Verhandeln statt Argumentieren oder Verhandeln durch Argumentieren? Eine empirische Analyse auf der Basis der Sprechakttheorie

May 27, 2017 | Author: Katharina Holzinger | Category: Political Science
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Verhandeln statt Argumentieren oder Verhandeln durch Argumentieren? Eine empirische Analyse auf der Basis der Sprechakttheorie* Katharina Holzinger

„Verhandeln und Argumentieren“ werden seit einiger Zeit in der politikwissenschaftlichen Diskussion als oppositionelle Konzepte konstruiert und mit den ebenso dichotom aufgebauten Begriffspaaren „strategisches Handeln und verständigungsorientiertes Handeln“ und „Spieltheorie und Diskursethik“ gleichgesetzt. Im vorliegenden Beitrag wird diese Dichotomisierung zurückgewiesen und ein Neuansatz einer theoretischen Konzeptualisierung von Verhandeln und Argumentieren präsentiert. Auf der Basis der Sprechakttheorie wird sodann eine Methode für die empirische Analyse von Verhandlungs- und Argumentationsprozessen entwickelt und am Beispiel der Lösung eines Interessenkonflikts durch ein Mediationsverfahren demonstriert. Es zeigt sich erstens, dass Argumentieren und Verhandeln in empirischen Situationen kommunikativer Konfliktlösung so gut wie nie allein auftauchen. Zweitens verhält sich bei Interessenkonflikten Argumentieren instrumentell, nicht oppositionell, zum Verhandeln. Drittens zeigt sich im Fallbeispiel eine sequenzielle Makrostruktur: Die Auflösung von Tatsachen- und Wertdissensen durch Argumentieren stand zeitlich vor der Auflösung des Interessenkonflikts durch Verhandeln.

1. Einleitung In den letzten Jahren ist in der deutschen Politikwissenschaft eine Debatte geführt worden, die sich um zwei dichotom aufgebaute Gegensatzpaare dreht. Unter der Überschrift „verständigungsorientiertes Argumentieren versus strategisches Verhandeln“ werden einerseits Diskursethik und Spieltheorie als alternative sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze, andererseits Verhandeln und Argumentieren als oppositionelle Kommunikationsmodi dargestellt. Beide Gegensatzpaare sind fragwürdig. Diskursethik und Spieltheorie verfolgen so unterschiedliche Ziele, dass sie nicht als alternative Analyseinstrumente einsetzbar sind. Verhandeln und Argumentieren mögen zwar unterschiedliche Kommunikationsmodi sein, sie sind aber weder analytische Gegensätze noch als Kommunikationssituationen empirisch disjunkte Klassen. Auch die Behauptung Elsters (1992), dass Argumentieren und Verhandeln in verschiedenen Kontexten, Markt und Forum, vorkämen und angemessen seien, lässt sich empirisch nicht halten. Schließlich gab es in anderen Theoriesträngen, die die beiden Kommunikationsmodi nicht theore-

* Ich widme diesen Aufsatz meiner Kollegin im Mediationsprojekt, Birgit Lackmann, über deren frühen Tod ich sehr traurig bin. Für die Mitarbeit an der Transkription und Sprechaktanalyse möchte ich mich bei Christa Hartwig, Beate König und Alexander Saywer bedanken. Für Kommentare und Hinweise zu früheren Fassungen danke ich zwei anonymen Gutachtern, Arthur Benz, Tanja Börzel, Wolfgang van den Daele, Hans-Joachim Fietkau und Thomas Risse. Ein ganz besonderer Dank gilt Christoph Knill, dessen Kritik die Präsentation des Aufsatzes entscheidend verbessert hat. Politische Vierteljahresschrift, 42. Jg. (2001), Heft 3, S. 414–446

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tisch dichotom oder empirisch disjunkt auffassen, Ansätze, die sich auf die Sequenzialität von Argumentieren und Verhandeln in Konfliktlösungsprozessen beziehen. So vermutet Benz (1994), dass im Verlauf eines Konfliktlösungsprozesses eine Bewegung vom positionsbezogenen über das kompromissorientierte zum verständigungsorientierten Verhandeln, gegebenenfalls mit Rückfällen, stattfinde. Der vorliegende Beitrag befasst sich theoretisch und empirisch mit diesen drei Positionen. Nach einer kurzen Darstellung der Theorien erfolgt zunächst eine analytische Auseinandersetzung damit. Erstens wird die Gegenüberstellung von Argumentieren und Verhandeln als oppositionelle Kommunikationsmodi zurückgewiesen. Argumentieren verhält sich instrumentell, nicht oppositionell, zum Verhandeln. Zweitens wird gezeigt, dass und warum Argumentieren und Verhandeln in empirisch zu beobachtenden Konfliktlösungsprozessen so gut wie nie alleine auftreten. Reale Konfliktlösungsprozesse lassen sich deshalb nicht eindeutig jeweils einem der beiden Modi zuordnen. Drittens werden einige Hypothesen zur Abfolge von Argumentieren und Verhandeln in realen Konfliktlösungsprozessen formuliert (Abschnitt 2). Verhandeln und Argumentieren lassen sich empirisch nur auf der Ebene einzelner Äußerungen, der Sprechakte, sauber trennen. Deshalb wird im nächsten Schritt ein methodisches Instrumentarium zur Analyse von empirischen Konfliktlösungsprozessen entwickelt, das auf der Sprechakttheorie von Searle (1969) basiert. Die Methode wird anhand eines Fallbeispiels demonstriert. Es handelt sich dabei um einen Interessenkonflikt aus dem Umweltbereich, der mit Hilfe eines speziellen Verhandlungsverfahrens gelöst werden sollte: das Mediationsverfahren zum Abfallwirtschaftskonzept des Kreises Neuss in Nordrhein-Westfalen (Abschnitt 3). Wie nach den theoretischen Überlegungen für Interessenkonflikte zu erwarten, traten bei diesem Verfahren sowohl Argumentation als auch Verhandlung auf. Darüber hinaus zeigte sich, dass Argumentieren hier fast ausschließlich im Dienste des Verhandelns stand, also strategischen Zwecken diente. Schließlich zeigte sich eine grobe sequenzielle Struktur auf der Makroebene: Die Auflösung von Tatsachen-, Wert- und Normdissensen durch Argumentieren stand zeitlich vor der Auflösung des Interessenkonflikts. Dieses Ergebnis ist kontextspezifisch. Das Beispiel zeigt aber, dass die hier vorgeschlagene Auffassung der Begriffe Verhandeln und Argumentieren sich so in der Empirie wiederfindet und dass man damit in der empirischen Analyse weiterkommt, als mit der an zwei inkommensurablen theoretischen Konzepten orientierten Dichotomie (Abschnitt 4).

2. Verhandeln und Argumentieren 2.1 Die politikwissenschaftliche Debatte In jüngster Zeit ist in der deutschen Politikwissenschaft eine Debatte geführt worden, die sich um zwei als Dichotomien aufgebaute Begriffspaare rankt: Verhandeln versus Argumentieren einerseits, strategisches Handeln versus kommunikatives Handeln andererseits. Die Debatte wurde im Wesentlichen in zwei Kontexten geführt: Die Diskussion zum Begriffspaar strategisches versus kommunikatives Handeln fand ab 1994 in der

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Zeitschrift für Internationale Beziehungen statt. Es ging dabei um die Vereinbarkeit von Rational choice-Ansätzen und speziell der Spieltheorie mit der Diskursethik von Habermas (1981), sowie um die Frage, welches der geeignetere Ansatz zur Analyse internationaler Beziehungen sei. Diese Debatte wurde jüngst von Risse (2000) zusammengefasst. Den zweiten Kontext bildete die Diskussion um den kooperativen Staat, zu Verhandlungssystemen und zu alternativen Konfliktlösungsverfahren, die in der Soziologie, Politik-, Verwaltungs- und Rechtswissenschaft geführt wird (z.B. Ritter 1979; Scharpf 1991; Weidner 1993; Benz 1994; Voigt 1995). Die Diskussion wurde theoretisch beeinflusst durch die ökonomische Verhandlungsanalyse, die – ursprünglich amerikanische – praxeologische Literatur zu Verhandlungen, die deutsche Literatur zur Abkehr vom hierarchischen Staatshandeln, sowie (wiederum) durch die von Habermas inspirierten Ansätze zur partizipativen und diskursiven Lösung gesellschaftlicher Konflikte. Sie fand ihren Niederschlag z.B. in von Prittwitz (1996). Dieser Aufsatz befasst sich mit drei Diskussionsgegenständen aus dieser Debatte. Im Folgenden wird zunächst der theoretische Hintergrund dieser drei Thesen präsentiert, ehe sie auf ihre analytische und empirische Plausibilität befragt werden. (1) Im Rahmen der Debatte wurden Spieltheorie und ökonomische Verhandlungsmodelle einerseits (z.B. Nash 1950; Harsanyi 1965; Rubinstein 1982) und Habermas Theorie des kommunikativen Handelns (1981) andererseits als alternative sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze aufgebaut. Die beiden theoretischen Konzepte sind jedoch nicht sinnvoll als Alternativen zur Analyse politikwissenschaftlich relevanter empirischer Kommunikation zu interpretieren. Sie sind inkommensurabel, insofern das erste primär ein analytischer, das zweite primär ein normativer Idealtyp ist (von Prittwitz 1996a: 135). Beide haben außerdem verschiedene Gegenstände im Auge: Es geht um Tausch privater Güter bei den Verhandlungsmodellen, um gesellschaftliche Normbegründung bei Habermas. Die Dichotomisierung der beiden theoretischen Konzepte als Alternativen hat diese fundamentalen Unterschiede zwischen beiden verwischt. Im Zuge dieser Debatte wurde strategisches Handeln und Verhandeln umstandslos mit Spieltheorie, kommunikatives Handeln und Argumentieren mit der Diskursethik gleichgesetzt. Die Gleichsetzung der theoretischen Konzepte mit Argumentieren und Verhandeln hat dazu geführt, dass nicht nur eine normative Fiktion des Argumentierens einer analytischen Fiktion des Verhandelns ohne die nötige Differenzierung gegenübergestellt wurde, sondern dass beide Fiktionen auch noch eins zu eins der Empirie unterstellt wurden. So wurde schließlich Theorie- und Objektebene konfundiert. Argumentieren und Verhandeln wurden dichotom als zwei empirische sprachliche Verhaltensweisen aufgefasst, die zueinander in Opposition stehen. Man kann nach dieser Auffassung Konflikte entweder durch Verhandeln lösen oder durch Argumentieren. Beide Kommunikationsmodi sind Alternativen. Sie mögen zwar empirisch innerhalb eines Konfliktlösungsprozesses gemeinsam auftreten, dann aber als einstellungsbedingter Wechsel zwischen den Modi, als Wechsel zwischen gegensätzlichen sozialen Verhaltensweisen. Unten wird gezeigt, dass diese Sichtweise nicht haltbar ist. (2) Die These vom Auftreten von Verhandeln und Argumentieren in unterschiedlichen Kontexten lässt sich auf Elster (1986; 1992: 15–19) zurückführen. Er unterscheidet „arguing“ und „bargaining“ als zwei idealtypische Kommunikationsmodi. Die Kommu-

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nikationsmodi werden korreliert mit den Metaphern „Markt“ und „Forum“: Bargaining sei der am Markt vorherrschende Modus, arguing der Modus des Forums. Markt und Forum werden wiederum korreliert mit den zwei sozialwissenschaftlichen Theoriekonzepten Social choice und Diskursethik (Elster 1986). Die Konzeption des Bürgers in der Social choice-Theorie entspreche der Konzeption des souveränen Konsumenten. Dies sei zwar für das Verhalten am Markt angemessen, nicht aber in der Politik, wo der Bürger über Dinge entscheide, die nicht nur ihn selbst, sondern auch andere betreffen. Politik erfordere das Forum, den öffentlichen Diskussionsraum. Hier verkürzen die Metaphern allzu sehr. Die Rational choice-Theorie kann auch interessegeleitetes Handeln jenseits der ökonomischen Sphäre analysieren. Strategisches Handeln ist nicht auf den Markt beschränkt. Anderseits ist die öffentlich-politische Diskussion nicht frei von Interessenpositionen. Davon unabhängig ist aber die Frage, ob am Markt tatsächlich vorherrschend verhandelt und in der Politik vorherrschend argumentiert wird. Bereits Elster verweist darauf, dass in der Praxis beide Kommunikationsmodi gemischt vorkommen (Elster 1992: 19), also wohl auch in beiden Kontexten. Dass Verhandeln und Argumentieren kaum je alleine auftreten, dass insbesondere in Verhandlungen oft sehr viel argumentiert wird, wurde auch von anderen festgestellt (z.B. Benz 1994: 120–127; Saretzki 1996; Barthe/Brand 1996; Risse 2000). Dies weist darauf hin, dass erstens die Dichotomisierung von Verhandeln und Argumentieren als Alternativen so nicht richtig sein kann, und dass zweitens die Zuordnung zu verschiedenen sozialen Kontexten jedenfalls empirisch nicht zutreffen kann. Es bleibt also noch zu erklären, wann und warum Verhandeln und wann Argumentieren auftritt und was mit den beiden Modi jeweils „getan“ wird. Im nächsten Abschnitt soll deshalb analytisch geklärt werden, welche Funktionen die beiden Modi erfüllen. Andere Ansätze, die sich mit Konfliktlösung und Verhandlungen befassen, haben die in der Debatte stilisierte Trennung der Kommunikationsmodi Argumentation und Verhandlung ohnehin nie vorgenommen. Insbesondere durch das Harvard Program on Negotiation wurden Verhandlungen seit den 1950-er Jahren intensiv und interdisziplinär untersucht. Die Auffassung von Verhandlungen lehnte sich zwar an die ökonomischen Modelle an (Raiffa 1982), es gab jedoch auch viel empirisch-sozialpsychologische Forschung. Außerdem wurden an der Praxis orientierte, präskriptive Konzepte für sachbezogenes und konsensorientiertes Verhandeln entwickelt. Prominentester Vertreter ist das sogenannte Harvard-Konzept, das vier Anweisungen für sachbezogenes Verhandeln formuliert. (Fisher/Ury/Patton 1995). Das Konzept verlangt einerseits nicht von den Parteien, ihre Interessen auszusetzen. Es versucht eher, Irrationalitäten und Fehler in der Verhandlungsführung vermeiden zu helfen. Andererseits beziehen sich zwei der vier Regeln auf Problemlösung und verständigungsorientierte Argumentation: „Entwickeln Sie Optionen zum beiderseitigen Vorteil“ und „Bestehen Sie auf der Anwendung neutraler Beurteilungskriterien“. Schließlich werden in diesen Ansätzen oft normative Forderungen an das Ergebnis gestellt (Albin 1993; Susskind/Cruikshank 1987; Fietkau/Weidner 1992). Außerdem wird implizit Wahrhaftigkeit vorausgesetzt. Hier berühren sich diese Ansätze mit Habermas (z.B. Bora/Döbert 1993; van den Daele/Döbert 1995).

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(3) Auch Vertreter der politikwissenschaftlichen Verhandlungstheorie setzen durchaus voraus, dass Verhandlungen zugleich verständigungsorientiert sind. Benz (1994: 112– 168) geht davon aus, dass strategisch handelnde, eigeninteressierte Akteure in Verhandlungen eintreten mit dem Ziel, eine konsensfähige Lösung für gemeinsame Probleme zu finden. Er kann sich also diskursive Kommunikation vorstellen, ohne dass die Handelnden ihre strategische Orientierung aufgeben müssten. Er vermutet, dass im Verlauf der Verhandlungen im Sinne eines Lernprozesses eine zunehmende Gewichtsverlagerung vom strategisch geprägten zum kommunikativen Handeln stattfindet (1994: 117), und entwickelt ein zyklisches Modell, in dem positionsbezogene, kompromissorientierte und verständigungsorientierte Verhandlungsprozesse aufeinander folgen, wobei allerdings kein zwangsläufiger Fortschritt angenommen wird, sondern die Akteure auf jeder Stufe steckenbleiben oder auch zurückfallen können (1994: 134). In allen drei Formen kommt aber neben Verhandeln auch Argumentieren vor. Diese Theorie impliziert eine Sequenzhypothese, die sich auf den Einstellungswandel der beteiligten Akteure bezieht: Sie verändern ihre Interaktionsorientierung von strategisch zu verständigungsorientiert. Das lässt sich auch so interpretieren, dass zu Beginn eher das strategische Verhandeln steht, bei erfolgreichem Lernprozess am Ende dann das verständigungsorientierte Argumentieren. Dies ist aber keine zwangsläufige Entwicklungsrichtung, wie Benz selbst formuliert. Man könnte sich auch vorstellen, dass die Akteure voller verständigungsorientierter Hoffnung beginnen, dann aber aufgrund unüberbrückbarer Interessengegensätze ins strategische Handeln verfallen. Abgesehen davon lässt sich aber verständigungsorientiert nicht mit Argumentieren und strategisch nicht mit Verhandeln gleichsetzen, wie noch gezeigt wird. Insofern lässt sich aus der Theorie von Benz über die Abfolge von Verhandeln und Argumentieren wenig schließen. Von der politikwissenschaftlichen Theorie der Verhandlungssysteme wurde das „Verhandlungsdilemma“ betont (z.B. Benz/Scharpf/Zintl 1992; Scharpf 1993 und 1997, Kapitel 6). Es bezieht sich auf den Konflikt zwischen individueller und kollektiver Rationalität, der in einer Verhandlungssituation angelegt ist. Um die Möglichkeiten für den Kooperationsgewinn ausloten und voll ausschöpfen zu können, muss mit offenen Karten, also kooperativ und wahrhaftig, gespielt werden. Warum sollte ein Verhandlungspartner aber darauf achten, dass der gesamte Kooperationsgewinn realisiert wird? Für das Individuum ist doch nur der von ihm selbst erzielte Teil vom Kuchen maßgebend. Wenn es um die Gewinnaufteilung geht, lohnt sich aber opportunistisches Verhalten. Um dieses Verhandlungsdilemma außer Kraft zu setzen, wurde vorgeschlagen, Verhandlungen prozedural in eine am gemeinsamen Interesse orientierte Problemlösungsphase und eine Verteilungsphase zu trennen (Benz/Scharpf/Zintl 1992: 22, 84–91). Hierbei handelt es sich nicht um eine Sequenzhypothese, sondern um einen normativen Vorschlag für die Sequenzialisierung. Die Hoffnung ist, dass in der Problemlösungsphase verständigungsorientiertes Argumentieren und als Folge die Ausweitung des Kuchens zu erwarten ist und erst danach das interesseorientierte Verhandeln mit der Aufteilung des Kuchens erfolgt. Wie bei der Hypothese von Benz ist es allerdings die Interaktionsorientierung, die hier ausschlaggebend ist. Über die Abfolge von Ver-

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handeln und Argumentieren ist damit nichts gesagt, da die Gleichsetzung von Interaktionsorientierung und Kommunikationsmodus nicht haltbar ist. 2.2 Bedeutung und Funktion von Argumentieren und Verhandeln Ziel dieses Abschnitts ist die analytische Klärung des Verhältnisses von Argumentieren und Verhandeln. Ausgangspunkt ist die Wortbedeutung, der sich die gemeinsame Dimension der beiden Begriffe entnehmen lässt: Beides sind Formen der Konfliktbewältigung durch Kommunikation. Auf dieser Basis lässt sich erstens zeigen, dass Argumentieren und Verhandeln nicht in einem oppositionellen Verhältnis stehen, sondern in einem instrumentellen. Zweitens wird eine Erklärung dafür gegeben, warum Argumentieren und Verhandeln empirisch so gut wie nie allein auftreten. Die analytischen Gründe dafür liegen in der jeweiligen Funktion von Argumentieren und Verhandeln bei der Konfliktlösung, die empirischen Gründe liegen in der Tatsache, dass reale Konflikte fast immer verschiedene Konfliktaspekte in sich vereinen. Drittens werden einige Überlegungen zur Sequenzialität angestellt. Durch die Verwendung der Begriffe Argumentieren und Verhandeln in der Diskurstheorie und der ökonomischen Verhandlungstheorie sowie durch die oben skizzierte Debatte sind beide Begriffe mit theoretischen Bedeutungen und Konnotationen belastet, die bei einem analytischen Neuansatz eher stören. Deshalb wähle ich die normalsprachliche Bedeutung zum Ausgangspunkt, da dies einen von Theorien unverstellten Blick erlaubt auf das logische Verhältnis, in dem Argumentieren und Verhandeln zueinander stehen. Selbstverständlich „beweist“ die normalsprachliche Bedeutung dieser Begriffe nichts im Hinblick auf theoretische Konzepte wie Habermas kommunikatives Handeln oder die Bargaining-Modelle. Argumentieren ist im Englischen und im Deutschen ziemlich gleichbedeutend und heißt im Wesentlichen begründen. Begründet werden können Positionen verschiedenster Art, die Mittel der Begründung können ebenfalls verschieden sein. Begründungen können gut oder schlecht sein, sie können ihren Zweck des „Überzeugens“ erreichen oder nicht. Im Englischen trägt to argue noch die Nebenbedeutung von streiten. Während verhandeln im Deutschen schlicht die verbale Auseinandersetzung meint, bezeichnet to negotiate im Englischen allgemein die Überwindung von Hindernissen und spezieller den Abschluss von Übereinkünften. Das englische to bargain hat dagegen eine engere Bedeutung: „to negotiate and agree beforehand concerning trade, barter“, „to agree to buy or sell“, „to agree to or obtain certain terms“. Die ökonomischen Modelle, die für Tausch und Handel privater Güter entwickelt wurden, heißen nicht umsonst Bargaining-Modelle. Der Aspekt des bargaining lässt sich im Deutschen am ehesten mit „etwas aushandeln“ oder (pejorativ) mit „feilschen“ wiedergeben. Verhandeln heißt rein sprachlich also: in einer potenziell konflikthaften Situation durch Reden eine Einigung erzielen über den Tausch von Gütern oder anderen subjektiven Werten oder über andere konflikthafte Gegenstände wie bei einer Gerichtsverhandlung oder in den Verhandlungen des Deutschen Bundestags. In dieser allgemeinen Bedeutung ist Verhandeln nur schwer von Argumentieren zu unterscheiden, das doch auch auf Herstellung von Übereinstimmung durch Reden zielt. Beides setzt auf Konsens, d.h. die Übereinstimmung wird nicht durch Mehrheitsabstimmung festge-

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stellt, sondern durch Zustimmung aller Beteiligten. Bei beidem ist Kompromiss möglich. Beim Verhandeln wird i.A. eine Einigung durch gegenseitige Anpassung der Ansprüche erzielt. Aber auch beim Argumentieren ist es möglich, dass im Ergebnis „die Wahrheit in der Mitte“ liegt, dass also partielle gegenseitige Überzeugungen stattfinden. Lässt man die allgemeine Bedeutung des Verhandelns als Einigung durch Reden beiseite und beschränkt sich nur auf Verhandlungen im ökonomischen Sinn, dann beschreibt das idealtypische Verhandeln die gegenseitige Anpassung der Forderungen und Wünsche im Wege des Nachgebens, durch Verzicht auf das eigene Idealziel und das voraussetzungslose oder durch relative Machtverhältnisse beförderte Anerkennen der Forderungen des anderen. Das idealtypische Argumentieren dagegen versucht den anderen durch Überzeugen zum Verzicht auf seine Anschauung oder Position zu bringen. Es appelliert an Einsicht, nicht an Bereitschaft. Das eine soll kognitive Dissense auflösen, das andere volitive Gegensätze überbrücken. (1) Dass Argumentieren und Verhandeln unterschiedliche Formen verbaler Konfliktlösung sind, heißt aber nicht, dass sie sich oppositionell zueinander verhalten. Sie sind hinsichtlich ihrer Funktion keine Alternativen, keine Substitute, sondern sie verhalten sich komlementär. Verhandeln verweist auf eine modale Logik (des Wollens), Argumentieren auf eine epistemische (des Glaubens und Wissens). Argumentieren kann man für „Positionen“ oder Sätze aller Art, z.B. wahrheitsfunktionale (empirische), deontische (normative) und volitive Sätze. Argumente anführen kann man also auch für Wollenssätze. Denn eine Forderung oder deren Ablehnung muss in den meisten Fällen begründet werden. Es macht wenig Sinn, das bei der Analyse einer konkreten Situation vom Verhandeln zu trennen. Der volitive Zielsatz und das unterstützende Argument gehören zusammen. Zwar kann man die einzelnen Äußerungen als solche kennzeichnen, die zum reinen Argumentieren oder zum reinen Verhandeln gehören, doch die gesamte Kommunikationssituation lässt sich so nicht klassifizieren. In der Empirie wird sich deshalb kaum jemals das reine Verhandeln finden lassen. Es mag Grenzfälle geben, wo das reine gegensätzliche Wollen als legitim akzeptiert wird und wo lediglich eine „rationale“ Aufteilung gesucht wird. Diese Fälle dürften noch am ehesten bei ökonomischen Transaktionen verwirklicht sein. In aller Regel werden sich aber auch dort Begründungen finden, die sich auf Fakten, Werte und Normen beziehen (vgl. Benz/ Scharpf/Zintl 1992: 109). Diese Argumente verhalten sich dann instrumentell zum volitiven Zielsatz. Volitive Positionen sind nicht immer begründungspflichtig. Sie sind aber spätestens dann begründungspflichtig, wenn sie das Wollen eines anderen begrenzen oder beeinträchtigen. Dann müssen sie sich an den Ansprüchen und Rechten anderer, an Freiheiten, Normen, Verteilungsregeln etc. messen lassen. In der Regel wird die Rückführung des Wollens auf ein anderes subjektives Wollen nicht genügen. Man muss auch mit Fakten, Normen und Werten begründen, um aus dem einfachen Wollen ein als legitim anerkanntes Wollen zu machen. Den Satz „Ich will keine Mülldeponie in meiner Nachbarschaft“ kann man z.B. zurückführen auf die Sätze „Ich möchte kein Gesundheitsrisiko eingehen“, den Satz „Man hat ein Recht darauf, nicht durch die Allgemeinheit in seiner Gesundheit geschädigt werden“ und den Satz: „Mülldeponien sind gesundheitsschädlich“. Das Wollen wird dann als legitim anerkannt, wenn Einigkeit über die Gültigkeit der Norm und der Wahrheit der empirischen Behauptung besteht.

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Beim Argumentieren wird gezeigt, dass empirische Behauptungen wahr (zutreffend) sind, dass Normen gültig sind usw. Argumentieren unterliegt gewissen normativen Anforderungen (Wunderlich 1981: 64ff.): es muss logisch korrekt gefolgert werden; die Wahrheit empirischer Behauptungen zu zeigen, erfordert das Einhalten bestimmter methodischer Regeln; nicht jeder Typ von „Position“ kann mit jedem Typ von Aussage begründet werden. So kann eine normative Aussage nicht hinreichend mit Tatsachenbehauptungen gestützt werden. In der Praxis werden meist ganze Argumentationsketten vorliegen, die aus Sätzen verschiedenen Typs zur Begründung zusammengesetzt sind. Gerade wenn wahrheitsfunktionale Sätze bewiesen werden müssen und es handelt sich nicht um triviale Beobachtungstatsachen, sondern z.B. um die Frage, ob Mülldeponien gesundheitsschädlich sind, können die Argumentationsketten sehr lang werden. Argumentieren ist aber in jedem Falle Mittel zum Ziel, wobei das Ziel darin besteht, die Adressaten zu überzeugen: von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung, der Gültigkeit einer Norm, der Korrektheit der Normanwendung, der Gerechtigkeit eines Anspruchs. Argumentieren ist also nie zweckfrei. Es kann aber verschiedenen Zwecken dienen. Es ist instrumentell für die Wahrheitsfindung bei Konflikten über Tatsachen oder über die korrekte Anwendung von Normen; es ist instrumentell zur Konsensfindung bei Konflikten über die Gültigkeit von Werten; es ist instrumentell zum Verhandeln bei Interessenkonflikten. Verhandeln dagegen kann nur zur Einigung durch gegenseitige Anpassung bei Interessenkonflikten eingesetzt werden. Mit dieser Einstufung ist keinerlei Bewertung verbunden: Kein Modus ist per se besser, sondern sie erfüllen einfach eine unterschiedliche Funktion. Verhandeln und Argumentieren sind keine Kommunikationsmodi, mit denen alternativ dasselbe getan und erreicht werden kann. Das bedeutet aber auch, dass Argumentieren durchaus strategisch und interessegeleitet eingesetzt werden kann. Die Gleichsetzung von Argumentieren mit Verständigungsorientierung übersieht diese Möglichkeit. (2) Beim Argumentieren versucht man, Positionen zu begründen. Dem liegen Divergenzen, Dissense oder Konflikte über Tatsachen, Werte und Normen oder Interessen zugrunde. Ob und inwieweit verhandelt oder argumentiert wird, hängt von der Art des Konflikts ab. Konflikte über Tatsachen beruhen auf divergierenden Überzeugungen über die Welt. Der Dissens bezieht sich auf intersubjektiv wahrnehmbare oder feststellbare Größen. Ein solcher Dissens ist lösbar unter Rekurs auf empirische Informationen und auf die Logik. Die Bearbeitung eines reinen Konflikts über Tatsachen kann und sollte nach allgemeiner normativer Überzeugung durch reines Argumentieren geschehen. Interessenkonflikte beruhen auf konkurrierenden Wünschen und Ansprüchen. Zugrunde liegt die Knappheit bestimmter Güter und die unterschiedliche subjektive Bewertung der möglichen Aufteilungen oder Lösungsalternativen. Aufgrund des sozialen Begründungszwangs subjektiver Ansprüche werden solche Konflikte partiell ebenfalls unter Rekurs auf Fakten, Logik und Werte bzw. Normen gelöst, also durch Argumentieren. Dazu muss aber der Ausgleich der subjektiven Ansprüche kommen und der geschieht durch Verhandeln. Mit anderen Worten, wann immer ein Interessenkonflikt vorliegt, ist grundsätzlich mit dem Vorkommen von Argumentieren und Verhandeln zu rechnen. Lediglich in theoretischen Modellen oder im Extremfall eines von Begründungspflichten freien Konflikts ist die Konfliktbeilegung durch reines Verhandeln

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denkbar. Bei einem Konflikt über Tatsachen dagegen ist die Lösung durch reines Argumentieren möglich. Die meisten realen Konflikte dürften allerdings eine Mischung aus Tatsachen-, Wert- und Interessenkonflikten sein. Das gilt besonders für politikwissenschaftlich relevante Konflikte. Das Gewicht der jeweiligen Konfliktaspekte wird im Einzelfall verschieden sein. Beim Versuch der Konfliktlösung wird daher bei allen Konflikten so gut wie immer argumentiert werden. Verhandelt im Sinne des Ausgleichs subjektiver Ansprüche wird aber nur dann, wenn auch ein Interessenkonflikt involviert ist. Will man wissen, ob Argumentieren oder Verhandeln zu erwarten ist, lautet daher die Grundfrage: Geht es „nur“ um die Wahrheit von Tatsachenbehauptungen oder die Gültigkeit von Werten? Oder geht es auch um Interessen? Wann immer ein Interessenkonflikt oder eine Gemengelage vorliegt, ist mit beiden Kommunikationsmodi zu rechnen. (3) Oben wurde gezeigt, dass die Gleichsetzung von Verständigungsorientierung mit Argumentieren und von interessegleitetem Handeln mit Verhandeln nicht haltbar ist. Daraus folgt, dass Hypothesen zur Abfolge der beiden Kommunikationsmodi unabhängig sind von Hypothesen zur Sequenzialität der Interaktionsorientierungen, wie sie von Benz (1994) formuliert wurden. Die bisherigen Überlegungen zu Argumentieren und Verhandeln lassen erwarten, dass die Reihenfolge des Auftretens der beiden Modi in einem konkreten Konfliktlösungsprozess davon abhängen, welche Konfliktanteile vorkommen und in welcher Reihenfolge sie bearbeitet werden. Hypothesen über die Sequenzialität sind daher kontextspezifisch, allgemeine Voraussagen nur schwer zu treffen. Einige grundsätzliche Überlegungen sind dennoch möglich. Je mehr Tatsachendissense gelöst werden müssen und je mehr Wert- und Normstützung erfordert ist, um so mehr Argumentieren ist zu erwarten. Bei schwierigen wissenschaftlichen Fragen, die lange Argumentationsketten erfordern, werden diese Sequenzen entsprechend länger sein. Immer wenn ein Interessenkonflikt die Klärung von Sachfragen voraussetzt, ist davon auszugehen, dass am Ende einer Argumentationssequenz eine abschließende Verhandlungssequenz auftaucht. Diese kann unter Umständen sehr kurz sein. Zusätzlich kann aber auch zu Beginn eine Verhandlungssequenz stehen. Die Länge der Verhandlungssequenzen dürfte abhängen von der Qualität der Klärung vorgängiger Fragen, aber auch von der Einigungs- und Annäherungsbereitschaft der Kontrahenten. Der Zusammenhang ist jedoch nicht eindeutig: Geringe Einigungsbereitschaft kann lange Verhandlungssequenzen zur Folge haben, aber auch sehr kurze, wenn die Verhandlung schnell scheitert. Hohe Einigungsbereitschaft dürfte die Verhandlungsdauer abkürzen. Die Verteilung von Argumentieren und Verhandeln hängt außerdem von der Organisation des Prozesses ab. Die Zerlegung eines Konflikts in einzelne Verhandlungspunkte wird zu einem häufigeren Wechsel zwischen Argumentieren und Verhandeln führen. Grundsätzlich ist ein sehr kleinteiliger Wechsel möglich, bei dem jeweils nur ein kurzes Argument und ein kurzer Verhandlungssatz geäußert werden. Bei solchen Mikrostrukturen gibt es keine feste Reihenfolge: Der volitive Zielsatz kann vor oder nach seiner Begründung stehen. Auf der empirischen Ebene lassen sich solch umfassende Kommunikationssituationen wie reale Konfliktlösungsprozesse nur schwer als Argumentieren oder Verhandeln klassifizieren. Erstens ist bei Interessenkonflikten ohnehin stets mit beiden Kommunikationsmodi zu rechnen und zweitens ist kaum ein realer Konflikt ein reiner Tatsa-

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chen-, Wert- oder Interessenkonflikt. Reale Konfliktlösungsprozesse sind komplexe Kommunikationssituationen. Sie bestehen aus langen Kombinationen von unterschiedlichsten Äußerungen, die allerdings bei beiden Kommunikationsmodi jeweils verschiedener Art sind. Sie lassen sich deshalb klar nach ihrer Zugehörigkeit zum Verhandeln oder Argumentieren unterscheiden. Während also die Zuordnung von umfassenden Prozessen, etwa einer internationalen Verhandlung, zum Modus Verhandeln oder Argumentieren empirisch kaum möglich ist, ist dies bei einzelnen Äußerungen kein Problem. Im folgenden Abschnitt wird auf dieser Basis ein Instrument zur Analyse von empirischen Prozessen kommunikativer Konfliktlösung entwickelt.

3. Sprechaktanalyse des Neusser Mediationsverfahrens 3.1 Der Fall: Das Neusser Mediationsverfahren Das Verfahren der Sprechaktanalyse wird im Folgenden am Beispiel eines umweltpolitischen Verhandlungsprozesses illustriert. Im ersten Schritt werden der dem Neusser Mediationsverfahren zugrunde liegende Konflikt sowie der Verlauf und das Ergebnis des Verfahrens geschildert. Anschließend folgt eine kurze Darstellung der Sprechakttheorie. Beides ist Voraussetzung für das Verständnis des methodischen Instrumentariums, so wie es im dritten Abschnitt für die Analyse des konkreten Falls spezifiziert wird. Der Kreis Neuss (NRW) ist als entsorgungspflichtige Körperschaft für Siedlungsabfälle verpflichtet, regelmäßig ein Abfallwirtschaftskonzept aufzustellen. Der Entwurf für das Abfallwirtschaftskonzept von 1991 löste den Konflikt aus, der Gegenstand des Mediationsverfahrens war. Das neue Konzept sah eine Hausmüllverbrennungsanlage vor. Ein von der Kreisverwaltung in Auftrag gegebenes Gutachten hatte bereits zu einer Vorauswahl von drei potenziellen Standorten für die Verbrennungsanlage geführt. Von den drei vorausgewählten Standorten wurde Grevenbroich-Neurath von allen Beteiligten als der wahrscheinlichste wahrgenommen. Diese Planungen stießen in der Bevölkerung und bei den kreisansässigen Umweltverbänden auf heftigen Widerstand. Der harte Kern des Konflikts wurde durch zwei Faktoren determiniert: Akzeptanz oder Ablehnung der Müllverbrennung als Technik einerseits, Ablehnung oder Befürwortung des Standorts Grevenbroich-Neurath andererseits. Die Kreisverwaltung Neuss zeigte sich an der Durchführung eines Mediationsverfahrens zur Lösung dieses Konflikts interessiert. In der Zeit vom 28. März 1992 bis 27. August 1993 fanden neun Mediationssitzungen statt. Insgesamt 27 Organisationen nahmen am Verfahren teil: acht Kommunalverwaltungen, die vier Kreistagsfraktionen, fünf Bürgerinitiativen aus dem Kreis, die auf Kreisebene tätigen Umwelt- und Wirtschaftsverbände und schließlich die Kirchen. Das Abfallwirtschaftskonzept und die Restmüllverbrennung wurde grundsätzlich befürwortet von der Kreisverwaltung, den meisten Kommunen, der SPD, CDU und FDP sowie von den drei Wirtschaftsverbänden (im Folgenden „Befürworter“). Die Grünen, die Umweltverbände, die Bürgerinitiativen und zwei standortbetroffene Gemeinden der beiden Kirchen lehnten das

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Abfallwirtschaftskonzept bzw. die Verbrennungsanlage und den vorausgewählten Standort ab (im Folgenden „Gegner“). Bei der neunten Mediationssitzung kündigte die Kreisverwaltung an, dass sie dem Kreistag eine Beschlussvorlage zur Standortsicherung für eine thermische Abfallbehandlungsanlage vorlegen werde. Umweltverbände, Bürgerinitiativen und die Grünen erklärten, dass sie dem nicht zustimmen könnten, und blieben bei ihrer Forderung nach einer biologisch-mechanischen Restmüllbehandlung. Alle anderen Mediationsteilnehmer unterstützten den Standpunkt der Kreisverwaltung oder hielten sich in ihrem Votum zurück. Die Mediation wurde beendet, ohne dass es zu einem Konsens über die Restabfallbehandlungstechnik und den Standort kam. Allerdings konnten im Verlauf des Verfahrens Konsense über weitergehende Vermeidungs- und Verwertungsmaßnahmen erzielt werden (vgl. Holzinger/Lackmann 1995: 48–54). Bei dem Konflikt über das Abfallwirtschaftskonzept des Kreises Neuss handelte es sich also primär um einen Interessenkonflikt zwischen verschiedenen öffentlichen und privaten Akteuren. Darüber hinaus lag aber ein Dissens über Tatsachen und Normen vor: über die Wirkungen verschiedener Abfallvermeidungsstrategien und Abfallbehandlungstechnologien, über die Auswirkungen der geplanten Anlagen an verschiedenen Standorten und über die Rechtslage. Schließlich ging es auch um wertbeladene Überzeugungen, die sich an die Frage der Müllverbrennung knüpfen. Der Konflikt repräsentiert damit eine Mischung aus Tatsachen-, Wert- und Interessenkonflikt, worin er den meisten politischen Konflikten ähnlich sein dürfte. In anderer Hinsicht weist der Konflikt Spezifika auf. So handelte es sich nicht um eine gesellschaftliche Kontroverse, deren Ziel die Normbildung und Normbegründung war, sondern um einen Implementationskonflikt, einen Einzelfall von Normanwendung, bei dem es primär um Interessenausgleich zwischen konkret betroffenen Akteuren ging. Das Verfahren der Konfliktlösung konnte deshalb kein Normbegründungsdiskurs oder praktischer Diskurs im Sinne von Habermas sein, in dem nach verallgemeinerungsfähigen Interessen gesucht wird. Das Neusser Verfahren sollte einerseits zu einem Interessenausgleich führen, andererseits die genannten Sachfragen einer Klärung zuführen. Die Klärung der Sachfragen war Voraussetzung für die Beilegung des Interessenkonflikts. Insofern spielte die Entscheidung über Wahrheits- und auch Wertfragen zwar eine Rolle. Das Verfahren war aber kein wissenschaftlicher oder theoretischer Diskurs, der nur der Beantwortung dieser Fragen diente. Hinter den Sachfragen standen Interessen, die je nach Antwort auf die Fragen unterschiedlich betroffen waren. Nicht zufällig wurde deshalb zur Konfliktbeilegung ein Verfahren gewählt, das auf Interessenausgleich gerichtet ist: ein Mediationsverfahren. Mediationsverfahren sind definiert als Verhandlungsverfahren unter Beteiligung eines neutralen Dritten, des Mediators (z.B. Amy 1987; Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann 1990). 3.2 Die Sprechakttheorie Da das Instrumentarium der Sprechaktanalyse in den Sozialwissenschaften noch nicht in dieser Form eingesetzt wurde, soll die Methode etwas genauer beschrieben werden, ehe die Ergebnisse präsentiert werden. Das Instrument beruht auf der von Austin (1962) und Searle (1969) entwickelten und von Habermas (1971, 1981) in der Sozial-

Verhandeln statt Argumentieren oder Verhandeln durch Argumentieren?

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wissenschaft bekannt gemachten Sprechakttheorie, einem Teilgebiet der linguistischen Pragmatik. Die Pragmatik beschäftigt sich mit der Rekonstruktion der Bedeutung von Sprache in einem gegebenen Kontext. Im Gegensatz zur Semantik geht es nicht um das, was „gesagt“ wird, sondern um das, was „gemeint“ ist. Die Pragmatik setzt die Semantik sowie das Wissen um die in der aktuellen Sprechsituation geltenden Normen und Konventionen voraus. Ausgangspunkt der Sprechakttheorie ist die Vorstellung, dass durch Sprechen Handlungen vollzogen werden: Sprache ist „regelgeleitetes intentionales Verhalten“ (Searle 1974). Ein Sprechakt im Sinne von Austin (1962) oder Searle (1969) ist diejenige Handlung, die ein Sprecher durchführt, indem er eine Äußerung tut. Er besteht nach Searle (1969) aus: – dem lokutionären Akt, d.h. der reinen Äußerung der Zeichen, – dem Akt des Verweisens (Referenz) und der Prädikation, die zusammen den propositionalen Gehalt der Äußerung ausmachen, – dem illokutionären Akt, d.h. der Handlung, die der Sprecher vollzieht, indem er die Äußerung tut, und – ggf. einem perlokutionären Akt, d.h. das durch Sprechen beim Adressaten bewirkte Geschehen. Die illokutionären Akte, um die es hier im Weiteren gehen wird, werden beschrieben durch sogenannte performative Verben: behaupten, begründen, fordern, anbieten, usw. Diese Verben können in den geäußerten Sätzen, durch die der jeweilige illokutionäre Akt vollzogen wird, auftauchen. Das muss aber nicht der Fall sein. Die Illokution fordern kann z.B. ausgedrückt werden durch: „Gib mir die Hälfte“ oder durch „Hiermit fordere ich die Hälfte“. Grundsätzlich lassen sich aber alle illokutionären Akte ohne Bedeutungsänderung in der Form: „Hiermit behaupte etc. ich, dass ...“ wiedergeben. Andere illokutionäre Indikatoren neben den performativen Verben sind: die Verbstellung, die Intonation, Modalpartikel, Fragepartikel und andere lexikalische Mittel. Ein Beispiel eines perlokutionären Akts ist überzeugen: Es wird beim Hörer eine Meinungsänderung bewirkt. Searle hat ein Instrumentarium für die Explikation von illokutionären Akten entwickelt. Für jeden einzelnen illokutionären Akt können die Bedingungen expliziert werden, die gelten müssen, damit dieser Akt vermittels der Äußerung eines Satzes tatsächlich vollzogen werden kann. Searle unterscheidet mehrere Gruppen konstitutiver Regeln: (1) Regeln des propositionalen Gehalts: Was kann gesagt werden? (2) Einleitungsregeln: Welche sozialen Voraussetzungen müssen zutreffen? (3) Regeln der Aufrichtigkeit: Welche Motivation muss beim Sprecher vorausgesetzt werden? (4) Wesentliche Regeln: Worin besteht die Handlung? Für das Beispiel behaupten, dass lauten diese Regeln folgendermaßen (Searle 1983: 100): (1) Jede Proposition p. (2) 1. Der Sprecher hat Beweismittel (Gründe usw.) für die Wahrheit von p. 2. Es ist sowohl für den Sprecher als auch für den Hörer nicht offensichtlich, dass der Hörer p weiß (und nicht daran erinnert werden muss).

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Katharina Holzinger

(3) Der Sprecher glaubt p. (4) Gilt als eine Versicherung des Inhalts, dass p eine wirkliche Sachlage darstellt. Die Sprechakttheorie wird im Folgenden umgesetzt in eine Methode zur Analyse empirischer Kommunikationsprozesse, die hier dem Zweck dient, Verhandlungs- und Argumentationssprechakte in Konfliktlösungsprozessen festzustellen. Es sollte klar geworden sein, dass es sich zunächst um eine qualitative Methode handelt. Die einzelnen Äußerungen müssen als Sprechakte eingestuft werden, außerdem müssen ihre semantischen Beziehungen berücksichtigt werden. Mit Hilfe der Sprechakttheorie lassen sich Argumentationsverläufe oder Verhandlungsprozesse im Prinzip qualitativ nachvollziehen. Die Methode kann jedoch auch quantitativ eingesetzt werden, indem Sprechakte gezählt und ins Verhältnis gesetzt werden. Da die Fragestellung dieses Aufsatzes nicht auf die inhaltliche Rekonstruktion des spezifischen Fallbeispiels zielt, sondern auf das Verhältnis von Argumentieren und Verhandeln bei der Konfliktlösung, wird im folgenden Anwendungsbeispiel eine quantitative Analyse vorgenommen. Das setzt Standardisierung und damit Verzicht auf Differenzierung und Feinheiten voraus. So werden Beschränkungen bei den Sprechakten, bei den substanziellen Zielen des Sprechhandelns usw. eingeführt. Insbesondere geht bei der quantitativen Analyse verloren, dass einzelne Argumente oder Verhandlungssprechakte völlig unterschiedliche Relevanz für den Verlauf des Gesamtprozesses haben (können). Für die Feststellung unterschiedlicher Relevanz ist die Sprechaktanalyse in der qualitativen Form aber durchaus tauglich. 3.3 Analyseziele und Methode Die Sprechaktanalyse der Tonbandaufnahmen des Neusser Mediationsverfahrens verfolgte drei Ziele: (1) In Abschnitt 2 wurde die Hypothese von Elster (1992), dass Verhandeln und Argumentieren in je unterschiedlichen Kontexten auftrete, zurückgewiesen. Die analytischen Überlegungen zur kommunikativen Konfliktlösung durch Argumentieren und Verhandeln lassen erwarten, dass in allen politikwissenschaftlich relevanten empirischen Fällen, Verhandeln und Argumentieren gemeinsam auftreten. Diese Behauptung sollte zunächst durch Beobachtungsdaten belegt und genauer spezifiziert werden. Dass auch in der Neusser Mediation mit beiden Modi zu rechnen war, ergibt sich aus der Feststellung, (a) dass der Konflikt um das Neusser Abfallwirtschaftskonzept primär ein Interessenkonflikt war und (b) dass es sich bei einem Mediationsverfahren um eine Verhandlung handelt. Es war also in jedem Fall mit dem Auftreten von Verhandlungssequenzen zu rechnen. Zur Begründung von Verhandlungspositionen waren aber auch argumentative Sequenzen zu erwarten. Das gilt um so mehr, als es sich nicht um einen reinen Interessenkonflikt handelte, sondern auch Sachfragen zu klären waren. Darüber hinaus schien es bei der unmittelbaren Beobachtung des Verfahrens und bei einer Inhaltsanalyse des Transkriptes sogar so, als ob in der Mediation weniger verhandelt als argumentiert worden wäre (Holzinger 1994; Fietkau 1996: 286f.). Das erste Ziel der Sprechaktanalyse des Neusser Verfahrens war deshalb festzustellen, in welchem Umfang jeweils verhandelt und argumentiert wurde. Dazu wurde in einen Datensatz auf-

Verhandeln statt Argumentieren oder Verhandeln durch Argumentieren?

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genommen, wann, von wem, mit welchen Sprechakten und worüber verhandelt oder argumentiert wurde. (2) In Abschnitt 2 wurde gezeigt, dass Argumentieren und Verhandeln keine oppositionellen Modi sind, die als Alternativen zur Lösung desselben Konflikts eingesetzt werden können. Argumentieren dient immer der Stützung eines Satzes. Im Kontext eines Interessenkonflikts werden Argumente zur Begründung von Verhandlungspositionen eingesetzt. Das bedeutet nicht, dass Argumente nur diesem Zweck dienen. Argumentieren kann auch zur Klärung von Wahrheitsfragen eingesetzt werden, soweit solche Fragen im Konflikt berührt werden. Wenn die Beantwortung dieser Wahrheitsfragen jedoch in unmittelbarem Zusammenhang mit subjektiven Interessen und Verhandlungszielen der Teilnehmer stehen, ist auch dieses Argumentieren interessegeleitetes Argumentieren. Das heißt aber nicht, dass nicht gleichzeitig auch verständigungsorientiertes Argumentieren stattfinden kann, in dem Sinne, dass das Argumentationsziel allein die Aufklärung eines Faktums oder das Vermitteln zwischen Positionen ist. Deshalb sollte zweitens erfasst werden, wann „durch Argumentieren verhandelt“ wurde, wann also Verhandlungspositionen durch tatsachen- oder wertbezogene Begründungen untermauert wurden. Dazu mussten die Verhandlungsziele der Akteure festgestellt und in Bezug zu den vorgebrachten Argumenten gesetzt werden. (3) Drittens sollte ermittelt werden, inwieweit verhandeln und argumentieren sequenziell erfolgten. Die Analyse von sequenziellen Mustern sollte Hinweise darauf liefern, inwieweit ein Verhandlungszyklus im Sinne von Benz (1994) zu beobachten war, ob es ein Nacheinander von Problemlösen und Verteilungsentscheidung im Sinne der Trennung von Benz und Scharpf (1992) gab und inwieweit die oben formulierten kontextspezifischen Hypothesen zutrafen. Für die Analyse der Mediationstranskripte wurden zunächst nach den Regeln von Searle eine Reihe von Sprechakten definiert, die beim Verhandeln im engeren Sinn zu erwarten sind, außerdem eine Reihe von Sprechakten, die für Argumentieren zentral sind. Für beide Bereiche, Verhandeln wie Argumentieren gibt es im Deutschen eine große Zahl performativer Verben, die in Frage kommen. Hier beschränkten wir uns auf die wesentlichen Funktionen beim Verhandeln und Argumentieren, gleichbedeutende oder ähnliche performative Verben wurden als Synonyme behandelt (siehe Übersicht 1).1 Die Sprechaktdefinitionen dienten als Codebuch für die Einstufung der Sprechakte. Für die Abgrenzung einzelner Sprechakte gibt es kein formales Kriterium. Sätze lassen sich schon deshalb nicht als Analyseeinheit benutzen, da gesprochene Sätze oft unvollständig sind. Die Syntax grenzt aber Sprechakte ohnehin nicht vernünftig ab. Dies gilt besonders für kompliziertere Argumente, die sehr lange sein können. Die Ab1 Sowohl die einzelnen Verhandlungs- als auch die argumentativen Sprechakte liegen quer zu den Sprechaktklassifikationen, wie sie von Austin (1972) oder Searle (1975) vorgeschlagen wurden. Viele Verhandlungssprechakte gehören zu den Kommissiva und Direktiva, bei den Argumentationssprechakten sind vor allem Repräsentativa und Kommissiva vertreten, die Konsenssprechakte sind Deklarativa, Repräsentativa und Expressiva (nach Searle). Ohnehin sind diese Klassifikationen nicht nur zwischen Searle und Austin strittig, es gibt auch eine Reihe von Gegenvorschlägen (z.B. Habermas 1971; Wunderlich 1976; Ballmer/Brennenstuhl 1981).

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Übersicht 1: Illokutionäre Akte beim Verhandeln und Argumentierena

Verhandeln

Argumentieren

Fordern, auffordern, verlangen, wünschen

Behaupten (Tatsachen und Werte)

Anbieten, sich erbieten, sich bereit erklären

Feststellen, erwähnen (Tatsachen und Werte)

Vorschlagen (z.B. Lösung),

Vermuten, mutmaßen, glauben, meinen

Kompromiss vorschlagen

Fragen, wissen wollen

Entgegenkommen

Mitteilen, berichten

Versprechen, zusagen, sich verpflichten, sein Wort geben, geloben, garantieren

Folgern (logisch), schließen,

Drohen, ankündigen (Ausstieg, Strategien außerhalb der Verhandlung)

Begründen, argumentieren, Gründe anführen, erklären, erläutern, belegen (empirisch), beweisen (logisch), nachweisen

Annehmen, akzeptieren, zustimmen, Einverständnis bekunden, einwilligen, auf etwas eingehen

Zustimmen, beipflichten

Ablehnen, zurückweisen

Widersprechen, zurückweisen, bestreiten, erwidern, entgegnen, in Zweifel ziehen, einwenden

Zugestehen, Konzession machen, nachgeben

Einräumen, zugestehen, anerkennen, gelten lassen, zugeben, einsehen (faktiv)

Aufrechterhalten (ein Angebot, eine Forderung, einen Vorschlag)

Beharren, (bei einer Meinung) bleiben, (an einer Überzeugung) festhalten

Zurücknehmen (Angebot, Zusage)

Zurücknehmen, zurückziehen (Argumente, Behauptungen)

Bewerten (subjektive Wünschbarkeit)

Beurteilen, ein Urteil fällen

Einigung feststellen (Konsens); Nicht-Einigung Übereinstimmung feststellen (Konsens); feststellen; Beschluss feststellen, Vertrag Dissens feststellen; Ergebnis feststellen schließen a

Es wird jeweils von der Bedeutung der performativen Verben ausgegangen, die sie innerhalb einer Verhandlung oder einer Argumentation haben. Manche Verben, wie etwa zurückweisen oder zustimmen können im Kontext von Verhandeln oder Argumentieren auftreten und unterscheiden sich dann nur hinsichtlich des propositionalen Gehalts.

grenzung kann nur nach der Semantik, also im Wesentlichen nach dem propositionalen Gehalt erfolgen. Sehr häufig handelt es sich bei den Sprechakten um die gesamte Äußerung eines Sprechers. Manchmal äußert ein Sprecher aber auch mehrere Sprechakte. Sprechakte können sehr kurz sein, z.B. ein „ja“ als Zustimmung zum vorhergehenden Sprechakt. Sie können sich aber auch über halbe oder ganze Transkriptseiten hinziehen, wenn ein Argument sehr lange ausgeführt wird.2

2 Wiederholungen desselben Sprechakts mit derselben Proposition innerhalb einer zusammenhängenden Äußerung eines Sprechers wurden nur einmal gezählt.

Verhandeln statt Argumentieren oder Verhandeln durch Argumentieren?

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Die Transkripte wurden zuerst nach Verhandlungssprechakten durchsucht.3 Pro Datensatz wurden jeweils Sprecher und Adressat, die illokutionäre Intention, illokutionäre Indikatoren (dies nur zur Absicherung der Einstufung) und der propositionale Gehalt der betreffenden Äußerung aufgenommen. Da auf der Basis der unmittelbaren Verfahrensbeobachtung die Vermutung bestand, dass Verhandeln häufig dann auftrat, wenn Verfahrensfragen rund um die Mediation zur Debatte standen, wurde der propositionale Gehalt der Verfahrens- bzw. der Sachebene zugeordnet. Außerdem musste die Beziehungsebene unterschieden werden: Viele Äußerungen, die formal den Argumentations- oder Verhandlungssprechakten zuzurechnen sind, bezogen sich auf Einstellungen und Emotionen gegenüber der Mediation oder anderen Teilnehmern.4 Bei den Verhandlungssprechakten auf der Sachebene wurde außerdem das offenbarte bzw. offensichtliche Ziel mit angegeben. In gleicher Weise wurden dann Sprechakte aufgenommen, die dem Argumentieren zuzurechnen sind. Auch hier wurde das offenbarte oder rekonstruierbare Argumentationsziel mit in den Datensatz aufgenommen. Ebenso wurden wieder Sprechakte auf der Verfahrens- und Beziehungsebene unterschieden. Dazu kamen einige argumentative Sequenzen, die für den behandelten Konflikt irrelevant waren. Solche Sequenzen tauchen auf, wenn die Parteien im Eifer des Sich-Widersprechens irgendeinem Gleis folgten, das für die jeweiligen Ziele keine Bedeutung mehr hatte. Daneben rutschte man in Einzelfällen in sachliche Diskussionen, die keine Bedeutung mehr hatten für den Konfliktgegenstand.5 Konsens, Einigkeit und Übereinstimmung abfragen, wünschen oder feststellen gehört zu den häufigsten Sprechakten in der Mediation. Deshalb wurden die Konsensbezüge in einer eigenen Datenbank hinsichtlich ihrer pragmatischen Funktion differenzierter erfasst, wobei dann aber nicht unterschieden wurde, ob sie nun dem Verhandeln oder dem Argumentieren zuzuordnen waren. Überwiegend geht es dabei um Einigung, nicht um argumentative Übereinstimmung. Sach- und andere -ebenen sowie Zielbezüge wurden analog erfasst. In Übersicht 2 (im Anhang) werden einige Beispiele für Sprechaktdatensätze gegeben. Es ging in der Mediation zwar um das gesamte Abfallwirtschaftskonzept des Kreises Neuss, entscheidender Konfliktpunkt war jedoch der geplante Bau einer Restabfallverbrennungsanlage in Grevenbroich-Neurath. Aufgabe des Mediationsverfahrens war es, möglichst eine Einigung herbeizuführen hinsichtlich der einzusetzenden Restabfallbehandlungstechnik und des Standortes für diese Anlage. Außerdem sollte das Abfallwirtschaftskonzept hinsichtlich seiner Restabfallprognose überprüft werden. Zur Beantwor-

3 Die Volltextanalyse auf der Basis der Sprechaktdefinitionen wurde unabhängig von drei Kodierern vorgenommen. Alle drei waren aufgrund eines sprachwissenschaftlichen Studiums mit der Sprechakttheorie vertraut. 4 So sagt z.B. ein Mitglied der Grünen zum Oberkreisdirektor: „Sie tun jetzt heuchlerisch so, als ob Offenheit besteht [in der Standortfrage]“ (behaupten) und dann nach zweimaliger Aufforderung des Mediators: „Ich nehme es zurück“ (zurücknehmen) (1,06,11.15–07,11.20). 5 Beispielsweise diskutierten einige Teilnehmer plötzlich ausführlich die Frage, weshalb die Kreismülldeponie II vor zehn Jahren als Gruben- und nicht als Hochdeponie geplant worden war (4,184,7305–189,7510). Das hatte für die Frage der zukünftigen Müllverbrennung keinerlei Relevanz.

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tung all dieser Fragen sollten Gutachten ausgeschrieben und in der Mediation diskutiert werden. In diesem Zusammenhang sind die substanziellen Verhandlungs- und Argumentationsziele der Konfliktparteien zu sehen.6 Die beiden Hauptziele sind Eintreten für oder gegen den Bau einer Restmüllverbrennungsanlage und Eintreten für oder gegen den Standort Grevenbroich-Neurath. Eintreten gegen oder für den Bau einer biologisch-mechanischen Restabfallbehandlung ist gleichbedeutend mit bzw. das Komplement zum ersten Ziel. Daneben spielte das Ziel der Abfallmengenreduktion eine große Rolle. Eine Müllverbrennung im Kreis ließ sich nur rechtfertigen ab einer bestimmten Jahresrestabfallmenge. Die Gegner zielten deshalb darauf, die Restabfallmenge möglichst niedrig zu halten, und zwar einerseits, indem sie die Verstärkung von Müllvermeidungsmaßnahmen forderten, andererseits indem sie die Prognose statistisch herunter zu rechnen versuchten. Die Befürworter versuchten dagegen, die Restabfallprognose hoch zu rechnen. Ein weiterer Zielkomplex war die Forderung der Gegner nach zusätzlichen Gutachten zu den Vermeidungs- und Verwertungspotenzialen, den Restabfallbehandlungstechniken, standortvergleichenden Gutachten und Rechtsgutachten. Sie forderten (und bekamen) nicht nur zusätzliche Gutachten, sondern auch Einfluss auf die Fragestellung und auf die Auswahl der Gutachterinstitute. Neben diesen substanziellen Zielen scheinen in der Mediation auch politisch-strategische Ziele durch: Der Wunsch nach Zeitgewinn schlägt sich bei den Gegnern in der Forderung nach einem Moratorium der politischen Entscheidungen über das Abfallwirtschaftskonzept nieder. Seitens der Verwaltungen wurde der Wunsch deutlich, Offenheit, Flexibilität und Kooperationsbereitschaft zu demonstrieren. Die Parteien zielten auf Konfliktbeilegung vor den anstehenden Kommunalwahlen (vgl. Holzinger/ Weidner 1997; Holzinger 1996). Dazu kommen Verständigungsziele: Hier geht es um Fragen oder Argumente, die dem Zweck dienen, Missverständnisse oder Sachverhalte aufzuklären oder die zwischen anderen Sprechern vermitteln wollen. Hinsichtlich der Zuordnung von einzelnen Argumenten zu den Zielen ist noch eine letzte methodische Bemerkung angebracht. Die Ziele, Motive oder Einstellungen einzelner Sprecher lassen sich grundsätzlich nicht mit Sicherheit feststellen. Selbst wenn in einer Äußerung explizit ein Argumentations- oder Verhandlungsziel genannt wird, muss dies nicht das „wahre“ Ziel sein. Solange wir über keinen verlässlichen Detektor der Motive von Personen verfügen, sind wir auf ihre Aussagen angewiesen, die nicht wahrhaftig sein müssen. Wir haben bei unserer Zuordnung von Argumenten zu Zielen deshalb nicht versucht, die „wahren subjektiven Ziele“ des jeweiligen Sprechers zu erfassen. Wir haben ein Argument dann einem bestimmten Ziel zugeordnet, wenn es sachlich und logisch geeignet war, ein bestimmtes Ziel zu stützen.

6 Die Verhandlungsziele der einzelnen Gruppen wurden in der ersten Meditationssitzung genannt. Sie ergeben sich auch aus Dokumenten, die im Vorfeld der Mediation im Rahmen der öffentlichen Konfliktaustragung entstanden waren, und aus qualitativen Interviews mit den Mediationsbeteiligten (Holzinger/Weidner 1997: 20f.).

Verhandeln statt Argumentieren oder Verhandeln durch Argumentieren?

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4. Ergebnisse der Sprechaktanalyse 4.1 Verhandeln und Argumentieren im Interessenkonflikt Der Gesamtumfang der Transkripte von der ersten zur neunten Mediationssitzung beträgt etwa 785 Seiten (rund 1,4 Millionen Zeichen). Im Durchschnitt finden sich pro Seite 2,2 Verhandlungs- oder Argumentationssprechakte mit beträchtlich variierender Länge.7 Das erscheint auf den ersten Blick wenig, erklärt sich aber erstens aus der Kürze der Typoskriptseite (durchschnittlich rund 210 Worte) und zweitens als Ergebnis der Mündlichkeit: Füllphrasen, Satz- und Satzteilwiederholungen, Neuanläufe nach Fehlkonstruktionen usw. benötigen ebenso ihre Zeit wie das Konstruieren eines Arguments. Tabelle 1: Erfasste Sprechakte Sprechakte

Ebene

Verhandeln

Verfahren Beziehung Sachebene (konfliktbezogen)

235 19 397

Argumentieren

Verfahren Beziehung Sachebene (nicht konfliktbezogen) Sachebene (konfliktbezogen)

100 73 44 768

Konsens

Verfahren Beziehung Sachebene (konfliktbezogen)

11 1 100

alle Sprechakte

Verfahren, Beziehung, nicht konfliktbezogen Sachebene (konfliktbezogen)

Gesamt

Zahl

483 1265 1748

Die Gesamtzahl der erfassten Sprechakte beträgt 1748. Davon entfallen auf Verhandlungssprechakte 651, auf das Argumentieren 985 und auf Konsenssprechakte 112. Davon müssen allerdings noch 266 Verhandlungs-, Argumentations- und KonsensSprechakte abgezogen werden, die das Verfahren (235, 100 und 11), die Beziehung zwischen den Teilnehmern (19, 73 und 1) oder andere Themen (44) zum Gegenstand haben. Konfliktbezogenes Verhandeln (397), Argumentieren (768) und Konsenssprechakte (100) umfassen damit 1265 Sprechakte. Im Weiteren werden nur noch die Sprechakte betrachtet, die sich auf den Konflikt selbst bezogen. Nahezu alle der von uns erwarteten und definierten Sprechakte kamen auch vor.8 Da der pragmatischen 7 Nicht erfasst wurden die Vorträge der Gutachter (allerdings ihre Diskussionsbeiträge), Diskussionen, die sich auf die Begleitforschung bezogen, die Aufklärung von Missverständnissen (akustisches und sachliches Fehlverstehen), Begrüßungen und rein diskussionssteuernde Sprechakte (Thematisierung des Vorgehens). 8 Eine Ausnahme bildete zurücknehmen. Weder Angebote oder Forderungen, noch Argumente wurden jemals zurückgenommen. Der einzige Fall von zurücknehmen lag auf der Beziehungs-

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Analyse die semantische Analyse notwendig vorausgeht, wird bei der Darstellung der Ergebnisse auch auf die semantische Analyse zurückgegriffen. Derartige Ergebnisse werden durch Angabe der Fundstelle im Transkript gekennzeichnet. Tabelle 2: Verhandlungssprechakte Gruppe

Befürworter

Gegner

Mediator

20 13 10

69 3 27

20 2 28

1 16 39 0 22 38 8 0

2 2 0 5 3 18 1 3

1

Summe Prozent

Gutachter

Summe

Prozent

7 1 8

116 19 73

29 5 18

3 0 3 3 0 10 0 1

0 0 0 0 8 3 0 0

6 18 42 8 33 69 9 4

5 11 2 8 17 2 1

1

4

0

6

2

167

131

80

19

397

100

42

33

20

5

100

Sprechakt fordern anbieten vorschlagen davon: Kompromiss vorschlagen entgegenkommen versprechen drohen annehmen ablehnen zugestehen aufrechterhalten Nicht-Einigung feststellen

Betrachtet man die jeweiligen Anteile der Verhandlungssprechakte in Tabelle 2, so drängt sich der Eindruck auf, es habe sich um eine eher konfrontative Veranstaltung gehandelt: Den größten Anteil haben die Forderungen (29 Prozent), die Ablehnungen bilden mit 17 Prozent die drittgrößte Gruppe. Vorschläge (18 Prozent) haben einen neutralen Charakter. Von den „freundlicheren“ Sprechakten sind Versprechen mit immerhin 11 Prozent die größte Gruppe, gefolgt vom Annehmen von Forderungen und Vorschlägen (8 Prozent). Wie Zugeständnisse sind dies reaktive Verhandlungssprechakte. Anbieten, Kompromiss vorschlagen und entgegenkommen kommen dagegen recht selten vor. Auffallend ist, dass die Zahl der Drohungen so gering war. Explizites verbales Drohen, das in der politikwissenschaftlichen Diskussion oft als konstitutiv für Verhandeln angesehen wird (Saretzki 1996; Elster 1992: 15), kam selbst in einem offensichtlich keinem „Schmusekurs“ folgenden Verfahren nur achtmal vor. Das Gewicht der Drohungen schrumpft noch, wenn man sie sich im Einzelnen ansieht: So sind die drei Drohungen des Mediators Ausstiegsdrohungen, die in derselben Situation mehrfach geäußert werden. In derselben Situation schloss sich der BUND der Ausstiegsdrohung des Mediators an. Seitens der Befürworter wurde nie explizit gedroht.9 ebene: Eine beleidigende Formulierung wurde zurückgenommen. Außerdem kam bewerten bei den Verhandlungsprechakten nicht vor – wohl aber beurteilen bei den Argumentationssprechakten. 9 Glaubhafte Ausstiegsoptionen bewirken eine Drohung, die nicht formuliert werden muss. Gegner und Befürworter verfügten über die Ausstiegsoption, die der Befürworter war jedoch mehr wert, da auf ihrer Seite die politische Entscheidungsmacht lag.

Verhandeln statt Argumentieren oder Verhandeln durch Argumentieren?

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Tabelle 3: Argumentative Sprechakte Gruppe

Befürworter

Gegner

Mediator

Gutachter

Summe

Prozent

38 12 4 29 16 11 47 15 60 4 7 3 1

29 2 2 52 1 14 18 4 36 3 3 8 0

13 9 1 32 1 8 10 8 20 2 3 0 1

50 37 1 0 6 6 32 33 42 9 5 20 0

130 60 8 113 24 39 107 60 158 18 18 31 2

17 8 1 15 3 5 14 8 21 2 2 4


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