Verlust des Ornaments – Schließt das Bauhaus Individualität aus?

May 30, 2017 | Author: Markus Watzl | Category: Media Studies, Architecture, Postmodernism
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Markus  Watzl                                  Verlust  des  Ornaments  –  Schließt  das  Bauhaus  Individualität  aus?   1.

Einleitung „Bungalow, Flughafen ... Theater, Universität, Schlachthaus sind in der dominierenden Form des Glaskastens geeint.“1

Mit diesen Worten kritisierte Ernst Bloch in Werk und Zeit die Architektur der Moderne und zielte damit auch explizit auf das Bauhaus – Design. Natürlich fällt es leicht, dieser Gleichförmigkeit und mangelnde persönliche Noten des Architekten zu unterstellen und bot bereits Stoff für mehrere Debatten. Diese und ein weiterer elementare Bestandteil des Bauhaus – Designes, die Funktionalität, soll in dieser Arbeit erneut aufgegriffen, aber gleichzeitig in Bezug zur aktuellen Architektur gesetzt werden. Bekanntermaßen bestand die Schule des Bauhaus aus mehreren Werkstätten, die sich der Bearbeitung unterschiedlicher Materialien verschrieben hatten, jedoch kann hier nur auf die Architektur verstärkt eingegangen werden. Diese wurde bereits im „BauhausManifest“, das Walter Gropius verfasst hatte zur primären Kunstform des Bauhauses erhoben, was er wie folgt formulierte: „Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau! (...) Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück! (...) Es gibt keinen Wesensunterschied zwischen dem Künstler und dem Handwerker. Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers. (...) Das Bauhaus erstrebt die Sammlung alles künstlerischen Schaffens zur Einheit, die Wiedervereinigung aller werkkünstlerischen Disziplinen – Bildhauerei, Malerei, Kunstgewerbe und Handwerk – zu einer neuen Baukunst als deren unablösbare Bestandteil. Das letzte, wenn auch ferne Ziel des Bauhauses ist das Einheitskunstwerk – der große Bau -, in dem es keine Grenze gibt zwischen monumentaler und dekorativer Kunst.“2

2.

Die Individualität des Künstlers

Die Einheit von Architekt, also Künstler, und Handwerker, die Gropius hier fordert, wirkt konträr zur heutigen Arbeitsteilung zwischen den Verantwortlichen des Baus. Noch immer wird der Architekt als Planer eines Gebäudes auch als Künstler angesehen, der für sämtliche Elemente des Design eines jeden Bauwerks verantwortlich

zeichnet, inklusive der zu

verwendenden Materialien. Bereits im „Bauhaus – Manifest“ ist ersichtlich, dass auch Gropius darauf besonderen Wert legte, was ihn aber gleichzeitig von der gängigen Arbeitsweise der Vor – Moderne unterschied, wie Michael Siebenrodt folgendermaßen zusammenfasst:                                                                                                                 1  Bloch,  Ernst:  Bildung,  Ingenieursform,  Ornament;  In:  Werk  und  Zeit  11-­‐12;  Deutscher  

Werkbund  Nordrhein  –  Westfalen;  1965   2  Gropius,  Walter;  In:  Whitford,  Frank  (Hrsg.):  Das  Bauhaus  –  Selbstzeugnisse  von   Meistern  und  Studenten;  DVA;  Stuttgart;  1992    

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Markus  Watzl                                  Verlust  des  Ornaments  –  Schließt  das  Bauhaus  Individualität  aus?  

„Gropius löste sich damit bewusst aus der historisierenden Architekturtradition des späten 19. Jahrhunderts. Seine Anregung empfing er weitgehend aus dem Ingenieur- und Industriebau Englands, Frankreichs und den USA. Es waren Möglichkeiten neuer Konstruktionsprinzipien und Materialien wie Glas, Stahl und Beton, die ihn faszinierten.“3

Diese Materialien finden auch heute natürlich noch ausgiebige Verwendung in einer Vielzahl von Bauwerken und sie stehen beinahe symptomatisch für einen modernistischen Baustil. Gleichzeitig hat Gropius die Rolle des Architekten sehr genau als Verantwortlichen für das komplette Bauwerk definiert, was ihn doch sehr vom heutigen Verständnis unterscheidet. Der Architekt ist heute an der realen Schaffung eines Gebäudes nur noch rudimentär beteiligt und ist kaum auf einer Baustelle anzutreffen. Diese Aufgabe, die schon Gropius den Handwerkern zugestand, übernehmen heute Bauingenieure und eine Vielzahl von entsprechenden Arbeitskräften. Für den heutigen Architekten ist die Aufgabe an dieser Stelle i. d. R. bereits beendet. Er hatte seine Vision des Bauwerks an die Ausführenden übergeben. Diese Vision beinhaltet normalerweise auch Elemente, mit denen der Architekt für die Eigenständigkeit des Bauwerks gesorgt hat, also meistens Bestandteile, die über den reinen Nutzen des Gebäudes hinaus gehen. Dabei kann es sich um Ornamente an der Fassade handeln oder beispielsweise um einen besonders opulent gestalteten Eingangsbereich handeln. Diese Elemente verschaffen einem Bauwerk einen einzigartigen Stil und dienen darüber hinaus auch als „Visitenkarte“ des Architekten. Mit diesen bringt er seine persönliche Interpretation der an ihn gestellten Aufgabe zum Ausdruck. Natürlich wäre es falsch, anzunehmen, dass die „Bauhaus – Architektur“ keinen Raum für die Individualität des Architekten ließe, jedoch ist es selbstverständlich schwieriger, diesen auszumachen, wenn über einem Entwurf stets ein derartiges Manifest, einem Dogma ähnlich, thront. So stellt beispielsweise Wolf Meyer-Christian in einem Aufsatz fest, „dass es kein einziges Werk gebe, bei dem als Entwerfer zweifelsfrei der Name Gropius und nicht, in Bezug auf das Wesentliche, der Name eines seiner Mitarbeiter genannt werden müsse.“4

                                                                                                                3  Siebenrodt,  Michael;  Architektur  und  Baulehre;  In:  Bauhaus-­‐Museum  –  

Kunstsammlungen  zu  Weimar;  Deutscher  Kunstverlag;  München;  1995   4  Meyer-­‐Christian,  Wolf;  zit.  aus:  Bauhaus  Streit.  1919  –  2009;  Hatje  Cantz  Verlag;   Ostfildern;  2009      

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Markus  Watzl                                  Verlust  des  Ornaments  –  Schließt  das  Bauhaus  Individualität  aus?   Bloch erhielt in seiner Kritik Unterstützung u. a. durch Theodor W. Adorno, der postulierte, es gäbe nichts „Trostloseres als die gemäßigte Moderne des deutschen Wiederaufbaustils, dessen kritische Analyse durch einen wahrhaft Sachverständigen höchst aktuell wäre.“5 Bereits in der Dialektik der Aufklärung kritisierten Adorno und Max Horkheimer die Anbiederung der Kultur an den Massengeschmack und sahen diese nicht zuletzt in der Bauhaus – Architektur bestätigt. Man kann dieser natürlich nicht absprechen, dass sie sich der Schlichtheit und einem quasi Purismus der Form und des Designs verpflichtet sah, was gleichzeitig auch für seine Stellung nicht nur innerhalb der Architektur- sondern der kompletten Kunsthistorie verantwortlich war. Die Ära der Postmoderne ist bekanntermaßen gekennzeichnet durch Pastiche oder Elemente des Zitats und Zizek bezeichnet gar jegliche Kunstform als „parasitär“6. Das Zitat stellt einen Verweis eines Künstlers auf ein bereits bestehendes Kunstwerk oder einer gesamten, aktuell vorherrschenden Stilrichtung dar und taucht als solches selbstverständlich auch in der Architektur auf. Eine sehr puristische Stilrichtung, wie die des Bauhauses bietet einem Architekten deutlich weniger Möglichkeiten, einen eigenen Stil auszudrücken wie beispielsweise die Gotik, sodass der Begriff des Zitats in diesem Fall nicht ausreicht, um ein Werk zu beschreiben. Das Fehlen von Ornamenten, die häufig als persönliche Note eines Künstlers konnotiert werden können, ist im Bauhaus – Design zu elementar vertreten. Es ist also für einen Rezipienten kompliziert, ein Bauwerk einem bestimmten Architekten zuzuordnen. Natürlich besitzen Gebäude wie Frank O. Gehry’s Guggenheim Museum in Bilbao oder das Coque Sport- und Kulturzentrum in Luxembourg von Roger Taillibert eine deutlich persönlichere Note des Architekten, jedoch unterlag auch deren Design einer zum damaligen Zeitpunkt vorhanden künstlerischen Strömung. Trotz ihrer Ähnlichkeit in der Architektur werden beide Bauwerke als eigenständige Kunstwerke rezipiert und akzeptiert. Sie gehören beide unterschiedlichen architektonischen Stilrichtungen an, im Falle von Gehry dem Dekonstruktivismus, jedoch werden sind beide in erster Linie ihrem jeweiligen Designer zuzuordnen.

                                                                                                               

5  Adorno,  Theodor  W.;  Funktionalismus  Heute;  In:  Ohne  Leitbild:  Parva  Aesthetica;  

Suhrkamp;  Frankfurt  a.  M.;  1967   6 Žižek, Slavoj; Quer durchs Reale; Passagen Verlag; Wien, Österreich; 2012    

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Markus  Watzl                                  Verlust  des  Ornaments  –  Schließt  das  Bauhaus  Individualität  aus?   Žižek’s Vorwurf an die Kunst lässt sich aber auch als Befruchtung der jeweiligen Künstler untereinander verstehen. Dies lässt sich naturgemäß stärker an Kunstformen beobachten, die einer gemeinsamen artistischen Strömung zuzuordnen sind. Der Einfluss, den Walter Gropius auf seine Studenten gehabt haben mochte kann als immanent betrachtet werden, was letztlich Meyer-Christian zu seiner verheerenden Kritik verleitet haben musste. Es ist nur natürlich, dass sich ein Künstler, ungeachtet seiner Fachrichtung, von seinen Lehrern inspirieren lassen, bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich ein eigener künstlersicher Stil herausgebildet hat. Eine vorgegebene Stilrichtung oder Dogma, engt eine derartige Entwicklung selbstverständlich ein, bedeutet aber nicht, dass der Künstler für immer gezwungen sein wird, in diesem zu verharren. Nach einem anfänglichen Zitierens des Stils oder eines vorangegangenen Werks, kann auch eine Emanzipation des Künstlers von diesem erfolgen oder gar eine bewusste Brechung mit selbigem. Man mag dem Bauhaus vorwerfen, dass es ihren Architekten diese Emanzipation erschwerte aufgrund des vorhanden Manifests. Ist Žižek’s Begriff des „Parasitären“ deutlich negativ konnotiert, so könnte man den Bauhaus – Künstlern unterstellen, dass just diese Arbeitsweise als essentiell angesehen wurde, um ihr auferlegtes Dogma zu erfüllen. Wie zuvor angemerkt, bedient sich die Postmoderne, die sich ohnehin bereits als Ära definiert, dem das Bauhaus nicht mehr angehört, an Zitaten und Querverweisen an bereits bestehende Kunstobjekte und wirbt damit ganz offensiv mit dem parasitären Element. Ein Kunst- oder Medienobjekt verweist, bewusst oder weil es beispielsweise einer gemeinsamen Kunstströmung angehört, auf ein früheres Werk und zitiert es dadurch. In der Architektur geschieht das in der Regel über erkennbar ähnlich gestaltete Elemente eines Bauwerks oder durch vereinzelte Ornamente. Ein Künstler kann dadurch seine Bewunderung für einen anderen oder dessen Arbeit zum Ausdruck bringen oder seine Angehörigkeit zu einer aktuell vorherrschenden Stilrichtung. Das Bauhaus entwickelte für sich das bekannte Manifest, gab sich also bewusst eine eigene Stilrichtung, die heute der Moderne zugerechnet wird. Durch diese, quasi „Vereinheitlichung“ eines Designs, wird das Zitieren früherer Kunstwerke bereits in das Manifest mit aufgenommen. Gropius forderte die Vereinigung des Künstlers mit dem Handwerker, auf eine nächste argumentative Ebene befördert, würde daraus die Vereinheitlichung des Stils und das Zitat zur vorherrschenden, und auch erstrebten, Arbeitsweise. Bereits 1922 entstanden Entwürfe, die sog. „Typenhäuser“ darstellten, die sich Gropius in einer „Wabenform“ ersann. Martin Kieren fasst folgendermaßen zusammen:

 

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Markus  Watzl                                  Verlust  des  Ornaments  –  Schließt  das  Bauhaus  Individualität  aus?   „Dabei ging es ihm (Gropius) darum, die Serienproduktion anderer Produktbereiche auf den Hausbau zu übertragen, eine Idee, die in anderen Ländern und anderswo in Deutschland schon seit längerem verfolgt wurde.“7

Gleichzeitig unterminiert es aber auch die Individualität des einzelnen Künstlers. Ein möglicher persönlicher Stil des Architekten tritt quasi hinter dem Bauhaus – Manifest zurück. Adorno und Horkheimer richteten ihre Kritik auf die Künste, die sich einem breiten Massengeschmack unterwarfen. Hinter den klaren Linien der Bauhaus – Architektur, die Bloch durch die Bezeichnung „Glaskasten“ ausreichend beschrieben sah, sahen sie diese Anbiederung bestätigt. Dieses Design, sowie das zuvor beschriebene Fehlen persönlicher Kennzeichen des Architekten, mag durchaus als dem Massengeschmack geschuldet gelesen werden. Es waren häufig die individuellen Elemente, durch die sich ein Künstler als solcher auszeichnete, dadurch aber genauso Kritik und Streitpunkte hervorrief wie das einheitliche Design des Bauhaus. Adorno forderte aber quasi diese persönlichen Streitpunkte, um eine Eigenständigkeit des Künstlers zu erkennen. Dies wird in folgender Formulierung deutlich: „Die Versöhnung von Allgemeinem und Besonderem, von Regel und spezifischem Anspruch des Gegenstands, in deren Vollzug Stil allein Gehalt gewinnt, ist nichtig, weil es zur Spannung zwischen den Polen gar nicht mehr kommt: die Extreme, die sich berühren, sind in trübe Identität übergegangen, das Allgemeine kann das Besondere ersetzen und umgekehrt.“8

Die „Pole“, die Adorno hier benennt, versteht er als die Beziehungspunkte zwischen Produzent und Rezipient eines Kunstwerks. Konflikte oder analytischen Diskurs zwischen diesen Polen sieht er als elementar für die Beziehung zu einem Kunstwerk an. Dass auch das Bauhaus – Design genug Möglichkeiten zur Diskussion enthielt kann nicht bestritten werden und das bezweifelt auch Adorno nicht. Vielmehr sieht er in dem Konzept der Klar- und Einheitlichkeit des Bauhaus – Stils die Gefahr für die Eigenständigkeit der Kunst und die schon beschriebene Verbeugung vor dem Massengeschmack. Adorno kritisiert ein beobachtetes „Aufgehen“ des Künstlers in seinem Kunstwerk zu einer gemeinsamen Identität und den Verlust bewusst geschaffener Kritikpunkte seitens des Künstlers und die Etablierung einer „Kulturindustrie“, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, das Massenpublikum zu bedienen, ohne sich auf langwierige Diskurse einlassen zu müssen.

                                                                                                                7  Kieren,  Martin:  Vom  Bauhaus  zum  Hausbau  –  der  Architekturunterricht  und  die  

Architektur  am  Bauhaus;  In:  Fiedler,  Jeannine,  Peter  Feierabend  (Hrsg.):  Bauhaus;   Könemann  Verlagsgesellschaft  mbH;  Köln;  1999   8  Adorno,  Theodor  W.,  Max  Horkheimer:  Dialektik  der  Aufklärung;  S.  Fischer  Verlag;   Frankfurt  a.  M.;  1969    

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Markus  Watzl                                  Verlust  des  Ornaments  –  Schließt  das  Bauhaus  Individualität  aus?   Dadurch erscheint Žižek’s Einschätzung, besonders in der Ära der Postmoderne, durchaus nachvollziehbar und zutreffend.

3.

Kritik am Prinzip der Funktionalität

Einen weiteren Kritikpunkt, den Adorno anführte, betraf einen weiteren essentiellen Bestandteil des Bauhaus – Manifests: das Zielsetzung der Funktionalität. Die Bauhaus – Gebäude sollten verstärkt dazu dienen, Wohnraum für eine möglichst große Anzahl von Personen Wohnraum zu bieten. Bereits in seinem Bewerbungsschreiben an das Bauhaus formulierte es Hannes Meyer folgendermaßen: „ ... unter ARACHITEKTUR verstehe ich die kollektivistische und unter ausschluß des persönlichen erfolgende deckung aller lebensbedürfnisse; deren realisierung unterliegen dem gesetz des geringsten 9 widerstandes und der ökonomie; deren ziel muß es sein, das optimum an funktion zu erreichen ...“

Walter Gropius teilte Meyer’s Einschätzung und postulierte: „ ... das wohnhaus ist ein betriebstechnischer organismus, dessen einheit sich aus vielen einzelnen funktionen organisch zusammensetzt ... bauen bedeutet gestaltung von lebensvorgängen. die mehrzahl von individuen hat gleichartige lebensbedürfnisse. es ist daher logisch und im sinne eines wirtschaftlichen vorgehens, diese gleichartigen massenbedürfnisse einheitlich und gleichartig zu befriedigen.“10

Bereits in den USA hatte man die Notwendigkeit von Hochhäusern in Bürogebäuden erkannt, was Sullivan in der schlichten Formel „immer folgt Form Funktion – und da ist das Gesetz“11 ausdrückt. Allerdings kritisierte bereits Rainer Wick die Industrialisierung innerhalb der Architektur, als er postulierte, dass „die Formgestaltung des Industrieprodukts sich nach einer Gesetzmäßigkeit vollzieht, die nicht von den bildenden Künsten abgeleitet werden kann.“12

                                                                                                                9  Meyer,  Hannes;  aus:  Whitford,  Frank  (Hrsg.):  Das  Bauhaus  –  Selbsterzeugnisse  von  

Meistern  und  Studenten;  Deutsche  Verlags-­‐Anstalt;  Stuttgart;  1993   10  Gropius,  Walter;  aus:  Whitford,  Frank  (Hrsg.):  Das  Bauhaus  –  Selbsterzeugnisse  von   Meistern  und  Studenten;  Deutsche  Verlags-­‐Anstalt;  Stuttgart;  1993   11  Sullivan,  Louis:  Das  große  Bürogebäude,  künstlerisch  betrachtet;  In:  Sherman,  Paul,   Louis  H.  Sullivan:  Ein  amerikanischer  Architekt  und  Denker,  Bauwelt  Fundamente  Band   5;  Ullstein;  Berlin;  1963   12  Wick,  Rainer;  Bauhaus.  Kunstschule  der  Moderne;  Hatje  Cantz  Verlag;  Ostfildern;   2000    

8  

Markus  Watzl                                  Verlust  des  Ornaments  –  Schließt  das  Bauhaus  Individualität  aus?   Adorno sah ein Gebäude nicht nur auf seine Funktionalität beschränkt, sondern sah in dessen Architektur auch immer einen Ausdruck der Persönlichkeit des Künstlers. Bereits in der Dialektik der Aufklärung kritisiert er die Verkündung „des technischen Fortschritts“, als dessen Ausdruck er die funktionalen Bauwerke der Moderne ausmacht die aber nach „kurzfristigem

Gebrauch

wie

Konservenbüchsen“13

weggeworfen

werden.

Im

Funktionalismus sieht Adorno die Individualität, aber auch die Bedürfnisse des Einzelnen, bedroht, wie er in der Minima Moralia beschreibt: „Weil die Architektur tatsächlich nicht nur autonom, sondern zugleich zweckgebunden ist, kann sie die Menschen, wie sie sind, nicht einfach negieren, obwohl sie das, als autonome, ebenfalls muß.“14

Der Wohnraum ist noch immer einer der persönlichste Ausdruck der eigenen Individualität und es erscheint nachvollziehbar, dass die Identität des Subjekts im gleichmachenden Funktionalismus der Architektur verlorenzugehen scheint. Für Martin Heidegger sind „Bauen“ und „Wohnen“15 identische, austauschbare Begriffe, wie er in seinem Aufsatz Bauen Wohnen Denken postuliert. Darüber hinaus setzt er auch den Begriff des „Wohnen“ mit dem „Sein“ gleich, was die Individualität des Einzelnen noch stärker hervorhebt, als sein Nachfolger Adorno. Mit seiner Trias der Begrifflichkeit überführt Heidegger das „Wohnen“ zu einem Ausdruck des „Seins“, also erneut der eigenen Identität (in Heidegger’s Fall war das nicht der anonyme Wohnkomplex, sondern wohl die Berghütte). Sich darauf beziehend, sieht Frederic J. Schwartz in der Funktionalität „eine Notwendigkeit einer Technik im Dienst des Menschen, der den Kräften der Natur sonst schutzlos ausgeliefert wäre.“16 Wie oben bereits erwähnt, wurde der Bauhaus – Stil in den USA sehr positiv aufgenommen und zahlreiche Bauhäusler waren vor dem Zweiten Weltkrieg in die Staaten emigriert. Trotzdem sah sich Tom Wolfe in seinem Roman Mit dem Bauhaus leben zu einer eigenen, wenngleich ironischen und sarkastischen, Kritik bewogen, die auf die Einflüsse des Bauhaus                                                                                                                 13  Adorno,  Theodor  W.,  Max  Horkheimer:  Dialektik  der  Aufklärung;  S.  Fischer  Verlag;  

Frankfurt  a.  M.;  1969   14  Adorno,  Theodor  W.;  Minima  Moralia  –  Reflexionen  aus  dem  bedrängten  Leben;  S.   Fischer  Verlag;  Frankfurt  a.  M.;  1969     15  Heidegger,  Martin:  Bauen  Wohnen  Denken;  In:  Mensch  und  Raum  –  Das  Darmstädter   Gespräch;  Vieweg+Teubner  Verlag;  Darmstadt;  1952   16  Schwartz,  Frederic  J.  :  Funktionalismus  heute  –  Adorno,  Bloch  und  das  Erbe  des   Modernismus  in  der  BRD;  In:  Baumhoff,  Anja,  Magdalena  Droste  (Hrsg.):  Mythos   Bauhaus;  Reimer  Verlag;  Bonn;  2009    

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Markus  Watzl                                  Verlust  des  Ornaments  –  Schließt  das  Bauhaus  Individualität  aus?   auf die amerikanische Architektur abspielt. Ulrich Schwarz fasst die Kritik folgendermaßen zusammen: „Der Bauhaus-Stil-Import ist Zeichen eines Inferioritätskomplexes und hat mit der amerikanischen Kultur nichts zu tun.“17

Gleichzeitig dominierte aber der quaderförmige Wolkenkratzer bereits die Skyline zahlreicher amerikanischer Großstädte, zu dessen prominentesten Vertretern sicher das New Yorker World Trade Center gehörte. Die glatte, gläserne Oberfläche steht beinahe symptomatisch für die Architektur des Bauhaus.

4.

Die „Aura“ der Bauwerke

Walter Benjamin beschreibt in Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit eine „Aura“, die für jedes Kunstwerk vorhanden sein müsse, um als solches wahrgenommen zu werden. Bekanntermaßen richtet sich diese Forderung im Besonderen explizit an die Photographie und den Film, jedoch soll hier versucht werden, dies auch auf die Architektur anzuwenden. Benjamin postulierte: „Am sinnfälligsten die Bauten. Die Architektur bot von jeher den Prototyp eines Kunstwerks, dessen Rezeption in der Zerstreuung und durch das Kollektivum erfolgt. Die Gesetze ihrer Rezeption sind die lehrreichsten.“18

Das Gemälde, so Benjamin, würde, in der Regel, einsam rezipiert, während es sich bei der Betrachtung von Architektur oder Film um eine Gemeinschaftserfahrung handele. Seine Theorie auf die Architektur angewandt, lässt sich feststellen, dass einem Bauwerk allein durch die Möglichkeit zur haptischen Wahrnehmung, die dieses bietet, eine Aura zugedacht werden kann. Das Bauwerk kann nicht nur betrachtet werden, sondern lässt sich quasi „erfahren“ und bietet seinem Publikum dadurch die vielleicht authentischste Rezeption eines Kunstwerks überhaupt. Eine Brücke kann überquert, ein Gebäude betreten werden und meistens gelangt man auch in dessen entlegendste Winkel. Anders als ein Gemälde im Museum oder der Film                                                                                                                 17  Schwarz,  Ulrich;  Lemon  Tarts  auf  dem  Barcelona-­‐Stuhl  –  Tom  Wolfes  Mit  dem  

Bauhaus  leben;  In:  Bauhaus  Streit.  1919  –  2009  –  Kontroversen  und  Kontrahenten;  Hatje   Cantz;  Ostfildern;  2009   18  Benjamin,  Walter:  Das  Kunstwerk  im  Zeitalter  seiner  technischen  Reproduzierbarkeit;   Suhrkamp  Verlag;  Frankfurt  a.  M.;  1963    

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Markus  Watzl                                  Verlust  des  Ornaments  –  Schließt  das  Bauhaus  Individualität  aus?   auf der Leinwand ist das Gebäude berührbar, wodurch sich eine viel intensivere Beziehung zwischen Kunstwerk und Betrachter entwickeln kann. Als erlebbares Kunstobjekt ist ein architektonisches also einem Musikstück oder einer Rolle Zelluloid deutlich überlegen. Den Begriff der „Aura“, und das ist essentiell, bevor er auf den Bereich der Architektur und des Bauhaus – Designs im Besonderen angewendet werden kann, definiert Benjamin folgendermaßen: „Man kann, was hier ausfällt, im Begriff der Aura zusammenfassen und sagen: was im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkümmert, das ist seine Aura.“

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Unter Aura lässt sich also die „Wirkungsmacht“ eines Kunstwerks verstehen, die über seine physikalische Präsenz hinausgeht und von seinem jeweiligen Betrachter wahrgenommen und wodurch dieser sich erst der Bedeutung des rezipierten Objekts bewusst wird. Die Vervielfältigung eines Kunstobjekts ist es nach Benjamin’s Theorie, die für den Verlust der Aura verantwortlich ist. Es ist also die Einzigartigkeit, die die oben beschriebene Wirkung eines Kunstwerks auf seinen Betrachter ausübt. Es ist essentiell, hier die Begriffe „Reproduzierbarkeit“ und „Wirkungsmacht“ in Erinnerung zu behalten, um die Definition von Benjamin’s „Aura“ auch auf die Bauhaus – Architektur anwenden zu können. Natürlich kann ein Gebäude nicht in der Art vervielfältigt werden, wie man mehrere Abzüge einer Photographie erstellt oder ein Gemälde kopieren lässt. Das bedeutet, der Begriff der Reproduzierbarkeit kann innerhalb dieser Definition nicht auf die Architektur angewendet werden. Es ist also notwendig, diesen Begriff weiter zu fassen, wobei man wieder auf das Bauhaus – Design stößt. Einer der am häufigsten vorgetragenen Kritikpunkte am Bauhaus – Design bezog sich auf den einheitlichen Stil, bei dem nicht mehr erkennbar war, von welchem Architekten ein Gebäude konzipiert worden war und dass dem auch nachrangige Bedeutung beigemessen wurde. Dieses einheitliche, negativ gewertet könnte man es auch als austauschbar bezeichnen, Design kann als eine eigene Variante der Reproduzierbarkeit betrachtet werden, denn auch eine Kopie ist kaum mehr als der Versuch, eine möglichst identische Annäherung an ein bestehendes Original zu produzieren.

                                                                                                                19  Benjamin,  Walter:  Das  Kunstwerk  im  Zeitalter  seiner  technischen  Reproduzierbarkeit;  

Suhrkamp  Verlag;  Frankfurt  a.  M.;  1963    

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Markus  Watzl                                  Verlust  des  Ornaments  –  Schließt  das  Bauhaus  Individualität  aus?   Nach Benjamin’s Theorie müsste jedes Bauhaus – Gebäude, das einem seiner Vorgänger oder einem zeitgleich konzipierten Gebäude, möglichst ähnelt, seine Aura und damit seine Wirkungsmacht auf die Publica verlieren und das nur, weil es bereits eine Vielzahl identisch entworfener Gebäude existieren oder einfach nur, weil sie nach einem bestehenden Manifest konzipiert wurden. 5.

Fazit:

Jede künstlerische, und damit auch architektonische, Stilrichtung hat stets kontroverse Diskussionen ausgelöst und mit dem Bauhaus verhält es sich natürlich nicht anders. Was diese von ihren vorangegangenen (und nachfolgenden) unterscheidet, ist, u. a., die Tatsache, dass es sie sich nicht nur auf die Architektur beschränkte, sondern eine Betrachtungs- und Herstellungslehre über mehrere Gestaltungsdisziplinen hinweg lieferte. Aus Gründen des Umfangs konnte in dieser Arbeit nur auf die Architektur eingegangen werden, aber auch deshalb, weil Walter Gropius diese als letzte, höchste Zielsetzung seiner Gestaltungslehre ansah und diese gleichzeitig die größten Kontroversen hervorgerufen hatte. Die in dieser Arbeit vorgestellten Kritikpunkte am Bauhaus – Design besitzen allesamt Richtigkeit, jedoch darf dabei auch nicht vergessen werden, unter welchen Bedingungen und, vor allem, zu welchem Zweck dieses Design entwickelt worden war. Mit dem Bauhaus hatte die Moderne in der Architektur Einzug gehalten und beeinflusste als solche von Deutschland aus das übrige Europa und die USA. Das funktionale Wohnen, welches das Bauhaus als elementaren Bestandteil seines Konzepts angesehen hatte und die damit verbundenen klaren Linien der Architektur üben heute jedoch nicht mehr eine so große Faszination auch auf Wohnungssuchende aus. So ist es nicht verwunderlich, dass sich finanzstarke Interessenten verstärkt auf Immobilien im klassischen Altbaustil konzentrieren. Deren mit Ornamenten verziertes Design zeugt von einer individuellen künstlerischen Leistung des Architekten, während die Deckenhöhe von häufig 3,50 m dem funktionalen Wohnbau widerspricht. Gerade in Großstädten wie Berlin, Hamburg oder München, die auch über Gebäude der Moderne verfügen, erhält der Altbau dadurch eine enorme Aufwertung. Das Bauwerk eines Architekten, der dieses mit Ornamenten versieht und ihnen damit eine persönlichere Note verleiht, mag eher als individuelle, künstlerische Leistung wahrgenommen werden, jedoch kann auch eine vorgegebene Stilrichtung noch Raum bieten, sich als  

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Markus  Watzl                                  Verlust  des  Ornaments  –  Schließt  das  Bauhaus  Individualität  aus?   eigenständiger Künstler wahrgenommen zu werden. Auf keinen Fall ausgeblendet darf die Tatsache werden, wie das Bauhaus die Architektur als solche beeinflusst hat und ebenso wenig darf man die Kritik daran ausblenden. Die einzelne künstlerische Leistung wird auch zukünftig als die am höchsten zu bewertete Disziplin angesehen werden, jedoch muss die Rezeption auch Raum lassen für abweichende Gestaltungskonzepte und formale Regeln und nicht zuletzt durch die Hochschule für Gestaltung in Ulm wird dieser dem Bauhaus sicherlich eingeräumt.

 

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Markus  Watzl                                  Verlust  des  Ornaments  –  Schließt  das  Bauhaus  Individualität  aus?  

5.

Bibliographie

  Adorno,  Theodor  W.,  Max  Horkheimer:  Dialektik  der  Aufklärung;  S.  Fischer  Verlag;   Frankfurt  a.  M.;  1969     Adorno,  Theodor  W.;  Minima  Moralia  –  Reflexionen  aus  dem  bedrängten  Leben;  S.   Fischer  Verlag;  Frankfurt  a.  M.;  1969       Adorno,  Theodor  W.;  Ohne  Leitbild:  Parva  Aesthetica;  Suhrkamp;  Frankfurt  a.  M.;  1967     Benjamin,   Walter:   Das   Kunstwerk   im   Zeitalter   seiner   technischen   Reproduzierbarkeit;   Suhrkamp  Verlag;  Frankfurt  a.  M.;  1963     Bloch,   Ernst:   Bildung,   Ingenieursform,   Ornament;   In:   Werk   und   Zeit   11-­‐12;   Deutscher   Werkbund  Nordrhein  –  Westfalen;  1965     Fiedler,   Jeannine,   Peter   Feierabend   (Hrsg.):   Bauhaus;   Könemann   Verlagsgesellschaft   mbH;  Köln;  1999     Gropius,  Walter;  aus:  Whitford,  Frank  (Hrsg.):  Das  Bauhaus  –  Selbsterzeugnisse  von   Meistern  und  Studenten;  Deutsche  Verlags-­‐Anstalt;  Stuttgart;  1993     Heidegger,  Martin:  Bauen  Wohnen  Denken;  In:  Mensch  und  Raum  –  Das  Darmstädter   Gespräch;  Vieweg+Teubner  Verlag;  Darmstadt;  1952     Meyer,  Hannes;  aus:  Whitford,  Frank  (Hrsg.):  Das  Bauhaus  –  Selbsterzeugnisse  von   Meistern  und  Studenten;  Deutsche  Verlags-­‐Anstalt;  Stuttgart;  1993     Schwartz,   Frederic   J.   :   Funktionalismus   heute   –   Adorno,   Bloch   und   das   Erbe   des   Modernismus   in   der   BRD;   In:   Baumhoff,   Anja,   Magdalena   Droste   (Hrsg.):   Mythos   Bauhaus;  Reimer  Verlag;  Bonn;  2009     Schwarz,  Ulrich;  Lemon  Tarts  auf  dem  Barcelona-­‐Stuhl  –  Tom  Wolfes  Mit  dem  Bauhaus   leben;  In:  Bauhaus  Streit.  1919  –  2009  –  Kontroversen  und  Kontrahenten;  Hatje  Cantz;   Ostfildern;  2009     Siebenrodt,  Michael;  Architektur  und  Baulehre;  In:  Bauhaus-­‐Museum  –   Kunstsammlungen  zu  Weimar;  Deutscher  Kunstverlag;  München;  1995     Sherman,  Paul,  Louis  H.  Sullivan:  Ein  amerikanischer  Architekt  und  Denker,  Bauwelt   Fundamente  Band  5;  Ullstein;  Berlin;  1963     Whitford,   Frank   (Hrsg.):   Das   Bauhaus   –   Selbstzeugnisse   von   Meistern   und   Studenten;   DVA;  Stuttgart;  1992      

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Markus  Watzl                                  Verlust  des  Ornaments  –  Schließt  das  Bauhaus  Individualität  aus?   Wick,  Rainer;  Bauhaus.  Kunstschule  der  Moderne;  Hatje  Cantz  Verlag;  Ostfildern;  2000     Žižek,  Slavoj;  Quer  durchs  Reale;  Passagen  Verlag;  Wien,  Österreich;  2012              

 

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