – Heldentum und mediale Inszenierung am Übergang zur politischen Moderne Robert Lukenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

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„Stadt, die den Tod bezwang“ – Leningrad als Heldenstadt in der medialen Vermittlung durch Reiseführer Kristina Offterdinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 John Harrison (1693 - 1776) and the Heroics of Longitude Ulrike Zimmermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

Rezensionen Bricht in Russland ein heroisches Zeitalter an? Der russische Feldherr Alexander Suworow als Kristallisationsfigur eines neuen Nationalmythos. Zu den neuen Biographien von Wjatscheslaw Lopatin und Arsenij Samostjanow Reinhard Nachtigal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Heldenlose Oper? Giacomo Meyerbeers Die Hugenotten, wiederbelebt und neu interpretiert am Staatstheater Nürnberg Carolin Bahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

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Editorial S’il n’y a de l’héroïsme que dans l’action, il n’y a de héros que dans et par la parole. Maurice Blanchot: Le Héros

Seit der Antike kommt heroischen Figuren wie Herakles, dem Cid oder Jeanne d’Arc eine zentrale Rolle im Kontext kultureller Vorstellungs- und Aktionswelten zu. Indem sie als Identifikationsfiguren die Werte und Ideale einer Gemeinschaft verkörpern, rufen sie zur Imitation auf und besitzen integrative und soziale Kohäsion stiftende Funktionen. Gleichzeitig sind sie nicht selten Gegenstand kontroverser Deutungs-, Zuschreibungs- und Abgrenzungsprozesse. Jeanne d’Arc beispielsweise wurde Zeit ihres Lebens nicht nur als Heldin und Märtyrerin verehrt, sondern auch der Häresie beschuldigt, im 19. Jahrhundert dann zum nationalen Mythos verklärt und zu Beginn des 20. Jahrhunderts sogar heiliggesprochen. Untersucht man den kulturellen Umgang mit Heldinnen und Helden in einer historischen Langzeitperspektive, stehen so Traditionen und Kontinuitäten neben Transformationen und radikalen Brüchen, Prozesse der Heroisierung neben solchen der Deheroisierung. Einen wesentlichen Anteil an der Konstruktion wie auch der Dekonstruktion heroischer Figuren haben die unterschiedlichen Medien und Künste. Sie stellen in ihrer vermittelnden Funktion den Kontakt zwischen Helden und deren Publikum her, indem sie sowohl von den Taten der heroischen Figuren als auch über deren Opfer berichten. Durch diese Form der bewahrenden Vermittlung wird das Heroische präsent gehalten für Kulte und Rituale, für individuelles wie auch kollektives Erinnern. Dass Medien und Künste zudem den Ruhm einer Persönlichkeit auch über deren Tod hinaus vor dem Vergessen bewahren können, ist ein Faktum, das beispielsweise auch Ovid am Ende seiner Metamorphosen hervorhebt. Den Stellenwert seiner Dichtkunst unterstreichend weist der verseschmiedende Heldenmacher mit Blick auf den Nachruhm Cäsars darauf hin, ein Werk verfasst zu haben, „das Feuer und Eisen nimmer zerstört, noch Jupiters Zorn, noch zehrendes Alter.“

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Die dritte Ausgabe von helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen beschäftigt sich vor diesem Hintergrund in einer dezidiert transkulturellen und epochenübergreifenden Ausrichtung mit unterschiedlichen medialen Strategien der Heroisierung. Die literatur-, bildund geschichtswissenschaftlichen Beiträge, die zeitlich vom Spätmittelalter bis ins 21. Jahrhundert und geografisch von Südamerika bis zur ehemaligen Sowjetunion und dem heutigen Russland reichen, gehen dabei unter anderem der Frage nach, wie sich die diversen Formen der Heroisierung in Medien oraler, textueller, bildlicher, plastischer, musikalischer, kinematografischer oder medial hybrider Darstellung beschreiben lassen und machen einzelne Strategien in ihren Analysen konkret fassbar. Darübe­r hinaus spielt die Überlegung, inwiefern sich spezifische Medien, Künste oder Gattungen in den unterschiedlichen historischen Konstellationen für Heroisierungsprozesse besonders eignen oder sogar einzelne Objekte oder Artefakte an der Erzeugung heroischer Semantiken direkt beteiligt sind, eine wesentliche Rolle. Schließlich tragen die Beiträge auch Phänomenen wie der intermedialen Dimension der Konstruktion des Heroischen, den verschiedenen Kontexten seiner Verbreitung und Rezeption sowie seiner museumsdidaktischen Vermittlung Rechnung. Tilman Moritz untersucht in seinem Beitrag die selbstheroisierende Intention von Briefen des fränkischen Ritters Philipp von Hutten, in denen dieser Mitte des 16. Jahrhunderts über seine Erfahrungen als Teilnehmer einer Welser-Expedition nach Venezuela berichtet. Neben den textuellen Strategien der Heroisierung liegt der Fokus der Analyse dabei auch auf den Möglichkeiten und Grenzen der posthumen Integration der Ausnahmefigur in die Familienmemoria. Christina Posselt-Kuhli beleuchtet in ihrem Aufsatz den Zusammenhang zwischen der heldenhaften Repräsentation von Herrschern im

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Deutschland des 17. Jahrhunderts und deren Eigenschaften als Kunstsammler und -förderer. Unter anderem anhand der Beispiele Erzherzog Leopold Wilhelm und Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg analysiert sie in einer transmedialen Perspektive künstlerische Verfahren der Stilisierung herrscherlicher „Kunst-Helden“.

vermittelte Stilisierung Leningrads als Heldenstadt. Dabei arbeitet sie heraus, welche medialen Praktiken an der heroischen Mythologisierung des Stadtraums mit seinen zahlreichen Erinnerungsorten zum Einsatz kamen und welche Rolle die unterschiedlichen Produktions- und Rezeptionskontexte der Reiseführer spielten.

Isabelle Chariatte arbeitet in ihrem literaturwissenschaftlichen Beitrag Figurationen und Transfigurationen des Heroischen innerhalb der culture mondaine des französischen 17. Jahrhunderts heraus. Durch ihre kontrastive Lektüre von Texten Madeleine de Scudérys, La Rochefoucaulds und de Mérés werden Traditionslinien, aber auch Umbrüche literarischer Heroisierungsstrategien im siècle classique fassbar.

Ulrike Zimmermann wirft in ihrem literatur- und kulturwissenschaftlichen Aufsatz einen Blick auf die posthume Heroisierung des englischen Uhrmachers John Harrisons, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts das Schiffschronometer erfand und damit das Problem der genauen Bestimmung des Längengrades löste. Durch die Analyse der literarischen, massenmedialen und musealen Erinnerung Harrisons entsteht ein differenziertes Bild heroisierender Praktiken der jüngeren Vergangenheit und der unmittelbaren Gegenwart.

Christina Posselt-Kuhli und Jakob Willis wenden sich mit Molière und Pierre Mignard zwei weiteren prominenten Künstlerpersönlichkeiten der französischen Klassik zu und analysieren in ihrem Aufsatz eine Reihe intermedialer Heroisierungstechniken, die sich auf Text-Bild-Ebene in dem Gedicht La Gloire du Val-de-Grâce sowie den Kupferstichen der Originalausgabe von 1669 nachweisen lassen. Den kunst- und literaturwissenschaftlichen Analysen vorangestellt sind einige allgemeinere Überlegungen zum Phänomen der medialen Heroisierung. Nikolas Immer und Maria Schultz befassen sich in ihrem Beitrag mit den unterschiedlichen Formen und Funktionen der Heroisierung Theodor Körners im 19. und 20. Jahrhundert. Anhand einer reichen Fülle von lyrischen und belletristischen Texten, von bildlichen Repräsentationen auf Sammelbildern und Postkarten sowie der kinematografischen Bearbeitung seiner Vita zeichnen sie – ausgehend von Körners eigener Dichtung – die wechselvolle Geschichte der medialen Konstruktion der Heldenfigur und ihrer politisch-ideologischen Vereinnahmung nach.

Reinhard Nachtigal bespricht in einer Sammelrezension Biografien, die zwischen 2000 und 2014 auf dem russischen Buchmarkt über den Generalissimus Alexander Suworow (17301800) erschienen sind. Neben medialen Strategien der Heroisierung stellt er dabei auch die tagesaktuellen Funktionalisierungen der national bis nationalistisch geprägten Helden-Geschichtsschreibung heraus. Carolin Bahr beleuchtet unter musikwissenschaftlicher Perspektive die Inszenierung von Giacomo Meyerbeers Oper Die Hugenotten, die am 15. Juni 2014 am Staatstheater Nürnberg Premiere feierte. In ihrer Rezension diskutiert sie die Kontexte der Wiederbelebung des in Vergessenheit geratenen Stücks und geht Fragen bezüglich der (de-)heroisierenden Funktionen von Dramaturgie, Inszenierung und stimmlicher Gestaltung nach.

Robert Lukenda untersucht in seinem Aufsatz die mediale Inszenierung einer weiteren Heldenfigur des 19. Jahrhunderts, jener des italienischen Freiheitskämpfers Guiseppe Garibaldi. Unter besonderer Berücksichtigung der identitäts- und medienhistorischen Kontexte am Übergang zur politischen Moderne wird die Konstruktion des wirkmächtigen Heldenmythos nachvollzogen und dabei auch Fragen nach Fiktionalität und Faktizität, nach Selbstvermarktung und Instrumentalisierung gestellt. Kristina Offterdinger diskutiert in ihrem Beitrag die über west- und ostdeutsche sowie sowjetische Reiseführer der 1950er bis 1980er Jahre

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Neue Welten, alte Helden? Die Briefe Philipps von Hutten zwischen Medium und Memoria des Heroischen1

I. Dissonanzen Heftig prallen die beiden Schlachtreihen auf­ einander. In mehreren Wellen dringen Reiter auf Fußsoldaten ein, die in geschlossener For­ mation dem Ansturm begegnen. Zwischen den Fronten, schon unter den Hufen der heranspren­ genden Pferde, wälzen sich bereits Verwunde­ te, Ross und Reiter, Freund und Feind. Mit ge­ zückten Schwertern, eingelegten Spießen und erhobenen Schilden, ihre Körper aber entblößt, so stürzen sich die Kämpfer ins Getümmel. Die Vorbehaltlosigkeit, mit der dieser Kampf ausge­ tragen wird, der Mut, aber auch die Rohheit auf beiden Seiten sind kaum zu übersehen. Szenenwechsel: Ein Mann ist vor dem Kru­ zifix auf die Knie gefallen. Er trägt Waffen und einen prächtigen Harnisch, nur den Helm hat er abgelegt und die Panzerhandschuhe gegen zivilere Pendants getauscht. Im Gegensatz zur äußerlich wehrhaften Erscheinung aber steht das zerquälte Gesicht, der zur Anrufung geöff­ nete Mund, der auf den Gekreuzigten geheftete, flehende Blick. Allein, Christus erwidert den Blick nicht, sein Kopf ist zur anderen Seite geneigt, und unter schweren Lidern schaut er auf einen zweiten Mann herab. Dieser kniet dem Gerüs­ teten gegenüber, gefasster, aber kaum weniger inbrünstig betend. Hirtenstab, Ring und vor ihn gesetzte Mitra weisen ihn als Bischof aus. Zu­ gleich markiert das ihm um die Schultern geleg­ te Pluviale den Grund seiner Anwesenheit: die Konsekration, die Weihe der hier vollzogenen Fürbitte. Zwischen beiden Szenen – religiösem Ernst und bewegendem Gebet hier, dem Gemetzel in gleichermaßen heroischer wie barbarischer Nacktheit2 dort – besteht kein offensichtlicher Zusammenhang. Und doch gehören sie in ein und dasselbe Bild. Es handelt sich nämlich um Motive, die auf einem steinernen Grabdenkmal erscheinen. (Eine Photographie ist über das Historische Lexikon Bayerns abrufbar.)3 Das Denkmal selbst ist Teil einer ganzen Galerie von

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Grabplatten und Epitaphien, die den Ort ihre­ r Auf- bzw. Ausstellung, die Pfarrkirche Maria Sondheim im unterfränkischen Arnstein, als eine Grablege der ritteradligen Familie von Hutten ausweist.4 Diesem äußeren Kontext des Steins wiederum wird ein konkreter, inhaltlicher Bezug verbunden durch eine Inschrift, die unter die Bild­ tafel gesetzt ist. Als Philipp von Hutten, „Ritter aus Franken“, wird der Verstorbene vorgestellt, dessen Bruder Moritz, Bischof zu Eichstätt, ihm den Gedenkstein „der Liebe und des Anden­ kens wegen in tiefer Trauer“ stiftete. Angaben zu Herkunft und Werdegang des Verstorbenen sind fast völlig ausgespart. In den Vordergrund gerückt sind vielmehr Huttens Reise nach „Ve­ nezuela, einer Provinz des jenseitigen Indien“, im Jahr 1534, und sein Wirken dort als „Soldat bei zwei Expeditionen“, deren zweite er sogar „an Stelle des verstorbenen Gouverneurs“ selbst leitete. Die vermeintliche Erfolgsgeschichte aber ist letztlich nur die Folie für die Umstände, unter denen Hutten zu Tode kommt: Zusammen mit einigen namentlich aufgeführten Gefährten wird er „im Jahr 1546 jämmerlich (o welcher Schmerz!) hingeschlachtet“ und fern der Heimat begra­ ben – immerhin nicht, ohne dass den ebenfalls namentlich gemachten Mörder, Juan de Car­ vajal, zwischenzeitlich seine gerechte und hier eigens berichtete, grausame Strafe ereilt hätte.5 Eine solche Geschichte passt ganz offen­ sichtlich nicht in den Rahmen des Herkömm­ lichen, der Konvention. Sie erzeugt vielmehr Dis­ sonanzen, und genau das ist im Epitaph – oder eigentlich: dem Kenotaph Philipps von Hutten gespiegelt. So bildet die ausführlich erzählende und sorgfältig komponierte lateinische Inschrift für sich genommen schon eine Ausnahme im Kontext ritterlicher Grabmäler. Hinzu tritt die kunstvolle Gestaltung des Denkmals, das sich neben den wuchtigen Monumenten, die es heute rahmen, beinahe zierlich ausnimmt. Diesen Ein­ druck verstärkt das Bildfeld mit seinen zahlrei­ chen, ebenso plastisch wie fein ausmodellierten Details. Die eingangs beschriebenen Szenen

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gehören hierher: die Fürbitte steht im Mittelpunkt, sie füllt den Rahmen der Darstellung; zugleich ist sie auf einen bewegten Hintergrund gesetzt, in eine Landschaft einbezogen, die durch Einzel­ szenen belebt wird – darunter die bewaffnete Auseinandersetzung am jenseitigen Ufer eines aufgewühlten Gewässers. Allerdings sind diese Szenen nicht als bloße Indizes misszuverstehen, als Zeichen, die eine gegebene Handlung nur mit anderen Mitteln darstellen, etwa im (faktologischen) Sinne einer Illustration des beigegebenen Textes.6 Vielmehr wird hier versucht, durch eine eigenlogische Darstellung, d. h. einen für sich stehenden und lesbaren Bildbericht7, eine weitere Perspektive zu öffnen bzw., wie die Beispiele zeigen, eine parallele, transzendente Deutung der geschil­ derten Vorgänge zu bieten. Damit das aber gelingt, damit ein angemessener Ausdruck ge­ funden werden kann, sind offenbar Regelver­ stöße notwendig. Daher rührt die eigentümliche Zusammensetzung des Arnsteiner Kenotaphs. Wodurch aber werden diese Brechungen eigent­ lich verursacht? Oder konkret gefragt: Warum rechtfertigt, nein, erfordert der unglückliche Tod Philipps von Hutten auf einer – zugegeben, un­ gewöhnlichen – Reise den Aufwand einer sol­ chen Inszenierung?

II. Überreste und Traditionen Am 8. Dezember 1534, nach bereits vier geschei­ terten Versuchen, gelingt es dem Welser-Konvoi endlich, aus dem Hafen von Cádiz auszulaufen und die offene See zu erreichen. An Bord des Führungsschiffs, in Begleitung des gerade neu berufenenen Gouverneurs, befindet sich Philipp von Hutten. Kaum zwei Wochen später, beim Zwischenhalt auf Gran Canaria, schreibt er eine­n Brief an einen Freund aus gemeinsamen Tagen am spanischen Hof Kaiser Karls V. Es ist der erste einer Reihe von Briefen, die Hutten über einen Zeitraum von wenigstens sechs Jahren in die europäische Heimat sendet.8 Tatsächlich ist die Zahl der erhaltenen Schrei­ ben gering.9 Nach aktuellem Stand liegen fünf Briefe noch im Original vor. Ihre Echtheit ist durch Versandspuren (wie die Faltung des Pa­ piers auf Briefformat oder die stärkere Alterung der Außenseite) sowie durch Eingangs- und Weiterleitungsvermerke hinreichend belegt.10 Zwei der Originale sind auch sekundär überlie­ fert in einer Druckausgabe des späten 18. Jahr­ hunderts; diese Ausgabe enthält darüber hinaus weitere sechs Schreiben, die auf Basis rezenter Abschriften ediert wurden (Meusel). Die Kopien sind noch vorhanden, die Originale aber wohl

verloren – vielleicht auch, weil keine unmittel­ bare Notwendigkeit mehr darin gesehen wurde, die nun im Druck gewissermaßen konservierten Schriftstücke aufzubewahren.11 Wo der Abgleich zwischen Original und (edierter) Kopie möglich ist, offenbaren sich einige Ungenauigkeiten, Irrtümer und Auslassungen in den Abschriften. Redaktionelle Eingriffe, Marginalien u. ä. sind in den Kopien überhaupt nicht mehr fassbar. Noch verworrener zeigt sich schließlich die Überliefe­ rungslage eines Konvoluts von Texten, die 1550 als Anhang zur deutschen Übersetzung zweier Schreiben des Hernán Cortés gedruckt wurden. Sie erscheinen dort mit der Begründung, „dieweil sy auch vo(n) Indien […] meldung thůn. Ist dem Bůchtrucker beuolhen, sy zů den zwaien vordern Büchern zutrucken“ (Ulhart LI r-LVII v ).12 Dem rein inhaltlichen Fokus dieses Kompendiums entspricht, dass die ursprünglichen Formate der darin versammelten Texte verwischt sind, Prove­ nienz und konkrete Autorschaft unklar bleiben. Die Zuweisung an Philipp von Hutten ergibt sich vornehmlich aus Passagen, die einige seiner Briefe im Wortlaut zu zitieren bzw. zu paraphra­ sieren scheinen oder die einen Bezug zu seiner Biographie, soweit sie bekannt ist, aufweisen. So schlagend die Analogien sind, aus quellen­ kritischer Sicht bereitet die Überlieferung Proble­ me – und das gilt, so einleuchtend wiederum die Verdichtung zu einem Gesamtkorpus scheint, für die Mehrzahl der unter Huttens Namen zu­ sammengefassten Texte. Vor allem da der Tradi­ tionszusammenhang dieser Quellen also, nach derzeitigem Stand, nicht geklärt werden kann und sie deshalb eher den Rezeptionszeugen zu­ zurechnen sind, konzentriere ich meine Analyse auf die fünf Originalbriefe.

III. Brüche Kehren wir noch einmal zu jenem Dezember­ tag des Jahres 1534 zurück, der den Aufbruch Philipps von Hutten in die Neue Welt markiert. Dieser Aufbruch ist zugleich ein Abbruch. Denn mit der räumlichen Distanz bringt Hutten auch Abstand zwischen sich und seine bisherigen Aktionsfelder. In die Neue Welt zu reisen, war nichts Alltägliches und entsprach ganz sicher weder herkömmlichen Lebensplanungen noch der für Hutten vorgesehenen Karriere. Anders als die möglichen Vorbilder Hernán Cortés oder Francisco Pizarro war Philipp von Hutten gewiss kein „unbegüterter Landadliger“ (Schmitt, Kolonien 397) oder ohne Aussicht auf ein gesicher­ tes Erbe.13 Im Gegenteil galt er, nachdem der ältere Bruder Moritz eine geistliche Laufbahn eingeschlagen hatte, als Stammhalter und damit

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Repräsentant einer erfolgreichen Nebenlinie de­ rer von Hutten.14 Seine vorangegangene Aus­ bildung am nassauischen bzw. spanischen Hof hatte ihn außerdem in die Nähe einflussreicher Persönlichkeiten geführt und ihm Chancen zu gleichsam internationaler Netzwerkbildung er­ öffnet. Das dokumentieren unter anderem die Briefe an den bereits genannten Freund, den Kaiserlichen Rat Matthias Zimmermann, sowie die darin mit angesprochene peer group, na­ mentlich oder summarisch etwa als „das gantz Hoffgesindt, sunderlich die gantz Gesellschaft von vnser Taffel“ (Schmitt, Gold 91); und das belegt schließlich auch Huttens Aussicht, sich durch Heirat einem Krainer Adelsgeschlecht zu verbinden.15 Allein daraus lassen sich die Gründe für den dramatischen Wechsel der Verhältnisse also nicht rekonstruieren. Allerdings steht fest, dass Hutten den Bruch durchaus als solchen wahrnahm und entsprechend verhandelte. Das erhellt zunächst aus der Sprache der Briefe selbst. Ausführlich und mit großer Anschaulichkeit werden darin die Gegebenheiten der Neuen Welt geschildert. Hutten zeigt sich fasziniert vom Unbekannten, dem Unerhörten, dem Unglaublichen, für das er dann herausstellen kann, „wiewol es luger­ lich laut, ist es entlich war“ (Schmitt, Gold 91).16 Er verortet sich im Geschehen, ist nicht nur Au­ gen- und Ohrenzeuge, sondern aktiv Beteiligter, dessen Motiv letztlich die Anschauung selbst ist: „Ob ich schan nichs gewun, allain mit Gesunthait daruon keme, bin ich zefriden mit dem, das ich gesehen hab vnd teglichs syehe vnd sunderlich in der Entrada [d. h. Expedition]“ (ebd. 94). Diese Anschauung ist natürlich, dem Ausdruck nach, vorrangig eine europäische Perspektive, speist sich also aus dem Vergleich. Mit Alteritätserfah­ rungen so umzugehen oder, besser gesagt, sie dadurch zu betonen, ist ein Verfahren, das aus zeitgenössischen Pilger- und Reiseberichten be­ kannt ist. Fremde Begrifflichkeiten, selbst dort, wo sie nicht erklärt werden, verstärken den Ef­ fekt. Es handelt sich um Exotismen, die einer­ seits eine Fremdheit hervorbringen, indem diese gewissermaßen sprachlich ‚reproduziert‘ wird; andererseits inszeniert sich darin derjenige, der die Exotik auf den Begriff bringt, selbst als Teil­ haber jener Fremdheit.17 Bei Hutten finden sich solche Begriffe verhältnismäßig häufig und wie selbstverständlich eingestreut, obwohl sie einem europäischen bzw. deutschsprachigen Publikum nicht ohne Weiteres verständlich gewesen sein dürften: so ist etwa von „reuier“ (Fluss; Schmitt, Gold 93), „mahiz“ (Mais; ebd. 95), „Cassicques“ (Häuptlinge; ebd. 99) oder „Iucka“ (Yucca; ebd. 103) die Rede. Das vollkommen Fremde kommt dann aber auch in einer persönlichen Aneignung, als Aushalten der Fremdheit zum Ausdruck:

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„Welche grosse Arbait vnd Not […] ßo die [armen Cristen in] diesen Landen leiden, euch zum Theil vnuer[treglich vnd schier] vnmenschlich, wie sie dan warlich an in sel[bst seyn, duncken] werden, ßo sein wir doch itz durch lange Gewo[nhait alßo darinn] erwachsen, das wir die gantz gering ach­ ten“ (ebd. 129).18 Die perspektivischen Brechun­ gen werden hier also klar benannt. Mehr noch, ihre Wahrnehmung und der Umgang mit ihnen werden zu einer rite de passage. Der Philipp von Hutten, der sich aus dem gewohnten Kon­ text gelöst hat, ist ein anderer geworden – und er muss ein anderer sein, weil es die geänderten Bedingun­gen erfordern. Genau diese Dynamik manifestiert sich in den Briefen, materialisiert sich, wird (be-)greifbar.

IV. Reparaturversuche Die Briefe bringen demnach nicht nur das Frem­ de auf den Begriff, sondern auch den persönli­ chen Wandel. Sie veranschaulichen und begrün­ den zugleich, warum und vor allem wie Hutten sich von vertrauten Positionen verabschiedet. Sie sind tatsächlich medial zu verstehen, das heißt in ihrer vermittelnden Funktion, durch die ein Standpunkt kommuniziert oder zunächst überhaupt etabliert wird. Der entstandene Bruch wird hier gewissermaßen ‚gekittet‘; denn die Not­ wendigkeit, sich selbst mitzuteilen, besteht ja nur für den, der sich verständlich machen will – der, anders ausgedrückt, die Selbstverständigung sucht. Diese Absicht ist im Fall Huttens sogar recht klar und als konkrete Planung zu erkennen. Zeugnis sind die Briefe selbst, nämlich als Mate­ rialien: Es ist zwar nicht zu klären, ob Hutten das Papier für seine Briefe selbst einführte oder auf den Vorrat der Welser-Administration, der er ja angehörte, zurückgriff. Allerdings zeugt die Anla­ ge der Briefe von seinem sorgfältigen und betont eigenhändigen Umgang mit dem Material. Ein schönes Beispiel ist das Schreiben vom 23. Fe­ bruar 1535, der erste Brief aus Festland-Vene­ zuela.19 Der Text ist hier in ein vorgezeichnetes Schema gesetzt, jeweils auf eine Hälfte des Blattes auf Vorder- und Rückseite. Die entspre­ chende Markierung ist noch zu erkennen, und tatsächlich zeigt sich eine nur geringe Schwan­ kung in Zahl und Breite der Zeilen. Offenbar wurde der Text nach einem Konzept oder einer ausgearbeiteten Vorlage in Reinschrift übertra­ gen, wie sich an Korrekturen zeigt, die von der Hand des Textes angebracht sind und auf Irrtü­ mer beim Abschreiben hindeuten.20 Als Schrei­ ber aber kommt nur Philipp von Hutten selbst in Frage: Zum einen erscheinen in diesem und allen anderen Briefen Text und Unterzeichnung

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in derselben Handschrift; eine Rubrizierung lässt sich in keinem Fall erkennen. Zum ande­ ren, und das ist entscheidend, enthält der Brief vom Februar 1535 eine teilweise verschlüsselte Nachschrift; sie besteht aus Kombinationen von Buchstaben, die mit dem Schriftbild des Textes identisch sind. Diesen Code, obwohl er nur drei Zeilen umfasst, zu diktieren oder abschreiben zu lassen, wäre zumindest fahrlässig, allein schon aufgrund möglicher Übertragungsfehler. Wir dür­ fen also annehmen, dass Hutten seine Briefe ei­ genhändig ausfertigte – sicherlich nicht zuletzt, um seine inhaltliche Präsenz als Autor schon formal, an der Außenseite des Textes sichtbar zu machen, das heißt im Erkennen seiner Hand­ schrift selbst wiedererkannt zu werden. Genau das ist dann auch eine – oder sogar die eigentliche – Funktion der verschlüsselten Passage. Ohne ihren Inhalt zu kennen, lässt sich nämlich vermuten, dass auch sie der Prä­ senzerzeugung dient; dass sie sozusagen direk­ te Kommunikation ermöglicht, die nicht durch Distanz oder das Medium gebrochen ist, eben weil sie verschlüsselt ist, somit auf einer ande­ ren, vertraulichen, ja intimen Ebene stattfinden kann. In den Briefen ist der Code freilich singu­ lär, zumindest hat sich Vergleichbares nicht er­ halten. Gerade dieser Umstand hat Anlass zu Spekulationen gegeben, hat dazu angeregt, an­ dere Doppeldeutigkeiten als Geheimnachrichten zu lesen und daraus einen Sonderstatus, eine Beob­achtermission Huttens in Venezuela abzu­ leiten (Schmitt, Gold 12, 96). Umso ernüchternder mag wirken, was dort tatsächlich zu lesen ist. Es handelt sich um einen einzigen Satz, verschlüsselt über einen schlich­ ten Buchstabentausch und mit Trugzeichen verunklart – keineswegs aber ‚bruchsicher‘. So ist auch die Nachricht kurz: „ich bit euch gantz freuntlich wollet mir nichs uerhalten wie sich bis­ her ger-t gehalten haet un[d] noch he[l]t“ (D 1072, 3 r2).21 Hutten erkundigt sich also nach der Ver­ fassung einer Person, deren offenbar gekürzter Name vom Korrespondenzpartner leicht zu er­ schließen sein muss. Aus ähnlichen Passagen in anderen Briefen aber ergibt sich die Möglichkeit, die Abkürzung zu „Ger(trau)t“ aufzulösen, dem Namen der Mutter Philipps von Hutten.22 Frei­ lich, eine solche Frage zu verschlüsseln, scheint zunächst widersinnig. Allerdings grenzt sie den Adressatenkreis erheblich ein, und der Blick muss hier zurückgehen auf die oft übersehene Anschrift, besser gesagt, die Anweisung, den Brief „meine(m) [br]uder lieben hern vnd Freůndt zůhand(en)“ (D 1072, 3 r2) weiterzuleiten.23 An ihn, Moritz, nämlich richtete sich das Schreiben. Zuvor aber hatte es einen Umweg über Matthias Zimmermann und sehr wahrscheinlich auch jene „loblich geselschaft vnser taffel“ (D 1072, 3 r2)

genommen, als deren Stellvertreter Zimmer­ mann hier wie noch häufiger fungierte. Folglich war der Brief keinesfalls vertraulich oder gar privat, sondern ging durch viele Hände. Das an­ zuzeigen, war wohl durchaus im Sinne Huttens: dass die alten Netzwerke noch bestanden, dass Hutten in der Gemeinschaft des spanischen Hofs noch zahlreiche Freunde hatte und dass er diese Kontakte sogar immer noch bewusst such­ te, all das stellt der Brief aus. Die Geheimschrift aber, wenigstens als Geste, ermöglichte es, in der Öffentlichkeit des Schreibens Vertraulich­ keit (wieder-)herzustellen, und zwar zielgerich­ tet im ‚Gespräch‘ mit dem älteren Bruder. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich die gesamte Nachschrift als sozusagen ostentativ verbor­ gene Botschaft: Unter anderem und scheinbar beiläufig referiert Hutten die – vor Ort redensart­ lich gewordene – Gewohnheit des Bischofs von Santo Domingo, „alle Iar her zekome(n) seine scheffle zeschere(n) vnd widerůmb mit der wol­ len gen santo domÿngo faren“ (D 1072, 3 r2).24 Gegenüber Moritz von Hutten, der sich Hoffnun­ gen machen durfte, selbst einmal ein Bistum zu übernehmen – was sich 1539 mit seiner Wahl in Eichstätt auch bestätigte –, war das natürlich mehr als ein augenzwinkernder Scherz. Hier wird Selbstironie abgerufen, die mit dem Amt nicht vereinbar sein mag, allein unter Brüdern aber erlaubt ist. Allerdings, die Frage bleibt: Worin liegt der Sinn einer solchen doppelbödigen Kommunika­ tion? Philipp von Hutten hielt diese Ansprache, die sich auf Verbundenheit beruft und Nähe in­ szeniert, offenbar für notwendig. Gerade des­ halb aber können wir vermuten, dass Verbun­ denheit und Nähe hier stark akzentuiert werden, eben weil sie nicht mehr gegeben sind. Und das verweist wiederum nicht nur auf räumliche, sondern auch gedankliche, oder anders gesagt: ganz persönliche Distanz. Es verweist auf einen Konflikt, in dem der ältere Bruder sowohl die Rol­ le des Antagonisten als auch des einzig verblie­ benen Ansprechpartners übernehmen kann.25

V. Heros ex machina Gleich zu Beginn des Jahres 1540 gerät Philipp von Hutten unter massiven Druck. Seit über ei­ nem Jahr sitzt er in Venezuela fest. Die letzte Expedition, seine erste, blieb ohne greifbaren Erfolg und musste abgebrochen werden, und die Verhandlungen über einen erneuten Anlauf kom­ men nicht recht voran. In dieser Situation treffen gleich mehrere Briefe von Verwandten ein, da­ runter auch ein Schreiben des Bruders, „allain darauff gericht, das ich mich auffs furderlichst

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Neue Welten, alte Helden?

anheymb vnd hynnaus thun sol“ (Schmitt, Gold 128). Der Bruder insistiert sogar, den Bescheid „nit als ain Bit, sunder wie ain Gebot“ (ebd.) zu verstehen, da nun er, nachdem der Vater soeben verstorben ist, die Position des Familienober­ haupts übernommen hat.26 Philipp von Hutten soll in die Nachfolge des Vaters eintreten, das Erbe übernehmen und damit in die für ihn vorge­ sehene Rolle finden. Eigentlich könnte Hutten sich diesen Ansprü­ chen fügen. Man hat ihm Zeit und wahrschein­ lich auch die Mittel zugestanden, sich in der Neuen Welt zu eigenen Bedingungen zu bewäh­ ren. Nun erwartet die Familie, dass er seinen Pflichten nachkommt – was aber auch heißt, dass er, ungeachtet des vor allem finanziellen Misserfolgs seines Unternehmens, in gesicherte Verhältnisse zurückkehren darf. An dieser Stelle jedoch geht Hutten in die Offensive: N[un freundlicher lieber Her] vnd Bruder, wollet wol bedencken vnd ze He[rzen neh­ men], mit was Eren ich euch vnd vnser­n Freunden [heimkomen] wurdt, mit Schul­ den beladen, dan ich itz zur [Zeit kein ander] Beut mit mir bringen möcht, vnd ir kurtz­lich darnach vernemen wurd, wie die in Venezola, ßo erlich gehandlet, ßo reich­e Land auffdeckt vnd ßo grosse Austailung daruon bracht hetten, vnd ich itz lenger dan v Iar im Land vnnutzlich verzert, mich in Schuld gesteckt, vnd do es an ain Tref­ fen gangen, Er vnd Gut zu gewynnen wer, het ich mich daruon gemacht. (Schmitt, Gold 129) Die Argumentation an sich ist nicht neu, Versatz­ stücke finden sich schon in früheren Rechtferti­ gungen. Hier aber erscheinen sie kondensiert, auf den Punkt gebracht: Die ‚Ehre‘ nämlich verbietet es, angesichts erheblich verbesserter Aussichten auf Erfolg bei der bevorstehenden Expedition, das Land zu verlassen – so guter Aussichten, „das nit allain diejenen, ßo im Land sei(n), nit hynnaus, sunder gantz Santo Domin­ go vnd zum Thail His(pa)nia herzekomen be­ wegt sein“ (Schmitt, Gold 129). Ehre besteht allerdings weniger im Gewinn und der Chance, sich dadurch der angehäuften Schulden zu ent­ ledigen; vielmehr soll umgekehrt der Gewinn äußeres Zeichen der Ehre sein, ein Zeichen, vor den Herausforderungen im entscheidenden Moment nicht versagt zu haben. Denn trotz der ebenfalls schon früher geäußerten Einsicht, dass das Gold der Neuen Welt nicht auf der Straße liege, zeigt sich Hutten der möglichen Nachre­ de bewusst, die Rückkehr in Armut „geschech aus Fele oder Gebrechen irer Person“ (Schmitt, Gold 129).27 Darin drückt sich zweierlei aus: Zu­ erst geht es um den Tugendbeweis selbst, der

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sich nicht allein darin erschöpft, ein Programm abzuarbeiten, sondern darüber hinauszugehen, besondere Leistungen zu erbringen, umso eher noch unter erschwerten Bedingungen. Um gültig zu sein, muss dann aber diese Leistung ‚öffent­ lich‘, vor den Augen aller vollbracht und sichtbar gemacht werden. Beides zusammen ergibt eine aristokratische Haltung in ihrem ursprünglichen Sinn – der Beste zu sein, indem man das Beste tatsächlich verkörpert.28 Kein Zufall auch, dass das Streben nach Ehre und Gewinn zum Kampf („Treffen“) umgedeutet wird, also eine klar mili­ tärisch-ritterliche Konnotation erhält. So werden noch zwanzig Jahre später Lope de Aguirre die Worte in den Mund gelegt, er sei nach Peru ge­ kommen, „um mehr zu gelten mit der Lanze in der Hand und um die Schuld einzulösen, die jedem Ehrenmann aufgebürdet ist“ (übersetzt nach Galster 846).29 Kein Wandel also? Nichts als herkömmliche Beglaubigungsformeln, begründet in der Selbst­ gewissheit, an vorderster Front, unter härtesten Bedingungen für überkommene Ideale einzu­ stehen? – Nicht ganz. Denn Philipp von Hutten bietet diese Argumentation gewiss nicht auf, weil er in „überspannten Ehrvorstellungen und man­ gelnder innerer Flexibilität“ (Schmitt, Gold IX), das heißt in unangemessenen Dispositionen, eine­m starren Habitus gefangen wäre. Die Hand­ lungslogik ist eine andere, und sie hängt ganz wesentlich wiederum vom Medium des Briefs ab. Es geht dabei, wie wir bereits festgestellt hatten, um Kommunikation, um Verständigung, auch im Kampf zwischen Positionen. Machen wir uns noch einmal klar: Philipp von Hutten wird von seinem – sehr wahrscheinlich selbstgewähl­ ten – Posten abberufen. Soweit es sein Referat erkennen lässt, läuft die Begründung darauf hin­ aus, dass er seine eigenen Interessen denen der Familie unterzuordnen habe, also einer dynas­ tischen und damit durchaus adligen Logik folgen müsse. Dem aber verweigert sich Hutten, und seine Beweisführung muss den Hebel bei eben dieser adligen Handlungslogik ansetzen, um letztlich eine Überbietungsstrategie in Gang zu bringen. Die Formel gegenüber dem Bruder und Familienoberhaupt lautet daher, er wisse wohl, „was wir alle sunderlich die vo(n) adel schuldich sein nach ehrn zutrachte(n)“ (D 1072, 9 r1).30 Hut­ ten erklärt seine Entscheidung in den Begriffen und mit den Zeichen, von denen er überzeugt ist, dass sie verstanden werden; das heißt ver­ standen von Adressaten und erweitertem Publi­ kum seiner Briefe, deren umfassende Rezeption etwa bei Hof und innerhalb der adligen Groß­ familie nur durch Anspielungen und Wieder­ erkennungseffekte zu beschränken war. Da es sich sicherlich um keinen unerwarteten Konflikt handelte, tauchen einige Argumente schon in

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früheren Briefen auf; seien es die besonderen psychischen und physischen Herausforderun­ gen der Neuen Welt, seien es seine Dienste und Verdienste als loyaler Gefolgsmann oder die im Vergleich mit anderen Entdeckungsfahrten im­ mer noch guten Aussichten, das wahrscheinlich letzte verbliebene Goldreich von Venezuela aus zu finden und zu erobern.31 Die letzten Briefe, in denen die Auseinandersetzung dann tatsächlich ausgefochten werden muss, können daher auf diese Erklärungen zurückgreifen und die Argu­ mentation zuspitzen. Hier wird schließlich deutlich, dass Philipp von Hutten auf eine Verzögerungstaktik setzt. Zwar sucht er weiter den Austausch, aber er ‚verbessert‘ seine Position zusehends. Die Hoff­ nung ist nun nicht mehr nur, „zway oder drey iar aůff[s] lengst“ auszufahren, um anschließend „mit ern naus [zu] kome(n)“ (D 1072, 9 r1).32 Mit der begründeten Erwartung, die nächste Entra­ da selbst leiten zu dürfen und vielleicht sogar die Statthalterschaft über Venezuela zu überneh­ men, äußert er seine Hoffnung, der inzwischen gefürstete Bruder möge mich zw solchen ehrn fůrdern vnd nit hindern, vnd dieweil der almechtich got e(uer) f(ürstlich) g(naden) ßo gnedichlich zw solchem hoen vnd furstlichen stand geholffen hat, wölle mir vergu(n)nen das ich mein glůck auch versůch ob mir vil­ leicht got aůch zw ehrn helffen wolt da­ mit sich e(uer) f(ürstlich) g(naden) mein zw ayne(m) arme(n) brůder destmynder schemen dörfft. (D 1072, 9 v2-r2)33 Der Spieß wird hier umgedreht, der Bruder plötz­ lich in die Pflicht genommen. Das ist ebenso un­ verschämt wie klug berechnet. Denn indem sich Hutten selbst neben der Standes- nun auf die Familienehre beruft und seine eigenen Ziele, als designierter paterfamilias, der Standeserhöhung des Bruders angleicht, macht er seine Position beinahe unangreifbar. Wir sehen hier, wie anpassungsfähig die ver­ meintlich starre Haltung des ritterlichen Heros ist. Gleichzeitig ist an dieser Stelle auch der Leis­ tungsdruck spürbar, unter den Philipp von Hut­ ten sich setzt. Seine Haltung ist kein bloßes selffashioning, kein Nachahmen von Mustern, auch kein Rollenspiel; sondern sie besteht im Zwang zu ständiger Neubestimmung der eigenen, als exzeptionell behaupteten Position. Das näm­ lich hebt das Selbstverständnis, wie es in den Briefen Huttens formuliert oder, besser gesagt, angereichert wird, aus dem Kontext ritterlicher Ehrvorstellungen heraus. Nichts weniger wird demonstriert, als dass Hutten die größten Her­ ausforderungen sucht und die stärksten Wider­ stände überwinden will. Denn die Ansprüche, die

er zu erfüllen sich vornimmt, sind nicht die eines einzelnen Ritters, sondern die des Rittertums schlechthin – obwohl sein Weg immer als Aus­ nahme erscheint und ihm kein Vorbildcharak­ter zugeschrieben wird. Selbst der Sturz in existen­ tielle Krisen kann deshalb ins tatsächlich Hero­ ische34 gewendet werden: Das geschieht, indem etwa völlige Fremdheit oder psychische und physische Härten nicht nur ertragen, sondern als sinnhaft vorgeführt werden, als Prüfungen auf dem Weg zur Selbsterhöhung. Dieser augen­ scheinliche Beweis vor sich selbst ist aber, da er allein im Format des Briefs greifbar wird, in ers­ ter Linie ein Beweis vor Familie und Freunden, und zwar in den Maßstäben jener ‚alten‘ Welt. Allein, in diese Maßstäbe fügt sich Philipp von Hutten schließlich kaum mehr ein, und das umso weniger, je mehr er auf Verständnis und Verstän­ digung setzt. Es scheint ihm selbst unmöglich, sich wieder in die vorgezeichneten, gewohnten Bahnen ritterlichen Daseins lenken zu lassen; genau das kommt in der Sehnsucht zum Aus­ druck, sich nicht an kaÿßer(lichen) noch konig(lichen) mai­ estat noch an kaines fursten hoff zethůn aůch kain dinstgelt, es sey dan an e(uer) f(ürstlich) g(naden) h(of) oder meines g(nädigen) h(errn) v(on) wůrtzbůrgk hoff oder dinstgelt, allain nach růe trachten vnd got vnd meine(n) freůnd(en) dienen, vnd mich der welt benůge(n) lassen. (D 1072, 9 v1)35 Diese vita contemplativa ist nicht der Traum eine­s Pensionärs. Vielmehr ist es der Traum von Selbstbestimmung in der Selbstbeschränkung, von Eingliederung ohne äußere Verpflichtun­ gen oder Abhängigkeiten. Verwirklicht werden konnt­e diese Vision freilich erst in dem Augen­ blick, da Philipp von Hutten den an ihn gestellten Ansprüch­en – oder eher: seiner Vorstellung, sei­ nem Verständnis davon, genügte.

VI. Apperzeption oder From Zero to Hero Wie ließ sich der ‚verlorene Sohn‘ aus Venezu­ ela nun wieder in den Kontext einer fränkischen Adelsfamilie zurückführen? Wie war mit den Am­ bitionen umzugehen, und zwar ungeachtet, ob sie sich erfüllten oder zur Desillusion führten? – Zumal nachdem ernste Ermahnungen bislang of­ fenbar genauso wenig wie stillschweigende Dul­ dung oder sogar Förderung des Unternehmens dazu beigetragen hatten, Philipp von Hutten in die Familie, die Adelsgemeinschaft einzuholen. Die Schwierigkeiten gerade des vornehmlich korporativ agierenden und funktionierenden

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Niederadels, Mitglieder, die einmal aus der Mitte der Gemeinschaft geraten sind, zu reintegrieren, sind durch Einzelfälle belegt, aber kaum syste­ matisch untersucht.36 Tatsächlich stellte sich die Frage nach Wieder­ eingliederung nicht mehr. Wie die Inschrift sei­ nes Kenotaphs verrät, wurde Philipp von Hutten 1546, auf dem Rückmarsch von seiner zweiten Entrada, ermordet. Da man ihn bereits verschol­ len glaubte, hatten die Welser begonnen, das Venezuela-Unternehmen endgültig abzuwickeln. Hutten geriet also in die Auflösungserscheinun­ gen der Provinzadministration hinein, bevor die Leerstelle von der königlich-spanischen Verwal­ tung gefüllt werden konnte. Die genauen Hinter­ gründe seiner Ermordung, soweit sie sich über­ haupt erschließen lassen, sind hier allerdings weniger relevant als das Ergebnis: das beinahe spurlose Verschwinden Philipps von Hutten.37 Es mag zynisch klingen, aber gerade dieser Umstand eröffnete der Familie eine einmalige Chance, den Abhandengekommenen zurück­ zuholen. Moritz von Hutten bemühte sich zwar, wenn auch mit augenscheinlich geringem Er­ folg, um die Herausgabe der Besitztümer, allen voran der Schriftstücke seines Bruders.38 Tat­ sächlich nötig war das aber nicht, um Philipp von Hutten einen Platz in der Familienmemoria einzuräumen. Im Gegenteil konnte man sogar umso leichter das von ihm gezeichnete hero­ ische Selbstbild übernehmen: In seinen Briefen hatte Hutten sich eine Position erschrieben, die es ihm ermöglichen sollte, seine Leistungen und Erfahrungen in Gewinn, in ökonomisches wie symbolisches Kapital, umzumünzen. Sein Tod, beinahe anonym und folglich ohne Nachweis, ob sein Unternehmen wirklich den erhofften Er­ folg gezeitigt hatte, enthob – zumindest im ‚Licht der Öffentlichkeit‘ – den engeren Familienkreis wie auch die regionale Adelsgemeinschaft der Pflicht, jene Selbsterhöhung faktisch einzuholen. Stattdessen knüpfte man ideell daran an, stell­ te Hutten etwa als miles Christianus vor, der „im Eifer, den christlichen Namen zu verbreiten“ zu neuen Ufern aufgebrochen war.39 Vor allem aber zeigte man einen Vorreiter, der in eine quasimythologische Heldenzeit und -region versetzt worden war und dem nur durch böses Geschick die Anerkennung seiner Erfolge in personam, in der Heimat verwehrt wurde. An diesem Punkt stehen wir wieder vor dem Grabmal. Der Reflex der Briefe, die Spannung zwischen Distanz und Nähe, Fremdheit und In­ timität, zwischen Selbstbehauptung und Integra­ tion, zwischen heroischem Anspruch und fataler Desillusion ist in den Dissonanzen der Darstel­ lung erkennbar. Die Einholung Philipps von Hut­ ten als exzeptionelle Erinnerungsfigur, als ‚Spit­ zenahn‘, als Held – vielleicht ein gebrochener,

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aber ein Held – scheint gelungen. Auch wenn er selbst dafür nicht überleben durfte.

1 Folgende Abkürzungen werden verwendet: SAB: Stadt­ archiv Bamberg; StAL: Staatsarchiv Ludwigsburg; StAWÜ: Staatsarchiv Würzburg. Die Zitate folgen i. d. R. der Edition von Schmitt, Gold. Wo mir die Originale zugänglich waren, gebe ich eine diplomatische Transkription, in der Kürzungen in Klammern aufgelöst sind. 2 Zur entsprechenden Differenzierung von Nacktheit im Kontext hellenischer Kunst, vor allem gegen eine einseitig ‚heroische‘ Perzeption vgl. Hurwit. 3 Bei Hanna, Adelsfamilie. Vgl. auch Schmitt, Tocuyo für dieselbe (Abb. 29) und weitere Photographien des Denkmals (Abb. 17, 18, 27 und 28). 4 Siehe Schmitt, Epitaph. 5 Die Inschrift ist in einer Antiqua-Kapitalschrift ausgeführt und im unteren Drittel beschädigt. Gisela Schmitt rekonstru­ ierte den Text nach einem bis dato unveröffentlichten „Entwurf von der Hand des Steinmetzen“ (Schmitt, Camerarius 330) aus dem Huttenschen Familienarchiv in Schloss Steinach; vgl. ebd. 331-332 mit Anm. 99. Ich gebe hier eine leicht kor­ rigierte Variante, die auch die im Original angezeigte Groß-/ Kleinschreibung berücksichtigt und Rekonstruktionen durch eckige Klammern markiert, sowie eine eigene Übersetzung: „Philip(po) ab Hvtten eq(ui)ti Franc(oni)o fr(atr)i chariss(imo), qvi in avla Caroli V cæs(aris) edv/cat(us) et dilatandi chr(ist) iani no(min)is novasq(ue) gent(es) cognoscen(di) stvd(io) in Venezola(m) / vlterior Indiæ provinc(iam) an(no) d(omi) ni m.d.xxxiii profect(us), et postq(uam) in dvab(us) inde / expedition(ibus), qvarv(m) prima(m) III ann(is) ita seqvvt(us) erat miles, vt in demortvi gvber/nator(is) locv(m) ab exercitv svffect(us) altera(m) V. ann(is) cv(m) imper(io) dvceret, mvlta / tvlisset. vastiss(ima)q(ue) regna svb antarct(icis) siderib(us) parva manv peragrans deviciss(et), / ia(m)q(ue) re b(e)n(e) et foeliciter gest(a) in stativa sva [corv(m)] versvs reg(re) deretvr, ab æmulo / q(u)oda(m) Hispano Ioan(ne) Carvesa­ le amicitia(m) [simvlante intercept(us)] et cvm Barthol(ome) o VVelser / Avgvstano ac dvob(us) nobil(ibus) Hispan(is) Alphons(o) [Ramer(o) et Grego]r(io) de Placentia in ipsa / parasceve an(no) m.d.xlvi miserabili[ter (proh dolor!)] trvci­ datvs ac e spe patriæ / ingenti erept(us) ibiq(ue), Carvesale scele[sto in qvatvor frvs]ta dissecto, sepvlt(us) / est: Mavri­ civs d(ei) g(ratia) ep(iscop)vs Æystette[n(sis) amoris et me­ moriæ] ergo moestvs p(osuit).“ – „Philipp von Hutten, dem fränkischen Ritter, dem innig geliebten Bruder, der am Hof Kaiser Karls V. erzogen wurde und im Eifer, den christlichen Namen zu verbreiten und neue Völker kennenzulernen, nach Venezuela, einer Provinz des jenseitigen Indien, im Jahre des Herrn 1534 ausfuhr, und, nachdem er von dort aus bei zwei Expeditionen – auf deren erster er sich als Soldat so [gut] gehalten hatte, dass er vom Heer an die Stelle des ver­ storbenen Gouverneurs gewählt wurde, [und] deren andere er für fünf Jahre mit [eigener] Befehlsgewalt anführte – vie­ les ertragen und die unermesslichsten Reiche, [die er] unter südlichen Sternen mit kleiner Schar durchwanderte, völlig unterworfen hatte, und schon, da die Tat gut und glücklich vollbracht war, in sein Lager, dem Nordwestwind entgegen, zurückmarschierte, von einem Nebenbuhler [aber], einem gewissen Spanier, Ioannes Carvesal [Juan de Carvajal], der Freundschaft vortäuschte, abgefangen wurde und zusam­ men mit Bartholomeus Welser, einem Augsburger, und zwei adligen Spaniern, Alphonsus Ramerus [Diego Romero] und Gregorius de Placentia [Gregorio de Plasencia], gerade zu Karfreitag, im Jahr 1546 jämmerlich (o welcher Schmerz!) hingeschlachtet und der außerordentlichen Erwartung des Vaterlands entrissen und, während der unselige Carvesal in vier Teile gerissen wurde, ebenda begraben wurde – [ihm also] hat Moritz, von Gottes Gnaden Bischof von Eichstätt, der Liebe und des Andenkens wegen [diesen Stein] gesetzt.“

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6 Eine solche Ausdeutung bietet Schmitt, Tocuyo 155. 7 Ich verwende den Begriff hier in Anlehnung an die Analy­ se frühneuzeitlicher Nachrichtendrucke durch Ramon Voges 180-181: „Mithilfe rhetorischer Gestaltungsmittel erzeugten die Bildberichte eine eindringliche und detailliert wirkende Repräsentation der geschilderten Vorgänge. […] Sie kon­ struierten eine historische Wirklichkeit, die sich permanent an den moralischen Richtlinien der etablierten sozialen Ord­ nung orientierte.“ 8 Dieser erste Brief an den Kaiserlichen Rat Matthias Zim­ mermann ist nicht erhalten, allerdings schreibt Hutten am 28. Januar 1535 an denselben Adressaten: „Ich hab euch aus Cannaria geschriben. Hoff, sey euch worden.“ (Schmitt, Gold 89). In einem weiteren Schreiben vom 23. Februar 1535 wird als Tag der Ankunft auf den Kanarischen Inseln der 20. De­ zember 1534 genannt (Schmitt, Gold 92). 9 Die moderne Edition umfasst neben den Briefen auch Zeugnisse, die die Biographie Philipps von Hutten mittelbar betreffen. Sie versammelt in zwei Bänden jeweils Quellen der Jahre 1534-1541 (Schmitt, Gold) bzw. 1545-ca. 1550 (Schmitt, Tocuyo). Ein dritter Band, der den Zeitraum 15161534 abdecken soll, steht noch aus (letzte Ankündigung 2003 bei Schmitt, Camerarius 315). Wo nicht anders angegeben, folge ich bei Zitaten der Edition. – Die erhaltenen Briefe er­ scheinen bei Schmitt, Gold 89-91 (Nr. 2), 92-97 (Nr. 3), 97104 (Nr. 4), 128-135 (Nr. 8) sowie 136-140 (Nr. 9). Anders als in der Edition angegeben, sind die Originale inzwischen Depositum des SAB, Sig. D 1072 [freundlicher Hinweis von Friedrich Karl Freiherrn von Hutten]. 10 Vgl. etwa Schmitt, Gold 97, die Empfängervermerke, die Rückschlüsse auf Stationen und Dauer (fünf Monate) der Übermittlung zulassen. 11 Diese ‚Antiquarisierung‘ würde einen Wandel gegenüber der u. a. von Sittig, Kommunität 250, skizzierten adligen Archiv­praxis andeuten, die gerade handschriftliche Archiva­ lien bzw. deren Rezeption und ‚Mutation‘ mit Bedeutung für die adlige Gemeinschaft auflädt. – Den Fund der Kopien im StAL, Bestand Gemmingen, teilt Schmitt, Camerarius 314 [Anm. 41], mit. 12 Vorlage waren eine oder mehrere Abschriften, die Ulhart durch einen anonym bleibenden Gönner, „so an Röm(ischen) Kün(igs) Maie(stät) hofe nit geringen beuelch hat“, zuge­ spielt. Zitate: ebd. LIr. Vgl. auch Einleitung und Edition bei Schmitt, Gold 47-89. Der Anhang schließt mit der summari­ schen Unterzeichnung durch „Cansalue Ferando von Ouido“ (ebd. LVIIv); damit gemeint ist Gonzalo Fernández de Ovie­ do y Valdés. Von dessen Hand scheint der letzte Text der Sammlung zu stammen, so dass Datierung und Unterschrift hier pars pro toto übernommen wurden. Zu seiner speziel­ len Rolle für die Historiographie der Neuen Welt vgl. Myers, Scharlau. 13 Vgl. zu Cortés: Pagden xxxix-xlv, zu Pizarro: Varón Ga­ bai 7-10. 14 Der Erfolg lässt sich an der Biographie des Vaters, Bern­ hard von Hutten, ablesen: Hanna 468-471. 15 Hutten nimmt im Schreiben an Zimmermann vom 30. Ok­ tober 1538 Bezug auf dessen Mitteilung, „die Obritschanerin wolle auff ain indianischen Man warten“ (ebd., 104). Gemeint ist Magdalena von Obritschan, von der drei Briefe an Hut­ ten bekannt, bislang allerdings unpubliziert sind; dazu ebd. 165-167. Nach Schmitt, Camerarius 311 [Anm. 30], ist ihr letztes Schreiben vom März 1534 aufbewahrt im StAWÜ, Ortenburg-Archiv Birkenfeld, Fasz. 41. 16 Hier im Bericht über fliegende Fische. 17 Für die „Historia general“ Oviedos hält Scharlau 6364, fest: „Sein Ziel ist nicht einfach die Bestandsaufnah­ me der neuen Gegebenheiten, sondern die Beschreibung der Gegebenheiten als ‚neue‘.“ Als Vergleichspunkte aus dem deutschsprachigen ritteradligen Milieu ist etwa an den

Pilgerbericht Arnolds von Harff (1499) oder die autobiogra­ phischen Schriften Sigmunds von Herberstein (ab 1545) zu denken; u. a. befasse ich mich mit beiden Autoren in meiner Dissertation. Eine ähnliche Zusammenschau bietet Hutten ansatzweise im Brief, der direkt nach der Rückkehr vom ers­ ten Feldzug (1535-1538) entstanden ist (Schmitt, Gold 97104), sowie noch ausführlicher in einem allerdings nur se­ kundär überlieferten Schreiben vom 20. Oktober 1538 (ebd. 105-123, zugleich fast identisch mit der „Newen Zeytung“, ebd. 51-77). Es wurde vermutet (ebd. 50, Schmitt, Camerarius 323), hier seien ein Tagebuch oder Expeditionsbericht verarbeitet, was sich aber nicht positiv belegen lässt. 18 Fehlstellen im Original sind in [hier: eckigen] Klammern nach der Transkription von Meusel durch den Editor ergänzt. 19 SAB, Sig. D 1072, 3; ein Blatt (49 cm x 35 cm) à vier Seiten (mittig gefaltet, Vorder- und Rückseite beschrieben), hier beginnend mit der ersten Textseite (rechte Blatthälfte) in laufender Zählung r1, v1, v2, r2. Edition: Schmitt, Gold 92-97; Zitate folgen hier dem Original. 20 Im Original r1: „febrarj[!]“ wird gestrichen und darüber zu „janůary“ gebessert, ebenso „refier“ zu „gegent“. Eine syntaktisch notwendige Korrektur ist das am Rand ergänzte „den wegk zemachen“; Schmitt, Gold 92-93. 21 In der Transkription (Umbrüche sind durch / angezeigt, Trugzeichen durch || und Fehlstellen im Original durch [ ] ): „qf||a gq||x dwfa gantz ezdwmxoqfa vlo||odx|| nq||z / mq||fay wdzahoxdm v||qd ygf||a gqy||adz bdz||x / b||dahoxdm a||hdx wm||[x] mlfa ad[o]x“. Der Schlüssel lautet (geheim zu klar): a=h, b=g, d=e, e=f, f=c, g=b, h=a, l=o, m=n, o=l, q=i, u=w, w=u, x=t(d), y=s(z), z=r. „gantz“ ist in Klarschrift eingefügt, daher hier kursiv gesetzt. 22 Diese Stellen sind nur indirekt durch Meusel überliefert; vgl. Schmitt, Gold 134, 141, und 144; direkte Ansprache der Mutter: 127-128. 23 Die Adresse erscheint direkt unter der Nachschrift und ist teilweise verblasst. 24 In der Edition Schmitt, Gold 97. 25 Carolin Pecho verdanke ich wertvolle Anregungen zur Rolle der Geheimschrift, die sie an überraschend ähnlichen Konstellationen in dynastischen Konflikten der Habsburger untersucht hat. 26 Die Ausschnitte aus dem Brief Moritz’ von Hutten sind lediglich als Zitat in der Antwort des Bruders vom 16. Januar 1540 erhalten. 27 Schon 1535 ist für Hutten die Rede vom schnellen Reichtum ein Witz: „Ich darff nit schreiben, was gutter Hoff­ nung vns die geben, ßo das Land nit wissen, dan wo es nit geriet, wer spotlich.“ (Schmitt, Gold 94). 28 Synoptische Analysen für Antike und Frühe Neuzeit bieten Scholz, Beck. Dafür ist auch der ästhetische Begriff der aemulatio vorgeschlagen worden, für den Adel etwa von Sittig, Grammatik. Hierher gehören darüber hinaus die Beobachtungen von Goodman 149-167, der zufolge die Re­ chenschaftsberichte des Hernán Cortés nach dem Vorbild höfischer Ritterromane geformt sind. 29 Aus dem Schreiben an Philipp II. von Spanien (1561), zi­ tiert nach Galster 846: „[…] pasé el mar Océano, á las partes del Pirú, por valer más con la lanza en la mano, y por cumplir con la deuda que debe todo hombre de bien“. 30 SAB, Sig. D 1072, 9; ein Blatt (46 cm x 33 cm) in der Aufteilung wie D 1072, 3 (s. Anm. 18). Edition: Schmitt, Gold 136-140, hier 137. 31 „[…] wir leben hie frölich, dan das Land erforderts, kain schweren Muet ze haben, [die anders leben,] werden kranck.“ (Schmitt, Gold 95) – Vor allem im Bericht über seine erste Entrada hebt Hutten wiederholt die Unzuverlässigkeit, ja Meutereien seiner Mitstreiter hervor (ebd. 98, 102), er­ scheint dadurch selbst natürlich in positivem Licht (ebd. 104).

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Die Chance, ein Goldreich zu entdecken, schätzt Hutten pragmatisch ein: „In summa man versicht sich in drey oder vier iaren, was gůts in terra firma ist sol aůffgedeckt werden.“ (D 1072, 9 r2). 32 In der Edition Schmitt, Gold 137. 33 In der Edition Schmitt, Gold 139. Ganz ähnlich die Argu­ mentation schon im vorangegangenen Brief, wo Hutten im Bezug auf die Karriere des Bruders zugesteht: „was Muehe, Arbait [vnd Kosten dar]auff gangen, ist alles wol angelegt.“ (ebd. 131). 34 Ich beziehe mich auf Von den Hoff u. a. 8, wonach „he­ roische Eigenschaften“ u. a. als „agonale, außeralltägliche, oftmals transgressive eigene Leistungen“ zu verstehen sind. So scheint Huttens Ausprägung ritterlicher Ehrvorstellungen hinreichend abgegrenzt „von anderen Formen des Exzep­ tionellen wie dem Übermenschlich-Herausragenden oder Nur-Vorbildlichen, dem Göttlichen, Heiligen oder allgemein Bewunderten“ (ebd.). 35 In der Edition Schmitt, Gold 137. 36 Exemplarisch Jendorff; grundsätzliche und auf die Ritterschaft(en) übertragbare Überlegungen bei Asch 9: „Furthermore, institutions such as forms of government or religious communities like to appeal to heroes as founding figures in the past, but consider them and their personal charisma as dangerous in the present and therefore reject them.“

Literatur Asch, Ronald G. „The hero in the Early Modern period and beyond: An elusive cultural construct and an indispensable focus of social identity?“ helden. heroes. héros. Sonderheft 01/2014: 5-14. Beck, Hans, Peter Scholz und Uwe Walter, Hg. Die Macht der Wenigen. Aristokratische Herrschaftspraxis, Kommunikation und ‚edler‘ Lebensstil in Antike und Früher Neuzeit. München: Oldenbourg, 2008. Denzer, Jörg. Die Konquista der Augsburger Welser-Gesellschaft in Südamerika (1528-1556). Historische Rekonstruktion, Historiografie und lokale Erinnerungskultur in Kolumbien und Venezuela. München: Beck, 2005. Galster, Ingrid. Aguirre oder Die Willkür der Nachwelt. Die Rebellion des baskischen Konquistadors Lope de Aguir­r­e in Historiographie und Geschichtsfiktion (15611992). Frankfurt am Main: Vervuert 1996. Goodman, Jennifer R. Chivalry and Exploration, 1298-1630. Woodbridge 1998.

37 Als „Abwicklung der Konkursmasse“ beschreibt Denzer 21, den Prozess; explizit zu Hutten ebd. 168-190.

Hanna, Georg-Wilhelm. „Die Ritteradeligen von Hutten, ihre soziale Stellung in Kirche und Staat bis zum Ende des Alten Reiches.“ Diss. Bamberg. 2006. 18. November 2014 [publiziert u. d. T.: Ministerialität, Macht und Mediatisierung. Die Ritteradeligen von Hutten, ihre soziale Stellung in Kirche und Staat bis zum Ende des Alten Reiches. Hanau: Hanauer Geschichtsverein, 2007].

38 Vgl. zu dem Verfahren Schmitt, Tocuyo, insbesondere die Eingaben und Korrespondenz Moritz’ von Hutten in der Sache: 136-149.

---. „Hutten, Adelsfamilie.“ Historisches Lexikon Bayerns. 18. November 2014 .

39 Vgl. die Inschrift Anm. 4.

Hurwit, Jeffrey M. „The problem with Dexileos: Heroic and other nudities in Greek art.“ American Journal of Archaeology 111 (2007): 35-60.

Ungedruckte Quellen

Jendorff, Alexander. Tod eines Tyrannen. Geschichte und Rezeption der Causa Barthold von Wintzingerode. Mün­ chen: Oldenbourg, 2012.

Ferdinandi Cortesii Von dem Newen Hispanien […]. Augs­ burg: Philipp Ulhart, 1550 [= VD16 ZV 3908]. SAB, Sig. D 1072, 3 [Schreiben Philipps von Hutten. Coro: 23.02.1535]. SAB, Sig. D 1072, 9 [Schreiben Philipps von Hutten. Coro: 06.12.1540].

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DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2014/02/03

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Der ‚Kunstheld‘ im Spannungsfeld zwischen Krieg und Frieden Ein herrscherliches Tugendexempel im Deutschland des 17. Jahrhunderts

Kunst und Heldentum – eine semantische und ikonographische Bestimmung „Herrschertum und Kunstpflege, politische und künstlerische Aussage, gehören in der Barockzeit eng zusammen. Sie bedingen sich in einer bis dahin unbekannten Intensität.“ (Klessmann 147) Diese oft und zu Recht wiederholte Bemerkung soll in diesem Beitrag anhand eines spezifischen Heldenmodells überprüft und in ihrer Bedeutung, Konstruktion und Inszenierung analysiert werden. Das semantisch wie bildlich im 17. Jahrhundert ausgestaltete Modell des ‚Kunsthelden‘ soll dabei in seiner Geltung für die Herrschaftsauffassung nach dem Dreißig­ jährigen Krieg betrachtet werden.1 Zudem soll den rezeptionsästhetischen Qualitäten und da­ mit der Rückwirkung künstlerischer Formulierungen des herrscherlichen Habitus auf den Herrscher und dessen Rolle Aufmerksamkeit geschenkt werden.2 Dass Kunst und Heldentum in eine Beziehung zueinander treten konnten, bedurfte einer grundlegenden Wandlung des Status der Kunst. Durch die Aufwertung der Künste im 15. und 16. Jahrhundert – vom niederen Stand des Handwerks zu einem Teil der ‚artes ­liberales‘  –  erlangten die bildenden Künste allmählich den Rang, den die Geschichtsschreibung bereits einnahm. So wurde die Kunst legitimierter Teil des Herrscherlobes. Sie hatte dadurch Anteil an der Formung von „Historie als ein[em] Bild der Helden, die Geschichte machten“ (Mai u. a. 12). Ikonographisch treffen die Sphären von Kunst, Geschichtsschreibung und Herrschaft in der Ableitung eines historiographischen Motivs aufeinander. Chronos, der mit Sichel und Stundenglas bewehrte Gott der Zeit, erscheint im 17. Jahrhundert nicht mehr [nur] in seiner zerstörerischen Dimension. Er wird im Gegenteil zum Helfer der Historia, ‚gezähmt‘ durch Tugend und Weisheit (Kintzinger 26).3 In Verbindung mit Historia führt er die

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Wahrheit herbei, wozu er häufig Münzen und Statuen präsentiert als historische Artefakte, an denen Geschichte und ihre Lehren abzulesen sind.4 Der [auch bildlich] inszenierte Topos, nach dem die Wahrheit oder die Zeit durch Chronos ans Licht kommt [bildlich geschieht dies, indem Chronos die Personifikation der Veritas emporhebt],5 wird im Barock zuweilen durch die Herrscherfigur adaptiert.6 Dabei ist es nicht mehr die Wahrheit, die – nun durch den Potentaten – erhoben wird, sondern es sind die Künste. Augustus gleich lässt der Herrscher dadurch ein neues Zeitalter anbrechen.7 Bildlich wurde diese Vorstellung etwa in Nicolas Loirs Gemälde Der Fortschritt der Künste unter der Regentschaft Louis XIV umgesetzt, in dem Chronos den Schleier lüftet, der die Künste (Bildhauerei und Malerei) verdeckt, in Anlehnung an die Sentenz ‚veritas filia temporis‘. Sie neigen sich hin zum König, dessen Bildnis von Minerva und Fama empor gehalten wird.8 Der Blick der Künste, die ihren Förderer erkennen, dank dessen sie nun in neuem Licht erstrahlen, wird von Louis XIV auf den Betrachter gelenkt, der somit in das Geschehen einbezogen ist und wie die Künste „aufgeklärt“ wird. Dass dieses neue Zeitalter vor allem durch Frieden gekennzeichnet ist, der die Künste erblühen lässt, wird weithin in Text und Bild propagiert. Welche Rolle der Herrscher dabei einnimmt – nämlich als siegreicher Militärführer, als Friedensbringer und Kulturförderer – wird in einer bedeutenden Schrift des 17. Jahrhunderts ausführlich thematisiert. Es handelt sich um die enzyklopädisch angelegte Kunsttheorie Joachim von Sandrarts. Die in drei Folio-Bänden 1675, 1679 und 1680 erschienene Schrift des Malers, Kupferstechers und Gelehrten Sandrart, die reich mit zum Teil ganzseitigen Kupferstichen geschmückt ist, macht den Zusammenhang zwischen Kunstförderung und heldenhafter Stilisierung von Herrschern in besonderer Weise deutlich. Die semantische Bestimmung des Kunsthelden wird bereits in der Widmung des zweiten Hauptteils

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von 1679 auf Friedrich Wilhelm von Brandenburg übertragen, den Sandrart als ‚Kunsthelden‘ tituliert (Sandrart 1679, Widmung [I] 647). Diese Bezeichnung wird jedoch erst durch ein Spannungsverhältnis zum Ausdruck gebracht. In einer metaphernreichen Anrede von Fama wird der Große Kurfürst nämlich zunächst als ‚Teutscher Martis‘ bezeichnet (ebd. [II] 646). Zur Unterstützung dieses Vergleichs wird die Genealogie bemüht, denn gleichwie Fama „unter Dero Glorwürdigsten Vorfahren einen Achillem fande / Dessen Durchleuchtigster Waffen Glantz den Ruhm aller Helden seiner Zeit“ verdecke, habe Friedrich Wilhelm eben dies in seiner Zeit vermocht.9 Doch durch die Besichtigung seiner Kunstkammer und aufgrund des großen Kunstverstands des Kurfürsten, der seiner Waffenkunde nicht nachstehe, habe sich Fama für einen anderen Helden-Namen entschieden: „Kame sie sofort auf den Schluß / daß Deroselben der Ehren Name eines Teutschen Föbus oder Apollo bäßer anstehen würde“ (ebd. [II] 647). Göttervergleiche wie hier mit Apoll sind durchaus keine Seltenheit im 17. Jahrhundert. Das Wortfeld des Kunsthelden in den panegyrischen und erzieherischen Schriften des 17.  Jahrhunderts umspannt die antike Mythologie – insbesondere Vorbilder wie Herkules [in seiner Rolle als ‚musagetes‘] haben dabei Konjunktur – sowie antike Herrscher wie Augustus oder Alexan­ der den Großen. Mit diesen Vergleichen wird auch in Fürstenspiegeln und in staatstheore­ tischen Schriften auf die Leistungen des Herrschers für das Gemeinwohl und als Friedensstifter verwiesen. Eine Gruppe, die dieses Ideal besonders propagierte, war die Fruchtbringende Gesellschaft, die größte deutsche Sprachgesellschaft des 17. Jahrhunderts, der auch Joachim von Sandrart und der Große Kurfürst angehörten.10 Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, in Zeiten des Dreißigjährigen Krieges dem Niedergang der deutschen Kultur durch die Pflege und Kodifizierung der deutschen Sprache entgegenzuwirken. Es galt, die Sprache in ihrer Bedeutung als ‚teutsche Heldensprache‘ [so der Begriff bei Johann Rist, Georg Philipp Harsdörffer, Kaspar Stiler oder Johann Heinrich Schill]11 wieder rein von Einflüssen fremder Sprachen zu neuer Blüte zu verhelfen. Sprachförderung, so glaubte man, ginge zudem mit einer Verbesserung der Sitten einher. Demzufolge konnte auch der Kunst liebende Mäzen seine Tugendhaftigkeit als Herrscher unter Beweis stellen, indem er durch seine Kulturförderung das sittliche Niveau hob und die Friedensliebe stärkte. Innerhalb der Teutschen Academie lässt sich ein enges Zusammenspiel von semantischer und bildlicher Ausgestaltung des Kunsthelden-Themas ausmachen. Die Bezeichnung einzelner Fürsten als Kunstheld, die

Sandrart auch im Kontext der Beschreibungen diverser fürstlicher Kunstsammlungen [darunter der Brüsseler Sammlung Erzherzog Leopold Wilhelms, der kurpfälzischen Herrscher Karl I., Karl Ludwig und Karl II. sowie der Grafen Otto Gall, Georg Augustin und Rudolph Wilhelm aus dem Geschlecht der von Stubenberg12] verwendet, wird visuell durch die Kupferstiche der Teutschen Academie unterstrichen. Hier ist auf den Zweiten Titelkupfer der Iconologia deorum zu verweisen.13 [Abb. 1] Sandrarts Beschreibung folgend handelt es sich um den Zug der Helden [gemeint sind damit die Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft] zum Thron. Er wird rechts angeführt von den drei Oberhäuptern [Ludwig von Anhalt-Köthen, Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar und August von Sachsen-Weißenfels] sowie den drei kurfürstlichen Mitgliedern [Georg Wilhelm, Friedrich Wilhelm von Brandenburg und Johann Georg II. von Sachsen]. Es folgen die ‚Gesellschafter‘ in streng hierarchischer Rangfolge von Herzögen, Markgrafen, Landgrafen, Pfalzgrafen, Fürsten, Grafen und Freiherren, dann Adelige und Gelehrte.14 Dabei erscheint diese von Merkur angeführte Gesellschaft „mit alt-Römischer Helden-Rüstung gewaffnet / und hielte jeder eine­n Palmen-Zweig“ (Sandrart 1680, Iconologia deorum [IX] 1321). Der Anteil der Fruchtbringer und ihr Selbstverständnis als ‚Heldenmacher‘ geht in diesem Heldenzug bildlich und durch die namentliche Nennung mit den herrscherlichen Helden, die ihnen voranschreiten, sinnfällig zusammen. Ergänzend zum Kupferstich verhandelt die Textpassage des ‚Ehren-Preis‘ in einer Prosa-Ekloge die Verherrlichung der Fruchtbringenden Gesellschaft als ‚teutscher Parnass‘ unter dem Schutz Minervas, Apolls und der Musen und stellt dabei die einzelnen Mitglieder der Sprachgesellschaft mit ihren Werken und ihrem Wirken vor.15 Von der Muse Thalia wird Herzog August von Sachsen-Weißenfels in Übereinstimmung mit dem Wortlaut der Widmungen der Teutschen Academie als ‚Kunst-Held‘ tituliert, der von Apollo mit seinen ‚Gunst-stralen‘ beleuchtet werde (ebd. [X] 1322).

Der Große Kurfürst als Beschützer der Künste – das Ideal von ‚arma et litterae‘ In einer vergleichbaren Ikonographie erscheint der Große Kurfürst als Beschützer der Künste in dem 1682 von Michael Willmann geschaffenen Gemälde.16 [Abb. 2] Die Rolle Friedrich Wilhelms, seine Platzierung im Zentrum der Komposition sowie die Rahmung durch mythologische Figuren hat Willmann im Entstehungsprozess

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des Bildes deutlich verstärkt, was sich an zwei überlieferten Zeichnungen nachvollziehen lässt, die dem Gemälde vorausgingen. Im ersten Entwurf ist der thronende Kurfürst noch ganz an den linken Bildrand gerückt, mit dem Marschallstab in der Rechten und den zumeist als neun Musen gedeuteten Figuren noch ‚in cumulo‘ repräsentiert.17 Die Figur der Pax, erkennbar am Palmzweig und personifiziert durch Dorothea von Holstein-Glücksburg, der zweiten Gemahlin des Kurfürsten, fällt in der Gemäldefassung weg. Ebenso die weibliche Figur neben Friedrich Wilhelm, die aufgrund einer gewissen Porträt­ ähnlichkeit mit der ersten Gemahlin des Kurfürsten, Luise Henriette von Oranien, identifiziert wird. Die Einbindung in einen politisch-familiären Kontext wird somit zurückgenommen, der Kurfürst als zentrale Gestalt repräsentiert allein die weltliche Sphäre, gleichsam als Summe und Ausgangspunkt seiner Herrschaft. Die Attribute Buch und Feder treten deutlicher hervor, wobei Letztere schließlich wie ein Zepter eingesetzt wird.18 Das Gemälde greift damit das Motiv von ‚arma et litterae‘ auf, ein für die Herrscherrepräsentation grundlegendes und in vielfältigen Formen überliefertes Thema, das sich auch im Ausspruch des ‚ex utroque Caesar‘ emblematisch verdichtete und zur vorbildlichen Devise neuzeitlicher Fürsten wurde (Buck 62).19 Cesare Ripa benutzt das Bild für seine Erläuterung der ‚Auttorità o Potesta‘ [Autorität, Macht] [Abb. 3]: der Personifikation sind zur Seite ihres Thrones Bücher und Waffen beigegeben, die Erklärung endet mit Verweis auf Ciceros Sentenz „cedant armatogae“ [„die Waffen sollen der Toga weichen“, Ripa 34-36]. Auch ‚Merito‘ [Verdienst] hat die Doppelbedeutung von Krieg und Studium bzw. Literatur (Ripa 313-315), was einerseits der gerüstete rechte Arm und andererseits das Buch in der Linken der Emblemfigur symbolisieren.20 [Abb. 4] Die Symbolfigur, ein mit Lorbeer bekrönter Mann, steht auf einem Felsen, um den steinigen Weg der Tugend anzuzeigen, den schon Herkules gewählt hat und „dessen allseits bekannte Mühen es verdienen, unter die würdigsten Taten des Helden gezählt zu werden“ (Ripa 315).21 Beide Personifikationen sind reich gewandet, um die besondere Disposition der Fürsten für Ruhm und Tugend anzuzeigen. Durch den bereits erwähnten Aufstieg der Künste und die Etablierung der Kunstpatronage als fürstliche Tugend bekommt der Begriff der ­‚artes‘ neben den ‚litterae‘ besondere Bedeutung. In das Beziehungsgeflecht von Krieg, Frieden und Kulturförderung [bisher emblematisch meist vertreten durch die ‚litterae‘] treten die bildenden Künste. Entsprechend stellt Gabriel Rollenhagen in seinem Emblem zu ‚Arte et Marte‘ Minerva

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gleichberechtigt neben Mars (Rollenhagen Nr. 68). Blickt man in dieser Entwicklung zurück, galt Minerva bis zu Cesare Ripa in der Allegorie und Emblematik als Sinnbild für Weisheit und war Herrschern wie Feldherren zugeordnet. Um 1600 tritt sie dann deutlich diversifizierter auf: mit dem Frieden wird ihr eine ganz bestimmte ‚virtus‘ zugeordnet und in der Schutzherrschaft für die Kunst erscheint sie als Ergänzung bzw. Gegenbild zu Mars wie bei Rollenhagen (Pfeiff 60-72). Bei Ripa wird Minerva explizit als Friedensgöttin genannt [als Erfinderin des Lorbeers]. Als Personifikation von Herrschertugenden tritt Minerva zudem häufig in Darstellungen als Erzieherin junger Fürsten auf,22 was ebenfalls in einem Sinnbild Ripas emblematisch gefasst ist: Die Personifikation der Nobiltà wird als Frau mit Lanze und einer Minerva-Statuette dargestellt, um anzuzeigen, dass man Adel gleichermaßen durch Ruhm, Wissenschaften oder Waffen erlangen könne (Ripa 359-360), deren aller Schutzgöttin Minerva ist.23 Auch der durch ‚arma et litterae‘ erlangte Ruhm des Großen Kurfürsten weist diese Konnotationen von Minerva auf. In dem panegyrischen, von Charles De Hayes ins Deutsche übersetzten Werk von Jacques Abbadie Hochverdienter Helden Lorber […] aus dem Jahre 1685 wird neben dem auf Größe, Ruhm, Kriegsmut und Tapferkeit gegründeten Heldendiskurs Minerva in ihrer doppelten Konnotation als Göttin der Kriegsführung und Beschützerin der Künste zum Sinnbild des ‚neuen Achill‘ Friedrich Wilhelm.24 Nachdem die Siege errungen und damit die notwendigen Bedingungen für den Frieden und die Entfaltung der Künste geschaffen sind, fördert der Kurfürst die Kunst und damit die Sitten: Wie / siehet man nicht täglich die edlen Künste und Wissenschafften unter Seiner so rühmlichen Schutz= und Schirmleistung immer höher empor sich schwingen / und die vormals unnanehmliche und rohe Art der Gemühter dieser Lande zahm und geschmeidig werden! (De Hayes 22) Dem Topos von ‚arma et litterae‘ folgend wird er dafür gerühmt, „die Waffen / Wissenschaften und Freyen künste so genau mit einander zu verbinden“ (De Hayes 24). Dem dichterischen Lob kann auch Sandrart nochmals zur Seite gestellt werden: in den Passagen der Teutschen Academie, in denen der Autor diverse europäische Kunstsammlungen beschreibt, wird die Kunsthelden-Titulierung des Großen Kurfürsten weiter kontextualisiert. Zur Berliner Kunstkammer heißt es, Charles Patin folgend:25

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Es ist auch sonst alles / was in Tugend oder Kunst bestehet/ daselbst im höchsten Grad wol eingerichtet: Dann / unangesehen Ihr Churfürstl. Durchl. die Regirung und Conservation Ihrer Lande und Leute / und darum viele hohe Sorgfalten obligen/ haben Sie doch nicht unterlassen / Ihr heroisches Gemüte iezuweilen mit dieser tugendhafften Ergetzlichkeit zu erfreuen. (Sandrart 1679, Skulptur II 965) Die Aussage ist klar: Das Gemeinwohl, zu dem auch die Kunstförderung zählt, braucht einen starken Herrscher. Nach dem Dreißigjährigen Krieg implizieren solche komplementären Auffassungen von Herrschaft in Deutschland auch den Kampf gegen ‚Invidia‘ und ‚Ignorantia‘ sowie gegen erneute Kriegshandlungen.26 Der Große Kurfürst ist keineswegs der einzige Herrscher, dessen Kunstsinnigkeit Sandrar­t heroisiert. In der Erklärung zu dem bereits erwähnten Zweiten Titelkupfer der Iconologia ­deorum (TA 1680) – der erstmals ins Deutsche übersetzten Götterlehre des Vincenzo Cartari – wird Friedrich I., zu der Zeit noch Kurprinz, ebenfalls in das Beziehungsgeflecht von ‚Arte‘ und ‚Marte‘ gewoben: Wie haben Sie / durch Heldenmäßige tugendhafte Führung der Waffen / den Ruhm Dero Glorwürdigsten Vorfahren / nicht nur erreichet / sondern auch übertroffen: also daß die Namen Achilles, Hector, Alcibiades viel zu wenig / Dieselbe zu beehren / und Sie billig der selbste Teutsche Mars genennet werden. Gleichwol ließen Sie hierbey / nach Anzeig Dero ersteren würdigsten Namens / erscheinen / daß Sie um den Frieden gekrieget / und also zugleich ein rechter Friderich seyen: indem Sie / was Sie durch Waffen erobert / dem Frieden wieder zur Beute hingegeben. (Sandrart 1680, Iconologia deorum [II] 1306). Damit ist der für den Frieden kämpfende Kriegsheld angesprochen. Doch Sandrarts eigentliche Widmung gilt dem im Folgenden als Kunstför­ derer charakterisierten Kurprinzen: E. ChurPrinzl. Durchl. sind ein Erbe / nicht nur der HochVätterlichen Dapferkeit / sondern auch Dero Liebe zu den Künsten. Sie sind der aufgehende Föbus von Teutschland. darum erkühne ich / dieses Buch / das von KunstSachen / wiewol nicht künstlich / handelt / in den Schein Dero aufsteigenden Strahlen zu legen: ob es / also Gnad-beleuchtet / etwas schöner erscheinen möchte. (Ebd. [II] 1306)27

Aus diesen und noch vielen weiteren Textstellen der Teutschen Academie wird ersichtlich, dass sich nach Sandrarts Überzeugung in der Kunstförderung gleichsam die Krönung und Vollkommenheit herrscherlicher Qualitäten manifestiert. Umgekehrt schafft das somit begründete Abhängigkeitsverhältnis von Herrschaft und Künsten die Voraussetzung für die Heroisierung des Herrschers als Kunstheld. Sandrarts Beschreibungen der Kunstkammern und der mäzenatischen Förderung, die die Herrscher den Künstlern angedeihen lassen, zeugen vom Bewusstsein, dass Kunst[förderung] ihre Helden braucht. Auch Willmanns Komposition setzt sich mit dieser Thematik auseinander, was nicht zuletzt durch die Zentrierung des Kurfürsten und die allegorische Aufladung ersichtlich wird, die Willmann in der zweiten Zeichnung [Abb. 5] vollzieht und die im Gemälde bis auf wenige kleine Änderungen beibehalten werden.28 Besonders auffällig ist dies in der Figurengruppe links mit Apoll, Herkules und Minerva. Ihre Kämpfe gegen die Barbarei, die Kriegshydra und den Neid ergänzen die Huldigungsszene durch die Personifikationen der Künste, der Malerei, Architektur und Bildhauerei, die durch ihre Attribute [Pinsel, Palette, Zirkel und eine Herkules-Statue] gekennzeichnet sind. Die historische Figur des Kurfürsten, in zeitgenössisch herrscherlichem Ornat mit Harnisch und Hermelinmantel und mit porträthaften Zügen, wird durch die Götter sowie den himmlischen Ruhm Famas heroisiert, sie begleiten als segensreiche Kräfte seine Herrschaft.29 Der Glanz tugendhaften Handelns des Großen Kurfürsten wird in der Verherrlichung seiner Kunst fördernden Taten durch die Künste zurückgeworfen. Seine Kunstförderung wird als Tugend inszeniert [wofür ihm Fama den Ruhm verkündet] und von den Künsten, die in ihrem Tun innehalten, zugleich reflektiert und festgehalten. Das Gemälde setzt sich somit bildimmanent mit der Beziehung von Kunstförderung und Heroisierung durch Kunst mit künstlerischen Mitteln auseinander. Frieden, Wohlstand und Kulturpflege werden mit der Herrscherrepräsentation verbunden und als Ziel und Ausgangspunkt bekundet. Historisch kann das Gemälde auf die Zeit nach dem Frieden von St. Germain 1678 und einer Phase friedlicher Herrschaft in Brandenburg-Preußen bezogen werden (Lossow 58-59). Militärische Stärke kommt nur noch sublimiert in den neben dem Kurfürsten auf eine­m Tisch abgelegten Attributen der ‚summa potestas‘, Zepter und Krone, zum Ausdruck. Der Akzent des Bildes liegt jedoch vielmehr auf dem Frieden und seinen Auswirkungen: die Künste und ‚Abundantia‘ mit dem Füllhorn können sich unter der Regierung des weisen und friedliebenden Herrschers entfalten.

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Der ‚Kunstheld‘ im Spannungsfeld zwischen Krieg und Frieden

Diese Inszenierung lässt sich mit der realen Kulturpolitik des Großen Kurfürsten durchaus in Einklang bringen. Bereits in der frühen Forschung erscheint Friedrich Wilhelm als der Erste, der in der Mark Brandenburg die Kunstförderung systematisch betrieb und eigentlich begründete, den Künstlern Weiterbildung im Ausland angedeihen ließ und auch bei der Erziehung seiner Kinder auf künstlerische Akzente Wert legte (Galland 71-72). Eine Einschätzung, die sich gut mit den zeitgenössischen Panegyriken verträgt, und auch weiterhin in der Forschung [mit unterschiedlicher Akzentuierung] akzeptiert ist. Allerdings gelang es „dem Kurfürsten nur, relativ bescheidene Talente nach Berlin zu verpflichten“ (Börsch-Supan 34). Neben dem kriegerischen Image wurde zunehmend auch der durch den Sieg erlangte Frieden ein wichtiges ergänzendes Thema der Repräsentation. Insofern dient auch die Darstellung als Friedensfürst durch die Verbindung mit den Künsten wie wir sie bei Willmann umgesetzt sehen, der Legitimation. Auch im kurfürstlichen Appartement im Berliner Schloss wird der Große Kurfürst, der als Mäzen von Kunst und Wissenschaften seine herrscherliche Tugend unter Beweis stellt, veranschaulicht:30 Nicht der kriegerische Fürst, sondern der siegreiche Friedensfürst wird allegorisch wie politisch inszeniert.31 Im Alabastersaal wird der Akzent auf eine Ausbalancierung von ‚arte et marte‘ mit antiken Allegorien der Herrschertugenden gesetzt, und der Herrscher zum einen als Kriegsheld, zum anderen als Friedensfürst dargestellt: Friedrich Wilhelm bringt mit Pax und Minerva die Waffen in den Tempel des Mars und die Kriegsbeute in den Tempel der Musen, er tritt als Förderer von Ackerbau, Viehzucht, Handel und Verkehr auf, und ihm wird als fürstlichem Bauherrn gehuldigt (Wiesinger 119-120).

Sammeln als agonale Tat – Erz­ herzog Leopold Wilhelm und das Theatrum pictorium Das Bild des ‚Kunsthelden‘ wird jedoch nicht nur durch die Tugend irenischer Herrschaft konstituiert, auch die Sammlung wird als wichtiger Faktor bildwürdig. Leopold Wilhelm, der mit geist­ lichen Würden betraute jüngere Bruder Kaiser Ferdinands III., bis 1646 Oberbefehlshaber der kaiserlichen Armee, wusste seine Kunstsammlung, die er während seiner Zeit als Statthalter der Niederlande in Brüssel (1647-1656) aufgebaut hatte, in diesem Sinne zu inszenieren. Eine Verknüpfung von Sammlung, Kennerschaft und Herrscherrepräsentation, mit der Intention der Verbreitung, bietet der graphisch illustrierte

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Sammlungskatalog, das sogenannte Galeriewerk. Ein sehr prominentes Beispiel dieser Gattung ist das Theatrum pictorium, 1660 in Brüssel auf Latein und Flämisch, später in weiteren Ausgaben erschienen.32 Es gilt als „der erste gedruckte und bebilderte Katalog einer Gemälde­ sammlung in Europa“ (Thomas 57) und zeigt in 243 Kupferstichen [bzw. Radierungen] die italienischen Gemälde der erzherzoglichen Sammlung. Mit dreizehn Giorgione, siebenundvierzig Tizian, vierzehn Veronese, dreizehn Tintoretto und vierundzwanzig Palma Vecchio zugeschriebenen Werken sind hauptsächlich venezianische Künstler vertreten. Da ein guter Teil von Leopold Wilhelms Sammlung aus den Versteigerungen des Bildbesitzes englischer Adeliger stammt, die unter Oliver Cromwell vertrieben bzw. hingerichtet wurden [besonders prominent die Sammlung des Herzogs von Hamilton], musste sich der Erzherzog auf dem sich bereits etablierten Kunstmarkt gegen konkurrierende Kunstliebhaber und -sammler durchsetzen. Auch Kriegsbeute gelangte nicht selten in fürstliche Sammlungen. Betrachtet man das Sammeln unter diesem Aspekt, so bedarf es dabei auch der Tatkraft und Entschlossenheit, zuweilen auch des Kriegsgeschicks, mithin agonalen Eigenschaften, die nicht nur herrscherlichem Handeln angemessen sind, sondern auch in den Qualitätskatalog eines Helden passen. Ein möglicher Anlass für die Erstellung des Katalogs mag der 1656 erfolgte Abtransport der Bilder aus Brüssel über Passau nach Wien gewesen sein, als Leopold Wilhelm von seiner Statthalterschaft zurücktrat.33 David Teniers d. J. fertigte deshalb parallel zu einem in dieser Zeit abgefassten Inventar [1647/1659] kleine Reproduktionen der Gemälde in Öl an [sog. ‚modelli‘ oder ‚pasticci‘], – in Abweichung vom üblichen Verfahren, bei dem eine Zeichnung zur Vorbereitung eines Stiches verwendet wird.34 Das Frontispiz des Theatrum pictorium zeigt die mäzenatischen Taten Leopold Wilhelms in allegorischer Form und kennzeichnet damit den Helden als Kunsthelden. [Abb. 6] Im Zentrum steht das durch diverse Gemälde und Drucke bekannte Porträt des Erzherzogs als Bildnismedaillon. Es wird von einem Blumen sprießenden Ährenkranz gerahmt, in dem links ein Gewehr und der Kommandostab stecken und rechts eine Palette mit Malerstab hängt – die harmonische Verbindung von ‚arte et marte‘. Leopold Wilhelms Motto ­‚Fortiter et Suaviter‘ [‚tapfer und milde‘] zieht sich als Band durch den Kranz. Das Medaillon steht auf einem zweigeschossigen Sockel, einem Symbol der Festigkeit und Unerschütterlichkeit – ein vielsagendes Motiv im Kontext eines gegen Konkurrenz beharrlichen Kunstsammlers. Der untere Teil des Sockels ist zu einem Podest

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erweitert, auf dem Minerva mit dem Gorgoneion gerüstet zur Rechten des Erzherzogs steht. Der Sockel trägt eine Inschrift mit der Widmung des ­Amphitheatrum picturarum35 an den Erzherzog sowie die Datierung 1658. Minervas Blick richtet sich auf einen geflügelten Putto, vor dem ein Gemälde steht: die Violante von Tizian [früher Palma Vecchio zugeschrieben].36 Ihr Zeigefinger weist auf einen anderen Putto, der von rechts heranschwebt und ein weiteres Gemälde trägt, das er in die Galerie von Porträts im Hintergrund einzureihen trachtet. Somit entspinnt sich zwischen Minerva und den beiden Putten ein innerbildlicher Dialog darüber, welche Bilder es wert sind, in eine erzherzogliche Galerie integriert zu werden. Die gezeigten – und somit als herausragend gekennzeichneten – Gemälde fungieren als Pars pro Toto der gesamten Sammlung, die mit der Weisheit Minervas und der Kennerschaft Leopold Wilhelms zusammengetragen wurde. Ein dritter geflügelter Putto präsentiert das Bild des sogenannten Bravo von Tizian [ehemals Giorgione zugeschrieben].37 Aufgeschlagene Bücher unterschiedlichen Formats, darunter ein Notenbuch und ein Skizzenbuch, ein Blatt aus eine­r Münzsammlung sowie zwei Nägel zum Aufhängen der Bilder, runden die Hinweise auf die Sammlung ab. Die Szenerie wird hinterfangen von einer Nischenarchitektur mit fünf Pilastern, die von Porträtbüsten gekrönt werden. Damit erfolgt die Glorifizierung des Erzherzogs nicht nur auf allegorischer Ebene, sondern sie reiht ihn auch in die Tradition antiker Gelehrsamkeit ein. So war es noch im 17. Jahrhundert üblich, Bibliotheken nach antikem Vorbild mit Büsten berühmter Philosophen und Autoren zu schmücken, eine seit der frühen Neuzeit etablierte eigene Reihe großer Männer, die den Kanon von Herrschern und Kriegern erweiterte. Eine spezifische Reihe berühmter Männer entwickelte sich auch im Deutschland des 17. Jahrhunderts im Kontext der bereits erwähnten Sprachgesellschaften. Die etymologische Ableitung der deutschen Sprache von den Hebräern an Ascenas  –  Noahs Urenkel – und über die Griechen ins Lateinische wird häufig begleitet von einer genealogischen Abfolge, bei der die jeweiligen in den panegyrischen Schriften geehrten Fürsten passenderweise von Ascenas, Alexander dem Großen, Augustus, Karl dem Großen oder Karl V. abstammen.38 Entsprechende Darstellungen [vornehmlich auf Frontispizen] zeigen diese Filiation in einer Art Heldensaal oder Heldengalerie.39 Nicht selten wird das Motiv des Parnass als heroisches Symbol ausgestaltet, der ebenso wie der Heldensaal zudem in der [Buch-]Graphik eine Entsprechung hat. Die Form der Ruhmes­halle mit genealogischer Rahmung konnte auch im Kontext der Sprachgesellschaften eingesetzt werden. Als Adaption

herrscherlichen Mäzenatentums präsentiert sich die Fruchtbringende Gesellschaft in Karl Gustav von Hilles Text Der Teutsche Palmenbaum von 1647 als Statuen in den Nischen eines Pan­ theons. [Abb. 7] In genea­logischer Ableitung reihen sich Ascenas – von Sigmund von Birken in seinem Chur und Fürstlichen Sächsischen Helden-Saal […], [Nürnberg 1687] als ‚Urvater der Deutschen‘ beschrieben –, Karl der Große, Rudolph I. und drei Mitgliede­r der Sprachgesellschaft, nämlich Friedrich Wilhelm von Brandenburg, ‚der Befreiende‘ [= Herzog August von Braunschweig-Lüneburg] und ‚der Nehrende‘ [= Fürst Ludwig zu Anhalt] aneinander, wie die Beschriftung angibt. Sie alle sind als Herrscher, teils in Phantasierüstung, mit Herrscherinsignien und in verlebendigter Pose dargestellt. Im Zentrum steht eine weibliche Figur mit einem Ährenkranz auf dem Haupt. In der rechten Hand präsentiert sie ein geöffnetes Buch und einen mit Federn geschmückten Helm, in der linken das Wappen mit dem Palmenbaum. Am oberen Ende dieses Wappens sprießt ein geöffneter Granatapfel. Zwei angeschnittene Palmen schließen die Darstellung auf beiden Seiten ab. Bei der Erklärung der Impresen der Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft heißt es bei Hille: Der Vielgekornte [= Dietrich von dem Werder, CP-K]. Ein aufgeborstener Granat­ apfel. Abkülend stärket. – Der vielgekornet heißt / führt die Granatenkron; / Ihr Pupurkörner Saft abkülend stärkt die Glieder: / Jens deut die dapfre Faust / den Krieg= und Siegeslohn / Und dieses seine Kunst der Teutschen HeldenLieder. (Hille 183) Das Frontispiz des Theatrum pictorium vermittelt ebenfalls eine Heldenrolle mit dem Bild eines Kunst liebenden Herrschers, dessen Kunstverstand seine Sammlung zu qualitätvoller Auserlesenheit erhebt. Sein tugendhafter Eifer, den er mit heroischer Stärke gegen Widerstände und Konkurrenz einsetzt, gilt ebenso der Kunst wie seiner eigenen Repräsentation. Das Medium seiner Sammelleidenschaft entspricht dem seiner Memoria.40 Nimmt man Sandrarts Aussagen und die anderer Zeitgenossen ernst und bedenkt man das System von kultureller Repräsentation und Zeremoniell, so erblicken wir in der Inszenierung Leopold Wilhelms mehr als eine politische und militärische Kompensation, die er zweifellos auf kulturellem Gebiet fand.41 Sammeln wird als agonale Kulturtat konstruiert, die auch als solche wahrgenommen und in Bild und Text vermittelt wurde. Zwar sammeln im 17. Jahrhundert längst auch vermehrt Adelige und Bürger [auch hiervon zeugt Sandrarts Teutsche Academie ausführlich], doch das Monopol der

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heroischen Darstellung liegt bei den Fürsten. Diese unterschied­lichen Modi [oder ‚Stilhöhen‘] der Repräsentation herausragender Sammlungen soll an einem abschließenden Beispiel deutlich gemacht werden. Als ein besonders bekannter Vertreter repräsentiert etwa Thomas Howard, der 21. Earl of Arundel, die Gruppe von [Hoch]adeligen, die sich auf dem Feld des kulturellen Mäzenatentums verdient machte und zur Ausstattung ihrer Palais wie zur Erinnerung an ihre Taten Kunst kaufte bzw. in Auftrag gab und sich ausländische Kunstmärkte durch Mittelsmänner erschloss.42 Arundel nutzte ganz gezielt das Sammeln für seine Selbstdarstellung.43 Auf Geheiß seiner Gattin Alathea Talbot wurde Franciscus Junius’ De pictura veterum 1638 ins Englische übersetzt, dessen Widmung den englischen König Charles I. adressiert: Let me pass over in silence [such as I may be silent about what here matters most] Your great zeal in propagating the liberal arts. Under this resplendent banner, as under a benign star, Your Illustrious Majesty, having established the blessings of peace throughout the realm, now happily also has dispersed the darkness of an earlier age. (Junius 318)44 […] Wherever we look, You are restoring, preserving, advancing, and bringing together the arts, and are the sole bestower of happiness, the measure of justice, and the very model of the best of princes. (Junius 319) Auch den Triumphgedanken und das Motiv von ‚arma et litterae‘ spricht Junius an: „Under so great a Maecenas painting triumphs and will be triumphant in the future. For who will dare despise what he sees Your Majesty hold dear?“ (­Junius 321) Junius, Arundels Bibliothekar, gibt wohl auch mit einem weiteren Ausspruch die Meinung Arundels wieder: „The arts inclined men to peace, consecrated the memory of the great, and showed virtue as the pattern of the glorious life.“ (Vickers 7) Dieses Lob der Kunstförderung kann Arundel auch auf sich beziehen. In der Antike sah er ein [moralisches] Vorbild für seine eigene Zeit und die zeitgenössische Kunstproduktion als „relevant to the needs of Jacobean England“ (­Howarth 24). Arundel war darüber hinaus bestrebt, seine eigene aristokratische Position und die des alten Adels insgesamt gegen den aufsteigenden neuen Adel am Hof der Stuart zu verteidigen. So setzte er auch das Kunstsammeln in seinen politischen Bestrebungen ein, das sich mit aristokratischen Werten ebenso vertrug wie mit seiner auch an der Antike geschulten Erziehung – und damit dem Ideal des Cortegiano bzw.

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Henry Peachams The Compleat Gentleman [1622/1634] entsprach. Letzterer konzentrierte sich vor allem auf die Vorbildlichkeit von [auch antiken] Kunstwerken, die ein gebildeter Adeliger kennen sollte (Fatticcioni 24-25).45 Eine bildliche Inszenierung dieser Strategie zeigt das Porträt Arundels von Daniel Mytens. [Abb. 8] Der Earl ist vor seiner Skulpturengalerie so inszeniert, dass das Trompe-l’œil einen Verlebendigungseffekt der Venus pudica-Statue durch Arundels Zeigestock hervorruft und – allgemeiner gefasst – für die Wiedererweckung der Antike durch Arundel steht.46 Dabei befanden sich jedoch [noch] nicht alle im Gemälde gezeigten Statuen in Arundels Besitz, so dass die bildliche Aussage auch einen Anspruch vermittelt und auf die Bereitschaft zum potentiell konkurrierenden Kunsterwerb verweist.47

Das Profil des Kunsthelden Der semantischen Fülle des Heldenbegriffs im 17. Jahrhundert kann durch die Gestalt des Kunsthelden in Panegyrik und bildlichen Darstellungen ein spezielles Profil gegeben werden. Der ‚Kunst-Held‘ kann sich dank des anerkannten ‚symbolischen Kapitals‘ der Kulturpflege im Deutschland des 17. Jahrhunderts in den Reigen der heroischen Modelle einreihen. Die Einbindung in die bzw. Verbindung mit der göttlichen und mythologischen Sphäre heben den Herrscher als Machtfigur heraus. Dominante Formen der Repräsentation wie die Apotheose des Herrschers durch die Künste, das Rollenporträt als Herkules musagetes, Apoll oder Augustus, und weitere Bildformeln, die eine Bildpolitik bzw. das Bekenntnis – ob nun wahr oder idealisiert – zur Kunst vermitteln, werden dabei variantenreich eingesetzt. Nur einzelne bildliche und sprachliche Mittel konnten in diesem Beitrag skizziert werden. Mit der dominanten Gestalt der Minerva werden die Eigenschaften eines Friedensfürsten und Kriegshelden, aber auch die eines Beschützers der Künste als notwendige, sich ergänzende Komponenten fürstlicher Politik vorgeführt. Die bildlichen Formeln zeitgenössischer Herrscherrepräsentation  –  göttergleiche Inszenierung, Platzierung auf dem Parnass, Symbolik des Glanzes durch Aureolen [auch dies eine in diesem Rahmen nicht darzustellende Fülle] – erhalten durch den Bezug zu den Künsten eine spezifische Ausprägung, die ihre Analogien in den literarischen Zeugnissen der Zeit hat. 1 Der Aufsatz behandelt einen Teil eines größeren Forschungsprojektes unter dem Titel „Kunst-Held versus Kriegs-Held. Heroisierung durch Kunst im Kontext von Krieg und Frieden in der Frühen Neuzeit“ innerhalb des

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DFG-geförderten SFB 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen. Konjunkturen und Transformationen von der Antike bis zur Moderne“ an der Universität Freiburg. 2 Zu diesem Ansatz grundsätzlich Oevermann, Ulrich. „Für ein neues Modell von Kunst- und Kulturpatronage.“ Die Kunst der Mächtigen und die Macht der Kunst. Untersuchungen zu Mäzenatentum und Kulturpatronage (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel, 20). Hg. Ulrich Oevermann u. a. Berlin: Akademie Verlag, 2007: 13-23. 3 Da Chronos häufig gefesselt, am Boden liegend oder schlafend gezeigt wird, lässt dieses Motiv zuweilen die gefahrvolle Kraft Chronos’ noch durchscheinen bzw. seine Zähmung so bedeutsam werden. 4 Im 18. Jahrhundert lässt sich dies auch an einigen genealogischen Werken ablesen, vgl. etwa die Titelblätter zu Banduri, Anselmo. Imperium orientale sive antiquitates Constantinopolitanae. Bd. I. Paris: Jean Baptiste Coignard, 1711; Herrgott, Marquard. Genealogia diplomatica Augustae gentis Habsburgicae, Bd. I. Wien: Kaliwoda, 1737 oder Leibniz, Gottfried Wilhelm und Christian Ludwig Scheidt. Origines Guelficae, Bd. I. Göttingen: Orphanotropheum Moringense, 1750. 5 Der Sentenz „veritas filia temporis“, die in Aulus Gellius’ Noctes Atticae (12.11.7) belegt ist, liegt die Vorstellung zugrunde, dass es eine Wahrheit gibt, die [ergänzend zu anderen frühneuzeitlichen Auffassungen] verborgen liegt und sich nicht selbst enthüllt, sondern ans Licht gebracht werden muss. 6 Vgl. hierzu Hoberg, die in ihrer Dissertation das in der französischen Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts zutage tretende historische Bewusstsein im Kontext von Kunst­ theorie und -historiographie gewinnbringend analysiert (Hoberg 20-32). 7 Für das Zeitalter Louis’ XIV erzeugt das Bild des Goldenen Zeitalters in der Wiedererweckung der Künste damit einen „spezifischen Epochenbegriff“ (Hoberg 7). 8 Öl auf Leinwand, 141 x 185,5 cm, 1666, Versailles, Musée National du Château. 9 Möglicherweise ist hiermit nicht eine allgemeine genealogische Ableitung vom griechischen Heros gemeint, sondern ein Verweis auf einen Vorfahren des Großen Kurfürsten, Albrecht Achilles (1470-1486). Dieser erhielt seinen Beinamen von Enea Silvio Piccolomini, vgl. Neugebauer, Wolfgang. Die Hohenzollern, Bd. 1: Anfänge, Landesstaat und monarchische Autokratie bis 1740. Stuttgart u. a.: Kohlhammer, 1996: 58. 10 Zur Fruchtbringenden Gesellschaft vgl. neben der kri­ tischen Ausgabe der Briefe, Beilagen und Akademiearbeiten (Reihe I), Dokumente und Darstellungen (Reihe II) im Auftrag der Herzog-August-Bibliothek, Hg. Martin Bircher und Klaus Conermann seit 1991 und dem von Martin Bircher besorgten Ausstellungskatalog Im Garten der Palme: Kleinodien aus dem unbekannten Barock. Die Fruchtbringende Gesellschaft und ihre Zeit. Berlin: Akademie-Verlag, 1992 die Einzel­ untersuchungen von Herz, Andreas. „Aufrichtigkeit, Vertrauen, Frieden: eine historische Spurensuche im Umkreis der ‚Fruchtbringenden Gesellschaft‘“. Euphorion 105 (2011): 317-359; Herz, Andreas und Ball, Gabriele. „Friedenssehnsucht und Spracharbeit. Die Fruchtbringende Gesellschaft 1637-1638.“ Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde 17 (2008): 47-84 sowie Herz, Andreas. „Der edle Palmenbaum und die kritische Mühle. Die Fruchtbringende Gesellschaft als Netzwerk höfisch-adeliger Wissenskultur der frühen Neuzeit.“ Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften 2 (2009). 27. April 2014 . 11 Sigmund von Birken auf Georg Neumark in Der Neu=Sprossende Teutsche Palmbaum […]. Nürnberg: Hoffman, 1668: VIII, b 6[r]; Hille, Karl Gustav von. Der Teutsche

Palmbaum. […]. Nürnberg: Endter, 1647: 14; Zesen, Philipp von. Das Hochdeutsche Helikonische Rosenthal […]. Amsterdam: Konrad, 1669: 47; Gutachten des Ezzenden (= Rudolph von Dietrichstein) 1647, abgedruckt in Krause, Gottlieb. Der Fruchtbringenden Gesellschaft ältester Ertzschrein. Briefe, Devisen und anderweitige Schriftstücke. Urkundlicher Beitrag zur Geschichte der deutschen Sprachgesellschaften im 17. Jahrhundert. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1855. Hildesheim: Olms, 1973: 94-97; Harsdörffer, Georg Philipp. Poetischer Trichter. […]. Durch ein Mitglied der hochlöb­ lichen Fruchtbringenden Gesellschaft. Zum zweiten Mal aufgelegt und an vielen Orten vermehret. Nürnberg: Wolfgang Endter, 1648-1653, Erster Theil, 1650 (Erstausgabe 1647): 123-137ff. [Anhang: Unvergreifliches Bedencken von der Rechtschreibung und Schriftscheidung unserer Teutschen Heldensprache]; vgl. dazu Stoll, Christoph. Sprachgesellschaften im Deutschland des 17. Jahrhunderts. Fruchtbringende Gesellschaft, Aufrichtige Gesellschaft von der Tannen, Deutschgesinnte Genossenschaft, Hirten- und Blumenorden an der Pegnitz, Elbschwanenorden. München: List, 1973 sowie grundlegend Engels, Heinz. Die Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts (= Beiträge zur deutschen Philologie, 54). Gießen: Schmitz, 1983. Zur semantischen Bestimmung des „Kunsthelden“ vgl. auch den Aufsatz: Posselt-Kuhli, Christina. „Der „Kunstheld“: eine semantische Spurensuche in Panegyriken des 17. Jahrhunderts.“ Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen 35.1(2014): 41-67. 12 Dass nicht ausschließlich herrscherliche Sammlungen berücksichtigt wurden, zeigt, dass die Bedeutung der Kunstförderung als heroische Tat ebenfalls in das soziale Selbstverständnis adeliger Gruppen einfließt, die im Ruhmerwerb durch Kunst eine konsensträchtige Herrschaftsstrategie zur Verfügung haben, mithilfe derer man auch die eigene Moral und Tugend hervorheben kann. 13 Vgl. dazu Schreurs, Anna. „Apoll und der Zodiacus: Die Fruchtbringende Gesellschaft zieht auf den Parnass. Anmerkungen zum Frontispiz von Sandrarts Iconologia Deorum.“ Zentren und Wirkungsräume der Antikerezeption. Zur Bedeutung von Raum und Kommunikation für die neuzeitliche Transformation der griechisch-römischen Antike, Akten der Tagung zu Ehren von Henning Wrede an der Humboldt-Universität Berlin, Februar 2005. Hg. Kathrin Schade u. a. Münster: Scriptorium, 2007: 151-158. 14 Vgl. Sandrart 1680, Iconologia Deorum, Eigene Benamung der Mitglieder des Palmenordens [I]. 21. Juni 2014 und Sandrart 1680, Iconologia Deorum, Ehren-Preiß [XI], 21. Juni 2014 . 15 Diese Passage der Teutschen Academie dürfte von Martin Limburger verfasst worden sein. Der unter dem Dichternamen Myrtillus schreibende Lyriker war Nachfolger Sigmund von Birkens im Pegnesischen Blumenorden. Vgl. Laufhütte, Hartmut. „Sigmund von Birken und Joachim von Sandrarts Teutsche Academie.“ Aus aller Herren Länder. Die Künstler der ‚Teutschen Academie‘ von Joachim von Sandrart (Frankfurt am Main, 09.12.-11.12.2010), erscheint 2014, zitiert nach der Manuskriptfassung: 1-30, 18; Stauffer, Hermann. Sigmund von Birken (1626-1681). Morphologie seines Werks. Tübingen: Niemeyer, 2007, Bd. II: 1073-1075. 16 Öl auf Leinwand, 162 x 200 cm, 1682, Schloss Charlottenburg, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. 17 Pinselzeichnung auf schwarzer Kreide, 635 x 689 mm, aus drei Blättern zusammengeklebt, Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum, vgl. Lossow, Hubert. Michael Willmann (1630-1706), Meister der Barockmalerei. Würzburg: Bergstadtverlag, Korn, 1994: B 22. 18 Vgl. Sandrarts panegyrische Charakterisierung des Herrschaftsstils Kurfürst Karls II. von der Pfalz: „Dieses Hoch-Fürstliche Chur-Haus war iederzeit / wie gesagt / aller Studien und Tugenden Nähr-Mutter / und gewohnt / nach

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Hinlegung der schweren Regiments- Verrichtung sich mit dergleichen kunstreichen Ubungen zu ergetzen / und zu einer Zeit den Scepter in der einen / die Feder in der andern Hand zu führen. Und solcher lobreichen Fusstapfen folgen mercklich nach Se. Durchl. der Chur-Prinz CAROLUS, von Dero hoher Tugend und Verstand viel zu sagen wäre“ (Sandrart 1679, II (Skulptur): 76. 21. Juni 2014 ). 19 Vgl. auch Kantorowiscz, Ernst H. „The Sovereignity of the Artist. A Note on Legal Maxims and Renaissance Theories of Art.“ De artibus opuscula XL. Essays in honor of Erwin Panofsky. Hg. Millard Meiss. New York: University Press, 1961, Bd. I: 267-279 und Clements, Robert J. Picta Poesis. Literary and Humanistic Theory in Renaissance Emblem Books (= Temi et testi, 6). Rom: Storia e Letteratura, 1960: 135-149. 20 „L’vno dell’attione di guerra, & l’altro dello studio, & opere delle lettere“. 21 „Così celebri sue fatiche meritò d’esser numerato fra più degni Heroi“. 22 Vergleiche das Titelblatt zu Diego de Saavedra Fajardos Idea de un Príncipe político cristiano representada en cien empresas [München 1640], die beiden Darstellungen Allegorie auf die Geburt Prinz Frederik Hendrik von Oranien [1650] sowie die Erziehung des Prinzen [1649] im Oranjezaal des Huis ten Bosch in Den Haag oder die retrospektive Allegorie auf die Erziehung des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz in einem Gemälde von Giovanni Antonio Pellegrini [1713-15, München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen]; siehe dazu Pfeiff 110-115. Als komplementäre weise Ratgeberin neben Mars tritt Minerva auch in der Verherrlichung des jungen Kurprinzen Josef Ferdinand von Bayern, einem Kupferstich von Melchior Küsel, auf. Mit Kriegsgeräten, Waffen und Karten ‚dienen‘ die beiden Götter dem Prinzen, der in einem mit Lorbeer umrahmten Medaillonporträt unterhalb einer triumphbogenähnlichen Architektur glorifiziert ist; vgl. Österreichische Nationalbibliothek, Inv.-Nr. PORT_00050782_01. 23 „Dimostrano, che per la fama, ò delle scienze, ò dell’armi, la nobiltà si acquista“. 24 „Minervæ mit den Degen in der Faust den Feind auß Seinen Landen jagende / mit der andern aber die schüchternen und Vertriebenen Musen biß in Seinen Hochfürstl. Pallast begleitende / in Marmel gebildet / künstlich geschildert / zu sehen ist“ [Hochverdienter Helden Lorber: Siegsund Ehrenpalmen, welche von der Fama dem Churfürsten Friedrich Wilhelm zu bereitet. Berlin: Rupert Völker, 1685: 24]. Benutzt wurde das digitalisierte Exemplar der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden mit der Signatur Hist. Boruss. 409. 21. Juni 2014 . 25 Die Beschreibung der Kunstsammlungen, die Sandrart nicht selbst besucht hat, entnimmt er wie er selbst angibt den Relations Historiques et curieuses de voyages en Allemagne, Angleterre, Hollande, Bohême, Suisse [...]. Lyon: Claude Muguet, 1676 des Kunst- und Antiquitätenhändlers Charles Patin. 26 Hoberg leitet die Herrscher-Chronos-Ikonographie auch vom kunsttheoretischen Thema der Verleumdung des Apelles ab, das dadurch auch eine politische Dimension annimmt. 27 Sandrart 1680, Iconologia Deorum [II]. 27. April 2014 . 28 Federzeichnung auf blauem Papier, 304 x 370 mm, Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum, vgl. Lossow B 23. 29 Zur Heroisierung unter dem Aspekt der imitatio heroica, d. h. der Angleichung an Helden oder Götter, vgl. auch den Beitrag der Autorin: „Ars et maiestas – Formen der imitatio heroica im barocken Herrscherbildnis“, in dem auch

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Willmanns Gemälde untersucht wird (erscheint im Tagungsband Heinzer, Felix u.a. Hg. Imitatio heroica: Heldenangleichung im Bildnis von der Antike bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Würzburg: Ergon, 2015). 30 Dazu Wiesinger, Lieselotte. Das Berliner Schloss. Von der kurfürstlichen Residenz zum Königsschloß. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1989: 107-111; Kühn, M. Preußische Schlösser in der Zeit vom Großen Kurfürsten bis zu Friedrich Wilhelm IV. Berlin: Verwaltung d. Staatl. Schlösser u. Gärten, 1936. 31 „Gegen Ende seiner langen Regierungszeit wünschte sich der Kurfürst in der Rolle eines siegreichen Fürsten zu sehen, der sich als Mäzen und Wohltäter seiner Territorien hervortat.“ Vgl. Hahn, Peter-Michael. „Dynastische Selbstdarstellung und Militärmacht. Kriegerische Symbolik als höfische Zeichensprache in Brandenburg-Preußen im 17. Jahrhundert.“ Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt. Hg. Ronald G. Asch. München: Fink, 2001: 115-138, hier 126, Anm. 34). 32 Die Editio princeps zudem auf Französisch und Spanisch. Zum Theatrum pictorium vgl. Klinge, Margret. „David Teniers d. J. – Theatrum pictorium.“ Krijg en kunst. Leopold Willem (1614-1662), Habsburger, landvoogd en kunstverzamelaar. Hg. Jozef Mertens u. a. Ausst.-Kat. Landcommanderij Alden Biesen. Bilzen: Alden Biesen Kasteel, 2003: 101-108. Insgesamt sind fünf Editionen bekannt: 1660, 1673, 1684, ca. 1700 und 1755 (Klinge 32). Zum Theatrum pictorium vgl. auch Bähr, Astrid. Repräsentieren, bewahren, belehren: Galeriewerke (1660 - 1800). Von der Darstellung herrschaftlicher Gemäldesammlungen zum populären Bildband (= Studien zur Kunstgeschichte, 178). Hildesheim u. a.: Olms, 2009: 23-42 und David Teniers and the theatre of painting, Ausst.-Kat. Courtauld Institute of Art Gallery, Somerset House, London, 19.10.2006-21.01.2007. Hg. Ernst Vegelin van Claerbergen. London: Courtauld Institute of Art Gallery, 2006. 33 Zum Schwerpunkt der Sammlung und ihrer Repräsentation sowie den Kriterien der Auswahl für die Publikation siehe Thomas 74-75. 34 Ein ähnliches Verfahren ist für Antonis van Dycks Iconographia überliefert, die modelli sind hier jedoch als Grisaillen ausgeführt, vgl. Klinge 26. 35 SERENISS. PRINCIPI / LEOPOLDO GVILLIEL: / Archi­ duci Austr. etc. / Dno. suo clement: / HOC AMPHITHEA­ TRVM / PICTVRARVM / ex suæ Serent: archetypis / delinea­ tum sua manu / dedicauit / Ao. MDXLVIII. 36 Sie galt lange als Geliebte Tizians, als ursprünglicher Besitzer des Bildes ist Alfonso d’Este [vermutlich Alfonso I., 1476-1534] belegt, der sowohl militärischen als auch mäzenatischen Ruhm genoss; vgl. Pokorny-Waitzer, Elisabeth. „Dokumente zu einer Violante von Tizian.“ Jahrbuch des Kunsthistorischen Museums Wien 12 (2010): 125-127. 37 In der Sammlung Hamilton erscheint das Bild im Inventar von 1638 als Gemälde Tizians, in den Inventaren von Leopold Wilhelm 1649 [„Un Brave qui va assasiner un homme“] und 1659 wird dann Giorgione zum Künstler erklärt, vgl. Lauber, Rosella. „‚Il vero oracolo di Vinegia tutta‘: il Bravo di Tiziano e Giovanni Antonio Venier, muovendo l’animo al ‚firmamentum‘.“ Studi tizianeschi 2 (2004): 11-30, 17. Die dargestellten Lusius und Trebonius stehen als ‚exemplum virtutis‘ für Gerechtigkeit, Ehre und Eloquenz. 38 Zwar wurde im 17. Jahrhundert vermehrt auf durch Quellen abgesicherte Genealogien Wert gelegt, aber die alten Abstammungsthesen wurden weiterhin verwendet und behielten zum Teil wohl auch ihre Glaubwürdigkeit in der zeitgenössischen Rezeption, vgl. Rohmer, Ernst. „Die Hirten in der Grotte. Zur Funktion genealogischen Wissens in den Schriften des Sigmund von Birken.“ der Franken Rom.

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Nürnbergs Blütezeit in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Hg. John Roger Paas. Wiesbaden: Harrassowitz, 1995: 276-288, 279. 39 Vgl. etwa das Thesenblatt mit der von Wolfgang Kilian gestochenen Allegorie, die einen österreichischen Fürsten als Apoll auf dem Pegasus vor dem Parnass mit Musen und einer Reihe ganzfiguriger Porträts österreichischer Universitätsgründer zeigt (Michels, Anette. Philosophie und Herrscherlob: Anfänge und Entwicklung des süddeutschen Thesenblattes im Werk des Augsburger Kupferstechers Wolfgang Kilian [1581 - 1663]. 2 Bde. Münster: Lit, 1987: 346-349); die von Johann Ludwig Schönleben verfasste Dissertatio Polemica De Prima Origine Augustissimae Domus Habspurgo-Austriacae […] 1680 zeigt die im Text dargelegte genealogische Ableitung der Habsburger auch bildlich im Kupfertitel mit Statuen der Regenten aus dem Hause Habsburg von Rudolf I. bis Leopold I., dem das Werk gewidmet ist. 40 Pierre LeMoyne verwendet für das Frontispiz seiner Gallerie des femmes fortes [Paris 1647], gestochen von Charles Audran, zwar eine ähnliche Komposition: die Infantin Anna von Österreich steht mit Ruhmespalme und Lorbeerkranz gekrönt auf einem Podest mit der auf den Titel des Werks verweisenden Inschrift, umgeben von herrscherlichen Tugenden wie Abundantia und Magnificentia. Das Postament wird hinterfangen von einer Nischenarchitektur mit allegorischen Statuen. Doch wird Anna, der das Werk gewidmet ist, nicht als Kunstheldin gefeiert, sondern als eine der in LeMoynes Schrift beschriebenen starken Frauen und damit als Tugendheldin. Diese Konstellation macht LeMoyne in seiner panegyrischen Epistel auf die Königin mit der Erklärung des Frontispizes deutlich. Dennoch nutzte auch die französische Regentin nach dem Tod Ludwigs XIII. [1643] Kunstwerke für die Manifestation ihres politischen Anspruchs. Vgl. dazu Baumgärtl, Bettina und Neysters, Silvia Hg. Die Galerie der starken Frauen – La Galerie des Femmes Fortes. Regentinnen, Amazonen, Salondamen. Ausst.-Kat. Kunstmuseum Düsseldorf. München u. a.: Klinkhardt & Biermann, 1995. 41 Bereits für François I lässt sich durch den Erwerb von vielen qualitativ hochwertigen Antiken, Gemälden und Skulpturen in Italien ab 1528 und der Einladung Michelangelos 1529 nach Frankreich von dem Versuch sprechen, „den im Damenfrieden ausgesprochenen Verzicht auf seine territorialen Ansprüche in Italien durch einen gezielten Kunstraub zu kompensieren“ (Tauber, Christine. „Der Künstler als Höfling: Rosso Fiorentinos Bild ‚Moses verteidigt die Töchter des Jethro‘ als Allegorie einer gelungenen Patronagebeziehung.“ Die Kunst der Mächtigen und die Macht der Kunst. Untersuchungen zu Mäzenatentum und Kulturpatronage (= Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel, 20). Hg. Ulrich Oevermann u. a. Berlin: Akademie Verlag, 2007: 127-150, 128). 42 Zu Praxis und Status adeligen Sammelns vgl. auch die ausführliche Studie von Polleroß, Friedrich. Die Kunst der Diplomatie. Auf den Spuren des kaiserlichen Botschafters Leopold Joseph Graf von Lamberg (1653-1703). Petersberg: Imhof, 2010. 43 Zu Arundels Sammlung mit ihren Beständen an Gemälden [1655 Inventar: 248 sakrale Stücke, 185 Porträts, 57 mythologische Bilder, 48 Landschaften, 20 Allegorien, 7 Stillleben, 3 Historienbilder], Graphiken und Zeichnungen siehe Jaffé, David. The Earl and Countess of Arundel. Renaissance Collectors. Ausst.-Kat. J. Paul Getty Museum Malibu. London: Apollo Magazine, 1995; Cesareo, Antonello. „‚His House was resplendent with wonderful paintings and fine ancient statues.‘ Nuova luce sulla collezione Arundel da un inventario inedito.“ Da razionalismo al rinascimento: per i quaranta anni di studi di Silvia Danesi Squarzina. Hg. M. Giulia Aurigemma. Rom: Campisano, 2001: 378-384; Angelicoussis, Elizabeth. „The collection of classical sculptures of the Earl of Arundel, ‚Father of Vertu in England‘.“ Journal of the history of collections 16 (2004): 143-159 sowie die Studien von Howarth, David. Patronage and collecting in

the seven­teenth century. Thomas Howard Earl of Arundel. Oxford: Ashmolean Museum, Univ. of Oxford, 1985; Ders. „The Arundel collection. Collecting and patronage in England in the reigns of Philip III and Philip IV.“ The sale of the century. Artistic relations between Spain and Great Britain, 1604-1655. Ausst.-Kat. Museo Nacional del Prado, 13.03.02.06.2002. Hg. Jonathan Brown und John Elliott. New Haven: Yale Univ. Press u. a., 2002: 69-86; Ders. „A question of attribution. Art agents and the shaping of Arundel collection.“ Your humble servant. Agents in early modern Europe. Hg. Hans Cools u. a. Hilversum: Verloren, 2006: 17-28.  44 „Junius’ Dedication for the First Edition, De Pictura Veterum.“, enthalten in Junius, Franciscus. The Painting of the Ancients / De pictura veterum. According to the English translation [1638] (= California studies in the history of art, 22). Hg. Keith Aldrich. Berkeley u. a.: Univ. of California Press, 1991: 318. 45 Peacham widmete seinen Compleat Gentleman Lord Arundels Sohn und bezeichnet William Howard selbst in seinem Tagebuch 1622 als großen ‚virtuoso‘; vgl. The Diary of John Evelyn, Bd. 3: Kalendarium, 1650-1672. Hg. E. S. de Beer. Oxford: Clarendon Press, 1955: 326 [19. Juni 1662]. 46 Zu diesem Bild existiert noch ein Pendant, dass seine Frau Alatheia Talbot vor der Flucht einer Bildergalerie zeigt [Öl auf Leinwand, 1616, Arundel Castle]. 47 Vgl. Gilman, Ernest B. Recollecting the Arundel Circle. Discovering the Past, Recovering the Future (= Literature and the Visual Arts. New Foundation 16). Bern u. a.: Lang, 2002: 36; zur Sammlung siehe auch Jaffé, David. „The Earl and Countess of Arundel: Renaissance Collectors.“ Apollo 1996: 1-37.

Literatur Börsch-Supan, Helmut. Die Kunst in Brandenburg-Preußen: Ihre Geschichte von der Renaissance bis zum Biedermeier, dargestellt am Kunstbesitz der Berliner Schlösser. Berlin: Mann, 1980. Buck, August. „‚Arma et litterae‘ – ‚Waffen und Bildung‘. Zur Geschichte eines Topos.“ (= Sitzungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann-Wolfgang-GoetheUniversität Frankfurt am Main, Bd. 28, Nr. 3). Stuttgart: Steiner, 1992. Galland, Georg. Der Große Kurfürst und Johann Moritz von Nassau. Studien zur Brandenburgischen und Hollän­ dischen Kunstgeschichte. Frankfurt am Main: Keller, 1893. Hille, Karl Gustav von. Der Teutsche Palmbaum. Nürnberg, 1647 (= Die Fruchtbringende Gesellschaft. Quellen und Dokumente in vier Bänden, Bd. II. Hg. Martin Bircher). Reprographischer Nachdruck. München: A. Francke, 1970. Hoberg, Annegret. Zeit, Kunst und Geschichtsbewusstsein. Studien zur Ikonographie des Chronos in der französischen Kunst des 17. Jahrhunderts. Diss. Phil. Universität Tübingen 2007, Online-Ressource. Klessmann, Rüdiger. „Anton Ulrich als Kunstsammler.“ Herzog Anton Ulrich von Braunschweig. Leben und Regieren mit der Kunst, Ausst.-Kat. Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig. Hg. Rüdiger Klessmann. Braunschweig: Herzog Anton Ulrich-Museum, 1983: 147-152. Lossow, Hubert. Michael Willmann (1630 - 1706), Meister der Barockmalerei. Würzburg: Bergstadtverlag, Korn, 1994. Mai, Ekkehard u. a., Hg. Triumph und Tod des Helden. Euro­ päische Historienmalerei von Rubens bis Manet, Ausst.Kat. Wallraf-Richartz-Museum Köln u. a., Mailand u. a.: Electa, 1988.

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Pfeiff, Ruprecht. Minerva in der Sphäre des Herrscherbildes von der Antike bis zur Französischen Revolution (= Bonner Studien zur Kunstgeschichte, 1). Münster: Lit, 1990 (zugl. Diss. Phil. Univ. Bonn 1989). Ripa, Cesare. Iconologia overo descrittione di diverse imagini cavate dall’ antichità, e di propria inventione. Rom: Lepido Feay, 1603. Rollenhagen, Gabriel. Nucleus emblematum selectissimorum […]. Köln: Crispin de Passe, 1611. Sandrart, Joachim von. Teutsche Academie der Bau-, Bildund Mahlerey-Künste, 3 Bde. Nürnberg 1675-1680, zit. nach der wissenschaftlich kommentierten Online-Edition. Hg. Thomas Kirchner u. a., 2008-2012. 21. Juni 2014 . Thomas, Petra. „Der Katalog im Bild – das Bild im Katalog. Anmerkungen zur Präsentation einer Gemäldesammlung in Bildern von David Teniers d. J.“ Forschung 107 (2004): 57-84.

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Abbildungen

Abb. 1: Joachim von Sandrart, Teutsche Academie, 2. Titelkupfer Iconologia deorum

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Abb. 2: Michael Willmann, Allegorie auf den Großen Kurfürsten als Beschützer der Künste, Öl auf Leinwand, 162 x 200 cm, 1682, Schloss Charlottenburg, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten

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Abb. 3: Cesare Ripa, Iconologia deorum, 1603: Auttorità o Potesta

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Abb. 4: Cesare Ripa, Iconologia deorum, 1603: Merito

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Abb. 5: Michael Willmann, 2. Entwurf zur Allegorie auf den Großen Kurfürsten, Federzeichnung auf blauem Papier, 304 x 377 mm, Braunschweig, HAUM

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Abb. 6: David Teniers, Theatrum pictorium, Frontispiz, Kupferstich, 1658

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Abb. 7: Karl Gustav von Hille, Der Teutsche Palmbaum, 1647

Abb. 8: Daniel Mytens, Thomas Howard, Second Earl of Arundel and Surrey, Öl auf Leinwand, 207 x 127 cm, 1618, London, National Portrait Gallery

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Der ‚Kunstheld‘ im Spannungsfeld zwischen Krieg und Frieden

Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Joachim von Sandrart, Teutsche Academie, 2. Titelkupfer Iconologia deorum, Nachweis: Universitätsbibliothek Heidelberg, CC BY-SA 3.0 DE. Abb. 2: Michael Willmann, Allegorie auf den Großen Kurfürsten als Beschützer der Künste, Öl auf Leinwand, 162 x 200 cm, 1682, Schloss Charlottenburg, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Nachweis: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Fotograf: Jörg P. Anders. Abb. 3: Cesare Ripa, Iconologia deorum, 1603: Auttorità o Potesta, Nachweis: Universitätsbibliothek Heidelberg, CC BY-SA 3.0 DE. Abb. 4: Cesare Ripa, Iconologia deorum, 1603: Merito, Nachweis: Universitätsbibliothek Heidelberg, CC BY-SA 3.0 DE. Abb. 5: Michael Willmann, 2. Entwurf zur Allegorie auf den Großen Kurfürsten, Federzeichnung auf blauem Papier, 304 x 377 mm, 1682, Braunschweig, HAUM, Nachweis: Wagner, Franz, Hg. Michael Willmann: Studien zu seinem Werk. Salzburg: Verlag des Salzburger Barockmuseums, 1994, S. 12, Abb. 4. Abb. 6: David Teniers, Theatrum pictorium, Frontispiz, Kupferstich, 1658, Nachweis: van Claerbergen, Ernst Vegelin, Hg. David Teniers and the Theatre of Painting, London, 2006, Fig. 24. Abb. 7: Karl Gustav von Hille, Der Teutsche Palmbaum, 1647, Nachweis: © Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Signatur: 166.13 Eth [http://diglib.hab.de/drucke/16613-eth/start.htm?image=00009]; CC BY-SA 3.0 DE (Abruf: 16.12.2014). Abb. 8: Daniel Mytens, Thomas Howard, Second Earl of Arundel and Surrey, Öl auf Leinwand, 207 x 127 cm, 1618, London, National Portrait Gallery, Nachweis: © National Portrait Gallery, London.

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DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2014/02/04

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Transfigurations du héros dans la culture mondaine du siècle classique : Madeleine de Scudéry, La Rochefoucauld, le chevalier de Méré

Introduction N’est-ce pas une tentative paradoxale de chercher des traces d’héroïsme dans la culture mondaine puisqu’au XVIIe siècle le héros est avant tout associé à une éthique de la gloire construite sur sa mise en scène brillante ? Celle-ci s’oppose à l’ethos d’humilité recherché par la culture mondaine qui s’appuie sur le naturel de l’honnête homme et sur le refus même de mettre en évidence le moi.1 D’une part, le théâtre cornélien chante le héros assumant, dans sa générosité, les impulsions de l’âme et sacrifiant, dans son élan vers la gloire, affectivité et sensibilité.2 D’autre part, dans la culture mondaine, l’honnête homme refuse l’extraordinaire, s’adonne à un travail subtil pour parfaire son apparence et recherche une symbiose avec son entourage. Ce modèle atteint la perfection par un art de vivre : il maîtrise les codes subtils de la civilité, en particulier la conversation comme expression d’une sensibilité envers l’autre dans l’espace social.3 La réalité sociohistorique du XVIIe siècle dés­ amorce néanmoins ce paradoxe, car les grands salons – berceaux de la sociabilité – accueillent leurs invités, issus de l’ancienne noblesse attachée à un modèle de civilité construit sur les valeurs héroïques comme l’honneur, la gloire, le mérite et le courage. Pensons au Grand Condé, à La Rochefoucauld ou à la Grande Demoiselle et à Mme de Longueville qui, en participant tous activement aux combats de la Fronde, incarnent d’une certaine façon l’adhésion à l’idéal héro­ïque. Cependant, ils cultivent aussi assidument la sociabilité dans les salons. L’ancienne nob­lesse adhère au nouveau modèle de civilité fondé sur l’urbanité, développée par Guez de Balzac, et sur l’honnêteté, considérée comme la continuation des modèles étrangers, à l’instar de celui de la cour de Ferrare, du Courtisan de Baldassare Castiglione ou de L’oráculo manual de Baldasar Gracián.4 Le héros guerrier se civilise en honnête homme lorsqu’il paraît dans les espaces mondains. Mais en raison à la fois

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de la défaite de la Fronde et de l’établissement progressif d’une politique absolutiste qui soumet l’ancienne aristocratie au nouveau pouvoir royal centraliste, le modèle héroïque ne peut être perpétué que s’il est délogé de sa réalité historique et transposé à la sphère littéraire. Une fois que le glas a sonné pour la conception sociopolitique du héros, un véritable engouement littéraire pour les mises en scène de personnages héroïques se manifeste dans les milieux mondains. Dans ces lieux de première réception littéraire, Cor­ neille lit ses pièces avant de les représenter.5 Le cercle de Mme de Rambouillet est une scène importante pour la querelle du Cid.6 Les romans scudériens qui chantent aussi bien l’héroïsme que la sociabilité sont très en vogue parmi les mondains,7 qui aiment à se reconnaître dans les rôles extraordinaires que retracent d’eux les portraits à clé. Dans sa correspondance avec Mme de Sévigné, Bussy-Rabutin appelle sa maî­tresse « Chimène » [il s’agit de Mme de Montglas] et l’associe ainsi à l’héroïne du Cid tout en s’attribuant indirectement le rôle de Rodrigue (Sévigné I, 24, 29, 211). Cette correspondance foisonne par ailleurs de citations, tirées des tragédies de Corneille, qui apportent un commentaire sur telle ou telle situation, souvent sans aucune relation avec le fait divers rapporté (p. ex. Sévigné I, 142, 165). L’identification à des personnages courageux et hors-norme dans les romans ainsi que l’imbrication de vers tirés de tragédies dans les discours mondains retracent le portrait d’une noblesse qui se projette dans un univers romanesque peuplé de héros, de chevaliers ou de nymphes (Génétiot, Vincent Voiture 257). Le côtoiement de l’héroïsme et de la mondanité, deux modèles de civilité apparemment si opposés dans leurs valeurs et dans leur rhétorique, appelle ainsi à s’interroger sur les liens entre le héros traditionnel et la culture mondaine. Les valeurs héroïques usuelles entretiennent-elles avec les valeurs civiles des rapports de présence, de rupture ou de continuation ? L’idéal héroïque laisse-t-il des traces dans l’idéal mon-

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dain  ? Le héros sera-t-il sacrifié en faveur de l’honnête homme ? Par le biais de trois textes, Clélie de Madeleine de Scudéry, les Maximes de La Rochefoucauld et Des Agréments du chevalier de Méré, il sera possible d’interroger les enjeux des valeurs héroïques dans la fabrication d’un idéal mondain.

Héroïsme et sociabilité : deux modèles de civilité incompatibles ? L’idéal héroïque de la première moitié du XVIIe siècle est construit sur une longue tradition dont les étapes les plus significatives sont constituées par le modèle aristotélicien du Magnanime, élaboré dans l’Éthique à Nicomaque,8 ensuite par la définition de la ‘grandeur’ développée par les moralistes romains et enfin par le modèle chrétien médiéval du chevalier. Sous Louis XIII, et particulièrement dans le théâtre de Corneille, l’idéal héroïque s’exprime par l’éthique de la gloire, qui s’oppose à la sévérité néostoïcienne.9 Le héros manifeste une énergie individuelle qui exalte le moi. La confiance dans les forces et dans les passions humaines le conduit à se battre pour servir l’honneur et la gloire jusqu’au sacrifice de soi en faveur de la collectivité. Par ailleurs, le héros se réclame des moyens rhétoriques de l’orateur, de sa mise en scène par la parole et de la déclamation. Cette rhétorique s’inscrit dans la tradition jésuite de la chaire ainsi que dans celle de l’éloquence du barreau. Dans cette même première moitié du XVIIe siècle, qui chante l’héroïsme et les valeurs qui l’accompagnent d’honneur, de gloire et de grandeur, s’instaure en France un nouveau modèle de civilité. Celui-ci prend naissance et se déploie dans les salons, appelés à l’époque « ruelles » et organisés autour de dames, dont nous sont restés en particulier les noms de Mme de Rambouillet, de Mlle de Montpensier, de Mme de La Sablière, de Mme de Sablé ou de Mme de Lafayette. En accueillant les Grands de l’époque, le premier salon, celui de la marquise de Rambouillet et de sa fille, absorbe le modèle de civilisation héroïque, mais le civilise grâce au contact avec une nouvelle esthétique élaborée par les gens de lettres, tels Guez de Balzac, Vincent Voiture, Gilles Ménage, Georges et Madeleine de Scudéry ou Mme de Sévigné, qui participent tous au développement de l’esthétique classique.10 Le nouveau canon à la mode est désormais imprégné d’un art de vivre marqué de réciprocité, d’égalité, de respect, mais aussi de naturel, de sensibilité, de douceur, de gaieté et d’enjouement. Ces cercles privés cherchent à créer un bonheur social reposant sur la conversation

capable de véhiculer toutes les valeurs cultivées dans les salons. Marquée par la présence civilisatrice des femmes,11 la rhétorique mondaine refuse le pathos du héros traditionnel et tend au but unique et suprême – celui d’être agréable. Il faut savoir plaire, bien sûr à la dame qui reçoit, mais aussi à tout le cercle. L’art de la conversation s’inscrit alors dans la tradition rhétorique de l’aptum et du decorum, notions cicéroniennes déjà retravaillées dans les traités de civilité italiens et espagnols et qui s’ancrent par la suite dans la conception de l’honnête homme en France. A partir de cet aperçu, on serait enclin à déduire que ces deux modèles de civilité s’excluent sur tous les plans. L’héroïsme place au centre de son éthique de la gloire des valeurs « mâles »,12 inscrites dans la tradition chevaleresque, féo­ dale et guerrière, tandis que la culture mondaine se fonde sur la sociabilité, traditionnellement liée au « féminin ». L’éclat du héros se heurte à l’idée de l’harmonie sociale recherchée par l’honnête homme « qui ne se pique de rien » (La Rochefoucauld max. 203). Les moyens rhétoriques opposent la déclamation héroïque à la finesse mondaine. Le héros et l’honnête homme semblent donc profondément incompatibles de par leur nature, leur mise en scène du moi et leur rhétorique. Or, de la même façon que ces deux conceptions de l’être humain coexistent dans la réalité sociohistorique, qu’elles se côtoient, se fréquentent et sont incarnées dans certains personnages historiques, elles sont travaillées, repensées et interrogées par la littérature de la seconde moitié du XVIIe siècle.

Les romans de Madeleine de Scudéry : alliance de l’héroïsme et de la sociabilité Les romans scudériens [Madeleine de Scudéry 1607-1701] forment une étape déterminante expliquant les imbrications de la culture héro­ ïque et mondaine. Si les plus longs romans de la littérature française Artamène ou Le Grand Cyrus et Clélie13 chantent des personnages dont les prouesses prouvent le courage illimité et inimitable dans des combats extraordinaires admirés par tous, ces textes absorbent aussi le modèle de civilité des salons, ce qui se reflète dans les longs passages de conversations proposant des analyses subtiles des passions et des actions humaines. Ils composent donc une symbiose parfaite des deux modèles – héroïque et mondain. D’une part, ils traduisent de façon idéalisée la réalité sociopolitique de l’époque, des années 1640-1660 environ, marquée par

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l’élan de l’ancienne noblesse encore attachée aux valeurs de l’honneur, de la gloire et de la générosité et qu’elle défend une dernière fois lors de la Fronde. D’autre part, ces romans annoncent la nouvelle réalité socioculturelle des salons fondée sur le raffinement et la subtilité. Cependant, dans ces romans, ces deux univers ne font pas que se juxtaposer, car les héros en incarnent une réelle symbiose, en entrelaçant la grandeur héroïque aux valeurs sensibles. Alors que le héros cornélien doit sacrifier sensibilité et affectivité à la gloire, le héros scudérien touche à son accomplissement à condition qu’il les assimile ; l’héroïsme mâle est conjugué à la douceur féminine. Ceci est valable pour les personnages et masculins et féminins qui témoignent de leur nature extraordinaire à la fois par leurs actions héroïques et par leur maîtrise de la conversation. Le portrait d’Aronce, brossé dans Clélie, propose la définition d’un « homme accompli  » (Scudéry vol. 1, 71) : [...] Premièrement Aronce a infiniment de l’esprit ; il l’a grand, ferme, agréable, et naturel tout ensemble [...]. Pour du cœur, Aronce en a autant qu’on peut en avoir […] celui qui pardonne aux faibles et qui tient autant de la générosité que de ce qu’on appelle précisément courage et valeur. De plus, Aronce a l’âme tendre, et le cœur sensible ; il aime ses amis comme lui-même ; il les sert avec ardeur [...]. Il a de la douceur, de la bonté, et un charme inexplicable dans sa conversa­tion, qui le rend maître du coeur de tous ceux qui l’approchent ; et pour le définir en peu de mots, Aronce pourrait être admirablement honnête homme, de quelque condition qu’il fût né, car il a toutes les vertus qu’on pourrait désirer en tous les hommes. (Scudéry vol. 1, 71-72) La perfection du protagoniste de Clélie provient précisément du rapprochement des valeurs héroïques et sensibles et ceci dans toutes les dimensions de l’être humain. Son esprit évoque d’une part les qualités héroïques [« grand, ferme »], d’autre part, il rappelle les valeurs clés de l’espace mondain [« agréable et naturel »]. Son cœur est habité par le courage,14 mais il est aussi sensible et enclin à l’amour, à la compassion et à l’amitié. Enfin, le héros scudérien maîtrise parfaitement l’art de la conversation qui le porte à la perfection et à un statut d’« homme accompli ». Pour assurer un effet de miroir, Madeleine de Scudéry ne manque pas de retracer aussi le portait de Clélie comme femme accomplie, en travaillant néanmoins par un biais différent l’alliance des valeurs héroïques et sensibles :

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Mais Madame, je suis contraint d’avouer que je n’ai jamais rien vu de plus beau que Clélie ; car imaginez-vous qu’elle n’a pas seulement tout ce qui fait la grande beauté, c’est-à-dire les cheveux blonds, les yeux brillants, le tour du visage agréable, la bouche bien faite, les dents belles, le teint admirable, les mains merveilleuses, et la physionomie spirituelle, mais qu’elle a encore tous les charmes de la beauté. Car elle a l’air galant et modeste ; elle a la mine haute et douce ; et il ne lui manque rien de tout ce qui peut imprimer du respect et donner de l’amour à tous ceux qui la voient. Mais ce qui la rend encore plus aimable, c’est qu’elle a autant d’esprit que de beauté. Sa vertu, quoiqu’extrême, n’a pourtant rien d’altier ni de rude ; au contraire il y a quelque chose de si aisé, et de si galant dans sa conversation, qu’on est charmé d’être auprès d’elle ; car encore que Clélie ait l’âme ferme, et hardie, et qu’elle l’ait beaucoup au-dessus de son sexe, elle a pourtant une douceur si engageante, qu’on ne peut lui résister ; et cette grandeur d’âme qui lui fait mépriser les plus grands périls, quand elle s’en voit menacée, n’empêche pas qu’elle n’ait même une certaine modestie craintive sur le visage, qui sert encore à la rendre plus aimable. Cependant quoiqu’elle n’ait rien de fier ni de superbe dans la mine, elle a pourtant l’air noble, la grâce assurée, et l’action fort belle et fort libre. (Scudéry, Clélie I, 107-108) Comme c’était le cas pour Aronce, le but du portrait de Clélie est de souligner sa perfection. Conforme au code traditionnel, celle-ci se désign­e par la beauté qui s’adapte cependant aux normes précieuses ; en d’autres termes, Madeleine de Scudéry brosse un portrait qui n’en est pas un, puisque tous les adjectifs r­ es­tent imprécis projetant une image de la beauté féminine, qui reste insaisissable mais idéale. Ensuite, l’auteure procède à une définition de l’excellence de Clélie dans les dimensions de l’esprit, du cœur et de l’âme tout en associant systématiquement les valeurs héroïques aux valeurs mondaines. Attardons-nous un moment sur les adjectifs caractérisant la protagoniste. « Elle a l’air galant et modeste » ; « la mine haute et douce » ; « [elle imprime] du respect et [donne] de l’amour » ; elle a « l’âme ferme et hardie » tout en ayant « une douceur si engageante, qu’on ne peut lui résister ». Sa « grandeur d’âme » lui permet d’affronter les plus grands périls tout en ayant « une certaine modestie craintive sur le visage ». Madeleine de Scudéry associe ici les opposés pour assurer la perfection de Clélie. Alors que dans le portrait d’Aronce, les valeurs des deux univers – héroïque et sensible – se

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complètent par juxtaposition, l’association des deux systèmes de valeurs, dans l’exemple féminin, permet de définir le juste milieu et d’écarter toute éventuelle connotation négative. L’héroïne scudérienne est galante et modeste, car si elle n’était que galante, elle pourrait être coquette, alors que l’association à la modestie garantit à la galanterie sa pureté. Si elle était uniquement modeste, on pourrait la considérer comme une personne retirée, timide et faible, tandis que le rapprochement à la galanterie, donc à son antipode, la rend parfaite. Les autres couples d’épithètes opposés fonctionnent tous de la même manière : être à la fois haute et douce, inspirer du respect et de l’amour, avoir de la grandeur d’âme et de la modestie craintive. Cet assemblage de qualités opposées excluant toute déviation définit la perfection de Clélie. Madeleine de Scudéry recourt aussi aux conceptions traditionnellement mâles et féminines, puisque le courage est associé d’abord aux hommes, comme l’indique « l’âme ferme est hardie [qui] est [...] beaucoup au-dessus de son sexe ». L’auteur adopte ainsi deux types de procédés différents pour exposer l’achèvement de ses personnages masculins ou féminins. Si, dans l’univers scudérien, le héros réunit en lui les qualités à la fois héroïques et sensibles pour en démontrer leur complémentarité, l’héroïne fait preuve d’une symbiose des opposés annonçant sa perfection qui repose sur la pureté des valeurs dont tout excès corrosif est écarté. Au lieu d’opposer l’héroïque au mondain, Madeleine de Scudéry les conjugue. Les valeurs attribuées traditionnellement à l’univers mâle et féminin se complètent désormais de sorte à conférer aux personnages une dimension parfaite (Chariatte 132-140). Le roman scudérien joue ainsi un rôle capital dans le rapprochement de la culture héroïque et mondaine, puisque, grâce à sa dimension fictive, il n’en montre pas une image paradoxale, mais idéale, projetant un nouveau modèle de civilité : héroïsme et sensibilité ne sont plus des forces antagonistes, mais se complètent pour représenter des exem­ples d’êtres humains parfaits et accomplis qui, toujours dans la tradition du héros, gagnent l’admiration de tous. Madeleine de Scudéry tente ainsi de faire une synthèse entre un ancien modèle de civilité fondé sur les valeurs féodales et un nouveau construit sur les valeurs mondaines, tels le naturel, la bienséance, la sensibilité, la conversation, l’honnêteté. Dans la période de transition avant l’affirmation du règne absolutiste de Louis XIV, ce modèle romanesque connaît beaucoup de succès. Avec la mise en place du règne du roi Soleil qui asservit de plus en plus l’ancienne noblesse et instaure une véritable culture de

courtisans, le projet de civilité lancé par le biais des romans de Madeleine de Scudéry passe cependant rapidement de mode.

Les Maximes de La Rochefoucauld : critique de l’héroïsme dans l’espace mondain Malgré l’appartenance de La Rochefoucauld à l’ancienne noblesse [il est duc et pair de France] et son passé de frondeur, représenté dans ses Mémoires par une mise en scène excessive de l’héroïsme, les Maximes s’inscrivent dans une entreprise moraliste. L’auteur ne chante ni l’héroïsme ni la sociabilité, mais pose un regard désabusé sur la société contemporaine qu’il considère mue par l’amour-propre, la fortune et les humeurs. Dans ses 504 maximes, publiées entre 1665 et 1678, La Rochefoucauld se montre très critique à propos de tout système de valeurs, et particulièrement à propos de celui lié à l’ancien idéal héroïque.15 C’est pourquoi Bénichou associe de façon très judicieuse la morale des Maximes de La Rochefoucauld à la « démolition du héros », démolition qu’il explique principalement par la progression de l’augustinisme dans la seconde moitié du XVIIe siècle. Effectivement, dans les Maximes, bien souvent, la gloire est réduite à une expression de l’amour-propre qui abaisse autrui pour mieux enfler le moi. Le courage n’est en réalité que vanité, honte ou désir de rendre la vie commode et agréable.16 La générosité comme principe même du héros a perdu sa signification et est réduite à une ambition déguisée. « Ce qui paraît générosité n’est souvent qu’une ambition déguisée qui méprise de petits intérêts, pour aller à de plus grands. » (La Rochefoucauld max. 246) Alors que certaines maximes confirment effectivement une vision dépréciative de l’idéal héroïque, d’autres en reconnaissent la validité. L’intrépidité est une force extraordinaire de l’âme qui l’élève au-dessus des troubles, des désordres et des émotions que la vue des grands périls pourraient exciter en elle ; et c’est par cette force que les héros se maintiennent en un état paisible, et conservent l’usage libre de leur raison dans les accidents les plus surprenants et les plus terribles. (La Rochefoucauld max. 217) Il serait donc erroné de conclure que La Rochefoucauld réduit tout principe héroïque à l’amourpropre. L’œuvre discontinue des Maximes ré­clame une lecture nuancée qui exclut la démolition radicale du héros. D’ailleurs, parmi toutes

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les maximes consacrées aux valeurs héroïques, La Rochefoucauld oscille souvent entr­e une définition positive et négative. L’ambition peut être dégradée à un « effet[s] de l’humeur et des passions, et de jalousie » (La Rochefoucauld max. 7) ou valorisée en tant qu’« activité et ardeur de l’âme » (La Rochefoucauld max. 293). La peinture dialectique des valeurs héroïques permet au moraliste d’en faire un déplacement passionnant, qu’il est possible d’illustrer à l’exemple de la gloire. Profondément dépréciée dans les Maximes, la gloire semble n’exprimer plus qu’un besoin égoïste. Le plus souvent, elle est dénoncée comme finalité intéressée d’une action, surtout dans le milieu social : Rien n’est moins sincère que la manière de demander et de donner des conseils. Celui qui en demande paraît avoir une déférence respectueuse pour les sentiments de son ami, bien qu’il ne pense qu’à lui faire approuver les siens, et à le rendre garant de sa conduite. Et celui qui conseille paie la confiance qu’on lui témoigne d’un zèle ardent et désintéressé, quoiqu’il ne cherche le plus souvent dans les conseils qu’il donne que son propre intérêt ou sa gloire. (La Rochefoucauld max.116) La gloire, comme toute autre expression héro­ ïque, est contraire à la sociabilité qui recherche l’échange réciproque de la parole et une harmonie sociale construite sur un pied égalitaire. Incompatible avec la sociabilité, la gloire ainsi que toutes les valeurs héroïques sont dénoncées dans l’espace de l’échange civil. Toutefois, le moraliste procède à une réorientation extraordinaire : « Il est aussi honnête d’être glorieux avec soi-même qu’il est ridicule de l’être avec les autres. » (La Rochefoucauld max. 307) Pour La Rochefoucauld, les valeurs héro­ ïques ne peuvent subsister dans l’espace social que si elles sont intériorisées. Seulement sous cette forme-là, la gloire ne se confond pas à l’élan individuel cherchant à éblouir les autres et réclamant l’admiration de tous. Elle se transforme alors en un sentiment de grandeur intérieure qui confère une valeur morale à l’honnête homme. Dans ce sens, le processus d’intériorisation correspond aussi à une « purification » des pas­sions. Alors que les romans scudériens chantent des protagonistes à la fois héroïques et sensibles admirés par tous, l’honnête homme de La Rochefoucauld intériorise les valeurs héroïques17 – tout comme d’ailleurs les valeurs sensibles (Chariatte 152-166). La perfection de l’être humain semble encore être construite sur la coprésence de ces valeurs antinomiques qui, comme déjà pour le roman scudérien, ne s’excluent pas, mais qui, dans la perspective de La

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Rochefoucauld, sont absorbées par l’intériorité et donc transfigurées afin de conférer une grandeur morale et une connaissance subtile de la sociabilité. L’homme accompli n’est pas décoré du « masque » de l’honnêteté, comme le suggère Starobinski, mais il intègre et transcende les qualités liées au courage pour se parfaire et devenir tout à la fois acteur et spectateur de ses qualités sur la scène mondaine. Le combat héroïque s’est entièrement déplacé du champ de bataille vers l’intériorité où il est glorieux d’éradiquer les obstacles empêchant l’honnêteté de s’exprimer pleinement. L’absorption des valeurs héroïques dans l’intériorité procède à une époque qui se détache du modèle héroïque. Ces années correspondent à la fin de la morale néostoïcienne et de l’idéal aristotélicien du Magnanime, à l’échec de la Fronde – à laquelle La Rochefoucauld a participé, à la progression de l’augustinisme dans le monde et surtout à l’affirmation de l’absolutisme sous le règne de Louis XIV. Si tous ces facteurs socioculturels récusent l’héroïsme comme modèle de civilité, celui-ci se déplace entièrement vers l’intériorité où il est redéfini afin de perpétuer une grandeur morale à l’être humain – précisément dans la configuration de l’honnête homme.

Des Agréments du chevalier de Méré : refus ou transfiguration du modèle héroïque ? Le chevalier de Méré construit son modèle de civilité sur l’honnêteté à partir de l’espace de sociabilité marqué par la présence des dames. En ouverture Des Agréments [1676], Méré dédie son texte à Madame de ***18, chante sa beauté et l’associe aux muses qui inspirent les poètes et qui savent parfaire les deux dimensions essentielles de l’être humain – le cœur et l’esprit. (Méré, Des Agréments 9) Cette entrée dans le texte le place d’emblée sous l’empire féminin, d’une part en récupérant la tradition courtoise de la dame qui inspire le chevalier ou le troubadour, d’autre part, en évoquant la conception mythologique des grâces qui donnent le souffle créateur aux poètes. Le théoricien Des Agréments place ainsi son propos sous l’égide de l’esthétique, de l’inspiration et de la dame, donc de l’univers féminin – trois dimensions qui toutes sont fondamentales pour la formation de l’honnête homme. Dans Des Agréments, Méré érige en maxime capitale du savoir-vivre mondain la qualité de plaire dans le monde, d’inspiration néoplatoni­ cienne et déjà travaillée dans L’Astrée.19 Les agréments sont l’expression d’une quête d’un idéal dans l’espace social et civil – aussi bien

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pour l’homme que pour la femme. Pour Méré, l’être humain touche à son accomplissement et atteint sa perfection en société grâce à un travail sur lui-même qui consiste à polir, entre autres, les qualités du cœur et de l’esprit pour se rendre agré­able aux autres. Les agréments s’apprennent en fréquentant le monde, mais leurs moyens d’expression sont si subtils que seul le discernement, appelé « bon goût », permet de les percevoir et d’en être touché. Quelles sont alors les aménités qui décorent l’honnête homme ? Les façons de faire pour plaire ne suive­nt pas de règ­les fixes, mais sont l’expression d’un discernement subtil suggérant comment se comporter dans quelle situation. On plaît lorsque le corps et l’esprit agissent de concert et expriment le naturel, la joie et la confiance. Cette conception des agréments rappelle le decorum de Cicéron (De Officiis I, 35). L’honnête homme refuse tout ce qui est artificiel, superficiel ou hypocrite et agit conformément à sa nature, soumise à un travail imperceptible. Il en résulte le naturel, le bon air et l’humeur enjouée qui ne font qu’insinuer la perfection de l’honnête homme. La quête du juste milieu réclame une certaine modération, mais n’exclut pas la surprise ni l’excellence. Au contraire, les talents accompagnés d’une adroit­e connaissance rendent l’honnête homme plaisant. Son mérite, sa grandeur et son excellence ne le décorent pas de façon éclatante, car ce qui éblouit est considéré comme superficiel et faux : « Ce qui plaît consiste en des choses presque imperceptibles. » (Méré, Des Agréments 14) Et ce n’est qu’« à la seconde vue » que la qualité de l’honnête homme transparaît et peut être pleinement appréciée. Quelle place peut alors encore prendre le héros qui construit son rayonnement sur la gloire, la grandeur et la générosité du moi ? Le modèle héroïque peut-il coexister à celui de l’honnête homme, doit-il être intériorisé ou transfiguré  ? Doit-il être sacrifié au profit de l’harmonie sociale ? A première vue, Méré semble récuser très nettement la conception traditionnelle du héros : Le caractère héroïque n’est pas fait pour plaire, au moins comme on le représente ordinairement. ‹ Ma vertu pour le moin­s ne m’abandonne [trahira] pas. › [Cinna, I, 4]. Il faut bien que cela se devine, et que le procédé le donne à connaître. Mais ce n’est pas le moyen de faire aimer sa vertu, ni même de persuader qu’on a du mérite, que d’en parler si ouvertement. (Méré, Des Agréments 15) Méré rejette la démarche cornélienne qui fait déclamer au héros, par le biais de la grande rhétorique, sa nature glorieuse ; ceci va entièrement à l’encontre de l’honnête homme. La mise en va-

leur du moi est fortement honnie dans l’espace civil où il faut, à partir de l’aptum, s’effacer, ne se piquer de rien ni affirmer sa grandeur. La grande éloquence fait place au style de la mediocritas, propre à l’espace de politesse. Alors que, sur la scène cornélienne, le héros chante sa gloire et en fait preuve par ses actions brillantes, sur la scène mondaine, l’honnête homme exprime sa perfection par le biais de la gentillesse, de la délicatesse et de la création d’un espace libre de réciprocité dans lequel l’excellence n’est jamais éclatante. Elle peut au contraire être perçue à l’aide du bon goût qui donne le discernement pour les qualités élevées, mais discrètes de l’honnête homme – « un brillant sans éclat » d’après Vanhouck. Tout ce qui éblouit et réclame de l’admiration est considéré par Méré comme faux et illusoire. C’est uniquement l’expression discrète de son excellence qui rend l’honnête homme plus aimable et qui lui confère du mérite. Celui-ci n’est plus construit sur les codes militaires des actions valeureuses et honorables, mais transposé à la sociabilité. La notion de grandeur – telle qu’affichée par le héros cornélien – est, elle aussi, entièrement civilisée, c’est-à-dire qu’elle définit celui qui maîtrise parfaitement les codes de politesse et qui sait plaire. C’est ainsi que Méré récupère les notions de grandeur, de mérite et de perfection qui qualifient traditionnellement le héros et qu’il les transpose à l’univers de la sociabilité. Toutefois, l’attitude critique de Méré face au héros se limite à sa mise en scène et à sa rhétorique. Dans la Conversation 6, le théoricien de l’honnêteté souligne l’importance de la gloire dans la construction des héros et des rois. « La gloire est le plus beau de leur bien et leur principal intérêt. Tous les héros et tous les grands hommes s’y sont dévoués. » (Méré, Conversations 80) Pour aller à la gloire et récolter l’honneur, ils expriment avec discernement leur grandeur d’âme et leur mépris de la mort. César est cité en exemple : « César avait toujours la gloire devant les yeux qui lui faisait prendre le parti le plus héroïque. » (Méré, Conversations 91-92) Alors que ces réflexions pourraient faire croire que Méré accepte, dans le contexte politique ou militaire, pleinement le modèle héroïque traditionnel dont le principe même est la gloire, cette conversation avance une série d’arguments associant les qualités héroïques aux plaisirs de la vie en société, « comme de nous entretenir librement avec les personnes que nous aimons, et de pouvoir disputer de certains avantages où la fortune et la grandeur n’ont point de part. [...] Il faut avoir de la complaisance en galant homme pour rendre la vie agréable. » (Méré, Conversations 84) Méré entremêle ainsi les qualités civiles de la galanterie aux qualités héroïques et les conjugue

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adroi­tement, car seules les qualités de l’esprit et de l’enjouement confèrent la véritable grandeur et le véritable bonheur aux princes et aux héros. « Je trouve bien plus beau ce je ne sais quoi de civil et de majestueux tout ensemble qui fait sentir avec plaisir que de certains princes sont les maîtres : plus ils s’approchent, plus on se recule et surtout les honnêtes gens qui n’abusent jamais de rien. » (Méré, Conversations 85) Méré fait remonter ce modèle de sociabilité à L’Astrée, et cite la maxime « ‘Aime si tu veux être aimé’ » (Méré, Conversations 86) qui, bien qu’elle soit adaptée ici au texte de d’Urfé, est tirée de Sénèque, Lettres à Lucilius, 9, 6.20 C’est en récupérant le modèle de l’amour néo-platonicien de d’Urfé que Méré peut justifier le passage du mérite construit sur les actions héroïques au mérite fondé sur l’amour défini ici comme lien social  : « L’on élève ou l’on abaisse le mérite selon qu’on aime ou qu’on hait les gens. » (Méré, Conversations 86) Dans sa description de César, Méré va jusqu’à le décorer de qualités civiles qui, à elles seules, expliqueraient le succès de ses campagnes. Il s’avère ainsi que même dans le cas de personnages militaires comme César, ce ne sont en fin de compte que les qualités civiles qui contribuent à la perfection et à l’excellence du héros, même dans ses actions militaires et valeureuses.21 Quoique le héros cornélien soit banni de l’univers de sociabilité, en raison de l’éclat de sa mise en scène et de sa rhétorique contraire à celle de l’honnête homme, Méré reconnaît néanmoins que, dans l’espace de la guerre et de la politique, la gloire et le mérite doivent impérativement être complétés par des qualités sociables afin d’éviter toute forme de barbarie. Cet exemple démontre clairement que Méré érige les qualités sociables en principe suprême de sa conception de l’être humain, même de celle du héros, sans lesquelles l’homme ne peut accéder à sa perfection ni dans l’univers héroïque ni dans l’univers mondain. C’est ainsi que Méré redéfinit dans l’espace mondain les notions attribuées traditionnellement au héros. Pour l’honnête homme, la vraie grandeur ne procède pas de « la fortune », mais elle « vient du cœur et de l’esprit » et s’exprime dans « l’air noble » (Méré, Des Agréments 2021). Considérée comme la qualité héroïque par excellence depuis Aristote, la grandeur est, d’une part, intériorisée dans l’humilité du cœur, d’autre part, elle est civilisée et s’exprime par l’esprit enjoué qui doit plaire. L’esprit fin, la modestie et la gentillesse apparaissent sans éclat dans la mine et dans l’union heureuse des actions du corps et de l’esprit. En vertu de vouloir plaire, l’honnête homme est décoré d’une « humeur enjouée » exprimant une « grande confiance », ornement

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refusant catégoriquement l’admiration. « Un honnête homme doit vivre à peu près comme un grand prince qui se rencontre en un pays étranger sans sujets et sans suite, et que la fortune réduit à se conduire comme un honnête particulier. » (Méré, Des Agréments 21) Enfin, pour illustrer sa définition de la grandeur, Méré fait une comparaison entre deux palais royaux : « Le Louvre est plus grand que Versailles, mais Versailles est plus beau, plus noble, et plus agréable que le Louvre, et même il sent plus cette véritable grandeur qui plaît aux personnes de bon goût. » (Méré, Des Agréments 22) La vraie grandeur n’est donc ni celle qui paraît à première vue ni celle qui correspond à des critères politiques, mais elle est celle qui confère au bâtiment une valeur esthétique, et donc supérieure, comme en témoignent les adjectifs comparatifs « plus beau, plus noble et plus agréable ». La véritable grandeur ne peut être saisie que si l’on est doté du « bon goût », c’est-à-dire d’une perception esthétique qui se situe au-delà des catégories de l’entendement et qui procure une vision plus subtile de la réalité.22 Dans la suite de cette réflexion, ni la grandeur du Louvre ni celle de Versailles ne sont associées à leur valeur politique, car cette dimension s’avère être entièrement contraire à la sociabilité : « Le commandement des inférieurs sent plus l’esclavage arrogant que le maître absolu, car il n’a rien de civil ni de noble. » (Méré, Des Agréments 22) En introduisant le terme « esclavage arrogant », Méré procède à un renversement extraordinaire de la notion héroïque de la grandeur, qui désormais n’est plus liée à la noblesse ni à l’exercice du pouvoir politique, mais au contraire elle est entièrement et uniquement rattachée à la civilité. Le héros traditionnel associé historiquement à l’aristocratie et à la gouvernance s’exprime, chez Méré, par le biais de l’espace d’intériorité et de civilité. Les notions de grandeur, de noblesse et de mérite sont alors redéfinies comme capacité à plaire dans le monde. L’éclat du héros qui se perçoit à première vue est considéré, dans l’espace mondain, comme obstacle au vrai « bon air », qui est plus caché et qui n’est perceptible qu’à un deuxième regard – soulignons-le, uniquement pour ceux qui ont le goût fait. Si le héros se met au service de la collectivité politique pour combattre au nom de l’honneur et de la gloire, l’honnête homme sert la collectivité civile en plaisant, assurant ainsi la cohésion sociale. Il ne s’agit pas d’un sentiment égoïste, issu de l’amour-propre, comme diraient les jansénistes de l’époque, mais d’un élan vers l’autre dans le but de garantir le bonheur social. Le regard admiratif des autres qui confirme au héros son statut extraordinaire n’est plus recherché. Le combat héroïque s’est non seulement inté-

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riorisé [comme chez La Rochefoucauld], mais il s’est aussi esthétisé, puisqu’il s’agit pour Méré de polir toutes les aspérités de sorte que l’individu se fonde parmi les honnêtes gens et qu’il contribue à la progression de la collectivité vers un idéal de perfection. L’honnête homme combat les obstacles qui se trouvent en lui. Il se parfait à la fois par son contact avec le monde et par son regard autoréflexif et autocritique. «  Que si le premier [des moyens] réussit mal, on a recours à un autre, et par la suite de réflexions et à force de se corriger on se rend honnête homme, et par conséquent agréable. » (Méré, Des Agréments 22-23) L’honnêteté de Méré est donc un idéal vers lequel on aspire par le moyen déterminant qui est celui de plaire. Enfin, pour se rendre agréable, il faut suivre la bienséance, la vraie, celle qui vient du cœur et de l’esprit, et non pas de la fortune. Son expression est l’humilité dont le modèle est donné par l’enseignement du Christ (Méré, Des Agréments 28-29). Méré transforme alors les agréments d’un principe de civilité au principe même de l’humanité tenant compte de sa dimension spirituelle. « [...] c’est un péché que de déplaire [...] Car il me semble presque impossible d’aimer ce qui déplaît. » (Méré, Des Agréments 29) Le message chrétien de l’amour du prochain est réinterprété en fonction des agréments comme premier principe de l’être humain. Tout en avançant, de façon presque polémique, une solution purement mondaine dans le débat janséniste autour de la grâce divine, Méré érige les agréments en facteurs primordiaux et déterminants pour le salut de l’humanité : Quand je pense que le Seigneur aime celui-ci et qu’il hait celui-là sans qu’on sache pourquoi, j’en trouve point d’autre raison qu’un fonds d’Agréments qu’il voit dans l’un et qu’il ne trouve pas dans l’autre, et je suis persuadé que le meilleur moyen, et peut-être le seul pour se sauver c’est celui de plaire. (Méré, Des Agréments 29) D’après ce passage, l’amour de Dieu est sensible à celui qui sait plaire. C’est ainsi que les agréments sont mis sur un pied d’égalité avec l’amour chrétien. Par cette absorption du modèle chrétien dans celui de l’honnêteté fondée sur les agréments, Méré fait passer la concep­ tion de l’honnête homme d’une dimension laïque et profane à un message spirituel et moral, car « Il ne faut qu’un honnête homme pour inspirer les bonnes mœurs au plus méchant peuple de la terre, et pour donner envie à tous ceux d’une cour sauvage et grossière, d’être honnêtes gens : ce que je dis d’un honnête homme, se doit aussi d’une honnête femme. » (Méré, Des Agréments 31) Le salut du monde passe par les

agréments présents chez les honnêtes gens qui de par leur état de perfection suscitent chez les autres le désir de se parfaire et d’imiter les qualités des honnêtes gens. Tous ces attributs que Méré reconnaît à l’honnête homme sont effectivement les signes de l’accomplissement d’un être humain. Son excellence sert-elle de point de référence et d’exemple à suivre pour les autres ? Ou cette perfection se communique-t-elle aux autres par la grâce et l’air de l’honnête homme ? S’agit-il d’un modèle ou s’agit-il d’une source d’inspiration qui entraîne les autres vers la perfection ? Méré semble adopter les deux points de vue : l’honnête homme est acheminé vers le perfectionnement de sa nature qui représente une entreprise à vie, d’autre part, une fois que l’honnête homme ou l’honnête femme a atteint un degré d’excellence, celle-ci rayonne sur les autres afin de les « sauver », comme le dit Méré. L’honnête homme se confond ici avec un autre modèle de perfection, qui est celui du saint. La civilité va alors pour Méré jusqu’à absorber les dimensions laïque et spirituelle. C’est dans cet espace que l’être humain travaille à son perfectionnement en transcendant toutes les catégories dans le seul but d’exprimer sa complétude pour lui et pour les autres.

Conclusion Le parcours du héros scudérien à l’honnête homme de Méré a permis d’articuler les liens entre héroïsme et honnêteté dans la culture mondaine du siècle classique et d’en définir les enjeux pour la création de l’idéal de l’honnête homme. Ces trois textes représentent trois cas de figure qui se complètent mutuellement. Dans les romans de Madeleine de Scudéry, l’univers héroïque est juxtaposé à l’univers mondain sur un pied d’égalité et ce n’est que cette associa­ tion, voire cette conjugaison des deux univers qui confère aux protagonistes leur statut de héros et d’héroïnes. Madeleine de Scudéry célèbre ainsi un modèle de civilité qui vise à la complétude de l’être humain grâce à la complémentarité des pôles opposés. Ces forces antagonistes ne se combattent plus ou ne forment plus d’obstacles à surmonter, comme c’est le cas dans le théâtre cornélien, mais elles s’associent sous forme de symbiose. Héroïsme et culture mondaine sont entrelacés afin de célébrer un nouveau modèle de civilité vers le milieu du XVIIe siècle, au moment où les anciennes valeurs féodales et héroïques cèdent peu à peu leur place aux valeurs courtisanes dans la réalité sociopolitique. Dans ce sens, les romans de Madeleine de Scudéry peuvent être considérés comme célébration

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romanesque et idéalisante du modèle de civilité lancé par les salons. Ils reflètent le goût mondain de la part de l’ancienne noblesse pour une mise en scène héroïque et romanesque de la réalité tout en suggérant la perpétuation de l’héroïsme dans un nouveau modèle de civilité que les Grands incarnent. Pour le moraliste La Rochefoucauld, les valeurs héroïques ont certes leur validité dans l’univers héroïque, mais sont incompatibles avec l’espace de civilité. Elles ne peuvent subsister que si elles sont transposées à l’intériorité de l’être humain. On ne peut être glorieux qu’avec soi-même, en d’autres termes, le mérite ne dépend pas de la reconnaissance que l’on reçoit, mais il exprime les valeurs de sincérité et d’intégrité morale. Pour La Rochefoucauld, seule l’intériorisation et l’épuration de l’héroïsme confère à l’honnête homme un statut supérieur dans la culture mondaine. Enfin, tout comme La Rochefoucauld, le chevalier de Méré rejette l’air héroïque dans la culture mondaine, car il se heurte profondément aux agréments et au bon goût. La mise en scène du héros déplaît profondément à l’honnête homme imprégné de naturel. Néanmoins, nous retrouvons chez Méré les termes de grandeur, de mérite, d’honneur et de noblesse qui ne sont pas seulement intériorisés, comme chez La Rochefoucauld, mais dont la définition est profondément esthétisée et civilisée dans le but de plaire. C’est la grande maxime de l’honnête homme. En passant par la synthèse de l’héroïque et du mondain incarnée dans les protagonistes scudériens, puis chez La Rochefoucauld par la critique de l’héroïsme dans l’espace mondain où il ne peut subsister que sous forme intériorisée, nous avons enfin pu considérer chez Méré que les notions traditionnellement héroïques de grandeur, de mérite et de noblesse sont entièrement esthétisées jusqu’à faire coïncider l’idéal de sociabilité avec le message chrétien et à conférer une dimension spirituelle à l’honnêteté. La civilité permet ainsi que les modèles du héros et du saint fusionnent, en soulignant leur caractère « héroïque » qui les rapproche et dont le but est d’être au service de l’émancipation de la collectivité. En analysant l’élan vers l’accomplissement de l’être humain dans des contextes socioculturels aussi différents que le milieu du XVIIe siècle, qui annonce la fin de l’époque féodale, et la seconde moitié du siècle, qui célèbre l’établissement de la société de cour, nous avons constaté que certaines valeurs héroïques, comme la grandeur, le mérite et l’honneur, sont maintenues, mais redéfinies et profondément réorientées d’abord vers l’intériorité, puis vers la civilité, pour qu’elles soient adaptées à leur milieu. Le

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modèle héroïque semble rester sous-jacent à la culture mondaine, mais de manière transfigurée. La perfection du héros construite sur la gloire éclatante est transférée à l’excellence de l’honnête homme qui ne se perçoit que subtilement, mais qui entraine définitivement les autres vers l’idéal d’honnêteté. Toujours selon Méré, ce modèle de civilité ne demeure pas dans l’univers confiné de quelques happy few, au contraire, l’honnêteté agit sur tout­e l’humanité et contient le pouvoir de la perfectionner. L’honnête homme peut ainsi être considéré comme une projection idéale d’une transfiguration silencieuse du héros par le processus de civilisation. Dans une forme intériorisée, esthétisée et civilisée, les traits du héros traditionnel, notamment ceux de grandeur, de gloire et de mérite, décorent toujours l’honnête homme – « héros mondain ». Ce glissement de sens rappelle la qualité d’absorption propre à la culture mondaine, car bien qu’elle paraisse entièrement opposée aux valeurs et aux représentations traditionnelles de l’esprit héroïque, elle les récupère tout en leur attribuant une nouvelle définition. Toute époque réclame ainsi ses héros pourvus de grandeur, de noblesse et de mérite. Qu’on parle d’admiration ou d’agréments, de gloire ou de naturel – il s’avère qu’à tous les âges, la quête d’un idéal de perfection permet d’interroger si ce n’est de faire avancer l’histoire culturelle de l’humanité.

1 Cette opposition de deux modèles de civilité s’exprime de façon pertinente dans le langage d’Alceste et de Philinte du Misanthrope acte I, scène 1. Alceste défend les valeurs morales par le biais d’un vocabulaire héroïque, alors que Philinte incarne l’homme de sociabilité – l’honnête homme faisant primer la civilité sur la sincérité d’Alceste qui sacrifie les bienséances. 2 Sur le héros cornélien, voir les études de Fumaroli, Doubrovsky, Kruse, Rohou. 3 La notion d’honnête homme évolue au cours du XVIIe siècle, comme en témoignent les définitions avancées par Faret, Madeleine de Scudéry, La Rochefoucauld, Pierre Nicole ou par le chevalier de Méré. Nous retiendrons ici celle du chevalier de Méré, qui propose la définition la plus subtile de l’honnêteté. Sur l’honnêteté, voir en particulier les études d’Oskar Roth et d’Emmanuel Bury. 4 Voir les études de Bury et de Steigerwald. 5 Voir la correspondance de Mme de Sévigné. 6 Voir Bury. 7 La correspondance de Mme de La Fayette nous apprend que chaque nouveau tome des romans de Madeleine de Scudéry est attendu avec impatience. 8 Sur le modèle aristotélicien de la magnanimité, voir Fumaroli 323-349. 9 Voir Levi chap. 7. 10 Sur l’importance des salons pour l’établissement de l’esthétique classique, voir les études de Génétiot, Viala et Steigerwald.

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11 Nous adhérons ici à l’idée de la fonction civilisatrice des femmes dans les salons, telle que développée par Timmermanns. 12 La proposition de Douvrovsky de valeurs « mâles » nous paraît particulièrement pertinente dans une perspective « gender ». Le héros mâle s’oppose ainsi au caractère féminin qui s’exprime dans les valeurs et la rhétorique des salons. 13 Sur les romans scudériens, consulter les études de Baader, Denis, Morlet-Chantalat et Penzkofer. e

14 Ou la valeur, comme on disait au XVII siècle. 15 Voir La Rochefoucauld max. 1, max. 15, max. 16, max. 63, max. 116, max. 150, max. 198, max. 213-221, max. 233, max. 244, max. 246, max. 248, max. 266, max. 268, max. 280, max. 285, max. 293, max. 308, max. 365, max. 490. 16 Par exemple, La Rochefoucauld max. 220 : « La vanité, la honte, et surtout le tempérament, font souvent la valeur des hommes, et la vertu des femmes. » Voir aussi La Rochefoucauld max. 213. 17 Au sujet de la gloire et de l’héroïsme chez La Rochefoucauld, voir Roth 304, Kruse 61-80, Chariatte 152-158. 18 On suppose qu’il s’agit de Madame la Maréchale de Clérambault, voir Méré 9, n. 1. 19 Dans la théorie néoplatonicienne de l’amour, l’union avec l’autre passe par le renoncement total de soi dans le but de plaire. « Puis qu’on ne se rend parfaitement honneste homme que quand on a dessein de plaire, & ce dessein de plaire ne peut venir que d’un fort grand attachement, ou du desir de le persuader. » D’Urfé, L’Astrée. 31 juillet 2014. 20 Cette maxime de Sénèque sera reprise dans La Sylvanire ou la Morte-vive de d’Urfé, acte I, scène 1, v. 224 [« Il faut aimer si l’on veut être aimé. »]. 21 Cette même hiérarchie des valeurs, selon laquelle les valeurs sociables procurent aux valeurs héroïques leur véritable grandeur, est exprimée dans l’oraison funèbre prononcée par Bossuet pour le Grand Condé le 2 mars 1687. Les qualités extraordinaires de son courage sont ancrées dans la bonté chrétienne qui les « [aide] à se communiquer davan­ tage ». Les « douceurs de la société », le « plus grand bien de la vie humaine », sont assurées grâce à « sa conversation [qui] était un charme » et à l’amitié qu’il place au premier rang. Bossuet 200-201. 22 Dans son article, Dens développe l’idée du goût comme faculté critique dont est doté l’honnête homme.

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Christina Posselt-Kuhli – Jakob Willis

« La voilà, cette main, qui se met en chaleur » Intermediale Heroisierungsstrategien bei Molière und Pierre Mignard am Beispiel des Gedichts La Gloire du Val-de-Grâce

1. Einleitung Das für Molières Gedicht La Gloire du Val-deGrâce (1669) titelgebende Fresko in der Kirche Val-de-Grâce in Paris, von Pierre Mignard unter Rückbezug auf die barocken römischen Kuppelausmalungen von Correggio, Lanfranco und Pietro da Cortona zwischen 1663 und 1666 geschaffen1 und von Charles Perrault noch Jahre später als „plus grand morceau de peinture à fresque qui soit dans l’Europe“ (Perrault 476) bezeichnet,2 öffnet dem Betrachter den Blick zum Himmel [Abb. 1]. In konzentrischen Kreisen sind Gruppen von Heiligen, Märtyrern, Aposteln und Propheten als Gefolge der zentralen Figuren am höchsten Punkt der Kuppel angeordnet. Dort gipfelt der himmlische Reigen in der Dreifaltigkeit (Christus und Gottvater, zwischen ihnen in einer Lichtgloriole die Taube des Heiligen Geistes), an die Anne d’Autriche ihren Wunsch adressiert: die Geburt eines Thronfolgers für das französische Königreich. Die Stifterin,3 deren Rolle durch das Kirchenmodell in ihren Händen kenntlich gemacht ist, wird durch die räumliche Teilhabe an der göttlichen Sphäre besonders hervorgehoben.4 In dreifacher Rolle wird sie als Königin, als Königinmutter und als Regentin figuriert.5 Nicht nur der ‚très chrétien Roi‘ von Gottes Gnaden – hier Saint Louis (Louis IX), der Anne gegenüber platziert ist und wie diese den bourbonischen Königsmantel trägt (Germann 52-53) –, auch die Königin wird damit in Gottes Nähe gerückt: umarmt von der Heiligen Anna kniet sie in anbetender Haltung, in ihrer Pose und Gestik damit ähnlich der über ihr auf einer Wolkenbank sitzenden Maria. Die von den Benediktinerinnen von Val-de-Grâce verehrte Jungfrau Maria wird so mit dem Mutterwunsch bzw. dem Muttersein der Königin in Verbindung gebracht (1638 wird Louis XIV geboren; bei der Weihe der Kirche im Jahre 1665 ist er bereits 27 Jahre alt). Außerdem drückt die Komposition die göttliche Begünstigung ihrer Herrschaft aus. Die in der Kuppel noch als Wunsch dargestellte,

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zu Beginn der Arbeit am Fresko aber bereits historischer Fakt gewordene Geburt des lange ersehnten Sohnes, der der königlichen Dynastie den Fortbestand sichert, wird so als Zeichen des göttlichen Beistands inszeniert. Auf diese Ausgangssituation nimmt auch ein paratextuelles Element von Molières Gedicht Bezug: In der Vignette zu Beginn des Textes wird eine Malerwerkstatt gezeigt und damit auf die handwerklichen wie wissenschaftlichen Bedingungen der Produktion von Kunstwerken verwiesen [Abb. 2] – ebenso wie die anderen Kupferstiche wurde die Vignette von Mignard selbst entworfen und von François Chaveau gestochen und somit bewusst eingeschrieben in das Spiel von Text und Bild, das Molière innerhalb seines Gedichtes entwirft, wie noch zu zeigen sein wird. Diese Szene ist auf der gleichen Textseite mit dem Auftrag und der Stifterin in Bezug gesetzt – in der Initiale ‚D‘ des Gedichts erscheint Anne d’Autriche, die in einem Hermelinmantel vor einer Art Altar kniet, auf dem eine Krone und ein Buch abgelegt sind. Sie hält auch hier ein Kirchenmodell, die Repräsentation von Val-deGrâce, in Händen und blickt nach oben ins göttliche Licht. Das Gedicht, das Molière 1669 auf das Fres­ ko seines engen Freundes Mignard verfasste,6 fügt sich in die Reihe der Lobgesänge ein, die Zeitgenossen wie Perrault auf das Gemälde anstimmten. Es betont die enge Verbindung von Dichtung und Malerei, die in der Tradition des ‚ut pictura poiesis‘ als Schwesternkünste bezeichnet werden, und wird, so die These, vor dem Hintergrund einer komplexen literatur- und kunstpolitischen Entstehungssituation zu einem Medium der Heroisierung von Maler und Autor. Während Mignard in seinem Kuppelfresko die Herrscherin Anne d’Autriche durch die Nähe zur Sphäre des Göttlichen indirekt divinisiert, stilisiert Mo­ lière in seinem Gedicht Mignard zum Künstlerhelden und schafft es, durch die Heroisierung des Freundes auch die eigene Kunst aufzuwerten.

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Im Folgenden wird in einem ersten Schritt eine Heuristik entwickelt, die es erlaubt, Strategien der Heroisierung in unterschiedlichen Medien nachzuvollziehen, bevor in einem zweiten Schritt das Gedicht unter Berücksichtigung seiner kunst­ theoretischen und kunstpolitischen Kontexte eine eingehende Analyse erfährt. Neben den literarischen und kunsttheoretischen Diskursen sollen dabei auch die bislang kaum beachteten Kupferstiche der beiden ersten Editionen des Gedichts in die Interpretation der intermedial gestalteten heroischen Motive einbezogen werden.7

2. Intermediale Heroisierungs­ strategien – einige theoretische Überlegungen Heroisierungen, so lässt sich zeit- und kultur­ übergreifend sagen, sind kommunikativ-mediale Strategien und Verfahren, durch die eine Figur als Heros, d. h. als Held oder Heldin, gekennzeichnet wird. Möchte man, was bislang kaum systematisch geschehen ist,8 derlei Prozesse genauer beschreiben, sollte erst einmal geklärt werden, was man unter einem Held, einer Heldin bzw. einer heroischen Figur versteht. Bei einem Helden handelt sich um eine meist maskuline Figur, die durch außergewöhnlich mutige Taten dazu beiträgt, das je nach kulturellem Kontext und Wertesystem anders definierte ‚Gute‘ unter großem persönlichen Einsatz zu erkämpfen oder zu verteidigen. Neben Göttern gehören Helden dabei zum unverzichtbaren imaginativen Personal aller Kulturen von der Antike bis zur Gegenwart, wobei mit Blick auf das Heldenpantheon der christlich-abendländischen Kulturgeschichte festgestellt werden kann, dass darin fiktiv-mythologische Figuren wie Achill, Perseus und Herkules neben historischen Persönlichkeiten wie Alexander dem Großen, Luther und Napoleon stehen. Helden, so ist einzuschränken, sind immer nur Helden für und innerhalb einer bestimmten sozialen Gruppe. Für diese erfüllen sie als Projektionsund Identifikationsfiguren soziale, politische und ethisch-moralische Funktionen. Grundsätzlich müssen zwei unterschiedliche Verwendungsweisen des Begriffs ‚Held‘ voneinander abgegrenzt werden: Der ursprüngliche semantische Bereich bezieht sich auf den altgriechischen Begriff des Heros (ἥρως) im Sinne eines Kriegers oder Halbgottes und meint jene außergewöhnlich tapferen Figuren wie Perseus, Hektor und Achill. Der später hinzugekommene Bereich, der außerhalb des Untersuchungshorizonts dieser Analyse liegt, bezeichnet die

handlungstragende Figur eines literarischen oder kinematografischen Werkes, ab einem bestimmten Zeitpunkt auch unabhängig davon, ob diese Hauptfigur noch heroische Züge im ursprünglichen Sinne trägt.9 Zum Zwecke einer systematischen Minimaldefinition, die freilich nicht über den Status einer Heuristik hinauskommt, ließen sich die ‚heroischen Helden‘, um die es dieser Untersuchung geht, durch die allesamt notwendigen, für sich aber nicht hinreichenden Attribute ‚Autonomie‘, ‚Transgressivität‘, ‚Agonalität‘ und ‚Charisma‘ charakterisieren.10 Der Held oder die Heldin ist eine Figur, deren Exzeptionalität sich als Schnittmenge eben jener Eigenschaften konstituiert. Heroisierungen sind vor diesem Hintergrund Verfahren, durch die einer Figur heroische Attribute zugeschrieben werden. Diese „vollziehen und stabilisieren sich […] in sozialen und kommunikativen Prozessen, die medialer Präsentation bedürfen und affektiv wie normativ aufgeladen sind“ (von den Hoff u. a. 8). Neben den produzierenden Akteuren, wie etwa Dichtern, Malern oder, seit der Moderne, Journalisten, sind an Prozessen der Heroisierung immer auch verschiedene Publika beteiligt, die eine bestimmte Figur, so die Strategie denn Erfolg hat, als einen Helden oder eine Heldin wahrnehmen und verehren. Die Konstruktionen und Inszenierungen des Heroischen sind vielfältiger Art, so dass sie an dieser Stelle nur kursorisch erwähnt werden können: Neben der einfachen Bezeichnung einer Figur als ‚Heros‘, ‚Held‘, ‚hero‘, ‚héros‘, ‚eroe‘ usw., die, sei es schriftlich oder mündlich, im Bereich des Sprachlichen operiert, ist hier vor allem das Einordnen in eine heroische Genea­logie zu nennen. Indem die betreffende Figur mit bereits etablierten Helden des kulturellen Repertoires verglichen wird, werden die (heroischen) Eigenschaften der Modellfigur auf sie übertragen. Die Malerei kennt dabei Verfahren wie die bildliche Amalgamierung von Modell und historischer oder mythologischer Figur in der porträthaften Angleichung des Herrschers an einen Helden zum Zwecke der Sichtbarmachung von Tugenden und Qualitäten, die dem Helden eignen und auf den Herrscher übertragen werden. Die Literatur kann ihrerseits auf Reihungen, Allegorien, Symbole, Metaphern und Vergleiche zurückgreifen. Eines solchen Vergleichs bedient sich beispielsweise Jean Racine, wenn er in der épître au Roi zu seiner Tragödie Alexandre le Grand auf eine für die Zeit und die Textsorte paradigmatische Art und Weise formuliert: Il faut auparavant m’essayer encore sur quelques autres Héros de l’Antiquité: Et je prévois qu’à mesure que je prendrai de nouvelles forces, V. M. [Votre Majesté;

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Anmerkung der Verfasser] se couvrira Elle-même d’une gloire toute nouvelle; que nous la reverrons peut-être, à la tête d’une Armée, achever la Comparaison qu’on peut faire d’Elle et d’Alexandre, et ajouter le titre de Conquérant à celui du plus sage Roi de la Terre. (Racine 124) Zusätzlich zur Nennung und zur Einbettung in eine heroische Genealogie seien noch zwei weitere Verfahren genannt: die Hervorhebung der Figur mittels räumlicher Positionierung und Farbgebung sowie ihre Repräsentation durch Symbole des Heroischen. Erstgenanntes Verfahren zielt darauf ab, den exzeptionellen Status der zum Helden ernannten Figur auch sprachlich-medial auszudrücken und findet, oft im Verbund mit anderen Heroisierungsverfahren, medienübergreifend Anwendung. Besonders häufig werden die Figuren durch ihre außergewöhnliche Größe gekennzeichnet, so etwa bei verschiedenen Reiterstandbildern und anderen monumentalen Heldenstatuen wie Michelangelos David11. Auch großformatige Gemälde wie Poussins Raub der Sabinerinnen12 oder LeBruns Einzug Alexanders in Babylon13 vermitteln den exzeptionellen Status der heroisierten Figuren durch die Dimension der Bildfiguren. Die Hervorhebung kann aber auch dadurch erfolgen, dass die Helden durch eine Form des Glanzes als ‚Lichtfiguren‘, als Quelle oder Zentrum von Lichtstrahlen, inszeniert werden.14 Während dieser in unterschiedlichen Medien Anwendung findende Glanz des Helden als indexikalisches Zeichen die sprachlich nicht fassbare auratische Präsenz der heroischen Figur zum Ausdruck bringen soll (Soeffner 55)15, zielen andere Verfahren der Repräsentation darauf ab, die Figur durch symbolische Zeichen als Held oder Heldin zu konstruieren. Diese letztgenannten Darstellungsverfahren sind besonders in den bildenden Künsten weit verbreitet, wo etwa die Nähe zum Göttlichen bzw. zu den Göttern oder die Krönung durch Götter oder Personifikationen und Allegorien wie Ruhm und Fama den Heldenstatus in der Komposition visualisieren.16 Auch nobilitierende Architektur­ elemente, Attribute wie das Löwenfell und die Keule des Herkules, die auf Alexander den Großen verweisende Anastole römischer Porträts,17 die Schleuder Davids und der Lorbeerkranz der siegreichen Heroen werden verwendet, um Figuren symbolisch zu heroisieren. Neben diesen Verfahren, die für sich in der Forschung zum Teil bereits intensiv besprochen wurden, müssen insbesondere auch jene Strategien zum Bereich der Heroisierung gerechnet werden, durch die bestimmte Figuren mit den oben genannten Attributen Autonomie, Transgressivität, Agonalität und Charisma, und oftmals ohne die explizite Nennung der Bezeichnung

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‚Held‘ oder ‚Heldin‘, als exzeptionelle Figuren des Heroischen dargestellt werden. Eine Reihe dieser Strategien lassen sich auch in Molières Enkomium beobachten.

3. Heroisierungsstrategien in Molières Gedicht La Gloire du Val-de-Grâce Molières Langgedicht La Gloire du Val-de-Grâce (1669) entsteht zu einer Zeit, als der Dramatiker, seit 1665 Leiter der ‚Troupe du Roi‘ und damit unter besonderer Protektion durch Louis XIV, mit Stücken wie Le Misanthrope (1666), Amphytrion (1668) und L’avare (1668) große Bühnenerfolge feiert und, wenngleich nicht unumstritten, auf dem Gipfel seines Ruhmes angelangt ist. Wenn vor diesem Hintergrund die Hauptintention des Werkes wohl darin zu sehen ist, dass Molière sein Ansehen und seine Machtstellung dazu nutzt, um einen guten Freund als Künstlerhelden zu stilisieren (und damit Mignards Erschaffung von Kunst als heroische Tat darzustellen)18, geht es ihm zweifelsohne auch darum, eine vor allem auf das Kolorit ausgerichtete Kunsttheorie für sich zu nutzen [vgl. 3.3.1], die auf das eigene Theaterschaffen zurückverweist und somit auch ihn selbst als Künstler heroisiert (Molière 1349).19

3.1. Formale und inhaltliche Bestimmung Das aus 366 sich paarweise reimenden Alexan­ dri­nern aufgebaute Gedicht ist in 15 Sinneinheiten unterteilt. In der ersten Einheit (V. 1-18) wendet sich der Dichter bzw. seine lyrische Sprecher­instanz an die Kirche Val-de-Grâce, deren Ruhm ihm Anlass für sein Werk ist bzw. deren Ruhm er gewillt ist, durch das eigene Schaffen zu mehren. Besonders das „chef-d’œuvre fameux“ (V. 14), Mignards Fresko, wird dabei schon zu Beginn gepriesen und als „plus bel effet des grands soins“ (V. 17) der Stifterin Anne d’Autriche bezeichnet. Der zweite Abschnitt (V. 19-38) stellt dann eine direkte Ansprache an Mignard dar, die zum einen darauf abzielt, das Ingenium des Malers zu betonen („Toi qui, dans cette coupe à ton vaste génie / Comme un ample théâtre, heureusement fournie“, V. 19-20) und zum anderen die Frage aufwirft, welches geheime Wissen, welches Vermögen, ja welches „feu divin“ (V. 27) die geniale Kunst möglich mache. „Dis nous“, fordert Molière, „quel est ce pouvoir, qu’au bout des doigts tu portes“ (V. 27-31). Da der angesprochene

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Maler jedoch stumm bleibt und sein wertvolles Geheimnis nicht lüften möchte, wendet sich der Poet im dritten Abschnitt (V. 39-50) dem Gemälde selbst zu, das als „école ouverte“ (V. 44) das Schweigen bricht: „[T]on pinceau s’explique, et trahit ton silence“ (V. 39). Dieses Motiv nimmt auch die bereits erwähnte Vignette zu Beginn des Gedichts auf [Abb. 2]. So wie Molière eine ‚Schule des Sehens‘ durch seine Beschreibung aller Bestandteile der Kunst nach zeitgenössischen kunsttheoretischen Vorstellungen eröffnet [vgl. 3.2.], befinden sich die im Kupferstich gezeigten Putti in der ‚Schule der Kunst‘, der Malerwerkstatt. Auf die Inspiration der ‚arcanae‘ der Musen folgt somit die praktische Bildproduktion. Unter der Ägide Minervas, die als Büste auf einem Sockel in der Mitte des Raumes wacht, üben sich die Putti im Zeichnen (nach antiken Vorbildern, als welche Minerva dargestellt ist), in der Perspektivlehre und im nächsten Schritt womöglich auch dem dritten Teil der Malerei, der Farbe (der Putto ganz links scheint Farbe anzureiben). Palette und Malerstab sowie Messinstrumente, ein Globus und Bücher im Hintergrund verweisen auf die Verbindung von Handwerk und Wissenschaft. Als intellektuelle Kunst der ‚imitatio‘ wird die Malerei durch die beiden Masken am Kamin ausgewiesen und damit ihre Fähigkeit, nachzuahmen und zu täuschen im Spiel von ‚imitatio‘ und ‚dissimulatio‘, alludiert. Sehr ausführlich und mit Verweis auf eine Vielzahl kunsttheoretischer Motive, die noch genauer zu betrachten sein werden, wird in den folgenden drei Abschnitten von Molières Gedicht beschrieben, welche Prinzipien eines vollkommenen Kunstwerks das Fresko den interessierten Betrachter lehren kann: diese sind ‚invention‘ (V. 51-104), ‚dessein‘ (V. 105-152) und ‚couleur‘ (V. 153-186). Nachdem Molière in den drei langen Abschnitten somit die von Mignard wie von kaum einem anderen Maler beherrschten Prinzipien der idealen Kunst expliziert und dem Leser dadurch vermeintlich auch den Schlüssel zur Reproduktion des „éclatant morceau de savante peinture“ (V. 15) an die Hand geliefert hat, betont der Verfasser im siebten Sinnabschnitt (V. 187-206), dass ein geniales Kunstwerk wie das Fres­ko Mignards selbst dann nicht nachgeahmt werden könne, wenn man, wie soeben von Molière persönlich kundig durchexerziert, sein Wesen bis ins letzte Detail beschreiben würde. Der geniale Künstler verfüge über Talente, die sich schlichtweg nicht erlernen ließen: „Il y faut des talents que ton mérite joint; / Et ce sont des secrets qui ne s’apprennent point“ (V. 194-195). Im nun folgenden Passus wendet sich Molièr­e an die Schwestern des Benediktinerordens der Kirche Val-de-Grâce, die in hyperbolischer, leicht

zum Ironischen tendierender Art als „[p]urs es­ prits“ (V. 211) und „[b]eaux temples des vertus“ (V. 212) bezeichnet werden und unter­ streicht, dass die Schwestern an dem Fresko spüren könnten, wie sich die „ardeur de vos désirs“ (V. 221) verdopple. Nach diesem von sexuellen Doppeldeutigkeiten geprägten Abschnitt,20 der gerade auch im zeitlichen Kontext der seit dem Stück Le Tartuffe anhaltenden klerikalen Kritik als spielerische Provokation zu verstehen sein dürfte, wendet sich Molière nun voller Dank an Rom (V. 227-236), das nicht nur seit jeher Vorbild gewesen sei, sondern zudem auch ganz entschieden mit dazu beigetragen habe, dass Mignard während seines langen Aufenthalts dort zu dem „grand homme“ wurde, der, „devenu tout Romain“ (V. 234), nun Frankreich neuen Glanz verleihe. In der darauf folgenden Sinneinheit (V. 237-279) widmet sich der Dichter der Technik der Freskomalerei und breitet ein Argument aus, das deren Überlegenheit über die Ölmalerei verdeutlichen soll: Im Anschluss an die heroische Darstellung des Freskomalers, dessen „main prompte“ (V. 267) das „grand génie“ (V. 242) zeige, schildert der Verfasser in knappen Worten die allgemeine Rezeption des Kuppelfreskos bei Hof und in der Stadt (V. 280-289) und betont, dass das Gemälde gerade auch deshalb auf großes Wohlgefallen gestoßen sei, weil es als „belle inconnue“ (V. 282) eine Neuheit in Paris dargestellt habe: „Jamais rien de pareil n’a paru dans ces lieux“ (V. 281).21 Die beiden nächsten Abschnitte handeln dann von der wohlwollenden Aufnahme des Kunstwerks durch den König (V. 291-303) und seinen Finanzminister und ‚Surintendant des Bâtiments, Arts et Manufactures‘‚ JeanBaptiste Colbert (V. 304-312). Zum einen hebt Molière bezüglich des Königbesuchs in formvollendeter panegyrischer Manier hervor, dass der Verdienst des Werkes erst durch die „éclatante visite“ (V. 292) des urteilskräftigen „roi judicieux“ (V. 301) und seine in zwei Worten vorgetragene „éloge glorieux“ (V. 302) hervorgetreten sei, zum anderen schildert er, wie Colberts guter Geschmack „suit celui de son maître“ (V. 303) und er folgerichtig „[a] senti même charme“ (V. 304). Im daran anschließenden Abschnitt lässt Mo­ lière den Genius Mignards noch einmal in einer eindringlichen Beschreibung aufblitzen, indem er das Geschehen deiktisch vergegenwärtigt und performativ nachvollziehbar macht (V. 313326). Als würde der Maler, einem Wunder gleich, gerade vor seinen Augen agieren, heißt es: „La voilà, cette main, qui se met en chaleur: / Elle prend les pinceaux, trace, étend la couleur […]“ (V. 313-314). Nach dieser zweiten, in seiner rhetorischen Gestaltung im Vergleich zum Beginn des Gedichts deutlich eindrücklicheren Glorifizierung des genialen Künstlers, wendet sich

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Intermediale Heroisierungsstrategien bei Molière und Pierre Mignard

Moliè­re im letzten Sinnabschnitt des Gedichts noch einmal an Colbert, um diesen daran zu erinnern, dass geniales Künstler- und höfisches Bittstellertum einander ausschließen („Qui se donne à sa cour, se dérobe a son art“, (V. 346)) und dass er, auch im eigenen Interesse, nichts unversucht lassen solle, um die wahre Kunst und die wahren Künstler zu fördern: „C’est ains­i“, so der mahnende Schlussgedanke, „que des arts la renaissante gloire / De tes illustres soins ornera la mémoire“ (V. 263-264). Die heroische ‚fama‘ der Mächtigen, daran lässt Molière keinen Zweifel, hängt ganz entschieden von der medialen Konstruk­tionsleistung der Künstler ab. Nur wenn Dichter, Maler und andere Kunstschaffende die Leistungen der Mächtigen – hier Colberts und des Königs Engagement für die Künste – in ihren Werken in zeitlose Formen brächten, so will Molière verstanden werden, könnten diese sich einen dauerhaften Ehrenplatz im kollektiven Gedächtnis der Menschheit sichern.22 Dass damit auch der Künstler Anteil an der heroischen ‚memoria‘ hat, ist eine tradierte Vorstellung (man denke beispielsweise nur an das berühmte Motiv des ‚aere perennius‘ bei Horaz), in die sich Molière und über ihn auch Mignard als Künstlerhelden einschreiben.

3.2. Kunstpolitische Hintergründe und intertextuelle Bezüge Bevor es in der Folge darum geht, die unterschiedlichen Heroisierungsstrategien herauszuarbeiten, die Molière in seinem Lobgedicht auf Mignards Kuppelfresko verfolgt, ist es nötig, die kunstpolitischen Hintergründe und intertextuellen Bezüge der Werke zu erläutern, ohne die Molières Gedicht nicht adäquat erfasst werden kann. Gerade in einer Zeit wie der französischen Klassik, in der die künstlerische Produktion sehr stark im Zeichen von Politik und Ökonomie steht, müssen Heroisierungen immer auch als Teil berufsfeldbezogener Strategien betrachtet werden. Pierre Mignard, der über 20 Jahre in Rom gelebt und gearbeitet hat, kam 1655 nach Paris – eine Stadt, die kunstpolitisch von der ‚Académie Royale de Peinture et de Sculpture‘ beherrscht wurde. Unter dem Vorsitz ihres Direktors Charles LeBrun erarbeitete sie Grundlagen und Regeln für die Malerei, die im absolutistischen Frank­ reich hauptsächlich der Herrscherpanegyrik diente. Heroische Themen und ein klarer Bildaufbau sollten das Bild eines tugendhaften und im Kampf bewährten Louis XIV vermitteln. Der Figurenreichtum und der Akzent auf die koloristische Lichtwirkung, die Mignard in Anlehnung an die genannten italienischen Vorbilder einsetzt, scheinen dem akademischen

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Regelkanon jedoch nicht zu entsprechen. Tatsächlich stand Mignard in direkter Konkurrenz zu LeBrun – beide bemühten sich um königliche Aufträge, darunter Porträts der königlichen Familie23 – und waren auch in Bezug auf die ‚Académie‘ Rivalen. Einen Eintritt in die Akademie verweigerte Mignard, der nicht unter die Ägide des sieben Jahre jüngeren LeBrun geraten wollte, bis er schließlich 1690, nach dem Tod des ‚Premier Peintre du Roi‘, selbst Direktor der ‚Académie‘ wurde. Die Rivalität der Künstler wurde jedoch nicht nur auf dem Feld der Malerei ausgetragen, sondern auch im institutionalisierten Kontext der ‚Académie‘, in dem sich in den 1660er Jahren die Textgattungen Kunstkritik und -theorie eta­ blierten. Molière bezieht sich in seinem Gedicht auf eine Reihe von Autoren und Schriften, die auf kunsttheoretischem und ästhetischem Feld miteinander rivalisierten, wobei der grundlegende Text für seine Argumente schon lange in Charles-Alphonse Dufresnoys De arte ­graphica erkannt worden ist. Der seit einem gemeinsamen Romaufenthalt mit Mignard befreundete Künstler, der auch an der Kuppelausmalung von Val-de-Grâce beteiligt war, verfasste zwischen 1635 und 1656 sein lateinisches Gedicht als eine Art Theorie zur Malerei Mignards. Schließlich war es aber der Kunstschriftsteller Roger de Piles, der 1668 – nach der Publikation des lateinischen Textes durch Mignard – unter dem Titel L’Art de Peinture eine französische Übersetzung veröffentlichte, die jedoch durch Änderungen im Text, Anmerkungen und eine den Akademieforderungen nach allgemeingültigen Kunstregeln entsprechende ‚table de préceptes‘ stärker zu einem Reflex der aktuellen akademischen Kunst geworden war. Diese fast noch druckfrische Stellungnahme zu den Aufgaben der französischen Kunst war der Text, den Molière seinem Gedicht zugrunde legte und damit sowohl den Diskurs der ‚Académie‘ aufgriff als auch eine lobende Beschreibung von Mignards künstlerischen Prinzipien realisierte.

3.3. Heroisierungsstrategien Inwiefern in dieser Lobrede Heroisierungsverfahren zum Einsatz kommen, soll nun genauer erörtert werden. Im Rückgriff auf die im theoretischen Teil formulierten Überlegungen lassen sich im Zusammenwirken von Text und Grafik insgesamt sechs verschiedene Strategien nachweisen, wobei die ersten fünf davon auf kunsttheoretische Argumente rekurrieren, die sechste hingegen auch deutlich die formalen Attribute des Heroischen betont.

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3.3.1. Heroisierungsstrategie I – das Kolorit Molière hebt in Mignards Werk die ‚variété‘ und Lebendigkeit hervor, beides Kategorien, die eine lange Tradition in der italienisch geprägten Kunsttheorie haben. Der Dreiklang von ‚invention‘, ‚dessein‘ und ‚couleur‘, wie er seit Leon Battista Alberti, später von Paolo Pino und Lodovico Dolce in Anlehnung an Quintilians rhetorische Einteilungen etabliert wurde, hat immer wieder unterschiedliche Gewichtungen erfahren. Molière betont vor allem, dass das Kolorit, d. h. die Auswahl, Harmonie, Schattierung und Zusammensetzung der Farben, in seiner Wirkung den Effekt des ‚rilievo‘ hervorrufe (Dufresnoy V. ­267-301, De Piles V. XXXI). Der dabei gezogene Vergleich mit den Bildhauern und der Reliefwirkung von Skulpturen findet sich bereits bei Baldassare Castiglione, Giorgio Vasari, Leo­ nardo da Vinci, Giovanni Battista Armenini bis hin zu André Félibien. Der meisterhafte Einsatz des ‚chiaroscuro‘, von Farbe, Licht und Schatten, wird somit zum einen in Konkurrenz zur Gattung der Bildhauerei gesetzt, zum anderen wird damit auch eine Richtung innerhalb der Malerei zur überlegenen Malweise erklärt. Molière zufolge ist Mignards meisterhafter Umgang mit dem Kolorit ein regelrechter „achèvement de l’art“ (V. 160), der ihn Apelles, einem der großen Kunsthelden der Antike, ebenbürtig macht (V. 156). Das martialische und pathetische Vokabular, das Molière verwendet, um den dynamischen Effekt des ‚­rilievo‘ zu beschreiben, rückt die Kunst Mignards dann auch semantisch in die Sphäre des Heroischen: „La fierté de l’obscur sur la douceur du clair / Triomphant de la toile, en tire avec puissance / Les figures que veut garder sa résistance, / Et malgré tout l’effort qu’elle oppose à ses coups, / Les détache du fond, et les amène à nous“ (V. 182-186). Wüsste man nicht, dass der Dichter hier metaphorisch von einem ‚Kampf‘ der hellen und dunklen Farbeindrücke spricht, könnte man angesichts der Begriffe von ‚fierté‘, ‚Triomphant‘, ‚puissance‘, ‚résistance‘, ‚effort‘ und ‚coup‘ meinen, man habe es mit der Schilderung einer kriegerischen Auseinandersetzung zu tun.24

3.3.2. Heroisierungsstrategie II – das Fresko Ein weiteres malereispezifisches Argument für die Heldenhaftigkeit Mignards bezieht sich auf die Technik der Freskomalerei. Diese Technik, in der Mignard arbeitet und damit, laut Mo­lière, LeBrun übertrumpft, ist eine Malweise, die große

handwerkliche und geistige Kraft verlangt, erlaubt sie es doch nicht, einmal aufgetragene Partien zu korrigieren: „Avec elle il n’est point de retour à tenter; Et tout au premier coup se doit exécuter“ (V. 261-262). Geistesgegenwärtigkeit, Entscheidungsfreudigkeit und Handlungsbereitschaft, allesamt charakteristische Eigenschaften heroischer Figuren, werden als Tugenden des Freskomalers beschrieben. In der Beschreibung Molières gleicht die so beschriebene Leistung des Künstlerhelden, der den entscheidenden Moment, den ‚Kairos‘, für sein Werk nutzt, einer regelrechten Heldentat: „[L]a fresque est pressante, et veut sans complaisance / Qu’un peintre s’accomode à son impatience; La traite à sa manière, et d’un travail soudain / Saisisse le moment, qu’elle donne à sa main“ (V. 255-258). Schon Vasari hatte angesichts des hohen Tempos, das die Arbeit an einem Fresko erfordert, die Qualität der ‚Männlichkeit‘ in die Malereitheorie eingeführt und auch Molière greift diesen Topos auf, wenn er von den „mâles appas“ (V. 274) des Freskos spricht, das über die ansonsten weit verbreitete Ölmalerei „emporte la victoire“ (V. 272). Die Ölmalerei, in der LeBrun gemeinhin gepriesen wird, gerät somit als weiblich konnotierte Kunst in der Hierarchie der Bildkünste ins Hintertreffen und wird in dem Gedicht alleine den schwächlichen „peintres chancelants“ (V. 253) anempfohlen. Im Fresko dagegen „se rencontre unie / La pleine connaissance avec le grand génie“ (V. 263-264).

3.3.3. Heroisierungsstrategie III – das Ingenium Des Weiteren rühmt Molière die ideale „beauté parfaite“ (V. 111) des Kuppelfreskos – eine vollkommene Schönheit, die sich in ihrer ästhetischen Ausgestaltung über das Naturvorbild erhebe. Da die Natur nicht perfekt sei, könne der Künstler das Vorbild absoluter Schönheit nur aus vielen Beispielen nehmen und mit angemessener „varietà“ (V. 133) zusammenfügen, um die Komposition so der idealen Gestalt anzunähern.25 Der „peintre commun“ (V. 135) dagegen, von dem Mignard als geniale Figur des Exzeptionellen abgegrenzt wird, ergehe sich in immer gleichen, das Auge ermüdenden Formen: „De redites sans nombre il fatigue les yeux“ (V. 137). Zur Fähigkeit, das Beste aus der Natur auszuwählen, müsse aber auch noch das Ingenium des Künstlers hinzutreten. Dieses sei sowohl göttliche Kraft (furor divinus, „feu divin“ (V. 27)) als auch intellektuelle Qualität („nobles pensées“ (V. 24))26 und würde nur wenigen Ausnahmegestalten zuteil. Das Ingenium, so hebt

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Intermediale Heroisierungsstrategien bei Molière und Pierre Mignard

Molière wiederholt hervor, habe man oder man habe es nicht – es sei „pouvoir“ (V. 31), „largesse“ (V. 131), „présents du Ciel“ (V. 199) und lasse sich nicht erlernen, so sehr man es auch versuche. Noch lange bevor die Genieästhetik im 18. und 19. Jahrhundert dominant werden sollte, lässt sich in Molières Lobgedicht die Strategie erkennen, Mignard als „génie“ (V. 19, V. 62, V. 242, V. 264, V. 305) bzw. als verdienstvollen „grand homme“ (V. 234, V. 332, V. 341) und damit als Künstlerhelden zu glorifizieren.27 Indem Molière Harmonie, Illusionismus und Grazie sowie eine kohärente Bildganzheit in Mignards Fresko lobt, zeichnet er den Künstler besonders aus, und das bei gleichzeitiger Missachtung der von LeBrun vorgegebenen Regel. Der ‚Premier Peintre du Roi‘ plädierte nämlich für eine Zentralisierung der Bildelemente, d. h. die Ausrichtung auf eine Haupthandlung mit überschaubarer Anzahl von Bildfiguren, die – in Übereinstimmung mit Colberts Kulturprogramm – das Ideal der auf den König als Zentrum ausgerichteten Politik mit ästhetischen Mitteln unterstützen sollte.28 Mignards Figurenstrudel entsprechen nicht dieser Vorgabe der ‚Académie‘, die Hauptfigur zu betonen. Dennoch erreicht auch er es, die wichtigsten Figuren in ganzer Gestalt (d. h. nicht verdeckt durch andere Figuren), in anatomischer Korrektheit und als besonders schöne Erscheinungen darzustellen. Gemäß der italienischen Kunsttheorie, die literarische, höfische und pikturale Diskurse einbezieht, soll der Maler dabei mit Schnelligkeit und ‚sprezzatura‘ verfahren – dem berühmten, mit Baldassare Castiglione und dem idealen Auftreten des Hofmannes assoziierten Begriff29 – und somit auch die schwierigen Partien seines Gemäldes so aussehen lassen, als wären sie mit Leichtigkeit gefertigt.30 Mit dieser ambivalenten Betonung der bei großem Einsatz dennoch mühelos wirkenden Kunstfertigkeit zeichnet Molière letztlich auch das Bild eines Künstlers, das dem Ideal des ‚honnête homme‘ entspricht, wie es in Frankreich bereits in den 1630er Jahren an besonders prominenter Stelle von Nicolas Faret in seinem Buch L’Honnête Homme ou l’art de plaire à la cour (1630) modelliert worden war.31 In der für Molières Gedicht charakteristischen Verbindung von Kraft und Leichtigkeit kommt damit eine Form von Heldentum zum Ausdruck, die im Einklang mit den mondänen ästhetischen Idealen der zeitgenössischen Eliten zwischen ‚la cour‘ und ‚la ville‘ steht.32

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3.3.4. Heroisierungsstrategie IV – die Geschichtskonstruktion Molière folgt in seinem Gedicht der Geschichtskonstruktion eines dunklen und ungebildeten Mittelalters („fade goût des ornements gothiques“ (V. 84), „siècles ignorants“, (V. 85)), in dem die Errungenschaften der Antike untergegangen sind. Diese wurden erst mit der Frühen Neuzeit wiederentdeckt und im Laufe der Zeit zu neuem Glanz gebracht.33 Angesichts des Erstarkens der französischen Kunst und Literatur im Barock und in der Klassik teilen Molière und De Piles die Überzeugung, dass man sich einem neuen Gipfel annähere.34 War es für Dufresnoy noch unvorstellbar, dass moderne Künstler wieder das Niveau eines Zeuxis oder Apelles erreichen,35 sieht Molière in Mignard eine diesen antiken Vorbildern vergleichbare Künstlernatur. Als Apelles ebenbürtiger Künstler wird er zur Gallionsfigur seines Zeitalters erhoben und die etablierten Kunsthelden Giulio Romano, Annibale Carracci, Raffael und Michelangelo als „Mignards de leur siècle“ (V. 277) bezeichnet.36 Damit wird also nicht etwa Mignard zum neuen Raffael erklärt, sondern vielmehr dieser qua anachronistischem Umkehrschluss zu einer Präfiguration des französischen Barockmalers. Neben Raffael (für die Invention), Michel­ angelo (Komposition, Form), Romano und Carracci führt Molière auch Correggio (Licht und Schatten) und Tizian (Harmonie des Kolorits) als weitere Vorläufer in der Genealogie heroischer bzw. gottähnlicher Künstlernaturen an. Raffael und Michelangelo wurden in der Kunstliteratur häufig mit dem Epitheton ‚göttlich‘ hervorgehoben und auch Tizians Bezeichnung als „Diuu­s appellatus“ (V. 534) wird in der von Molière übernommenen Reihe bei Dufresnoy genannt. Mignard wird als neuer Apelles in diese Folge aufgenommen, die göttliche Qualität dabei aber auf sein Werk bezogen: ebenso wie Zeuxis „fit aller du pair avec le grand Apelle“ (V. 155), zeigt sich auch Mignard dem antiken Vorbild durch sein malerisches Talent als ebenbürtig.37 Wie die italienisch konnotierte Technik des Freskos wird Mignard in Molières Gedicht als „Romain“ (V. 234) bezeichnet und im zeitgenössischen System kultureller Referenzen durch diese bedeutungsreiche Nennung auch in die Nähe anderer römischer Heldenfiguren gerückt, die – beispielsweise vermittelt über viel gespielte, gelesene und diskutierte Dramen wie Corneilles Horace (1641), Cinna ou la clémence d’Auguste (1643), La mort de Pompée (1644), Sertorius (1662) oder Othon (1665) – die Heldendiskurse der Zeit stark prägten.38

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3.3.5. Heroisierungsstrategie V – der Kupferstich oder der unsterbliche Ruhm „La Peinture peignant d’aprés la Verité, qui lui est montrée par le Tems”39 – die so von SimonPhilippe Mazières de Monville in dessen Biographie zu Pierre Mignard beschriebene Allegorie setzt einen programmatischen bildlichen Schlusspunkt, der seit der mit Privilège versehenen Edition 1669 kontinuierlich Verwendung findet und die literarischen Heroisierungsstrategien Molières durch weitere mediale Formen der Hervorhebung ergänzt. Zu sehen ist in diesem Kupferstich die in Rückenansicht gezeigte Personifikation der Malerei, die von Chronos auf das Modell, die (nackte) Wahrheit, hingewiesen wird [Abb. 3]. Neben den Kunstzitaten, die Mignard damit aufruft,40 spielt er mit Überlagerungen mehrerer topischer Szenen. Eine Bedeutungsebene liegt in der Vorbildhaftigkeit der Naturschönheit, die in der Kunst als ideale Schönheit zur Vollendung gebracht wird. Die Landschaft im Hintergrund markiert dabei den Anteil der Natur, die venusartige Wahrheit steht hingegen auf gerastertem Boden, bereit, von der Malerei auf der Leinwand festgehalten zu werden. Dass Chronos und Wahrheit ein zusammengehöriges Paar bilden, wird nicht nur durch dessen Gestik und das Attribut der Sanduhr in den Händen der Frau deutlich, ihre Verbindung erschließt sich dem gelehrten Leser auch durch die ‚Veritas filia Temporis‘-Allegorie (die Wahrheit als Tochter der Zeit). Mit der Malerei erweitert sich das Schema jedoch noch und alludiert die von Plinius berichtete Apelles-Kampaspe-Szene. Der antike Maler, mit dem Molière Mignard im Gedicht vergleicht, genoss laut Plinius nicht nur das Privileg, Alexander den Großen zu malen, er durfte auch dessen Geliebte Kampaspe porträtieren. Bei einem Besuch in Apelles’ Atelier bemerkt Alexander, dass sich der Maler in sein schönes Modell verliebt hat und überlässt ihm daraufhin großzügig seine Geliebte. Dieses Motiv, das die Beziehung zwischen Herrscher und Künstler und ihre reziproke Rangsteigerung zum Thema hat, dient zunächst der Heroisierung Mignards durch den Vergleich mit dem exzeptionellen antiken Künstler Apelles. Zudem wird Louis XIV durch die Beziehung Künstler – Mäzen mit Alexander und damit einem der profiliertesten Helden der Tradition in Bezug gesetzt. Der König erscheint als Chronos bzw. Saturn, d. h. allegorisiert in der Gestalt eines Gottes, und übernimmt dessen Eigenschaft als Kunstförderer. Nicht die zerstörerische Zeit ist nämlich mit Chronos figuriert, sondern das Anbrechen einer neuen Zeit, in der die Kunst zu neuer Blüte und neuem Glanz geführt

wird.41 Mit Saturn verbindet sich so eine positive Zeitvorstellung, die Lügen und Neid durch ihre Entlarvung besiegt und die Wahrheit – die in der Kunst und Wissenschaft liegt – ans Licht bringt.42 Als die wahre Kunst gilt dabei Mignards Malerei, sein Ingenium und sein Talent in allen drei Teilen (Idee, Komposition/Zeichnung und Kolorit), wie sie in den die Malerei flankierenden Figuren personifiziert sind. Molières Geschichtskonstruktion vom dunklen Mittelalter und der neu erstrahlenden Gegenwart geht völlig auf in der Ikonographie des Chronos als Wiedererwecker der Künste, die die Kunstförderung des Herrschers allegorisiert und im Kult um Louis XIV gipfelt (Hoberg 6-7). Der unsterbliche Ruhm, der Mignard zuteil wird und der ihn über Chronos erhebt, gründet sich auch auf Molières Text, dessen letzte Zeilen auf der gleichen Seite wie der Kupferstich abgedruckt sind. Somit sind es zwei Kunstwerke bzw. Künste, die vor Chronos bewahrt und von Louis XIV gefördert werden: das Fresko Mignards und die Dichtung Molières.

3.3.6. Heroisierungsstrategie VI – die formalen Attribute des Heroischen Neben diesen im weitesten Sinne kunsttheoretisch motivierten und begründeten Heroisierungsstrategien finden sich über den Text verteilt auch Beispiele dafür, dass Mignard von Molière noch auf einer anderen Abstraktionsebene mit den vier oben genannten formalen Attributen des Heroischen, namentlich Autonomie, Transgressivität, Agonalität und Charisma, als heroische Figur gekennzeichnet wird. Die Autonomie, d. h. die Handlungsmächtigkeit und die selbstbestimmte Tätigkeit Mignards, wird immer wieder besonders betont: So wird er beispielsweise als ein Maler beschrieben, der das Fresko „traite à sa manière“ (V. 257) und sich ganz seinen „emplois de feu“ (V. 348) verschreibt. Während die gewöhnlichen Maler Techniken wie die Ölmalerei wählen, die es ihnen erlauben, die zögerlich getroffenen Entscheidungen zu korrigieren, trägt Mignard mit kräftigen und souveränen „coups de pinceau“ (V. 177) seine Farben auf die Kuppel der Kirche Val-de-Grâce auf. In diesem Zusammenhang wird die Tatkraft des heroischen Malers wiederholt auch metonymisch mit der erregten und schnell agierenden Hand gleichgesetzt: Einmal ist es die „main prompte à suivre un beau feu qui la guide“ (V. 267), ein andermal ist es die „main, qui se met en chaleur“ (V. 313).

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Die Transgressivität, d. h. die Überschreitung von Normen, der Bruch mit den Konventionen und die Erschließung neuer Handlungsmuster und Werte, wird Mignard von Molière ebenfalls wiederholt zugeschrieben. So wird beispielsweise darauf verwiesen, dass er sich in allen Belangen vom „peintre commun“ (V. 135) abhebt und als „grand peintre“ (V. 131) eine Stellung außerhalb des Gewöhnlichen einnimmt. Das Fresko mit seiner besonderen Betonung des Kolorits, das – wie bereits oben ausführlich erläutert wurde – in Kontrast zum normativen Malereiprogramm der ‚Académie‘ stand, lässt Mignard als einen innovativen Künstler erscheinen, der bewusst die Konfrontation mit der kunstpolitischen Obrigkeit sucht. Immer wieder hebt Molière (aus kunsthistorischer Sicht zu Unrecht) hervor, dass ein Fresko wie jenes Mignards ein absolutes Novum darstelle („Cette belle peinture inconnue en ces lieux“, (V. 238), „Jamais rien de pareil n’a paru dans ces lieux“ (V. 281)), das das Publikum überwältige und in seinen Bann schlage: „Et la belle inconnue a frappé tous les yeux“ (V. 282). Damit greift Molière eine wichtige rezeptionsästhetische Beschreibungskategorie auf: das Staunen, das sich in der überraschenden Erscheinung des Kunstwerks und der künstlerischen Fertigkeit begründet, wurde – häufig im Vergleich mit der Dichtung – als bedeutungsvoller Affekt von Lomazzo, Armenini, Comanini und Zuccari beschrieben.43 Die Agonalität Mignards, d. h. seine Kampfbereitschaft, sein leidenschaftlicher Einsatz und seine Freude am Wettstreit, ist ein weiterer Punkt, der für die Heroisierung des Malers in dem Gedicht von entscheidender Wichtigkeit ist. Zum einen ist in diesem Kontext immer wieder die Rede von den gewaltigen „travaux“ (V. 37, V. 236, V. 331) und dem „effort“ (V. 41) des Künstlers, der sich ganz in den Dienst seiner Werke stellt. Und zum anderen stilisiert Mo­lière die Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Malstilen zu einem erbitterten Wettstreit, in dem Mignards Freskotechnik „[s]ur les honneurs de l’autre emporte la victoire“ (V. 272). Weiter oben konnte bereits gezeigt werden, dass der Dichter mit Begriffen wie ‚fierté‘, ‚puissance‘, ‚résistance‘, ‚effort‘ und ‚coup‘ zudem systematisch auf eine kriegerisch-agonale Semantik zurückgreift. Das Charisma schließlich, d. h. die göttliche Begabung, die auratische Wirkung und die Anziehungskraft, die Mignard bzw. seinem Kunstwerk zugesprochen wird, ist ein letztes Attribut des Heroischen, das von Molière im Verbund mit den Kennzeichen Autonomie, Transgressivität und Agonalität verwendet wird, um seinen Freund zum Künstlerhelden zu stilisieren. Indem Mig­nard als genialer Künstler mit einer göttlichen

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„pouvoir“ (V. 31), mit Gaben, die als „largesse“ (V. 131) und „présents du Ciel“ (V. 199) bezeichnet werden, ausgestattet wird, hebt er sich als ein auserwähltes Individuum von der Masse gewöhnlicher Künstler ab. Molière schwärmt, dass seine Werke ein gewisser Zauber („merveille“, (V. 204); „miracles“ (V. 286)) umspiele, der sich als Phänomen des Inkommensurablen letztlich allen rationalen Erklärungsversuchen entziehe. Mignards Kunstwerke „font voir / Ce que l’esprit de l’homme a peine à concevoir“ (V. 325-326). Für die starke Anziehungskraft, die sie so auf die Betrachter ausüben, findet sich gleich eine ganze Reihe von umschreibenden Begriffen. Einmal ist die Rede von „charme“ (V. 29), ein andermal von „force“ (V. 30) und nachdem es einmal heißt, dass das Kunstwerk „[a]ttirera les pas des savants curieux“ (V. 206), gipfelt die Schilderung der charismatischen Wirkung des Schöpfers und seines Kunstwerks bezüglich der Höflinge in der Feststellung, es habe „pour quelque temps fixé l’inquiétude; / Arrêté leur esprit; attaché leurs regards“ (V. 288-289). Indem das Gemälde durch sein „brillant de grandeur“ (V. 93), seinem Eindruck von Licht und Größe, gleich doppelt visuell hervorsteche, ziehe es die Zuschauer in seinen charismatischen Bann. Diese Wirkung ist auch dem strahlenden Helden eigen.

4. Ut pictura poiesis Molière widmet sich in seinem Gedicht aber nicht nur lobend Mignard und seinem Werk, sondern, so die These, schafft es dabei auch auf subtile Art und Weise, sich qua Fremdheroisierung selbst zu heroisieren. Bevor es in der Folge darum geht, dies herauszuarbeiten, sei in aller Kürze gezeigt, wie Molière sich unter Rückgriff auf kunst- und literaturtheoretische Topoi als sprachbegabter Kunstkenner inszeniert, der dadurch zwar noch kein Held, wohl aber eine bewundernswerte Ausnahmegestalt ist. Als solche zeigt er sich letztlich selbst dem König ebenbürtig, wird dieser doch auch als ein Mann beschrieben, der mit einem „goût délicat des savantes beautés (…) [d]écide sans erreur, et loue avec prudence“ (V. 294-296).

4.1. Kunstkennerschaft Die Beschreibung des Kuppelfreskos leitet Molière, wie bereits weiter oben gezeigt werden konnte, als ‚Schule des Sehens‘ ein. In der paradoxen Definition des Kunstwerks als „école ouverte“ (V. 44) und Mysterium, hält er nicht nur das Talent des Künstlers hoch, das letztlich allen

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Regeln enthoben ist, sondern erklärt sich auch selbst zum Kunstkenner und -vermittler. Obwohl Molière selbst kein Mitglied der Académie ist, verfügt er doch über genügend theoretisches Wissen, um sich in seinem Lobgedicht als fachkundiger ‚amateur‘ darzustellen, der darüber hinaus das Vermögen besitzt, das Kunstwerk durch seine Sprachfertigkeit blicklenkend dem Betrachter näherzubringen.44 Der auf die Ars Poetica des Horaz zurückgehende Topos des ‚ut pictura poiesis‘, den Mo­lière verwendet, um die Nähe der Künste Dichtung und Malerei im Sinne eines Schwesternverhältnisses („la Poésie, et sa sœur la Peinture“, (V. 63)) zu betonen, ist in den kunsttheoretischen Schriften des 17. Jahrhunderts gängige Münze und überrascht deshalb kaum. Er findet sich in Molières Text in einer Formulierung, die den von Plutarch überlieferten Ausspruch des Simonides aufgreift, wonach die Malerei stumme Dichtung und die Poesie sprechende Malerei sei: „ces deux sœurs si pareilles/ Charment, l’une les yeux, et l’autre les oreilles“ (V. 67-68). Auch mit dem Rat, sich beim Malen nach den Gesten der Stummen zu richten, pflegt Molière die kunsttheo­retische Tradition (Alberti, Leo­ nardo).45 Die Beziehung der Künste wurde dabei ob ihrer Kunstmittel und Wirkung häufig auch als Paragone, als Wettbewerb und Rivalität dargestellt – ein Standpunkt, der in Molières Umfeld unter anderem von Claude Perrault, Sekretär der ‚Petite Académie‘46 und später auch Mitglied der ‚Académie Royale de Peinture et de Sculpture‘ sowie Organisator der ‚Conférences‘, vertreten wurde.47 Jean de La Fontaine bringt diese rivalisierende Haltung zum Ausdruck, wenn er, der Dichter, in seinem Fragment gebliebenen Langgedicht Le Songe de Vaux von 1671 provokativ zuspitzt: „Enfin, j’imite tout par mon savoir suprême; / je peins, quand il me plaît, la peinture elle-même“ (La Fontaine 108). Für Molière sind Dichtung und Malerei jedoch gleichwertige Ausdrucksmittel, was nicht zuletzt dadurch zu Tage tritt, dass er Metaphern aus dem Bereich des Theaters verwendet, um Mignards Fresko zu beschreiben. Wie bereits René Bray, Emmanuelle Hénin und Jacqueline Lichtenstein zeigen konnten, handelt es sich bei Molières Bildbeschreibung aber interessanterweise nicht um eine traditionelle Ekphrasis („Le poème (…) ne décrit point l’œuvre qui lui donne son titre.“ (Bray 194)), sondern vielmehr um eine „théorie enveloppée de fiction dramatique“ (Hénin 34)48 bzw. eine „véritable théorie colorist­e de la peinture“ (Molière 1349), die sowohl als eine Apologie des Malstils Mignards als auch der eigenen Dramenkunst verstanden werden kann. Dieser freilich an keiner Stelle explizit gemachte Argumentationszusammenhang wird augenscheinlich, wenn man zum einen beachtet, wie

über den ganzen Text verteilt immer wieder eine wesenhafte Nähe zwischen den beiden Künsten betont wird, und zum anderen vergleicht, inwiefern die Charakterisierung der Kunst Mignards auf Grundsätze der Poetologie Molières zurückzuführen ist.49 So wird die durch das Fresko ausgestaltete Kuppel etwa als ein „ample thé­ âtre“ (V. 20) und ein „spectacle“ bezeichnet, in dem die „première figure“ bzw. der „héros“ dem „spectateur“ gegenüber als „plus beau personnage“ eine besondere „rôle“ (V. ­92-98) einnimmt. Das Theater und die Malerei, das suggerieren Molières Ausführungen, bedienen sich gleicher oder doch zumindest ebenbürtiger Mittel, um den „achèvement de l’art“ (V. 160) zu realisieren. So sieht Molière – wie Hénin es ausdrückt – in Mignards Freskomalerei den „reflet de sa propr­e pratique“ (Hénin 41). Genau genommen ist es der Autor, der die Qualitäten der Malerei beschreibt und damit seine eigenen Fähigkeiten an den Endpunkt des Vergleichs setzt – es braucht den Dichter und Kunstkenner Molière, um die außergewöhnliche Qualität der Schöpfung Mignards zu verstehen und zu vermitteln.

4.2. Selbstheroisierung qua Fremd­ heroisierung Über die größtenteils topische Engführung der beiden Kunstformen hinaus lässt sich auch nachweisen, dass die Heroisierung Mignards eine Selbstheroisierung Molières impliziert. Indem signifikante Parallelen in der Spezifik der beiden künstlerischen Ansätze betont werden, treten beide als Künstlerhelden hervor. Die lebhafte „diversité“ der Formen, Farben und Figuren (V. 133), die das Fresko Mignards wirklichkeitsgetreu erscheinen lässt, ist ein wesentliches Merkmal der großen Charakter- und Sittenkomödien Molières. In diesen als „miroirs publics“ (Molière 502-503)50 konzipierten Stücken werden repräsentative Figuren der Zeit mit ihren Lastern und Schwächen dargestellt, wobei großer Wert darauf gelegt wird, dass die „peinture de leurs défauts“ (Molière 93)51 nicht im rein Typenhaften verharrt, sondern die Vielfalt der Charakterzüge individueller ‚personnages‘ erkennen lässt. In der Einleitung zur Neuauflage der Gesammelten Werke Molières heben Georges Forestier und Claude Bourqui bezüglich dessen ‚programme de peinture de mœurs‘ in diesem Sinne auch hervor, dass sich Molière als erster Komödiendichter seiner Zeit explizit mit den verschiedenen Werten und Verhaltensweisen seines durchaus heterogenen Publikums auseinandergesetzt habe: „Par rapport à celles de ses prédecesseurs et de ces concurrents, les comédies de Molière se singularisaient donc par

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un degré absolument inédit d’intégration des valeurs du public“ (Molière, I, 30). Auch schreibt Molière der Kunst Mignards und seinem eigenen Theater eine ähnliche Wirkung zu. Mignards Fresko habe „touché de la cour le beau monde savant“ und selbst auf die weniger gebildeten Höflinge einen starken Effekt ausgeübt. Es habe „fixé l’inquiétude; / Arrêté leur esprit; attaché leurs regards“ (V. 285-289). In La critique de l’École des femmes expliziert Uranie dem ganz ähnlich Molières Verständnis der Komödie, wenn sie sagt: „Pour moi, quand je vois une Comédie, je regarde seulement si les choses me touchent“ (Molière, I, 507). Auch wenn sich Molière in dem stark poetologisch geprägten Stück klar von der aristotelischen Poetik abgrenzt, unterstreicht er doch die affektive Wirkung, die einen zentralen Wert der dramatischen Kunst ausmache. Steht bei Aristoteles mit Blick auf die Tragödie die kathartische Wirkung der Affekte ‚phobos‘ und ‚eleos‘ im Mittelpunkt, so ließe sich Molières wirkungsästhetisches Programm freilich besser auf die Begriffe ‚toucher‘ und ‚plaire‘ zuspitzen – eine Wirkung, die sich ihm zufolge auch bei der Betrachtung von Mig­ nards Fresko einstelle. Dass sich Molière durch die Engführung der besagten ästhetischen Gestaltungsprinzipien implizit auch selbst heroisiert, wird besonders dann deutlich, wenn man bedenkt, welcher Stellenwert der Fähigkeit zum schnellen Handeln in der weiter oben analysierten Heroisierung Mig­ nards zukommt. Die „justesse rapide“ (V. 268), mit der dieser seinem „travail soudain“ (V. 257) im Fertigungsprozess des Freskos nachkommt, lässt sich sehr gut auf Molières eigenen Schaffensprozess rückbeziehen. In dem selbstreferentiellen Einakter L’Impromptu de Versailles, 1663 uraufgeführt, aber erst 1682 posthum publiziert, lässt Molière seinen gleichnamigen Protagonisten ausdrücklich den Wert des schnellen Arbeitens hervorheben: Molière: Mon Dieu, Mademoiselle, les Rois n’aiment rien tant qu’une prompte obéissance […]. Ils veulent des plaisirs qui ne se fassent point attendre […] et lorsqu’ils nous ordonnent quelque chose, c’est à nous à profiter vite de l’envie où ils sont. Il vaut mieux s’acquitter mal de ce qu’ils nous demandent, que de ne s’en acquitter pas assez tôt; et si l’on a la honte de n’avoir pas bien réussi, on a toujours la gloire d’avoir obéi vite à leurs commandements. (Molière 823) Gerade die von Louis XIV beauftragten Stücke mussten oftmals unter erheblichem Zeitdruck fertig gestellt werden und es überrascht nicht, wenn Molière die exzeptionelle Fähigkeit, Werke

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schnell und kunstfertig auszuführen, an zentraler Stelle erwähnt, um sich selbst qua Fremdheroisierung zu einem Helden der literarischen Kunst zu stilisieren.

4.3. Die Künstler auf dem Parnass Der dem Gedicht in der Edition von Le Petit voran­gestellte Kupferstich Minerve conduisant la Peinture sur le Parnasse [Abb. 4] greift die Thematik der Selbstheroisierung qua Fremd­ heroisierung auf. Er zeigt, wie die Allegorie der Malerei von Minerva, der Schutzgöttin der Malerei, auf den Parnass geführt wird, wo die Musen zu Füßen ihres Gottes Apoll ruhen.52 Dieser, lorbeerbekrönt und mit seinem Attribut, der Leier, im Arm, kann durch Embleme des Rahmens – eine weitere Leier, flankiert von zwei Adlern – und der darüberstehenden strahlenden Sonne mit Louis XIV assoziiert werden.53 Der König bietet den Künsten und Wissenschaften ‚sicheres Asyl‘, sein politischer Erfolg wird mit dem Aufstieg und der Entwicklung der französischen Künste als Zeichen seiner Macht parallelisiert: „et même à mesure que les Armes de Sa Majesté faisoient de nouvelles conquêtes, ils faisoient aussi de nouveaux progrez pour rendre plus mémorable le règne de ce puissant Mo­ narque“ (Félibien 7).54 Obwohl Apoll meist deutlicher mit der Dichtung (etwa durch das Attribut der Leier) als mit der Malerei assoziiert wird, kann mit der Sonnenemblematik im Umfeld Louis‘ auch auf die Bildende Kunst verwiesen werden. Laut Perraults mythischer Schöpfungsgeschichte der Malerei ist es die Louis-Apoll repräsentierende Sonne, die „mit ihren Strahlen jedem Ding seine Farben wie mit dem Pinsel“ (Brassat 360)55 verleiht. Der Herrscher erscheint durch die Überblendung mit dem Musengott Apoll selbst als heroischer ‚Schöpfer‘ – eine seit der Renaissance gebräuchliche Bezeichnung für Künstler, die ihre intellektuelle und geistige Qualität betont. Dank der Förderung des schöpferisch-heroischen Königs Louis-Apoll wird die Malerei in das Reich der Musen aufgenommen und damit – ähnlich der Aufnahme von Helden in den Götterhimmel Olymp – heroisiert. Vermittelt über die Heroisierung der Malerei wird in dem Kupferstich aber auch die Dichtung ausgezeichnet: Durch das bekannte Wortspiel von Apelles und Apollo, der in erster Linie der Gott der Dichtkunst ist, wird der bereits im Gedicht mit dem Topos der Schwesternkünste realisierte Vergleich von Malerei und Dichtung aufgenommen. Es ist in einer weiteren Bezugsebene nicht nur der Maler Mignard – vertreten durch die Allegorie der Malerei –, sondern auch der Dichter

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Molière auf dem Weg zum Parnass, zum Musengott Apoll. Dies wird nicht nur im Bild durch die Zuständigkeitsbereiche von Minerva (Kunst) und Apoll (Dichtung) inszeniert, sondern erschließt sich auch durch den Umstand, dass der Kupferstich ein paratextuelles Element des Gedichtes von Molière ist. Die Kunst und die Dichtung sind über das Medium des Druckes damit auch auf einer ganz konkreten, materialen Ebene mitei­ nander verbunden.

5. Fazit Das Gedicht La Gloire du Val-de-Grâce ist ein herausragendes Beispiel intermedialer Heroisierungsstrategien. Vor dem Hintergrund einiger allgemeiner theoretischer Überlegungen konnte das Enkomium mitsamt seiner Kupferstiche gewinnbringend einer konkreten Modellanalyse unterzogen werden. Dabei wurde gezeigt, inwiefern (künstlerisches) Heldentum mit sozialen Funktionalisierungen wie auch mit Prozessen der interpersonalen Zuschreibung und der medialen Kommunikation verbunden ist. Das Phänomen der Heroisierung konnte selbst wiederum im Spannungsfeld von künstlerischer Praxis, Kunsttheorie und professioneller Pragmatik verortet und am Analysegegenstand des Enkomiums nachgewiesen werden. Die in Molières Lobgedicht angelegte Intermedialität ergibt sich nicht nur thematisch durch die literarische Beschreibung eines Kunstwerks. Durch den Topos des ‚ut pictura poiesis‘, den Molière beziehungsreich ausgestaltet, setzt er seinen Künstlerhelden Mignard mit sich selbst als Heldenmacher in Beziehung. Das lebhafte Kolorit, dem eine wesentliche Rolle im Zusammenhang diesr Argumentation zukommt, zeichnet Molière zufolge nicht nur Mignard gegenüber LeBrun aus, sondern wird zur Chiffre für das eigene literarische Schaffen. Eine ähnliche Parallelisierung verbindet die Technik der Freskomalerei mit Molières Produktionsweise: Beide setzen einen schnell, entschlossen und beherzt agierenden Künstler voraus, der sich damit als heroische Figur des Außergewöhnlichen vom ‚artiste commun‘ abhebt. Vor dem Hintergrund der virulenten Debatten der ‚Académie‘ und dem sensiblen Verhältnis zur kunstfördernden Obrigkeit stehen Künstler wie Molière und Mignard unweigerlich in Konkurrenzen und Abhängigkeiten, die anhand der besprochenen Heroisierungsstrategien letztlich auch als intermedialer Wettstreit und als Überbietungsstrategie der ‚richtigen‘ Kunstmittel verstanden werden müssen. Durch die Heroisierung des Künstlers und seiner Kunst – in

diesem Fall direkt von Mignard und dem Fresko in Val-de-Grâce, indirekt von Molière und seinem dichterischen Schaffen – stehen sich zwei Medien jedoch nicht konkurrierend gegenüber, vielmehr gehen sie eine schwesterliche Beziehung ein. Mit den Heroisierungsstrategien begegnen Molière und Mignard, gewissermaßen vereint als heroische Kampfgefährten, ihren Kritikern und schlagen diese mit den Waffen ihrer künstlerischen Theorie und Praxis. 1 Der Illusionismus der figurenreichen Spiralstruktur, die ein Abbild der göttlichen Unendlichkeit suggeriert, wurde zuerst 1530 in der Himmelfahrt Mariä im Dom zu Parma von Correggio zelebriert. Auch Lanfranco in Sant’ Andrea della Valle in Rom schuf ein ähnlich strukturiertes Kuppelfresko, gefolgt von Cortonas Trinität 1647-51 und der Himmelfahrt Mariä 1659-60 in der Chiesa Nova (Santa Maria in Vallicella). 2 Der Hinweis auf die Rezeption des Werkes, insbesondere auch bei Perrault, ist Jacqueline Lichtensteins Notice in der Ausgabe der Bibliothèque de la Pléiade zu verdanken. Vgl. dazu Molière 1347. 3 Die Abtei wurde 1621 von Anne d’Autriche gegründet. Für den Bau der neuen Kirche von Val-de-Grâce legte Louis XIV 1645 den Grundstein. Er wurde nach Plänen von François Mansart begonnen, nach einer Bauunterbrechung durch die Fronde dann von Jacques Lemercier, Pierre Le Muet und Gabriel Le Duc vollendet. 4 Dies ist der einzige Ort ihrer Darstellung als Ganzfigur, im dekorativen Programm der Kirche ist die Königin sonst vertreten durch Wappen oder Monogramm. 5 Vgl. dazu Germann, Jennifer. „The Val-de-Grâce as a Portrait of Anne of Austria. Queen, Queen Regent, Queen Mother.“ Architecture and the Politics of Gender in Early Modern Europe. Hg. Helen Hills. Aldershot: Ashgate, 2003: 47-61 und Rotmil, Lisa A. „Understanding Piety and Religious Patronage. The Case of Anne of Austria and the Valde-Grâce.“ Art in Spain and the Hispanic World. Essays in Honor of Jonathan Brown. Hg. Sarah Schroth. London: Holberton, 2010: 267-281. 6 Das Privilège der ersten, bei Jean Ribou 1669 in Paris erschienenen Ausgabe ist auf den 5.12.1668 datiert. Sehr wahrscheinlich hat es unmittelbar davor aber bereits Lesungen Molières im Salon der Mlle de Bussy gegeben. Vgl. dazu Molière 1346. Zur Freundschaft der beiden Künstler vgl. ebd. und Bray 194. 7 Es kann vermutet werden, dass Molière selbst mit Mig­ nard, der die zeichnerischen Vorlagen schuf, über die Platzierung und Gestaltung der Kupferstiche übereinkam. Die Illustration von gedruckten literarischen Werken war im 17. Jahrhundert üblich und wurde zunehmend als ergänzender und erklärender Buchschmuck verstanden. Zwar hatte auch der Verleger ein kaufmännisches Interesse an der Ausgestaltung des Druckes, doch sind die Abbildungen in Molières Gedicht argumentativ so tiefgründig, wie es nur eine Zusammenarbeit zwischen Autor und Künstler erlaubt. Der ausführende Kupferstecher François Chauveau illustrierte einige Werke von Molière, La Fontaine und Racine (vgl. Funke, Fritz. Buchkunde. Ein Überblick über die Geschichte des Buches. 6. überarb. und ergänzte Aufl. München: Saur, 1999: 291). 8 In weiten Bereichen der Geistes- und Sozialwissenschaften wird bislang oftmals mit Begriffen wie ‚Held‘, ‚heroisch‘ und ‚Heroisierung‘ sowie ihren jeweiligen Derivaten operiert, ohne sie theoretisch und methodisch weiter einzugrenzen und in ihren jeweiligen sozialen, kulturellen und medialen Konfigurationen zu verorten. Der Freiburger SFB 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“, in dessen

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Intermediale Heroisierungsstrategien bei Molière und Pierre Mignard

interdisziplinärem Kontext beide Autoren forschen, hat sich diese fehlende historisch perspektivierte Analyse zum Ziel gesetzt. Der vorliegende Beitrag widmet dem Phänomen der Heroisierung zum einen eine dezidiert theoretische Aufmerksamkeit, vollzieht dieses zum anderen aber auch an der konkreten Auseinandersetzung mit schriftlichen und pikturalen Zeugnissen nach. 9 In Frankreich vollzieht sich diese Weitung des Begriffs héros etwa in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Herbert Kolb geht in einem insgesamt gut dokumentierten Aufsatz der Kongruenz und Differenz der als „moralisch“ und „literarisch“ bezeichneten Heldenbegriffe nach, gibt allerdings einen falschen Erstbeleg für die Verwendungsweise von héros als Hauptfigur an: Er führt ihn auf das Examen von Corneilles Polyeucte zurück, übersieht dabei aber, dass dieses erst der Edition von 1660 beigefügt wurde und nicht schon, wie fälschlicherweise angenommen, der Erstausgabe von 1643. Vgl. Kolb, Herbert. „Der Name des ‚Helden‘: Betrachtungen zur Geltung und Geschichte eines Wortes.“ Zeiten und Formen in Sprache und Dichtung. Hg. Karl-Heinz Schirmer. Wien: Böhlau, 1972: 384-406. 10 Die Begriffe werden unter 3.3.6. näher erläutert. Vgl. dazu auch den Grundlagentext des Freiburger SFB 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“, in dem unter anderem diese vier Attribute im Sinne einer Wittgenstein’schen ‚Familienähnlichkeit‘ zur heuristischen Bestimmung heroischer Figuren angeführt werden: von den Hoff u. a. 8. 11 Vgl. speziell für den Aspekt der Heroisierung Hans W. Hubert zu Michelangelos David-Statue: Hubert, Hans W. „Gestalten des Heroischen in den Florentiner DavidPlastiken.“ Heroen und Heroisierungen in der Renaissance (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 28). Hg. Achim Aurnhammer u. a. Wiesbaden: Harrassowitz, 2013: 181-218. 12 Ca. 1637-38, Öl auf Leinwand, 159 x 206 cm, Paris, Musée du Louvre; eine zweite Fassung in New York, Metropolitan Museum of Art. 13 1661-65, Öl auf Leinwand, 707 x 450 cm, Paris, Musée du Louvre. 14 Der Frage nach den Formen auratischer Repräsentation des Helden in Frankreich vom 17. bis zum 19. Jahrhundert gehen Andreas Gelz und Jakob Willis in einem romanistischen Teilprojekt des SFB 948 nach. 15 Im Anschluss an Soeffners Überlegungen zum Heiligen lässt sich zeigen, wie der Held über indexikalische Zeichen wie den Glanz als reines Präsenzerlebnis und als ein inkommensurables Phänomen des Exzeptionellen konstruiert wird. 16 Heroisierung und Divinisierung verfügen somit über ein vergleichbares Repertoire an Verfahren, weshalb beide, nicht zuletzt auch durch den antiken Ursprung der Helden als Halbgötter, nicht immer klar voneinander abzugrenzen sind. Das Heroische kann ebenso im Zeichen des Religiösen auftreten, wie das Religiöse im Zeichen des Heroischen, so dass es beispielsweise auch schwierig bis unmöglich ist, ein Phänomen wie den Glanz des Helden losgelöst von seinen religiösen Implikationen zu betrachten. 17 Zur Imitation Alexanders des Großen im römischen Bildnis und der besonderen Rolle der Stilisierung der Haartracht vgl. Fittschen, Klaus. „‚Barbaren-Köpfe‘: Zur Imitation Alexanders des Großen in der mittleren Kaiserzeit.“ The Greeks Renaissance in the Roman Empire. Hg. Susan Walker u. a. (Papers from the tenth British Museum Classical Colloquium). London: University of London Institute of Classical Studies, 1989: 108-113. 18 Dass auch Künstler zum Helden stilisiert werden können, zeigt sich in diversen Formen der Fremd- und Selbstheroisierung: Michelangelo etwa ist der ‚göttliche‘ Künstler; Rubens inszeniert sich als Malerfürst, dessen politisch und intellektuell aufgeladene Werke sogar in diplomatischen

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Verhandlungen über Krieg und Frieden eingesetzt werden (vgl. Jacob-Friesen, Holger. „Malender Philosoph, Gelehrter Edelmann und Diplomat. Zu Rubens’ Selbstverständnis und Selbstdarstellung.“ Peter Paul Rubens. Ausst.-Kat. Wuppertal 2012-2013. Hg. Gerhard Finckh u. a. Wuppertal: Von der Heydt-Museum, 2012: 128-145); Poussin überwindet agonal die Grenzziehungen französischer und italienischer Kunst und damit nationale Schranken. Insbesondere die Literatur und Biographik hat mit topischen Überhöhungsstrategien regen Anteil an der Heroisierung von Künstlern (vgl. den in Vorbereitung befindlichen Sammelband Helm, Katharina u. a. Hg. Künstlerhelden? Heroisierung und mediale Inszenierung von Malern, Bildhauern und Architekten. Merzhausen: ad picturam, 2015). 19 Die Tatsache, dass sich Molière in der Entstehungszeit des Gedichts trotz des allgemeinen Erfolgs auch mit der teilweise sehr erbitterten Kritik an seinem bereits 1664 uraufgeführten, aber erst im Februar 1669 in einer deutlich veränderten Version endgültig auf die Bühne gebrachten Stück Tartuffe ou l’Imposteur auseinandersetzen musste, legt ebenfalls nahe, dass er in dem Gedicht auch in eigener Sache spricht. Vgl. dazu auch Hénin 44. 20 Auch andere Begriffe aus dem Bereich des Leiden­ schaftlichen („brûlent“ (V. 220), „soupirs“ (V. 222), „embrasser“ (V. 223)) tragen an dieser Stelle mit dazu bei, leichte Zweifel an der Stimmigkeit der Verbindung zwischen dem sinnlichen Gemälde und seinem keuschen geistlichen Umfeld zu nähren. 21 Neu war die Technik des Freskos zwar in Frankreich nicht, wie Molière behauptet, doch wurde mit Mignard ein neuer Höhepunkt erreicht. 22 Aleida und Jan Assmann haben mehrfach auf die erinnerungsstabilisierende „Verbindung von Text und Name“ hingewiesen. Als klassisches Beispiel führen sie die „Sieges-, Helden- und Preislieder der mündlichen Kultur“ an, doch auch die schriftliche Herrscherpanegyrik soll der Sicherung der ‚fama‘ dienen. Vgl. Assman, Aleida u. a. „Schrift und Gedächtnis.“ Schrift und Gedächtnis. Archäologie der literarischen Kommunikation I. Hg. Aleida Assmann u. a. München: Fink, 1983: 265-284, hier 276-277. 23 Molière erwähnt in seinem Gedicht die Arbeiten Mig­ nards im Schloss von Saint-Cloud. Dort schuf der Künstler in Stuck eingelassene Leinwandbilder für den Bruder des Königs. Von der ausgestatteten Galerie d’Apollon mit dem flankierenden Salon de Mars und dem Cabinet de Diane, die 1870 zerstört wurden, haben sich Zeichnungen, Kupferstiche, Tapisserien und Fotos erhalten. Vgl. Widauer, Heinz. Die französischen Zeichnungen der Albertina. Vom Barock bis zum beginnenden Rokoko (beschreibender Katalog der Handzeichnungen in der Albertina, X). Hg. Klaus Albrecht Schröder. Wien u. a.: Böhlau, 2004: 42-43. 24 Die Semantik findet sich in der Zeit beispielsweise in­ den heroischen Tragödien Pierre Corneilles. Seit seinem epochemachenden Stück Le Cid (1637), das ein starkes Individuum im Konflikt mit den moralischen Normen der Gesellschaft und im Kampf gegen eine äußere Gefahr des Landes glorifiziert, wurde Corneille im Frankreich des 17. Jahrhunderts als wichtigster Autor heroischer Stoffe wahrgenommen. Ein wertvoller aktueller Überblick über zentrale Positionen der Corneille-Forschung bezüglich der Frage des Heldentums findet sich bei Dufour-Maître, Myriam. Héros ou personnages? Le Personnel du théâtre de Pierre Corneille. Mont-Saint-Aignan: Presses Univ. de Rouen et du Havre, 2013: 7-17. 25 Für diesen Vorgang hat sich der Topos von Zeuxis und den Jungfrauen von Kroton in der Kunstliteratur fest etabliert. Plinius berichtet, wie Zeuxis die schönsten Jungfrauen der Insel als Modelle für seine ideale Statue der Helena in seinem Atelier versammelte (Plinius. Naturalis Historia. XXXV: 64).

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26 „Geniumque scientia complet“ (V. 65); „Haud quiscumque uiris diuina haec munera dantur“ (V. 91); bei De Piles XIX. „Qu’il ne faut pas trop s’attacher à la nature, mais l’accomoder à son génie“ (Dufresnoy 468-487). Die neoplatonische Auffassung des ‚furor divinus‘ als eine Inspiration, die auch der Poesie zugrunde liegt, wurde von Lomazzo auf die figurativen Künste ausgedehnt (Lomazzo, Gian Paolo. Scritti sulle arti I. Hg. Roberto Paolo Ciardi. Florenz: Marchi & Bertoldi, 1973: LXXVII). 27 Zur wechselvollen Geschichte der Konzepte von ‚génie‘ und ‚grand homme‘ sowie ihrer Interferenzen mit dem Konzept des Helden vgl. u. a. Gaehtgens, Thomas W. Hg. Le culte des grands hommes. Paris: Ed. de la Maison des Sciences de l’Homme, 2009; Dufief, Pierre-Jean u. a. Hg. L’écrivain et le grand homme. Genf: Droz, 2005; Minois, Georges. Le culte des grands hommes. Des héros homériques au star system. Paris: Audibert, 2005. 28 Vgl. Held, Jutta. „Die Pariser ‚Académie Royale de Peinture et de Sculpture‘ von ihrer Gründung bis zum Tode Colberts.“ Europäische Sozietätsbewegungen und demokratische Tradition. Die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Frührenaissance und Spätaufklärung. Hg. Klaus Garber. Tübingen: Niermeyer, 1996, Bd. II: 1748-1779, hier 1779. 29 Hierzu Burke, Peter. The Fortunes of the ‚Courtier‘. The European Reception of Castiglione’s Cortegiano. Cambridge: Polity Press, 1995. 30 Zum Zusammenhang von ‚ingenium‘, ‚imitatio‘, ‚aemu latio‘, ‚sprezzatura‘ im Kontext von Begabung, Virtuosentum und Genie vgl. Emison, Patricia A., Creating the ‚Divine‘ Artist. From Dante to Michelangelo (Cultures, Beliefs and Traditions, 19). Leiden u. a.: Brill Academic Pubs, 2004: 19-58 und Krieger, Verena. Was ist ein Künstler? Genie – Heilsbringer – Antikünstler. Eine Ideen- und Kunstgeschichte des Schöpferischen. Köln: Deubner, 2007: 19-21 und 35-39. 31 In der Kunst wurde das Ideal der ‚sprezzatura‘ ausgehend von Baldassare Castigliones Ideal des Hofmannes bereits im 16. Jahrhundert angestrebt. Insbesondere Raffael wurde diese Qualität in seinen Werken häufig attestiert. 32 Diese Form eines mondän-galanten Heroismus fand ihren Niederschlag beispielsweise in der Gattung des ‚roma­n héroïque‘, mit der Autoren und Autorinnen wie Gautier de Costes de La Calprenède und Madelaine de Scudéry zwischen 1630 und 1660 große Publikumserfolge erzielten. Vgl. zum Heroismus im heroisch-galanten Roman bei Madelaine de Scudéry: Chariatte, Isabelle. La Rochefoucauld et la culture mondaine. Portraits du cœur de l’homme. Paris: Classiques Garnier, 2011: 132-144. 33 Auch für Giorgio Vasari galten insbesondere die Goten in dieser Vorstellung als barbarische Kunstbanausen. Während er in ihrer Malerei nur „Hampelmänner und Plumpheiten“ sieht, erkennt er auch in der Architektur das Fehlen jeglicher Ordnung, Abmessung, Anmut, von ‚disegno‘ und Vernunft, „da jegliche Form und gute Praxis durch den Tod der Künstler und die Beschädigung und Zerstörung der Werke verlorengegangen war“ (Vasari, Giorgio. Kunstgeschichte und Kunsttheorie. Eine Einführung in die Lebensbeschreibungen berühmter Künstler. Neu übers. von Victoria Lorini. Hg., eingeleitet und kommentiert Matteo Burioni u. a. Berlin: Wagenbach, 2004: 64); vgl. auch Brandeis, Marcus. La maniera tedesca. Eine Studie zum historischen Verständnis der Gotik im Italien der Renaissance in Geschichtsschreibung, Kunsttheorie und Baupraxis. Weimar: VDG, 2002. 34 Vgl. dazu den Kommentar Dufresnoys 308-309. 35 „Nec qui Chromatices nobis hoc tempore partes / Re­ stituat, quales Zeuxis tractauerat olim, / Huius quando maga uelut arte aequauit Apellam / […] meruitque coloribus altam/ Nominis aeterni famam toto orbe sonantem“ (V. 256-260); „aussi ne voit-on personne qui rétablisse la ‚cromatique‘, et qui la remette en vigueur au point que la porta Zeuxis […] et

qui sait si admirablement tromper la vue, il se rendit égal au fameux Apelle […], et qui mérita pour toujours la réputation qu’il s’est établie par tout le monde.“ (De Piles, zit. nach Dufresnoy 471-472). 36 Paul Mignard, der Neffe des Künstlers, lobt bezeichnenderweise in einer Ode auf LeBrun, die der Akademie gewidmet ist, den Rivalen seines Onkels als „l’Apelle de notre âge par Apollon“, vgl. Mai 235. 37 Der erste Historiograph der Académie, Guillet de SaintGeorges, bestätigt diese Rezeption Mignards und nimmt dabei auf Molière und LeBrun Bezug: „Hé quoi! disait-on à Le Brun, croyez-vous que M. Mignard ait besoin d’un Molière pour publier que Jules, Annibal et Michel-Ange ont été les Mignards de leur siècle? Ce qu’il a fait depuis la mort de Molière confirme ce que cet auteur a dit de lui. On désire partout de ses ouvrages […]. Vos patrons mêmes en veulent dans leurs cabinets. Il est estimé en France aussi bien qu’ailleurs par tout ce qu’il y a de grand.“ (Zit. nach Fontaine, André. Académiciens d’autrefois. Le Brun – Mignard – Les Champaigne – Bosse – Jaillot – Bourdon – Arcis – Paillet, etc. Paris: Laurens, 1914: 167). 38 Eingebettet in die auf kunstpolitischer Ebene geführte ‚Querelle des anciens et des modernes‘ konnte die Rivalität zwischen Mignard und LeBrun auch als nationale und jeweils anders kulturhistorisch geprägte Konkurrenz verstanden werden. Dass zumindest mit dem Erfolg italienischer Künstler in Frankreich eine Orientierung an Italien üblich war, ist in prominentester Form an der sog. Ersten Schule von Fontainebleau (1530-1570) ersichtlich: François I berief zur Ausstattung des Schlosses vornehmlich italienische Künstler (Rosso Fiorentino, Primaticcio, Nicolò ell’Abbate). Den Kulturtransfer, der dabei stattfand, versuchte Kardinal Mazarin später zu intensivieren, doch brachten auch die aus seiner Heimat importierten Kunstwerke ein ‚römisches Klima‘ nach Paris. Sowohl die Gründung der französischen Akademie in Rom als auch Dufresnoys Kompilation italienischer Theo­ rien für seinen Regelkodex französischer Malerei zeugen schließlich von einer auch im 17. Jahrhundert noch gültigen Italienorientierung. 39 Monville, Simon Philippe Mazière de. La Vie der Pierre Mignard Premier Peintre du Roy, Par M. l’Abbé de Monville avec Le Poëme de Moliere sur les Peintures du Val-deGrâce. Paris: J. Boudot u. a., 1730. Diese Biographie enthält auch sieben Kupferstiche zur Beschreibung der Kuppel von Val-de-Grâce. Das Fresko wurde also auch noch 35 Jahre nach Mignards Tod als eines seiner Hauptwerke angesehen. 40 Die Figur des Chronos ist dem Herkules Farnese nachgebildet, Pictura erinnert an Michelangelos Sibyllen in der Sixtinischen Kapelle und die allegorische weibliche Figur konnte überzeugend mit Rubens’ Venus des Parisurteils bzw. einer Venus von Hans Baldung Grien in Bezug gesetzt werden, die sich ehemals im Besitz des Duc de Richelieu befand und in einem Kupferstich Verbreitung fand; vgl. Hoberg 90. 41 Zur gewandelten Bedeutung der Chronos-Ikonographie in der französischen Kunst des 17. Jahrhunderts vgl. Hoberg 34. 42 Vgl. den Katalogbeitrag zu Nicolaes Verkolje: Schumacher, Andreas. „Die Künste und die Wissenschaften besiegen die Zeit.“ Mai u. a. Wettstreit der Künste. Malerei und Skulptur von Dürer bis Daumier. Ausst.-Kat. Haus der Kunst München u. a. Wolfratshausen: Ed. Minerva u. a., 2002: 274. Auf die besondere Ikonographie des Chronos als Beschützer der Künste hat Anna Schreurs anhand des Gemäldes Minerva und Saturn beschützen die Künste von Joachim von Sandrart aufmerksam gemacht; vgl. Schreurs, Anna. „Der ‚Teutsche Apelles‘ malt die Götter Minerva und Saturn. Joachim von Sandrarts ikonographische Spielereien.“ Joachim von Sandrart: ein europäischer Künstler und Theoretiker zwischen Italien und Deutschland. Hg. Sybille Ebert-Schifferer u. a. München: Hirmer, 2009: 51-67.

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43 Vgl. Logemann, Cornelia. „Neugierde und Staunen.“ Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Idee, Methoden, Begriffe. Hg. Ulrich Pfisterer, 2. erw. und aktualisierte Auflage Stuttgart u. a.: Metzler, 2011: 305-309. 44 Durch die Ausbildung der durch die Académie beförderten Laienkritik, so Félibien, hätten sich überhaupt erst sachverständige ‚amateurs‘ herausgebildet, die ein Kunstwerk zu lesen verstünden: „En effet, l’academie estant remplie de scavans hommes, il n’y a point de beautez dans un ouvrage qu’on ne remarque ny aussi de deffauts pour petits qu’il soient qu’on ne fasse voir.“ (Germer 371). 45 Vgl. Dufresnoy V. 9-10, 12-13, 128. 46 Die 1663 gegründete Petite Académie war in ihren Anfangsjahren für alle künstlerischen Belange zuständig, ­ später konzentrierte sie sich auf die Arbeit an der Histoire métallique, einer Vita Louis XIV in Medaillen. (Vgl. Jacquiot, J. „Ce que l’Académie royale des inscriptions et médailles a fait pour la ville de Lyon.“ Actes du congrès national des sociétés savantes d’Archéologie. Paris: Impr. nat., 1965: 249-273, hier 263). Zur Position Perraults als Organisator der Kunstpolitik zum Ruhme Louis XIV vgl. Mai 143. 47 Aus dieser Position adressiert Perrault sein Gedicht La Peinture an LeBrun, den er darin zum vorbildlichen Maler stilisiert, dessen hierarchischen Status er damit unterstreicht und dessen ästhetische Einstellungen er teilt. Deshalb wurde diese Schrift auch häufig als Gegenmodell zu Molières Gedicht gesehen, da in beiden Publikationen die jeweiligen künstlerischen Rivalen als Vorbilder präsentiert werden. Doch wird bei Perrault Mignard gar nicht erwähnt. Vgl. dazu Perrault, Charles. La Peinture. Hg. und kommentiert JeanLuc Gautier-Gentès. Genf: Droz, 1992: 162. 48 Die Autorin weist in ihrem Artikel auch darauf hin, dass bereits Boileau das Gedicht als „traité complet de peinture“ bezeichnet haben soll. Vgl. dazu Hénin 30. 49 Emmanuelle Hénin hat diese These bereits überzeugend vertreten und konnte zeigen, wie sich sowohl die comédieballet Le Sicilien von 1667 als auch das Gedicht La Gloire du Val-de-Grâce als ein „clef de l’esthétique de Molière, formulée en termes picturaux“ (Hénin 43) verstehen lassen. René Bray spricht sogar von einer umfassenden „conformité avec la poétique classique“ (Bray 196) und nennt, ohne dies zufriedenstellend zu begründen, so unterschiedliche Autoren wie Malherbe, Boileau und Corneille. 50 Uranie verwendet diesen Begriff in dem an poetologischen Selbstbezügen reichen Stück La critique de l’École des femmes (1663). 51 Aus dem Vorwort zur Version des Tartuffe von 1669. 52 Die auf der Titelseite verwendete Graphik – ein von der Sonne angestrahltes Kreuz mit Engelputten und der Inschrift ‚In hoc signo vinces‘ – bindet zwar den Sonnenkönig als Autorität und Adressat ein. Tatsächlich handelt es sich bei der Darstellung jedoch um das Druckersignet des Libraire der Académie française und bezieht sich nicht inhaltlich auf das Gedicht von Molière oder allegorische Darstellungen von Mig­nard. 53 Louis wurde als Mäzen sowohl mit Alexander dem Großen verglichen als auch mit Apollo, so bei Martin de Charmois, der Louis dafür lobt, Frankreich Ruhm und den Künsten ihren ersten Rang unter den ‚artes liberales‘ verschafft und so Paris zum Parnass erhoben zu haben: „die Acca­ demia als neuer Parnass der Künste und an seiner Spitze Ludwig als Apollon Musagetes.“ Vgl. Frenssen, Birt­e. „... des großen Alexanders weltliches Königsscepter mit des Apelles Pinsel vereinigt“. Ikonographische Studien zur ‚Künstler- / Herrscher-Darstellung‘. Diss. Phil. Universität Köln: 1995: 67. 54 Félibien, André. „Conférences de l’académie royale de l’année 1667.“ Paris 1669, zit. nach Fegers, Hans. Das politische Bewusstsein in der französischen Kunstlehre des

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17. Jahrhunderts. Diss. Phil. Universität Heidelberg 1943: 7. Dufresnoys Text endet mit dem Hinweis auf den gallischen Herkules, der mit Feuer und Schwert den spanischen Löwen bekämpft (V. 548-549). Die literarischen Taten des Kunstschriftstellers werden so mit den militärischen Heldentaten des Königs (es ist unklar, ob hier Louis XIII oder Louis XIV gemeint ist, vgl. Dufresnoy 398) verglichen, die in Rom ersonnenen Kunstprinzipien mit nordalpinen Herrschertugenden parallelisiert. 55 Parallèle des Anciens et des Modernes, zit. nach Brassat, Wolfgang. Das Historienbild im Zeitalter der Eloquenz. Von Raffael bis Le Brun (Studien aus dem Warburg-Haus, 6). Berlin: Akademie-Verlag, 2003: 360.

Literatur Bray, René. „Les principes de l’art de Mignard confrontés avec la poétique classique: le poème de Molière sur La Gloire du Val-de-Grâce.“ Actes du cinquième Congrès international des langues et littératures modernes. Florenz: Valmartina, 1955: 193-199. De La Fontaine, Jean. Le Songe de Vaux. Hg. Eleanor Titcomb. Genf u. a.: Droz, 1967. Dufresnoy, Charles-Alphonse. De arte graphica (Paris 1668). Hg., übersetzt und kommentiert Christopher Allen u. a. Genf: Droz, 2005. Germer, Stefan. Kunst – Macht – Diskurs. Die intellektuelle Karriere des André Félibien im Frankreich von Louis XIV. München: Fink, 1997. Hénin, Emmanuelle. „Du portrait à la fresque, ou du Sicilien au Val-de-Grâce. Molière et la peinture.“ Œuvres et Critiques 29.1 (2004): 30-56. Hoberg, Annegret. Zeit, Kunst und Geschichtsbewusstsein. Studien zur Ikonographie des Chronos in der französischen Kunst des 17. Jahrhunderts. Diss. Phil. Universität Tübingen 2007. Online-Ressource 3. April 2014 . Mai, Werner Willi Ekkehard. Le portrait du roi. Staatsporträt und Kunsttheorie in der Epoche Ludwigs XIV. Zur Gestaltikonographie des spätbarocken Herrscherporträts in Frankreich. Diss. Phil., Bonn: 1975. Molière. Œuvres complètes. Hg. Georges Forestier. 2 Bde., Paris: Gallimard, 2010. Perrault, Charles. Les Hommes illustres. Kommentierte Ausgabe. Hg. D. J. Culpin u. a. Tübingen: Narr, 2003. Racine, Jean. Œuvres complètes. Hg. Georges Forestier. Bd. 1, Paris: Gallimard, 1999. Soeffner, Hans-Georg. „Symbolische Präsenz: unmittelbare Vermittlung - zur Wirkung von Symbolen.“ Phänomenologie und Soziologie: theoretische Positionen, aktuelle Problemfelder und empirische Umsetzungen. Hg. Jürgen Raab. Online-Publikation 2008. 3. April 2014 : 53-64. von den Hoff, Ralf u. a. „Helden – Heroisierungen – Heroismen. Transformationen und Konjunkturen von der Antike bis zur Moderne. Konzeptionelle Ausgangspunkte des Sonderforschungsbereichs 948.“ Hg. SFB 948. helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen 1 (2013): 7-14. DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2013/01/03.

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Abbildungen

Abb.1: Gottvater umgeben von Heiligen, Märtyrern, Aposteln und Propheten

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Abb. 2: Titelvignette und Initiale

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Abb. 3: Allegorie der Malerei

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Abb. 4: Minerva führt die Malerei auf den Parnass

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Abbildungsverzeichnis Abb.1 [Gottvater umgeben von Heiligen, Märtyrern, Aposteln und Propheten, Pierre Mignard, 1665, Paris, Val-de-Grâce, Kuppelfresko, Nachweis: http://commons.wikimedia.org/wiki/ File:Mignard_Val_de_Gr%C3%A2ce.jpg (Abruf: 03.09.2014)] Abb. 2 [Titelvignette und Initiale, Molière, La gloire du ­Val-de-Grâce, 1669, Le Petit, Paris, S. 5, gestochen von François Chaveau, Nachweis: http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/ btv1b86120703/f13.image.r=La%20gloire%20du%20Val-degr%C3%A2ce.langDE (Abruf: 03.09.2014)] Abb. 3 [Allegorie der Malerei, Molière, La gloire du ­Val-de-Grâce, 1669, Le Petit, Paris, S. 26, Kupferstich von François Chaveau, Nachweis: http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/ btv1b86120703/f13.image.r=La%20gloire%20du%20Val-degr%C3%A2ce.langDE (Abruf: 03.09.2014)] Abb. 4 [Minerva führt die Malerei auf den Parnass, Molière, La gloire du Val-de-Grâce, 1669, Le Petit, Paris, S. 3, Kupferstich von François Chaveau, Nachweis: http://gallica.bnf. fr/ark:/12148/btv1b86120703/f13.image.r=La%20gloire%20 du%20Val-de-gr%C3%A2ce.langDE (Abruf: 03.09.2014)]

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DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2014/02/06

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Lützows wildester Jäger Zur Heroisierung Theodor Körners im 19. und 20. Jahrhundert1

I. „Erinn’rung an die große Zeit“. Die Profilierung eines Heldenbilds Die Konstruktion nationaler Identitäten erfordert verbindliche Vergangenheitsversionen. In Erinnerungsgemeinschaften, die auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene entstehen, werden über den Rekurs auf bestimmte Aspekte der Vergangenheit kollektive Identitäten geschaffen. Vor allem das Gedenken an Kriege, an militärische Führer sowie an gefallene Soldaten trägt maßgeblich zur gesellschaftlichen Einheitsbildung bei. Die Konservierung, Formulierung und Vermittlung von Erinnerungen erfolgt wiederum durch diverse Medien, die einander affirmieren, negieren oder relativieren können.2 Am Beispiel des bekannten Dichters und Kriegsfreiwilligen Carl Theodor Körner (1791-1813) sollen im Folgenden die Formierung, Tradierung und Modifizierung zentraler Heroisierungsformen während des 19. und 20. Jahrhunderts untersucht werden. Dabei wird zum einen nach den politischen Funktionalisierungen dieser Heldenbilder, zum anderen nach ihren medienspezifischen Darstellungsqualitäten zu fragen sein. Schließlich sollen auch die Transformationsprozesse berücksich­ tigt werden, die sich zwischen den einzelnen Erinnerungsmedien beobachten lassen. Die Verehrung Körners setzte mit seinem frühzeitigen Tod ein. Neben der dauerhaften Verankerung seiner Kampf- und Freiheitslieder im kollektiven Gedächtnis etablierte sich schon bald ein umfassender Erinnerungskult. Bedeutungstragende Lebensmomente des ‚Dichterhelden‘ Körner wurden in Romanen, Gemälden, Denkmälern oder Verfilmungen festgehalten.3 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts begünstigten mehrere Faktoren die Heldenstilisierung Theodor Körners. Wie René Schilling herausgearbeitet hat, wurde Körner von der bürgerlichen Jugend als Vorbild verehrt und sein früher Tod 1813 zum Märtyrertod stilisiert.4 Die patriotische Lyrik aus der Zeit der Napoleonischen Kriege, zu der auch

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die Gedichte Körners gehörten, war vermittels Tagespresse und Einblattdrucke verhältnismäßig weit verbreitet. Auch mit seinem Drama Zriny (1812) hatte der Dichter in Wien bereits einiges Aufsehen erregt. Im Jahr 1814 erschien posthum die von Körners Vater herausgegebene Sammlung Leyer und Schwerdt, die eine breitere Rezeption der Werke Körners ermöglichte und bis zum Zweiten Weltkrieg immer neue Auflagen erlebte.5 Die zahlreichen Vertonungen von Körners Dichtungen steigerten den Bekanntheitsgrad seiner Werke. Wie Erhard Jöst dargelegt hat, führte der Umstand, dass Körner den Tod für das Vaterland wiederholt als heldenhafte Konsequenz patriotischen Handelns verklärt hatte und schließlich bei einem Einsatz des Lützower Freikorps erschossen wurde, zu einer immanenten Wort-Tat-Verknüpfung. Sie trug maßgeblich zur positiven Bewertung und enormen Verbreitung seiner Lyrik bei.6 Während gegen Ende des 19. Jahrhunderts erneut die „Erinn’rung an die große Zeit“ (Boxberger 4) der antinapoleonischen Kriege in einem Sonettenkranz auf Theodor Körner beschworen wurde, akzentuierte der Literaturhistoriker Wilhelm Kosch noch in seiner Anthologie Deutsche Dichter vor und nach 1813 (1925) das patriotische Mobilisierungspotential von Körners Dichtungen: Theodor Körner kann literarisch freilich nicht so hoch gewertet werden, wie er im Andenken der patriotischen Jugend fortlebt. Die liebenswürdige Persönlichkeit des im Felde gefallenen Heldenjünglings verklärt seine Dichtungen heute noch. Der Hauch seiner glühenden deutschnationalen Begeisterung erfaßt uns, wenn das Lied von Lützows wilder verwegener Jagd erklingt; stumm ergriffen lauschen wir in Andacht seinem Gebet während der Schlacht; mit ihm unterscheiden auch wir zwischen Männern und Buben; das Schwertlied, das er wenige Stunden vor seinem Abschied vom Leben gedichtet

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hat, zündet immer wieder. Überhaupt sind in seiner Sammlung Leier und Schwert, in der er auch friedlichen Empfindungen Ausdruck verleiht, diejenigen Lieder die besten, die als Gelegenheitsgedichte entstanden, unmittelbar ans Leben anknüpfen, wirklichen Vorgängen entquollen sind. (Kosch VIII-IX) Schließlich trug auch Körners Zugehörigkeit zum Lützower Freikorps zur fortdauernden Erneuerung seines Andenkens bei. Das Freikorps war bereits 1813 aufgrund seiner überregionalen Zusammensetzung in der Öffentlichkeit als „Symbol der deutschen Einheit und Freiheit“ (Hagemann 408) verehrt worden. Ferner war die Verklärung des Todes für das Vaterland sowohl als Teil des zeitgenössischen patriotischen Diskurses als auch nach 1815 von Bedeutung.7 Exemplarisch schrieb Christoph August Tiedge in seinem Gedicht Körners Grab (1815): „Wo habt ihr meinen Jüngling hin begraben? | bezeichnet mir zu seiner Gruft den Pfad! | Er schlaf’ im Nachhall seiner Liedergaben, | im Nachglanz seiner schönsten Heldentat!“ (zit. nach Wohlrabe I, 105)8 Mit der „Gruft“ des Jünglings spielte Tiedge auf Körners Grab in Wöbbelin an, das sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem Wallfahrtsort entwickelte und bis ins 20. Jahrhundert hinein über textliche und bildliche Darstellungen einen enormen Bedeutungszuwachs erfuhr.9

II. „Die großen Tage und Thaten von 1813“. Die Gedenkkultur der Gartenlaube Was für die Erinnerungskultur im Allgemeinen gilt, lässt sich auch in Hinblick auf die Heroisierung von Theodor Körner konstatieren: Jubiläumsjahre evozieren für historische Daten und Personen besondere Aufmerksamkeit. Die Ereignisse der napoleonischen Zeit waren 1863, zum 50. Todestag des Dichters und zum 50. Jahrestag bedeutender Schlachten der Napoleonischen Kriege, allen voran der Völkerschlacht bei Leipzig, bereits historisiert. Die Erinnerung an Theodor Körner erlebte, wie sich anhand unterschiedlicher Medien nachvollziehen lässt, einen ersten Höhepunkt.10 Einen neuen Grad der Verbreitung erreichte die 1853 gegründete Zeitschrift Die Gartenlaube. Deren Herausgeber nahmen als Publikum explizit die Familien ins Visier und erzielten enorme Auflagen mit Kolportagevertrieb und moderater Preisgestaltung. Die erfolgreiche Zeitschrift trug erheblich zur nationalen Identitätsstiftung bei, wie Birthe Förster am Beispiel des Königin-Luise-Mythos herausgearbeitet hat. Sie schuf über die massenhafte

„Verbreitung und Dekodierung nationaler Symbole“ und bestimmter Narrative einen gemeinsamen „Kommunikationsraum“ (Förster 52-55). Die Ereignisse des frühen 19. Jahrhunderts waren wichtige Bezugspunkte für diese kollektive Selbstvergewisserung der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Leserschaft. Zu den prominenten historischen Personen gehörte auch Theodor Körner, der im Jahr 1863 anlässlich seines 50. Todestages besonders häufig in der Gartenlaube behandelt wurde.11 Die Heldenstilisierung erfolgte auf unterschiedlichen Ebenen, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Die politische Instrumentalisierung: Bereits zwei Jahre vor dem Jubiläum von 1863 erschien in der Gartenlaube ein anonymer Aufsatz über Theodor Körners Tod und über den Ort, an dem er gefallen war. Körner wird darin als unsterblicher Volksheld bezeichnet,12 dessen Todesumstände ebenso beschrieben werden wie die Memorialkultur am Ort seines Todes.13 Adressat dieser Schilderungen war die Jugend, die nach Ansicht des Autors „vor allem die hohe ethische und nationale Bedeutung einer solchen Erscheinung begreifen, achten und lieben lernen“ (Körners Todesstätte 790) sollte. Die bisher nicht erreichten Ziele der liberalen Bewegung sollte die Jugend mit ihrer vorwärtstreibenden Kraft wie zuvor der „Jüngling“ Körner erkämpfen. René Schilling hat gezeigt, wie Körner als bürgerlicher Heldenjüngling verklärt und für die Vorstellungen vom Nationalstaat instrumentalisiert wurde.14 Dies geschah, wie auch weitere Artikel in der Gartenlaube verdeutlichen, vor dem Hintergrund der Enttäuschung der liberalen Bewegung. So schrieb 1863 ein anonymer Redakteur der Zeitschrift über die Einsegnung des Lützower Freikorps im schlesischen Rogau: Einer ernsten, schönen Feier galt es, der Einsegnung, der Todesweihe einer herrlichen Schaar von Jünglingen und Männern, welche entschlossen waren, Blut und Leben dem Vaterlande zu opfern. […] Eine größere Idee lebte in ihnen. Ein deutsches Freicorps wollten sie sein, denn dem ganzen deutschen Vaterlande galt ihr Blut und Leben. […] Fragen wir jetzt nach fünfzig Jahren, welcher Lohn ist dem Volke für die großen Tage und Thaten von 1813 geworden? Wir müssen erröthen, wir haben nur die eine Antwort: sie sind ihm mit Undank gelohnt! (Volksschwur 180, 182-183) Weiterhin war im achten Heft der Gartenlaube von 1863 zu lesen, dass Theodor Körner nicht nur durch seine Gesänge, sondern auch durch seine Tat „den wehrhaften Männern Deutschlands ein unsterbliches Beispiel“ (Körner’s Leier 116) hatte geben wollen. Dabei stellt der Autor

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die Verknüpfung von Heldentum und Lyrik heraus: „Aber als Held und Dichter wollte er sterben, noch hatte er Macht über seine Sinne und blutend entwarf er das herrliche Sonnet: Abschied vom Leben.“ (Körner’s Leier 119) Wie auch in anderen Körner-Artikeln zitiert der Verfasser Passagen aus Körners Gedichten, teilweise sogar ganze Strophen. Neben den intertextuellen Bezügen zu Körners populärer Lyrik wurden auch bildliche Darstellungen in die Vergangenheitsdeutungen eingebunden. Die Artikel über Körner verbreiteten beispielsweise Bilder von den Körner-Gräbern in Wöbbelin, von Körners Fahrt von Zschocher nach Leipzig, der Einsegnung des Lützower Freikorps in Rogau und dem Tod des Dichters.15 Diese Darstellungen waren in den folgenden Jahrzehnten fest mit der Heldenerzählung über Körner verknüpft. Das fortgeschriebene Gedächtnis: Neben der politischen Instrumentalisierung lässt sich der Versuch ausmachen, die verschiedenen mündlichen, schriftlichen und materialen Erinnerungen an Körner zu erfassen und für die Zukunft zu sichern.16 Im Jubiläumsjahr 1863 ging es in der Gartenlaube um Körners Tod, um die Kennzeichnung seines Grabes durch Denkmäler und um die Frage, welche Überreste die Zeiten überdauert haben. Im Mittelpunkt standen weniger biografische Details oder die Bedeutung seiner Lyrik, sondern vielmehr die Frage von Überlieferung und Augenzeugenschaft. Dadurch wurde dem Leser suggeriert, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die sich kollektiv an Körner erinnert und die materialen Überreste des toten Helden ebenso zu bewahren versucht wie alle irgendwie zugänglichen Informationen über dessen Leben. Immer wieder zitieren die Autoren aus privaten, bisher unveröffentlichten Erinnerungen von ‚Zeitgenossen‘ und beschreiben die Form der Überlieferung von Gegenständen aus Körners Besitz: Wir können heute unseren Lesern die interessante Mittheilung machen, daß die treue Pflegerin des muthigen Freiheitskämpfers jetzt noch und zwar in unserer unmittelbaren Nähe, in dem benachbarten Dorfe Groß-Zschocher, lebt. […] Sie gerieth nach dem Tode ihres wackeren Mannes oft in große Bedrängnisse, aber keine Noth konnte sie dazu bewegen, den silbernen Becher, den ihr Körner aus Dankbarkeit verehrte und den sie jetzt noch besitzt, zu veräußern. Sie weiß heute noch viel aus jener Zeit zu erzählen und erinnert sich aller Einzelheiten jener Begebenheit mit treuem Gedächtniß. (Pflegerin 176) Der Silberbecher, sein Schwert, seine Leier oder das von Emma Körner geschaffene Bildnis ihres Bruders aus dem Jahr 1813 erscheinen

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gleichsam als Reliquien. Ihre Bedeutungszuschreibungen sind Ausdruck einer Erinnerungspraxis in einer Zeit des Wandels vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis, wo das Ende der Zeitzeugenschaft für die Gesellschaft absehbar ist. Etwas mehr als zehn Jahre später entstand ein weiterer zentraler Ort des Heldengedenkens, welcher der Präsentation vieler der in den Beiträgen erwähnten Körner-Besitztümer diente und der bis zu seiner Zerstörung 1945 existierte: das Körner-Museum in Dresden. Mit der Einweihung am 28. März 1875 sollte es sich zu einem der wichtigsten Orte im Rahmen der auf Körner bezogenen Erinnerungskultur entwickeln.17

III. Der „Wildeste beim Vordringen“. Stilisierungstendenzen der KörnerBelletristik Auch andere Publizisten der 1860er Jahre, wie beispielsweise der Schriftsteller Heribert Rau, zogen eine Verbindung zwischen dem Tod des populären Dichters und den Forderungen der Liberalen nach der Einheit und Freiheit Deutschlands. Sie spielten, für den zeitgenössischen Leser verständlich, auf die gescheiterte Revolution von 1848/49 sowie auf das nicht eingelöste Verfassungsversprechen des preußischen Königs an. Die oftmals massenhaft rezipierten Geschichtsfiktionen transportierten demnach aktuelle politische Anliegen ihrer Autoren. Wie die Forschungen zu literarischen Texten als Erinnerungsmedium gezeigt haben, führte die Lektüre historischer Romane zur Konstituierung von Erinnerungsgemeinschaften. Die Texte boten ihren Lesern Geschichtsbilder, Werte, Normen und Identifikationsmuster an, die sie für sich erschließen konnten.18 Dabei stellten belletristische Werke über die Vergangenheit einen beliebten Lesestoff dar. Zwischen 1815 und 1945 wurden die Revolutions- und Napoleonischen Kriege besonders oft in historischen Romanen thematisiert.19 In den Vergangenheitsfiktionen über diese Kriege finden sich immer wieder Verweise auf Theodor Körner: Zum einen tritt er als Nebenfigur der Handlung auf, zum anderen enthalten die Werke Zitate aus seiner Lyrik. Dass ein Autor Theodor Körner zur Hauptfigur seines Romans erhob, geschah allerdings erst verhältnismäßig spät. Einen Anlass dafür bot, wie im Falle von Heribert Raus ‚vaterländischem‘ Roman Theodor Körner (1863), das 50. Jubiläum des Jahres 1813 bzw. der 50. Todestag des Dichters.20 Die Aufmerksamkeit für diese Ereignisse wollte auch Robert Rösler nutzen, der unter dem Pseudonym ‚Julius Mühlfeld‘ ein Werk über Theodor Körner

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(1862) schrieb, das einander abwechselnde romanhafte und biografische Passagen enthält. Beide Werke sind zeitlich schon so weit von den geschilderten Ereignissen entfernt, dass sie nur noch partiell auf das kommunikative Gedächtnis Bezug nehmen können. Bemerkenswert ist, dass diese historische Relation Auswirkungen auf die ästhetische Komposition hatte – etwa im Hinblick auf die Einführung einer auktorialen Erzählerfigur, auf die Kennzeichnung der Quellen sowie die Erwähnung anderer Erinnerungsmedien wie das Körner-Grabdenkmal in Wöbbelin.21 Rösler hatte sich bereits zuvor in seinem historischen Roman Gefangen und befreit (1860) mit der napoleonischen Zeit befasst, wenngleich mit mäßigem Erfolg. Seine „der Belehrung des Volkes gewidmete“ Schrift über Theodor Körner oder die späteren Werke über die preußische Königin Luise und den Krieg von 1870/71, so ein Rezensent Ende der 1880er Jahre, „erfüllen dagegen den Zweck, den sie verfolgen, und sind deshalb auch in weite Kreise gedrungen“ (Brümmer 243). Rösler stilisiert Körner zu einem „Heldenjüngling“, der die Deutschen erst „wieder groß“ gemacht habe (Rösler 4) und der folglich ewig im Gedächtnis des Volkes weiterleben werde. Er beschreibt das Elternhaus, die Kindheit und die Jugend des Dichters in Dresden und wechselt dann im dritten Kapitel über Körners Zeit als Bergstudent in Freiberg in den romanhaften Stil. In die auktoriale Erzählung fließen Dialoge sowie viele Zitate aus Körners Lyrik oder seinen Briefen ein. Darüber hinaus werden sogar Rezensionen seiner frühen Werke, die in der Entstehungszeit des Romans oder wenige Jahre zuvor publiziert worden waren, diskutiert. Solche Einschübe nutzt Rösler, um Körner positive Eigenschaften, wie etwa Bescheidenheit, zuzuschreiben.22 Schließlich muss Körner, der Liebling der Frauen und der moralisch integre Romanheld, in den Kampf ziehen. Das spätere Ableben des Protagonisten deutet der Autor bereits frühzeitig durch ein Zitat aus einem Brief an den Vater an. So ist in gesperrten Lettern zu lesen: „Aber Vater, meine Meinung ist die: zum Opfertode für die Freiheit und für die Ehre seiner Nation ist Keiner zu gut, wohl aber sind Viele zu schlecht dazu!“ (Rösler 130) Demgegenüber zeichnet der Autor ein Bild des preußischen Königs als Zauderer, der mit seiner Politik Körners Engagement und das seiner Kameraden behindert habe. Die Fürsten der Rheinbundstaaten, so Rösler, seien im Gegensatz zum Volk noch auf Napoleons Seite gewesen und „bereit, die Schmach Deutschlands mit dem Schwerte in der Hand gegen deutsche Brüder zu vertheidigen.“ (Rösler 140) Das Handeln des Lützower Freikorps, das eine ausführliche Würdigung erfährt, steht stellvertretend für die Opferbereitschaft des

Volkes. Der Dichter wird bei Rösler zum Inbegriff des Freikorps: „Theodor Körner und die Lützower Freischaar sind von jetzt an unzertrennbar. Die Interessen des Einen wurzeln in der Andern und gestalten sich nach dem Befinden und Wirken derselben.“ (Rösler 185) Dennoch stellt der Autor Unterschiede zwischen seiner Hauptfigur und den anderen Freiwilligen heraus, die für seine Konstruktion des Helden nötig sind: Körner gilt ihm als der geselligste, sozialste und patriotischste der Truppe, der noch dazu die augenblickliche Stimmung in Poesie zu überführen verstanden habe.23 Körners Gedicht Lützows wilde, verwegene Jagd zitiert Rösler in seinem Kapitel über die Lützower ebenso zur Gänze wie das Bundeslied vor der Schlacht, das Körner inmitten seiner schlafenden Kameraden im Morgengrauen als Ergebnis seiner nächtlichen Gedanken gedichtet habe.24 Im Anschluss an die letzte Strophe kommentiert der Autor: „Diese Körnersche Dichtung, welche so recht der Erguß eines todesmuthigen Gemüthes dem Kampfe gegenüber genannt werden muß, ist eine der schönsten, welche wir von ihm besitzen.“ (Rösler 197) Nur folgerichtig mag es dem Leser erscheinen, dass Körner in Röslers Schilderung auch der „Wildeste beim Vordringen“ war und sich „von der Thatenlust hinreißen [ließ], ohne der eigenen Klugheit und dem Rufe des Signalhorns Gehör zu geben.“ (Rösler 241) So ereilte ihn dann auch jener „Heldentod“, den der Autor im Gedächtnis der Nation zu verankern beabsichtigte. In den folgenden Jahren erschienen keine belletristischen Werke über Theodor Körner, auch wenn das Thema der antinapoleonischen Kriege im Genre weiter präsent blieb. Nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches ermöglichten die zunehmende Alphabetisierung und die gesunkenen Kosten bei der Herstellung von Druckerzeugnissen immer mehr Menschen die Lektüre von Romanen. Die Jugendliteratur eroberte mit integrierten Buchillustrationen den Markt. Neben dem Jahr 1813 avancierte auch der historische Theodor Körner vielfach zum Gegenstand dieser Bücher, die nicht zuletzt der nationalen Mobilisierung der männlichen Jugend für zukünftige Kriege dienten.25 So erklärt beispielsweise Anton Ohorn im Vorwort seiner mehrfach aufgelegten geschichtlichen Erzählung Lützows wilde Jagd, in der Theodor Körner als Nebenfigur auftritt: Lützow’s wilde, verwegene Jagd ist unsterblich geworden, wie der Dichter, der unter diesem Namen sie besungen hat, und der in ihren Reihen bei Gadebusch den Heldentod starb. […] Die Thätigkeit des tapferen Häufleins bildet den geschichtlichen Hintergrund der vorliegenden Erzählung, die in ihren historischen

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Momenten sich an die besten Quellen hält, und die sich die Aufgabe gestellt hat, die Begeisterung für das Vaterland im Herzen des deutschen Volkes und besonders der deutschen Jugend beleben und fördern zu helfen. (Ohorn 3-4)26 Hatte schon das Jahr 1863 nachhaltig zur Aktualisierung des Gedenkens an die antinapoleonischen Kriege beigetragen, lässt sich mit Blick auf die Hundertjahrfeiern des Jahres 1813 von einem Höhepunkt der zivilen und militärischen Erinnerungskultur und Gedenktradition im Kaiserreich sprechen.27 Die Erinnerungen an Theodor Körners Tod fügten sich in diese Entwicklung ein. Im Jubiläumsjahr 1913 erschienen eine Vielzahl von Büchern und Gedenkschriften über Körner, viele davon mit Illustrationen und Abbildungen von Körner bzw. mit legendenhaft stilisierten Szenen seines Lebens versehen. Die stereotypen Narrative und Bilder wurden von den Verfassern für unterschiedliche Leserkreise aufbereitet. Die Kurzfassung dieser verbreiteten Heldenerzählung ist bei Wilhelm Wohlrabe zu finden: Sein engeres Vaterland aufgebend, eine glückverheißende Lebenslaufbahn abbrechend, von einer zärtlich geliebten Braut sich losreißend, tritt Theodor Körner, der frühere Bergstudent im Frühling des Erhebungsjahres in Lützows Freischar ein, wird von seinen Kameraden zum Offizier erwählt, beim Überfall des Korps am 17. Juni in Kitzen schwer verwundet, kehrt, kaum genesen, zur ‚wilden, verwegenen Jagd‘ zurück, und wird einige Tage später im Gefecht bei Gadebusch von Feindeskugel zu Tode getroffen. Im wörtlichsten Sinne ist er ‚Held und Sänger‘ seiner Zeit […]. (Wohlrabe I, 53)28 Im Unterschied zu vielen anderen historischen Personen der napoleonischen Zeit, sieht man vom Kaiser der Franzosen ab, der hier eine Sonderstellung einnimmt, fällt in Hinblick auf Theo­ dor Körner eine politische Inanspruchnahme für unterschiedliche Regionen auf: vom sächsischen Ort seiner Kindheit, über seine damalige Wirkungsstätte am Theater in Wien, über die preußische Provinz Schlesien, wo seine Einsegnung im Lützower Freikorps erfolgte, bis hin zum in Mecklenburg gelegenen Ort seines Todes und Grabdenkmals.29 In einer an die Bürger Wiens adressierten Gedenkschrift von Richard Kralik wird diese regionale Inanspruchnahme exemplarisch sichtbar: Die patriotische Lyrik der Liederreihe Leyer und Schwert wurzelt noch im Boden von Wien, wo Körner seine Braut zurückließ.

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[…] Die unvergänglichen Kriegslieder, die Körner vor seinem frühen Heldentod sang, sind in aller Munde […]. Mit Körner war gleichzeitig Josef von Eichendorff aus unserm Wien zum Befreiungskampf des Jahres 1813 gezogen. Auch er hat die Begeisterung für Deutschtum und Freiheit mit der Liebe zu Österreich und Wien allzeit verbunden. (Kralik 93, 95) In Wien fand sogar eine Theodor-Körner-Feier vor dem ehemaligen Wohnhaus des Dichters unter Beteiligung offizieller Vertreter der Stadt statt, in der die Vaterlandsliebe als wichtiges Vermächtnis Körners für die Jugend betont wurde. Der Vizebürgermeister beendete seine Rede vor dem Körner-Haus schließlich mit deutlichen Bezügen zur Gegenwart: Wie vor 100 Jahren so ist auch heuer die Kriegsfackel in Europa entfacht. Aber welcher Gegensatz! Während damals Österreich genötigt war, mit eiserner Faust einzugreifen, genießen wir heute dank der Fürsorge unseres erhabenen Kaisers den Frieden. (zit. nach Kralik 126) Sowohl im Ersten Weltkrieg als auch in der Weimarer Republik blieben Theodor Körner und seine pathetische, zur Tat auffordernde Lyrik populär. Für die Propagierung eines übersteigerten Nationalismus und die Mobilisierung von Kriegsfreiwilligen war der Rückgriff auf den gegen Franzosen kämpfenden Freiwilligen von 1813 bestens geeignet. Der Erste Weltkrieg veränderte aber den Erfahrungshorizont der Leser belletristischer Werke über die nun hundert Jahre zurückliegenden Napoleonischen Kriege. Die Autoren dieser Bücher schrieben vor dem Hintergrund ihrer Erlebnisse an Front oder ‚Heimatfront‘ unter gewandelten gesellschaftlichen und politischen Bedingungen. So wurde nun auch die Beteiligung von Frauen am Kampfgeschehen der Kriege zwischen 1792 und 1815 thematisiert, die zuvor nur eine marginale Rolle gespielt hatte.30 Auch die Darstellung von Theo­ dor Körner veränderte sich im Hinblick auf die Vorstellungen vom Tod und Charakter des Dichters, wie im Folgenden gezeigt wird. Der Heldentod: Mit dem Rekurs auf Körner und auf die ebenfalls im Lützower Freikorps unter dem Pseudonym ‚August Renz‘ kämpfende ‚Heldenjungfrau‘ Eleonore Prochaska machte beispielsweise der Romanautor Hermann Stodte ein geschlechterübergreifendes Identifikationsangebot, das auch in anderen Erinnerungsmedien zu finden ist.31 In seinem Roman Das preußische Mädchen (1932) schildert der Autor zwar keine Begegnung zwischen den historischen Figuren, da es diese in der Vergangenheit nie gegeben hatte. Er spielt dafür aber mit

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der Möglichkeit, dass Eleonore Prochaska Körner im Rahmen der Einsegnung des Freikorps in Schlesien 1813 gesehen haben könnte. Die Einsegnung interpretiert Stodte als „Bruderkuss“ (Stodte 134), aus der eine „Todesgemeinschaft“ (Stodte 142) hervorgegangen sei. Körners Tod fürs Vaterland avanciert folgerichtig in der Romanhandlung zum Vorbild für Prochaskas eigenes Ableben: „Wie herrlich mußte das Land sein, für das ein Körner starb! […] Körner sollte vorangehen.“ (Stodte 142) Der Verfasser, dessen Sohn im Ersten Weltkrieg gefallen war und dem er den Roman postum widmete, sprach ihm zudem eine allgemeingültige, zeitenüberdauernde Bedeutung zu: Nur freiwilliges Opfer schuf aus Menschen die höheren Wesen, die den Sinn des Lebens erfuhren und das Schicksal zu wenden vermochten. […] Tod war mehr als Leben. Sterben für das Herrlichste, für das Volk und das Land und die Freiheit – das war die Vollkommenheit, die den Menschen möglich war. (Stodte 143-144) Die Führerfigur: Das Bild von Theodor Körner als charismatischem Führer wurde zu Beginn der 1930er Jahre in unterschiedlichen Medien aufbereitet.32 Es fand seinen Ausdruck etwa in Carl Boeses Filmbiografie Theodor Körner. Ein deutsches Heldenleben (1932), aber auch auf dem heroisierenden Cover von Rudolph Herzogs zeitgleich publiziertem Roman Horridoh Lützow! [Abb. 1].33 Auch im historischen Roman wurde dieses Heldenbild aufgegriffen, insbesondere von Richard Blasius. Dessen Roman Söhne der Heide (1941) unterscheidet sich durch seinen parataktischen Stil und den wiederholten Imperativen deutlich von der Gestaltung früherer Körner-Romane. Im zeittypischen Duktus wird Körner von Blasius als Führer des Lützower Freikorps gekennzeichnet: Schweres Schicksal lag auf der sangesfrohen, liederreichen Schar, der ihr Dichter Theodor Körner mindestens ebenso zur Volkstümlichkeit verhalf wie ihr Führer. Theodor Körner! Die Jäger zu Fuß drängten sich um ihn, wenn er in ihre Nähe kam. Die Reiter hatten ihn ja immer. Seine Lieder erklangen auf dem Marsche, am Wachtfeuer und im Quartiere. (Blasius 208) Blasius’ Deutung von Körner als charismatischem Führer erfährt nochmals eine Steigerung, als dessen Ableben zum Heldentod verklärt wird: Aber dann ein Tag der Trauer, des Schmerzes! Gadebusch!

Die Eiche zu Wöbbelin rauscht über dem Grabe des deutschen Sängers ein wehmütiges und doch stolzes Lied von deutscher Treue, auf die der Heldentod sein blutrotes Siegel gedrückt hatte. (Blasius 209) Schon wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sollten in der DDR erneut historische Erzählungen und Romane das ‚Heldentum‘ Körners verkünden. Ein weiteres Mal wurde die Konstruktion des Helden mit einer spezifisch politischen Ausdeutung verknüpft.34

IV. „Schwerterklingen und Eichenrauschen“. Die Körner-Porträts auf Sammelbildern und Postkarten Schon Erhard Jöst hat beiläufig darauf aufmerksam gemacht, dass insbesondere die His­ torienmalerei des 19. Jahrhunderts „zur heroisch-verklärten Ideologisierung“ (Jöst 313) von Theodor Körners Vita beigetragen hat.35 Zu den bekanntesten Darstellungen zählt Georg Friedrich Kerstings Gemälde Auf Vorposten (1815), auf dem Ferdinand Hartmann, Theodor Körner und Karl Friedrich Friesen zu sehen sind, die auf einer Lichtung vor einer Eiche rasten.36 Sein als vorbildhaft inszenierter Einsatz in den Freiheitskriegen wurde von Malern wie Otto Donner von Richter, Richard Knötel oder Rudolf Trache im Verlauf des 19. Jahrhunderts wiederholt ins Bild gesetzt.37 Doch erst über die Reklamekunst, die sich seit den 1880er Jahren auch in Deutschland durchzusetzen begann,38 wurde der ‚Dich­ terheld‘ Körner im kollektiven Gedächtnis visuell verankert. Ungeachtet der unüberschaubaren Vielzahl an Motiven bildete die Historien- und Militärmalerei einen thematischen Schwerpunkt der Reklame-Sammelbilder.39 So gab beispielsweise die Schokoladen-Firma ‚Stollwerck‘ seit 1897/98 mehrere Sammelalben heraus, deren zehntes den Titel Helden-Album. Helden des Geistes und vom Schwert (1908/09) trug.40 Unter der Rubrik ‚Freiheitshelden‘ [Gruppe 446] findet sich als dritte Abbildung auch Richard Knötels Darstellung von Theodor Körner [Abb. 2], der noch in weiteren Serien der Stollwerck-Alben vorkommt.41 Im Begleittext zu Knötels Figurenbild wird Körner in der populären Doppelrolle von ‚Dichter‘ und ‚Held‘ gepriesen: […] Beim Vortrag eines seiner feurigsten Lieder, des todesfrohen Du Schwert an meiner Linken! hat ihn der Künstler dargestellt. Es war das letzte Lied das er, kurz vor seinem Tode, dichtete. […] In seinen Liedern, durch die es wie

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Schwerterklingen und Eichenrauschen tönt, lebt er ‚als Dichter und als Held‘ fort. (Jussen 27909)42 Gewissermaßen als ‚Verbindungsmedium‘ von bildungsbürgerlicher Gemäldekunst und alltagskultureller Reklamekunst begann sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Postkarte zu etablieren, deren Hochphase in den 1890er Jahren einsetzte.43 Neben der Ausprägung diverser Postkartenmotive wurde sie unter anderem für propagandistische Zwecke eingesetzt, indem Persönlichkeiten oder Ereignisse der deutschen Vergangenheit gezielt stilisiert und mythisiert wurden.44 Beispielsweise hat Otto May anhand des preußischen Generals Gerhard von Scharnhorst demonstriert, wie genau sich dessen glorifizierter Lebenslauf anhand des Kommunikationsmediums ‚Postkarte‘ nachvollziehen lässt.45 Für Theodor Körner wiederum haben Jutta Assel und Georg Jäger in drei Dokumentationen zusammengestellt, in welcher thematischen Vielfalt Postkarten von dem ‚Dichterhelden‘ vor allem im frühen 20. Jahrhundert produziert wurden.46 Auf der Grundlage dieser Sammlungen sollen drei repräsentative Erscheinungsformen der KörnerHeroisierung vorgestellt werden. Der Kriegsgottesdienst: Auf der ersten Postkarte [Abb. 3] ist die Reproduktion eines von Osmar Schindler signierten und auf den 14. September 1914 datierten Gemäldes abgedruckt, das die Inschrift trägt: „Vater ich rufe Dich“.47 Damit zitiert Schindler den Anfangs- und Schlussvers von Körners Gebet während der Schlacht, dessen fünfte Strophe zusätzlich unterhalb der Reproduktion wiedergegeben wird.48 In diesem Sakralgedicht, das im Ersten Weltkrieg in den Messen vor dem Abmarsch der Soldaten an die Front gesungen wurde,49 inszeniert Körner unter Rekurs auf die liturgischen Elemente der Anrufung, Segnung und Preisung einen pathosgeladenen Kriegsgottesdienst. Dabei folgen aus der Verpflichtung, das „Heiligste […] mit dem Schwerte“ (SW I, 95) schützen zu wollen, sowohl die unbedingte Subordination unter die göttliche Führerschaft als auch die bereitwillige Hingabe des eigenen Lebens. Schließlich mündet die militaristische Instrumentalisierung der Gebetsform in die apotheotische Vereinigung von lyrischem Sprecher und göttlicher Instanz: „Wenn mich die Donner des Todes begrüßen, | Wenn meine Adern geöffnet fließen: | Dir, mein Gott, dir ergeb’ ich mich!“ (SW I, 95) Körners repräsentative Kommunikationssituation, in der ein sprechendes Ich die kollektive Kriegsbegeisterung stellvertretend exponiert, wird von Schindler auf den Autor selbst übertragen. Auf seinem Gemälde ist es Körner, der sein Schwert beherzt umklammert hält und mit seiner kraftvollen Haltung die

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lyrische Aussage unterstreicht. Die leichte Untersicht betont seine heroische Entschlossenheit, während der in spannungsreichen Rosatönen gehaltene Hintergrund sowohl das „Schlachtendonnerwetter“ (SW I, 94) als auch die affektive Stimmung des Sprechers verbildlicht.50 Der Opfertod: Die zweite Postkarte [Abb. 4] zeigt die Reproduktion eines Gemäldes von Otto Heichert und ist mit der Überschrift „Körner’s Abschied vom Leben“ sowie den Versen „Die Wunde brennt, | Die bleichen Lippen beben“ bedruckt.51 Über den Titel wird explizit auf Körners autobiografisches Sonett Abschied vom Leben verwiesen, das er nach eigenen Angaben während seiner Verwundung in der Nacht vom 17. zum 18. Juni 1813 gedichtet hat.52 Angesichts des drohenden Todes erblickt der verletzte Sprecher erinnerungsgesättigte „gold’ne Bilder“ und gelangt zu der beruhigenden Einsicht, dass die im Herzen bewahrte „Freiheit“ (SW I, 101) den Tod überdauern wird. Da diese Freiheit letztlich die Gestalt eines „lichten Seraph[s]“ (SW I, 101) annimmt, wird ersichtlich, dass auch diesem Gedicht ein indirektes, mit der patriotischen Pflichterfüllung verklammertes Heilsversprechen eingeschrieben ist. Am Ende erscheint der soldatische Opfertod als notwendige Bedingung der paradiesischen Glückseligkeit. Heichert hingegen verzichtet bei seiner Darstellung des verwundeten Lützower Jägers sowohl auf die kriegsreligiöse Aussagetendenz des Gedichts als auch auf die Dramatisierung seiner Todeserwartung. Über die zitierten Verse wird die Aufmerksamkeit zwar auf die Kopfwunde des versehrten Dichters gelenkt, gleichzeitig aber wirkt dieser in seiner an einen Baumstamm gelehnten Haltung vergleichsweise entspannt. Nur der gen Himmel gerichtete Blick deutet an, dass es sich tatsächlich um „Körner’s Abschied vom Leben“ handelt. Das Heldengedenken: Auf der dritten Postkarte [Abb. 5] ist das Chemnitzer Körner-Denkmal zu sehen, das zu den vielgestaltigen Erinnerungsorten gehört, die im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts in Form von Denkmälern, Gedenksteinen und Gedenkstätten geschaffen wurden.53 Nach der 1863 gepflanzten ‚Körner-Eiche‘ hatte der 1891 gegründete ‚Körner-Tisch‘ gegen Ende des 19. Jahrhunderts genügend Geld gesammelt, um das Denkmal bei dem Dresdner Bildhauer Heinrich Epler in Auftrag zu geben. In Orientierung an dem Dresdner Körner-Standbild von 1871 schuf Epler eine ca. drei Meter hohe Bronzestatue, die am 18. Oktober 1901 auf dem Körner-Platz in Chemnitz eingeweiht wurde und die in selbstbewusster Haltung die linke Hand mit einem geöffneten Buch nach vorn streckt.54 Dass es sich bei dem Buch um Körners berühmte Gedichtsammlung Leyer und Schwerdt (1814)

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handelt, verdeutlicht der Sockel des Standbilds, auf dem das Frontispiz der Lyrikanthologie abgebildet ist. Damit präsentiert Epler den Dichter als jenen „verweg’nen Zitherspieler“ (SW I, 59), als der er sich in der Zueignung von Leyer und Schwerdt seinen Lesern vorstellt. Die Postkarte wiederum vergegenwärtigt Standbild und Sockel in Form eines Buntdrucks, der im AnsichtskartenVerlag Ottmar Ziehers hergestellt wurde.55 Über ihre Verweisfunktion wird die Postkarte schließlich als doppeltes Erinnerungsmedium kenntlich: Zum einen wird mit der Person Körners an den ‚Dichterhelden‘ und sein literarisches Vermächtnis erinnert, zum anderen wird mit der Darstellung des Chemnitzer Denkmals seine eminente Bedeutung für das nationale Bewusstsein unterstrichen.

V. „Frei – oder todt!“ Die filmische Präsentation von Körners Vita Mit der „Ablösung des patriotisch-wehrhaften Bürgerhelden durch den reichsnationalen Kriegshelden“ (Schilling 171) vollzog sich zwischen 1891 und 1914 ein paradigmatischer Wandel in der kollektiven Vorstellung von heroischer Männlichkeit. Wie bereits am Ende des dritten Abschnitts ausgeführt, wurde Theodor Körner im unmittelbaren Vorfeld des Ersten Weltkriegs zu einer charismatischen Heldenfigur mit vorbildhaften Qualitäten stilisiert.56 In diesem Umfeld wachsender Körner-Begeisterung entstand die Filmbiografie Theodor Körner. Von der Wiege bis zur Bahre [R: Franz Porten/Gerhard Dammann, D 1912], die am 26. August 1912 erstmals gezeigt wurde.57 Franz Kafka, einer der frühen Kinobesucher, notierte am 25. September über eine Vorführung: „Kinematograph im Landestheater. […] Körners Leben. Die Pferde. Das weiße Pferd. Der Pulverrauch. Lützows wilde Jagd.“ (Kafka 211) Die von Kafka vermerkte Präsenz der Pferde legt bereits nahe, dass es sich bei dem Historienfilm tatsächlich um ein „patriotisches Kolossal-Gemälde“ (zit. nach Nieberle 84) handelte, wie es im zugehörigen Werbetext hieß. Doch trotz des hohen Aufgebots von 1.500 Darstellern fand die Filmbiografie in der zeitgenössischen Presse keinen Anklang: Armer Theodor Körner! Die ganze lodernde Begeisterung des Heldenjünglings in ein paar burschikosen und ein paar Rührszenen abgetan. […] Man stelle sich das vor: ein gewaltiger, welterschütternder Völkerkampf auf das Niveau einer Dilettantenvorstellung in einem kleinstädtischen Kränzchen herabgezogen. (Rennert 131)

Obwohl dieser Historienfilm das zeitgenössische Bedürfnis nach filmästhetischer Begeisterung offenbar nur unzureichend zu stillen vermochte, ist ihm „das heroische Narrativ des Nationalismus“ (Nieberle 86) inhärent, das ein unbestimmtes, pauschal gegen ‚fremde‘ Unterdrücker gerichtetes Freiheitspathos zum Ausdruck bringt. Die filmische Inszenierung Körners wird dabei dezidiert am medial vermittelten Dichtergedenken ausgerichtet. So scheint beispielsweise die Konstellation der trauernden Lützower, die Körners Leiche umstehen, der Figurenanordnung auf Otto Donner von Richters Gemälde Die Lützower an der Leiche Körners nachempfunden.58 Die Popularität dieser Szene wurde zusätzlich dadurch gesteigert, dass die 1898 gegründete ‚Deutsche Mutoscop- und Biograph-Gesellschaft‘ jenes Filmstill als Postkarte in Umlauf brachte [Abb. 6].59 Während Franz Porten bereits vor dem Ers­ ten Weltkrieg Persönlichkeiten aus der preußischen Geschichte filmisch vergegenwärtigte,60 erlebte der Preußenfilm erst in den 1920er und frühen 1930er Jahren seinen eigentlichen Aufschwung.61 Am Beginn dieser Entwicklung stand die vierteilige Filmbiografie über Friedrich den Großen [Fridericus Rex, R: Arzén von Cserépy, D 1920-22], die mit ihrer „Fixierung auf eine meist einsam entscheidende Führerfigur genreprägend“ (Stiasny 272) wurde. Es folgten Filmbiografien über Ferdinand von Schill [Die elf Schillschen Offiziere, R: Rudolf Meinert, D 1926; Neufassung als Tonfilm 1932], Johann David Ludwig Yorck von Wartenburg [Yorck, R: Gustav Ucicky, D 1931], Gebhard Leberecht von Blücher [Marschall Vorwärts, R: Heinz Paul, D 1932] und schließlich auch über Theodor Körner. Der zweite Körner-Film, der den Titel Lützows wilde Jagd [R: Richard Oswald, D 1927] trägt, wurde am 21. Februar 1927 in Berlin uraufgeführt.62 Doch obwohl die Mehrzahl der Preußenfilme „demonstrative Exempel der patriotischen Ergriffenheit“ (Koller 167) lieferte, wurde Lützows wilde Jagd nur bedingt als Zeugnis des erstarkten „Hurra-Patriotismus“ (Nieberle 90) gewertet, wie eine zeitgenössische Rezension in der LichtbildBühne [1927] belegt. Diese Einschätzung dürfte nicht zuletzt der melodramatischen Qualität dieses Historienfilms geschuldet sein, zumal in der angeführten Rezension betont wurde, dass dessen „Hauptwert“ auf den „seelischen Konflikte[n] der einzelnen Personen“ (zit. nach Nieberle 90) liege.63 Am 4. Oktober 1932 wurde in Dresden unter dem Titel Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied [R: Carl Boese, D 1932] schließlich der dritte Körner-Film uraufgeführt, der im Gegensatz zu den zwei vorangehenden Stummfilmen zu den frühen deutschen Tonfilmen zählt.64

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Bereits der Untertitel dieses ‚Gesinnungsfilms‘ weckte die Erwartung,65 eine heroisch stilisierte Dichtervita geboten zu bekommen, wie sie auch das Filmplakat verbildlichte [Abb. 7]. An zentraler Position ist ein Porträt des Protagonisten zu sehen, der von dem erfolgreichen Kammersänger Willi Domgraf-Fassbaender gespielt wurde. Das Porträt der Filmfigur wird von mehreren martialischen Szenen gerahmt, die von Körners kampferfülltem Leben zeugen. Die Filmbiografie wiederum spannt einen zeitlichen Bogen von der Jugend Körners bis zu seinem Tod bei Gadebusch. Dabei werden wiederholt Kernpassagen aus seinen lyrischen Dichtungen eingeschaltet, die entweder mit patriotischer Inbrunst rezitiert oder chorisch in Liedform vorgetragen werden. Körner erscheint in diesem Zusammenhang als „orphische Gestalt propagandistischer Dichtung“ (Nieberle 91), was durch die Filmmusik unterstrichen wird, die Werner Schmidt-Boelcke in Anlehnung an bekannte Vertonungen von KörnerLiedern komponierte.66 Die politische Tendenz von Boeses Film­ biografie wird bereits in den ersten Sequenzen sichtbar. Als sich zwei Passanten begegnen, behauptet der erste: „wo drei Deutsche sind, […] sind drei Parteien“, woraufhin sein Begleiter entgegnet: „das nützt der Napoleon aus und hetzt Deutsche gegen Deutsche“ (TK 00:04:5000:05:00). Es lässt sich nicht nur festhalten, dass in der Aussage des ersten Sprechers ein „antiparlamentarische[r] Grundtenor“ (Koller 161) aufscheint, sondern auch, dass der Hinweis auf Napoleon angesichts der zersplitterten Parteienlandschaft der Weimarer Republik als direkte Warnung vor einem potentiellen Aggressor verstanden werden kann.67 Die indirekt anvisierte Einheit der Deutschen findet dagegen im kameradschaftlichen Kampfverband der Lützower Soldaten ihr positives Vorbild. Ferner wird die französische Hegemonie in den Preußenfilmen wiederholt als ‚Joch‘ apostrophiert, womit zugleich, wie Wolfgang Koller herausgestellt hat, der Versailler Friedensvertrag von 1919 in den Blick genommen ist.68 Angesichts dieses politischen Bezugs erfüllt die Heroisierung Körners die Aufgabe, das Aufbegehren gegen das ‚Joch‘ der Fremdherrschaft als exemplarisch und nachahmenswert darzustellen. Mit dieser Stilisierung Körners zu einem ‚Auserwählten‘ wird zugleich der Führerkult des Nationalsozialismus antizipiert, wie ihn Siegfried Kracauer in seiner Deutung des Weimarer Kinos Von Caligari zu Hitler (1947) beschrieben hat.69 Gleichwohl zeigt Boese auch Körners menschliche Seite, indem er dessen tragische Beziehung zu der österreichischen Schauspielerin Antonie Adamberger herausstellt. So werden drei strukturgebende Rollenbilder entfaltet, die sich allein schon aus

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biografischen Gründen wechselseitig durchdringen: der empfindsame Held, der patriotische Dichter und der wagemutige Kämpfer. Der empfindsame Held: Die Filmbiografie setzt mit der Darstellung von Körners Studentenzeit ein, in der er sich als Mitglied des Leipziger Korps ‚Thuringia‘ mit adligen Studenten duelliert.70 Im Anschluss an eine Mensur muss Körner aus der Universitätsstadt fliehen. Unterwegs trifft er auf die ihm noch unbekannte Antonie Adamberger, die ihn in ihrer Kutsche versteckt, so dass er seinen Verfolgern entgehen kann.71 Als er sicheren Boden erreicht hat, verlässt er sein Versteck und wendet sich an seine Retterin: „Ich bin ganz benommen. Ich weiß nicht, ist es von der gewonnenen Freiheit oder von dem süßen Duft meines Gefängnisses.“ (TK 00:11:35-00:11:41) Charmant verbindet Körner den indirekten Dank für seine Rettung mit einem Kompliment für die hilfreiche Unbekannte. Ihre Identität wird allerdings schon bald gelüftet, da Körner ihr am Wiener Hoftheater wiederbegegnet. Nach einer raschen Annäherung ist er bereits zu ihrem Verlobten geworden, der ihr abends vor dem Fenster ein Liebeslied darbringt. Körner wird dabei in halbnaher Einstellung und leichter Untersicht gezeigt [Abb. 8], wie er die erste bis dritte Strophe des Gedichts Ständchen singt.72 Gegen Ende seines Gesangs löst sich Antonie von ihrer Freundin, um zu Körner zu eilen. Während der Dichter noch die letzten Verse singt, beginnt Antonies Freundin zwei Verse aus Körners Trauerspiel Zriny zu lesen: „Da fliegt die Brandrakete in die Stadt. | Das Feuer faßt, schon brennt’s an –“ (SW II, 190, Szene III/10; TK 00:24:34-00:24:38) Mit dieser Resemantisierung wird nicht nur die ursprüngliche Kriegsmetaphorik in eine Liebes­ metaphorik umcodiert, sondern auch die Kon­ stellation des Heldenpaares von Zriny und seiner „Heldenbraut“ (SW II, 190, Szene III/10) Eva, die sich trotz der fallenden Brandraketen in den Armen liegen, auf Körner und Antonie übertragen. Auf diese Weise wird der empfindsame Lieb­ haber Körner zu einem heroischen Lieb­ haber aufgewertet. Als Körner jedoch vom Aufruf des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. zur Bildung von freiwilligen Jäger-Detachements hört und erfährt, dass fast das gesamte Leipziger Korps Thuringia in das Lützower Freikorps eingetreten sei,73 gerät Körner in den Konflikt zwischen Pflicht und Neigung. Da er sich entschließt, seinem Vaterland zu dienen, muss er auf das Liebesglück mit Antonie verzichten. Sowohl die sturmbewegte Gartenlandschaft als auch die spannungsreiche Filmmusik kehren seine starke emotionale Bewegung hervor.74 Um die Dringlichkeit der patriotischen Pflichterfüllung und die Bedeutungstiefe der Entscheidung zu unterstreichen,

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werden in kurzer Folge drei Blitze eingeblendet, womit Boese auf das klassische Arsenal heroisch-erhabener Bildtopik zurückgreift. Während Antonie ihren Geliebten zurückzuhalten versucht, bekräftigt dieser seine Standhaftigkeit mit den ersten zwei Versen aus dem Gedicht Männer und Buben, die später an prominenter Stelle in Veit Harlans Propagandafilm Kolberg [1945] zitiert werden: „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los; | Wer legt noch die Hände feig in den Schooß?“ (SW I, 109; TK 00:28:38-00:28:43)75 Körners Entschlossenheit wird währenddessen durch ein Close-up akzentuiert [Abb. 9]: Sein Blick schweift über Antonie hinweg und richtet sich auf das imaginierte Ziel, in Kürze ein Mitglied von Lützows Freikorps zu werden. Auf diese Abschiedsszene wird im Verlauf der Filmhandlung noch zweimal rekurriert. Der erste Rückbezug erfolgt, als sich Körner im Lützower Lager mit dem Soldaten August Renz unterhält, der sich später als die unter Pseudonym kämpfende ‚Heldenjungfrau‘ Eleonore Prochaska entpuppt.76 Als sie auf ihre Liebesbeziehungen zu sprechen kommen, wird erneut die Gartenszene eingeblendet, die in Körners Erinnerung um einen Dialog erweitert wird. Am Ende formuliert Antonie den flehentlichen Appell: „Du – mit deiner Freiheit, was geht denn dich das an? Du bist doch ein Dichter.“ (TK 00:38:44-00:39:19) Körner hingegen verdeutlicht mit seinem Engagement im Lützower Freikorps, dass sich der Typus des Dichters durchaus produktiv mit dem des Helden verbinden kann. Der zweite Rückbezug erfolgt, als sich Körner nach seiner schweren Verwundung bei seinen Eltern aufhält und dort nochmals auf Antonie trifft. Als er sich entschließt, erneut zu Lützow zurückzukehren, wird die erste Abschiedsszene strukturell aufgegriffen und in der Bildsprache intensiviert. Denn während sich Körner vom Pferd zu Antonie hinabbeugt [Abb. 10], umarmt sie ihn eindringlich und fleht schon beinahe kläglich: „Geh nicht von uns! Bleib hier!“ (TK 01:02:04-01:02:06) Dass Körner dennoch unbeirrt an seiner Pflichterfüllung festhält, verdeutlicht nicht nur seine Antwort, sondern auch die nachfolgende Kameraeinstellung [Abb. 11]. Die Verwendung der Totalen hat den Effekt, dass der in Rückenansicht davonreitende Körner angesichts des großformatigen Himmelsausschnitts einsam und beinahe verloren wirkt. Die inszenierte Vereinzelung des Helden veranschaulicht noch einmal deutlich, dass die heroische Bewährung das Opfer des Liebesglücks erfordert. Der patriotische Dichter: In dieser Rolle wird Körner in die Filmbiografie eingeführt, da er eingangs vor seinen Bundesbrüdern des Leipziger Korps Thuringia die siebente Strophe des Gedichts Trost rezitiert: „Und noch regt sich mit

Adlers Schwung | Der vaterländ’sche Geist, | Und noch lebt die Begeisterung, | Die alle Ketten reißt. | Und wie wir hier zusammenstehn | In Lust und Lied getaucht, | So wollen wir uns wieder sehn, | Wenn’s von den Bergen raucht.“ (SW I, 79; TK 00:02:0300:02:22) Getragen von dieser pathetisch exponierten ‚Begeisterung‘ stimmen die Bundesbrüder sofort in das Bundeslied ein, dessen letzte Strophe variierend gesungen wird: „Ein festes Herz | In Lust und Schmerz, | In Kampf und Noth, | Frei – oder todt!“ (SW I, 209; TK 00:02:55-00:03:10)77 Schließlich trägt Körner die letzten vier Verse aus seinem Gedicht Was uns bleibt vor: „Ob die Nacht die freud’ge Jugend tödte, | Für den Willen giebt es keinen Tod; | Und des Blutes deutsche Heldenröthe | Jubelt von der Freiheit Morgenroth!“ (SW I, 108; TK 00:03:37-00:03:49) Bereits diese Auszüge umreißen schlagwortartig Körners dichtungspolitisches Programm: Der Gemeinschaftsbund, den der „vaterländ’sche Geist“ stiftet, bildet die Vorstufe für eine künftige Kriegsgemeinschaft. Angesichts des Schematismus „Frei – oder todt“ erscheint die kommende heroische Bewährung wie eine alternativlose Notwendigkeit. Dabei wird die angestrebte Freiheit gezielt ideologisch überhöht, indem das „Morgenroth“ den Anbruch einer neuen Zeit metaphorisch ankündigt. Der Freiheitsbegriff selbst bleibt jedoch weitgehend unbestimmt und erweist sich daher als anschlussfähig für konkrete politische Funktionalisierungen.78 An späterer Stelle wird Körner als der schöpferische Dichter präsentiert, der an seinem Trauerspiel Zriny arbeitet. Sofort liest der hinzugetretene Intendant des Wiener Hoftheaters einige Verse aus dem Reflexionsmonolog Zrinys vor: „Ich fühl’ es klar, ich kämpfte nicht vergebens; | Durch Todesnacht bricht ew’ges Morgenroth. | Und muß ich hier mit meinem Blute zahlen, | Ein Gott vergilt mit seines Lichtes Strahlen!“ (SW II, 222, Szene V/2; TK 00:17:47-00:18:00) Der ungarische Graf Nikolaus Zrínyi, der in Körners Trauerspiel gegen den türkischen Kaiser Soliman zu Felde zieht, demonstriert mit seiner Niederlage, dass noch „der eigene Untergang [als] ein moralischer Sieg“ (Luckscheiter 284) angesehen werden könne. Auch wenn der Intendant von dieser Stoffwahl abrät,79 erweist sich der ‚Dichterheld‘ Zrínyi als zentrale Bezugsfigur für Körner. Dabei zählt für den Dramatiker insbesondere die wirkungsästhetische Rezeptionskraft seines Stücks: „Aufreizen soll es alle Deutschen von Nord bis Süd! Einig zu sein, wenn es gilt, das Vaterland zu befreien!“ (TK 00:18:19-00:18:24) Körner erkennt seinen literarischen Werken folglich die konkret gesellschaftspolitische Funktion zu, zum patriotischen Freiheitskampf aufzufordern. Diese Auffassung korrespondiert mit der

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Einschätzung Lützows, der Körner an späterer Stelle bescheinigt, seine „Freiheitslieder“ seien seine „besten Werber“ (TK 00:30:55-00:30:59). Um die Soldatengemeinschaft ideologisch zu stabilisieren, wird schließlich das prominente Freiheitslied Lützows wilde, verwegene Jagd gesungen, das zum „Marsch- und Schlachtlied der kühnen Krieger“ (Film-Kurier [5]) avanciert.80 Der wagemutige Kämpfer: Dass Körner die heroischen Ideale nicht nur dichterisch propagiert, sondern auch tatkräftig umzusetzen versucht, betont er bereits mit seiner agitatorischen Rede, als er in Lützows Freikorps eintritt. An seine künftigen Mitstreiter gewendet, fordert er enthusiastisch: „Frisch auf, ihr Jäger! Frei und flink, die Büchse von der Wand! Der Mutige bekämpft die Welt! Frisch auf den Feind! Frisch in das Feld – fürs deutsche Vaterland!“ (TK 00:31:03-00:31:13) Auch wenn Körners Beteiligung an den Kampfhandlungen der Lützower zunächst nicht eigens vorgeführt und er vielmehr als treusorgender Kamerad am Krankenbett der verwundeten Eleonore Prochaska gezeigt wird, stellt er spätestens im Gefecht mit den französischen Truppen des Generals François FournierSarlovèse sein Kriegsheldentum unter Beweis.81 Nach einem schweren Säbelhieb sinkt er im Gehölz bei Großzschocher zu Boden und erinnert mit der Körpergeste des sterbenden Helden [Abb. 12] an Otto Heicherts Gemälde Körner’s Abschied vom Leben [Abb. 4]. Ohne jedoch auf Körners gleichnamiges Sonett einzugehen, folgt filmintern die Überblendung zu Toni, die im Rahmen einer Theaterprobe eine Passage aus Zriny rezitiert: […] wie er mir den […] Abschied Mit dem gezognen Säbel zugewinkt – Es ist der letzte Gruß, rief’s mir, der letzte! Dort draußen lauert der Verrath auf ihn, Dort draußen ist der Liebe Tod bereitet! Da zuckt’ es mir versengend durch die Brust, Das Auge brach, des Herzens Pulse stockten, Wie Traum des Todes kam es über mich. (SW II, 131, Szene II/1; TK 00:53:09-00:53:45) An dieser Stelle wird die von Körner stilisierte Heldenvita Zrinys am direktesten auf seine eigene Lebenssituation projiziert. Auch wenn Körner dank der Pflege Eleonore Prochaskas schon bald wieder zu Kräften kommt, antizipiert diese Todesvision bereits Körners nahenden Untergang. Sein patriotisches Engagement wird schließlich durch die stimmungsvolle Totenwache gewürdigt [Abb. 13], bei der die trauernden Lützower eine Strophe aus Lützows wilder, verwegener Jagd singen.82 Diese Verklärung des

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abgeschiedenen Dichters wird nur noch durch die Montage im zugehörigen Themenheft des Illustrierten Film-Kuriers gesteigert [Abb. 14], die den aufgebahrten Körner neben der trauernden Eleonore Prochaska und den das Grab umstehenden Lützowern zeigt. Dass Körners ideelles Vermächtnis auch in Zukunft fortexistieren wird, bekräftigt Eleonore Prochaska mit ihren Schlussworten: „Theodor Körner ist nicht tot. Seine Lieder, die zur Freiheit riefen, werden immer leben.“ (TK 01:11:5601:12:02) Damit wird die bleibende Aktualität der Befreiungslieder angesprochen, denen insbesondere 1932 die Aufgabe zukommt, den ‚vaterländischen Geist‘ zu mobilisieren.83 Im Vordergrund steht nicht ein historisch adäquates Bild Körners, sondern das „spektakuläre Tableau“ (Nieberle 93), das den Freiheitsimpuls seiner Heldenlieder und seines Heldendramas Zriny popularisieren soll. Auch wenn die Realisierung dieser wirkungsästhetischen Zielstellung allenfalls in begrenztem Rahmen gelang,84 wird der Filmbiografie eine entscheidende Gedächtnisfunktion zugewiesen: Sie soll nachhaltig den patriotischen Gemeinsinn im kollektiven Bewusstsein aktualisieren.

VI. „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los“. Resümierender Blick auf eine instrumentalisierte Heldenfigur Nach seinem frühen Tod wurde der Dichter und Kriegsfreiwillige Theodor Körner rasch zu einer kanonischen Heldenfigur aufgewertet. Im 19. und noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war er als bedeutende nationale Ikone über eine Vielzahl von Erinnerungsmedien im kollektiven Gedächtnis verankert. Blieb sein dichterisches Werk über etliche Neuauflagen und Wiederabdrucke im öffentlichen Bewusstsein präsent, etablierten zunächst die Artikel der Gartenlaube ein populäres Bild des ‚Dichterhelden‘ Körner. Wie in den historischen Romanen des 19. Jahrhunderts wurde er wiederholt für die Vorstellung von einem deutschen Nationalstaat instrumentalisiert. Die Aufbereitung seiner Vita im Rahmen geschichtlicher Romane diente primär der Identifikation mit dem heroischen Vorbild und sollte sekundär die männliche Jugend mobilisieren. Während der Gedenkjahre 1863 und 1913 verdichteten sich die Schilderungen seines Lebens zu einem typisierten Heldennarrativ, das beispielsweise Wilhelm Wohlrabe vergegenwärtigte. Gleichzeitig wurden die Gedenkschriften mit stilisierten Szenen aus Körners Vita versehen, die ebenso wie die heroischen Historiengemälde das allgemeine Bild prägten.

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Aus diesem Repertoire speisten sich wiederum die Sammelbilder und Postkarten, die nicht nur zur massenmedialen Verbreitung von KörnerMotiven beitrugen, sondern auch, wie im Falle der Denkmal-Postkarten, den Erinnerungsbezug intermedial erweiterten. Den Konvergenzpunkt dieser Entwicklung bildeten schließlich die Filmbiografien Körners, in denen zentrale Narra­ tionsmuster aufgegriffen, prägnante Passagen aus seinen Dichtungen zitiert sowie etablierte Gedenkorte filmisch inszeniert wurden. Am profiliertesten gelang es Carl Boese, den prominenten Lützower Jäger als empfindsamen Helden, patriotischen Dichter und wagemutigen Kämpfer zu präsentieren. Während im 19. Jahrhundert über Theodor Körner verstärkt an die nationale Hochzeit der antinapoleonischen Kriege erinnert wurde, intensivierte sich um 1913 und zu Beginn der 1930er Jahre die ideologische Vereinnahmung des ‚Dichterhelden‘. Spätestens mit der Ausstellung Grossdeutschlands Freiheitskampf, die die Staatlichen Museen Berlin als „eine Art von Kriegsmaßnahme“ (Katalog 7) durchführten, bekam die Instrumentalisierung Körners explizit propagandistische Züge. Mit dem Porträt von Dora Stock, der Erstausgabe von Leyer und Schwerdt sowie mit Kerstings Gemälde Auf Vorposten wurden populäre Erinnerungsmedien zusammengetragen, um in nationalsozialistischer Vereindeutigung die idealtypische „Verbindung von Geist und Wehrwillen“ am Beispiel Körners zu veranschaulichen (Katalog 146). Des Weiteren wurde die martialische Formel „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los“ (SW I, 109) aus Körners Gedicht Männer und Buben öffentlichkeitswirksam in den ‚Durchhaltefilm‘ Kolberg integriert. Schon am 18. Februar 1943 hatte Joseph Goebbels diesen Vers in seiner Proklamation des ‚totalen Kriegs‘ aufgegriffen und zu der ‚Parole‘ umgeformt: „Nun, Volk, steh auf und Sturm, brich los!“ (Goebbels) Während die staatliche Propaganda versuchte, eine Volksgemeinschaft heraufzubeschwören, über Selbstund Feindbilder eine gemeinsame Identität zu konstruieren und vor allem nach den Rückschlägen im Krieg vermehrt die Kampfbereitschaft zu fördern, wurde der Rekurs auf Theodor Körner und die antinapoleonischen Kriege bemerkenswerterweise auch von der politischen Opposition eingesetzt. So parallelisierte die Widerstandsgruppe ‚Die weiße Rose‘ den Kampf gegen die NSDAP mit dem Freiheitskampf gegen Napoleon und bekräftigte ihren mobilisierenden Appell mit einem Zitat aus Körners Soldatenlied Aufruf: „Frisch auf, mein Volk! Die Flammenzeichen rauchen“ (Scholl; SW I, 83).85 Mit dieser gegenläufigen Funktionalisierung hatte die ideologische Vereinnahmung des ‚Dichterhelden‘ ihren

vorläufigen Höhepunkt erreicht.86 Kaum noch etwas erinnerte an den einstigen Sänger, dessen Lieder angeblich den Berlinerinnen so manchen „bodenlosen Wonneseufzer“ entlockt hatten (Heine II, 55).87 Theodor Körner war über die mediale Aufbereitung vielmehr zu einer Projektionsfigur geworden, die den massenhaften Tod für das Vaterland legitimieren sollte. 1 Körners Werke (1838) werden im Folgenden über die Sigle ‚SW‘, der Film Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied (1932) über die Sigle ‚TK‘ zitiert. Vgl. das Literaturverzeichnis. 2 Vgl. Erll 165. 3 Vgl. Szépe 295-297. 4 Vgl. Schilling 133-158, 236-248, 271-286. 5 Vgl. Disselkamp. 6 Vgl. Jöst 319. 7 Vgl. Hagemann 340-350. 8 Vgl. auch Wohlrabe I, 106, mit Hinweisen auf die KörnerNekrologe von Friedrich Rückert und Emanuel Geibel. 9 Beispielsweise wurde im Dresdner Körner-Museum Ernst Weickers Aquarell Theodor Körners Grab zu Wöbbelin im Jahre 1813 gezeigt. Vgl. Gedenkbuch 44. Zu Abbildungen der Grabstätte vgl. Kammerhoff 30, 32. Größere Verbreitung fanden die Beschreibungen in der Gartenlaube (1861/1863) und die Darstellung von Brasch. 10 Vgl. Schilling 126-168. 11 In 15 von 48 Ausgaben des Jahrgangs 1863 erschienen Artikel über Körner. 12 Vgl. Körners Todesstätte 789. 13 Vom Denkmal bei Rosenberg wird sogar eine Abbildung gezeigt. 14 Siehe Anm. 3. 15 Vgl. Heft 8, 12, 27 und 35 der Gartenlaube (1863). 16 Vgl. vor allem Ackermann; Schröder; Körner’s Leier; Körner’s Todesstätte; Festgräber; Körner-Gräber; Besuch bei Körner’s Pflegerin. 17 Das Körner-Museum wurde von Emil Peschel, einem der wichtigsten Körner-Biografen, im ehemaligen Dresdener Wohnhaus der Familie Körner gegründet. Er sammelte die Uniform und Waffen des Dichters und stellte dessen letztes, blutgetränktes Tagebuch als Reliquie aus. Neben anderen Bildern waren dort das Kreidebildnis von Emma Körner, das während seines letzten Dresden-Aufenthalts 1813 entstanden war, sowie Otto Donner von Richters Gemälde Theodor Körners Freunde, von dem gefallenen Waffengefährten in Wöbbelin abschiednehmend zu sehen. Vgl. Körner-Museum; Gedenkbuch 9, 41-44, 51; Bauer 243-245. Fotografien von Vitrinen mit Körner-Devotionalien aus dem 1945 zerstörten Dresdener Körner-Museum ebenso wie Reproduktionen der genannten Bilder sind abgedruckt bei Kammerhoff. 18 Vgl. Erll 143-193. 19 Die quantitative Analyse hat ergeben, dass zwischen 1815 und 1945 im deutschsprachigen Raum über 560 Romane (Erstausgaben) zu diesem Thema von deutschen Autoren erschienen, hinzu kamen Übersetzungen aus anderen Nationalliteraturen. Eine große Hilfe für die Ermittlung historischer Romane zu den Kriegen zwischen 1792 und 1815 war die umfangreiche Datenbank, die im Rahmen des Projektes ‚Historische Romane‘ an der Universität Innsbruck aufgebaut wurde. Vgl. http://www.histrom.literatur.at; Zugriff: 03.08.2014.

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Zur Heroisierung Theodor Körners im 19. und 20. Jahrhundert

20 Zur Analyse von Raus Roman vgl. Schultz 313-318.

46 Vgl. Assel/Jäger I, II, III.

21 Was die Kennzeichnung der Quellen betrifft, wurde explizit auf Gesamtausgaben der Werke Körners, auf historiografische Werke, auf Biografien, sowie auf publizierte Ego-Dokumente Bezug genommen. Zu den von Rau und Mühlfeld zitierten Erinnerungsschriften vgl. Nissen. Zur Erwähnung Wöbbelins vgl. Rau II, 396; Mühlfeld 4, 247-250.

47 Zu Osmar Schindler vgl. Biedermann/Dehmer. Der schma­ le Katalog enthält leider keine Informationen über Schindlers Körner-Gemälde.

22 Vgl. Rösler 66-67.

24 Vgl. Rösler 195; SW I, 101-103, 91-94.

50 Die Rosafärbung des Hintergrunds erinnert überdies an den rosafarbenen Schein, mit dem Friedrich Schillers Jungfrau von Orleans (1801) am Ende der Tragödie überwölbt wird.

25 Das Lützower Freikorps und Theodor Körner behandeln u. a. Grabi; Ohorn; Sommer.

51 Zu verschiedenen Varianten dieser Postkarte vgl. Assel/ Jäger I.

26 Ohorns geschichtliche Erzählung ist mit einigen Abbildungen versehen. Die Illustration der Aufbahrung Körners erinnert in ihrer Bildkomposition und -sprache an Otto Donner von Richters Gemälde Die Lützower an der Leiche Körners (1845). Vgl. Ohorn 139.

52 Der Untertitel des Sonetts lautet: „Als ich schwer verwundet und hülflos in einem Holze lag und zu sterben meinte“ (SW I, 101).

23 Vgl. Rösler 188-189.

27 Vgl. Meteling 295. 28 Im Kontext dieser Schilderung ist das Pastellporträt Körners von Emma Körner abgebildet. Ähnliche Deutungen wie bei Wohlrabe finden sich auch in historischen Romanen. Vgl. exemplarisch Grabein. 29 Vgl. Schubert; Gedenkbuch; Kralik. Theodor Körner wird bei Fritz Löffler zum „Beitrag“ (Löffler 69) Sachsens an den Erfolgen des Jahres 1813 stilisiert. 30 Vgl. May; Stodte; von der Vring. 31 Zu Eleonore Prochaska vgl. Bauer 70-75; Bastet/Götting-Nilius. 32 Vgl. Schilling 183-195, wo Schilling zahlreiche Artikel ausgewertet hat, die anlässlich von Körners 100. Todestag am 26. August 1913 erschienen waren. Die wachsende Körner-Begeisterung erstreckte sich auch auf die Schulen, wie Barbara Hanke exemplarisch nachgewiesen hat. Für das Schuljahr 1914/15 lautete beispielsweise eine Themenstellung: „Was lehrt uns Theodor Körner für den gegenwärtigen Krieg?“ (Hanke 52) 33 Auf Boeses Filmbiografie wird im fünften Abschnitt detailliert eingegangen. – Die Gestaltung des Buchcovers ist an Richard Knötels Gemälde Theodor Körner liest seine Kriegslieder vor angelehnt. Vgl. Bauer 54. Einige Jahre später erschien ebenfalls zu Körner: Hofer. 34 Vgl. Püschel; Löwe; Völkel. 35 Jösts Argumentation zielt jedoch allein auf die Verklärung des „Dichterheldentodes“ (Jöst 313). 36 Zum Gehalt von Kerstings Gemälde vgl. Schäfer 190191.

48 Vgl. SW I, 94-95. 49 Vgl. Sauermann 273.

53 Zu den Körner-Gedenkstätten als Postkarten-Motive vgl. Assel/Jäger II. 54 Vgl. Körner-Denkmal 90. Zum Körner-Standbild in Dresden vgl. Bauer 242. 55 Auf der Postkarte ist seitlich vermerkt: „Heliocolorkarte von Ottmar Zieher, München“. Vgl. Kugler. 56 Siehe Anm. 31. 57 Vgl. Nieberle 83-89; Rother 63. 58 Zu dieser Parallele vgl. Nieberle 87, wo das Gemälde Richters und das entsprechende Filmstill nebeneinander abgebildet sind. Eine farbige Reproduktion von Richters Gemälde bieten Assel/Jäger I. Dass die Figurenanordnung auf Richters Gemälde ihrerseits der Konstellation auf JacquesLouis Davids Gemälde Der Ballhausschwur (1791) nachempfunden sei, hat Kirstin Anne Schäfer behauptet. Vgl. Schäfer 191. 59 Ebenfalls abgebildet bei Jutta Assel und Georg Jäger, ohne dass dort auf die Filmvorlage hingewiesen wird. Vgl. Assel/Jäger I. 60 Neben Portens Körner-Film ist sein dreiteiliger Film von der Königin Luise (1912/13) zu nennen. 61 Vgl. Koller 155, wo ein Diagramm zum „Verlauf der deutschen Spielfilmproduktion über die Revolutions- und Napoleonischen Kriege“ für die Zeit zwischen 1913 und 1945 abgebildet ist. 62 Vgl. Stiasny 294; Nieberle 89-91. Zu alternativen Filmtiteln, die direkt auf Körner Bezug nehmen, vgl. ebd. 89. 63 Andernorts wurde der Film allerdings als ‚kitschig‘ und ‚verlogen‘ abgelehnt. Vgl. Koller 169. 64 Vgl. Stiasny 295; Nieberle 91-95.

37 Zu den Körner-Gemälden Knötels und Traches vgl. Bauer 54-55.

65 Vgl. Koller 176.

38 Zu den Anfängen der Reklamekunst vgl. Lorenz 11.

67 Vgl. Nieberle 92.

39 Vgl. Lorenz 39; Breidenbach 214-215.

68 Vgl. Koller 153, 165-166.

40 Vgl. Epple 169.

69 Vgl. Nieberle 91; Stiasny 270. Im Gegensatz zur Konjunktur der Preußenfilme behauptet Kracauer, dass die antinapoleonischen Kriege „zur Zeit vom Aufstieg Hitlers etwas abgelegen schienen“ und wertet Theodor Körner zu einer „mittelmäßigen Filmbiographie“ (Kracauer 318, Anm. 24) ab.

41 Vgl. Lorenz 120. Knötels Reklamebild ähnelt seinem Gemälde Körner liest seine Kriegslieder vor. Vgl. Bauer 54. Weitere Körner-Reklamebilder von Knötel enthalten die Stollwerck-Serien Deutschlands Freiheitssänger [Album 14, Gruppe 526, Bild 4], Der Frühjahrs-Feldzug [Album 14, Gruppe 531, Bild 6] und Die Augustschlachten [Album 14, Gruppe 532, Bild 3]. 42 Jussen 27909. Zu Körners Gedicht Du Schwert an meiner Linken! bzw. seinem Schwertlied vgl. SW I, 113-116.

66 Vgl. Bockstiegel 61.

70 Vgl. Jäger 378-379. 71 Diese frühe Begegnung zwischen Körner und Antonie Adamberger ist frei erfunden.

44 Vgl. Faulstich 180.

72 Vgl. SW I, 312-313; TK 00:23:18-00:24:38. Von der ers­ ten Strophe werden nur die ersten vier und von der zweiten Strophe nur die zweiten vier Verse gesungen. Die vierte Strophe fehlt ganz.

45 Vgl. May 2010.

73 Vgl. TK 00:27:06-00:27:17.

43 Vgl. Kotłowski 13.

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74 Zu dieser Szene vgl. auch Horak 121-122. 75 Gegenüber der Textvorlage weicht der zweite Vers in der Verfilmung minimal ab, in der Körner fragt: „Wer legt jetzt die Hände noch streng in den Schoß?“ Zur Funktion des KörnerZitats in Kolberg vgl. Paret. 76 Siehe Anm. 30.

Anonym. „Ein Besuch bei Theodor Körner’s Pflegerin in Groß-Zschocher“. Die Gartenlaube 12 (1863): 407-408. [Zitiert als: Besuch bei Körner’s Pflegerin] Anonym. „Die Körner-Gräber und ihre alten Wächter“. Die Gartenlaube 12 (1863): 420-423. [Zitiert als: Körner-Gräber]

77 In der zitierten Körner-Ausgabe findet sich das Gedicht unter dem Titel Weinlied.

Anonym. „Die Wöbbeliner Festgräber“. Die Gartenlaube 12 (1863): 549-551. [Zitiert als: Festgräber]

78 Vgl. Weber 312.

Anonym. „Körner-Denkmal in Chemnitz.“ Die Kunst für Alle 17 (1902): 90. [Zitiert als: Körner-Denkmal]

79 Körner hatte dagegen für die Wahl dieses Stoffes viel Zuspruch bekommen. Vgl. Luckscheiter 275. 80 Lützows wilde, verwegene Jagd wird von Körner am nächtlichen Lager gesungen, während er von den Lützowern chorisch begleitet wird. Vgl. TK 00:40:23-00:41:07. Der heroische Gesang wird abrupt von einem Gewehrschuss unterbrochen, der den Überfall durch eine feindliche Patrouille anzeigt. Später übernimmt Friedrich Schillers Reiterlied die gemeinschaftsstiftende Identifikationsfunktion für die Lützower. Vgl. TK 00:49:11-00:50:01. Zur Popularität von Schillers Reiterlied während der antinapoleonischen Kriege vgl. Linder-Beroud 214. 81 Dabei werden die Spuren des heroischen Kampfes mit der Semantik des Schreibens enggeführt, wenn Lützow mit Blick auf Körners Narbe behauptet: „das ist eine Handschrift, die wir nicht vergessen werden“ (TK 01:02:51-01:02:54). Vgl. Nieberle 92. 82 Vgl. Nieberle 93. 83 Vgl. Koller 176. 84 Zumindest für den Körner-Film Lützows wilde Jagd hat Sigrid Nieberle eine zeitgenössische Rezension in Der Bildwart ausfindig gemacht, in der es heißt: „Er [der Film] erzeugt aber viel eher Erinnerungsbilder, als daß er zu Handlungen veranlaßt“ (zit. nach Nieberle 91). 85 Zur Rhetorik der Widerstandsgruppe Schulze-Boyens/ Harnack und der ‚Inneren Front‘ vgl. Scheel. 86 Zur Stilisierung Körners zum ‚russophilen Volksbefreier‘ in der DDR-Zeit vgl. Szépe 301-302. 87 Im dritten von Heinrich Heines Briefen aus Berlin, der auf den 7. Juni 1822 datiert ist, heißt es: „so steigt das Hochgefühl mancher Berlinerin, wenn sie ein Körnersches Lied hört; sie legt die Hand graziöse auf den Busen, quietscht einen bodenlosen Wonneseufzer […] und spricht: ‚Ich bin eine deutsche Jungfrau.‘“ (Heine II, 55)

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Abbildungen

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Abb. 1: Herzog, Rudolf. Horridoh Lützow! Der Roman eines Freischärlers (1932)

Abb. 2: [Richard Knötel:] Theodor Körner. Stollwerck’s Sammel-Album 10 (1908/09)

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Abb. 3: Postkarte. Recto: Bild: „Vater Ich Rufe Dich. O. Schindler 18. Sept. 1914.“

Abb. 4: Postkarte. Recto: „Körner’s Abschied vom Leben | Die Wunde brennt, | Die bleichen Lippen beben.“

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Abb. 5: Postkarte. Recto: „Chemnitz, Körnerdenkmal“.

Abb. 6: Postkarte. Recto: „An der Bahre Körners.“ Verso: „Gruß aus… Theodor Körner. Ein Heldenleben.“

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Abb. 7: Illustrierter Film-Kurier 14 (1932), Nr. 1844: Theodor Körner. Ein deutsches Heldenleben, Titelblatt.

Abb. 8: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied (1932), Zweiter Akt, 00:24:02.

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Abb. 9: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied (1932), Zweiter Akt, 00:28:38.

Abb. 10: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied (1932), Vierter Akt, 01:02:06.

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Abb. 11: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied (1932), Vierter Akt, 01:02:26.

Abb. 12: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied (1932), Dritter Akt, 00:53:00.

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Abb. 13: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied (1932), Vierter Akt, 01:11:23.

Abb. 14: Illustrierter Film-Kurier 14 (1932), Nr. 1844: Theodor Körner. Ein deutsches Heldenleben, [7], Bildausschnitt.

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Herzog, Rudolf. Horridoh Lützow! Der Roman eines Freischärlers. Berlin: Vier Falken, 1932, Cover. Abb. 2: [Richard Knötel:] Theodor Körner. Stollwerck’s Sammel-Album 10 (1908/09), Serie „Freiheitshelden“, Bild 446/3. – Jussen 27908. Abb. 3: Postkarte. Recto: Bild: „Vater Ich Rufe Dich. O. Schindler 18. Sept. 1914.“ Bildunterschrift: „Vater, ich preise Dich! | ’s ist ja kein Kampf für die Güter der Erde; | Das Heiligste schützen wir mit dem Schwerte; | Drum, fallend und siegend, Preis’ ich dich, | Gott, dir ergeb’ ich mich! Theodor Körner.“ Gelaufen. – Privatbesitz. – Weitere Internetquelle: http://www.bildpostkarten.uni-osnabrueck.de/displayimage. php?pid=1387 &fullsize=1 Abb. 4: Postkarte. Recto: „Körner’s Abschied vom Leben | Die Wunde brennt, | Die bleichen Lippen beben.“ Nicht gelaufen. – Privatbesitz. – Weitere Internetquelle: http:// www.bildpostkarten.uni-osnabrueck.de/displayimage. php?pid=1380&fullsize=1 Abb. 5: Postkarte. Recto: „Chemnitz, Körnerdenkmal“. Gelaufen. – Privatbesitz. – Weitere Internetquelle: http://www. historisches-chemnitz.de/altchemnitz/denkmaeler/koernerdenkmal/koernerdenkmal3.jpg Abb. 6: Postkarte. Recto: „An der Bahre Körners.“ Verso: „Gruß aus… Theodor Körner. Ein Heldenleben. Deutsche Mutoscop- und Biograph Gesellschaft. Verlag: E. Baumann, Berlin SW. 61. Kaiser Friedrich-Platz 2.“ Gelaufen. – Privatbesitz. – Weitere Internetquelle: http://www.goethezeitportal.de/fileadmin/Images/db/wiss/bildende_kunst/ koerner/ luetzower_jaeger/Koerner_Bahre_Baumann__786x500_. jpg Abb. 7: Illustrierter Film-Kurier 14 (1932), Nr. 1844: Theodor Körner. Ein deutsches Heldenleben, Titelblatt. Abb. 8: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied (1932), Zweiter Akt, 00:24:02. Abb. 9: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied (1932), Zweiter Akt, 00:28:38. Abb. 10: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied (1932), Vierter Akt, 01:02:06. Abb. 11: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied (1932), Vierter Akt, 01:02:26. Abb. 12: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied (1932), Dritter Akt, 00:53:00. Abb. 13: Filmstill. Theodor Körner. Ein deutsches Heldenlied (1932), Vierter Akt, 01:11:23. Abb. 14: Illustrierter Film-Kurier 14 (1932), Nr. 1844: Theodor Körner. Ein deutsches Heldenleben, [7], Bildausschnitt.

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DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2014/02/07

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Viva Garibaldi! – Heldentum und mediale Inszenierung am Übergang zur politischen Moderne 1. Einführung Der italienische Freiheitskämpfer Giuseppe Ga­ ribaldi kann ohne Zweifel zum Kanon jener gro­ ßen Männer des 19. Jahrhunderts gerechnet werden, die den Übergang in das Zeitalter der politischen Moderne geprägt haben. Der ‚Held zweier Welten‘, wie er aufgrund seines kämpferischen Engagements gegen absolutistische Herrschaftssysteme in Euro­ pa und Südamerika getauft wurde, erwarb sich schon zu Lebzeiten den Status einer internatio­ nalen Berühmtheit. Wer war dieser Mann, der als „first celebrity of the modern political age“ (Riall a) gefeiert wurde und über den die franzö­ sische Schriftstellerin George Sand im Mai 1860 schrieb: Dieser Mann, der fast allein steht, ist ein Mann des Wunders; er lässt Throne erzit­ tern, er ist die Oriflamme, das feuerfarbe­ ne, sternenübersäte Banner einer neuen Ära. Ganz Europa richtet die Augen auf ihn und erwacht jeden Morgen mit der Frage, wo er ist und was er tags zuvor ge­ tan hat. (Sand 363-364) Noch heute gilt der 1807 in Nizza geborene Ga­ ribaldi als militärischer Wegbereiter der italieni­ schen Einheit und bedeutendster Repräsentant eines politischen Heldentums demokratischer Prägung im 19. Jahrhundert. Für einen Mann von bescheidener Herkunft war dies eine beachtliche Karriere, zumal er Zeit seines Lebens kaum über nennenswerte politische Macht verfügte (Riall a). Garibaldi schaffte den Sprung aus der Anonymi­ tät auf die Bühne der großen Geschichte weitge­ hend aus eigener Kraft. Zwar hatte er durchaus Fürsprecher, Gönner und Bewunderer, dennoch war er mit seinen radikalen demokratischen An­ sichten, seiner unangepassten Lebensweise so­ wie seinem Hang zu militärischen Alleingängen selbst in den Reihen der ideologisch bunt gefä­ cherten italienischen Nationalbewegung häufig

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isoliert. Zudem hatte er in seiner militärischen Laufbahn mehr Niederlagen und Rückschläge als Erfolge aufzuweisen. Garibaldis Ruhm mit seinem politischen Idea­ lismus, seinen herausragenden Fähigkeiten als militärischer Führer gepaart mit einem rhetori­ schen Talent zur politischen Mobilisierung von Menschenmassen erklären zu wollen, würde je­ doch eindeutig zu kurz greifen. Im Rahmen einer ‚kulturalistischen‘ Geschichtsforschung, die in den 1980er Jahren mit Konzepten wie Benedict Andersons Imagined Communities, Eric Hobs­ bawms und Terence Rangers The Invention of Tradition oder Pierre Noras lieux de mémoire Kontur gewann, wurde der Blick zunehmend für die imaginären und symbolischen Prozesse geschärft, die das Zeitalter der Nationalstaatsbil­ dungen in und außerhalb Europas prägten. Vor diesem Hintergrund lässt sich nicht zuletzt auch die Popularität des italienischen Freiheitskämp­ fers als Ergebnis komplexer Mechanismen der Traditionsstiftung begreifen, die zur Herausbil­ dung nationaler Freiheitsbewegungen und neu­ er patriotischer Ikonen führten. Der vorliegende Artikel wird daher den Versuch unternehmen, diesen Heldenkult in seinen Grundzügen – v. a. im Kontext zeitgeschichtlicher Faktoren der kol­ lektiven Bewusstseinsbildung – zu rekonstruie­ ren und seine Entwicklung vor dem Hintergrund geis­ tiger und medialer Prozesse zu beschrei­ ben.1 Aufgrund seiner herausragenden zeit­ geschichtlichen Bedeutung ist das Beispiel Garibaldi nicht zuletzt dazu geeignet, zen­trale Wesensmerkmale der Entstehung einer Hel­ denkonzeption zu beleuchten, die sich an der Schwelle zur politischen Moderne herausgebil­ det hat. In dieser Hinsicht ist die Figur Garibaldi sowohl ‚Objekt‘ einer zeitgeschichtlich motivier­ ten, politisch-kulturellen Dynamik – ein Produkt politischer Ideale, kollektiver Sehnsüchte und romantischer Narrative im Zeitalter der Natio­ nalstaatsbildung. Schriftsteller wie Victor Hugo feierten ihn als Vorkämpfer für die Freiheit der

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Völker. Garibaldi inspirierte unzählige Literaten, die seine Lebensgeschichte zum Abenteuerro­ man umschrieben und auf diesem Wege einen Mythos schufen, in dem „fact and fiction, [...] no­ velistic fantasy and political truth“ (Riall b 162) kaum mehr voneinander zu trennen waren. Der Held Garibaldi ist zugleich jedoch auch aktives ‚Subjekt‘, das sich selbst gestaltet: In der Figur des Revolutionärs affirmierte sich ein Helden­ tum, das sich als politisches, zugleich jedoch in hohem Maße als ästhetisches und mediales Projekt begreift: Von der Kleidung bis hin zum Einsatz moderner Massenkommunikationsmittel zog er sämtliche Register, um jenen CharismaEffekt zu erzielen, der darin besteht, „to interest a certain number of people in the glitter of his personality“ (Geertz 13). Er verfügte damit über jene „puissance communicative“ (Balzac 167), die der Erzähler in Balzacs Père Goriot den gro­ ßen Akteuren der Geschichte zuschrieb. Garibaldis kometenhafter Aufstieg zur schil­ lernden Berühmtheit wird in der Summe also durch eine Reihe zeitgeschichtlicher Faktoren ermöglicht, die von Lucy Riall in einer Garibaldi Formula zusammengefasst wurden: Garibaldi’s fame was a media creation. It was made possible by the expansion in print culture and the increase in mass literacy, and of a fit between the genres of romantic popular fiction and the spread of radical ideas. There was little that was spontaneous about Garibaldi’s appeal or its meaning, although its popular reception took everyone by surprise. Rather, it was the result of a deliberate political strat­egy planned by the nationalist leader Giusep­ pe Mazzini, and implemented by him and a group of talented publicists. Using both the printed word and the image they set out to promote Garibaldi as a real-life rad­ ical hero, and to identify him with the plot­ lines and themes of Italian romantic litera­ ture. (Riall a)2 Neben geistigen, kulturellen und narrativen As­ pekten bilden insbesondere massenmediale Entwicklungen im 19. Jahrhundert eine Grund­ voraussetzung für die Popularität Garibaldis. In Ermangelung politischer Gestaltungsmöglichkei­ ten nutzte er gezielt die neuen Errungenschaf­ ten des technologischen Fortschritts sowie auch die zunehmende Bedeutung visueller Medien, um sich und seine politischen Ziele ins rechte Licht zu rücken: In der Zeit nach 1848 war der ‚Held zweier Welten‘ eine der meistporträtierten Persönlichkeiten. Sein Konterfei zirkulierte in un­ zähligen Stichen, Lithografien und Fotografien. Früh erkannte Garibaldi die Bedeutung der mo­ dernen Kriegsberichterstattung. Auf seinen mili­ tärischen Feldzügen ließ er sich daher bewusst

von Journalisten, Schriftstellern und Fotografen begleiten. Diese sorgten dafür, dass seine Taten ihren Weg von den Schlachtfeldern in die breite Öffentlichkeit fanden. Auch trat er selbst immer wieder als Akteur in Erscheinung, wenn es da­ rum ging, sein öffentliches Bild zu beeinflussen und sein politisches Erbe zu verteidigen – unter anderem mit einer Autobiographie und zwei Ro­ manen, die sich in ein kaum zu überblickendes Feld biographischer Darstellungen einreihen, in der Garibaldi zur mythisch-romantischen Ikone der Zeitgeschichte verklärt wurde.

2. Zeitgeschichtliche Voraussetzungen Als Zeitalter der politischen und kulturellen Na­ tionalstaatsbildung war das 19. Jahrhundert europaweit eine Epoche des Personenkultes. Insbesondere das postrevolutionäre Frankreich, das in Sachen Erinnerungspolitik für aufstreben­ de Nationen wie Italien zum Vorbild avancierte, prägte z. B. mit Ruhmeshallen wie dem Pariser ‚Panthéon‘ einen patriotischen Vergangenheits­ kult, dessen Kern das Gedenken an die ‚grands hommes‘ des Vaterlandes bildete.3 Im Zeitalter des aufkeimenden nationalen Be­ wusstseins versuchten italienische Schriftsteller wie Ugo Foscolo, die den Idealen der französi­ schen Revolution nahestanden, die Italiener für ihre Historie zu sensibilisieren. Die Erinnerung an die Helden der Vergangenheit wie Dante, Machiavelli oder Giordano Bruno sollte der Be­ völkerung Handlungsvorbilder liefern, um die einstige moralische und kulturelle Größe der Na­ tion zurückzuerlangen und die historische politi­ sche Zersplitterung des Heimatlandes zu über­ winden. Mit einer Vielzahl an Denkmälern und öffentlichen Gedenkfeiern wurde der neue Kult der ‚großen Männer‘ im entstehenden Gedächt­ nis der aufstrebenden Nation verankert. Orte wie das vermeintliche Dante-Grab in Ravenna oder die als nationale Ruhmeshalle verehrte Kir­ che Santa Croce in Florenz mit den sterblichen Überresten Michelangelos und Galileis rückten wieder stärker in das öffentliche Bewusstsein. Sie avancierten zu Pilgerstätten und Stationen eines nationalen Erinnerungsparcours, auf dem die Italiener im frühen 19. Jahrhundert ihre histo­ rische Größe ‚wiederentdecken‘ konnten.

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Viva Garibaldi!

2.1. Moderne Helden: ‚hommes d’action‘, ‚hommes de guerre‘ Im fortgeschrittenen 19. Jahrhundert vollzog sich in Italien eine signifikante Transformation des nationalen Heldenmodells: Die zunehmend revolutionäre Stimmung spülte insbesondere im Vorfeld des Ersten Unabhängigkeitskrieges von 1848/49 eine Reihe historischer Figuren ins öf­ fentliche Bewusstsein, die in der Geschichte allenfalls Nebenrollen bekleidet hatten. Neue Helden kamen plötzlich in Mode, die nicht mehr in erster Linie Kulturikonen – Literaten (Dante), Wissenschaftler (Galilei) oder Künstler (Michel­ angelo) –, sondern zumeist reine Kämpferty­ pen waren. Ritter und Heerführer wie Alberto da Guis­sano – Kriegsheld in der Schlacht von Legnano 1176, bei dem ein Bündnis oberitalieni­ scher Städte gegen Kaiser Friedrich Barbarossa triumphierte – avancierten zu Vorbildern junger patriotischer Generationen. Als vermeintliche historische Vorkämpfer für Freiheit und Selbst­ bestimmung des italienischen Volkes fanden sie Aufnahme in einen neuen Kanon von Nati­ onalhelden, der in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entstand und in der patrioti­ schen Literatur verbreitet wurde.4 Die Popularisierung des Modells der ‚großen Männer‘ ließ sich zugleich in ein nationales Ge­ schichtsverständnis einbetten, das insbesonde­ re in Frankreich großen Einfluss entfaltete und die Rolle des Individuums in der Geschichte hinterfragte. Mit ihrem Ansatz, die prägenden historischen Persönlichkeiten aus ihrem sozia­ len Kontext heraus verstehen zu wollen, sie als Produkte von Kultur und Gesellschaft sichtbar zu machen, vollzogen Historiker und Philosophen wie Thierry, Michelet oder Comte eine Abkehr vom bekannten Carlyle’schen Diktum, wonach die historische Entwicklung auf dem Wirken gro­ ßer Männer beruht.5 Mit der „théorie de l’homme représentatif“ (Gérard 37) stellten sie die bekannten histo­ rischen Akteure in einen unmittelbaren, orga­ nisch-dynamischen Zusammenhang mit dem Volk oder der Nation als den eigentlichen trei­ benden Kräften der Geschichte. Nicht zuletzt im Geschichtsbild Michelets war damit letztendlich eine begriffliche Präferenz für den Terminus des Helden verbunden, die auf einer klaren Unter­ scheidung von ‚grand homme‘ und ‚héros‘ be­ ruhte: [...] préférant le mot de héros pour sa conno­ tation épique, à celui de grand homme qui désigne, pour lui, une autorité politique ou institutionnelle extérieure à la vie du peuple. Le héros […] n’est rien sans l’im­ pulsion populaire qui le porte. (Gérard 43)

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Der Held zeichnet sich hier v. a. dadurch aus, dass er im Gegensatz zum ‚grand homme‘, der vielfach allein und gegen die eigene Epoch­ e handelt,6 an ihrer Spitze agiert und dabei in exemplarischer Weise die kollektiven Sehnsüch­ te seiner Zeit verkörpert, wie Sand mit Blick auf Helden wie Garibaldi betont: Sie vereinigen die Seele einer Nation in sich, und wenn man wohl darauf achten will, dann wird man in diesem hier eine Art Personifikation des wiedererstehen­ den Italiens mit seiner schmerzvollen Ver­ gangenheit, seinen bitteren Dramen [...] sehen [...]. (Sand 363)

2.2. ‚Melodramatisierung‘ der Öffentlichkeit: Medien des kollektiven Bewusstseins Da die Behörden zahlreicher Staaten auf der italienischen Halbinsel zumeist versuchten, den nationalen Diskurs im Zeitalter der Restauration durch Zensur und Verfolgung zu unterdrücken, verlagerte sich der patriotische Nationalkult weit­ gehend auf das Feld der Literatur und hier ins­ besondere auf die ‚neuen‘ Gattungen wie den historischen Roman und das Melodrama, die in Ermangelung anderer Medien und Institutionen der kollektiven Bewusstseinsbildung zu Leitins­ tanzen einer politischen Identitätskonstruktion avancierten. Mehr noch als andernorts stand die nationale Geschichtsdebatte in Italien, wo die Romantik mit einer zeitlichen Verzögerung ein­ setzte, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weitgehend im Zeichen des historischen Ro­ mans. Autoren wie Massimo D’Azeglio setzten diese Medien der massentauglichen Geschichts­ vermittlung gezielt dazu ein, ihrem Lesepublikum die Ereignisse und Helden einer als national ge­ dachten Vergangenheit zu präsentieren. In die­ ser Zeit entstanden so eine Vielzahl historischer Romane, Melodramen und auch Opern (z. B. von Giuseppe Verdi), in denen angebliche Natio­ nalgeschichte oft zu trivialen, emotional jedoch höchst eingängigen Plots verschmolzen wurde, in denen italienische Helden gegen Fremdherr­ schaft aufbegehrten, dramatische Abenteuer durchzustehen hatten und dabei die Ehre der gesamten Nation verteidigten.7 Im Medium des historischen Romans als massentauglicher „Form melodramatischer Historiographie“ (Ihring 228) tritt der von Hay­ den White in Metahistory: The Historical Imagination in Nineteenth Century Europe (1973) festgestellte Wirkungszusammenhang von his­ torischer und narrativer Darstellung besonders offenkundig zu Tage. Vergangenheit wird im

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Geschichtsroman nicht nur vermittelt, sondern gleichsam als melodramatisches Erlebnis er­ zählt. Mit der Verdichtung des nationalen Frei­ heitskampfes auf einen Streit zwischen Gut und Böse, seiner sakralen Überhöhung, die den Hel­ den zur hagiographischen Figur stilisiert, stellten die in der italienischen Öffentlichkeit des frühen 19. Jahrhunderts omnipräsenten Medien und Genres wie Melodrama, patriotische Oper oder auch Historienmalerei zentrale Kategorien der Realitätswahrnehmung zur Verfügung, die auch im Garibaldi-Kult wirksam werden sollten. Sie entfalteten gerade auch deshalb eine erhebliche Breitenwirkung, weil sie ein gesellschaftliches Bedürfnis nach emotional erfahrbarer und „ar­ chetypischer“ (Schwaderer 173) Historie befrie­ digten und heroische Gegenwelten zur bürgerli­ chen Realität des 19. Jahrhunderts schufen.8 Mit Blick auf Italien lässt sich von einer er­ heblichen ‚Melodramatisierung‘ der politischen Kultur und Gesellschaft im fortgeschrittenen 19. Jahrhundert sprechen (Sorba 481-508). Eine enge Verknüpfung von romantischen Narrativen, Zeitgeist und revolutionärer Praxis wurde nicht zuletzt dort offenkundig, wo sich eine Art patrio­ tischer Habitus herausbildete, der literarische Plots gewissermaßen imitierte. Durch die Medi­ en der kollektiven Bewusstseinsbildung wurden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur Motivationen, sondern konkrete Handlungs­ motive tradiert: Zu jener Zeit entwickelte sich beispielsweise die Praxis des Duells zwischen jungen italienischen Patrioten und den Reprä­ sentanten der Okkupationsmächte in vielen Teilen Italiens zu einer Hauptform des national inspirierten, heroischen Widerstandes, der litera­ rische Vorbilder nachahmte (Banti 139-148). Das Heroische dieser Akteure wurde dabei häufig mit Hilfe eines Kunstgriffes, der sich im Sinne Hobsbawms als Prozess der Traditions­ erfindung beschreiben lässt, in ein mythisches Licht gerückt. Durch die Transposition religiöser Sinnelemente in den nationalen Diskurs wur­ den die leidgeprüften Helden der Vergangenheit und Gegenwart in der patriotischen Rhetorik zu Märtyrern stilisiert. Die Verknüpfung von Ver­ gangenheit und christlicher Symbolik diente im patriotischen Diskurs vor allem dazu, nationale und religiöse Identifikation miteinander zu ver­ schmelzen und den neuen, quasi-sakralen Va­ terlandskult glaubhaft in Geschichte und Tradi­ tion zu verankern.9 In der Erinnerung kommt den für das Vater­ land gefallenen Helden dabei oft eine Stellver­ treterfunktion zu. Ob nun Jeanne d’Arc oder Giordano Bruno – die Märtyrer der National­ geschichte sind oftmals zutiefst einsame oder tragische Figuren, deren Tapferkeit oft auch auf das abwesende kollektive Heldentum verweist.

Insofern präsentieren sie „[j]enseits von indivi­ dualpsychologischer Ambivalenz und defizitärer Wirklichkeit [...] Archetypen heldenhafter Le­ bens- und Todesauffassung.“ (Christadler 201)10 Aus ihrer Perspektive lässt sich eine durch Fremdherrschaft bestimmte Vergangenheit, in der es kaum Beispiele für erfolgreiche Revolten und Unabhängigkeitsbestrebungen gab, den­ noch als Heldengeschichte lesbar machen. Die Märtyrer stehen für Leid und historische Konti­ nuität der Nation zugleich, da sie durch ihr Bei­ spiel signalisieren, dass nationale Werte selbst in vermeintlich ‚unheroischen‘ Zeiten nie ganz erloschen waren.

3. (Massen-)Mediale Kontexte In seiner Studie zur Entstehung des Nationalis­ mus (Imagined communities: reflections on the origin and spread of nationalism, 1983) hat Be­ nedict Anderson auf die Bedeutung des Buch­ drucks und des Kapitalismus für den historischen Prozess der ‚Nationserfindung‘ verwiesen – Fak­ toren, die es Gesellschaften ermöglichten, sich über bestehende geographische und soziale Grenzen hinaus als ‚vorgestellte Gemeinschaf­ ten‘ zu begreifen und ein Bewusstsein kollektiver Zugehörigkeit auszubilden. Während die Romantik und die Medien der Vergangenheitsbildung wesentliche kognitive, narrative und kulturelle Voraussetzungen für den Aufstieg der Nation, ihrer Symbole und Heldenfi­ guren schufen, eröffneten der wirtschaftliche, so­ ziale sowie auch der technologische Fortschritt und die damit einhergehenden neuen Entwick­ lungen im Medienwesen der Heldeninszenie­ rung im anbrechenden Zeitalter der politischen Moderne bis dato ungekannte Möglichkeiten. Die zunehmende Technisierung des Druck­ wesens machte Literatur für breite Bevölkerungs­ schichten erschwinglich. Der Ausbau des Schul­ wesens trug zu einer signifikanten Erhöhung der Alphabetisierung in Europa bei und führte auch in Italien zu einer beachtlichen Ausweitung des Lesepublikums. Prozesse wie Verstädte­ rung sowie eine maßgebliche Verbesserung der Infra­struktur vereinfachten Vertrieb und Zirkula­ tion von Presseerzeugnissen. Neben Buch und Zeitschrift etablierten sich moderne Formate wie Illustrierte, Taschenbuch sowie neue Gattungen wie der Feuilleton- oder Fortsetzungsroman, die sich gezielt an ein Massenpublikum wand­ ten. Die Erfindung des Telegraphs erhöhte die Aktualität von Informationen und ermöglichte es Journalisten, zeitnah von den großen Ereignis­ sen und bedeutenden Schauplätzen rund um den Globus zu berichten. Militärische Konflikte

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Viva Garibaldi!

wie der Krimkrieg avancierten zu regelrechten medialen Events und Propagandaschlachten, an denen eine breite internationale Öffentlichkeit unmittelbar und auf vielfältige Weise – durch Te­ legraphie, Zeitung, offizielle Pressemitteilungen etc. – partizipieren konnte. Ihre Protagonisten wie Garibaldi wurden auf diese Weise zu Per­ sönlichkeiten der Zeitgeschichte, die man sowohl in Rom, London als auch in New York kannte.11 Durch die Lithografie und insbesondere die Er­ findung der Fotografie drangen Ereignisse und Helden zunehmend über bildliche Medien in das kollektive Bewusstsein [s. auch Kap. 5]. Porträts berühmter Persönlichkeiten wie Napoleon oder Fotografien von zeitgenössischen Schlachten wie jener von Solferino im Jahre 1859 erreichten dabei auch jene sozialen Milieus, in denen der Analphabetismus nach wie vor weit verbreitet war. Die gesellschaftlichen Eliten, insbesondere Napoleon und seine Nachfolger, verwendeten den Journalismus und die modernen Massen­ medien dabei immer öfter auch als Propagandaund Herrschaftsinstrument. Die zunehmende mediale Durchdringung der Gesellschaft eröffnete jedoch nicht nur den herr­ schenden Klassen ungeahnte Möglichkeiten der Selbstinszenierung. Sie schuf die Voraussetzun­ gen für den Aufstieg neuer Persönlichkeiten, die, wie Garibaldi, kaum über politischen Rückhalt und Machtmittel verfügten.

4. Garibaldi zwischen Wirklichkeit und Fiktion: Strategien der Mythisierung und Inszenierung In Italien versuchten die intellektuellen Köpfe der italienischen Nationalstaatsbewegung, die im frühen 19. Jahrhundert zwar noch kaum über politischen Einfluss, wohl jedoch über Drucker­ pressen verfügte, durch die Verbreitung von Büchern, Zeitungen und Flugblättern aus dem Untergrund heraus die restaurative Ordnung zu destabilisieren und die Massen für ihre liberalen Gesellschaftsziele zu gewinnen. Nach Überzeugung der patriotischen Vor­ denker bedurfte es in dieser Hinsicht jedoch weit mehr als medialer Propaganda, literarischer Gedächtnisarbeit und agitatorischer Rhetorik. Damit die patriotische Botschaft ihren Weg in die Breite der Gesellschaft fand, musste sie mit eindringlichen Symbolen und Ikonen verknüpft werden, die geeignet waren, die nationale Sa­ che zu repräsentieren, ihr ein Gesicht zu geben, zumal gerade im kulturell heterogenen Italien zentrale kollektive Identitätsbausteine wie eine gemeinsame (Hoch-)Sprache oder ein geteil­ tes Geschichtsbild nur einer kleinen Minderheit

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vertraut waren. Gesucht wurde eine charismati­ sche Identifikationsfigur für die breite Masse, ein Held aus ihrer Mitte, der die Bevölkerung mobili­ sieren konnte. Der Mann, der diese Kriterien erfüllte, war Giuseppe Garibaldi, der 1848 nach langjährigem Exil in Südamerika wieder die öffentliche Bühne in Italien betrat. Von Mailand bis Palermo wur­ de die Halbinsel von Aufständen erschüttert, in denen sich große Teile der Bevölkerung gegen die restaurativen Monarchien auf italienischem Boden erhoben. Garibaldi selbst war bei seiner Rückkehr längst kein Unbekannter mehr. Aus seiner Zeit in Südamerika eilte ihm ein gewisser Ruf als tapferer Freiheitskämpfer voraus und die führenden Köpfe der demokratischen National­ bewegung trugen ihres dazu bei, ihn zum neu­ en Hoffnungsträger der ‚Wiedergeburt‘ Italiens zu stilisieren, indem sie schon im Vorfeld der Revolution eine regelrechte internationale Me­ dienkampagne entfachten. Diese Kampagne, die in der Betonung von Garibaldis militärischen Fähigkeiten, seiner Tugendhaftigkeit und seines außergewöhnlichen Mutes sowie auch seiner charismatischen, virilen Ausstrahlung seman­ tisch ganz bewusst den Anschluss an die in der Öffentlichkeit kursierenden Narrative und Hel­ denmuster der patriotisch-fiktionalen Literatur suchte, hatte einen maßgeblichen Anteil daran, dass Garibaldi in den Augen seiner Mitmen­ schen schon vor seiner Rückkehr nach Italien eine mythisch-heroische Gestalt war und zur Projektionsfläche für die Hoffnungen der Mas­ sen auf einen politischen Wandel avancierte. Dass sich Garibaldi sofort in ein aussichtsloses militärisches Unterfangen stürzte – die Vertei­ digung der revolutionären Römischen Republik vor einer Übermacht französischer Truppen, die den aus Rom geflohenen Papst wieder einset­ zen wollten – schien seinen Ruf als mutiger, selbstloser Kämpfer zu bestätigen, der nach dem Muster literarischer Helden der Vergangen­ heit handelt. Die Ereignisse um die Verteidigung der Römischen Republik von 1849 konnten und sollten dabei durchaus vor dem Hintergrund his­ torischer Romanplots interpretiert werden: So wird in einem patriotischen Bestseller, Francesco Domenico Guerrazzis Roman L’assedio di Firenze (1836), der die Belagerung von Florenz durch die Truppen Karls V. im Jahre 1530 zum Thema hat, die Funktion des obersten Verteidigers der florentinischen Republik vom tapferen ‚condot­ tiere‘ und glühenden Patrioten Francesco Fer­ ruccio bekleidet. In den Augen seiner Zeitgenos­ sen erschien Garibaldi daher entsprechend oft als Inkarnation des florentinischen Heerführers Ferruccio (so z. B. in Abba 71).

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In der Zeit nach 1848/49, als die Erfahrungen des revolutionären Doppeljahres in unzähligen Chro­ niken und Tagebüchern zu einer Art nationalem Erweckungsmoment verarbeitet wurden – zum ersten Mal hatten große Teile der italienischen Bevölkerung wenn auch letztlich erfolglos gegen Fremdherrschaft und restaurative Herrschafts­ politik rebelliert –, entzündete sich auch um die Person Garibaldi ein regelrechtes mediales Feu­ erwerk, das den Verteidiger der Römischen Re­ publik zum lebenden Mythos transformierte. Mit Beginn der 1850er Jahre wurde Garibaldis Vita zu einem Narrativ, in dem die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zunehmend verschwammen. Versteht man den Mythos einer gängigen Definition Roland Barthes zufolge als Aussage und Form (s. Barthes 193), deren innere Struk­ turmerkmale [Quelle, Autorschaft etc.] in den Augen der Betrachter gleichsam verborgen, ja geradezu aufgehoben scheinen, so kommt es auch im Falle der medialen Darstellung Gari­ baldis zu einer organischen Verschmelzung von Faktischem und Fiktionalem – eine Entwicklung, die der italienische Freiheitskämpfer maßgeblich selbst befeuerte und entschieden beeinflusste. In die frühen 1850er fielen die Anfänge einer Literatur über Garibaldi, die das wachsende Inte­ resse eines nationalen wie auch internationalen Publikums an seiner Person bediente und ein Hauptgrund für seinen enormen Popularitäts­ zuwachs nach der 1848er-Revolution gewesen sein dürfte. Mit dem Erscheinen der ersten, von Garibal­ di höchstpersönlich autorisierten Biographie aus der Feder des italienischen Journalisten Giovan­ ni Battista Cuneo im Jahre 1850 wurde jenes narrative Prinzip aus der Taufe gehoben, das sich im weiteren Verlauf gewissermaßen ver­ selbständigte und Garibaldis Leben nach dem Modell einer hagiographischen Erzählung als Genese einer historisch-mythischen Ausnahme­ figur beschrieb. Im Bestreben, Garibaldis Vita als idealisierte, exemplarische Heldengeschichte sichtbar zu machen, reicherte Cuneo historisch verbürgte Fakten mit fiktiven erzählerischen Ele­ menten eines historischen Abenteuerromans an (vgl. Riall b 148-149 u. 162-163). Die Fiktiona­ lisierung von Garibaldis Leben nach dem Mus­ ter populärer Abenteuergeschichten, die dem romantischen Zeitgeist entsprachen, folgte im Grundsatz einem dramaturgischen Schema, das Garibaldis Leben als verdichtete Abfolge von Heldentaten, Abenteuern und Liebesgeschich­ ten erschienen ließ. Ein von Hippolyte Castille verfasster Lebensbericht zeichnete Garibaldi vor diesem Hintergrund als

a man of extraordinary bravery ... with a handsome countenance, well-built, full of strength and agility, imposing, proud and theatrical ... of a few words and many ac­ tions, generous, tender ... [a] blond head, calm, even languid, eyes ... His life is but a series of adventures, travels, love-affairs, and of great sword-fights, just like the nov­ els of Ariosto. (Garibaldi. Paris 1859, zit. n. Riall b 195) Castille erwähnt dabei jene Attribute und Ei­ genschaften des romantischen Helden, dessen innere Werte [Tugendhaftigkeit, außergewöhnli­ che Tapferkeit, edles Gemüt] und kämpferische Qualitäten sich in Verbindung mit seiner physi­ schen Attraktivität – einer virilen, jedoch zugleich sanften Ausstrahlung – zu einem formelhaften Muster verbanden, das schon im frühen 19. Jahr­ hundert zum gängigen Repertoire der fiktionalen Historienliteratur zählte. In einem historischen Roman D’Azeglios von 1833 wird Fieramosca, ein im Zeitalter des nationalen Aufbruchs gefei­ erter ‚condottiere‘ aus dem frühen 16. Jahrhun­ dert, auf recht ähnliche Weise porträtiert: Alle jedoch im Einklang lobten sein gu­ tes Gemüth, seine Tapferkeit, sein höf­ liches Benehmen [...] ‚Euch gefällt sein Antlitz und wem würde es nicht gefallen? Welchen Werth hat die Schönheit eines Mannes? Aber wenn ihr das Gemüth des Jünglings kennen würdet, dessen Edel­ sinn und großartiges Herz! Was er die Waffen in der Hand wagte mit tollkühnem Muthe [...]‘ (D’Azeglio 32) Im Zuge jener Umschreibungsversuche, die sei­ ne Lebensgeschichte zum Mythos transformier­ ten, entwickelte sich Garibaldi Ende der 1850er zum Gegenstand einer internationalen Unterhal­ tungsindustrie. Sein Leben wurde nicht nur zu biographischen Heldensagen und Abenteuerro­ manen mit Bestsellerstatus verarbeitet, sondern inspirierte Theaterstücke sowie auch unzählige patriotische Gesänge und Volksdichtungen, die den Mythos Garibaldi selbst in die entlegensten Gebiete Italiens und Europas trugen (s. Riall b 151-154). Der technologische Fortschritt und die damit einhergehende mediale ‚Revolution‘, die eine massenhafte Verbreitung von Porträts berühm­ ter Persönlichkeiten in Zeitungen, Illustrierten oder auf Postkarten ermöglichten, hatten im fort­ geschrittenen 19. Jahrhundert großen Anteil an der Entstehung einer bildlich dominierten Hel­ denkultur. Institutionen wie Museen, in denen Geschichte ‚besichtigt‘ werden konnte, schufen die Grundlagen für eine neuartige, visuell ge­ prägte Erinnerungskultur, die das Gedenken an die ‚großen Männer‘ prägen sollte.

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Viva Garibaldi!

In seinem Buch Imageries hat Philippe Hamon dargelegt, wie nicht nur der öffentliche Raum durch bildliche Medien wie Fotografie und Rekla­ me, sondern auch die Literatur im 19. Jahrhun­ dert von einer visuell geprägten Kultur er­obert wurde. In dieser Hinsicht zeugt nicht zuletzt die biographische Literatur über Garibaldi vom Be­ mühen, „de transformer le corps en enseigne“ (Hamon 15), den Helden in seiner Körperlichkeit strahlen zu lassen und sein Äußeres zur revolu­ tionären Marke zu stilisieren. Auf den Schlacht­ feldern der nationalen Revolution brillierte mit den Worten Sands „ein Ritter der alten Zeit“, der durch „edles Aussehen“ und die „hinreißen­ de [...] Kraft seines patriotischen Glaubens“ Be­ wunderung hervorrief – ein „Führer“ (Sand 361), der tollkühn und gleichzeitig bescheiden wirkte, dessen körperliche Markenzeichen [braunge­ brannter, durchtrainierter Körper, langes Haar, Vollbart] in Kombination mit einem unkonventio­ nellen, schillernden Outfit [rotes Hemd, Poncho, Filzhut...] ihm die Aufmerksamkeit und Bewun­ derung seiner Zeitgenossen sicherten: Il [Garibaldi] était vraiment magnifique [...] avec son chapeau de feutre écorné par une balle, sa chemise rouge, son pantalon gris traditionnel et son foulard noué autour de son cou et faisant capuchon en arrière. (Dumas 231) Mit Garibaldi affirmierte sich eine unangepass­ te, freigeistige Lebensform, ein ‚Antiheldentum‘, das nicht nur gängigen Biographien und Le­ bensmustern der großen Männer zuwiderlief, sondern allgemein mit Stilnormen seiner Zeit brach. Als „handsome human face of revolution“ (Riall a) eignete sich Garibaldi nicht nur als po­ puläres charismatisches Markenzeichen einer aufstrebenden Nationalstaatsbewegung, die für eine bessere Zukunft kämpfte, sondern zugleich als attraktiver Gegenentwurf einer traditionellen Machtelite – eine „poetische, mit dem Reize des Unbekannten umkleidete Figur“, die, wie Sand notierte, „in Frankreich alle Herzen und Phan­ tasien auf das Tiefste ein[nimmt].“ (Sand 361). Zeitgenossen wie der Patriot Emilio Dandolo be­ schrieben Garibaldi als antibürgerlichen Helden, dessen unkonventionelles Äußeres und extra­ vagantes Auftreten dem gängigen Habitus und den Regeln des militärischen Apparates krass zuwiderliefen, der jedoch gerade deshalb die romantischen Phantasien seiner Zeitgenossen zu beflügeln schien: Garibaldi and his staff were dressed in scarlet blouses, with hats of every possible form, without distinctions of any kind, or any pretension to military ornament. They rode on American saddles, and seemed to

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pride themselves on their contempt for all the observances most strictly enjoined on regular troops. (Dandolo 204) Sein persönliches Kleidungsmarkenzeichen, das rote Hemd, wurde in der Folgezeit zum Symbol einer patriotischen Generation zumeist junger republikanischer Freiwilliger, die als ‚camicie rosse‘ [‚Rothemden‘] bzw. ‚garibaldini‘ an der Seite ihres Helden für den italienischen Nationalstaat kämpften. Aus seiner Zeit als Guerilla-Kämpfer in Süd­ amerika, um die sich schon vor seiner Rückkehr nach Italien zahlreiche Abenteuergeschichten und Mythen rankten, umgab Garibaldi eine Aura des Geheimnisvollen, ein verführerisches Maß an Exotik, das in der Literatur phantasiereich ausgeschmückt wurde, zumal er entgegen pat­ riotisch-konservativen Vorstellungen in Südame­ rika eine brasilianisch-stämmige Frau namens Anita geheiratet hatte, die ihn auf seinen militäri­ schen Abenteuern begleitete. In dieser Hinsicht erwies sich Garibaldis Vita wie auch sein per­ sönlicher Lebens- und Kleidungsstil als geeig­ net, sowohl die patriotischen Hoffnungen seiner Zeit als auch romantisch-bürgerliche Evasions­ vorstellungen, die nach Exotik und Überwindung der stark reglementierten, engen Lebenswelt strebten, in sich zu vereinen. Die kursierenden literarischen Narrative und Topoi, die Garibaldis transgressives Potential be­ tonen, wurden in den visuellen Medien zumeist aufgenommen: So hat man den Helden häufig in der auch literarisch gefeierten Pose des romanti­ schen, verwegenen Abenteurers mit wehendem Haar, Vollbart und weitem, rotem Hemd, oft auch mit Umhang dargestellt. Insbesondere seine lan­ ge Mähne und sein stattlicher Bart rückten Ga­ ribaldi im Verbund mit Charaktereigenschaften wie Tapferkeit und Stärke ikonographisch in die Nähe eines Löwen.12 Zahlreiche Stiche und Zeichnungen lassen dabei eine symbolisch-mythische Überhöhung erkennen. So zeigte eine zur heimlichen Ver­ breitung bestimmte, religiös verklärte Darstel­ lung aus den 1850er Jahren Garibaldi ebenfalls mit langen Haaren und Vollbart in der markanten Pose des Christus Pantokrator, der die rechte Hand mit ausgestrecktem Zeige- und Mittelfinger zum Segensgruß erhoben hat (vgl. Riall b 150). Als Produkt einer patriotischen Inszenierung, die den Gedanken der nationalen ‚Wiederauferste­ hung‘ mit der heilsgeschichtlichen Lehre ver­ knüpft, wird Garibaldi hier im Stile eines Messias porträtiert, der, so die dahinter stehende Bot­ schaft, von der Vorsehung dazu auserkoren wur­ de, die italienische Nation von ihrem historischen Leid zu erlösen.13 Dieses Kanonisierungsmodell entfaltete in der italienischen Öffentlichkeit eine

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erhebliche Wirkung, da es an literarisch-hagio­ graphische Heldennarrative, insbesondere des historischen Romans, anknüpfen konnte, in de­ nen sich tapfere, edelmütige Helden, die in ihrer Tugendhaftigkeit und ihrem Sendungsbewusst­ sein an christliche Heiligengestalten erinnern, für die nationale Gemeinschaft aufopferten und da­ bei nicht selten den Märtyrertod starben.14 Tex­ te wie Sands Ode auf Garibaldi, die sein Leben und Wirken im Stile hagiographischer Erzäh­ lungen beschreiben, belegen eine enge rheto­ rische und narrative Verknüpfung bildlicher und literarisch-textueller Medien, die den Helden der anbrechenden politischen Moderne als religiös verklärte Erlöserfigur hervorbringen: [...] ich war in diesen Tagen nicht erstaunt, das Portrait Garibaldis bei den frommen Bergbewohnern des Velay und der Ce­ vennen zu sehen. Dieser berühmte Aben­ teurer, den gewisse furchtsame Geister sich unlängst noch als einen Banditen vor­ stellten, war da unter den Bildnissen der Heiligen aufgestellt. Und warum nicht? Warum sollte er nicht einen Platz unter den Beschützern des armen Volkes fin­ den, er, der in Bezug auf sein italienisches Volk der Gründer des neuen Glaubens ist? Seht doch, ob sein Wort nicht dem der ersten Christen ähnelt? In seinem Mun­ de liegen nicht politische Thesen, nicht Theorien des materiellen Interesses. ‚Ich bringe euch‘, sagt er, ‚Gefahr, Anstren­ gung und Tod. Ich will euch das Heil der Seele und nicht die Ruhe es Körpers pre­ digen. Erhebt euch also und folgt mir!‘ So sprach er zu den italienischen Landleuten, und sie erheben sich und marschieren [...] (Sand 357) In seiner Rolle als vaterländischer Messias wirk­ te er umso natürlicher, zumal er für den Traum eines geeinten Italien immer wieder schwere Schicksalsschläge hinnehmen musste: Auf der hektischen Flucht vor österreichischen Truppen durch Mittelitalien starb seine schwangere Frau an Entkräftung. Garibaldi selbst floh in ein neues Exil nach Nordamerika. Seine Lebensgeschichte bekam damit den Stempel der Leidensgeschich­ te aufgedrückt. Auch in diesem Punkt erschien Garibaldis Leben seinen Zeitgenossen als romantisch-tragisches Melodram: Man weiß, dass er geliebt hat, dass er eine Heldin zur Gefährtin hatte, und man weiß, wie und wo er sie verlor. Jedenfalls ist das, was man wirklich von ihm weiß, mehr als hinreichend, um es als ein Le­ ben voll bewundernswürdiger Aufopfe­ rung, bitterer Schmerzen und erprobtem Mute hoch zu schätzen. Das glorreiche Gedicht seines Lebens hat auch seinen

Angst- und Schmerzgesang zur Vervoll­ ständigung; da liebt man den Helden und weint mit ihm. (Sand 359)

5. Garibaldis mediales ‚selffashion­ing‘: Selbstvermarktung und Autobio­graphie Wie aus den bisherigen Kapiteln bereits hervor­ ging, lässt sich die Popularität Garibaldis als Er­ gebnis eines Diskurses sehen, in dem politische Visionen und romantischer Zeitgeist, Realität und Fiktion zu einer patriotischen Heldensaga verwoben wurden. Er verdankte sein Image als „picturesque outlaw“ (Riall b 154) dabei nicht nur den zahlreichen politischen Weggefährten, Biographen und Journalisten, die ihn zum Hoff­ nungsträger eines neuen Zeitalters stilisierten, sondern wesentlich der Tatsache eines für die damalige Zeit innovativen ‚self-fashioning‘, das große Teile der Massenmedien nutzte und, an­ gefangen beim öffentlichkeitswirksamen Klei­ dungsstil bis zur sorgsamen Preisgabe intimer Lebensdetails, auf eine gezielte Publicity-Kam­ pagne hinauslief.15 Zentrales Element dieser Strategie ist sicher­ lich seine Autobiographie, ein im 19. Jahrhundert europaweit beliebtes, wenn nicht gar obligates Medium der öffentlichen Selbstdarstellung, mit dem sich Garibaldi auch national betrachtet in eine Tradition illustrer Italiener des 18. bzw. frü­ hen 19. Jahrhunderts vom Schlage literarischer Berühmtheiten wie Vittorio Alfieri einreihte. Als Medium, das weniger der Überlieferung histori­ scher Fakten, sondern in erster Linie der rück­ blickenden Identitätskonstruktion verpflichtet ist, zeugt der selbstverfasste Lebensbericht vom Bestreben, der Öffentlichkeit ein spezifisches Bild der eigenen Person zu vermitteln und sich damit – im Stile Chateaubriands – ein selbstbe­ stimmtes Denkmal ‚outre-tombe‘ zu setzen.16 Auf der Grundlage des Rousseau’schen Vorbildes, der mit seinen Confessions den ersten Bestsel­ ler der modernen Autobiographie-Historie lande­ te, entwickelte sich die moderne Autobiographie zum Medium der öffentlichen Selbstdarstellung, in dem oft auch intimste Details aus dem Leben preisgegeben wurden. Auf diese Weise entstand eine bis dato ungekannte Nähe zwischen Held und Rezipient, der durch die Lektüre nicht nur unmittelbar an den Abenteuern, sondern auch am Seelenleben des Helden teilhaben konnte (Riall b 162). Dieses Interesse an der Intimsphäre, das von der biographischen Garibaldi-Literatur mustergültig bedient und befeuert wurde, war einerseits das Ergebnis einer entstehen­ den massenmedialen Unterhaltungsindustrie

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romantisch-melodramatischer Prägung, folgte aber andererseits zugleich auch einem sozi­ al- und kulturgeschichtlichen Impuls, der sich auf die Beschäftigung mit den Protagonisten der Geschichte auswirkte. Unter dem Einfluss Miche­ lets, der französischen Realisten und Positivisten bildete sich insbesondere in Frank­ reich zunehmend ein Interesse an der psycho­ logischen Porträtierung bedeutender Persön­ lichkeiten aus, das sich nicht mehr nur mit den Taten, dem ‚génie‘ des ‚grand homme‘ zufrieden gab. Um den Zeitgeist einer Epoche, ihre Kultur und Sitten zu erfassen, müsse sich die Historio­ graphie, wie von den Goncourts gefordert, in besonderer Weise auch der Intimität des Helden widmen: Les siècles qui ont précédé notre siècle ne demandaient à l’historien que le per­ sonnage de l’homme, et le portrait de son génie. L’homme d’État, l’homme de guerre, le poëte [sic!], le peintre […] étaient montrés seulement en leur rôle, et comme en leur jour public, dans cette oeuvre et cet effort dont hérite la postérité. Le XIXe sièc­le demande l’homme qui était cet homme d’État, cet homme de guerre, ce poëte, ce peintre, ce grand homme de science ou de métier. L’âme qui était en cet acteur, le coeur qui a vécu derrière cet esprit, il les exige et les réclame [...] (Gon­ court ii-iii) Garibaldis Memorie wurden zwar erst 1872 offi­ ziell publiziert. Riall zufolge hatte Garibaldi Teile seiner Autobiographie jedoch schon vor 1850 verfasst und gezielt Schriftstellern wie Alexandre Dumas zugänglich gemacht, die sie oft mit ei­ genen Ergänzungen veröffentlichten (s. Riall b 154-161).17 Demnach schien er schon früh ein Interesse an einer Verbreitung seiner Lebens­ geschichte gehabt zu haben und knüpfte daran nicht zuletzt auch strategisch-politische Ziele. Seine Bekanntheit sollte ihm dabei zugute kom­ men, internationale Unterstützung für die italie­ nische Sache zu erlangen, finanzielle Mittel und logistische Hilfe für seine militärischen Kampag­ nen einzuwerben. Es liegt daher durchaus nahe, dass die wesentlichen Narrative, die sich durch die biographische Garibaldi-Literatur der 1850er und 1860er ziehen, von ihm selbst stammen bzw. auf der Grundlage seiner eigenen literari­ schen Lebensaufzeichnungen entstanden sind (s. Riall b 154-161). Zumindest findet sich in sei­ nen Memoiren von 1872 jenes, in einer Vielzahl von Biographien vorweggenommene erzähle­ rische Muster wieder, das in einer eingängigen emotionalen Sprache das Wirken des Helden auf der Bühne der großen Geschichte mit Schil­ derungen aus seinem Privat- und Gefühlsleben kombinierte. Besonderen Wert legte er darauf,

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der Öffentlichkeit jenes Selbstbild des abenteu­ erlustigen und freiheitsliebenden Kämpfers, der die Weite der argentinischen Pampas liebt und die Annehmlichkeiten des bürgerlichen Lebens verachtet, ins Bewusstsein zu rufen – ein hoch­ gradig romantisiertes Bild, das, wie zuvor bereits geschildert, den Markenkern seiner Popularität bildet und das er durch seinen aus südamerika­ nischen Zeiten nach Europa importierten Klei­ dungsstil mit Poncho und Sombrero auch äußer­ lich zur Schau stellte: Während all dieser Stürme eines abenteu­ erlichen Lebens hab ich doch immer süße Stunden, glückliche Augenblicke gehabt [...] Zu Pferde zog ich an der Spitze der we­ nigen Leute dahin, die von so vielen Kämpfern übrig geblieben waren, welche gerechterweise alle tapfer genannt zu werden verdienten, und ich war stolz auf die Überlebenden wie auf die Toten, ja beinahe auf mich selbst. [...] Was wollte ich mehr? Was kümmerte es mich, dass ich wie jener griechische Philosoph nur das noch besaß, was ich bei mir trug? Dass ich einer armen Republik diente, die keinen Menschen bezahlte und von der ich, wenn sie reich gewesen wäre, nicht einmal Gold angenommen haben würde? Hatte ich nicht einen Säbel an meiner Sei­ te und einen Karabiner, der über dem Sat­ telknopfe lag? Hatte ich nicht Anita neben mir, meinen Schatz, ein Herz, das ebenso glühend für die Freiheit der Völker schlug wie das meinige? Betrachtete sie den Kampf nicht wie ein Vergnügen, wie eine einfache Zerstreuung in diesem Leben im Felde? Die Zukunft lachte mir heiter und glückverheißend entgegen, und je wilder und öder die amerikanischen Gefilde wa­ ren, die ich vor mir sah, desto köstlicher und schöner erschienen sie mir. (Garibaldi 72-73) Dem Bild des politisch-engagierten Helden, der an der Spitze einer Massenbewegung steht, wird ein Moment der selbstgewählten Isolation, einer für seine Zeit keineswegs untypischen Zivilisati­ onsflucht im Stile des Rousseau’schen ‚Prome­ neur solitaire‘ hinzugefügt, das Garibaldi in re­ gelmäßigen Abständen fernab der Gesellschaft auf der kleinen Insel Caprera vor der Küste Sar­ diniens kultivieren sollte, wo er nach dem Vorbild des Cincinnatus bodenständigen Aktivitäten wie der Landwirtschaft nachging, zugleich jedoch neue militärische Abenteuer vorbereitete.18

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6. Viva Garibaldi! Der ‚Zug der Tausend‘ von 1860, der die politi­ sche Einigung Italiens einleitete, bildete zweifel­ los den Höhepunkt der Garibaldi-Begeisterung in und außerhalb Italiens. Dieser war Ausdruck der oben skizzierten neuen ‚medialen Kultur‘ in der Darstellung und Inszenierung militärischer Konflikte, die den Einsatz moderner Massenmedien und journa­ listischer Berichterstattung gewissermaßen als Mittel der Kriegsführung begriff und in diesem Zusammenhang bewusst auf eine Beeinflus­ sung der öffentlichen Meinung zielte. Dass ein solch kühnes, schier aussichtslos anmutendes Unterfangen, in dem eine Truppe von ursprüng­ lich wenig mehr als tausend Freiwilligen mit Ga­ ribaldi an der Spitze die Armee des Königreiches Neapel herausforderte, letztendlich von Erfolg gekrönt war, verdankte sich dabei auch der Tat­ sache, dass Journalisten, Schriftsteller und Fo­ tografen im Gefolge Garibaldis unmittelbar vom Geschehen auf den Schlachtfeldern berichteten und seine militärischen Glanzleistungen in der europäischen Öffentlichkeit bekannt machten. Li­ terarische Berühmtheiten wie Alexandre Dumas oder Victor Hugo trugen mit ihren Oden auf den ‚Befreier der Völker‘ dazu bei, dass der abseits der Schlachtfelder tobende Propagandakrieg in den Medien wesentlich zugunsten Garibaldis be­ einflusst wurde – ein nicht zu unterschätzender Aspekt, zumal die dadurch entstandenen Sym­ pathien in Frankreich oder England der Unter­ nehmung Garibaldis lebenswichtige diplomati­ sche und logistische Schützenhilfe sicherten. Noch vor ihrem offiziellen Erscheinen in Italien wetteiferten Literaten um das Manuskript der Memoiren Garibaldis und sorgten dafür, dass sie in viele europäische Sprachen übersetzt wur­ den. Dumas beispielsweise engagierte sich nicht nur diplomatisch und finanziell für den Freiheits­ helden; neben einer französischen Übersetzung seiner Lebensaufzeichnungen verfasste er unter anderem einen langen Reisebericht, der den Eroberungszug durch Süditalien und die Begeg­ nungen des Schriftstellers mit dem italienischen Revolutionär schilderte. Der Titel dieses Werkes – Viva Garibaldi! – sagt vieles über jene Faszina­ tion aus, die Garibaldi auf die romantischen Au­ toren Europas ausübte. Er weckte in der liberal gesinnten Öffentlichkeit auch deshalb Begeiste­ rung, weil er – gewissermaßen im Stile des spä­ teren Ché Guevara – als „Banner einer neuen Ära“ (Sand 363) und damit als Hoffnungsträger einer möglichen politisch-gesellschaftlichen Zei­ tenwende betrachtet wurde, der neben Ideen wie Demokratie und Nation auch Utopien vertrat, die in frühsozialistischen Ideen einer solidarischdemokratischen Weltgemeinschaft gipfelten. In

diesen Kontext gehört auch, dass sich Garibal­ di bisweilen im Stile eines Gaucho kleidete. Auf diesem Weg gelang es ihm, eine transkulturel­ le Semantik um seine Person zu erzeugen und sich damit auch äußerlich als Weltbürger zu prä­ sentieren.

7. Heldentum, ‚nation-building‘ und Erinnerungskultur In seiner Rolle als radikaler Demokrat wäre Ga­ ribaldi im Königreich Italien, das chronisch mit sozialen Unruhen und politischer Instabilität zu kämpfen hatte, kaum zu einem offiziellen Nati­ onalhelden avanciert, wenn es den staatlichen Autoritäten nicht zumindest ansatzweise gelun­ gen wäre, den Revolutionär zu ‚zähmen‘ und in eine monarchistische Geschichtskultur einzu­ gliedern. Eine gewisse Tendenz zur Entpolitisie­ rung der Figur Garibaldi hatte schon jene biogra­ phische Literatur erkennen lassen, die seit den 1850ern in Europa entstand. Oftmals fokussierte sich die literarische Darstellung auf die ‚pittores­ ken‘ bzw. ‚romanesken‘ Qualitäten Garibaldis, während seine politische Gesinnung und die da­ mit verbundene soziale Sprengkraft vielfach in den Hintergrund gerieten (Riall b 201). Die Ge­ schichtspolitik des Königreiches verstärkte diese Entwicklung und konnte sich dabei eine gewis­ se Ambivalenz des Mythos Garibaldi zunutze machen. Garibaldi galt seinen Zeitgenossen unbestritten als Ikone der demokratischen Nati­ onalstaatsbewegung, dennoch stellte seine Vita auch genügend Ansatzpunkte bereit, die ihn als Symbol der politischen Verhältnisse nach 1860 erscheinen lassen konnten. Diese Auffassung bezog ihre Strahlkraft nicht nur aus der Tatsache, dass er in der Zeit nach 1848/49 bisweilen sein rotes Hemd gegen die Uniform eines piemonte­ sischen Generals getauscht hatte, sondern auch maßgeblich aus einem Ereignis, das als ‚Treffen von Teano‘ Eingang in das nationale Gedächtnis fand: Nachdem Garibaldi Sizilien und Südita­ lien erobert hatte, übergab er im Oktober 1860 in der Nähe des Ortes Teano bei Neapel die ‚befreiten‘ Gebiete an Vittorio Emanuele II. und sicherte dem zukünftigen König Italiens seine Loyalität zu. Auch sein Telegramm, in dem er sich während des Dritten Italienischen Unabhän­ gigkeitskrieges gegen Österreich 1866 mit dem berühmt gewordenen ‚Obbedisco‘ [„Ich gehor­ che“] einem Befehl des Königs fügte, erwies sich als geeignet, seine Treue zur Monarchie heraus­ zustreichen. Dies sicherte ihm einen Platz in den Geschichts- und Schulbüchern des Königrei­ ches und machte ihn zum Symbol eines von der Obrigkeit geförderten geistigen ‚nation-building‘,

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das die breiten Massen zu loyalen Staatsbür­ gern erziehen sollte. Garibaldi selbst hatte mit dieser ‚gemäßigten‘ Rolle seine Schwierigkei­ ten und schwankte nach 1860 vielfach zwischen den Polen eines kurzzeitigen parlamentarischen Abgeordneten und seiner temperamentvollen Natur als Berufsrevolutionär, die immer wieder aufflackerte und ihn zum Teil aus Protest gegen die königliche Realpolitik zu neuen militärischen Abenteuern trieb. So provozierte er regelmäßig Konflikte zwischen seinen Anhängern und den politischen Autoritäten, z. B., als er, mit dem Ziel, die Herrschaft des Papstes in Rom zu beenden, 1862 an der Spitze einer kleinen Freiwilligenar­ mee in Kalabrien landete und im AspromonteGebirge von Truppen der königlichen Armee verwundet wurde – ein Ereignis, das bis heute in Form eines bekannten Volksliedes mit dem Titel Garibaldi fu ferito... [„Garibaldi wurde verletzt...“] überliefert ist. In seiner doppelten Rolle als königs­treuer General und romantischer Outlaw war Garibaldi daher sowohl ideeller Bestandteil als auch Gegenentwurf des frisch geschaffenen italienischen Staates. Kontinuität und Ausstrahlung des Mythos Garibaldi nach 1860 liegen dabei wesentlich in der Tatsache begründet, dass sich dieser ein ei­ genes mediales Denkmal in Form einer Erinne­ rungsliteratur bzw. -kultur schuf. Es handelte sich dabei um eine Fülle von Kriegstagebüchern, Me­ moiren und Dichtungen, die unter der Bezeich­ nung ‚letteratura garibaldina‘ eine eigene literari­ sche Gattung im ausgehenden 19. Jahrhundert bildeten und die Verherrlichung von Garibaldis Heldentaten zum Gegenstand hatten. Als media­ les Phänomen eines Heldenkultes zeugte diese Literatur dabei nicht nur von der Kontinuität des Mythos Garibaldi über den Tod des italienischen Einheitshelden im Jahre 1882 hinaus. Sie war in ihrer Qualität als nostalgischer Erinnerungs­ träger zugleich ein Beleg für den Vitalitätsverlust der mit Garibaldi verknüpften, demokratischen Version der nationalen Einigungsgeschichte, zu­ mal sie versuchte, der Umdeutung und Verein­ nahmung des Helden durch die offizielle monar­ chistische Geschichtspolitik entgegenzuwirken. Wie viele Symbole, die mit der mythisch ver­ klärten, nationalen Einigungsgeschichte ver­ knüpft wurden, hatte auch Garibaldi im ausge­ henden 19. Jahrhundert jedoch einen schweren Stand. In einem gesellschaftlichen Klima, in dem die Euphorie der Einigungskämpfe angesichts politischer Instabilität sowie eines eklatanten sozialen und wirtschaftlichen Nord-Süd-Gefälles zunehmend einem Gefühl der Ernüchterung und Desillusion wich, geriet die nationale Heldensa­ ga in eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise. Angefan­ gen beim historischen Roman bis zum Melodram erlebte jene romantisch-patriotische Literatur,

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in der die Heldentaten der italienischen Ver­ gangenheit und Gegenwart besungen wurden, einen Niedergang. In den 1880er und 1890er dominierte mit dem Verismus eine literarische Strömung, die einen realistischen, dezidiert antiheroischen Blick auf die italienische Gegen­ wart warf und das politische ‚Œuvre‘ der großen Männer vom Schlage Garibaldis oder Cavours kritisch hinterfragte. Entsprechend notierte der ‚garibaldino‘ Eugenio Checchi in seinen Me­ moiren: „Das garibaldinische Epos ist für immer vorbei [...] Garibaldi gehört nun der Geschichte.“ (zit. nach Mutterle 1191, Ü. R. L.)

8. Nachleben Auf der Grundlage einer nationalistischen Ideo­ logie, die im historischen Kontext des Ersten Weltkriegs in vielen Staaten Europas heran­ reifte und – basierend auf einem ‚heroischen‘ Gedächtnis, das den vaterländischen Krieger in den Mittelpunkt des nationalen Kultes rückte (François 25), versuchte nicht zuletzt der italie­ nische Faschismus, das Gedenken um Garibaldi für seine politischen Ziele zu vereinnahmen. Als neues massentaugliches Medium der patrioti­ schen Vergangenheitsinszenierung erwies sich dabei der Film. Von den 20ern bis in die frühen 40er entstanden so eine Reihe von Filmen wie Alessandro Blasettis 1860 [1934], in denen eine Heroisierung des Zeitalters der nationalen Ein­ heitsfindung betrieben wurde, die jedoch, einer frühen neorealistischen Ästhetik und propagan­ distischen Gegenwartsstrategie folgend, weni­ ger dem Personenkult um Garibaldi verpflichtet waren, als vielmehr eine Epoche und das ge­ samte italienische Volk als historischen Akteur glorifizierten. Im Bestreben, sich auf der einen Seite als Traditionsvollstrecker sowie auf der anderen als innovative Kraft zu präsentieren, er­ fuhr jenes mit Garibaldi verknüpfte symbolische Spektrum eine Umdeutung: so wurden aus den Rothemden des späten 19. nun die faschisti­ schen Schwarzhemden des frühen 20.  Jahr­ hunderts. Im zeitlichen Umfeld des Zweiten Weltkriegs versuchte auch die kommunistisch dominierte ‚Resistenza‘, durch den Rückgriff auf das Symbol Garibaldi die Tradition der freiheit­ lichen Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts für sich zu reklamieren und dem Faschismus die Deutungshoheit über die Vergangenheit streitig zu machen. Auch die nach 1946 ausgerufene italienische Republik unternahm große Anstrengungen, in ei­ ner Art symbolischem Neuanfang auf der Basis des Mythos vom antifaschistischen Widerstand an die garibaldinischen Ideale anzuknüpfen.

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Der Kult um die ideellen Grundlagen der Nati­ on beschränkte sich jedoch weitgehend auf eine kleine Elite und wurde in den Jahrzehnten nach 1945 immer mehr zum Symbol einer wachsen­ den Kluft zwischen politischem Establishment und dem Rest der Gesellschaft. Dieser Umstand, der auch das Gedenken an Garibaldi präg­ te, zeugte im Grundsatz von der Sinnkrise des „heroischen“ oder „monumentalen“ Gedächt­ nisses, dessen „zentrale Figur [...] der Held und Kämpfer war“ (François 25).19 In der jüngeren Vergangenheit haben die von politischen Kontroversen überschatteten Fei­ erlichkeiten zum zweihundertsten Geburtstag Garibaldis im Jahre 2007 wieder einmal die Fra­ gilität einer nationalen Erinnerungspraxis offen­ gelegt und eindrucksvoll gezeigt, dass es in der italienischen Öffentlichkeit längst salonfähig ist, „schlecht über Garibaldi zu sprechen“ (Isnenghi 3, Ü. R. L.). Für den Mythos Garibaldi bedeutet dies eine erstaunliche Rückkehr zu seinen Wur­ zeln im Zeitalter der italienischen Nationalstaats­ bildung: für die einen Dämon und Freibeuter, für die anderen Lichtgestalt und Freiheitsheld. In jedem Fall aber eine historische Ausnahmefigur, die ihren kometenhaften Aufstieg wesentlich ei­ ner entstehenden (massen-)medialen Kultur im 19. Jahrhundert verdankte. Mit den Mitteln der Literatur, des Journalismus sowie den neuen visuellen Medien wie Fotografie wurde ein hel­ denhaftes, exemplarisches Leben gestaltet, in dem – typisch für das Zeitalter der großen na­ tionalstaatlichen Erzählungen – die Grenzen zwischen romantischer Fiktion und historischer Wirklichkeit verschwammen. „Mehr als je ist die­ ses abenteuerliche Leben fabelhaft geworden, aber diese Fabel ist Geschichte.“ (Sand 363) 1 Die nachfolgenden Ausführungen konzentrieren sich aus Gründen der Übersichtlichkeit weitgehend auf den französi­ schen und italienischen Kontext des 19. und 20. Jahrhun­ derts. 2 Als Standardwerk zum Garibaldi-Kult hat sich v. a. im englischsprachigen Raum Riall b etabliert. 3 Zur Vorbildfunktion der ‚Gedächtnisnation‘ Frankreich s. Nora 2207-2216. 4 Die Helden im Zeitalter der politischen Nationalstaatsbil­ dung sind demnach weniger ‚hommes de la pensée‘, son­ dern wie Garibaldi zuallererst ‚hommes d’action et de guerre‘ (vgl. Gérard 31-48). Vielfach hat man darin den Ausdruck einer an die Macht gekommenen Bürgerlichkeit gesehen, die ein neues, auf den Gedanken der Meritokratie gegründetes Heldenmodell installierte, zumal alle, die sich dem nationa­ len Freiheitskampf anschlossen, hier eine Möglichkeit eröff­ net bekamen, unabhängig von Herkunft und Bildungsstand selbst zu großen Italienern zu werden (s. Degl’Innocenti 2930). 5 Was nicht heißt, dass gewisse Aspekte der Heldenkon­ zeption Carlyles (On Heroes, Hero-Worship and the Heroic in History, London 1841) nicht auch im Kult um Garibaldi wirksam waren, wie weiter unten noch zu sehen sein wird.

6 Obgleich natürlich Voltaire und Rousseau im 18. Jahr­ hundert ein gegensätzliches Bild des ‚grand homme‘ pflegen. 7 Zu den Narrativen und Topoi der patriotischen Literatur s. Schwaderer 165-196. Die Konstruktion heroischer Ver­ gangenheitsversionen im Zeitalter der kulturellen National­ staatsbildung wird Erll zufolge in großem Maße von Texten erbracht, die sich dem Genre der Populärliteratur zuordnen lassen: „Historische Romane, wie Walter Scotts The Heart of Midlothian [...] spielten und spielen bei der Konstitution kol­ lektiver Gedächtnisse eine wichtige Rolle. Sie vermitteln dem Leser kollektive Identitäten, Geschichtsbilder, Werte und Normen. Um der Rolle der Literatur im Prozess der Ausfor­ mung von Erinnerungskulturen Rechnung zu tragen, ist von der nahe liegenden Vorstellung Abstand zu nehmen, nur so genannte ‚hohe Literatur‘ werde mit Bezug auf das kulturelle Gedächtnis gelesen. Gerade die Trivialliteratur bedient sich symbolischer Ressourcen, die dem kulturellen Gedächtnis zuzuordnen sind.“ (Erll 158) 8 So ist beispielsweise Stendhals Roman Le Rouge et le Noir von der Gegensätzlichkeit zwischen einer als unhero­ isch empfundenen Gegenwart des frühen 19. Jahrhunderts und der Sehnsucht nach heldenhafter Lebensgestaltung ge­ prägt (Schulz-Buschhaus 1-15). Die bewusstseinsprägende Wirkung der literarisch-romantischen Geschichtsnarrationen im jungen 19. Jahrhundert ist von Seiten jener Forschung, die sich mit den kulturellen und imaginären Facetten von Nationalismen beschäftigt, vielfach betont worden (s. etwa Banti). 9 Zur Rolle der Literatur in einem solchen Prozess vgl. Iser. Ihm zufolge konstituieren literarische Texte „eine uns scheinbar vertraute Welt in einer von unseren Gewohnheiten abweichenden Form“ (Iser 11). Durch ihre Bezugnahme auf die (außerliterarische) Wirklichkeit, in der bereits Vorstellun­ gen von Identität und Vergangenheit existieren, sind solche Texte in der Lage, glaubhaft die „ontologische Kluft zwischen Fiktion und Realität“ (Erll 159) zu überwinden. 10 Wie Christadler hervorhebt, bedarf der „Nationalismus als weltliche Religion [...] der Märtyrer, deren Opfertod seine quasi-metaphysische Verbindlichkeit sichert. Die Niederlage der Nation wird verklärt durch die Heldentaten ihrer ‚Söhne‘, die verlorene Ehre durch den ‚Ruhm der Besiegten‘ wieder­ hergestellt.“ (Christadler 201) 11 Diesbezüglich weiterführend Riall b 128-163. 12 Riall zufolge ist der Löwe „a medieval symbol of resur­ rection and a modern euphemism for celebrity“. (Riall b 149) 13 Von der patriotischen Propaganda vielfach als ‚homme providentiel‘ gefeiert, erschien Garibaldi in diesem Punkt als Carlyle’scher Held – „un homme d’action guidé par une ins­ piration divine, une sorte de ‚miracle’ et non le produit fatal de son temps“ (Gérard 40). Man beachte in diesem Zusam­ menhang die zahlreichen Hymnen, die Garibaldi als Heiligen feiern bzw. seine angebliche Unverwundbarkeit besingen. Z.B. Dall’Ongaro 285-287. 14 Es seien an dieser Stelle an die beiden historischen Heldenfiguren Ferruccio und Fieramosca erinnert, die im 19. Jahrhundert Gegenstand zahlreicher patriotisch-hagio­ graphischer Heldenerzählungen waren. Vgl. diesbezüglich etwa den historischen Roman Ettore Fieramosca (1833) von Massimo D’Azeglio. 15 Für Degl’Innocenti 18 ist Garibaldi der Hauptgestalter seines eigenen Mythos. 16 Zur Autobiographie als Medium des ‚self-fashioning‘ vgl. die Anmerkungen Schlüters in Alfieri 517-551. 17 Mémoires de Garibaldi. Trad. sur le manuscrit original par A. Dumas. Paris: Michel Lévy frères, 1860. 18 Man beachte die Parallele zur Vita Napoleons, der nach Phasen des Exils immer wieder auf der politischen Bühne auftauchen konnte.

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19 Dieses wurde nach dem Holocaust weitgehend von einer Erinnerungskultur abgelöst, die sich v. a. dem Gedenken an die Opfer verschrieb (vgl. Müller 14).

Ihring, Peter. Die beweinte Nation: Melodramatik und Patriotismus im ‚romanzo storico risorgimentale‘. Tübingen: Niemeyer, 1999. Iser, Wolfgang. Die Appellstruktur der Texte. Konstanz: Uni­ versitätsverlag, 1970.

Literatur

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DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2014/02/08

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„Stadt, die den Tod bezwang“ Leningrad als Heldenstadt in der medialen Vermittlung durch Reiseführer

Schwer geprüft war Leningrad im Zweiten Weltkrieg. […] Unter dem feindlichen Beschuss hörten die Leningrader aber nicht auf, für die Front zu arbeiten. Die Männer gingen zum Landsturm. Ihre Arbeitsplätze in den Betrieben, wo man Waffen und Munition herstellte, wurden von den Frauen besetzt. 900 Tage hielt die Stadt heldenhaft durch. Der Feind konnte das ausgehungerte Leningrad nicht erobern. Im Januar 1944 sprengten die sowjetischen Truppen die Blockade und bereiteten den Soldaten Hitlers eine schwere Niederlage. Für die Tapferkeit seiner Verteidiger wurde Leningrad zur ‚Heldenstadt‘ erhoben. (Presse-Agentur Novosti 90-91)

vorgenommene Untersuchung Leningrads als Heldenstadt in der Darstellung von Reiseführern bietet somit einen Diskussionsbeitrag zum Heldenbegriff und ermöglicht über das Medium des Reiseführers einen erweiterten Einblick in die topographisch manifestierte Erinnerungskultur einer Heldenstadt. Leningrad als Stadt stiftet – ähnlich wie ein ‚traditioneller‘ Individualheld – Identifikation und kann Teil des Symbolhaushaltes von Gesellschaften werden, unterliegt gleichzeitig aber einem historischen Wandel.5

Diese pathetisch gehaltene Äußerung aus einem sowjetischen, ins Deutsche übersetzten Reiseführer der 1960er Jahre beschreibt die kollektiven Taten der Leningrader Bürger, welche die fast dreijährige Blockade der Stadt durch die Heeresgruppe Nord der Wehrmacht vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944 überstanden und in der sowjetischen Darstellung schier Übermenschliches vollbrachten. Leningrad wurde damit zur „Stadt, die den Tod bezwang“ (Bergschicker).1 Aufgeben war keine Option, denn die Stadt sollte komplett zerstört, ausgehungert und somit Teil des nationalsozialistischen Genozids werden.2 Noch während des Zweiten Weltkrieges, am 1. Mai 1945, wurde Leningrad vom Obersten Sowjet für den erfolgreichen Widerstand gegen die Belagerung der Wehrmacht zur Heldenstadt ernannt. Zeitgleich erhielten auch Sevastopol’, Odessa und Stalingrad diesen Titel.3 Heldenstädte waren in der Sowjetunion der Nachkriegszeit omnipräsent, sei es in den Medien4 oder im Alltag auf Briefmarken, Postkarten und Jubiläumsmünzen. Eine besondere mediale Vermittlung des Heldenstadt-Titels stellen dabei Reiseführer dar, denn sie besitzen einen inhärenten Objektivitätsanspruch und sollen ein breites Publikum ansprechen. Die in diesem Aufsatz

Eine Heldenstadt unterscheidet sich von einer gewöhnlichen [sowjetischen] Stadt durch das Attribut ‚Helden‘. Eine Heldenstadt muss also etwas ‚Heldenhaftes‘ – etwas über die Normen Herausragendes – vollbracht haben. Charakteristisch für eine Heldenstadt ist die Heroisierung eines Kollektivs, meistens der Stadtbevölkerung mit ihren sozialen Gruppen. Die Bewohner identifizieren sich mit ihrer Heldenstadt wie mit einem Individualhelden, die Stadt wird anthropomorphisiert. Im sowjetischen Verständnis müssen [Individual- oder Kollektiv-]Helden als säkulare ‚Beinahe-Heilige‘ im Einklang mit der Partei Widrigkeiten überwinden und eine Vorbildfunktion für die Gesellschaft erfüllen. Widerstand und Selbstaufopferung werden zu zentralen Leitmotiven, die auch medial vermittelt werden, denn, um mit Maksim Gor’kij zu sprechen, „ein Held sein zu wollen, heißt mehr Mensch sein zu wollen als man ist“ (Günther Held 71). Der sowjetische Held ist ein soziales Phänomen mit einer pädagogischen Funktion für die Mitbürger. Ihn unterscheidet von anderen Heldengestalten, dass er keine vom Schicksal begünstigte Ausnahmegestalt darstellt, sondern allein durch Willensanstrengung Held geworden ist. Er ist also wandelbar und reproduzierbar. Durch den Zweiten Weltkrieg kam der Topos des Kriegs- und

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Die Heldenstadt als Topos

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Opferhelden auf, der ideologisch auf die Soldaten wirkte, sie überzeugte und den Massenheroismus der Nachkriegszeit vorwegnahm. Die alltägliche Präsenz des Heldenhaften machte den Heroismus zum Lebensprinzip. Der Heldenmythos – sei es als politischer, Arbeiter-, Opferoder Kriegsheld – schafft klare Antagonismen und wirkt auf die Normen der Gesellschaft. Aus der großen Anzahl der sowjetischen Kriegshelden wurden beispielhafte Namen und Taten herausgegriffen und den Nachkriegsgenerationen medial vermittelt. Besonders Selbst­opfer machten die Helden und ihre Taten in der Erinnerung unsterblich. Der Heldenkult der Brežnev-Zeit basierte auf einem abstrakten und utopischen Menschenbild.6 Nicht mehr nur Einzelpersonen mit ihren Leistungen in Industrie oder Krieg wurden zu Helden ernannt, wie das in den 1930er Jahren noch üblich war. In der schier inflationären Vergabe des Heldenstadt-Titels in der Nachkriegs-Sowjetunion der 1960er bis 1980er Jahre spiegelt sich eine historische Entwicklung wider. Die dreizehn Heldenstädte wurden Teil des integrativen ‚Symbolhaushaltes‘ der späten Sowjetunion. Der besondere Status der Heldenstädte im Vergleich zu anderen sowjetischen Städten zeigt sich in der Vergabe von Orden und verschiedenen Titeln. Dazu gehören der Leninorden [1946 verliehen an Leningrad], die Medaille Goldener Stern [1965 verliehen an Leningrad], die mit dem Heldenstadt-Titel getragen wird, und eine Urkunde des Obersten Sowjet. Zusätzlich wurde ein Obelisk in der Heldenstadt errichtet.7 Leningrad als Heldenstadt speist ihr singuläres Image aus ihrer Darstellung als Märtyrerstadt. Die Blockade und das damit einhergehende moralische Opferpathos wurden Leningrads Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu den übrigen Heldenstädten der Sowjetunion. Im Sinne einer ‚imagined community‘ (Anderson) teilen sich die ‚blokadniki‘8 als Erlebnisgeneration kulturelle Mythen der Blockade, die häufig sakralisiert wird. In ihrem Selbstbild sehen sich die ‚blokadniki‘ häufig als unschuldige Helden und gleichzeitig als heroische Verteidiger. Die Bezeichnung ‚Leningrader‘ ist dadurch stark politisierend und wird mit Stolz getragen.9 Im offiziellen sowjetischen Geschichtsbild tritt die Bevölkerung als heldenhafter Verteidiger an der Leningrader Front oder als Arbeiter in den Leningrader Fabriken auf. Mit der kollektiven Heroisierung wurde versucht, möglichst viele gesellschaftliche Gruppen zu integrieren. Die Blockade wurde neben der Oktoberrevolution zum zweiten ‚sozialistischen Gründungsmythos‘10 Leningrads. Der so geschaffene ‚Mythos Leningrad‘ grenzt sich also vom ‚Mythos Petersburg‘ ab. Dieser ‚Mythos Petersburg‘ ist ein literarischer Topos, welcher Petersburg als

künstliche, auf autokratischen Befehl hin errichtete Stadt beschreibt (Kirschenbaum Remembering 322). Durch die Blockade wurde die Einzigartigkeit der Stadt verstärkt, und ihre Würde strahlte nicht nur auf ihre Besucher aus, sondern integrierte auch die Neuankömmlinge. Die Blockade wurde zu einem Teil des gesamten sowjetischen Kriegsmythos, der sich auch in offiziellen Erinnerungspraktiken, Feierlichkeiten und Publikationen manifestierte. Der Titel ‚Heldenstadt‘ kann als eine Art Neukreierung und Ablösung der sozialistischen Stadt verstanden werden, deren Idee in den 1970er Jahren immer utopischer und unerreichbarer wurde.11 Ihr Mythos ist ein „Konglomerat aus Antifaschismus, Partisanenideologie und Pazifismus“ (Bohn Phänomen 151).

Die Reiseführer Reiseführer können ‚Quellen‘ für die Wahrnehmung und mediale Vermittlung von Erinnerungsprozessen sein. Im Rahmen eines breiten Medienbegriffs sind Reiseführer als Mittler von Botschaften und Bildern zu sehen. Sie sind Mittler für Reisende und Touristen, die Empfänger von Informationen sind. Sender dieser Informationen sind die Autoren, die je nach Auftraggeber, Schwerpunkt des Reiseführers und Zielgruppe ein anderes Wahrnehmungsbild vermitteln. Strukturell verbinden sie in ihrer Darstellung textuelle, bildliche und kartographische Elemente. Weil Reiseführer ein breites Publikum ansprechen sollen, generieren sie einen inhärenten Objektivitätsanspruch ihrer Aussagen. Sie sollen eine Auswahl verlässlicher Informationen für Reisende bereitstellen, welche eine eigene Bewertung abnehmen kann. Von Interesse ist hier, wie die Macher der Reiseführer das Heldenbild rezipiert haben, was in Reiseführern überhaupt von der Heldenstadt präsentiert wird, welche Orte als ‚wichtig‘ und sehenswert eingestuft werden und welche nicht. Bei den deutschsprachigen Reiseführern liegen der Schweizer Nagels Reiseführer von 1966, ein ins Deutsche übersetzter Reiseführer der sowjetischen Presse-Agentur Novosti und die Reiseführer von Heiss und Bergschicker vor. Letzterer ist ein Reiseführer aus der DDR, der auch in der BRD verbreitet wurde. Er vermittelt das sowjetische Helden-Narrativ (Ganzenmüller Nebenkriegsschauplatz 7). Der Grieben-Reiseführer von 1976 ist ein Reiseführer für die gesamte Sowjetunion, in dem Leningrad nur ein Teilkapitel gewidmet ist. Für 1974 findet sich ein Reiseführer, der sich nur auf die Paläste der Leningrader Umgebung bezieht und vor allem kunsthistorisch orientiert ist (Kennett u. a.). In

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den 1980er Jahren sind eine weitere Ausgabe des Grieben-Reiseführers und einige Exemplare, die sich als Stadt- oder Umgebungsreiseführer verstehen, erschienen. Dazu gehören zwei Reiseführer von Kann, die aus dem Russischen ins Deutsche bzw. Englische übersetzt wurden und daher eigentlich auch der sowjetischen Seite zuzuordnen sind. Von sowjetischen Reiseführern wurde eine Anzahl verwendet, die mit der der deutschen vergleichbar ist. Es gibt zwei Reiseführer aus den 1950er Jahren. Für die 1970er Jahre finden sich zwei sowjetische Reiseführer, welche die gesamte Stadt thematisieren und ein eigener Reiseführer, der nur der ‚Doroga žizni‘ [Straße des Lebens] gewidmet ist. Ein Foto-Reiseführer und ein kunstgeschichtlich orientierter Reiseführer liegen für die 1980er Jahre vor (Lopatina, Pavljučenko u. a., Rost, Vernadskij u. a., Serpokryl, Suknovalov, Alešina).

Spatial Turn und Erinnerungs­ kulturen Die Identifikation von Bewohnern mit ihrer Stadt erfolgt unter anderem über Denkmäler. Letztere veranschaulichen historische Ereignisse im Leben einer Gemeinschaft, wodurch sie gleichsam eine Brücke von der Vergangenheit zur Gegenwart schlagen. Die dabei transportierte Symbolik stellt ein Bild der Geschichte dar, das die aktuellen politischen Machtverhältnisse widerspiegelt. Denkmäler sind damit Teil des kulturellen Zeichensystems einer Gesellschaft […]. (Musekamp 175) Bei der Untersuchung der präsentierten Orte wird die räumliche Dimension der Stadt als eigene kulturelle Größe verstanden. Die Verräumlichung zeitlicher und sozialer Dimensionen, das Verständnis von Raum – und besonders von Städten – als Narrativ und als soziales Konstrukt begünstigen die Untersuchung urbaner Kommunikationsmechanismen. Denkmäler bilden einen Teil dieser Mechanismen (Piltz 75-102; Schlögel Chronotop 32; Döring u. Thielmann 8). In den Reiseführern werden die kulturellen Dimensionen und Narrative medial vermittelt. Besonders Denkmäler sind spezifische Orte, an denen ein Teil des kollektiven Gedächtnisses materialisiert wird, sie sind ‚lieux de mémoire‘.12 Die besonders unter Brežnev betriebene Ritualisierung der Erinnerung und Sakralisierung Leningrads als Heldenstadt zeigt sich in regelrechten ‚Heroisierungs-Itineraren‘. Medien, wie hier am Beispiel der Reiseführer gezeigt werden soll, können dabei als Erinnerungsträger dienen und die kulturelle Bedeutung der Symbole an die Nachwelt tradieren.13

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Die topographische Manifestation der Erinnerung In Leningrad gibt es viele Erinnerungsorte, die mit der Geschichte der revolutionären Bewegung in Russland, mit der Entstehung des ersten sozialistischen Staates auf der Welt und mit dem Heroismus der Leningrader in den Jahren des Großen Vaterländischen Krieges verbunden sind. (Rost 40-41)14 Die memoriale und topographische Manifestation der Heldenstadt spiegelt sich in symbolischen und konkreten ‚Heroisierungsorten‘ und Denkmälern wider. Bevor konkrete Erinnerungsorte präsentiert werden, wird auf die Blockade und den nach ihrer Durchbrechung eingeleiteten Wiederaufbau Leningrads als symbolische, immaterielle Erinnerungsorte eingegangen. Dadurch hat sich Leningrad den Mythos als Märtyrerstadt und das Pathos des Sieges im Zweiten Weltkrieg angeeignet. Geprägt war der Mythos von den Themen Zerstörung und Wiederaufbau, wobei Letzterer als heroischer und nach vorne, in die Zukunft gerichteter Akt der Leningrader Bevölkerung verstanden wurde. Dieses Erlebnis und diese Erinnerungskonstruktion wirkten sich identitätsstiftend aus.15 Als Partisanen oder im Aufbau von Straßenblockaden habe die ganze Bevölkerung Leningrads die Stadt verteidigt, so formuliert das ein ins Englische übersetzter sowjetischer Reiseführer der 1980er Jahre: „Not only military troops defended the city – at the call of the Communist Party the entire population rose to the defence of Leningrad.“ (Kann Leningrad 20) Die sowjetische Seite und die DDR pointieren stärker als die deutschsprachigen Reiseführer aus der BRD und der Schweiz den sowjetischen Widerstand und die Leiden der Bevölkerung im Kontext der Stadtkatastrophe (Ganzenmüller Nebenkriegsschauplatz 17-18): Sechshundertzweiunddreißigtausend Menschen verhungerten in der Stadt Leningrad […]. Sie waren ihren Martern erlegen, aber sie waren nicht schwach geworden. Den sicheren Untergang vor Augen, waren sie den Verteidigern nicht in den Arm gefallen, sondern hatten sie im Kampf bestärkt. Keine Armee der Welt […] hätte die Stadt halten können, wenn ihre Bewohner der Verzweiflung anheim gefallen wären. Die sechshundertzweiunddreißigtausend Männer, Frauen und Kinder aber starben wie Soldaten, mit dem Gesicht zum Feind. Ohne ihr stummes Opfer wäre Leningrad gefallen. (Bergschicker 157)

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Die Ausmaße der Zerstörung finden auch Eingang in deutsche Reiseführer, die pathetisch den Wiederaufbau der Leningrader hervorheben:16 Mit enormer Vitalität bauten die Leningrader nach der Blockade, die 650000 Einwohnern [sic!] das Leben kostete und 10000 Gebäude zerstörte und beschädigte, ihre Stadt wieder auf. Allein im Jahre 1944 wurden rund eine Million Quadratmeter Wohnfläche wiederhergestellt. (Heiss 22)17 Von den Zerstörungen waren besonders Randgebiete, die am Frontverlauf lagen, betroffen. In den Reiseführern wird der Wiederaufbau aber nicht nur mit der Errichtung von Neubauvierteln an der Peripherie, sondern primär mit der Restauration des historischen Zentrums verbunden (Kusber 155, Gorys 234): „Nach Kriegsende musste die grandiose Wiederherstellung der zerstörten Architekturschätze in Angriff genommen werden.“ (Alešina XLV)18 Solche Aussagen finden sich in deutschsprachigen und in sowjetischen Reiseführern. In sowjetischen Reiseführern dominiert häufig die Erzählung eines linearen, fortschrittlichen Wiederaufbaus, wobei die Leningrader Bevölkerung eine wichtige und aktive Rolle spielt (Rost 21): „Indem sie sorgfältig das Beste aufbewahren, was die vorangegangenen Generationen geschaffen haben, geben sich die Leningrader heute große Mühe, dass die Stadt wächst, schöner und moderner wird.“ (Rost 126-127)19 Der Wiederaufbau wird besonders in den sowjetischen Reiseführern als freiwilliger heroischer Akt der Stadtbevölkerung dargestellt, die aus Liebe zu ihrer Stadt handelt, denn die „sowjetischen Menschen sind stolz auf die ruhmreiche Geschichte Leningrads“ (Vernadskij u. a. 5).20 Leningrad ist laut den sowjetischen Reiseführern der 1950er Jahre „eine der wundervollsten Städte unserer großen sozialistischen Heimat“ (Vernadskij u. a. 5).21 Der Stadt wird ferner eine weltgeschichtliche Bedeutung zugeschrieben: [Leningrad] ist eines der größeren und kulturellen Zentren unseres Landes, eine der schönsten Städte der Welt, Wiege dreier Revolutionen, in der vor 40 Jahren die Große Sozialistische Oktoberrevolution begann und siegte, die Stadt russischen Ruhmes, Heldenstadt, Stadt wundervoller Menschen, Stadt Lenins. Das ist Leningrad, das ist seine historische Vergangenheit. (Vernadskij u. a. 5)22 Sowohl die deutschsprachigen als auch die sow­ jetischen Reiseführer betonen ähnliche Aspekte: Das in der Blockade erlittene Leid wird über die kollektive Heroisierung der Stadt kompensiert

und mythisch verklärt. Die Reiseführer, auch die deutschsprachigen, stehen hier in einer Linie mit dem offiziellen sowjetischen Narrativ. Pathetisch materialisiert und topographisch festgehalten wird dieses Erlebnis in der Errichtung von Denkmälern und Denkmalkomplexen. Der heldenhafte Kampf, die Stadt und der Topos als tragischer, aber ruhmreicher Ort spiegelt sich in den im Folgenden näher beschriebenen Erinnerungsorten wider: in den ‚Parki Pobedy‘ [Siegesparks], im ‚Piskarevskoe memorial’noe kladbišče‘ [Piskarevskoe-Friedhof], im ‚Pamjatnik Zaščitnikam Leningrada‘ [Denkmal für die Verteidiger Leningrads] und in der ‚Doroga žizni‘ [Straße des Lebens], die ein Teil des ‚Zelenyj Pojas Slavy‘ [Grüner Gürtel des Ruhmes] ist (Pavljučenko u. a. 5-8).

Die ‚Parki Pobedy‘ und der ‚Piska­ revskoe memorial’noe kladbišče‘ Architektonisch und stadtplanerisch bedeutsam waren […] die größeren Parkanlagen […] und die sozialistische Gedenk­ architektur, die immer dann eindrucksvoll wurde, wenn sie mit der Erinnerung an die Blockade und an den Zweiten Weltkrieg verbunden wurde. (Kusber 156) In der Nachkriegszeit wurde vor allem an den Peripherien der Stadt der Bau von Denkmälern und Erinnerungsorten vorangetrieben (Anan’ich u. a. 265). In Leningrad gibt es zwei sogenannte Siegesparks: den ‚Moskovskij Park Pobedy‘ am ‚Moskovskij Prospekt‘ in südlicher Ausfallrichtung und den ‚Primorskij Park Pobedy‘ in der Nähe des Kirov-Stadions im Norden der Stadt. Der ‚Moskovskij Park Pobedy‘ wurde „angelegt 1945 von der Leningrader Bevölkerung aus Freude über das glückliche Ende des Krieges.“ (Gorys 326) Die Parkanlage scheint einem Schweizer Reiseführer zufolge auf eine Initiative der Leningrader Bevölkerung zurückzugehen und thematisiert in ihrer architektonischen Ausstattung vor allem die Helden der Sowjetunion: Den Eingang schmücken Propyläen mit Flachreliefs in Bronze, die den Ingenieuren gewidmet sind. In der Hauptallee [Siegesallee] befindet sich die größte Fontäne Leningrads mit einem Springstrahl von 11 m Höhe. Der Park ist mit Statuen der Helden der Sowjetunion ausgestattet. (Nagels Reiseführer 394) Dem ‚Moskovskij Park Pobedy‘ kommt dabei auch eine dezidiert lokale Funktion zu, denn der Park, der unionsweit bekannte und lokale Helden ‚beherbergt‘, wird damit eindeutig von Leningradern für Leningrader kodiert, wie ein

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sowjetischer Reiseführer deutlich hervorhebt und damit größeres Detailwissen vorlegt als der eben zitierte Schweizer Reiseführer: Im Herbst 1945 beschlossen die Leningrader, den Sieg im Großen Vaterländischen Kriege durch die Anlage eines großartigen Parks zu würdigen. Das Thema der architektonischen Gestaltung wurden Waffenund Arbeitssiege sowjetischer Menschen. Man sieht dort Bronzebüsten von Leningradern, die zweimal den Ehrentitel ‚Held der Sowjetunion‘ erhielten, ebenso eine Büste des in Leningrad geborenen zweifachen ‚Helden der sozialistischen Arbeit‘ Alexej Kossygin. An den vom Springbrunnen ausgehenden Seitenalleen stehen Denkmäler für die ‚Helden der Sowjetunion‘ Soja Kosmodemjanskaja und Alexander Matrossow. (Kann Umgebung 51)23 Dieser Park wurde in einem Stadtviertel errichtet, das unter großen Kriegszerstörungen zu leiden hatte. Damit wurde also ein von den Kriegsereignissen gezeichneter Ort ausgewählt. Innerhalb der Parkanlage wurden alle Spuren des Krieges beseitigt. Eine ehemalige Ziegelfabrik, die während der Blockade als Krematorium diente, wurde abgerissen und Bombenkrater wurden als Teiche aufgefüllt. Durch diese räumliche Umgestaltung sollten Elend und Leid des Krieges vergessen gemacht und die Blockade heroisch kommemoriert werden. Jüngere Generationen sollten ihre Freizeit im Park verbringen (Kirschenbaum Remembering 320). Die vormalige Bedeutung des Ortes und seine Umgestaltung finden aber keinen Eingang in die westdeutschen Reiseführer, die stattdessen die idyllische Ausgestaltung betonen: Die Metrostation Park Pobedy befindet sich nahe dem monumentalen Eingang zum Moskauer Siegespark [Moskowskij Park Pobedy], dessen breite Hauptallee, flankiert von den Bronzebüsten Leningrader ‚Helden der Sowjetunion‘, schnurgerade durch den rund 50 ha großen Park zieht. Zahlreiche Nebenwege schlängeln sich malerisch um Teiche und Hügel. (Gorys 324) Eine etwas andere Funktion, die sich nicht auf die Darstellung von Helden beschränkt, kommt dem zweiten Siegespark in der Nähe des KirovStadions zu: Hinter der Brücke führt die Riukhin-Straße [uliza Riukhina] geradewegs zum MeerProspekt [Morskoj-Prospekt]. Hier erstreckt sich ein Park, dessen Hauptallee den Meer-Prospekt fortsetzt. Der Park wurde im Jahr 1945 angelegt; er erhielt

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den Namen Park des Sieges; der erste Teil der Arbeiten war 1950 beendet. Am Ende der langen Allee liegt das KirowStadion, das 1932 begonnen, jedoch erst 1950 – infolge der Kriegsereignisse – fertiggestellt wurde. […] Das weite freie Gelände im Westen der Insel wurde zu Sportanlagen umgewandelt. (Nagels Reiseführer 425) Dieser Siegespark ist durch seine enge Verbindung mit dem Kirov-Stadion vielseitiger nutzbar. Er steht in der Tradition der sowjetischen Kulturund Erholungsparks und ist als Freizeitangebot der sowjetischen Regierung an ihre Bevölkerung zu verstehen (Kitaev 299-302, Crowley u. a.). Siegesparks bilden eine Variante der Memorialkomplexe. Die zwischen den 1950er und 1970er Jahren entstandenen, monumentalen Memorialkomplexe besaßen oft ein Ewiges Feuer, Reliefs und einzelne Figurengruppen. In ihrer Darstellung betonen sie die Heroisierung der Ereignisse und stellen Leiden meist im Bezug auf den Sieg dar. Eine der bedeutendsten Gedenkstätten Leningrads für die zivilen Opfer ist der ‚Piskarevskoe‘Friedhof, eine der Massenbegräbnisstätten während der Blockade. Der Friedhof ist als Motiv und als Ort der zivilen Opfer zu sehen und wurde ab 1941 als solcher genutzt. Seit der Einweihung als Memorialkomplex am 9. Mai 1960 brennt dort eine Ewige Flamme, dominiert wird die Anlage jedoch von dem bronzenen Denkmal der ‚Rodina Mat’‘ [‚Mutter Heimat‘] (Jahn 106, George 526). Auf dem Piskarew-Friedhof wurden die Toten beigesetzt, häufig in Massengräbern, auf denen nur Daten vermerkt sind: 1941, 1942, 1943, 1944 oder 1945. Hinter der Statue ist auf Reliefs der Kampf der Bevölkerung während der Belagerung dargestellt, ebenfalls Szenen von der heldenhaften Verteidigung. Die Fahnen neigen sich zum Zeichen der Trauer, und die Mauer trägt neben anderen Inschriften auch die Worte: ‚Niemand und nichts ist vergessen‘. (Nagels Reiseführer 335) Der Friedhofs-Memorialkomplex besteht aus zwei Museumspavillons und zeigt Reliefs mit Kampf- und Verteidigungsszenen. Die Darstellungen tradieren die Opferbereitschaft der Leningrader für die kommenden Generationen. Hier wird ein Erfolg der sowjetischen Erinnerungspolitik ersichtlich, die das kommunikative mit dem kulturellen Gedächtnis verflochten hat. Zwar wird in den Massengräbern das Kollektiv wertgeschätzt, gleichzeitig kann hier der Opfer aber auch auf familiärer und privater Ebene gedacht werden (Ganzenmüller Identitätsstiftung 277).

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Der Friedhof ist also ein Identifikationsangebot an die Leningrader Bevölkerung, deren Opfer und Leiden nachträglich heroisiert wurden. Er ist eine Art Botschaft für die Nachwelt: „Ihnen, die den Tod der Kapitulation vorzogen, widmeten die Überlebenden dieses Denkmal. Es wurde am 9. Mai 1960, dem 15. Jahrestag des Sieges über Hitlerdeutschland, feierlich enthüllt“ (PresseAgentur Novosti 107). Hier dominiert eine Darstellung, der zufolge die Bevölkerung sich tapfer für den Heldentod entschieden hätte. Die memorialen Elemente des ‚Piskarevskoe‘Friedhofes reihen Leningrad in die sowjetische Nachkriegs-Gedenkarchitektur ein: Die Gestaltung dieses Friedhofs, der 1960 zum 15. Jahrestag der deutschen Kapitulation eröffnet wurde, zeigt aber zugleich, dass Leningrad eine sozialistische Stadt wie andere auch geworden war. Das Schicksal der Blockade war einzigartig für die Stadt, das Gedenken mit einer großen Statue ‚Mutter Heimat‘ hatte sie jedoch mit anderen Orten der Sowjetunion gemein. (Kusber 156) Der Friedhof kann mit dem ‚Mamaev kurgan‘ in Stalingrad verglichen werden. Bei diesem steht im Gegensatz zum ‚Piskarevskoe‘-Friedhof die Heroisierung der Ereignisse im Vordergrund und nicht die Trauer. Stalingrads monumentales Denkmal-Ensemble ist geprägt von einer Soldatenheldenfigur und einer ‚Rodina Mat’‘ als sinnstiftendem Hintergrund. Diese hat ein Schwert in der Hand und ruft zum Kampf auf. Sie ist also nicht mit der trauernden Mutterfigur im ‚Piskarevskoe‘-Friedhof zu vergleichen. Konzepte wie diese setzen Leningrad in eine Reihe mit anderen sowjetischen Städten, demonstrieren aber gleichzeitig seine Individualität. In der Figurensprache findet sich ein Rekurs auf die Ewigkeit. Die ‚Rodina Mat’‘ auf dem Friedhof ist ein Sinnbild des Lebens und repräsentiert die Gegenwart. Architektonisch bestehen Ähnlichkeiten zum ‚Marsovo Pole‘ [Marsfeld] und man knüpft damit symbolisch an dessen Opfer-Narrativ an.24 Hinter wuchtigen Propyläen aus Dolomitgestein, deren Seitenpavillons eine Dokumentation der Blockade zeigen, öffnet sich ein Platz, in dessen Mitte das Ewige Feuer lodert. Hier beginnt die Hauptallee, die an langen Reihen von Massengräbern mit den Jahreszahlen 1941, 1942, 1943 vorbeiführt. Gedämpfte Musik schwebt über den Gräbern. Am Ende der Hauptallee erhebt sich das Ehrenmal: In der Mitte steht auf hohem Sockel die riesige Bronzeskulptur der Mutter Heimat. (Gorys 326)

Der Friedhof ist somit ein städtisches Monument. Auch in den deutschen Reiseführern wird der Friedhof zu den Sehenswürdigkeiten gezählt: „Die eindrucksvollste Gedenkstätte für die Toten der 900tägigen Belagerung Leningrads im Zweiten Weltkrieg, dem Großen Vaterländischen Krieg, ist der Piskarjowskoe-Friedhof [...] im Nordosten der Stadt.“ (Gorys 325) Der Schweizer Reiseführer sieht die ‚Rodina Mat’‘ als „symbolische Statue der tapferen und siegreichen Stadt Leningrad“ (Nagels Reiseführer 335). Erkennbar wird aus diesem letzten Zitat, dass die westdeutschen und der Schweizer Reiseführer nicht immer den Symbolkanon der sowjetischen Erinnerungskultur und deren Figuren kennen. Zwar wird in den deutschsprachigen Reiseführern das Ereignis der Blockade betont und als singuläres Leningrader Ereignis dargestellt, die Heroisierung der Bevölkerung findet aber – verglichen mit den sowjetischen Reiseführern – in einem geringeren Ausmaß statt und es wird keine ‚Memorialkette‘ zu anderen Erinnerungsorten aufgebaut. In den sowjetischen Reiseführern ist der ‚Piskarevskoe‘ neben dem ‚Serafimskoe‘Friedhof und dem ‚Zelenyj pojas Slavy‘ eine der zentralen Sehenswürdigkeiten, die alle der Blockade gewidmet sind. Der Friedhof wird damit in ein Narrativ eingebettet (Rusinova 338-342, Serpokryl 303-328, Alešina XLV).

Der ‚Pamjatnik Zaščitnikam Lenin­ grada‘, der ‚Zelenyj Pojas Slavy‘ und die ‚Doroga žizni‘ Der am ‚Moskovskij Prospekt‘25 befindliche ‚Pamjatnik Zaščitnikam Leningrada‘ [Denkmal für die Verteidiger Leningrads] wurde am 9. Mai 1975 auf der ‚Ploščad’ Pobedy‘ [Platz des Sieges] eingeweiht und repräsentiert den Mythos der Heldenstadt (Rusinova 348, Jahn 108). Dieses Denkmal ist ein symbolisches Stadttor mit einem Obelisk in der Mitte des Platzes. Dieser steht in der Tradition antiker Siegessäulen und dient der Herrschaftsrepräsentation. Der kreisförmige Wall symbolisiert die Blockade und unter den Skulpturengruppen befindet sich ein 1979 eröffneter, unterirdischer Gedenksaal (Rüthers 170-172). Das Denkmal für die Verteidiger Leningrads ist laut einem sowjetischen, ins Deutsche übersetzten Reiseführer von 1981 „eine der schönsten Stätten Leningrads“ (Kann Umgebung 52). Wie gigantische Propyläen erheben sich an beiden Seiten zwei 22geschossige Häuser. Die Platzmitte schmückt ein erhabenes Denkmal für die Helden der Verteidigung Leningrads im Großen

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Vaterländischen Kriege [....]. Für dieses Memorial haben sowjetische Menschen über zwei Millionen Rubel gespendet, und an seiner Schaffung haben Hunderttausende Leningrader und Gäste der Stadt mitgearbeitet. Am 9. Mai 1975, dem dreißigsten Jahrestag des Sieges des Sowjetvolkes über Hitlerdeutschland, wurde das Monument eingeweiht. Das Denkmal ist dem Süden, den Stellen der erbitterten Kämpfe um Leningrad, zugewandt. Auf Granitpostamenten stehen die Bronzegestalten von Soldaten, Matrosen, Landwehrkämpfern und Frauen – jenen Menschen, die die Stadt gegen die faschistischen Landräuber verteidigt haben. Das Kompositionszentrum bildet ein 48 m hoher Granitobelisk mit den goldenen Jahreszahlen 1941-1945. Am Fuß des Obelisken wachen zwei sieben Meter hohe Statuen ‚Die Sieger‘: ein Arbeiter und ein Soldat, Symbol der untrennbaren Verbundenheit der Sowjetarmee mit dem Sowjetvolk. Granitstufen führen in den Memorialsaal unter dem Denkmal, wo in Bronze und Mosaik sowie durch Gedenkstücke des Krieges Heldentaten der Verteidiger der Stadt vor Augen geführt werden. Marschrouten des Gedenkens ziehen sich über den Leningrader Boden, durch alle Straßen der Stadt. Und sie alle treffen sich hier, auf dem Platz am Moskowski-Prospekt, wo der Granitobelisk einen siegreichen Schlussakkord bildet und die Schläge eines Metronoms durch die Stille der Zeit klingen. (Kann Umgebung 52) Das Denkmal ist in ein urbanes Umfeld eingebettet. Es ist umgeben von Wohnhäusern und den Helden der Verteidigung Leningrads gewidmet. Die Realisierung des Denkmals scheint auf finanzielle Initiative der städtischen Bevölkerung und „Gäste[n] der Stadt“ zustande gekommen zu sein. Das Denkmal ist in südliche Ausfallrichtung, in Richtung der Front bei den Pulkovo-Höhen in einer Art Verteidigungsposition, ausgerichtet (Kann Umgebung 48-53). Konkret benannte Verteidiger sind in dem Reiseführer vor allem militärische Gruppen, unter dem mittlerweile veralteten Begriff ‚Landwehrkämpfer‘ wird eine Art Volkswehr [narodnoe opolčenie] verstanden. Frauen bilden dabei eine Ausnahme und sollen vermutlich die Gesamtheit der in der Stadt Verbliebenen darstellen. Der Obelisk ist das zentrale architektonische Element des Sieges, zu dessen Füßen sich die ‚Siegergruppen‘ befinden. Die Einheit des Sowjetvolkes – hier symbolisiert von Arbeiter und Soldat – war einer der zentralen Integrationsmechanismen der Brežnev-Ära für die sowjetische Gesellschaft. Der zugehörige Memorialsaal hebt auch die

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Leiden des heldenhaften Standhaltens hervor. In diesem Saal erklingen die Schläge eines Metronoms. Für die Zeitzeugen der Blockade war das ein akustisches Signal, das ihren Blockadealltag strukturierte: Im Leningrader Radio wurden Metronomschläge verwendet, um den Hörern zu zeigen, dass das Radio noch auf Sendung war. Oft wurde dieses akustische Signal auch eingesetzt, um Bombenangriffe anzukündigen.26 Die akustische Präsenz des Metronoms im Memorialsaal ist nicht nur als Reminiszenz an die Erlebnisgeneration zu sehen, es schlägt medial auch Brücken zu den jüngeren Generationen, denen dieses Narrativ bekannt war. Die ‚Ploščad’ Pobedy‘ mit dem „überwältigenden ‚Monument für die Verteidiger Leningrads‘“ (Gorys 325) wird nicht nur bei Kann erwähnt, sondern auch in dem deutschsprachigen Reiseführer von 1988, der den unterirdischen Memorialsaal näher beschreibt: Die Wände des unterirdischen Ausstellungsraumes schmücken zwei Mo­ sa­iken: ‚Blockade Leningrads‘, in düsteren Farben und fast erstarrten Formen, und ‚Sieg‘, farbenfroh und beschwingt. In dem Ausstellungsraum brennt das Ewige Feuer in 900 Leuchtern, für jeden Tag der Belagerung ein Licht. (Gorys 325) Das Denkmal spielt für die Erinnerung an die Leningrader Blockade eine zentrale Rolle: alle Besuchsrouten treffen sich an der ‚Ploščad’ Pobedy‘. Hier zeigt sich eine deutliche Kongruenz der Wahrnehmungen und Interpretationen der Reiseführer. In der Schweiz, der BRD und in der DDR scheint seit den 1960er Jahren niemand von den für die Reiseführer Zuständigen an dieser hier präsentierten Darstellung gezweifelt zu haben. Dieses Denkmal ist einer der zentralen Erinnerungsorte des Memorialkomplexes ‚Zelenyj Pojas Slavy‘.27 Die 200 Kilometer lange Blockadelinie markiert heute ein ‚Grüner Gürtel des Ruhmes‘ mit 60 Denkmälern. Das größte Ehrenmal schmückt den ‚Platz des Sieges‘. (Gorys 240) An dem 200 km langen Memorialkomplex des ‚Zelenyj Pojas Slavy‘ finden sich unter anderem 42 Denkmäler und 5 Panzer. Der Komplex ist ein Zeichen des Patriotismus, des Massenheroismus und des Siegeswillens, der nicht nur von Veteranen besucht wird. Erste Monumente entstanden schon 1944, es handelte sich vor allem um Gedenksteine an den Schlachtfeldern. Als Erinnerungsort wurde die Linie seit 1961 geplant, der Baubeginn war 1965. Er beinhaltet verschiedene Besichtigungsrouten. Eine erste Route führt am Blockadering entlang zum Memorialkomplex

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‚Kirovskij val‘. Weiterhin finden sich ein Obelisk bei ‚Ligovo‘ und 900 Birken zur Erinnerung an die 900 Tage währende Blockade. Die ‚Doroga Žizni‘ hat eine eigene Route (Suknovalov 333348). Zentrales Element und Endpunkt dieses ‚Ruhmesitinerars‘ ist das eben beschriebene Denkmal für die Verteidiger Leningrads auf dem Platz des Sieges. Diese Gedenkstraße wird in den deutschsprachigen und sowjetischen Reiseführern der 1970er und 1980er Jahre in einem heroisierend-pathetischen Tonfall beschrieben. Das vorne angeführte Zitat ist exemplarisch für diese Äußerungen. Ein wichtiger Erinnerungsort an dieser Gedenkroute ist die ‚Doroga žizni‘, ursprünglich eine Militärstraße, die zur Versorgungs- und Evakuierungsstrecke der belagerten Stadt über den Ladogasee mit verschiedenen Stationen am Ufer wurde (Clapperton 54-60). Scheinbar hat die Erinnerungskultur dort schier industrielle Ausmaße erreicht. Gedenksteine und Denkmalensembles finden sich an der Ufertrasse teilweise im Abstand von einem Kilometer. Der Gedächtnisort selbst ist eigentlich eine kaum befahrene Landstraße, die zum Ladogasee führt, und eingebettet in eine natürliche Umgebung. Die Denkmäler stellen eine Art „Interaktion zwischen Skulptur und Natur“ (Ganzenmüller Doroga schisni 177) dar, wie zum Beispiel das 1966 erbaute ‚Razorvannoe Kol’co‘ [Aufgerissener Ring], das aus zwei Betonstelen besteht, die einen Halbkreis mit einer Lücke in der Mitte bilden und den aufgebrochenen Blockadering symbolisieren. Diese Gedenktrasse ist sowohl ein realer als auch ein symbolischer Erinnerungsort. Hier begann die Eisroute über den See und sie stellt symbolisch den Ort des Aufbruchs der Belagerung durch die Rote Armee dar. An diesem Erinnerungsort wird fast nur aktiver Kriegshelden gedacht (Ganzenmüller Doroga schisni 176-178; Rusinova 344345). Bei den an den Evakuierungen beteiligten Ortschaften finden sich Tafeln mit Informationen sowie kleinere Museen. Ein Denkmal, bestehend aus mehreren etwa 5 Meter hohen Eisenträgern, symbolisiert ein sowjetisches Flugabwehrgeschütz. Es steht als Symbol für die Gefahren, aber auch für die Wehrhaftigkeit der aktiven Verteidiger. Der Denkmalkomplex ‚Blume des Lebens‘ erinnert an das Schicksal der Kinder in der belagerten Stadt und kommemoriert als eines der wenigen Denkmäler die Leningrader als passive, unschuldige Opfer. In diesem Denkmalkomplex, im Denkmalensemble auf dem ‚Piskarevskoe‘-Friedhof sowie im ‚Pamjatnik Zaščitnikam Leningrada‘ zeigt sich deutlich die topographische Manifestation des kollektiven Gedächtnisses. Der Museumsführer ‚Muzej Doroga žizni‘ betont selbst die Trasse als

tragischen, aber ruhmreichen Ort, der den heldenhaften Kampf Leningrads versinnbildlicht. Die ‚Doroga žizni‘ stellt die Leningrader partiell als Opfer dar und wirkt dadurch bei der Bevölkerung in besonderer Weise identitätsstiftend, zusätzlich zum Helden-Mythos (Rusinova 337; Pavljučenko u. a. 5-8, Ganzenmüller Identitätsstiftung 282; Ganzenmüller Doroga schisni 181188).

Fazit Leningrad wurde ähnlich wie Minsk und Stalingrad vom Zweiten Weltkrieg schwer getroffen und zog danach seine Identität aus den Kriegsereignissen. Durch die zahlreichen Erinnerungsorte und den Heldenstadt-Titel wurde Leningrad einerseits zu einer ‚typisch sowjetischen‘ Stadt (Bohn Musterstadt 251-255; Bohn Minsk 319333, Arnold). Die Einzigartigkeit Leningrads gegenüber anderen sowjetischen Städten liegt andererseits in der erinnerungskulturellen Wahrnehmung als Ort der Oktoberrevolution und als Stadt der Blockade. Der Leningrader Mythos bricht nicht vollständig mit der Vergangenheit. Dies spiegelt sich in der Wahrnehmung der sow­ jetischen und der deutschen Reiseführer: Diese Untersuchung fokussiert die Darstellung der Erinnerungsorte der Nachkriegszeit. Ein Vergleich der Kapitel der Reiseführer zu den ‚klassischen‘ und eher kunstgeschichtlich interessanten Sehenswürdigkeiten Petersburgs/Leningrads ist hier in vollem Umfang nicht möglich. Es lässt sich aber festhalten, dass in der inhaltlichen Darstellung vor allem für die hier verwendeten deutschsprachigen Reiseführer die historischen Besichtigungsorte im Zentrum noch immer große touristische Bedeutung hatten und meist deutlich ausführlicher beschrieben wurden als die hier untersuchten Orte (Nagels Reiseführer 342-373 und 416-417; Rost 32-33 und 76-112; Schlögel Terror 644; Kennett u. a. 74; Kann Umgebung 98; Presse-Agentur Novosti 99; Schilling 75). Die deutschsprachigen Reiseführer sprechen aber ebenfalls in einem oft heroisierend anmutenden Tonfall über die Kriegsereignisse der Jahre 1941 bis 1944 und heben vor allem das kollektive Heldentum der Bevölkerung hervor: „Doch die Bevölkerung hielt der Blockade stand. Ihre heroische Haltung brachte der Stadt den Leninorden ein.“ (Nagels Reiseführer 335) Die Blockade, der Zweite Weltkrieg und die Leiden der Bevölkerung sind als Themen also nicht auf die sowjetischen Reiseführer beschränkt. Trotz des implizierten Objektivitätsan­ spruches der Reiseführer wird oft in den deutschsprachigen Bänden kritiklos die sowjetische

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Wahrnehmung übernommen. Aber es wird bei den westdeutschen Exemplaren und dem Schweizer Reiseführer im Gegensatz zu den sowjetischen Beispielen und zum Reiseführer aus der DDR keine Memorialkette zwischen den Denkmalkomplexen aufgebaut. Es überwiegt bei den westdeutschen und Schweizer Reiseführern eine darstellende und keine wertende Sichtweise. Das Gros dieser Reiseführer wirkt meistens rational und neutral formuliert, es überwiegt dabei eine beschreibende Sichtweise, die der Informationsvermittlung zu den entsprechenden Orten dient. Ausnahmen mit einem pathetischeren Tonfall sind dabei die Reiseführer der PresseAgentur Novosti und von Bergschicker, die beide auf Vorlagen aus der DDR und der Sowjetunion zurückgehen. Das sowjetische Eigenverständnis ist geprägt von dem Ereignis der Oktoberrevolution und dem ideologischen Selbstverständnis als erstem sozialistischen Staat. Die sowjetischen Reiseführer verfolgen daher ein linear gehaltenes Narrativ, dessen zentrales Element die Blockade und der Zweite Weltkrieg bilden. Das sowjetische Narrativ für Leningrad ist durch die Interpretation und Darstellung der Blockadeopfer als heldenhafte Verteidiger geprägt: „Indem die Faschisten die Stadt umringten, verurteilten sie ihre Bewohner zum Hungertod. Aber die 900tägige Blockade demonstrierte die Größe der Seele der Leningrader.“ (Rost 20)28 Denkmäler sind sowohl Botschaften an die Nachwelt als auch Überreste der Vergangenheit. Die sowjetische architektonische Erinnerungskultur zeigt sich in Parks, Nekropolen und Statuen, und wird so sakralisiert. Der Sieg im Großen Vaterländischen Krieg, die Blockade und die damit einhergehende Heroisierung wurde als wichtigstes Ereignis der Zeitgeschichte verstanden. Dies diente als Vehikel für Werte, ermöglichte über die spätere Kodierung der Erinnerung und die damit erfolgende Sinngebung der Ereignisse Identifikation und Integration und legitimierte die sowjetische Herrschaftspraxis (Assmann 12, Ferretti 45-49, Gudkov 60-64). 1 Zum (meist weniger heroischen) Alltag während der Blockade siehe Koval’chuk 7-24 und Piankevich 25-64. 2 Eine detaillierte Beschreibung zum Verlauf der Blockade und der kollektiven Aktionen der Leningrader Bürger findet sich bei Clapperton 50-52. Zemskov-Züge, Narrating 201. 3 Zwischen 1965 und 1985 bekamen Kiev, Moskau, Kerč’, Novorossijsk, Minsk, Tula, Murmansk und Smolensk ebenfalls diesen Titel und Brest bekam den Titel ‚Heldenfestung‘ verliehen. Insgesamt handelt es sich um dreizehn Orte. 4 Zum Beispiel kommt den Heldenstädten bei der LiveÜbertragung der Siegesparade vom 9. Mai 1965 auf Radio Majak eine besondere Funktion zu. In jeder Heldenstadt gibt es eine eigene Parade, zu der im Radio live zugeschaltet wird. Peredača s Krasnoj Ploščadi, posvjaščennaja 20-j godovščine so dnja pobedy nad fašistskoj Germaniej 9 maja 1965 g., 1-123. GARF F. R 6903 op. 11 ed. chr. 947.

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5 Siehe von den Hoff u. a. Helden – Heroisierungen – Heroismen 7-14: https://www.sfb948.uni-freiburg.de/e-journal/ ausgaben/012013/helden.heroes.heros.2013-01 (zuletzt auf­gerufen: 06.10.2014). 6 Siehe Günther Übermensch 92 und Arnold 8-10. Frevert 803-812. Zum sozialistischen Helden siehe Gries, Satjukow. Karl D. Qualls zeigt das am Beispiel der Heldenstadt Sevastopol’. Qualls 132-136. Arnold 11-22, 44, 163-165, 313. 7 Dieser befindet sich, wie die Aufschrift Gorod-geroj, auf der Ploščad’ Vosstanija vor dem Moskovskij vokzal. Weitere Orden für Leningrad werden bei Lopatina 119 erwähnt. 8 Russischer Terminus für die Zeitzeugen und Überlebenden der Leningrader Blockade 1941-1944. Zur Historiografie über die Leningrader Blockade siehe Lomagin 23-47. Lomagin betont dabei, dass die vor allem lokal in Leningrad betriebene Historiografie den heroischen Aspekt der Blockade hervorhob, Hunger und Sterben der Bevölkerung aber außer Acht ließ. Damit sollte das kollektive Gedächtnis der Stadt neu geprägt werden. Ab den 1960er Jahren kam es in der Historiografie zur Blockade zu einer Diskussion um die genauen Opferzahlen. Diese Diskussion ist vergleichbar mit jener zu den sowjetischen Opferzahlen im Zweiten Weltkrieg. Zur Quellenlage über die Leningrader Blockade siehe: Zemskov-Züge, Leben 75-78. Diese offizielle sowjetische Erinnerungspolitik wurde auch auf die DDR übertragen, siehe Ganzenmüller Nebenkriegsschauplatz 7 und 17. 9 Ganzenmüller Identitätsstiftung 279. Das trifft vor allem auf die ältere Bevölkerung Leningrads zu, die den Namen Leningrad mit dem Blockade-Andenken verbinden. Clapperton 50, 59. Kirschenbaum Remembering 323. Lebina 407409. 10 ‚Mythos‘ wird hier als kurzes, dramatisiertes Narrativ verstanden, welches für die Vergangenheit sinnstiftend verwendet wird; siehe dazu Hynes 207. 11 Zur Situation der Rückkehrer und Migranten in das Nachkriegs-Leningrad siehe White 1145-1161. Die Schaffung eines speziellen Bewusstseins erleichterte auch die Integration ländlicher Migranten in die Stadt. Ganzenmüller Identitätsstiftung 280. Zemskov-Züge, Narrating 200-202. Ganzenmüller Identitätsstiftung 279. Siehe dazu auch Kusber 148 und Jahn 10. 12 Zu den aktuellen Tendenzen in der ErinnerungskulturForschung siehe Winter 363-397. Green 35-44. Zur Bedeutung des Zweiten Weltkrieges für die sowjetische Erinnerungskultur siehe Brunstedt 149-171. Das kollektive Gedächtnis als umstrittenes Konzept thematisiert Lisa Kirschenbaum: Kirschenbaum Introduction 97-103. 13 Zum Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis und zur ‚Floating Gap‘ zwischen den Generationen siehe Niethammer 25-50 und Arnold 23. 14 „В Ленинграде много памятных мест, связанных с историей революционного движения в России, с возниковением первого в мире социалистического государства, с героизмом ленинградцев в годы Велокой Отечественной войны.“ Rost 40-41. 15 Ganzenmüller Identitätsstiftung 279. Siehe dazu auch Kusber 148 und Jahn 10. Auch White kommt zu diesem Ergebnis: White 1145-1161. Die individuellen (tragischen) Erinnerungen der ‚blokadniki‘ fanden in den offiziellen sowjetischen Erzählkanon jedoch keinen Eingang. Siehe dazu Sobolev 72-73. 16 Im Vergleich zu Stalingrad fielen die Zerstörungen in Leningrad etwas geringer aus. Siehe Kirschenbaum Remembering 314-319. Auch bei Stalingrad hatte der Wiederaufbau eine heroische Komponente, siehe Arnold 233. 17 Aktuell wird aber vermutet, dass die Leningrader Blockade zwischen 700.000 und 800.000 Opfer forderte. Siehe dazu Sobolev 82.

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18 „После окончания войны встала грандиозная задача восстановления разрушенных шедевров зодчества.“ Alešina XLV.

Gorys, Erhard. Moskau und Leningrad. Kunst, Kultur und Geschichte der beiden Metropolen, des ‚Goldenen Ringes‘ und Nowgorods. Köln: DuMont, 1988.

19 „Бережно сохроняя все лучшее, что было создано предшествующими поколениями, ленинградцы сегодня прилагают большие усилия для того, чтобы город рос, хорошел, благоустраивался.“ Rost 126-127.

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20 „Советские люди гордятся героической историей Ленинграда“, Vernadskij u. a. 5.

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21 „одного из самых замечательных городов нашей великой социалистической Родины“, Vernadskij u. a. 5.

Heiss, Karl William, Hg. Goldstadt-Reiseführer. Bd. 32: Leningrad. Pforzheim: Goldstadtverlag, 1963.

22 „Крупнейший и культурный центр страны, один из красивейших городов мира, колыбель трех революций, город, в котором 40 лет назад началась и победила Великая Октябрьская социалистическая революция, город русской славы, город-герой, город замечательных людей, город Ленина – таков Ленинград, таково его историческое прошлое.“ Vernadskij u. a. 5.

Kann, Pawel. Die Umgebung Leningrads. Reiseführer. Moskau: Progress, 1981.

23 Ähnliches findet sich auch bei Presse-Agentur Novosti 91. 24 Arnold 279-295. Auf dem Marsfeld, in der Nähe des Winterpalais, wurden ab 1920 die Opfer der Februarrevolution bestattet. Es dient also in vieler Hinsicht der sowjetischen Begräbniskultur als Vorbild. 25 Der ‚Moskovskij Prospekt‘ ist, wie der Name schon impliziert, die Ausfallstraße nach Südosten, Richtung Moskau. Der Prospekt wurde in den 1930er Jahren als sozialistisches Gegenstück zum ‚Nevskij Prospekt‘ in der Altstadt konzipiert und sollte, wie aus den Stadtbauplänen hervorgeht, zu einem neuen sozialistischen Stadtzentrum werden. Bereits Ende der 1930er Jahre wurden diese Pläne – hauptsächlich aus finanziellen Gründen – fallengelassen. Nur Einzelelemente, wie der ‚Dom sovetov‘ (Haus der Sowjets/Räte), erinnern noch an die ursprünglich implizierte Bedeutung des Prospekts. 26 Oft fiel – im Gegensatz zu der offiziellen sowjetischen Darstellung – das Leningrader Radio aber auch tagelang aus. Siehe Piankevich 28-30. Zum akustischen Erinnern an die Blockade siehe Voronina u. a. 63-74. 27 Zur Rezeption der Blockade in der deutschen Historiografie siehe Hass 139-162. 28 „Фашисты, окружив город, обрекли его жителей на голодную смерть. Но 900 дней блокады продемонстрировали величие духа ленинградцев“. Rost 20.

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DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2014/02/09

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John Harrison (1693-1776) and the Heroics of Longitude

1. A Symposium and a Rediscovery When American journalist Dava Sobel attended the Longitude Symposium of Harvard Univer­ sity at Cambridge, Massachusetts, in November 1993, she did not expect anything decisive to come out of either the conference or her attend­ ance. “500 people from seventeen countries” came together to hold “a conference about the history of finding longitude at sea,” W. H. An­ drewes, curator of the scientific instruments col­ lec­tion at Harvard, notes in his introduction to the conference proceedings (Andrewes, Intro­ duction 1). Despite the sizable number of par­ ticipants, the Longitude Symposium was at first sight a convention of specialists sharing their knowledge and discussing finer points of their academic work, not a convention to arouse grea­t public interest. This particular symposium, how­ ever, triggered a series of cultural products and events which disseminated specialist knowledge to many people who had not necessarily been interested in the history of longitude before. Out of the whole process emerged a new tale of her­ oism with an unlikely protagonist who is anything but conventionally heroic, and who had been dead for more than 200 years at the time of the Longitude Symposium: John Harrison [16931776], the inventor of the first reliable marine timekeeper. Dava Sobel had been asked to write an art­ icle on the Longitude Symposium for the Harvard Magazine. Although it became the cover story, it did not receive much attention from its readers.1 But then Sobel was approached by the owner of a publishing house, George Gibson of Walker Books, who suggested she should turn her sub­ ject into a full-length book – which she duly did. The rest is, as the saying goes, history: Sobel’s first book Longitude: The True Story of a Lone Genius Who Solved the Greatest Scientific Prob­ lem of His Time came out in 1995 to become a

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bestseller, and Dava Sobel embarked on a car­ eer as a well-known and respected author of popular science books.2 Dava Sobel’s first subject already was his­ tory, albeit part of an unaccountably hidden or at least underrated history. John Harrison was a carpenter and self-taught clockmaker, who was born in Yorkshire and spent his early life in Bar­ row-upon-Humber, North Lincolnshire. He would prob­ably have spent his life in obscur­ity had he not solved one of the major techno­logical prob­ lems of his time, the problem of how to determine a ship’s east-west position, its longitude, at sea. Harrison has a firm place in the his­tory of navi­ gation, and would have been known amongs­t horologists, clock and watch makers, and nava­l historians. The general pub­ lic, how­ ever, be­ came acquainted with John Harrison and his major achievements through the publication of Sobel’s Longitude. In its wake came more cul­ tural products dealing with John Harrison’s life and work: Longitude was adapted as a TV mini series and broadcast in 2000. The National Mari­ time Mu­seum in London produced a documen­ tary on Harrison and his timekeepers [which are housed in the Royal Observatory] in 2001 and is commemorating the tercentenary of the estab­ lishment of the Board of Longitude with a series of exhibitions: Ships, Clocks & Stars: The Ques­t for Longitude [July 2014-January 2015] and Longitude Punk’d [April 2014-January 2015]. In 2006, John Harrison received a public memor­ ial in Westminster Abbey, which was unveiled by Princ­e Philip. As it turns out, Harrison is enjoy­ ing a stellar career cen­turies after his death: He developed from a specialist with an excellent reputation and a place in the history of science, whose contribution to modern-day navi­ gation was spectacular, but who was known only to a scientific community, to a public, even popular character in the late 20th century. In the BBC pro­ gramme 100 Greatest Britons of 2002, Harrison came out 39th (cf. The Top 100 Great Britons).

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This case study will attempt to shed light on how an unassuming eighteenth-century craftsman has in the recent past become the central fig­ ure of a story of heroism, which unfolded across a variety of media. It will be suggested that the attribution of heroic characteristics made John Harrison more easily accessible and also more attractive to a wider audience. His heroic feat was finding the solution to a highly specific prob­lem of technology, which turned out to revo­lutionise navigation and largely contributed to the creation of the naval power Britain has been for centuries. John Harrison’s life and work are not necessarily the stuff heroes are made of, but on closer scru­ tiny contain elements which have the potential for a remarkable narrative. The his­torical facts known about him speak of an interesting person­ ality. Arguably, giving John Harrison an elevated, potentially heroic status has elements of narra­ tive emplotment in the sens­e used by Hayden White. It is suggested that with­out Dava Sobel’s initial narrative approach, which earlier accounts of Harrison lacked, his life and achievements would not have gained such a strong appeal for so many. As Dava Sobel may not have been the first to discover this potential, but was certainly the first to exploit it [in both the positive and the negative sense of the word], her book will be the focus of this analysis, including a close reading of some of Sobel’s textual strat­egies. The John Harrison phenomenon crosses a variety of text­ ual and visual media, moving into film and exhib­ itions, which will be taken into account as well.

2. John Harrison, Clockmaker – A Brief Overview John Harrison’s invention of the marine chro­ nometer with which it became possible to deter­ mine a ship’s longitude while at sea with a de­ gree of certainty, revolutionised navigation. As the son of a carpenter, Harrison’s initial material of choice was wood, and in fact, his first clocks – hardly conceivable today – were wooden clocks. As there was no community of clockmakers in Barrow-upon-Humber, it is unknown how Harri­ son came into contact with this particular craft. He was certainly a well-trained carpenter, but a self-taught clockmaker. Initially, John Harrison worked on his own. He must have been an ex­ tremely patient craftsman with touches of the DIY tinkerer, who over his lifetime produced, amongst other clocks, different marine chronom­ eters [now specified as H1 to H5], each more advanced than its predecessors. On his way to

solving the longitude problem, he made inven­ tions which had a lasting impact on clockmaking: the gridiron pendulum, welded together out of different metals in order to compensate for tem­ perature changes; the bi-metallic strip, used in clocks to similar effect, and the grasshopper es­ capement, an escapement with very low friction. This list points to the fact that Harrison’s work has specialist appeal at best, but not necessar­ ily heroic qualities. Despite his good results and enormous skills, it took Harrison four decades to convince the scientific community of the quality and reliability of his clocks.3 In 1714, the British Parliament had, by pass­ ing the so-called Longitude Act, established a Board of Longitude. A prize of £20,000 was offered to anybody who would invent a practic­ able method of establishing longitude aboard ship. The hopeless inaccuracy of current lon­ gitude determination had by this time, with the expansion of the British Empire and the naval requirements of war as well as trade, become the bane of the naval community. In fact, the Longitude Prize was largely the consequence of the naval disaster off the Isles of Scilly in 1707, when an estimated 2000 men drowned as Ad­ miral Sir Cloudesley Shovell4 and his fleet were returning from action in the War of the Spanish Succes­sion. Four ships from Shovell’s fleet ran aground on rocks off the Isles of Scilly. Due to bad weath­er and a miscalculation of the position of the fleet, and despite all qualified, state-of-theart attempts at reckoning [Shovell had sensed the danger and consulted all of his navigators] the sailors had not realised how close they were to the Isle of Scilly, but thought they were west of the Ile d’Oussant [Brittany], which would have meant a safe passage to the harbour of Ports­ mouth. Losing so many men and ships practical­ ly at Britain’s doorstep, in one of the worst naval disasters in British history, apparently had polit­ icians finally springing into action. Andrew King describes the dimensions of the problem and the solution as follows: The immense awards offered under the Act are testimony to the urgency of the problem. […] Under the terms of the Act, in order to obtain the full £20,000 it was re­ quired that the method, whatever it might be, must determine longitude to within a distance of 30 miles during a voyage from England to the West Indies. To achieve this, a mechanical timekeeper would have to be accurate to within a total of just two minutes during the proposed six-week trial. Every clockmaker knew that this was impossible with the technology then avail­ able. (King 168)

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It is unknown how and when John Harrison heard about the Longitude Prize. He had started out by making sophisticated wooden clocks and then turned his creativity and skill towards a reli­ able marine timekeeper, an incredibly ambitious project for a man of his background (see King)5. After four decades of struggle and the devel­ opment of various types of timekeepers, which were road-tested [or rather sea-tested] by the Board of Longitude, it was only towards the end of his long life that John Harrison finally achieve­d recognition for his work. However, this happened only after King George III interceded on Harri­ son’s behalf, having come to the conclusion that the clockmaker had been treated unfairly by the Board of Longitude. Members of the Board, above all the Royal Astronomer Sir Nevil Maskelyne, were highly sceptical towards Harrison’s clocks. One of the main problems seems to have been the question of reproducibility of the timekeep­ ers, as the longitude solution was required to be practical. Behind the hesitation to give Harrison the longitude award one need not necessarily im­ agine personal antagonism on Maskelyne’s part. However, Maskelyne certainly was no support­ er of Harrison, as he favoured the competing method of lunar distance measuring. It is also striking that the timekeepers put on trial under his aegis never seemed to perform satisfactorily.6 In the end, Harrison did get financial remuneration, but the prize itself was never officially awarded to anybody. These are, in brief, the skeletal facts of Harrison’s life and achievements.

3. Dava Sobel’s Longitude Dava Sobel’s book on the longitude problem and on John Harrison’s solution fleshes out thes­e facts. It is a mixture of popular science and biog­ raphy, proceeding chronologically,7 from earl­ y navigation to the mass production of marine chronometers for the British Navy. The book is framed by two personal experiences of So­ bel: opening with a memory of a toy she owned and closing with her in the Royal Observatory, finally face to face with Harrison’s clocks and “re­duced […] to tears.” (Sobel, Longitude 174) She clever­ly inscribes her own history into the histories of Harrison and the longitude problem, adding personal appeal to her book. Sobel offers digestible and well-written explanations for the technical problems behind the determination of longitude and also includes navigational history. Interest­ingly, John Harrison does not figure quite as large­ly in the book as the spectacular sub­title may lead readers to expect. The True Story of a Lone Genius Who Solved the Greatest Scien­ tific Problem of His Time has all the popular

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trappings: It announces a true story, which has a special appeal and also attracts readers who want solid facts and steer clear of fiction. Harri­ son is described as a loner, a quality which will be debated later in this case study, and as a genius. The latter is an impressive attribute, raising him above the average person and stirring curiosity. This gives the longitude problem a superlative to add to the spectacular promises of the title. Sobel’s first chapter is accordingly designed to draw the reader in, as she reminisces about her fascination as a child with a beaded wire ball which reminded her of the lines on a globe (Sobel, Longitude 2). The chapter proceeds to inform the reader about the problems of deter­ mining latitude and longitude when at sea, with longitude being the far more complex problem, as it requires a reliable time-keeping method. “Any sailor worth his salt can gauge his latitude well enough by the length of the day, or by the height of the sun or known guide stars above the horizon.” (Sobel, Longitude 4) Most of Sobel’s landlubbing readers, including the writer of this article, had probably never thought about the var­ious degrees of complexity determining lati­ tude and longitude since their geography les­sons at school. The idea of educating the readers as well as entertaining them is palpable throughout Sobel’s text. This is her concise description of the problem, worth being quoted in full: The measurement of longitude meridians, in comparison, is tempered by time. To learn one’s longitude at sea, one needs to know what time it is aboard ship and also the time of the home port or another place of known longitude - at the very same mo­ ment. The two clock times enable the navi­ gator to convert the hour difference into a geographical separation. Since the Earth takes twenty-four hours to complete one full revolution of three hundred sixty de­ grees, one hour marks one twenty-fourth of a spin, or fifteen degrees. And so each hour’s time difference between the ship and the starting point marks a progress of fifteen degrees of longitude to the east or west. Every day at sea, when the navi­ gator resets his ship’s clock to local noon when the sun reaches its highest point in the sky, and then consults the home-port clock, every hour’s discrepancy between them translates into another fifteen de­ grees of longitude. (Sobel, Longitude 4-5) Imagining the conditions aboard ship [the mo­ tion, the salty humidity, the changes in tem­ perature and pressure], it is easily conceivable that clocks – a high-tech luxury good at the time anyway – did not necessarily come to mind as a solution to the determination of longitude. There

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were several competing methods, with the lunar distance method8 the most promising of them: It was already being [more or less] success­fully employed by navigators and endorsed by Sir Isaac Newton (cf. Andrewes, Even Newton 190191). Newton retained his conviction that astro­ nomical reckoning, if only improved enough and made less prone to error by better astronom­ical tables and instruments (cf. Sobel, Longitude 60), would be the ultimate solution to the longitude problem. That he was proved wrong not by a fel­ low scientist but by John Harrison the carpen­ ter continues to astonish after centuries. Sobel picks up on this in her book: “Newton died in 1727, and therefore did not live to see the great longitude prize awarded at last, four decades later, to the self-educated maker of an oversized pocket-watch.” (Sobel, Longitude 60)9 She is certainly giving her readers a sense of the pro­ portions here: John Harrison’s personality is in­ deed somewhat anti-climactic in relation to his achievements. In the early eighteenth century, an alterna­ tive to the dominant lunar distance method, propound­ed by a self-taught craftsman from the country, would conceivably be difficult to push to the fore­front. This situation is the basis for a very unusual story, though not necessarily a hero­ic one. John Harrison is an unlikely hero. Interestingly, there is one instance before So­ bel in which Harrison is at least named a hero, if not necessarily set up as one: In 1976, on the occasion of the bicentenary of Harrison’s death, Michael Langley calls him “the hero of longitude” in History Today. In keeping with the magazine’s general style, stressing information value over entertainment, but still making specialist ­top­ics accessible to a general, interested public, Lang­ ley’s article is unspectacular in its tone, not ne­ cessarily honouring the promise of its title. How­ ever, Langley does think that John Harrison has not been appreciated enough by posterity. He sees Harrison’s training as a carpenter rather as an advantage, as he would have been aware of the properties of wood and possibly also metal under various conditions (Langley 821). On a more general level, Andrewes as well argues that Harrison’s position as a self-taught outsider of horology might actually have been an advan­ tage, as he would have been able to approach the longitude problem with a fresh and unbiased mind:

This is a sensational, melodramatic narrative with semantic choices which would be equally suitable for a pirate story. It is interesting that So­ bel lays open her methods and disingenuously reveals her strategy of heroisation to the reader: “A story that hails a hero must also hiss at a vil­ lain – in this case, the Reverend Nevil Maskelyne […]. In all fairness, Maskelyne is more an anti­ hero than a villain, probably more hardheaded than hardhearted.” (Sobel, Longitude 111) The traditional play of protagonist versus antagonist is at work here, and Sobel does her best to en­ hance it. Despite her disclaimer, she proceeds to cast Maskelyne in the role of the villain, provid­ ing readers with information bound to establish emotional barriers between themselves and the character of Maskelyne.

Solutions to problems do not always come from expected sources, but from unknown individuals in remote areas who, being imbue­d with a passion and determin­ation to succeed, can approach the problem with­out the restricted vision that traditional

Maskelyne was born on October 5, 1732. This made him about forty years young­ er than John Harrison, although he never seemed to have been young. […] Family letters refer to his older brothers, William and Edmund, as ‘Billy’ and ‘Mun,’ and call his younger sister, Margaret, ‘Peggy,’ but

academic thought can sometimes impose on novel ideas. (Andrewes, Introduction 5) What was, according to Sobel, a difficult start to Harrison’s career, can hence be read as an advantage for him. In the last paragraph of his article, Langley suggests that Harrison’s contri­ bution to British culture is underrated at the time of writing, the 1970s. To associate John Harrison with the size and ubiquity of the British Empire, and therefore of our culture and influence, may be an extravagant thought; but it would not be difficult to develop such a case and so raise him from his relative obscurity on this, the two hundredth anniversary of his death. (Langley 823) After Langley’s text, it would take almost twenty years more until John Harrison finally achieved heroic dimensions at Dava Sobel’s hands. Sobel is a master of superlatives and striking imagery, with which she manages to convey her enthusi­ asm for her subject. Harrison’s difficult path to success reads like the following in Longitude: Harrison, a man of simple birth and high intelligence, crossed swords with the lead­ ing lights of his day. He made a special enemy of the Reverend Nevil Maskelyne, the fifth astronomer royal, who contest­ ed his claim to the coveted prize money, and whose tactics at certain junctures can only be described as foul play. (Sobel, ­Longitude 8-9)

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Nevil was always and only Nevil. Unlike John Harrison, who had no formal educa­ tion, Nevil Maskelyne attended Westmin­ ster School and Cambridge University. (Sobel, Longitude 112-113) Is this hinting at an emotionally cold and nar­ row-minded personality? Dava Sobel’s choice of words certainly produces the impression.10 Harrison’s skill and patience enabled him to prevail in the end against all technological and human odds. Perfection of the two methods [lunar dis­ tance and timekeeping] blazed parallel trails of development down the decades from the 1730s to the 1760s. Harrison, ever the loner, pursued his own quiet course through a maze of clockwork machinery, while his opponents, the professors of as­ tronomy and mathematics, promised the moon to merchants, mariners, and Parlia­ ment. (Sobel, Longitude 89) This is the image of an underdog fighting the academic establishment. In fact, Harrison was not quite as alone as Sobel represents him here. He worked initially with his brother, later with his son, and he gained a formidable mentor in George Graham [who also gave him a loan to actually build the clock] after he had developed the design for H1 (see King 182-183, Taylor and Wolfendale 57). Graham was one of the lead­ ing makers of scientific instruments at the time. Sobel herself notes that “[t]he Royal Society […] rallied behind Harrison all through these trying years. His friend George Graham and other ad­ miring members of the society insisted that Har­ rison leave his workbench long enough to accept the Copley Gold Medal on November 30, 1749.” (Sobel, Longitude 101) John Harrison’s skills never failed to impress those he met, although it is maybe natural that highly qualified crafts­ men could recognise his achievements more easily than scientists.11 The report by Taylor and Wolfendale recounting Harrison’s achievements on the occasion of the public memorial in 2006 claims him for the Royal Society, stressing the Society’s role in his appreciation even in the title: John Harrison: Clockmaker and Copley Medal­ ist. A Public Memorial at Last. It can be read as an attempt to write him back into the Society’s history – now that Harrison has heroic status, he becomes a contested figure once more, this time in a different way: various communities make their claims upon the hero and his deeds. The ‘lone genius’ was part of professional com­ munities and took inspiration from them dur­ ing his lifetime. Apart from his interactions with the Roya­l Society, Harrison profited from fellow craftsmen in London. While H 3, which took him

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19 years to build, still has the size and shape of its predecessors – sizable and rather unwieldy sea clocks – H 4 is an entirely different matter: it is a watch.12 This is largely due to the influence of a gifted clockmaker, John Jefferys, a member of the Worshipful Company of Clockmakers. In 1753, Jefferys made Harrison a pocket watch for his personal use. He obvious­ ly followed Harrison’s design specifica­ tions, for Jefferys fitted the watch with a tiny bi-metallic strip to keep it beating true, come heat or cold. […] Some horologists consider the Jefferys timepiece the first true precision watch. (Sobel, Longitude 105) This is once again an instance in which Harrison, although depicted as stubborn and single-mind­ ed, was willing to collaborate if the situation re­ quired it and was not hesitant to learn, and to expand his skills. With Jefferys and his expert­ ise, he had struck gold, as Sobel notes. “This watch proved to be remarkably dependable. Harrison’s descendants recall that it was always in his pocket. It occupied his mind, too, shrink­ ing his visio­n of the sea clock.” (Sobel, Longi­ tude 105). The results of this thought process is H 4, which looks like a large pocket watch and bears no outward resemblance to H 1-3. This is the timekeeper which finally fulfilled the require­ ments, performing well on a trip to Jamaica and back in 1762. The moment of suspense in the charting of John Harrison’s path to heroic fame, how­ever, is largely due to the hesitant members of the Longitude Board, above all Maskelyne, who had become Astronomer Royal in 1765. Maskelyne turned out to be, “[…] as Harrison no doubt predicted, his nemesis […].” (Sobel, Lon­ gitude 129) The Board demanded Harrison give up H4 for extensive testing and explain its com­ plete design, and the manufacture of two copies, and they also requisitioned all the preceding sea clocks. “Imagine Harrison’s reaction when he learned that his treasure, H-4, having lan­guished many months in a lonely tower at the Admiralty, had been delivered into the hands of his arch­ enemy.” (Sobel, Longitude 135-136) Maskelyne was now chiefly responsible for all tests, and it is part of the appeal of the story of antagonism that Harrison’s watches never seemed to perform well at his hands. Dava Sobel calls her relevant chapter Trial by Fire and Water, echoing medi­ eval ordeals as well as Mozart’s Magic Flute, thus semantically investing the clocks, their invent­ or, and their detractor with mystical properties. Nonetheless, James Cook, having successfully completed his second voyage with sauerkraut against scurvy and K-1, a copy of H-4 by Larcum Kendall, was satisfied with Harrison’s product. At 79, with the help of his son, Harrison managed

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to interest King George III in his matter, and he finally received £8,750. This is the conclusion of Sobel’s brief biography at the beginning of Longi­ tude: “An aged, exhausted Harrison, taken under the wing of King George III, ultimately claimed his rightful monetary reward in 1773 – after forty struggling years of political intrigue, international warfare, academic back­biting, scientific revolu­ tion, and economic upheav­al.” (Sobel, Longitude 9-10) The satisfaction at John Harrison’s ground­ breaking invention being recognised at last is palpable and conveys itself to the reader. In the long process towards a solution to the longitude problem, there was much suffering, which So­ bel’s narrative keeps insisting on. The victims of the Isles of Scilly disaster become “two thousand martyrs to the cause,” (Sobel, Longitude 16) and of course John Harrison himself “held martyr status among clockmakers” by the time he died (Sobel, Longitude 152). Longitude makes use of imagery setting the good against the evil force­s, and John Harrison’s patient struggles take on a quasi-religious quality, although instances in which Sobel employs openly religious diction are rare. It speaks to Sobel’s gift as a writer that she introduces her book with a brief life of Harri­ son and still manages to hold readers’ interest in him and the longitude problem. In the final parts of Longitude, she traces the way to mass pro­ duction of marine timekeepers and their rapid spread within the naval community in the dec­ ades after Harrison’s death. Almost as an aside, she finally states that “[i]ndeed, some modern horologists claim that Harrison’s work facilitated England’s mastery over the oceans, and there­ by led to the creation of the British Empire – for it was by dint of the chronometer that Britannia ruled the waves.” (Sobel, Longitude 152-153) Less nonchalantly, both Langley and Bailey end their essays noting that John Harrison contri­bu­ ted significantly to colonial expansion, and An­ drewes puts the driving forces in a nutshell in his introduction to the Longitude Symposium: “Had power and profit not been found in exploration, colonization, and trade, finding longitude might never have been regarded as a serious prob­ lem.” (Andrewes, Introduction 2) Here, the topic is no longer mechanical finesse or astronomy, but the question of who rules the world: the na­ tive turf of heroes.13 Sobel’s narrativisation of John Harrison’s life in connection with the longitude problem is the starting point of his achievement of heroic sta­ tus and popular appeal. Sobel manages to bring out the spectacular and unusual about her sub­ ject, and she seems to find the right language to make his specialist project accessible and understandable. The language of her book is

eminently readable. Although she writes non-fic­ tion, she leans towards imbuing her topic with mythical elem­ents, making Harrison the protag­ onist in epic battles against the elements and his detractors. Longitude has been an overwhelm­ ing success, probably surprising its author most of all. It was translated into more than twenty languages and frequently reprinted, before a 10th anniversary issue with an introduction by Neil Armstrong was published. There is also an illus­ trated edition co-authored with W. J. H. Andrew­ es (cf. Sobel, Official Bio).

4. After Sobel’s Longitude: A Harrison Trend From then on, the John Harrison phenomenon snowballed. As early as 1998, a ‘Nova’ episode with the title Lost at Sea: The Search for Longi­ tude was aired in the U.S. It is explicitly based on Sobel’s bestseller, mixing modern-day recre­ ations of historical navigation, statements from Sobel and nautical experts, and enacted scenes from Harrison’s life. The programme’s Harrison voices contempt for the academic community he is up against and suggests that the astro­nomers on the Longitude Board, accustomed to stel­ lar tables for reckoning, were frightened by his mech­anics. In a four-part TV mini series, which was broadcast in the UK and the U.S., Granada Pro­ ductions adapted Sobel’s book in 2000, with Jeremy Irons and Michael Gambon in starring roles. Irons plays Rupert T. Gould, a British naval officer who in the 1920s restored Harri­ son’s timekeepers and by virtue of this work be­ came one of the most important horologists. He is briefly mentioned in Sobel’s Longitude, when the reader all of a sudden gets the sense that history might be repeating itself. Gould, a man of great sensitivity, was so appalled by this pitiful neglect that he sought permission to restore all four (the three clocks and the Watch) to working order. He offered to do the work, which took him twelve years, without pay, and despite the fact that he had no horological training. (Sobel, Longitude 170-171) Once again, an unlikely protagonist appears on the scene of naval timekeeping and fights against all odds for the mission he has on his mind. While Gould appears to have been a very different character from Harrison, they share a sense of commitment and a tenacity which marks them both as somewhat out of the ordin­ ary.14 When Sobel remarks that “[t]ragic events

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in Gould’s own life inured him to the difficulty of the job he had volunteered for,” (Sobel, Longi­ tude 171) the potential for drama once again be­ comes apparent. The TV programme partly capitalises on this, but does not become quite as melodramatic as may have been expected. It narrates two convincingly interwoven tales: John Harrison’s life is remembered, in parts even staged as a dream, by Rupert T. Gould when he is in the process of restoring and protecting the timekeepers. Gould’s unstable mental con­ dition – he suffered from depression and several nervous breakdowns – is linked with the night­ mare of Harrison’s struggle and futile attempts to convince the Board. While always sympathet­ ic, Michael Gambon’s Harrison has touches of the fanatic, which is for instance conveyed when his son William, at 40, suggests that Harrison always was more emotionally bound-up in his clocks than in his children (Longitude, 00:01:11). The journey to recognition by the Board of Lon­ gitude becomes, for Harrison, also a journey to­ wards a better understanding with his grown-up son late in life, thus adding human interest to the story. The film effortlessly intertwines the two time periods: a good example is Gould’s desperate race to save the clocks when they are moved out of London in preparation for the Second World War, and Harrison’s equally desperate, though more resigned, dismantling of H 4 to prove its quality to the Board (Longitude, 01:17), which are set in parallel. With all his shortcomings, the film’s Harrison is the epitome of a scientist, pre­ senting the Board with an even better idea for a clock balance after they have just decided to postpone the decision yet another time (Longi­ tude, 00:01:39). Gould is recognised not simply as a man of many arcane interests, but also as the first to make John Harrison known once more to a wider audience. “Harrison was a real life for­ gotten hero, rediscovered by Rupert Gould and made famous by Dava Sobel”, director Charles Sturridge is quoted on the DVD blurb. In 2001, the National Maritime Museum brought out a DVD documentary on John Har­ rison’s timekeepers. The focus of this product is on the technical and scientific side; however, it also includes enacted scenes, and it has foot­ age of the timekeepers running in close-up. The sheer beauty of the clocks ‘in action’ is fascinat­ ing even to a lay audience. Finally, in 2006, a memorial stone for John Harrison was revealed in Westminster Abbey. In a rather whimsical but very suitable design, a bi-metallic strip runs through his name, and the longitude of the stone is given.15 His symbolic arrival in the Abbey [Harrison is buried in Hamp­ stead] marks the rise of his position within British

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memory culture. Dava Sobel recounts how she was approached by a descendant of Harrison about supporting a petition to commemorate Harrison in Westminster Abbey after the publi­ cation of her book in Britain (Sobel, Longitude, Appendix 8-9; Sobel, Road to the Abbey). In the course of her efforts, she awakened the interest of Sir Arnold Wolfendale, the 14th Astronomer Royal, who gave momentum to the project. In Taylor and Wolfendale’s report in the Notes and Records of the Royal Society, they concede that it was Sobel’s Longitude which had made John Harrison famous more than 200 years after his death (53), although they firmly locate his work in the context of the Royal Society.16 As mentioned above, the National Maritime Museum has two special exhibitions to honour the Longitude Board, John Harrison, and his achievements. It may be questionable whether Harrison would have approved of being cele­ brated along with the Board, with whose mem­ bers he had so many difficulties. Ships, Clocks & Stars: The Quest for Longitude relates the lon­ gitude problem and celebrates the beauty and sophistication of the timekeepers.17 The exhib­ ition trailer is dramatic and abounds with super­ latives, even surpassing Sobel’s style (cf. Ships, Clocks & Stars website). The trailer begins with an enumeration of the ‘greatest minds’, placing Harrison in a line with Galileo Galilei and Isaac Newton. The images are largely dark, first show­ ing a starry sky, then an animated sequence of a ship at night on a stormy ocean, with the inset text “Lost, no way home, risking ships, risking lives.”18 The same image of a threateningly dark and empty sea, in a sparsely lighted room, on a huge screen, is the first to greet visitors of the ex­ hibition. To this visitor, this initial stress on effects seemed somewhat too much, particularly be­ cause the exhibition as a whole is well-made and entertaining, but moves away from spectacu­lar heroics, emphasising the scientific community and the many serious efforts at determining lon­ gitude. The accompanying catalogue to the exhib­ ition provides a wealth of information and is richly illustrated. The texts seem to indicate a conscious effort on the curators’ part to present a complete picture, and to write John Harrison back into the community. He is given due import­ ance, but he is not cast in a heroic mould. Dunn and Higgitt attempt to convey a balanced view on events and explicitly include the difficulties the Longitude Board would have faced in its de­ cisions regarding Harrison, leaving the question open.

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The question remains: were the Com­ missioners acting unfairly, being overconscien­tious or doing their public duty? Was the ‘Harrison method’ that was on trial simply a single timekeeper that prove­d capable of doing the job, or was it the means of making a successful mar­ine timekeeper? If the latter, success could only be proved by making more of them. (Dunn and Higgitt 122)19 Nonetheless, Ships, Clocks & Stars is indebted to the heroic narrative around John Harrison, which played a decisive role in bringing the science of longitude to the fore. It is doubtful whether the science of longitude would have awakened quite as much interest without Sobel preparing the ground earlier on. The exhibition Longitude Punk’d is located at the Royal Observatory, the usual place of the timekeepers. This exhibition is largely informed by the aesthetics of longitude and its apparatus­ es, and the steampunk movement. On display will be opulent and ornate ap­ parel inspired by the night sky including gowns, headdresses, and a reimagining of Astronomer Royal Nevil Maskelyne’s noted silk observing suit; outlandish con­ traptions purporting to solve the longitude problem; and fanciful submissions and whimsical illustrations presented to the Board of Longitude. (Finch-Boyer) While Ships, Clocks & Stars aims to make the history of longitude determination accessible and understandable to the general public, Lon­ gitude Punk’d takes an artistic viewpoint, with John Harrison’s history serving as a springboard for an exploration of the visual language of eight­ eenth-century science and narrates the deter­ mination of longitude as alternate history.

5. Conclusions At present, John Harrison is certainly a wellknown ‘Great Briton’ and no longer consigned to a historical niche for specialists. Dava Sobel, inspired by the Longitude Symposium, picked up on Harrison’s qualities in a way that great­ ly appealed to her readership. Her Longitude is a judicious mixture of drama and scientific fact, weaving a narrative of excitement and antagon­ ism, but also of patience and persistence with regard to John Harrison. In the contribution by Alistair Cooke to the Longitude Symposium, Harrison becomes a role model for scientists in a nostalgic reminiscence of one of the greatest British scientists ever:

What strikes me […] is that he possessed an eighteenth- and nineteenth-century gift which I believe in this century we have lost. A gift that every scientist and novelist and historian and many statesmen of the eighteenth and nineteenth century had: a gift of industry, of industriousness, of re­ garding 24 hours a day as little enough time in which to live a life and pursue your interests. I think of Darwin, going down to the seashore – any seashore at hand – for 41 years, with a broken teacup (he had no grant from a national science foun­ dation) and scooping up sand and algae and brooding over them. And at the end of those 41 years, feeling confident enough to publish the Origin of Species. (Cooke 18) John Harrison not only was a self-made man, but also has the attraction of the underdog without politics and infrastructure to support him, who comes to very late fame indeed. Although he did by no means work alone, and although Sobel’s book includes this fact, her emphasis is on Harri­ son the lone struggler. That his heroics consisted of technical and mechanical detail could – and originally did – make it difficult to cast him as a hero. This difficulty is overcome in several ways: Harrison can be seen as an early ‘nerd hero’ and an obsessive, initially even amateur, tinkerer. Moreover, all current cultural products manage to emphasise the visual beauty of his clocks, and they also seem to bring out the fascination for the connection between micro- and macrocosm, and for scale in general. What is so enthralling about Harrison is, after all, the renewed realisation that little things can rule the world. In Sobel’s words, “[h]e wrested the world’s whereabouts from the stars, and locked the secret in a pocket watch.” (Sobel, Longitude 175) Without tinkering and some people’s eye for detail, major explor­ations like those of James Cook would have been im­ possible. The sense that small-scale technical in­ novations often herald paradigm shifts in every­ day life is very much alive in our contemporary world – which may also account for the Harrison boom.20 On a different level, Sobel’s phrasing also reminds us of Harrison’s potentially arcane, almost esoteric knowledge: the discoverer of se­ crets becomes the dealer in secrets – although in this case the ‘secrets’ are facts of mechanics and secrets only to a lay audience. A hero needs a community of admirers. In the specialists’ world of horology and navigational history, Harrison has always had that. In his time, we can assume that he was highly respected amongst clockmakers, but his group of support­ ers was neither large nor influential enough to sway the Board for a very long time. In the end, it needed the one most powerful supporter, King

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John Harrison and the Heroics of Longitude

George III. In the 21st century, readers, film audi­ ences, and museum visitors share a fascination for Harrison. Probably his name and work are now known to more people than they ever were in his lifetime. Straddling the boundaries of elite scientific culture, John Harrison is at present moving towards a place in common knowledge, approaching popular culture,21 as shown, for ex­ ample, by the extensive Harrison merchandise on sale in the National Maritime Museum. After his rediscovery, Harrison was first made access­ ible and then marketable.22 The creation of a hero narrative is a contest­ ed space, and as he becomes more popular, the question arises as to which sphere Harrison actually belongs. Initially, in his time, Harrison was firmly located with scientists: astronomers and horologists. Then, with its reproducibility and availability for all navigators, and its rapid spread, his technology became in a way a common pos­ session. The Longitude Symposium of 1993, an academic event, retrieved John Harrison’s name for a journalist, who would become a writer of popular books. It is striking that the authors of all the Harrison products in this study concede from the start that it was Sobel who brought him back into the limelight. There are, however, academ­ ics who are highly critical of Sobel’s and similar projects. An entertaining case in point is Miller’s The ‘Sobel Effect’, subtitled The Amazing Tale of How Multitudes of Popular Writers Pinched All the Best Stories in the History of Science and Became Rich and Famous while Historians Lan­ guished in Accustomed Poverty and Obscurity, and How this Transformed the World. A Reflec­ tion on a Publishing Phenomenon. Miller’s take on the phenomenon is detailed and convincing; nevertheless, this reader could not shed the im­ pression of simple professional jealousy at work here, although Miller tries hard to overcome this and to cast his essay as an intellectual mindgame.23 The history of science, after all, does not have proprietors, and writers of popular books tend to be better paid than academics. For pres­ ent purposes, it is interesting that Miller sees a common denominator in Sobel-style books in their reliance “on the trope of heroic discovery,” and he then proceeds to isolate a number of sci­ entific “hero types.” (Miller 189-190) He seems to take this as evidence for the lack of imagin­ ation on the part of the respective writers, while it could point to their ingenuity: one of the best ways to make scientific detail – bi-metallic strips and grasshopper escapements – interesting to a wider audience is to embed them in discourses of the heroic. Arguably, John Harrison is a very suitable Brit­ ish hero because, despite all the superlatives sur­ rounding him, he still stands for understatement.

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His heroics are understated [and underrated] heroics. This, as Alistair Cook jokingly remarked in his introductory speech to the Longitude Sym­ posium, seems to be the bane also of Harrison’s afterlife: But I find John Harrison to be a close com­ petitor [to Darwin] for tenacious scholarly industry. He hears, when he’s 21, that the government is offering a prize (the stupen­ dous amount of £20,000) for an accurate marine timekeeper. ‘Promptly,’ it says in my account, he settled to the problem and solved it – promptly? – in 45 years. And, promptly, the British government paid him his prize – fourteen years later, when he was 80! Well done! No wonder you’re cele­brating his birth tonight, promptly 300 years after the event. (Cooke 18) This is a humorous account, but it speaks for the remarkable staying power of John Harrison, his discovery, and his story through time. Discours­ es of the heroic are pertinent and potent in mak­ ing technological progress and scientific discov­ eries accessible and popular, and are hence a force to be reckoned with in the dissemination of knowledge. 1 For an interview with Dava Sobel on the inception of her first book, see the 2008 Harper edition’s appendix: There Were Only Small Plans. Travis Ellborough talks to Dava So­ bel 2-7. 2 Besides Longitude, Dava Sobel is the author of Galileo’s Daughter [2000], The Planets [2005], and A More Perfect Heaven [2011], and translator of the letters of Suor Maria Celeste [Galilei] to her father. 3 See, for instance, the fact sheet by the Royal Naval Mu­ seum Library, “Biography: John Harrison.” 4 The spellings of the Admiral’s name vary. Numbers of casualties are also uncertain, varying between 800 and 2000 seamen. For accounts of the Scilly disaster, see for instance Lewis 2006, the information sheet of the Royal Naval Muse­ um Library, and of course Sobel’s Longitude 11-13. Note that Sobel’s account is the most melodramatic of the three: She includes the story of Sir Cloudesley’s murder as a fact. How­ ever, it was never proven that he was still alive when washed on the shore and murdered by a local woman for a ring that he wore. 5 King’s article includes biographical information on John Harrison. The biography by Humphrey Quill [John Harrison: The Man Who Found Longitude, 1966] is unfortunately out of print. 6 For a neutral account of the negotiations between John Harrison and the Board, and for the behaviour of the Royal Astronomer Nevil Maskelyne, see, for example, Randall 247252, Langley 822, and Bailey 412-418. 7 However, Sobel provides a brief overview of Harrison’s life in her first chapter, which makes her book less of a thriller than it could have been, and gives it a more serious layout. 8 Essentially, the lunar distance method keeps time by measuring the movement of the moon against the sun and the stars; see Howse, and Sobel’s chapter 3.

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9 As already mentioned above, the Longitude Prize was never awarded, as Sobel herself writes in her 13th chapter, cf. Sobel, Longitude 149. 10 One could also speculate about the sounds of the two men’s names, with the Latinate Maskelyne in opposition to the plain English Harrison, and the associations evoked by this. See The Internet Surname Database. 11 Taylor and Wolfendale also make note of Harrison’s appreciation within the lofty circles of the Royal Society: “Insofar as the Astronomers Royal were all Fellows of the Royal Society and these office-holders were all in favour of the ‘lunar method’, it might have been expected that the So­ ciety would be anti-Harrison. However, this was not the case. Even the astronomers soon came to realize that they were dealing with a brilliant man, albeit one who could be argu­ mentative and self-opinionated […].” (57)

Works Cited Andrewes, William J. H. “Even Newton Could Be Wrong: The Story of Harrison’s First Three Sea Clocks.” The Quest for Longitude. The Proceedings of the Longitude Symposium, Harvard University, Cambridge, Massachusetts, November 4-6, 1993. Ed. William J. H. Andrewes. Cambridge, Mass.: Collection of Historical Scientific Instruments, 1996: 189234. ---. “Introduction.” The Quest for Longitude. 1-9. Asch, Ronald G. “The Hero in the Early Modern Period and Beyond: An Elusive Cultural Construct and an Indispens­ able Focus of Social Identity?” helden. heroes. héros. E-Journal on Cultures of the Heroic. Special Issue: Lan­ guages and Functions of the Heroic. 1 (2014): 5-12. DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2014/QM/02

12 For a concise comparison of H1-H4, see the page by the National Maritime Museum, John Harrison and the Longitude Problem.

Bailey, John F. “Longitude and the Sea Clock.” History Today 20. 6 (1970): 410-418.

13 For an account of how advanced scientific knowledge made British colonial expansion possible, and of the impor­ tant role the makers of precision instruments played at the time, see Drayton.

Betts, Jonathan. “John Harrison (1693-1776) and Lt. Cdr Rupert T. Gould R. N. (1890-1948).” 14 July 2014

14 For a concise biography of Gould, see Betts.

“Biography: John Harrison. John Harrison and the Finding of Longitude.” Royal Naval Museum Library. 2004. 14 July 2014.

15 See “History: John Harrison” on the Westminster Abbey site. 16 Harrison had declined to become a Fellow; see Taylor and Wolfendale 59. 17 In late May 2014, the timekeepers had been relocated in preparation for the special exhibition and could be seen in an ignominious and rather cramped position in a display right next to the National Maritime Museum’s shop. In the current special exhibition, they are not quite as central as one might have expected but share pride of place with a great number of other artefacts. 18 See http://www.rmg.co.uk/whats-on/events/shipsclocks-stars 19 Dunn and Higgitt include Daval Sobel in their sugges­ tions for further reading, stating that she narrates “from John Harrison’s perspective.” (Dunn and Higgit 244) 20 Asch speaks about “cycles of hero worship and of the rejection of the heroic, a sort of continuous boom and bust of heroic values and patterns of behaviour” (Asch 8), which may also be a suitable image in Harrison’s case. 21 On popular culture and its blurred boundaries, see Sto­ rey. 22 The Longitude Problem returns to the scientific commu­ nity once more in 2014. There is a new Longitude Prize of £10 million, “to help solve one of the greatest issues of our time,“ expressly addressing amateur scientists. Longitude has now become a synonym for a near-insoluble problem of science. See http://www.longitudeprize.org/ Boyd Tonkin comments critically on the phenomenon in The Independent and, while calling Harrison “the perfect hero for our time” (Tonkin 2014) because he was self-taught, urges a more sol­ id foundation for the dissemination of scientific knowledge, and a more solid funding for the educational system. Tonkin rightly emphasises that the Harrisons of this world are the exception. 23 In a similar vein, Matthews analyses Sobel’s book and its effect, stating that his own scholarly monograph on sci­ ence education “enjoyed about one-thousandth of the sales of Longitude” (1). Looking at the factors for Sobel’s success, he also names Harrison an “unlikely hero” (2) and takes issue with her hyperbolic subtitle. His (somewhat unsurpris­ ing) conclusion is that academic history and popular history are different genres, which, however, might mutually profit from the other’s strategies in presenting their subjects.

“Biography: Cloudesley Shovell.” Royal Naval Museum Li­ brary. 2007. 14 July 2014. < http://www.royalnavalmuseum. org/info_sheets_cloudesley_shovell.htm> Cooke, Alistair. “La Salle: When Ignorance Was Death.” The Quest for Longitude. The Proceedings of the Longitude Symposium, Harvard University, Cambridge, Massachu­ setts, November 4-6, 1993. Ed. William J. H. Andrewes. Cambridge, Mass.: Collection of Historical Scientific Instru­ ments, 1996: 14-18. Drayton, Richard. “Knowledge and Empire.” The Oxford His­ tory of the British Empire. Vol. III. The Eighteenth Century. Ed. P. J. Marshall. Oxford: OUP, 1998. 231-252. Dunn, Richard, and Rebekah Higgitt, eds. Ships, Clocks & Stars. The Quest for Longitude. London: Collins, in associ­ ation with Royal Museums Greenwich, 2014. Finch-Boyer, Heloise. “Longitude Punk’d: Steampunk Takes Over Royal Observatory Greenwich.” The Guardian. 10 April 2014. 20 July 2014. “History: John Harrison.” Westminster Abbey. 20 July 2014. Howse, Derek. “The Lunar-Distance Method of Measuring Longitude.” The Quest for Longitude. The Proceedings of the Longitude Symposium, Harvard University, Cambridge, Massachusetts, November 4-6, 1993. Ed. William J. H. An­ drewes. Cambridge, Mass.: Collection of Historical Scientif­ ic Instruments, 1996: 150-161. John Harrison and His Timekeepers. (DVD) Royal Museums Greenwich. 2001. “John Harrison and the Longitude Problem.” 18 July 2014. King, Andrew L. “‘John Harrison, Clockmaker at Barrow; New Barton upon Humber; Lincolnshire’: The Wooden Clocks, 1713-1730.” The Quest for Longitude. The Proceedings of the Longitude Symposium, Harvard University, Cambridge, Massachusetts, November 4-6, 1993. Ed. William J. H. An­ drewes. Cambridge, Mass.: Collection of Historical Scientif­ ic Instruments, 1996: 167-187.

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White, Hayden. Metahistory. The Historical Imagination in Nineteenth-Century Europe. Baltimore: Johns Hopkins UP, 1993.

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DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2014/02/10

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Bricht in Russland ein heroisches Zeitalter an? Der russische Feldherr Alexander Suworow als Kristallisationsfigur eines neuen Nationalmythos. Zu den neuen Biographien von Wjatscheslaw Lopatin und Arsenij Samostjanow

Die Biographik zum russischen Feldherrn und Generalissimus Alexander Suworow [17301800] hat in Russland eine lange Tradition. Sie beginnt schon zu seinen Lebzeiten mit Aufzeichnungen seines deutschen Sekretärs Friedrich Anthing [erschienen auf Russisch in drei Teile­n, St. Petersburg 1799-1800]1, setzt sich nach seine­m Tod mit der anekdotischen Biographie von Jegor B. Fuchs [russ. Fuks] aus dem Jahr­e 1811 fort und findet ihren ersten Höhepunkt mit einer zweibändigen Geschichte russischer Feldmarschälle und Generalissimi des hochrangigen Staatsbeamten Dmitrij Bantyš-Kamenskij [1840] sowie der ersten reinen Suworow-Biographie von Nikolaj Polewoj [1796-1846] im Jahre 1843.2 Suworows Siegeszug in der russischen Geschichts­schreibung fand in der ersten Jahrhunderthälfte nach seinem Tod statt, trotz Napoleons Russlandfeldzug und den anschließenden Befreiungskriegen, die in Russland bis heute ‚Vaterländischer Krieg‘ genannt werden. In ihm erwuchsen neue Helden, die zeitweise Suworows Ruhm verdeckten. Das bewirkte qualitative und Tendenz-Verschiebungen, denn Suworow war nicht wie Kutusow ein Verteidiger des angegriffenen Vaterlands, sondern ein Eroberer und ‚Mehrer des Reiches‘, ein Exponent der russischen Expansion. Im Laufe der Jahrzehnte bis zum Ende des Zarenreichs 1917 wurde er in diesem Sinne und im Unterschied zu Kutusow zunehmend eine nationalpatriotische ‚russische‘ Heldenfigur, während er bis in die Zeit der Befreiungskriege noch eine gesamteuropäische Erscheinung gewesen war, deren Leistung auch das europäische Ausland würdigte. Im turbulenten 20. Jahrhundert erlebte seine Heroisierung dann die größten Konjunkturausschläge, von völligem Verschweigen bis etwa 1938, über den Höhepunkt unter Stalin und der Rücknahme in der späteren Sowjetzeit – aus Rücksicht auf ‚Bruderstaaten‘ wie Polen. Ab den 1970er Jahren, zu einer Zeit, als sich im Westen kaum noch jemand seiner erinnerte, verschwand Suworow auch weitgehend aus der

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russischen Öffentlichkeit.3 Das zweihundertste Jubiläum seines Alpenzugs vom Spätsommer 1799 brachte dann auch im Westen einige wenige Publikationen hervor, als bedeutendste eine kommentierte Kartensammlung des Alpenzugs von Bellinzona nach Lindau, eine großzügige Schweizer-russische Koproduktion mit dem Russischen Militärhistorischen Staatsarchiv in Moskau. Diese verfolgt aber weder heroisierende Tendenzen noch interessiert sie sich für den unmittelbar voraufgegangenen sieg- und ruhmreichen Italienfeldzug vom Sommer 1799. In Moskau erschien unter der Herausgeberschaft von Generalleutnant Wladimir AntonowitschSolotarjow und mit staatlicher Förderung zum 200jährigen Jubiläum ein umfängliches, reich bebildertes ‚Monographie-Album‘, das schon im Titel den Begriff ‚Ruhm‘ führt.4 Wie weit es mit einer für russische Verhältnisse eher mittleren Auflagenzahl von 3.200 in der Russischen Föde­ ration verbreitet ist, lässt sich schwer abschätzen. Verbreiteter scheinen dünnere Publika­ tionen in Form von Broschüren zu sein, die seit den späten 1990er Jahren veröffentlicht werden. Das unterstreicht die Bedeutung neuerer bio­ graphischer Werke zu einem politisch relativ unverfänglichen Nationalhelden. Seit 2000, wohl nicht zufällig mit der Ernennung Wladimir Putins zum Nachfolger des russischen Präsidenten Boris Jelzin, erscheinen zunehmend Publikationen, die Suworow zum Gegenstand haben: als historische Figur, als Romanheld, in Verklärung als Dichter, Heiliger, Engel, Prophet, Erzengel [russ. archistratig/ архистратиг, griech. άρχιστράτηγος als Bei­ name des Erzengels Michael in seiner Funktion als Anführer der himmlischen Heerscharen], schließlich als Genie. Hier zeichnet sich eine Verwandlung der inzwischen multifunktionalen Heldenfigur ab, und zwar nur in Russland, während ausländische Beiträge entweder rein biographisch-historisch oder ‚alpinistisch‘ orientiert sind.

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Dieser auffallenden Metamorphose nachzugehen und ihre Ursachen und Trends vor dem Hintergrund eines in Russland lange etablierten Suworow-Bildes aufzuspüren, versucht der vorliegende Literaturbericht, der anhand der Suworow-Heroisierung zu weiteren Schlüssen gelangt, die für einen Bedarf an Nationalmythen und -helden im heutigen Russland zu sprechen scheinen. In der Sowjetzeit war Suworow vor allem durch den historischen Roman von Leontij Rakowskij [1896-1979, Schriftsteller des sozialistischen Realismus] eine populäre Figur.5 Dessen Werk, das seit 1938 [formelle Erstauflage 1941] durch mehrere und vor allem hohe Auflagen im ganzen Sowjetstaat verbreitet war, beruht auf zahlreichen Anekdoten und Legenden, die seit den Lebzeiten Suworows gesammelt und veröffentlicht wurden. Allerdings liegt der Akzent in diesem Roman nicht auf dem nationalen, russischen Heroismus, sondern ist imperial bestimmt, wie es für das seit 1940/45 expandierende Sowjetreich gut passte. Ähnliches gilt für den vielschreibenden Autor Sergej T. Grigorjew [1875-1953], dessen historische Erzählung Suworow 1939 erstmals aufgelegt wurde und bis 2012 noch höhere Auflagenzahlen als Rakowskij erreichte, allerdings mit einer deutlichen Abflachung in der späten Sowjetzeit und den 1990er Jahren. Für eine kürzere Suworow-Erzählung, Fähnrich zur See Suworow (russ.: Mičman Suvorov), die sich auf eine Episode in Suworows Dienst als Festungsinspekteur auf der karelischen Landenge im Jahre 1791 bezieht, ließ sich nur eine Auflage aus dem Jahre 1945 feststellen. Aber auch sie hat zum Anekdotenreichtum und zur Legendenbildung um Suworow beigetragen, was im Laufe des 20. Jahrhunderts zur sagenhaften Vielfältigkeit und großer Ausdeutungsmöglichkeit bei der Figuration dieses Helden führte, an deren Ende nun der mythische Topos eines unerklärlichen Wunders steht.6 Beide Schriftsteller veröffentlichten seit den frühen 1940er Jahren Erzählungen und Romane auch über andere heroisch-nationale Figuren der russischen Geschichte, etwa den Feldmarschall Kutusow [1745-1813] und Admiral Uschakow [1744-1817]. Bemerkenswert scheint hier, dass beide Autoren sich fast ausschließlich historischer Helden der älteren russischen Geschichte [18. und 19. Jahrhundert] bedienen, ganz selten solcher des Zweiten Weltkriegs [in Russland bis heute: ‚Großer Vaterländischer Krieg‘] oder der Bürgerkriegszeit, die in den 1920er Jahren und nach 1945 im Bewusstsein der Sowjetbürger eine Rolle spielten. Auch Persönlichkeiten der ältesten russischen Geschichte, von Alex­ ander Newskij bis Peter dem Großen, kommen

selten vor. Alle diese Heldenfiguren wurden aber übernational, imperial gedeutet und dienten vor allem als Anschauungsobjekte und Vorbilder für die ‚reifere Schuljugend‘. Gleichzeitig, so bislang der Eindruck, scheint die Dominanz der seit 1940 über Jahrzehnte erfolgenden belletristischen Bearbeitung des Suworow-Themas dafür gesorgt zu haben, dass eine historisch [-kritische] Ausein­ andersetzung, freilich unter ideologischen Prämissen, mit der Heldenfigur, ihrer militärischen Leistung, ihrem militärtheoretischen Schaffen und Suworows sogenannter Pädagogik nur im Schatten vegetierte. Neben wenigen wissenschaftlichen Studien zu Suworow, vor allem aus der späteren Sowjetzeit, haben sich die älteren Suworow-Biographien der Zarenzeit und historische Betrachtungen bis heute kaum durchsetzen können: In Fortsetzung sowjetischer Tradition wird die Figur im postsowjetischen Russland Putins überhöht und entrückt. Allerdings mit einigen neuartigen Besonderheiten. Die zeitgenössischen, z. T. jüngeren Biographen lehnen sich nicht an die belletristischen Werke ihrer Vorgänger an, sondern an historische Autoritäten der Zarenzeit wie Alex­ander Petruschewskij [1826-1904], allerdings ohne dies immer deutlich zu machen. Ihre wissenschaftlich gekleideten Studien dienen dabei klar der Schaffung eines national-russischen Heldenmythos, in dem Suworow in einer Weise an die vorderste Stelle gerückt wird, wie es nicht einmal in der Sowjetzeit üblich war. Im Jahre 2012, und auch danach, standen der Vaterländische Krieg 1812/13 und Kutusow auf der Agenda der russischen Historiker und des nationalen Gedenkens, wie man an dem Angebot in den Buchläden ablesen konnte.7 Schon in den 1990er Jahren, als sich der Rezensent mehrfach zu Forschungen in Russland befand, spürte man das Bedürfnis nach einer Neu-Vergegenwärtigung der älteren russischen Geschichte vom 18. Jahrhundert bis zum Ende des Zarentums. Dies schlug sich nieder in Publikationen zur Zarenarmee, Militärgeschichte, zu Katastrophen, Intrigen und Verschwörungen etc., aber auch in der Begeisterung für Uniformen und Orden. Suworow erschien darunter kaum, selten allerdings auch andere russische Militärhelden, doch fällt die militärische Ausrichtung des Interesses auf. Im Unterschied zum Vaterländischen Krieg von 1812 und Kutusow liegt nun aber im Falle Suworows kein Jubiläum vor. Das zweihundertjährige Jubiläum des Italienfeldzugs und der Alpenüberquerung, die Suworows Ruhm wesentlich ausmach[t]en, war 1999 in Russland verschlafen worden.8 So wurde in Russland beklagt, dass in jenem Jahr wohl ein neuer russischer Spielfilm zum Pugatschow-Aufstand entstand, Suworow aber vergessen worden war.

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Allerdings brachte die Bank von Russland zwei Gedenkmünzen zum 200. Todesjahr Suworows heraus. Der jüngste Suworow-Kenner, Arsenij Samostjanow [geb. 1978], veröffentlichte seine erste Suworow-Publikation im Jahr 2000, seine größeren Arbeiten zu diesem Helden erschienen erst danach. Doch wenden wir uns zunächst einem älteren Suworow-Biographen zu, Wjatscheslaw Lopatin [geb. ca. 1937], der sein Leben lang zu Suworow und der Zeit Katharinas II. von Russland [1729-1796, regierte 1762-1796] geforscht hat. Von ihm liegen als solide Beiträge zum Zeitrahmen und den historischen Personen vor: ein Quellenband von 1986 mit Suworows Briefen, der Schriftverkehr Potemkins mit der ihm 1774 heimlich angetrauten Zarin Katharina, erschienen 19979, und eine biographische Studie von 1992 zum vermeintlichen Gegensatz zwischen Potemkin10 und Suworow, bezogen auf die Jahre von 1773 bis 1791. Hier wie in seiner Biographie von 2012 zeigt Lopatin auf, dass die Rivalität zwischen dem älteren Suworow und dem ihm vorgesetzten, neun Jahre jüngeren Favoriten der Kaiserin nicht sehr tiefgründig und nur punktuell war. Sein durch ausgiebige Archivstudien begründeter Befund lautet, dass es zwei Themen gab, die gegen Ende von Potemkins Leben eine Trübung des Verhältnisses der beiden sehr unterschiedlichen Feldherren bewirkten. Im Übrigen habe sich Suworow stets loyal und partnerschaftlich seinem Oberkommandierenden, seit 1784 faktisch auch russischer Kriegsminister, untergeordnet. Zum einen habe Potemkin, der bei der Zarin schon zugunsten eines jüngeren Favoriten, dem Grafen Platon Subow, in Ungnade gefallen war, Suworow die Auszeichnung mit einer Ehrenmedaille nach der Einnahme der stark befestigten türkischen Festung Ismail 1790 geneidet, auf der der Feldherr mit herakleischen Attributen wie dem Löwenfell im Profil dargestellt ist. Potemkin selbst hatte zuvor drei solcher Medaillen nach eigenen Siegen erhalten. Das zweite Thema hängt mit der Familie Subow zusammen, aus der der Bräutigam der von Suworow über alles geliebten Tochter Natalija, von ihm zärtlich ‚Suworotschka‘ genannt, stammte. Hier wurde der Feldherr quasi in Sippenhaft genommen, denn Potemkin stand den Subows feindlich gegenüber. Lopatin veröffentlichte 2001 eine auf Archivdokumenten und Anekdoten beruhende Biographie Suworows, die hier aber nicht Gegenstand ist, weil in seine Biographie von 2012 alle vorherigen Studien eingegangen sind. Gleiches gilt für seine Potemkin-Biographie aus dem Jahr 2004, die in derselben Reihe wie seine Suworow-Biographie von 2012 erschienen ist. Schließlich hat er sich auch über das Verhältnis Napoleons zu

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seinem Marschall Berthier geäußert, worüber 1992 eine 32seitige, selbständige Publikation entstand. Lopatins lebenslange Forschungen lassen sich mit zwei Motiven hinlänglich charakterisieren. Das eine war schon Gegenstand einer eigenständigen Untersuchung, der vermeintliche Gegensatz zwischen Suworow und Potemkin, eine Behauptung, die Lopatin glaubhaft relativieren kann und als Entfremdung in Potemkins letzten Lebensjahren darstellt. Das zweite Motiv greift hingegen Heroisierungsprozesse auf. Es betrifft die häufige Zurücksetzung Suworows und die Herabwürdigung seiner militärischen Leistungen, die ein ehrgeiziger Feldherr wie Suworow nur schwer verwinden konnte. Obwohl aus angesehener, adeliger Familie stammend, stieg er nach langjährigem Militärdienst als Unteroffizier verspätet zum Stabsoffizier auf. Auch nach seinen Siegen wurde er bei Beförderungen und Auszeichnungen immer wieder übergangen, während dem Hofe nahestehende Günstlinge ohne größere Verdienste rasch in Generalsränge aufrückten, mitunter ohne wirklich Schlachten gesehen oder geschlagen zu haben. Vergleicht man das Ordens- und Auszeichnungswesen der Zarenzeit mit dem der Sowjet- und der postsowjetischen Zeit, so wird diese fortgesetzte ‚Schmähung‘ auch nachvollziehbar. Wurde Potemkin, der heute unter den russischen Heroen kaum in Erscheinung tritt, schon mit 45 Jahren Feldmarschall, so erhielt Suworow diesen Rang erst mit 64 Jahren und eigentlich vier Jahre zu spät, als es seine Siege von 1788/89 und 1790 hätten erwarten lassen. Suworow ‚rächte‘ sich mit einer zunehmenden ‚Schrulligkeit‘ in einer angenommenen Rolle als Sonderling. Zurücksetzung, Ehrverletzung, nicht ausreichende Anerkennung seiner Verdienste und eine Lebensweise, die als besonders asketisch, schlicht und soldatisch hervorgehoben wird, genügen Lopatin, um die historische Figur zum Heros zu stilisieren. Tragik und Viktimisierung eines aufrechten, edlen und soliden Helden ohne Tadel – für Lopatin sind dies ausreichende Merkmale, um aus Suworow die herausragende Gestalt eines nationalrussischen Mythos zu kreieren. Mehr aber auch nicht. Viel weiter geht der zweite Autor, Arsenij Samostjanow, der einer Generation angehört, die in den Jahren von Russlands Niedergang während der 1990er Jahre sozialisiert wurde. Seine Karriere als Geisteswissenschaftler begann er um 2000 mit ersten Publikationen, darunter seine erste zu Suworow. Ihm näherte er sich als Literaturwissenschaftler, wenngleich er vorrangig mit historischen Werken hervortritt. Mittlerweile hat er in kürzester Zeit mehr über Suworow publiziert, als jeder andere russische Autor.11

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Eine erste umfassendere Biographie, aber bereits mit klarer Deutung, ist seine 2006 erschienene Monographie zum 275. Geburtstag Suworows.12 Zurückschauend von der jüngsten Biographie seines Helden auf die Publikation des Jahres 2006 kann diese als Kurzfassung gesehen werden. Allerdings steht hier die Rezeption der Figur im Vordergrund: in der russischen Literatur und Kultur seit dem 19. Jahrhundert [50 Seiten], in den künstlerischen Medien von Theater und Film [30 Seiten], schließlich mythologisierende Prozesse [50 Seiten]. Die Zeitgenossenschaft von Suworow und Derschawin [russ. Deržavin]13 als kongeniale, „große Nachbarschaft in der russischen Kultur“ (Zamost’janov Suvorov byl neob’’jasnimym čudom 123-159) und das Urteil von Freunden und Feinden über Suworow machen ebenfalls zentrale Teile des Werks aus. Zwei Jahre später erschien eine noch ausgreifendere Biographie, in der Suworows militärische Leistung behandelt und überhöht wird, Alexander Suworow, Gott des Krieges. Auch die ‚Erkenntnisse‘ dieser Studie gingen in das nachfolgend besprochene Hauptwerk Samostjanows ein. Ein wichtiger Meilenstein in Samostjanows Annäherung an seine(n) Helden ist die 2010 veröffentlichte Studie zur ‚Russischen Heroik‘, also dem heroischen Thema und heroisierenden Werk in der russischen Literatur.14 In einem chronologischen Durchlauf von der alten Rus‘ über das petrinisch-katharinäische Zeitalter und Puschkin bis zur von ihm für unerlässlich gehaltenen Heroik in Schulbüchern des heutigen Russlands kommt er zum Schluss, dass die/eine Gesellschaft nicht ohne Helden auskommt.15 Samostjanows Heroismus leitet sich von einem göttlichen Funken ab und ist geistig-beseelt, die Heldentat selbst ist ganz kriegerisch-militärisch definiert und erfüllt eine erzieherisch-aufklärerische Funktion.16 Der russische Heroismus ist ihm zufolge klar national und patriotisch (Zamost’janov Russkaja geroika 16), daneben auch kirchlich-religiös. Damit unterscheidet er sich deutlich vom sowjetischen Heroismus-Verständnis, wenngleich die sowjetische Gesellschaftsideologie teilweise religiösen Status erreichte. Samostjanows russischer Heroismus ist nationalpatriotisch, mythologisch, legendär. Seine Ausführungen kreisen hier von der ersten bis zur letzten Seite immer wieder um Suworow, der für ihn einen idealen Helden darstellt: ganz gleich, ob er über die Helden der altrussischen Bylinen17 schreibt [russ. ‚bogatyr‘], über historische Führer des russischen Mittelalters oder der Sowjetzeit. Somit ist seine Geschichte der russischen Heroik in weiten Teilen tatsächlich eine Heroisierung Suworows.

Als weiteres, letztlich nichts Neues bietendes Werk ist die 2012 publizierte [und 2013 neu aufgelegte] kleinere Publikation zur Wunderhaftigkeit Suworows anzusehen.18 Ein Novum ist hier allenfalls die religiöse Kategorie des Wunders, des Unerklärlichen. Dies war bei der Wiederentdeckung des Helden Suworow in der Stalinzeit nicht denkbar, die positivistische Ideologie des atheistischen Staats kannte keine Wunder, sondern nur deterministische Gesetzmäßigkeit. Es ist nun fraglich, ob man Samostjanows eigenem Hintergrund Beachtung schenken oder seine auf Suworow bezogenen Werke für sich sprechen lassen sollte,19 denn sie zielen in eine andere Richtung als Lopatins Forschung, wie Samostjanow schon in der Einleitung seines Hauptwerks, Genie des Krieges, betont. Sein Held ist seinem „glücklichen, starken, geduldigen, sanften und weisen“ Vaterland treu und Ausdruck des russischen Nationalcharakters, während Russlands Feinde das Land bevorzugt schwach, betrügerisch, aggressiv und grausam sähen. Nach dieser ja nicht unrichtigen Einstimmung konstatiert er, dass Suworow eine „wahrhaft nationale Heldenlegende“ sei (Zamost’janov Genij vojny 5-8 (Vorwort).). Dazu passt die Auffassung von seiner Biographie als einer Erzählung, einem Narrativ, was den Leser zur Frage führt: Handelt es sich um eine wissenschaftliche [bzw. historische, wenn auch nicht kritische] Studie oder um historische Fiktion, um Legendenbildung? Der Leser mag dies am Ende der Lektüre selbst entscheiden, wobei ihm auffallen wird, dass eine etwa fünfseitige, alphabetisch ungeordnete ‚Kurze Bibliographie‘ im Anhang den ganzen Apparat des Werks darstellt und nichtrussische Literatur keine Berücksichtigung fand. Nach weiteren heroisierenden Zuschreibungen und Überhöhungen [„erster Degen des Reiches“, „Vater des Vaterlandes“, „verabscheut Gewalt zur Disziplinierung der Soldaten“, (ebd. 10-11)] konstruiert der Verfasser einen essentiellen Gegensatz zwischen Russland bzw. allem Russischen und dem Deutschen/Preußischen. Da hierzu auch Österreicher und Baltendeutsche gezählt werden, kann man in Samostjanows Sinne den für das 18. Jahrhundert unklaren Begriff „Deutschland“ ignorieren. Baltendeutsche Offiziere, die seit Katharina der Großen ver­stärkt in russischen Dienst traten, auch weil sie als Fachleute gebraucht wurden, sind für ihn gegenüber Soldaten tendenziell grausam und als Offiziere unfähig. Russisches Militär und Taktik sind stumpfsinnigem preußischen Drill überlegen, während die preußischen Strategen weder den Bajonettangriff noch rasche Manöver beherrschen. Der somit konstruierte Gegensatz bleibt Tenor in Samostjanows Deutung der Geschichte, nicht nur in seinen auf Suworow bezogenen

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Werken. Ein weiteres Stereotyp wird ebenfalls früh eingeführt: Suworow kämpfte immer gegen eine Übermacht, doch hatten seine Truppen in aller Regel bedeutend weniger Verluste als der Gegner,20 bei dem es sich allerdings meist um Türken oder Polen handelte, deren Armeen weniger modern als die russische waren. Schließlich war auch die von Peter dem Großen geschaffene Artillerie eine von allen Gegnern Russlands gefürchtete Waffe. So hatten russische Artilleristen in der Zarenzeit einen höheren Rang als ihre Kameraden der Linieninfanterie. Auch ehrverletzende Zurücksetzung wie ausbleibende Auszeichnung, Beförderung und Geringschätzung bzw. Verringerung der Verdienste Suworows in den Berichten an die Zarin sind bei Samostjanow wichtige Motive, die den Weg zur Heroisierung ebnen. Da Suworow schon nach einem frühen Sieg 1773 in Russland berühmt gewesen sei, habe ihn sein Vorgesetzter Rumjanzew 1774 nicht zur Niederschlagung des Pugatschow-Aufstands abkommandiert, um der – auch gegenüber dem Ausland – peinlichen Angelegenheit keine zu große Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, was übrigens auch Lopatin berichtet. So kam Suworow verspätet in das Aufstandsgebiet, er konnte den bereits gefangenen Rebellenführer in Empfang nehmen und im Käfig weiter nach Moskau schicken, danach bekämpfte er die Reste der Aufstandsbewegung östlich der Wolga. Bei seinen darauf folgenden Kriegszügen verfängt sich der Autor in pazifistisch-humanitäre Zuschreibungen der russischen Expansion, für deren Exponent er Suworow richtigerweise hält:21 Nicht nur in Bezug auf die Katharinenzeit sieht er aber alle russischen Gebietserwerbungen als Folge russischer Verteidigungsakte, nie habe das Land wie die Kolonialmacht England fremde Völker unterdrückt. Kausal wird daraus geschlossen, dass die kleinen Völker im russischen Staatsverband deswegen auch bis heute ihre Eigenart bewahrt hätten. Immerhin: Suworow ist für ihn klar der Repräsentant eines territorialen Imperialismus [„imperialistischer Suworow“ (z.B. Zamost’janov Genij vojny 127)]. Schon vor seinem Sieg bei Kinburn 1788 und den Siegen in Rumänien [Focşani, Rymnic] 1789 sei Suworow für Europa ein russischer Held gewesen. Habe er schon nach der Niederschlagung des Pugatschow-Aufstands 1775 eine Zurücksetzung durch die Zarin erfahren, so erwartete ihn eine solche auch nach den neuen Siegen, da die Beförderung zum Feldmarschall ausblieb. Auch dass er im Oktober 1789 zum russischen Grafen ‚von Rymnik‘ [russ.: graf Rymnikskij] und zum Grafen des Heiligen Römischen Reiches erhoben wurde, habe den ehrgeizigen Feldherrn nicht entschädigen können. Im privaten Schriftverkehr nannte er sich seitdem

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und bis zur Erhebung in den Fürstenstand ‚Graf zweier Reiche‘ [‚graf dwuch imperij‘]. Der Sieg über die türkische Festung Ismail am Kilia-Arm der Donau-Mündung im Dezember 1790 brachte zwar den Durchbruch seines Ruhmes und seiner Heroisierung: Die Zarin stiftete eine Goldmedaille, auf der er mit dem Löwenfell abgebildet ist; russische Odendichter wie Jermil Kostrow [1750-1796], Gabriel Derschawin [1743-1816]22 und die jung verstorbene Maria Pospelowa [1780-1805] besangen den siegreichen Feldherrn. Aber wieder blieb die Beförderung des 1786 zum General en chef aufgerückten Helden aus, vielmehr fühlte er sich auf seinem neuen Posten im Norden Russlands und am Schwarzen Meer abgeschoben. Eine weitere Zurücksetzung bedeutete in dieser Zeit, dass die Feierlichkeiten zum Sieg über die Türken im gerade fertig gestellten Taurischen Palais zu Petersburg über Wochen pompös begangen wurden, während der Feldherr des Sieges in der russischen Provinz schmorte. Zwischen 1791 und 1794 war Russland an keinem Krieg beteiligt, allerdings wurde 1793 die zweite Teilung Polens zwischen Preußen und Russland vollzogen. Dies führte mittelbar zu Unruhen in Polen, die im April 1794 in den Kościuszko-Aufstand mündeten. Polnische Milizen überfielen die russischen Besatzungen u. a. in Warschau, und wieder war Suworows Stunde gekommen. Im Oktober nahm er mit seinen Truppen die östlich der Weichsel gelegene Warschauer Vorstadt Praga ein, wobei es ihm nicht gelang, die Disziplin seiner Truppen aufrechtzuerhalten, die mordend und Brände legend über die Weichsel nach Warschau zu gelangen trachteten. Samostjanow verschweigt das nicht und nennt die Zahl von 20.000 toten Zivilisten mit dem Hinweis, dass in der Sowjetzeit diese Episode übergangen wurde und in Verfilmungen ein Problem darstellte, das man durch Weglassen löste. Aber Ende 1794 habe die Situation in Polen derjenigen in der Ukraine im Jahre 2013 geähnelt: eine lächerliche Maidan-Bewegung schürte gleichermaßen religiösen und ethnischen Hass, Jakobinismus und Revolution hätten gedroht (vgl. Zamost’janov Genij vojny 224). Mit Bedauern stellt er fest, dass Suworow spätestens seitdem in Westeuropa als Schlächter und Barbar gesehen werde. Dieses Bild wurde fast dreißig Jahre nach dem Ereignis in George Gordon Lord Byrons satirischem Epos Don Juan aufgegriffen. Darin ist Suworow nicht nur ganz unheroisch dargestellt, sondern die dort geschilderte Eroberung Ismails 1790 wird zum Anlass einer „ätzenden Demaskierung von Krieg und Heroismus“ genommen (Kindlers Literatur Lexikon 2815).

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Samostjanow bedauert diese „völlig falsche Einschätzung“ seines Helden und stellt dem nun entgegen, dass Suworow als besonders mild gegen die Besiegten geschildert wird und mit seinen Gefangenen „anders als Napoleon und die Briten in Indien“ verfuhr (Zamost’janov Genij vojny 116-117). Demnach war Suworow sogar der zitierten Meinung, die Polen liebten ihre russischen ‚Befreier‘, während sie die ebenfalls in Warschau einmarschierten Deutschen [recte: Preußen] von ganzem Herzen hassten. Dass Preußen an der dritten Teilung Polens 1795 Anteil hatte, hielt Suworow schließlich für ungerechtfertigt, weil Preußen sich militärisch wenig engagiert hatte, vielleicht aber auch, weil Preußens Ruf wegen der Vorgänge bei Warschau kaum Schaden litt, anders als der Ruf Russlands. Hier scheinen sich langfristige russische Selbstzuschreibungen bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen zu lassen, so seltsam oder abwegig sie auch scheinen mögen. Nach dem Tod Katharinas im November 1796 brach für Suworow eine schwere Zeit an, da er im Gegensatz zum Preußenbewunderer Paul I. [regierte 1796 bis 1801] die Preußen unverhohlen hasste. Er fiel in Ungnade, ersuchte und erhielt seine Entlassung, wurde aber im Mai 1797 auf eines seiner Güter verbannt, wo er fast zwei Jahre unter Polizeiaufsicht stand. Hier greift wieder das Motiv der unverdienten Zurücksetzung: Nicht nur wird er in der Verbannung von einem russischen Gericht zur Unterhaltszahlung an seine untreue Gattin verurteilt, von der er seit 1779 getrennt, aber nicht geschieden, lebte. Den im Feldzug von 1794 geschädigten polnischen Adligen wurde Wiedergutmachung von russischer Seite zugestanden, für die Suworow post festum persönlich aufkommen sollte. Auch habe die Weltöffentlichkeit die Ungnade gegenüber Suworow negativ aufgenommen, während er in der Verbannung von Spionen und Zuträgern, darunter seinem deutschen Sekretär Jegor Fuchs, umgeben gewesen sei. In dieser Zeit öffentlicher Demütigung haben offenbar Suworows Schrullen und Eigenheiten zugenommen, aber ebenso die Anekdoten und Legenden über ihn. An anderer Stelle führt der Autor den Begriff von „staatlicher Undankbarkeit“ gegen den Feldherrn ein, die dieser mit Schrulligkeit beantwortet habe (Zamost’janov Genij vojny 440-441: bei dem russischen Wort ‚čudakovatost’‘ handelt es sich um einen exklusiv literatursprachlichen Begriff im Sinne von ‚Merkwürdigkeit‘, ‚Eigenart‘; das Wort für ‚Absonderlichkeit‘ ist ‚čudačestvo‘). Doch noch 1798 entwirft er einen Kriegsplan gegen das revolutionäre Frankreich und sagt voraus, dass sich Preußen Frankreich unterwerfen wird. Als er im März 1799 vom Zaren aus seiner Verbannung geholt und mit dem Oberbefehl über

die im Zweiten Koalitionskrieg verbündeten russisch-österreichischen Truppen nach Wien geschickt wird, erwarten ihn neben seinen ruhmbegründenden Schlachten in Oberitalien von April bis August wiederum Behinderung von höherer Stelle, Intrigen und Beschränkungen verschiedenster Art, die vor allem vom österreichischen Staatskanzler Baron Franz Thugut [1736-1818] und dem von ihm beherrschten Wiener Hofkriegsrat ausgingen. Den von Wien ausgehenden Intrigen, von denen sich Kaiser Franz II. [1768-1835] vereinnahmen ließ, und dem Samostjanow zufolge an Feigheit und Verrat grenzenden Verhalten des Befehlshabers der österreichischen Truppen, Erzherzog Karl [1771-1847], sei das Misslingen eines durchschlagenden, endgültigen Erfolgs Suworows gegen die Revolutionstruppen zuzuschreiben, da er vom Zaren, der von den österreichischen Verbündeten zutiefst enttäuscht war, zurückberufen wurde. Die tieferen historischen Zusammenhänge werden nicht nur hier vom Autor kaum richtig erfasst. Unzweifelhaft sind aber Suworows Italienfeldzug und die Alpenüberquerung während der ersten Schneefälle im Gebirge im September 1799 eine militärische Leistung gewesen. Der Alpenzug, auf dem fast ständig gegen französische Truppen gekämpft wurde, die die Ausgänge in die Zentralschweiz [Raum Vierwaldstätter See – Zürich] versperrten, während man Alpenpässe unter widrigsten Umständen überwand, gehört zu Suworows unbestreitbarem Verdienst, der allerdings ein gutes Drittel seiner Truppe hinwegraffte. Der Rest langte Mitte Oktober 1799 in heruntergekommenem Zustand in Chur an. War er nach Abschluss der Kämpfe in Oberitalien im August vom Zaren zum italischen Fürsten erhoben worden, winkte ihm im Oktober 1799 der Titel eines Generalissimus, der bisher in Russland nur an drei Feldherren vergeben worden war, einem davon faktisch nur ehrenhalber [Herzog Anton Ulrich von BraunschweigWolfenbüttel, 1714-1774].23 Suworows Genialität unterstreicht der Autor mit dessen Absicht, die Kampfhandlungen von Oberitalien nach Frankreich hinein und bis nach Paris zu tragen, ein Plan, den auch die österreichische Generalität – möglicherweise unabhängig von Suworow – entwickelte. Nach dem folgenden Zerwürfnis mit Wien tragen nach Samostjanow nicht nur die österreichische Armee, sondern vor allem deren Befehlshaber, Michael Baron Melas [1729-1806] und Erzherzog Karl die Verantwortung dafür, dass der Nachschub ausblieb, beim Rückzug falsch aufgeklärt und schließlich ein russisches Korps im Raum Aargau/Zürich im Stich gelassen wurde. Österreichische Wortbrüchigkeit, Verrat, ja auch Falschheit

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und Unzuverlässigkeit der ‚Geschichte der Kampagne von 1799‘ des Erzherzogs Karl bestimmen die russische Sicht des Autors, der damit seinen Helden wiederum als Opfer äußerer Widrigkeiten zeigt und so erhöht. Die negative Darstellung des Erzherzogs, die dieser nicht verdient, weil auch er nur Spielball des Wiener Hofes war und selbst von seinem älteren Bruder, Kaiser Franz II. [I.] nicht unterstützt wurde, ist in militärgeschichtlicher Hinsicht unberechtigt. Dass ein anderer österreichischer Feldherr besser davonkommt, lässt sich wiederum mit Suworows ‚heroischer Genialität‘ begründen. Friedrich Josua Prinz von Sachsen-CoburgSaalfeld [1737-1815] wurde als Befehlshaber der verbündeten österreichischen Truppen im Koalitionskrieg gegen die Türken 1789 [Schlacht bei Rymnic] zum kaiserlichen Feldmarschall befördert – auch das eine verletzende Zurücksetzung Suworows, der erst fünf Jahre später, im November 1794, diesen Rang erhielt. Suworows Verhältnis zum Prinzen war nach Samostjanow stets ein gutes, weil dieser, ohne militärische Originalität, aber mit der Bereitschaft, sich dem genialeren Suworow unterzuordnen, immer ein williger Partner gewesen sei. Die letzten Lebensmonate Suworows, der über Augsburg, Prag und Krakau nach Russland zurückkehrte, schildert Samostjanow als einen triumphalen Siegeszug. In Prag jubelten ihm die tschechischen [sic: nicht die ‚böhmischen‘, (Zamost’janov Genij vojny 399 u. 401.)] Eliten zu, und der Autor, der nun patriotische Vergleiche mit seiner eigenen Gegenwart anstellt, in der Russland vom Ausland nicht verstanden, sondern kritisiert und verleumdet würde [gemeint ist z. B. die westliche Kritik an der pompösen Feier zum 60. Jahrestags des Sieges über Deutschland im Mai 2005], lobt Suworows philosophische Urteilskraft: „Die Legende [R. N.: Suworow] bedarf keines dokumentarischen Beleges“ (ebd. 407). Im gleichen Atemzug werden verschiedene Widrigkeiten aufgezählt, die zumindest geeignet waren, den Helden zu hindern oder zu verleumden: der deutsche Spion Fuchs in Suworows Umgebung, der Neid des Zaren auf seine Siege, dessen Weigerung, den Helden am Hofe zu empfangen, schließlich Suworows ‚würdelose‘ Bestattung im Mai 1800 unter den ehrabschneidenden Auspizien eines Feldmarschalls anstelle denen eines Generalissimus.24 Der gut einhundertseitige Abspann des Buches zu Suworows Nachleben beschwört noch einmal das Heroische im Allgemeinen mit Bezug auf den speziellen Fall Suworow. In einer spitzfindigen Unterscheidung zwischen dem englisch-französischen ‚national‘, das keine ethnische Zuschreibung enthält, sondern sich auf

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die Staatlichkeit bezieht, und dem russischen ‚narod, narodnyj‘ [‚Volk‘ und als Adjektiv für ‚Volks-…‘, etwa Volkslied], das aber auch nicht ethnisch bezogen ist, sondern auf die ‚Volksmasse‘ im Sinne von ‚einfachem Volk‘, wird Suworow zum allgemeinen Volkshelden und ‚genialen Sonderling‘ erhoben (Zamost’janov Genij vojny 416). Das war er zuvor nie gewesen. Dazu gehört auch die eher dilettantische Beziehung Suworows zur Kunst und Dichtung [Suworow verfasste auch selbst Gedichte], zu mytholo­ gischen Heldenliedern und antiken Helden. Anders als mit der komplexen Geschichte Europas im späten 18. Jahrhundert betritt Samostjanow insbesondere mit der russischen Heldenmythologie wieder vertrautes Gebiet, doch dürfte er mit der Ansicht falsch liegen, Suworows Name sei in Russlands ‚Vaterländischen Kriegen‘ von ‚1806, 1812 und 1941‘25 ein heroischer Topos gewesen. Das lässt sich für die Zeit der Befreiungskriege nicht so deutlich behaupten, und wieweit die Suworow-Tradition 1941-1945 in der Roten Armee verwurzelt war bzw. wurde, wäre ebenfalls noch zu untersuchen: Die Soldatenlieder jener Zeit geben darauf jedenfalls keine Hinweise. In seinem nationalpatriotischen Schwang findet der Autor zu bemerkenswerten apologetischen Verdikten, die nicht ohne Selbstmitleid sind. So lesen wir nach der Feststellung, dass die Generäle der heutigen russischen Armee im vergangenen Jahrzehnt die russische Militärgeschichte zu einer ‚tragischen‘ gemacht hätten, den Satz: Der feindselige und kritische Blick auf Suworow erkläre viel zum Verhältnis der Suworow-Legende und der ‚russisch-sowjetischen Kultur‘ (ebd. 461). Die Besprechung von Dichtungen auf Suworow seit dem Ersten Weltkrieg, nach 1918 vor allem von antibolschewistischen Exil-Russen im Ausland, ‚Weißen‘, betrieben, dient Samostjanow eigentlich nur zur Konstruktion einer synkretistisch-integrativen postsowjetischen Reichs­ identität, die über gegensätzlichen politischen Anschauungen einem neuen Patriotismus, im Idealfall sogar einem Nationalmythos, dienen soll (Zamost’janov Genij vojny 470-486). Und hier berührt er sich wiederum mit den zeitgenössischen russischen, historisierenden und heroisierenden Schöpfern einer solchen integrativen nationalen Identität, an der seit einigen Jahren gearbeitet wird: Die Familie des von den Bolschewiki ermordeten Zaren sei ebenso heilig wie der in den stalinistischen Säuberungen hingerichtete Parteikader oder die NKWD-Schergen [Tenor: „Auch Lenin gehört zur russischen Geschichte“ (ebd. 486-496)].26 Postmodernismus und jegliche Deheroisierung lehnt der zweifelhafte Suworow-Forscher ab.

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Fast versöhnlich endet Samostjanows eindimensionale Betrachtung mit der richtigen Feststellung, dass Suworows heroischer Ruhm im langen 19. Jahrhundert und noch bis zur Revolution 1917 nachlebte. Dies hat allerdings auch damit zu tun, dass – nicht nur russische – Maler des Realismus historische Motive und Schlachten der Zarenarmee bevorzugt auswählten, allerdings gelegentlich auch mit kritischem Unterton, was der weiteren Interpretation bedarf.27 Dabei ist Suworow sogar ein Objekt internationalen Interesses geblieben, denn die Maler kamen aus Frankreich, Deutschland, England und Italien (Zamost’janov Genij vojny 491-496). In der russischen bildenden Kunst ist er sogar seit den 1980er Jahren wieder ein Thema: als Bronzedenkmal oder in der Malerei. Samostjanows Suworow-Deutungen sind vor dem Hintergrund eines von der Regierung Putins verordneten Patriotismus zu sehen. Seit 2001 wurden Gesetze und Anweisungen zur ‚patriotischen Erziehung‘ erlassen, die in der freien Welt unbegreiflich sind und wundersames Erstaunen hervorrufen. Am 16. Februar 2001 wurde die Konzeption zur patriotischen Erziehung erlassen, am 5. Oktober 2010 ein Staatsprogramm der ‚Patriotischen Erziehung der Bürger der Russischen Föderation für 2011 bis 2015‘.28 Dazwischen wurde 2009 sogar eine Zensurbehörde gegründet, die Verfälschungen der russischen Geschichte verhindern sollte.29 Russischer Patriotismus, so lernt man aus staatsnahen Publikationen, beruht auf dem vorzugsweise ‚militärischen Heldentum‘ vergangener Generationen, das im Wesentlichen um den Zweiten Weltkrieg kreist. Suworow wird inzwischen sogar von der russisch-orthodoxen Kirche sakralisiert.30 Wie sich dies zu den Bemühungen der letzten Jahre verhält, einen Sowjet-Mythos mit russischem Patriotismus zu verbinden, bleibt zumindest außerhalb Russlands fraglich. Von staatlich-halbstaatlicher Seite gibt es seit gut einem Jahrzehnt ein synkretistisches Angebot an die russländische Gesellschaft. Seriöse russische Geschichtsforschung wird sich allerdings einer heroisierenden Geschichtsklitterung schwerlich dienstbar machen. Im Abgleich mit älteren Darstellungen scheint die Suworow-Verehrung mit der jüngsten SuworowLiteratur einen neuen Höhepunkt zu erreichen. Ein Boom der russischen Suworow-Publikationen lenkt seit einigen Jahren die Aufmerksamkeit auf den russischen Generalissimus. Neben der eher herkömmlichen, klassischen Biographie von Lopatin weisen die Bücher des jüngeren Samostjanow in eine andere, neue Richtung. Diese wird bestimmt von einem regelrechten Bekenntnis zur russischen imperial-imperialistischen

Expansion, deren Exponent Suworow mit seinen siegreichen Feldzügen war. Die dazugehörende Epoche – von Peter dem Großen bis Katharina der Großen, mit Blick auf die russische Expansion im 19. Jahrhundert auch dieses – wird als eine ruhmreiche, heroische begriffen. Dass in dieser Epoche Russland wohl tatsächlich eine zivilisatorische Mission, wenn auch vornehmlich in den vom osmanischen Reich eroberten asiatischen Gebieten erfüllte, interessiert Samostjanow nicht weiter: Die ‚pazifistisch-humanitären‘ Folgen der russischen Eroberungen bleiben nebulös, wohingegen Suworows Milde gegenüber dem besiegten Feind zuweilen zynisch, dessen angebliche Liebe zu und Achtung vor dem Sieger Suworow [oder auch vor Russland] unglaubwürdig scheinen. Im Zusammenhang mit den territorialen Eroberungen wäre darauf hinzuweisen, dass Gebietsgewinn im russischen historischen Denken eine zuhöchst heroisch-ruhmreiche Note hat und möglicherweise bis heute eine ‚conditio sine qua non‘ für russische Staatlichkeit darstellt. Honi soit qui pense du conflit en Ukraine. Weiterhin betont Samostjanow mehr als seine Vorgänger die Opferrolle Suworows, auch sie unbedingt ein heroisierendes Element der Figur. Viktimisierung durch ungerechte Behandlung trotz offensichtlich großer Verdienste – im Falle Suworows wohl weniger Märtyrertum – ist eine heroisierende Kategorie, die vor dem Hintergrund der russischen Geistesgeschichte weiter ausgeleuchtet werden müsste.31 Die für russische Patrioten schmerzhafte Vorstellung, dass auch das heutige Russland von seinen Nachbarn un- oder missverstanden ist und nur geliebt und geachtet wird, wenn es schwach und zerstritten ist, verleiht der Sache einen patriotischen Schub: Das Land, seine Gesellschaft, ‚narod‘ bedarf historischer Vorbilder, gerade wenn sie ebenfalls unverstanden und missachtet waren, aber trotzdem dem Vaterland treu dienten und seinen Bestand mehrten. So erweist sich Suworow in einer eher traurig anmutenden Tradition heute noch als zentrale, hoch heroisch konnotierte Integrationsfigur für alles Russische, ganz gleich unter welchen Umständen und in welchen Bereichen es sich artikuliert. Dass der Person dabei kaum historische Gerechtigkeit widerfährt, steht für die Macher eines neuen Nationalmythos auf einem anderen Blatt. Es bleibt abzuwarten, ob das aus vergangenen, friedlosen Jahrhunderten stammende Denken von den russischen Adressaten aufgenommen wird, die nun über ein Jahrzehnt dem neurussischen, heroisierenden Patriotismus ausgesetzt sind. 1 Englische, deutsche und französische Übersetzungen folgten zum Teil unter anderem Titel umgehend 1799 bis 1802.

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Bricht in Russland ein heroisches Zeitalter an?

2 Ein Jahr vor Polewojs Tod 1845 erschien von ihm eine Geschichte russischer Feldherren von Peter dem Großen bis Zar Nikolaus I., die aber bis auf den heutigen Tag keine große Verbreitung gefunden hat, möglicherweise weil sie von der Geschichte Bantyš-Kamenskijs verdrängt wurde. Erst 1997 und 2006 erschienen Neuauflagen. Polewojs Suworow-Biographie wurde bis 1890 sporadisch neu herausgebracht, dann, zur Hundertjahrfeier von Suworows Alpenzug und Sterbejahr wieder häufiger, zuletzt 1914. In der gesamten Sowjetzeit findet sich keine Neuauflage. Die Lücke wurde von anderen ausgefüllt. Vgl. nachfolgend zu Rakowskij und Grigorjew. 3 Allerdings mit Ausnahme von Standbildern, die seit jener Zeit vermehrt für Suworow aufgestellt wurden und werden, nicht zuletzt in der Schweiz. 4 Antonovič-Zolotarev, Vladimir: Generalissimus A. V. Suvorov: Veršiny Slavy. K 200-letiju švejcarskogo pochoda A. V. Suvorova [A.W. Suworow: Die Gipfel des Ruhmes. Zur 200jährigen Wiederkehr des Schweizer Feldzugs A.V. Suvorovs]. Moskau: Pravitel’stvo Moskvy – Komitet obščestvennych i mežregional’nych svjazej [Regierung von Moskau, Komitee für gesellschaftliche und interregionale Kontakte ], 1999. [471 S., Illustrationen] 5 Die Seite schreibt dazu: „[…] Roman Generalissimus Suworow, der im Wesentlichen sein Hauptwerk darstellt. 1941 erscheint er als selbständige Ausgabe. Das Bild des Feldherrn wurde durch die Zeit[umstände] notwendig. Dieser Figur [R. N.: russ. ‚Bild‘] wandten sich S. T. Grigorjew […, 1940], I. W. Bachterew und A. W. Rasumowskij […, 1939] , K. M. Simonow (Gedicht Suvorov, 1940], K. I. Fel’dman […, 1939] und andere zu. Rakowskij gelang es, seine Nische in einer Reihe zahlreicher Versuche belletristischer Lebensbeschreibungen des russischen Heerführers zu finden.“ 6 So der Titel von Samostjanows zweiter Suworow-Publikation von 2006. 7 Unter anderem einer dreibändigen Enzyklopädie, die auch deshalb nützlich ist, weil in ihr russische Militärhelden wie andere historische Figuren aus der Zeit vor und nach dem Vaterländischen Krieg angeführt werden: Otečestvennaja vojna 1812 goda i osvoboditelʹnyj pochod russkoj armii 1813-1814 godov: enciklopedija v trech tomach [Der Vaterländische Krieg des Jahres 1812 und der Befreiungszug der russischen Armee 1813-1814: Enzyklopädie in drei Bänden] Hg. V. M. Bezotosnyj u. a. (Gosudarstvennyj Istoričeskij Muzej [Staatliches Historisches Museum]). Moskau: Verlag Rosspen, 2012. 8 Das ist auch ablesbar an den Neuauflagen älterer Suworow-Biographien und -Erzählungen. Wie Polewoj wurde die zuletzt maßgebliche Biographie von Petruschewskij in der Sowjetepoche nicht neu herausgegeben, erst 2005 und 2006 erschienen zwei Neuauflagen. Ähnlich verhält es sich mit Petruschewskijs anderen Werken zur russischen Geschichte, von denen nur die Erzählungen der alten Zeit zur Rus’, vom Beginn des Russischen Landes bis Peter dem Großen [Rasskazy pro staroe vremja na Rusi, ot načala Russkoj zemli do Petra Velikogo] seit 1993 wieder mehrfach aufgelegt wurden. Nach dem Ende der Sowjetunion entstand ein großer Bedarf an Literatur zur Zarenzeit, die in der Sowjetepoche marginalisiert bzw. den Fachhistorikern überlassen worden war. Der Bedarf wurde bedient mit einer Masse von Neuauflagen, Reprint-Ausgaben sowie plagiierten und zusammengefügten Mischformen. 9 Vgl. dazu die Rezension von Roderick E. McGrew in Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 53 (2005), 594-595. 10 Im Deutschen hat sich diese Schreibweise und Aussprache etabliert, weshalb sie auch hier verwendet wird. Die korrekte russische Aussprache wäre in deutscher Transkription ‚Patjómkin‘.

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11 Eine neue Publikation Olympisches Hindernis: eine Generation von Siegern, Moskau 2014 [254 S.] ist eben erschienen und behandelt die Olympischen Spiele als friedlichen ‚Kampfplatz‘ im Kalten Krieg. Die kämpferische Auseinandersetzung mit ‚Russlands Feinden‘ ist also auch hier Thema. Ganz in diesen Kanon passt auch seine jüngste Publikation, die dem Rezensenten bei der Niederschrift noch nicht vorlag: Zamost’janov, Arsenij. My russkie – vrag pered nami drožit! [Wir sind Russen – der Feind zittert vor uns!]. Moskau: Eksmo-Jauza 2014. [445 S.] Der Buchtitel zitiert einen SuworowAusspruch, dürfte aber auf die Gegenwart bezogen sein. 12 Zamost’janov, Arsenij. Suvorov byl neob’’jasnimym čudom. K 275-letiju so dnja roždenija A. V. Suvorova [Suworow war ein unerklärliches Wunder … Zum 275. Jahrestag der Geburt Suworows]. Moskau: Lepta Kniga, 2006. 13 Zu diesem vgl. nachfolgend und Anm. 22. 14 Als ‚Heroik‘ bezeichnet Samostjanov jede literarische Gattung, die das Heroische behandelt. Der im Russischen rein literatursprachliche Begriff ‚geroika‘ ist eine Analogiebildung zu russ. ‚poetika‘, dt. ‚Poetik‘. Zamost’janov Russkaja geroika 3 ff. 15 Ebd. 24. Im Russischen gibt es keine Artikel, so dass für die deutsche Übersetzung drei Lesarten möglich sind: ‚Gesellschaft kommt nicht ohne Helden aus‘, ‚die Gesellschaft…‘ und ‚eine Gesellschaft…‘. 16 Helden sind für ihn im 18. Jahrhundert in Russland außerdem durch Stoizismus, Aufopferung und Märtyrertum konnotiert. In jenem Jahrhundert wird mit Peter dem Großen und Suworow ein klassischer russischer Heroismus begründet, der neben dem der griechischen Antike angesiedelt ist. 17 Bylinen (russ. bylina – ‚Begebenheit‘): epische Heldenlieder der russischen Volksdichtung nach legendären oder historischen Stoffen der russischen Geschichte. 18 Zamost’janov, Arsenij. Aleksandr Suvorov. I žizn‘ ego polna čudes. [Alexander Suworow. Auch sein Leben ist voller Wunder…] (Biblioteka semeijnogo čtenija). Moskau: Dimitrij i Evdokija, 2012. Der Titel ist in der Bibliothek für Familienlektüre erschienen, richtet sich also in aufklärerischer Absicht an ein breites Publikum. 19 Samostjanow ist durch seine Ausbildung Literaturwissenschaftler und nicht Historiker. Vgl. etwa seine patriotischen Gedichte in Junost‘ [Jugend] Nr. 8 (August 2008), 3-9 oder sein Graždanska molitva strany [Bürgergebet des Landes] in ders. Zeitschrift Nr. 10 (Oktober 2008), 8-13, in dem es u. a. um patriotische Erziehung in der Schule und um nationale Helden geht. 20 Bei diesem auch noch in späteren Kriegen auf verschiedenen Seiten von Kriegsgegnern anzutreffenden Topos enthalte ich mich einer Überprüfung. Die westliche Literatur vermittelt allerdings ein anderes Bild von der russischen Armee: Sie war seit Peter dem Großen die größte stehende Landarmee, die sich stets aus einem unerschöpflichen Menschenreservoir, bis 1861 leibeigene Bauern, bedienen konnte und auf Verluste weit weniger Rücksicht nehmen musste als westeuropäische Armeen. Schließlich steht Samostjanows Behauptung in einem inneren Widerspruch zu der als überlegen dargestellten Taktik Suworows. 21 Zamost’janov Genij vojny Suvorov 412: Hier lautet die Formel „Held der russischen Expansion“. 22 Das sehr komplexe Verhältnis Suworows zu Russlands bedeutendstem (höfischen) Odendichter, das wegen der ‚Heroik‘ wichtiges Thema für Samostjanow ist, muss noch ausgeleuchtet werden. Zu Lebzeiten zog Suworow die Dichtung seines Verehrers Kostrow nicht zuletzt deshalb vor, weil Derschawin in seiner länglichen Ode Auf die Erstürmung Ismails zwar Katharina die Große besingt, aber Suworow nicht einmal erwähnt. Womöglich spielt auch die Semantik

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des Dichternamens für Samostjanow eine unausgesprochene Rolle, denn russ. ‚deržava‘, Adjektiv ‚deržavnyj‘, bedeutet ‚Macht, Staat‘. 23 Auch Erzherzog Karl erhielt 1806 den Titel eines Generalissimus, was wenig bekannt ist. In Russland hat sich nur noch Stalin 1945 diesen Titel verliehen. 24 Ebd. 415. Einem Generalissimus hätten demnach Ehrerbietungen wie einem verstorbenen Zaren zugestanden. Suworow hatte 1799 auch den Ehrentitel ‚Cousin des Königs von Sardinien und Thronfolger‘ erhalten. 25 Den Ersten Weltkrieg, den man im Zarenrussland 1914/15 ebenfalls als ‚Vaterländischen Krieg‘ zu etikettieren versuchte, lässt der Autor bezeichnenderweise aus, obwohl bis 1917 an einer heroisierenden Suworow-Tradition gestrickt wurde, die Gegenstand einer eigenen Untersuchung des Rezensenten ist. 26 Hier entwickelt Samostjanow krude geopolitische Vorstellungen von einem multiethnischen russischen Großreich, die offenbar im Jahr 2014 zumindest teilweise verwirklicht werden sollen. 27 Dies ist eigentlich ein neues Kapitel, das der Deheroisierung gewidmet sein müsste. Mit dem russischen Schlachtenmaler Wassilij Wereschtschagin (1842-1904) böte sich eine solche Studie an. 28 Zitiert nach Gusenkova, Tamara S. „Patriotizm, globalizacija i nacional’noe gosudarstvo: vzaimodejstvie i protivorečija“ [„Patriotismus, Globalisierung und Nationalstaat: Wechselbeziehungen und Widersprüche“]. Patriotizm kak ideologija vozroždenija Rossii. Sbornik statej i dokladov [Patriotismus als Ideologie der Wiedergeburt Russlands. Sammelband]. Moskau: Verlag Rossijskij institut strategičeskich issledovanij [Russländisches Institut für strategische Forschungen], 2014: 15-28. Auf S. 27 liest man: „Bleibt festzustellen, dass gegenwärtig als Grundlage für den Stolz und als Quelle patriotischer Haltung die historische Vergangenheit bleibt.“ Die Beiträge des Sammelbands sind zu einer kohärenten, überzeugenden Definition von Patriotismus nicht in der Lage, vielmehr betonen sie dessen Wichtigkeit.

Zamost’janov, Arsenij. Velikij Suvorov i suvorovskij obraz v otečestvennoj kul’ture [Der große Suworow und das suworowsche Muster in der vaterländischen [inländischen] Kultur]. Moskau: Era, 2000. ---. Suvorov byl neob’’jasnimym čudom … K 275-letiju so dnja roždenija A. V. Suvorova [Suworow war ein unerklärliches Wunder … Zum 275. Jahrestag der Geburt Suworows]. Moskau: Lepta Kniga, 2006. ---. Aleksandr Suvorov Bog vojny [Alexander Suworow, Gott des Krieges]. Moskau: Eksmo Jauza, 2008. ---. Russkaja geroika. Očerki iz istorii literatury. Učebnometodičeskie materialy dlja urokov i istorii [Russische Heroik. Anmerkungen zur Literaturgeschichte. Lehr-methodische Materialien für Unterricht und Geschichte] (Serija ‚Duchovno-svetskij put’‘). Moskau: ANO ‚Pereprava‘, 2010. ---. Aleksander Suvorov. I žizn’ ego polna čudes…[Alexander Suworow. Auch sein Leben ist voller Wunder…] (Biblioteka semeijnogo čtenija). Moskau: Dimitrij i Evdokija, 2012. [Neuaufl. im gleichen Verlag 2013] ---. Genij Vojny Suvorov. ‚Nauka pobeždat’‘ [Das Genie des Krieges Suworow. ‚Die Wissenschaft zu siegen‘] (Genii vojny). Moskau: Jauza ‚Ėksmo‘ Moskau, 2013. ---. Olimpijskoe protivostojanie: pokolenie pobeditelej [Olympisches Hindernis: eine Generation von Siegern]. Moskau: Algoritm, 2014.

29 Die ‚Kommission für Gegenmaßnahmen zu Versuchen der Falsifizierung der Geschichte zum Schaden der Interessen Russlands‘ wurde im Mai 2009 durch Erlass des Präsidenten Medvedev gegründet und nach heftigen Diskussionen im Februar 2012 durch Präsidentenerlass außer Kraft gesetzt, vgl. 30 Seit 2005 wird an der Svjato-Tichonovskij gumanitarnyj universitet [Humanistische St. Tichon-Universität, Moskau] Material gesammelt und erforscht, das Suworows Kanonisierung ermöglichen soll, vgl. 31 Dazu als erste Anregung die psychoanalytische Studie von Rancour-Laferriere, Daniel. The Slave Soul of Russia. Moral Masochism and the Cult of Suffering. New York/London: 1995.

Literatur Kindlers Literatur Lexikon, Bd. 2. Hg. Wolfgang von Einsiedel. Weinheim: Zweiburgen Verlag, 1986. Lopatin, Vjačeslav. Suvorov [Suworow] (Žizn’ zamečatel’nych ljudej, 1608. Serija biografij [Das Leben bemerkenswerter Menschen. Biographische Serie]). Moskau: Molodaja Gvardija, 2012.

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DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2014/02/11

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Heldenlose Oper? Giacomo Meyerbeers Die Hugenotten, wiederbelebt und neu interpretiert am Staatstheater Nürnberg

Opéra in fünf Akten, Libretto: Eugène Scribe und Émile Deschamps, musikalische Leitung: Guido Johannes Rumstadt, Inszenierung: Tobias Kratzer, Dramaturgie: Kai Weßler, Staatsphilharmonie Nürnberg, Chor und Statisterie des Staatstheaters Nürnberg und Chorgäste, in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln, Premiere: 15. Juni 2014, besuchte Aufführung: 20. Juli 2014. Webseite. Geburts- und Sterbejubiläen von Komponisten werden häufig zum Anlass genommen, um ihrem Leben und Werk durch Aufführungen, Ausstellungen, Publikationen und wissenschaftliche Veranstaltungen besondere Aufmerksamkeit zu verleihen. Diese Praxis scheint, wie das Doppeljubiläum Verdi-Wagner 2013 zeigte, umso breitenwirksamer, je stärker die jeweiligen Jubilare die Konzert- und Opernbühnen der Welt sowie den wissenschaftlichen Diskurs ohnehin bereits dominieren. Ein anderes und umso lobenswerteres Interesse verfolgen hingegen jene, die sich in diesem Zusammenhang für eine Rückführung in Vergessenheit geratener Komponisten in das öffentliche Bewusstsein starkmachen. In dieser Hinsicht gebührt dem Staatstheater Nürnberg besondere Anerkennung, gehört es doch neben der Deutschen Oper Berlin und dem Staatstheater Braunschweig zu den einzigen deutschen Bühnen, die 2014 einen heute vergessenen, aber im mittleren 19. Jahrhundert an Bedeutung und Popularität nahezu unübertroffenen Opernkomponisten und Jubilar auf ihren Spielplan setzten: Giacomo Meyerbeer. Der Komponist, dessen 1836 in Paris uraufgeführte Oper Les ­Hugue­nots das Publikum bald in Massen in die europäischen Theaterhäuser zog und zu den meistaufgeführten Werken des 19. Jahrhunderts zählte, ist zwar Gegenstand grundlegender opernhistorischer Studien. Auf den Opernbühnen hingegen führt sein von der Gattung der französischen Grand Opéra dominiertes ­Oeuvre, das theatrale Opulenz mit neuartigen musikalischen und gesangsästhetischen Errun-

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genschaften sowie erschütternde politische und religiöse Konflikte der realen Historie mit individuellen, tragischen Geschicken verknüpft, ein Schattendasein. Der Komponist, dessen Werk in den 1920er Jahren an Popularität einbüßte und der von den Natio­nalsozialisten aufgrund seiner jüdischen Abstammung auf den Index gesetzt wurde, scheint bis heute im Gedächtnis des breiteren Opernpublikums kaum präsent. Als Gründe dafür führen Meyerbeer-Skeptiker hartnäckig Argumente an, denen zufolge es sich bei seiner Musik um eine heute nicht mehr wirksame und thematisch nicht zündende, von Effekten überladene Kunst handele, wobei sie kritiklos Werturteile übernehmen, die bereits seit Richard Wagners von antisemitischer Abneigung gegen Meyerbeer getränktem Diktum der „Wirkung ohne Ursache“ virulent sind. Gegenteiliges beweist allerdings die Nürnberger Inszenierung von Les Huguenots (Die Hugenotten), die am 15. Juni 2014 Premiere feierte und auch in der aktuellen Saison 2014/15 wiederaufgenommen wurde. Denn der 2006 mit dem renommierten „ring.award“ ausgezeichnete Schauspiel- und Opernregisseur Tobias Kratzer inszeniert die Oper, die die gewaltsame Auseinandersetzung der Katholiken und Hugenotten im Umfeld der so genannten Bartholomäusnacht im Jahre 1572 thematisiert, als ein Panoptikum von religiösem Fanatismus, Gewalteskalation und Zerstörung individueller Schicksale und führt so die Brisanz des Stoffes für die Gegenwart unmissverständlich und publikumswirksam vor Augen. Dabei geht es ihm keineswegs darum, das in der Oper dargestellte Scheitern der Friedensbestrebungen der französischen Königin Marguerite de Valois, die den hugenottischen Ritter Raoul mit der katholischen Kardinalstochter Valentine zu verkuppeln sucht, bevor Missverständnisse und Intrigen zu einer Eskalation des Religionskonfliktes führen, als Täter-Opfer-Geschichte darzustellen. Vielmehr kleidet Kratzer die Geschichte in eine Rahmenhandlung, in der das Bühnengeschehen als schöpferischer Akt einer zum Maler

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umgedeuteten Nebenfigur der Oper, des Grafen von Nevers, fungiert und in der die handelnden Figuren nicht als aggressive Urheber des Geschehens, sondern als passive Leidtragende des schicksalhaften Laufs der Geschichte dargestellt werden. Die Intention des Malers, eine Allegorie des Friedens und Bilder der Versöhnung zu entwerfen, entgleitet ihm im Prozess des Malens zunehmend, indem die fortschreitende Handlung und Gewaltzunahme sein Werk und seine Person zerstören. Er erkennt, dass die Kunst der historisch realen Welt kein Idealbild entgegenzustellen, sondern lediglich deren Scheitern ästhetisch glaubwürdig nachzuzeichnen vermag. Auch wenn diese Verdoppelung der Handlungsebenen als coup de théâtre Kratzers bei einem selten inszenierten Werk wie diesem nicht gerade nötig, um nicht zu sagen musikdramaturgisch nicht nachvollziehbar scheint (und in einem Publikumsgespräch im Anschluss an die Aufführung vom 20. Juli 2014 auch auf wenig Verständnis im Auditorium stieß), bringt es doch eine moderne Lesart zum Ausdruck, die im Werk durchaus angelegt ist: Die durch die Rahmenhandlung erzeugte Distanz zum Geschehen führt dem aufmerksamen Zuschauer umso deutlicher vor Augen, wie stark Meyerbeer in Les Huguenots auf die Moderne vorausweist, indem er das Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft sowie die Bedrohung der in Form von Chören omnipräsenten Masse für die Freiheit des Einzelnen durchdekliniert. Denn im Gegensatz zu den historiographischen Strömungen des mittleren 19. Jahrhunderts ist Meyerbeers Geschichtsbild nicht von der Idee großer Männer und Taten geprägt, sondern von der Übermacht des Schicksals für das einzelne Subjekt. So ist der Held der Oper, der Hugenotte Raoul, eine für die Interessen verschiedener Parteien eingenommene Person mit eingeschränktem Handlungsspielraum, der für die Friedensangebote opportuner Katholiken ebenso instrumentalisiert wird wie für die Kupplungsversuche der Königin. Nur an wenigen, dafür aber dramaturgisch entscheidenden Stellen der Handlung wird er aktiv, etwa wenn er das Heiratsangebot Valentines aufgrund eines Missverständnisses zurückweist und so die Zuspitzung des Konflikts auslöst, wenn er sich gegen die Liebe zu Valentine und für den Kampf an der Seite der Hugenotten entscheidet und wenn er sich im tragischen Finaltableau den Katholiken als Hugenotte stellt und hingerichtet wird. Seine prominente Stellung an den Schlüsselmomenten der Handlung kennzeichnet Raoul dramaturgisch als den romantischen Helden par excellence, der zwischen Aktivität und Passivität, zwischen Liebe und patriotischem Pflichtgefühl schwankt und schließlich scheitert.

Seine partielle Inaktivität leistet jedoch einem Regiekonzept wie demjenigen Kratzers Vorschub, in dem die Konflikte nicht auf der schwachen Agency des Helden beruhen, sondern die verschiedenen Handlungsebenen als gleichwertige, voneinander unabhängige Tableaus, eben als Motive für die Zeichnungen des Malers dargestellt werden. So wird die Heldenrolle Raouls, kostümiert mit Harnisch, Holzfällerhemd und Nerdbrille, in Kratzers Inszenierung bereits optisch konterkariert, während Raoul in der dramaturgisch entscheidenden Verschwörungsszene der Katholiken im vierten Akt entgegen der Regieanweisung szenisch nicht präsent ist, seine große Kampfarie im fünften Akt ausfällt und seine Heldentat am Ende dadurch zur Bedeutungslosigkeit verkommt, dass er erschossen wird, noch bevor er sich den Feinden als Hugenotte preisgibt. Dass der Held Raoul dergestalt im Nebeneinander der Handlungen untergeht, begründet der Dramaturg der Nürnberger Produktion, Kai Weßler, mit der durchaus nicht abwegigen Annahme, dass das Personal von Les Huguenots vielmehr aus passiven „Unhelden“ bestehe denn aus Helden, weil die Dramaturgie der Oper nicht auf die Herausstellung von Heldenfiguren und -taten abziele. Dem könnte man allerdings dann widersprechen, wenn man die Ohren spitzt für die gesanglichen Höchstleistungen, die die Rolle des Raoul dem Interpreten abverlangt und die in Nürnberg von dem mit Starpotenzial ausgestatteten Tenor Uwe Stickert meisterhaft bewerkstelligt werden. Indem der Gesangspart des Raoul in seinen zahlreichen Arien und Ensemblestücken höchste Virtuosität mit tiefster Ausdrucksfähigkeit, größte Flexibilität in hohen Tonlagen mit stimmlicher Durchschlagskraft, Lyrisches mit Dramatischem vereint, artikuliert sich das Heroische bei Raoul vielmehr in seiner vokalen Präsentation als in seinem dramaturgischen Handeln – und dies auf eine vor Meyerbeer nie zuvor gehörte Art und Weise. Die Nürnberger Insze­ nierung von Les Huguenots lässt dergestalt nur eines zu wünschen übrig: Der Entfaltung des gesanglichen Potenzials der Meyerbeer’schen Heldenfiguren muss genügend Raum geschaffen und die Bedeutung des Gesangs auf eine mit der Dramaturgie der Handlung ebenbürtige Ebene gestellt werden, wenn die Musik Meyerbeers die ihr gebührende Renaissance erfahren soll.

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Impressum helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen, Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ Ulrich Bröckling, Barbara Korte, Birgit Studt Band 2.2 (2014) Herausgeber: Katharina Helm Jakob Willis Redaktion: Carla Gebauer Christiane Hadamitzky Christiane Hansen Gero Schreier Jakob Willis Lektorat: Carmen Flum Redaktionelle Mitarbeit: Magdalena Gybas

Das veröffentlichte Material unterliegt dem Urheberrecht. Für die Weiterverwendung gelten die Bedingungen des Creative-commonsLizenzmodells „Namensnennung – Nicht-kommerziell – Keine Bearbeitung“ CC BY-NC-ND (siehe http://creativecommons.org). Für die Inhalte von Webseiten, die verlinkt oder auf andere Weise erwähnt werden, wird keine Verantwortung übernommen. Der Sonderforschungsbereich 948 „Helden Heroisierungen - Heroismen“ wird gefördert durch die DFG

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Technische Beratung: Thomas Argast Michael Krauße Annette Scheiner Grafische Gestaltung: Tobias Binnig Kontakt: SFB 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ Hebelstraße 25 D - 79104 Freiburg i. Br. Tel.: 0761/203-67600 Fax: 0761/203-67606 www.helden-heroes-heros.de ejournal[at]sfb948.uni-freiburg.de

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