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Einleitung Diese Studie zielt auf eine kompositionsgeschichtliche Kontextualisierung und exemplarische Analyse der posthum veröffentlichten Orchestra Pieces (1913)1 Anton Weberns ab, die den Werkkatalog der Jahre 1911 bis 1913 im weiteren Umkreis der Fünf Stücke für Orchester op. 10 in besonderer Weise ergänzen. Die Werke entstehen in der Zeit der sogenannten ‚freien Atonalität‘2, deren kompositorischen Entwicklungen und Herausforderungen Webern sich zur Zeit seiner Kompositionstätigkeit an den Stücken für orchestrale Besetzung gegenübersieht. Die mit diesem musikalischen Phänomen verbundenen Faktoren und Sprachmöglichkeiten herauszuarbeiten, bildet die Voraussetzung für die Werkanalyse im zweiten Teil dieser Studie, welche die Orchesterstücke aus dem Vokabular und dem Verständnis ihrer Entstehungszeit heraus lesbar werden lässt. Zu den notwendigen Vorarbeiten gehört deshalb auch ein biographischer Abriss der topographischen und personalen Beziehungen des Komponisten in den betreffenden Jahren. Die Analyse des ersten der Orchestra Pieces (1913), des Orchestersatzes Bewegt, kann bereits auf ausführliche Untersuchungen in der musiktheoretischen Sekundärliteratur zurückgreifen. Es wird hier also zuvorderst darum gehen, die unterschiedlichen Analysen vorzustellen und auf ihre Stärken und möglichen Überhänge hin zu befragen. Das zweite zu untersuchende Stück, Sehr bewegte Viertel, ist in der Forschung bislang weitgehend unbeachtet geblieben und ist in seiner Gliederung und Schwerpunktsetzung durch genaue Analyse des Notentextes erst zu erschließen. Intendiert ist mit diesem doppelten Ansatz von Rezeption (Bewegt) und eigenständiger Analyseleistung (Sehr bewegte Viertel), jenes weite Spektrum Die englischsprachige Bezeichnung der Orchestra Pieces (1913) wird hier beibehalten, einerseits, weil die maßgebliche Edition US-amerikanischer Herkunft ist und zum anderen – wie zu erläutern sein wird –, weil mit dieser Bezeichnung auf den Umstand einer posthumen Kompilation hingewiesen wird, deren Aufnahme in den Werkkatalog nicht als durch Webern autorisiert gelten kann. 2 Die Problematik des Begriffs ‚atonal‘ ist dem Verfasser bewusst. Wenn der Begriff hier dennoch Verwendung findet, dann im – durch Webern selbst legitimierten – Sinne einer Abgrenzung zur Musik, bei der die „Beziehung auf den Grundton [...] ein wesentliches Fundament“ bildete; vgl. dazu auch die Ausführungen in Kapitel 1.3 sowie Anton Webern, Der Weg zur neuen Musik, Wien 1960, S. 33–39. 1
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methodischer Vielfalt in den Blick zu nehmen und zur Diskussion zu bringen, das der Musiktheorie zur Beschreibung ihres Gegenstandes eignet. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einer musikalischen Epoche, einem Komponisten und einem bestimmten Aspekt seines Werks erfolgt freilich nie ohne Vorleistung anderer. Neben den bereits angedeuteten Einzelanalysen zu den konkreten Stücken Weberns sind es vor allem die Studien von Wolfgang Martin Stroh3, Friedhelm Döhl4 und Christian Raff5, die dem Verfasser einen theoretischen Zugang zu Zeit und Phänomen der freien Atonalität eröffnet haben und deren Leistungen für die vorliegende Untersuchung dankbar rezipiert wurden. Für den Zugang zur Biographie Weberns ist die große Arbeit von Hans und Rosaleen Moldenhauer6 zu nennen. Maßgebliche Anregungen zu einer auch philosophisch inspirierten Lesart, wenn auch hier nicht immer im Vordergrund stehend, gaben die Atonalität im Allgemeinen wie die Person Anton Webern im Konkreten betreffend die Arbeiten Theodor W. Adornos.7
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Anton Webern – Eine Annäherung
1.1
Webern biographisch: 1911–1913
Zwar sind die unter dem Titel Orchestra Pieces (1913) zusammengefassten Einzelsätze aller Wahrscheinlichkeit nach ausschließlich im Jahr 1913 entstanden, sie sind jedoch Teil einer Reihe von Orchesterkompositionen, die im Zeitraum zwischen 1911 und 1913 entstanden und ihrer komposi-
Wolfgang M. Stroh, Anton Webern. Historische Legitimation als kompositorisches Problem (Göppinger Akademische Beiträge 63), Göppingen 1973. 4 Friedhelm Döhl, Webern. Weberns Beitrag zur Stilwende der Neuen Musik. Studien über Voraussetzung, Technik und Ästhetik der „Komposition mit 12 nur aufeinander bezogenen Tönen“ (Berliner Musikwissenschaftliche Arbeiten 12), München/ Salzburg 1976. 5 Christian Raff, Gestaltete Freiheit. Studien zur Analyse der frei atonalen Kompositionen A. Schönbergs – auf der Grundlage seiner Begriffe (sinefonia 5), Hofheim 2006. 6 Hans und Rosaleen Moldenhauer, Anton von Webern, Zürich 1980. 7 Theodor W. Adorno, Anton von Webern, Musikalische Schriften (Gesammelte Schriften 16), Frankfurt a. M., 1997, S. 110–125; ders., Philosophie der neuen Musik, Frankfurt a. M. 2003. 3
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torischen und technischen Form nach untereinander verbunden sind. Dazu gehören besonders die Fünf Stücke für Orchester op. 10, deren Entstehungszeitraum sowohl für den Sommer 1911 (Nummer I und IV) als auch für den Sommer 1913 (Nummer II, III und V) anzusetzen ist, aber auch eine Reihe von Orchesterstücken, die Webern laut Briefzeugnis zwar fertig stellt, von denen heute jedoch – wie im Fall der Orchestra Pieces (1913) – posthume Editionen vorliegen oder im schlechteren Fall nur noch Fragmente zugeordnet werden können. Des Weiteren treten in den Jahren zwischen 1911 und 1913 zwei Faktoren in den Vordergrund, die für diesen Lebensabschnitt Weberns insgesamt als bestimmend gelten dürfen. Es sind dies die Frage nach wechselnden Wohn- und Arbeitsorten sowie die – ob der Entfernung nach Wien bzw. Berlin durch Briefliteratur reichlich dokumentierte – Beziehung zu Arnold Schönberg, die, obwohl die Lehrzeit Weberns bei Schönberg bereits 1908 abgeschlossen ist, gerade seitens Weberns in regelmäßiger und ausführlicher Manier gepflegt wird. Methodisch muss bei der biographischen Darstellung mit eingeschränktem Werkzeug vorgegangen werden. Während der Briefwechsel zwischen Arnold Schönberg und Alban Berg bereits vor einigen Jahren ediert worden ist, steht dieser Schritt für die Korrespondenz zwischen Webern und Schönberg noch aus.8 Für die vorliegende Zusammenschau der biographischen Entwicklung wird deshalb auf Briefausschnitte aus bereits vorliegenden Publikationen zu Leben und Werk zurückgegriffen.9 Das Jahr 1911 beginnt für Webern in Danzig, wo er 1910 auf Intervention von Heinrich Jalowetz dessen Assistent als Kapellmeister am Theater geworden war. Hatte sich diese Tätigkeit zunächst erfolgversprechend angelassen – gegenüber Schönberg beschrieb er seine künstlerische und
Gleiches gilt weitgehend auch für die sonstigen brieflichen Verbindungen Weberns. Mit Ausnahme der Briefe an Heinrich Jalowetz, Hildegard Jone und Josef Humplik finden sich bislang keinerlei Veröffentlichungen; vgl. Anton Webern, Briefe an Hildegard Jone und Josef Humplik. Hg. von Josef Polnauer, Wien 1959; ders., Briefe an Heinrich Jalowetz. Hg. von Ernst Lichtenhahn (Veröffentlichungen der Paul Sacher Stiftung 7), Mainz u. a. 1999. 9 Den Schwerpunkt bildet dabei mangels vergleichbarer Arbeiten Moldenhauer 1980 (Anm. 6). Die Problematik dieser, ihren eigenen Anspruch einer ‚Entmythisierung‘ der Person Weberns nur teilweise einlösenden Studie kann an dieser Stelle nicht abschließend diskutiert werden, sei aber bei aller Wertschätzung der Verdienste Moldenhauers kritisch benannt. 8
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persönliche Lage im Oktober 1910 als „eigentlich ganz gut“ – so mischt sich schon zur gleichen Zeit in Weberns Korrespondenz eine Note, die eine gegenteilige Gemütsverfassung zu suggerieren scheint. Er sei „oft völlig verzweifelt, völlig“, wie er Alban Berg am 13. Oktober mitteilt. Mit Ende des Jahres beschreibt er seinen Gemütszustand als immer hoffnungsloser, die Arbeit am Theater macht ihn unzufrieden. Als Hintergrund dessen ist nach Einschätzung Moldenhauers Weberns Abgetrenntheit vom Wiener Kulturbetrieb zu sehen. In dieser Lethargie betreibt er Selbststilisierung, so gegenüber Schönberg am 15. Dezember: „Es gibt für den Producierenden nur eines das wichtig ist, immer wieder hervorzubringen, was dann damit ist, ist fast Nebensache.“10 Trotz guter Annahme Weberns in Danzig (unter anderem darf er neben dem Standard-Repertoire auch seine Passacaglia op. 1 dirigieren) kündigt er im Frühjahr 1911 seine Stellung, ohne dass beruflich eine Alternative greifbar wäre. Es folgt ein Aufenthalt in Berlin, von wo aus er jedoch nach Wien reist, um einem größeren Konzert beizuwohnen, bei dem unter anderem seine Stücke für Streichquartett op. 5 gespielt werden. Dieser Wienaufenthalt bringt eine Auseinandersetzung mit Schönberg mit sich, die gleichermaßen Charakterzüge von Schüler und Lehrer widerspiegelt. Allem Anschein nach hatte Webern für Schönbergs Empfinden nicht schnell genug auf einen Brief geantwortet, was der ehemalige Lehrer nun mit Argwohn und Zorn gegenüber Webern quittierte – eine Situation, die auf Weberns instabile psychische Verfassung drastisch gewirkt haben muss. Nach Schönbergs gnädig gewährter Vergebung lässt sich für die folgende Zeit eine deutliche Erhöhung der Brieffrequenz an den Lehrer ausmachen.11 Gustav Mahlers Tod am 11. Mai wird für Webern zum zentralen Ereignis im Jahr 1911. Wiederum reist er nach Wien, um dort den Begräbnisfeierlichkeiten beizuwohnen. Wie schon zuvor, bleibt auch in den Folgejahren Mahler eine der Bezugsgrößen in Weberns Musikdenken. Immer wieder unternimmt er Reisen, um Erst- oder Folgeaufführungen der SymEbd., S. 123. – Zu der im Rahmen der Gesamtpersönlichkeit Weberns fast als Normalfall zu diagnostizierenden psychischen Labilität kommt mit der Schwangerschaft seiner Frau und der nach eiliger Eheschließung im Februar 1911 erfolgenden Geburt der ersten Tochter ein weiteres Feld dazu, das Webern psychisch und ökonomisch unter Druck setzt; vgl. ebd. 11 Vgl. ebd., S. 128. 10
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phonien beizuwohnen, so unter anderem auch 1912 nach Prag – eine Reise, die freilich nicht zuletzt auch wegen des begleitenden Mahler-Vortrags von Arnold Schönberg zusätzliche Wichtigkeit für Webern erhält.12 Den Sommer des Jahres 1911 verbringt Webern auf dem Pregelhof, dem Gutshof seines Vaters. Während dieser Zeit entstehen einerseits Orchesterkompositionen, aus denen später die Stücke II und IV des op. 10 hervorgehen. Außerdem komponiert Webern unter dem Titel II. Streichquartett Teile seiner Bagatellen op. 9. Ein ihn gegen Ende dieses Sommers ereilendes Angebot einer Theaterstelle aus Graz lehnt er mit der offiziellen Begründung ab, dass die Dirigierverpflichtung, die er zu übernehmen habe, zu vage formuliert sei. Man kann allerdings mit Hans Moldenhauer auch hier wieder ein Zögern vermuten, das sich möglicherweise aus einem Nicht-aufgeben-wollen neugewonnener Freiheit (nach der Verpflichtung in Danzig) erklären lässt. Gleichzeitig nehmen in dieser Zeit Schönbergs Schwierigkeiten in Wien zu, die ihn schließlich veranlassen, der Stadt den Rücken zu kehren und sich in Berlin niederzulassen. Der Unterstützung durch Webern kann er sich dabei sicher sein. In fast fanatischer Ergebenheit lässt er seinen ehemaligen Lehrer am 11. August 1911 wissen: „Vertrauen Sie nur auf uns. Möchte es Ihnen nicht lächerlich erscheinen, was ich jetzt sage: ich glaube die Jünger Christi können nicht mehr mit ihrem Herrn gefühlt haben, wie wir mit Ihnen.“13 Der Entschluss Schönbergs, nach Berlin zu gehen, bedeutet auch für Webern eine Umorientierung – ab Oktober 1911 wohnt auch er mit Familie in der Hauptstadt des Deutschen Reiches. Ein Brief an Paul Königer vom 17. Oktober zeigt wiederum die Motivation, Schönberg möglichst nahe zu sein, in einer Art und Weise, die beinahe pathologische Züge anzunehmen scheint: „Ich wohne hier sehr schön. Ich kann mich absolut nicht beklagen ... Schönberg ist gut gelaunt. Leider wohnen wir doch ziemlich weit voneinander. 20’ Gehzeit. Fahrgelegenheit ist fast keine.“14 Kurz zuvor hatte Webern ein Angebot ausgeschlagen, am Prager Theater eine Stelle zu übernehmen. Der eigentliche Grund auch hier: Die dann fehVgl. ebd., S. 141. Ebd., S. 132. 14 Ebd., S. 135. 12 13
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lende Nähe zu seinem ehemaligen Lehrer. An ihn schreibt er: „Ich bin in Prag stundenlang herumgelaufen und habe überlegt und überlegt. Ich weiß nicht was das war ... Und dann vor allem: ich möchte bei Ihnen sein. Ich denke mir den Winter so: ich werde in der Stadt sein, wo Sie sind und werde vor allem die Auszüge Ihrer Werke machen.“15 Die Berliner Zeit Weberns ist geprägt von der Arbeit an einer Huldigungsschrift für den Lehrer, die er gemeinsam mit Alban Berg konzipiert und im Februar 1912 herausgibt.16 Gleichzeitig übernimmt Webern die Bearbeitung der vor der Veröffentlichung stehenden Orchesterstücke op. 16 von Schönberg. Der Klavierauszug für zwei Klaviere wird von Webern in den Monaten April und Mai geleistet, unmittelbar bevor ein erneuter Wohnortwechsel bevorsteht: Im Juni 1912 tritt er eine Verpflichtung am Theater in Stettin an. Der Grund, nicht erneut ein Engagement am Theater auszuschlagen, ist vor allem in der ständig bedrohlichen ökonomischen Situation Weberns zu suchen. Waren bereits vorhergehende Engagements Weberns an Theatern mit Schwüren beendet worden, solche Verpflichtungen künftig nicht mehr annehmen zu wollen, so scheint auch die in den kommenden Monaten erfolgte Tätigkeit unter keinem guten Stern gestanden zu haben. Einziger künstlerischer und persönlicher Lichtblick gleich zu Beginn der Stettiner Zeit ist die Mitwirkung Weberns an zwei Wiener Konzerten, die – noch zur Berliner Zeit geplant – neben Schönbergs Werken auch Kompositionen Weberns im Programm führen. Der in diesem Zusammenhang brieflich an Schönberg nach Berlin übermittelte Konzertbericht ist als Psychogramm lesbar, in dem sich bereits ein in den kommenden Monaten verschärft hervortretender passiver Charakterzug angelegt findet – dergestalt nämlich, dass erfahrene Anerkennung nicht angenommen wird: Alle diese Ehren, die einem da widerfahren, sind deprimierend. Ich bin mehr unglücklich als froh über so etwas. Ich spüre bei solchen Gelegenheiten um so deutlicher, wie wenig ich selber dafür kann, wenn ich wirklich etwas gutes hervorbringen sollte. Ich bin nur das Werkzeug einer höheren Macht. Ich selber bin für nichts.17
Brief an Arnold Schönberg vom 18.9.1911, ebd., S. 134. Arnold Schönberg. Mit Beiträgen von Alban Berg, Paris von Gütersloh, K. Horwitz, Heinrich Jalowetz, W. Kandinsky, Paul Königer, Karl Linke, Robert Neumann, Erwin Stein, Ant. v. Webern, Egon Wellesz, München 1912. 17 Moldenhauer 1980 (Anm. 6), S. 146. 15 16
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Dieser selbstzweifelnde Ton findet in der Folgezeit seine äußere Entsprechung in der Klage Weberns über die Arbeitsumstände in Stettin. Seine Unzufriedenheit über minderwertige Dirigierverpflichtungen bringt er gegenüber Alban Berg bereits früh in recht deutlichen Worten zum Ausdruck: Ich würde doch als Unbeteiligter ein Theater, wie dieses, wo ich jetzt bin, fliehen wie einen Pestort, und jetzt muß ich selber in der Sauce mit umrühren. Ich geniere mich oft, ich komme mir wie ein Verbrecher vor. Bei diesem übelsten Fleck der Menschheit noch mitzutun. Ich kann die Erlösung aus diesem Sumpf kaum mehr erwarten.18
Diese künstlerische Verurteilung korrespondiert wiederum mit dem Unbehagen über die eigene kompositorische Unproduktivität. Schönberg gegenüber, dem er zur erfolgreichen Uraufführung des Pierrot Lunaire gratuliert, merkt er an: „Am liebsten ginge ich einen Monat auf Erholung und dann nach Berlin, um zu komponieren, endlich wieder, seit 1½ Jahren fast.“19 Auch kurzfristige Besuche seitens Schönberg und dessen Familie können in der Folge Weberns Verfassung nicht positiv beeinflussen, vielmehr verschlimmert sich der Gesundheitszustand in der zweiten Jahreshälfte 1912 dahingehend, dass er im Januar 1913 von seinen Verpflichtungen in Stettin freigestellt wird (Webern selbst spricht von sich zuspitzenden „Nervenzustände[n]“20) und sich im Sanatorium am Semmering einschließen lässt. Einzig für die Uraufführung der Schönbergschen Gurrelieder am 23. Februar in Wien bekommt er eine Erlaubnis, die Heilanstalt zu verlassen. Dieses Erlebnis scheint immerhin einen Motivationsschub auszulösen, der Webern veranlasst, seine Orchesterstücke op. 6 für die Uraufführung zu präparieren. Diese findet schließlich statt im Rahmen des als „Skandalkonzert“ bekannt gewordenen „Novitätenkonzerts“21 am 31. März 1913, bei dem neben Weberns Orchesterstücken auch Schönbergs Kammersymphonie op. 9 und Bergs Lieder nach Ansichtskartentexten von Peter Altenberg op. 4 erklingen. Der geplante Schlusspunkt des Konzerts, MahBrief an Alban Berg vom 19.07.1912, ebd., S. 147. Brief an Arnold Schönberg vom 17.10.1912, ebd., S. 150. 20 Brief an Arnold Schönberg vom 13.12.1912, ebd., S. 151. 21 Ebd., S. 153. 18 19
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lers Kindertotenlieder, wird aufgrund der krawallartigen Situation im Saal nicht mehr gegeben. Im Verlauf des Jahres bietet sich für Webern eine neue Möglichkeit dirigentischen Engagements am Theater in Prag. Diese Position tritt er jedoch nicht an. Vielmehr begibt er sich im Spätsommer 1913 in Behandlung bei dem Wiener Psychologen Alfred Adler, um durch dessen Ansatz der Individualpsychologie seine Beschwerden in den Griff zu bekommen. Wenn sich auch Webern scheinbar zunächst dem Therapieansatz widersetzt, zeigen sich spätestens Ende September erste Erfolge, die ihm gegenüber Schönberg die Erfolgsmeldung erlauben, dass er sich „fast ausgezeichnet“22 fühle. Auf Anraten von Freunden verzichtet er dann auch nach Abschluss der Behandlung auf die Annahme der Prager Stellung. Die im Sommer begonnene Zeit eigener kompositorischer Tätigkeit setzte Webern im Herbst 1913 fort. Es entstehen nicht nur die späteren Rahmensätze der Bagatellen op. 9, sondern auch eine Reihe von Orchesterstücken. Von insgesamt elf Sätzen ist in Briefen an Schönberg die Rede.23 Darunter befinden sich u.a. die Sätze II, III und V der Fünf Stücke für Orchester op. 10. Gesichert scheint auch die Entstehung der posthum unter dem Titel Orchestra Pieces (1913) publizierten Sätze und Fragmente sowie acht weiterer Orchesterfragmente, von denen nur wenige Takte überliefert sind. Drei Beobachtungen können aus dem biographischen Aufriss festgehalten werden. Erstens lässt sich seitens Weberns für die beobachtete Zeit eine gewisse Unstetigkeit bezüglich seiner Wohn- und Aufenthaltsorte ausmachen. Die in Angriff genommene Arbeit an verschiedenen Theatern wird nach relativ kurzer Zeit wieder aufgegeben. Die Begründungen dafür lassen sich vordergründig meist im Gesundheitszustand Weberns finden. Gleichermaßen gehört hier jedoch auch eine künstlerische Unzufriedenheit benannt, die in nicht geringem Maße wohl auch mit der zweiten Beobachtung verknüpft ist: Der Beziehung Weberns zu Arnold Schönberg. Die Bewunderung Weberns für Schönberg trägt – wenn man die Briefzeugnisse auch unter Abzug des Pathetischen so interpretieren darf – Züge einer Abhängigkeit, die für Webern einzig die Konsequenz haben kann, sich in der Nähe des Lehrers und Freundes aufzuhalten. Die dritte Beobachtung betrifft die kompositorische Tätigkeit in 22 23
Ebd., S. 163. Vgl. ebd., S. 176.
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jenen Jahren: Durch die verschiedenen Arbeiten an den Theatern oder organisatorischen Beschäftigungen sowie die sich steigernde Krankheitsgeschichte scheint das eigene Werk in den Hintergrund zu treten – ein Umstand, der in Weberns Klagen über seine künstlerische Unzufriedenheit immer wieder mit benannt wird. Erst in der Mitte des Jahres 1913 scheint es zu einem Umschlag gekommen zu sein, an dessen produktivem Ende die Fertigstellung nicht nur der späteren Bagatellen op. 9, sondern auch der Orchesterstücke op. 10 und weiterer, zunächst unveröffentlichter Sätze steht. Diese werden im analytischen Teil dieser Studie wieder aufgegriffen. 1.2
Webern kompositorisch: Ein Überblick
Um die Analyse von Weberns Orchesterstücken der freiatonalen Phase in den Gesamthorizont seines Schaffens einordnen zu können, sei hier ein kurzer Überblick geboten. Dazu dient ein selektiver Durchgang durch die unterschiedlichen Schaffensphasen. Von besonderem Interesse ist der Blick auf Weberns Orchesterschaffen. Dabei wird schnell deutlich, dass der Begriff „Orchester“ bei Webern ein durchaus fließender ist und gerade in seiner Abgrenzung zu größeren kammermusikalischen Besetzungen nicht immer trennscharf wirkt. Eine Auseinandersetzung mit den kompositorischen Herausforderungen bei größeren Orchesterbesetzungen lässt sich für alle Phasen des Webernschen Schaffens ausmachen. Nicht nur sein durch Opuszahlen umrissenes Gesamtwerk, sondern auch Kompositionen aus der Zeit vor seinem Unterricht bei Arnold Schönberg, die in weiten Teilen bisher nur archivarisch zugänglich sind, wären in diesem Zusammenhang zu nennen.24 Gleichermaßen trifft dies auf verschiedene zunächst unveröffent24
Auch in diesem Kontext wird die im Biographie-Teil bereits benannte Problematik deutlich, die sich aus dem derzeit noch unangefochtenen publizistischen Primat Hans Moldenhauers im Hinblick auf Schriftstücke und Fragmente sowie unveröffentlichte Kompositionen ergibt. Versuche von Darstellungen des Gesamtwerks hängen auch Jahrzehnte nach ihrem Erscheinen immer noch von seinen Darstellungen und Einschätzungen ab; vgl. dazu auch die Hinweise bei Gertraud Cerha, Zu den Arbeiten aus dem Nachlaß Weberns, in: Ernst Hilmar (Hg.), Anton Webern 1883–1983. Eine Festschrift zum hundertsten Geburtstag herausgegeben von Ernst Hilmar mit einer Einleitung von Henri Pousseur, Wien u. a. 1983, S. 205–222.
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lichte, teils posthum oder noch gar nicht edierte Werke zu, die ebenfalls in Betracht zu ziehen sind, wenn es darum geht, einen Überblick über die Kompositionen für große Besetzungen zu erlangen. Die Auseinandersetzung mit dem Medium Orchester erfolgt dabei nicht nur in Form von reinen Orchesterstücken. Vor allem im späteren Werk finden sich überwiegend Kombinationen von Solo- oder Chorgesang und Orchester. Friedhelm Döhl hat für das Werk Weberns eine Vierteilung vorgenommen, die er wie folgt strukturiert und der die nachstehenden Ausführungen folgen: 25 1.
2. 3.
4.
Periode (bis op. 2): Auseinandersetzung mit den Vorbildern (bes. Wagner, Brahms, Mahler, der junge Schönberg). Entwicklung vom Stil symphonischer Dichtung zu instrumentalen und lyrischen Formen im kammermusikalischen Stil Brahms’ und Mahlers, zugleich mit den harmonischen und koloristischen Mitteln der neudeutschen Schule und des jungen Schönberg. Auflösung der Tonikalität, „schwebende Tonalität“. Periode (op. 3–11): Auflösung der traditionellen Formkategorien und -prinzipien. Harmonische und formale Reduktion bis auf den Einzelton bzw. das Intervall, spez. die kleine Sekunde. Die Komposition entsteht nicht mehr diskursiv, sondern konstellativ mit reduzierten Elementen, spez. mittels „chromatischer Verknüpfung“. Periode (op. 12–19): Die polyphonen Verfahren werden wieder einbezogen. Doch ist darin mit Adornos Worten „eine Rückkunft ohne Zurückweichen[“] zu sehen. Die strukturelle Konzeption des zugleich durchbrochenen und konstellativen Satzes, die sich in der 2. Periode gebildet hatte, bleibt. Ab op. 17 datiert die Auseinandersetzung mit der Zwölftontechnik. Periode (ab op. 20, 21): Webern hat zu einer eigenen Konzeption der Zwölftonreihentechnik gefunden. Die Reihe wird – oft spiegelsymmetrisch – in Einheiten von 2 bis 4 Tönen unterteilt, die gewissermaßen als „Mikroreihen“ fungieren können und eine besondere strukturelle Bedeutung gewinnen. Reihentechnische, kanonische, spiegelsymmetrische, variative Prinzipien koinzidieren in einem äußerst komplexen und zugleich transparenten Satz.
1. Periode (bis Opus 2 – 1906/07): Bekannteste Werke und Schlusspunkt der ersten Phase sind die ersten unter Schönbergs Lehrerschaft entstandenen Passacaglia für Orchester op. 1 25
Vgl. Döhl 1976 (Anm. 4), S. 123f.
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aus dem Jahr 1906 und das Chorstück Entflieht auf leichten Kähnen nach einem Text von Stefan George. Die Auseinandersetzung mit und die Vertonung von Textvorlagen zeitgenössischer Dichter, etwa auch Richard Dehmel oder Ferdinand Avenarius, ist typisch für diese Schaffensphase.26 Es entstehen eine Vielzahl von Liedern, harmonisch noch im tonikal gebundenen Duktus und einordbar, wie etwa Nachgeburt der Braut, als „Tribut an den gerade in dieser Zeit glühend verehrten Genius von Richard Wagner“27. Die 1903 entstandene Studie Siegfrieds Schwert bringt zum ersten Mal eine Auseinandersetzung mit dem größeren Orchester. Diese wird im folgenden Jahr im Stück Im Sommerwind vertieft, das mit dem Untertitel Idylle für Orchester nach einem Gedicht von Bruno Wille auf das Moment der Hingabe an die Natur als zentrales Element im Denken Weberns hinweist. Für Gertraud Cerha lässt dieses Stück bereits deutlich erkennen, „daß ein sehr begabter 21jähriger Komponist trotz der evidentellen Abhängigkeit seiner Vorstellungen von Vorbildern ein ihn aufrichtig bewegendes Anliegen mit Frische und beachtlichem satztechnischen Können in Musik umgesetzt hat.“28
2. Periode (Opus 3–11 – 1908–1913): Eröffnet wird die Phase der freien Atonalität mit zwei Zyklen von GeorgeVertonungen für Singstimme und Klavier (Opus 3 und 4). Deutlich ist, dass es in dieser Zeit zu einer „Konzentration von Aussage und Form“29 kommt, die neben dem Verzicht auf einen stukturierenden Grundton im Zeichen der Kürze zum prägenden Merkmal dieser Periode wird (siehe dazu auch den folgenden Abschnitt zu Herausforderungen in der ‚freien Atonalität‘). Es entstehen in dieser Zeit unter anderem die Fünf Sätze für Streichquartett op. 5. In den Orchesterstücken op. 6 (1909) operiert Webern zum ersten Mal unter den Vorzeichen der freien Atonalität mit einer großen Orchesterbesetzung. Auch die in dieser Arbeit folgenden analytischen Auseinandersetzungen mit den in diese Phase einzuordnenden Orchestra Die Rezeption zeitgenössischer Schriftsteller hält sich auch in späterer Zeit durch, etwa in Sechs Lieder nach Gedichten von Georg Trakl op. 14 oder den späten Vokalwerken nach Texten von Hildegard Jone (s. u.). 27 Vgl. Cerha 1983 (Anm. 24), S. 207. 28 Ebd., S. 209. 29 Ebd., S. 213. 26
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Pieces (1913) profitieren von dieser Kompositionserfahrung. Die Sechs Bagatellen für Streichquartett op. 9 sowie die Fünf Stücke für Orchester op. 10 sind als weitere Zentralwerke dieser Zeit zu nennen. Typisch ist in all diesen Werken bereits ausgebildet, was – wenn eine solche Festlegung überhaupt legitim sein kann – sich als Proprium Webernscher Kompositionskultur herausstellen lässt: Subtile Instrumentation, kleinmotivige Arbeit, eine Tendenz zur Verdichtung des musikalischen Geschehens, das meistens „am Rande des Verstummens“30 stattzufinden scheint.
3. Periode (Opus 12–19 – ab ca. 1914): Ein Blick in das Werkverzeichnis zeigt, dass Weberns Arbeiten in dieser Periode vor allem von der Auseinandersetzung mit Textvorlagen geprägt sind. Die Sechs Lieder nach Gedichten von Georg Trakl op. 14 finden sich darin ebenso wie Fünf geistliche Lieder op. 15. Die Textauswahl dabei ist vielschichtig: Einerseits die symbolistische, naturinspirierte Lyrik Georg Trakls, andererseits die geistliche Grundierung, die, wie in den Volksliedtexten der op. 15 und 17 oder, stärker formalisiert, in den Fünf Canons nach lateinischen Texten op. 16 das für die erstgenannte Gruppe an Stücken zentrale subjektive Element eher ausblendet. Kompositionstechnisch ist das letztgenannte Werk op. 16 von Interesse, weil hier die bewusste Auseinandersetzung mit einer ursprünglich im tonalen Kontext und harmonisch definierten Form stattfindet: dem Kanon. Seine Substanz unter den Vorzeichen atonaler Sinnbildung zu wahren und zu transformieren, stellt sich als Herausforderung dar, der Webern dadurch gerecht zu werden versucht, dass er neue „vertikale Instanzen“ als formbildende Legitimationen etabliert.31
4. Periode (ab Opus 20/21 – ab 1922): Aspekte der Reihenkomposition im Sinne von Schönbergs Methode der Komposition mit 12 nur auf einander bezogenen Tönen lassen sich in Weberns 30 31
Vgl. Döhl 1976 (Anm. 4), S. 153. Vgl. Eckehard Kiem, Die vertikale Instanz. Vom Sinn des atonalen Kanons in Weberns Opus 16, in: Musiktheorie 17 (2002), S. 348–359.
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künstlerischem Fortgang bereits ab dem Opus 17 ausmachen. Die zeitlich den größten Teil seines Schaffens ausmachende Phase ab ca. 1922 steht unter dem Vorzeichen eines eigenständigen Umgangs mit dieser Herausforderung. Das betrifft die Reihentechnik an sich, dann aber auch ihre individuelle stilistische Aneignung: Webern gelingt dies beispielsweise durch eine Konzentration auf die Binnengliederung der zugrunde liegenden Zwölftonreihen. Gleichzeitig operiert er mit Phänomenen der „Mikrokanonik“ und „permutatorischen Effekt[en]“32. Wichtige, orchestral besetzte Werke dieser späten Phase sind etwa das Konzert für neun Instrumente op. 24 oder die Variationen für Orchester op. 30. Die Auseinandersetzung mit Texten der Dichterin Hildegard Jone sowie die daraus resultierenden Kantaten op. 29 und op. 31 (ebenso wie die Drei Lieder op. 25 und das Melodram Das Augenlicht op. 26) verweisen auf außermusikalische Prägungen dieser Zeit. 1.3
Herausforderungen in der ‚freien Atonalität‘
Mit der Phase der ‚freien Atonalität‘, die die Musikgeschichtsschreibung weitgehend einheitlich mit Arnold Schönbergs Drei Klavierstücken op. 11 und dem Buch der hängenden Gärten op. 15 sowie korrespondierend Anton Weberns George-Vertonungen op. 3 ansetzt, verlässt die harmonische Entwicklung endgültig die Pfade einer funktionsgebundenen Harmonik im Sinne des 17. bis 19. Jahrhunderts.33 Es scheint, als sei mit der Aufgabe dieses Strukturparameters ein zentrales Identifikationsmoment westeuropäischer Tonsprache zunächst ersatzlos gestrichen. Zwar bleiben – wie nachzuzeichnen sein wird – gerade Fragen der Formgebung von Musik zumindest in der theoretischen Reflexion der Komponisten unvermindert relevant, gleichermaßen erfährt aber auch dieser Parameter eine Transformation hinsichtlich seiner Erscheinungsweise und Funktion.34 Es ist Aufgabe des folgenden Kapitels, auf den kompositorischen Stand und die
Vgl. Döhl 1976 (Anm. 4), S. 242. Wenn hier vom 17. bis 19. Jahrhundert gesprochen wird, so bezieht sich diese Grenzziehung auf im weitesten Sinne generalbassgestützte Musik. Diese Einschränkung leistet eine Abgrenzung zur modal verwurzelten Musik einerseits und zur ‚atonalen‘ Musik andererseits. 34 Vgl. als Versuch der Aufzeigung historischer Kontinuitäten Christian Berger, Atonalität und Tradition, in: Archiv für Musikwissenschaft 53 (1996), S. 183–193. 32 33
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Schwierigkeiten zu reflektieren, mit dem sich die Komponisten der Schönbergschule auseinanderzusetzen haben. Dies geschieht nicht zuletzt, um methodische Ansatzpunkte zu erarbeiten, wie mit den im zweiten Hauptteil dieser Untersuchung zu besprechenden Orchesterwerken Anton Weberns analytisch umzugehen ist. Die Herausforderung liegt dabei darin, eine Hermeneutik des Bruchs zwischen ‚tonaler‘ und ‚atonaler‘ Musik ebenso zu vermeiden wie eine vorschnell synthetisierende Ebene, die tatsächlich vorhandene Unterschiede zugunsten einer vorgeblich ,glatten‘ historischen Kontinuität weginterpretiert. Ungeachtet des großen möglichen Themenspektrums wird dabei eine Beschränkung auf die Themenfelder Harmonik (bzw. als deren horizontaler Reflex die Kontrapunktik), Form und Instrumentation vorgenommen, da in diesen Parametern die entscheidenden Weichenstellungen vermutet werden. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass die benannten Felder in sich gegenseitig bedingenden Verhältnissen stehen. Das bedeutet, dass beispielsweise Fragen der Instrumentierung die Folge von harmonischen Dispositionen sein können, ebenso wie sich Fragen der Form unter Rekurs auf veränderte Strukturvorgaben seitens der Harmonik beeinflussen lassen. Harmonik
Während die frühen, zu Zeiten der Ausbildung bei Schönberg entstandenen Stücke Weberns, namentlich die Passacaglia op. 1 und das Chorstück Entflieht auf leichten Kähnen op. 2, zumindest noch formal mit einer Harmonik operieren, die, wenn auch über weite Strecken durch Alterationen angereichert, den Gesetzen von dominantischer Spannung und tonikaler Entspannung gehorcht, kann für die Lieder op. 3 dieses Moment nicht mehr in Anspruch genommen werden. Nicht nur entfällt eine Angabe von Vorzeichen zur Bestimmung der Tonart – das gesamte System dieser Harmonik ist zur Disposition gestellt. Die Folgen dessen sind ebenso gravierend wie schwierig einzufangen. Letzteres liegt zunächst an dem Umstand, dass die sonst ausgezeichnete Überlieferungssituation auch theoretischer Reflexionen der Komponisten der Wiener Schule gerade für diese Zeit nicht in Anspruch genommen werden kann. Obwohl beispielsweise Schönberg neben ausgiebiger Unterrichtstätigkeit mit mindestens
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zwei gewichtigen Publikationen zum Thema Harmonielehre/Harmonik aufgetreten ist, ist gerade die hier in den Blick genommene Zeit des Umbruchs in musiktheoretischen Primärquellen kaum beschrieben. Christian Raff stellt den Zustand wie folgt dar: Es gibt nur wenige Hinweise aus erster Hand, wie hier einzelne Zusammenhänge, deren Verbindung und deren Anordnung zu größeren Verläufen organisiert werden. Schönbergs Harmonielehre von 1911 endet ungefähr beim Stand der Kammersymphonie op. 9 (1906). Diese ist noch auf ein tonales Zentrum ausgerichtet, verwendet aber bereits die neuartigen Ganztonklänge und Quartenakkorde. Für die Zeit danach gibt es nur spärliche Anhaltspunkte. Erst mit der Einführung der Zwölftontechnik scheinen die Verhältnisse wieder klarer zu sein.35
Eine Untersuchung der harmonischen Disposition freiatonaler Stücke könnte ihren Ausgang nehmen an den letzten ‚tonalen‘ Stücken und sich ‚vorantastend‘, also chronologisch vollziehen. Dies erforderte allerdings einen organischen Entwicklungsbegriff, der nicht zuletzt deshalb schwer präzisierbar erscheint, als für die Komponisten selbst der Übertritt ein Suchen in bislang unbeschrittenem Terrain darstellt, in dem aus dem Kompositionsprozess heraus eine systematische Einsichtnahme und Reflexion nur schwer vorstellbar ist.36 Die Adornosche Rede von der „Intensität“, die den aphoristischen Stücken der freien Atonalität den Charakter einer „Totalität“37 verleihe, tangiert auch den Bereich der Harmonik.38 Vgl. Raff 2006 (Anm. 5), S. 18; Raff fährt fort: „Tatsächlich aber ist die Frage nach der ‚Logik‘ der Zusammenklänge und ihrer Verbindung hier nicht weniger problematisch als in der freien Atonalität.“ 36 Dem steht freilich nicht entgegen, dass es in der komponierten Musik dieser Zeit selbst Momente gibt, die als Eckpfeiler einer solchen Entwicklung herauszustellen wären; vgl. dazu exemplarisch die analytischen Überlegungen bei Almut Pöppe, Vergleichende Beobachtungen zum Übergang in die frühe Atonalität an Schönbergs Streichquartett op. 10 und an ausgewählten Werken Alban Bergs (wiss. Arbeit im Rahmen der künstlerischen Prüfung für das Lehramt an Gymnasien 2008, einsehbar in der Bibliothek der Hochschule für Musik Freiburg i. Br. unter der Signatur Sby Poepp). 37 Vgl. Adorno 1997 (Anm. 7), S. 116. 38 Vgl. Döhl 1976 (Anm. 4), S. 152. 35
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Auch die ‚nachgeborene‘ Musikwissenschaft hat bisher keine erschöpfende systematische Untersuchung zur Harmonik der freien Atonalität in der Wiener Schule geliefert. Unter anderem bei Friedhelm Döhl39 und Mark Delaere40 finden sich jedoch Ansatzpunkte, wie dieses Feld für die Musik Weberns in Angriff genommen werden kann. Vergleichend hinzugezogen wird außerdem der Versuch Christian Raffs im Hinblick auf die Harmonik Schönbergs, um die Perspektive des Vergleichs zu erweitern. Auflösung der Tonikalität Wichtigste Tendenz im Werk Weberns (und freilich auch in dem seiner Mitstreiter Schönberg und Berg) erscheint im Schritt zur freien Atonalität der Bedeutungsverlust systemkonstituierender und -strukturierender Grundtöne.41 Hatte sich die spätromantische Tonsprache partiell zu einer Möglichkeit der mehrdeutigen Lesart akkordischer Klänge bekannt (Wagners Tristanakkord ist hier als prominentestes Beispiel zu nennen), so wird dieses Vorgehen mehr und mehr zum Prinzip.42 Eng damit verknüpft ist die Frage nach Wirkweise und Funktion der Chromatik. Die „Leittönigkeit“ kleiner Sekunden und die durch deren implizites Strebemoment geleistete Stabilisierung tonikaler Zentren tritt zurück zugunsten einer autonomen Expressivität einzelner Klangereignisse, seien es einzelne Töne oder Intervalle. Döhl spricht in diesem Zusammenhang von einer „mehr statische[n] als dynamische[n] Funktion Vgl. ebd. Vgl. Mark Delaere, Funktionelle Atonalität. Analytische Strategien für die freiatonale Musik der Wiener Schule (Veröffentlichungen zur Musikforschung 14), Wilhelmshaven 1993. 41 Von einem vollständigen Wegfall der Grundtonbeziehung zu sprechen ist heikel, da nicht zuletzt Arnold Schönberg eine Vielzahl seiner ‚atonalen‘ Klänge aus einer Weiterentwicklung des Dur-Moll-Systems gewinnt. Diesen Umstand sich bewusst zu halten, kann hilfreich sein für das Verständnis der (theoretischen und kompositorischen) Legitimation dieser Klänge, auch wenn das klangliche Ergebnis oft freilich nur noch entfernt an derartige Ursprünge gemahnt; siehe dazu unten „Konstruktion statt Funktion“ bzw. die Gesamtanlage in Arnold Schönberg, Harmonielehre, Wien 2010 (11911). 42 Vgl. Döhl 1976 (Anm. 4), S. 129f. 39 40
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Abb. 1.1: Webern, op. 6/V, T. 19 (Döhl, Webern, S. 137)
der Chromatik“43 und sieht diese Tendenz bei Webern bisweilen durch korrespondierende rhythmische „Irrationalität[en]“44 verstärkt, wie etwa im Orchesterstück op. 6/V (vgl. Abb. 1.1). Konstruktion statt Funktion War die Harmonik des tonikalen Systems grundsätzlich an die Terzschichtung als technisches Unterscheidungskriterium für die Definition von Spannungs- und Lösungsklängen gebunden, so wird diese Maßgabe spätestens in der freien Atonalität konsequent aufgeweicht und aufgelöst. Schönberg entwickelt seine Ganzton- und Quartenakkorde zwar auch in konsequenter „Erweiterung der Funktionsharmonik“,45 z. B. durch „Alterierung aus dem Terzensystem“,46 gleichzeitig erhält das konstruktive Moment in vertikalen Klangzusammenhängen eine größere Eigenständigkeit als zuvor. Die „relative Unabhängigkeit vom Leittonstreben ermöglicht die Besinnung auf die Intervallstruktur der Akkorde“.47 Dies führt zu einem Paradigmenwechsel, bei dem „[a]n die Stelle sukzessiver (funktionaler) Harmonik [...] eine konstellative (afunktionale) Harmonik [tritt].“48 Bereits in Weberns erstem publizierten frei-atonalen Stück scheint diese Tendenz hervor. Der viertönige Anfangsakkord des
Ebd., S. 137. Ebd. 45 Ebd., S. 140. 46 Vgl. Schönberg 2010/1911 (Anm. 41), S. 483; zum Gesamtzusammenhang vgl. das Kapitel Schönbergs über „Quartenakkorde“, ebd., S. 477–490. 47 Vgl. Döhl 1976 (Anm. 4), S. 138. 48 Ebd., S. 139. 43 44
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Abb. 1.2: Webern, op. 3/I, T. 1 Dies ist ein Lied, Klavierstimme
op. 3/I Dies ist ein Lied ist u. a. durch spiegelbildliche Symmetrie frei von tonikal-funktionalen Spannungstendenzen und „ist in beide Richtungen gleich sinnvoll“49 (vgl. Abb. 1.2). Zu nennen ist in diesem Zusammenhang auch ein Vorgang, der im Kontext einer konstellativen Lesart harmonischer Prozesse zu verstärkter Bedeutung kommt und gleichzeitig paradigmatisch die Verknüpfung von Melodik, Harmonik und formbildenden Strukturen beschreibt: In verstärktem Maße lässt sich die Harmonik durch melodische – oder, mehrstimmig gedacht: kontrapunktische – Strukturen legitimieren. Das heißt, dass Klänge ihre vertikale, gleichzeitige Struktur aus dem Zusammen49
Ebd., S. 132; „Bemerkenswert ist die Intervallstruktur des Viertonakkordes: zwei Großterzintervalle h–es (der Notation nach eine verminderte Quarte) und b–d, verbunden durch das Quintintervall es–b. Man könnte (wenn dem nicht die Notation und der Kontext widersprächen) von einem bitonikalen Akkord aus H-Dur und B-Dur-Terz sprechen. Doch verwiese man damit nur auf eine eventuelle historische Voraussetzung des Akkordes. Kompositorische Konsequenzen derart, dass nun anstatt in einer tonikalen Ebene in zwei tonikalen Ebenen gedacht würde, hat die versteckte Bitonikalität des Akkordes nicht. Wichtiger ist die Beobachtung, daß die tonikale Assoziation der Intervalle, d. h. die Durhaftigkeit der großen Terzen bzw. die Leittonhaftigkeit der kleinen Sekunden (h–b und es–d) durch die klangliche Simultaneität aufgehoben wird. Zudem sind die kleinen Sekunden in vertauschter Lage als große Septimen gebracht. Man könnte den Akkord daher auch als zwei ineinander geschobene Septimen auffassen. Die Verbindung von Terz und Halbton bzw. Halbtonderivat (wobei die Terz die Leittonhaftigkeit des Halbtons und der Halbton die Dreiklangsassoziation der Terz neutralisiert) ist für den musikalischen Expressionismus insgesamt, in der methodischen Konsequenz aber vor allem für Webern charakteristisch.“
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ziehen horizontaler Motive beziehen und, als verwandte Klangkonstellationen erkennbar, sich auf jene beziehen lassen.50 Chromatische ‚Auffüllung‘ Eine weitere Tendenz zur Schaffung neuer harmonischer Strukturen findet sich im Ansatz, „einen bestimmten Tonraum chromatisch auszufüllen“.51 Klangliches und kompositorisches Ziel hierbei ist wiederum der Versuch einer ‚Neutralisierung‘ eventuell (bi-)tonikal lesbarer und zu hörender Klänge.52 Eine ähnliche Funktion ist auch dem Einsatz von spezifischen Dreitonkombinationen zuzuschreiben. Sie dienen als Schritt zur Vermeidung von tonikalen Wirkungen, da die Zusammenfassung von drei distinkten Tönen im Unterschied zum an sich zunächst funktionslosen Zweitonintervall eine Definition der harmonischen Tendenz dieser Konstellation erlaubt. Dies ist so zu verstehen, dass beispielweise eine große Terz an sich noch keine harmonische Funktion im tonikalen System innehat. Erst durch die Hinzufügung eines dritten Tones, etwa einer Quinte vom Grundton aus betrachtet, wird sie zum Durakkord und damit funktional lesbar. Die Ergänzung nach unten zum Mollakkord determiniert den Klang ebenso dahingehend, dass seine Funktion keine dominantische sein kann. Eine hinzugefügte zweite Großterz hingegen ermöglicht die Lesart im Sinne einer alterierten Dominante.53 Vgl. die Ausführungen bei Raff 2006 (Anm. 5), S. 21ff., der diesen Zusammenhang exemplarisch an Schönbergs Kammersinfonie op. 9 aufzeigt. 51 Vgl. Döhl 1976 (Anm. 4), S. 143. 52 Vgl. ebd., S. 144; Döhl präzisiert: „Freilich sind die Begriffe ‚chromatische Ausfüllung‘ und ‚chromatische Umklammerung‘ nur provisorische Hilfsmittel der Analyse, um zu zeigen, wie auch im Melodischen die tonikale Assoziation der Töne und Intervalle durch chromatische Beziehungen aufgehoben wird. Umgekehrt scheint auch das chromatische Intervall durch vollständige oder unvollständige Umklammerung bzw. durch Beigesellung nicht-chromatischer Intervalle neutralisiert.“ 53 Vgl. ebd., S. 144–152; für die Zeit der freien Atonalität beschreibt Döhl diese Art der Kombinatorik als eine präreflexive: „Freilich darf man nicht folgern, daß Webern die Struktur dieser Werke bewußt aus Dreitonkombinationen [...] entwickelt hat. Vielmehr wird die Tatsache, dass diese Typen [systematischer Gruppierung, D. S.] besonders häufig sind, aus seinem generellen Streben nach einem im Detail schon atonikalen Tonsatz zu erklären sein. Erst nach einem langen Prozeß komposito50
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Genau diese Lesarten werden bei Webern durch Integration von ehemals dissonanten Intervallen, vornehmlich der kleinen Sekunde und ihrer Komplemente und Oktaväquivalente, in großem Umfang eliminiert. Dies ist in den Stücken der freien Atonalität kein zwingendes Prinzip, findet sich bei Webern aber in vielen Stücken dieser Periode in konstruktiver Manier durchgeführt. Ein Durchgang durch die Bagatelle op. 9/I wie in Abb. 1.3 macht das deutlich. Jeder Einzelton ist durch einen direkten Halbtonanschluss bzw. durch eine große Septime oder kleine Non an mindestens einen seiner Nachbartöne angebunden. Im Hintergrund dieser Tendenz zur Chromatik ist die Orientierung am gesamten Material der zwölf Töne zu sehen. Dies kann für die Zeit der freien Atonalität freilich noch nicht im Sinne dodekaphonaler Durchorganisation gelten, auch wenn nachträgliche Äußerungen Weberns eine solche Interpretation nahelegen.54 Auch ohne reihentechnische Legitimation ist das Bestreben erkennbar, vertikal und horizontal erklingende Tonfelder in ihren Spannungsgehalten durch komplementäre Ergänzungen zum von Adorno erstmals so bezeichneten „virtuellen Zwölfklang“55 auszugleichen: In der komplementären Harmonik ist jeder Klang komplex gebaut: er enthält seine eigenen Töne als selbständige und unterschiedene Momente des Ganzen, ohne ihre Differenzen nach Art der Dreiklangsharmonik ver-
rischer Erfahrung erscheinen dann im Spätwerk Dreitongruppen dieser Art als bewußt gesetzte Struktureinheiten.“ (Ebd., S. 150) – Zum durchdringenden methodischen Organisations- und Analyseprinzip erhoben wird diese Lesart in der Pitch Class Theory Allen Fortes, siehe dazu die Diskussion entsprechender Analysen im zweiten Hauptteil dieser Untersuchung. 54 Vgl. Webern 1960 (Anm. 2), S. 55: „Ich habe dabei das Gefühl gehabt: Wenn die zwölf Töne abgelaufen sind, ist das Stück zu Ende. Viel später bin ich darauf gekommen, daß das alles im Zuge der notwendigen Entwicklung war. Ich habe in meinem Skizzenbuch die chromatische Skala aufgeschrieben und in ihr einzelne Töne abgestrichen. – Warum? – Weil ich mich überzeugt hatte: der Ton war schon da. – Es klingt grotesk, unbegreiflich, und es war unerhört schwer. – Das Gehör hat absolut richtig entschieden, daß der Mensch, der die chromatische Skala aufgeschrieben und in ihr einzelne Töne abgestrichen hat, kein Narr war. [...] Mit einem Wort: es bildete sich eine Gesetzmäßigkeit heraus: Bevor nicht alle zwölf drangekommen sind, darf keiner von ihnen wiederkommen. Das Wichtigste ist, daß das Stück – der Gedanke – das Thema – durch die einmalige Abwicklung der zwölf Töne einen Einschnitt bekommen hat.“ 55 Vgl. Adorno 2003 (Anm. 7), S. 80. 53
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Erläuterung: – gerade Linien stellen die üblichen Halbtonverknüpfungen dar – punktierte Linien deuten auf eine zusätzliche Verknüpfung hin, die jedoch für die „Stimmigkeit“ des Satzes nicht unbedingt notwendig ist – umkreiste Töne erfüllen notwendigerweise eine doppelte Neutralisierungsfunktion – Bogen + Ton zwischen Klammern = Überbindung
Abb. 1.3: Vertikale und horizontale chromatische Verknüpfung in Webern op. 9/I (Delaere, Funktionelle Atonalität, S. 69)
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schwinden zu machen. Das experimentierende Ohr kann sich nun im Raum der zwölf Töne des Chromas der Erfahrung nicht entziehen, daß jeder dieser komplexen Klänge grundsätzlich zur sei’s gleichzeitigen, sei’s sukzessiven Ergänzung diejenigen Töne der chromatischen Skala verlangt, die in ihm selber nicht vorkommen.56
Damit gilt auch für die harmonische Sprache der freien Atonalität das, was das ebenfalls von Adorno zur Geltung gebrachte Schönbergsche Diktum vom „Triebleben der Klänge“57 in Bezug auf die musikalische Vorgänge insgesamt aussagt. Bewertung Vorgehendes Referat bespricht vor allem negativ die tonalen Veränderungen im Sinne einer strikten Abgrenzung und Reinigung des harmonischen Geschehens von jeglichen tonikalen Restbeständen. Diese bleiben – zitathaft bewusst oder auch willkürlich im melodischen Geschehen entstehend – aber freilich nach wie vor Teil des klanglichen Repertoires, wenn auch funktional weitgehend entwertet. Positiv formuliert ist es jedoch „eine ungeheure Vielfalt an Zusammenklängen“,58 die für die harmonischen Möglichkeiten der freiatonalen Musik in Anschlag gebracht werden kann. Die Bemerkungen zur Harmonik der freien Atonalität sind auch keinesfalls im Sinne einer Klage über die harmonische Nicht-Analysierbarkeit frei-atonaler Stücke zu lesen. Die Bedingungen jedoch sind verschärft und der Anspruch komplex – gilt es doch für die Analyse, bei aller rudi-
Ebd.; die Formulierung Adornos ist auch im Sinne seines durchgreifenden dialektischen Interpretationsprinzips der neuen Musik zu lesen: Das Erklingen verweist auf das Fehlende und umfasst somit in der Negation aufhebend das Ganze bereits mit. 57 Ebd., S. 82; Adorno bringt die Formulierung in mahnender Absicht, um auf die Gefährdung dieses harmonischen Eigenzuges durch reihentechnische Limitierung in der Zwölftontechnik zu verweisen. Hier sieht er einen „Primat der Linien“, der „die Klänge verkümmern“ lässt (ebd., S. 83). 58 Vgl. Raff 2006 (Anm. 5), S. 36; zum harmonischen Repertoire der frühen (freien) Atonalität zählt Raff: „... vereinzelt tonale Klänge (Dur-, Moll-, Sept- und Nonenakkorde), ... traditionelle ‚vagierende Akkorde‘ wie z. B. der übermäßige und der verminderte Dreiklang[,] ... Ganztonklänge und (alterierte) Quartenakkorde[,] ... neuartige Zusammenklänge der verschiedensten Art“ (ebd., S. 34). 56
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mentären und momenthaften Konvention, die dem jeweiligen Stück eigene harmonische Sprache zu extrahieren und aufzubereiten. Auf die Kreation eigener Maßstäbe für die Verstehbarkeit harmonischer Prozesse kann dabei nicht verzichtet werden. Formenlehre
„Über die Formen der Klassiker sind wir nicht hinaus. Was später gekommen ist, war nur Veränderung, Erweiterung, Verkürzung – aber die Formen sind geblieben – auch bei Schönberg!“59
Das Zitat Weberns scheint deutlich. Analytische Fragen nach der formalen Struktur von Kompositionen der Wiener Schule dürfen sich an den Maßstäben orientieren, in denen die Komponisten selbst gedacht und konzipiert haben. Die bereits für die Entwicklung der Harmonik in Anschlag gebrachte Legitimation aus historischen Konventionen heraus wird für Fragen der „Form“ im Bereich der theoretischen Reflexion im Sinne einer Rückbindung – freilich teilweise in ihren Überspitzungen auch mit der Intention apologetischer Rückversicherung – an die klassischen musikalischen Formen und Formbegriffe gleichermaßen akut. Im Falle Schönbergs und Weberns ist dies besonders dokumentiert durch (teils Fragment gebliebene) Lehrwerke Schönbergs60 und die im Jahr 2002 veröffentlichten Mitschriften aus dem Webernschen Schülerkreis.61
Vgl. Webern 1960 (Anm. 2), S. 37. Vgl. z. B. Arnold Schönberg, The Musical Idea and the Logic, Technique, and Art of its Presentation, New York 1995; Arnold Schönberg, Structural Functions of Harmony, London/Boston 1969 (hier insbesondere Kapitel XI „Progressions for Various Compositional Purposes“). – Die Formenlehre Schönbergs in ihren Denkfiguren und Begriffen kann als schul- und stilbildend für das 20. Jahrhundert gelten, wenn man etwa die Arbeiten des Schönbergschülers Erwin Ratz auf ihre Verankerung in der Unterrichtstätigkeit Schönbergs hin liest; vgl. Erwin Ratz, Einführung in die musikalische Formenlehre, Wien 31973. 61 Neil Boynton (Hg.), Anton Webern, Über musikalische Formen. Aus den Vortragsmitschriften von Ludwig Zenk, Siegfried Oehlgiesser, Rudolf Schopf und Erna Apostel, Mainz u. a. 2002. 59 60
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Bedeutung für die Komponisten Die Wichtigkeit dieses Bereichs musikalischer Konzeption und Analyse für die Komponisten selbst spiegeln quantitative und inhaltliche Beobachtungen ihrer Unterrichtstätigkeiten wider. Im Falle Weberns ist eine enge Verzahnung von Formanalyse und Kompositionsunterricht zu beobachten. Im Zeugnis für seinen Schüler Ludwig Zenk vermerkt er, dieser habe „das Studium der ‚Formenlehre (Komposition)‘ abgeschlossen.“62 Verschiedene Zitate aus dem Umfeld unterstreichen diese Präferenz. Erwin Ratz z. B. schreibt: „Schönberg erklärte immer, das sichere Formgefühl ließe sich nur an den Werken der Klassiker erwerben; ohne über ein solches zu verfügen, wäre man niemals imstande, bei einer in einem neuen Stil gearbeiteten Komposition zu entscheiden, was richtig und was falsch ist.“63 Schwierigkeiten Ungeachtet dieser Wichtigkeit sind jedoch gerade für die Periode freier Atonalität systematische Untersuchungen zur Formenlehre selten. Es scheint eine gewisse Sprachlosigkeit zu herrschen, wenn es darum geht, Aussagen über die Gestaltung der Kompositionen in formaler Hinsicht zu treffen. Hartmut Krones z. B. weicht der technischen Seite der Frage nach der Form in der freien Atonalität weitgehend aus und beschreibt psychologisierend „Handlungsverläufe“,64 die den Kompositionen Weberns dieser Zeit unterliegen. Erst für die Zeit der Dodekaphonie gelingt es ihm wieder, in Formbegriffen kompositionstechnischer Couleur zu sprechen. Dieser Tatbestand ist auf der anderen Seite nicht verwunderlich, wenn man berücksichtigt, dass es gerade die von Webern benannten „Veränderung, Erweiterung, Verkürzung“65 sind, die traditionelle Formmomente bis zur Unkenntlichkeit modifizieren. Auch das Gebot Schönbergs einer ständigen Variation auf motivisch-gestalthafter Ebene macht bei allem BeZit. nach ebd., S. 27. Zitiert nach ebd., S. 24. 64 Zit. nach Hartmut Krones, Webern, Anton Friedrich Wilhelm (von), in: MGG2 Personenteil 17 (2007), Sp. 586–622, hier: Sp. 612. 65 Vgl. Webern 1960 (Anm. 2), S. 37. 62 63
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mühen um einen organischen Zusammenhang ehemals über diese Parameter lesbare Zusammenhänge schwieriger zu rezipieren.66 Das Problem der „kurzen Form“ Ein weiteres kommt hinzu: Bei allem Bemühen um eine Legitimation musikalischer Formen aus dem klassischen Repertoire heraus ist für die Phase der freien Atonalität insbesondere eine extreme Verknappung auch der zeitlichen Ausdehnung der Kompositionsformen festzustellen.67 Am gravierendsten äußert sich das in Weberns Bagatellen op. 9 sowie in dessen Orchesterstücken op. 10 und den Kompositionen des Umfelds. Die Bagatellen sind zwischen acht (II/IV) und dreizehn (V) Takten lang, op. 10/IV gilt mit sechs Takten als das kürzeste Stück der gesamten Orchesterliteratur. Hier finden sich musikalische Aussagen jeweils auf wenige Takte konzentriert derart, dass „jeder Blick [...] zu einem Gedicht, jeder Seufzer zu einem Roman [sich] ausdehnen [lässt]“.68 Im Hintergrund dieses Hangs zur Kürze steht die innere Notwendigkeit und das Empfinden der Komponisten, „daß nur das Notwendigste, und zwar in notwendiger Form gesagt werden soll.“69 Arnold Schönberg bettet die Forderung nach Kürze ein in ein ästhetisches Gesamtkonzept von „Form“: […] the higher an artistic idea stands, the greater the range of question, complexes, associations, problems, feelings and so on it will have to cover, and the better it succeeds in compressing this universality into a minimum of space, the higher it will stand.70
Schönbergs Prinzip der ‚entwickelnden Variation‘ begründet sich v. a. aus der Formensprache Brahms’ und zielt auf „the construction of a theme (usually of eight bars) by the continuous modification of the intervallic and/or rhythmic components of an initial idea.“ (Walter Frisch, Brahms and the Principle of Developing Variation (California Studies in 19th Century Music 2), Berkeley and Los Angeles and London 1984, S. 9.); vgl. Arnold Schönberg, Brahms the Progressive, in: Style and Idea. Selected Writings of Arnold Schönberg. Edited by Leonard Stein with translations by Leo Black, London and Boston 1984, S. 398–441. 67 Vgl. zum Problem der „kurzen Form“ einführend auch Simon Obert, Musikalische Kürze zu Beginn des 20. Jahrhunderts (BhzAfMw 63), Stuttgart 2008. 68 Vgl. Schönberg 1984 (Anm. 66). 69 Vgl. Döhl 1976 (Anm. 4), S. 153. 70 Arnold Schönberg, Theory of Form (1924), in: Style and Idea. Selected Writings of Arnold Schönberg. Edited by Leonard Stein with translations by Leo Black, London and Boston 1984, S. 253–255, hier: S. 254. 66
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Wolfgang Martin Stroh erklärt die Kürze „rein kompositionstechnisch [...]: Weberns Art der totalen Materialorganisation und das Gebot der ‚Unwiederbringlichkeit des Details‘ (eine Folge der Atonalität) erzwingen größte Knappheit der Form.“71 Für die Frage nach der Gestaltung musikalischer Formen im Sinne klassischer Überlieferung bedeuten diese Vorgaben die Notwendigkeit einer Transformation ihrer Begriffe. Teilweise bis in die formale Unkenntlichkeit reduziert, kann man davon sprechen, dass vor allem die strukturierenden Großformen wie Liedformen für die Zeit der freien Atonalität vor allem auf der Ebene einer Typik präsent sind, die Anklänge an inhärente Prinzipien wie z. B. der Entwicklung zulässt und einfordert, gleichzeitig aber ihre Funktion in der Bereitstellung eines Raumes komprimierter musikalischer Expressivität hat. Konsequenzen für die Analyse(sprache) Christian Raff hat für Schönbergs Musik eine Untersuchung „auf der Grundlage seiner Begriffe“ geleistet und dabei überwiegend Fragen nach dem Formzusammenhang bearbeitet. Dabei kommt er zu dem vorläufigen Ergebnis, dass ein Teil ihres Sprengstoffs [der Schönbergschen Musik der freien Atonalität, D. S.] gerade darin [liegt], daß hier aus traditionellen Wurzeln – sei es in harmonischer, sei es in motivisch-thematischer oder anderer Hinsicht – etwas bis dato ‚Unerhörtes‘ (im doppelten Sinne des Wortes) hervorgeht, das der Komponist Note für Note aus der Tradition zu ‚legitimieren‘ in der Lage wäre.72
In welchem Maße „die vorgelegten Ergebnisse auch [...] für die frei atonale Musik anderer Komponisten relevant sind“,73 bleibt ein zu klärender Über-
Vgl. Stroh 1973 (Anm. 3), S. 67; so hilfreich die analytischen Formulierungen Strohs sind, so entschieden fragwürdig scheinen doch manche seiner – zeitbedingten? – ideologischen Interpretationen der Webernschen Musik, die er im Duktus der Kritischen Theorie als Ausdruck gesellschaftlicher Determination von Mensch und Material deutet. 72 Vgl. Raff 2006 (Anm. 5), S. 322. 73 Ebd.; deutlich scheint, dass das Phänomen der konzentrierten Kürze bei Webern in deutlicherer Gestalt auftritt als bei Schönberg und entsprechende Konsequenzen für Fragen der Form noch schärfer zeitigt. 71
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hang. Vermittelnd kann ein Vorschlag von Carl Dahlhaus aufgegriffen werden, der eine Möglichkeit anbietet, wie mit Fragen von Form und Tradition in grundsätzlicher Weise umgegangen werden kann: Die Schemata werden als Versuchsanordnungen benützt; und das Ziel der Analyse ist nicht die Darstellung eines Werkes im Hinblick auf eine Formidee, sondern gerade umgekehrt die Aufhebung des allgemeinen Schemas in der Beschreibung des Einzelfalls. Die Begriffe, die einer Analyse zugrunde gelegt werden, sprechen nicht das Wesen des Werkes aus, zu dessen Darstellung sie dienen, sondern sind ein Umweg zur Anschauung des Individuellen.74
Es muss also darum gehen, ‚klassische‘ Begriffe der Formenlehre in ihrer speziell atonalen Funktion wahrzunehmen. Für die Musik Anton Weberns, die freiatonale im Besonderen, gilt die Frage nach der Adaptierbarkeit von Begriffen jedoch verschärft, zeichnet sie sich doch über weite Strecken durch eine Struktur aus, die ihre Eigenheit aus dem Spiel mit Rudimenten gewinnt, das alle definierte Form zu unterlaufen scheint. Die im Folgenden vorgestellten analytischen Termini Phrase, Gestalt und Motiv scheinen jedoch in ihren (Schönberg entlehnten und von ihm kommentierten) Definitionen für die Analyse der Orchestra Pieces (1913) sinnvoll und angebracht.75 Zur Phrase führt Schönberg aus: Eine Phrase ist (meist auch für den Vortrag (Phrasierung) maßgebend, hier aber lediglich kompositionell betrachtet) die mehr oder weniger verbundene Aneinanderreihung von Gestalten, Motivverwandlungen und Motiven. Sie ist meistens so abgegrenzt, dass man nach ihrem Ende eine Cäsur denken könnte und hat meistens ein Betonungs-Centrum. Oft aber finden sich auch ineinander-übergehende, miteinander verschmolzene Phrasen. Der Abschluss einer Phrase kann harmonisch charakterisiert sein, aber auch rhythmisch, durch Verbreitung oder Konzentration, (Halbschlüsse etc.), Wechsel von weiblichem und männlichem Schlussfall, dynamisch durch kontrastierendes Fallen oder Steigen der Tonstärke etc. [...]
Carl Dahlhaus, Über das Analysieren Neuer Musik, Schönberg und andere. Gesammelte Aufsätze zur Neuen Musik , Mainz u. a. 1978, S. 160–171, hier: S. 165, zit. nach Delaere 1993 (Anm. 40), S. 29. 75 Schönbergs Definitionen haben insofern einen umfassenden Charakter, als sie sich gleichermaßen auf ‚tonale‘ und ‚atonale‘ Musik beziehen. Dieser erklärt sich aus der für Schönberg unbedingt geltenden organischen Kontinuität des musikalischen Diskurses, wie er auch schon für das Feld der Harmonik benannt wurde. 74
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Schuldefinition: Eine Phrase besteht meist aus mehr als einer Form des grundlegenden Motivs. Manchmal wird eine Phrase wie ein Motiv verwendet.76
Die Definition kann in dieser Form auch für Weberns Musik übernommen werden, jedoch immer unter der Fragestellung, ob angesichts des oft fragmentarisch-aphoristischen Gehalts, der Weberns musikalischen Ausdrücken innewohnt, nicht der Vorbehalt der Einzelfallprüfung unbedingt zu gelten hat.77 Mit Blick auf die Gestalt hält Schönberg fest: Eine Gestalt besteht in der Regel aus mehr als einer Anführung des Motivs. Oft sind es auch verschiedene Formen des Motivs (z. B. Umkehrung oder Vergrößerung oder Verkleinerung des Intervalls oder auch beides, rhytmische [sic!] Erweiterung oder Kontraktion) oft aber besteht sie auch bloß aus einer Motiv-Kette. Jedenfalls wird eine Gestalt charakteristische Eigenschaft haben müssen um ihren Namen zu rechtfertigen: Ein auffallendes Intervall, oder eine Intervallfolge, oder einen [auffallenden] Rhythmus [oder eine] Rhythmus[folge]. Eine Gestalt muss nicht notwendigerweise mehr als lokale Bedeutung haben.78
Daraus abgeleitet, aber unterschieden werden kann der Begriff der Grundgestalt, ihre Definition lässt Überschneidungen mit dem Motiv zu: Grundgestalten sind solche Gestalten, welche (womöglich) im ganzen Stück immer wieder auftreten und auf welche abgeleitete Gestalten zurückführbar sind [Man hat früher das Motiv so genannt; das ist aber eine sehr oberflächliche Bezeichnung; denn Gestalten und Grundgestalten sind meist aus mehreren Motivformen zusammengesetzt; das Motiv aber ist der jeweils kleinste Teil.]79
Der Begriff der Gestalt eignet sich dann besonders zur Verwendung, wenn die relative formale Geschlossenheit, die Schönberg für die Phrase einfordert, nicht gegeben ist, es sich bei der zu benennenden Linie dennoch um
Vgl. Schönberg 1995 (Anm. 60), S. 166; die teils skizzenhaften Darstellungen von Schönbergs Entwurf „Der musikalische Gedanke und die Logik und Technik und Kunst seiner Darstellung“ aus den Jahren 1934–1936 werden in der vorliegenden Untersuchung nach der zweisprachigen, von Patricia Carpenter und Severine Neff besorgten Edition zitiert. 77 Vgl. dazu Raff 2006 (Anm. 5), S. 37–54. 78 Vgl. Schönberg 1995 (Anm. 60), S. 168. 79 Ebd. 76
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ein größeres musikalisches Moment handelt, das für die Idee des Stückes eine identifizierende Bedeutung hat.80 Die Bestimmung der Eigenheit des Motivs schließt sich für Schönberg daran an: Motiv ist der jeweils kleinste Teil eines Stückes oder Teilstückes, der trotz Veränderung und Variation, als überall vorkommend erkennbar ist. Nur davon hängt die Ausdehnung eines Motivs ab, wenn man auch gelegentlich annehmen wird können, dass das Motiv nicht seiner ganzen Ausdehnung nach verwendet wurde. Im Hinblick auf seine Verwendung wird das Motiv bezeichnet werden, als ein Komplex miteinander verbundener Eigenschaften hinsichtlich der Intervalle, des Rhythmus, des Charakters, der Dynamik, der Betonung, der Stellung zum Taktteil, etc. – Man wird im Motiv auch Hinweise auf seine Ausnützung zu erkennen haben, auf die Entwicklungsart, auf die Variationsmöglichkeiten, auf die ‚Linie‘ etc etc. Das Motiv ist unabhängig von der Phrasierung.81
Es ist also die mehrfache Verwendung innerhalb eines Stückes, die das Motiv als solches kennzeichnet und gewissermaßen zur Keimzelle für die untergründige Verwebung und zusammenhangstiftende Grundsubstanz der Musik macht. Insgesamt ist für Fragen der Form und ihrer Benennung also zunächst auf traditionelle Begriffe zu verweisen, deren Verbindung auch in der freien Atonalität Zusammenhang garantiert. Wichtig ist dabei für Schönberg und auch für Webern der Primat der „Fasslichkeit“,82 der die Ausprägungen der einzelnen Phrasen, Gestalten und Motive im Bestreben um einen intervallisch-rhythmischen Minimalkonsens aufeinander beziehbar macht und gleichzeitig das Prinzip der Nichtwiederholung als konstitutives Merkmal neuer Musik verankert. Instrumentation
Mit den Parametern Harmonik und Form zusammenhängend ist auch die veränderte Rolle der Instrumentation für die Atonalität zu benennen. Ein Durchgang durch die freiatonalen Kompositionen Weberns zeigt neben
Vgl. dazu auch Raff 2006 (Anm. 5), S. 54–57. Vgl. Schönberg 1995 (Anm. 60), S. 168f. (Orthographie und Syntax Original, D. S.). 82 Vgl. dazu die Ausführungen ebd., S. 132ff. sowie beispielsweise den Mitschrieb des Webern-Schülers Rudolf Schopf über die Rolle der „Fasslichkeit“ im Denken Weberns; vgl. Krones 2002 (Anm. 64), S. 157 u. 211. 80 81
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Abb. 1.4: Webern, op. 10/I, T. 12 – Instrumentationskultur
einer Tendenz zu kleineren, oft kammermusikalischen Besetzungen, die durch die geringere Anzahl von beteiligten Instrumenten ohnehin eine gewisse Klarheit in der Klanggebung garantieren, auch für die Werke mit Orchesterbesetzung einen ausdifferenzierten Satz, der darauf angelegt ist, die angezielten Klangqualitäten und -farben in eigener Wertigkeit hervortreten zu lassen. Dabei greift Webern zwar auf das gesamte Instrumentarium romantischer Klangsprache und Instrumentationskunst zurück (die Instrumentation der Orchesterstücke op. 10 beispielsweise gemahnt in ihrer Einbeziehung von ausdifferenziertem Schlagwerk unschwer an Weberns Vorbild Gustav Mahler), die er aber auf kleinstem Raum auf kreative Weise ausdifferenziert und dabei Schichten freilegt, die in ihrer Direktheit und Kahlheit dem romantischen Gestus fernliegen. Beispielhaft für diese Subtilität sei der Schluß des Orchesterstücks op. 10/I benannt, in dem das rhythmische Motiv aus drei Sechzehnteln, Sechzehntelpause und einem weiteren Sechzehntel auf insgesamt drei Instrumente in unterschiedlicher Klanggebung verteilt wird. Die Instrumentierung scheint hier dazu beizutragen, dass Webern die Auskomponierung eines „Verlöschen[s] eines durch ppp> markierten Schlusses bis in die Stille hinein“83 gelingt (vgl. Abb. 1.4). Gleichzeitig schafft ein ungeheurer Variantenreichtum im experimentellen Verfremden von Klängen durch neuartige Spieltechniken eine neue Facette von Instrumentation. Die mit acht Takten kürzeste der Sechs Baga83
Vgl. Stroh 1973 (Anm. 3), S. 58; zum Zusammenhang der Stelle im Stück sowie im gesamten Opus vgl. ebd., S. 23–59.
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Abb. 1.5: Permanente Variation der Spieltechniken in Webern, op. 9/II (Webern, 6 Bagatellen, S.4)
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tellen für Streichquartett op. 9/II („Leicht bewegt“) beispielsweise verlangt von jedem Instrument in fast jedem Takt eine andere Spielart, was das Stück neben allen satztechnischen Gehalten zu einer konzentrierten Demonstration der Instrumentationskunst Weberns macht (vgl. Abb. 1.5). Der Zusammenhang zu Fragen von Harmonik und Form kann mit Friedhelm Döhl folgendermaßen beschrieben werden: Die differenziertere Instrumentation resultiert [...] aus einem differenzierteren Bewußtsein für den Einzelton als ‚selbständiges musikalisches Ereignis‘ im Sinne der Harmonik. Indem der atonikale Tonsatz die Emanzipation der Tonhöhen und Tonhöhenbeziehungen bewirkt, bewirkt er auch die Emanzipation der Klangfarben und Klangfarbenbeziehungen sowie der Tondauern und Tondauernbeziehungen. An die Stelle der traditionellen hierarchischen Struktur tritt die vieldeutige Struktur gleichberechtigter und ‚nur aufeinander bezogener‘ Tonhöhen, -dauern, -farben.84
So kann auch für Fragen der Instrumentation die Vorgabe gelten, die bereits für harmonische Verläufe gefunden worden ist: Zwar gibt es wiederkehrende Klangkombinationen und -prinzipien, diese sind jedoch nicht werkübergreifend im Sinne interpretierender Topoi zu lesen, sondern sie sind vielmehr individuell im Stück angebracht und generieren ihren Aussagegehalt im unmittelbaren Rekurs auf das Gesamte des jeweiligen Zusammenhangs.
2 Analytische Konkretion: Die Orchestra Pieces (1913) Das skizzierte biographisch-künstlerische Panorama rund um die Person Anton Webern in der Blütezeit der freiatonalen Phase und die diachrone Einbettung in den Kontext des Webernschen Orchesterschaffens dient als Basis für die analytische Untersuchung von Kompositionen Weberns aus der betreffenden Zeit. Der Blick auf zwei erst posthum editierte Stücke aus dieser Schaffensphase macht anschaulich, wie Webern konkret mit den Fragen von Harmonik, Form und Instrumentation umgeht. Zugleich ist der kompositorische Stand der vorliegenden Kompositionen deutlich zu machen und vor dem Hintergrund der im ersten Hauptteil diskutierten Problemlagen einzuordnen. 84
Vgl. Döhl 1976 (Anm. 4), S. 156.
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2.1
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Orchestra Pieces (1913) – Zur editorischen Problematik
Bei den Orchestra Pieces (1913) handelt es sich um eine posthume Edition von drei weitgehend fertiggestellten Stücken und zwei Fragmenten für Orchester. Sie speist sich aus Funden von Hans Moldenhauer aus dem Jahr 196585 und wurde in dessen Auftrag von Friedrich Cerha herausgegeben. Dabei nahm Cerha eine Sichtung der Stücke vor und ordnete sie in ihm dramaturgisch angemessen scheinender Art und Weise an. Eine Orientierung an Weberns op. 10 bzw. Schönbergs op. 16 mit deren zugrunde liegenden psychologischen Programmen kann dabei nicht ausgeschlossen werden.86 Deutlich muss dabei sein, dass es sich bei der Edition um einen Zyklus handelt, der in keiner Weise von Webern autorisiert ist. Die tatsächlichen Zusammenhänge zwischen den Stücken im Sinne Weberns müssen mangels belegender Schriftzeugnisse unklar bleiben. Durch Nummernangaben auf den Manuskripten ist anzunehmen, dass Webern an die Integration der einzelnen Sätze in ein mehrteiliges Opus dachte. Ob es sich dabei allerdings um einen Zyklus oder mehrere Zyklen handeln sollte, bzw. wie dieser oder auch diese konkret auszusehen hätte(n), erhellt sich entgegen der Suggestion der vorliegenden Edition nicht.87 Tabelle 2.1 macht den versuchhaften Charakter der Edition deutlich.
Hans Moldenhauer hat es nicht versäumt, seine „Entdeckung“ der Skizzen und Aufschriebe Weberns publizistisch zu lancieren und dadurch einerseits dem Fund einen spektakulären Charakter zu verleihen und andererseits seine eigene dominante Rolle im Blick auf die Webernsche Biographieschreibung zu zementieren; vgl. Kapitel 1.1 zu Weberns Biographie sowie für den direkten Zusammenhang zu den Orchestra Pieces (1913) Hans Moldenhauer, In Quest of Webern, in: Saturday Review 27.08.1966; Hans Moldenhauer, A Webern Pilgrimage, in: The Musical Times 109 (1968), S. 122–127. 86 Webern selbst überschrieb die Sätze seiner Orchesterstücke op. 10 anlässlich deren Erstaufführung für Kammerensemble in der Konzertsaison 1919/20 mit den Titeln Urbild – Verwandlung – Rückkehr – Erinnerung – Seele, womit er an die Programmgebung von Schönbergs Fünf Orchesterstücken op. 16 mit den (im Falle des dritten Satzes eher durch den Verlag vorgegebenen als von Schönberg intendierten) Titeln Vorgefühle – Vergangenes – Farben (Sommermorgen am See) – Peripetie – Das obligate Rezitativ anknüpfte; vgl. Moldenhauer 1980 (Anm. 6), S. 178. 87 Die Frage, ob und in welchem Maße Webern bereits im Kompositionsprozess in Zyklen dachte, ist nach wie vor umstritten. Einerseits belegen Briefzeugnisse auch für diese Zeit durchaus ein Empfinden für zusammenhängende Formen. Aus sämtlichen zwischen 1911 und 1913 entstandenen Orchesterstücken hatte Webern bei85
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Tabelle 2.1
Titel Weberns Bewegt
Langsam (sostenuto) Sehr bewegte Viertel Langsame Viertel (Alla breve)
Nummerierungsansätze Weberns III (II)
(IV) V 4 IV
V
[keine Bezeichnung]
Nummerierung durch Cerha I
II
III
IV V
Ihre Beziehung auf das Jahr 1913 erhält das Gesamt der Stücke durch die überlieferten Entstehungsdaten von Sehr bewegte Viertel (21.9.1913) und Alla breve (2.12.1913). Für die restlichen Stücke, insbesondere die Fragmente Langsam (sostenuto) und Langsame Viertel lässt sich eine Einordnung in diese Zeit nur aus einer vergleichenden Analyse der Satzstruktur und durch die gemeinsame Auffindung postulieren. Was an tatsächlichem zeitlichen Zusammenhang zwischen den Stücken als ‚gesichert‘ gelten kann, beschränkt sich auf wenige Briefzeilen Weberns, die im Biographie-Kapitel 1.1 aufgearbeitet sind. 2.2
Analyse I: Bewegt
Das in der Edition Cerhas eröffnende Stück mit dem Titel Bewegt hat als einziges der Orchestra Pieces (1913) in der analytischen Literatur eine breitere Rezeption erfahren. Diese ist vor allem einem „Analysis Symposium“ 00
spielsweise im Dezember 1913 vier an Schönberg gesendet mit der ausschließenden Bewertung: „Die anderen paßten mir nicht mehr. Aber diese 4, glaub’ ich, gehören fest zusammen“ (ebd., S. 176). Diese Aussage beweist allerdings nichts, außer dass Webern mit großer Regelmäßigkeit zusammengehörige Stücke umzugruppieren bereit war. Auch die Tatsache, dass selbst ein so geschlossen erscheinendes Werk wie die Orchesterstücke op. 10 in zwei relativ entfernt liegenden Etappen (1911 und 1913) komponiert und wahrscheinlich erst anlässlich der (kammermusikalischen) Uraufführung 1919 in ihre bleibende, fünfsätzige Form gebracht wurden, stimmt skeptisch gegenüber einem allzu intensiven Bemühen um mögliche Kohärenzen innerhalb der einzelnen Werknummern. Für die ersten Kompositionen der freiatonalen Periode, die George-Vertonungen op. 3 und op. 4, gilt ähnliches: Auch hier wurde aus einem ‚Pool‘ von komponierten Liedern geschöpft, mehrfach umgruppiert und erst mit der Drucklegung in die gültige Form gebracht; für einen teilweise überzeugenden (Gegen-)Ansatz vgl. Stroh 1973 (Anm. 3).
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zu verdanken, welches das Journal of Music Theory in den Jahren 1974/75 anregte und von Roy Travis,88 Allen Forte89 und Elaine Barkin90 aufgegriffen wurde. Hinzu kommen Arbeiten von Elizabeth W. Marvin (1983),91 Robert Snarrenberg92 (1986) sowie eine Untersuchung im Rahmen einer Dissertation von Robert John Clifford93 aus dem Jahr 1995.94 Im Folgenden werden die verschiedenen Analyseansätze mit ihren Anliegen und Stärken vorgestellt, mit dem Ziel, methodische Probleme und offene Fragen als Herausforderung für die eigene Analyse bewusst zu halten. Schenkerian Approach: Roy Travis
Roy Travis bietet in seinem Versuch einen Durchgang durch den Orchestersatz Bewegt im Sinne Schenkerianischer Spannungsanalyse an (vgl. dazu Abb. 2.1).95 Dabei liegt für ihn die dreigliedrige harmonische Univer-
Roy Travis, Analysis Symposium. Webern, Orchestral Pieces (1913), Movement I („Bewegt“), in: Journal of Music Theory 18 (1974), S. 2–12. 89 Allen Forte, Analysis Symposium. Webern, Orchestral Pieces (1913), Movement I („Bewegt“), in: Journal of Music Theory 18 (1974), S. 13–43. 90 Elaine Barkin, Analysis Symposium. Webern, Orchestra Pieces (1913), Movement I („Bewegt“), in: Journal of Music Theory 19 (1975), S. 47–64. 91 Elizabeth W. Marvin, The Structural Role of Complementation in Webern’s „Orchestra Pieces (1913)“, in: Music Theory Spectrum 5 (1983), S. 76–88. 92 Robert Snarrenberg, Hearings of Webern’s „Bewegt“, in: Perspectives of New Music 24 (1986), S. 386–404. 93 Robert J. Clifford, Contour as a structural element in selected pre-serial works by Anton Webern, Wisconsin 1995. 94 Die Aufzählung der Analysen wäre um eine Arbeit von Christine Olson zu ergänzen, die in den anderen Ansätzen teilweise rezipiert wird, dem Verfasser jedoch nicht zugänglich war, vgl. Christine Olson, Tonal Remnants in Early Webern. The First Movement of Orchestral Pieces (1913), in: Theory Only 5 (1979), S. 35–46. 95 Vgl. zum Denken Schenkers Felix Salzer, Strukturelles Hören. Der tonale Zusammenhang in der Musik, Wilhelmshaven 1960; die grundlegende Auffassung Heinrich Schenkers ist getragen von der Betrachtung der Musik als „zielstrebende[r] Bewegung“ (ebd., S. 10). Diese lässt sich in seiner Theorie immer wieder ausmachen als harmonische Progression I–V–I, die in Verbindung mit einer melodischen „Urlinie“ (den Leiterstufen 3–2–1) ein Musikstück hintergründig trägt. Dabei richtet sich das Augenmerk der Analyse auf die kompositorischen Verfahren, mit denen die jeweils etablierten Stufen verlängert, in der Sprache Schenkers: prolongiert, werden. „In der wechselseitigen Beziehung von Struktur und Prolongation liegt der organische Zusammenhang eines Werkes“ (ebd., S. 12); für eine konkrete Applikation auf tonale Werke vgl. außerdem z. B. Heinrich Schenker, Das Meisterwerk in der Musik. Ein Jahrbuch. 3 Teile in einem Band, Hildesheim/New York 1974. 88
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Abb. 2.1: Structure and Prolongation in terms of Weberns’ registration (Travis, Analysis Symposium, 12f.)
salformel I–V–I, bei Schenker als „Ursatz“ Bedingung für die Rezeption eines Stückes als geltendes, auch dem Webernschen Werk zugrunde. Die Aufteilung erfolgt entlang der Takte 1–4 als Ausgangsstufe (mit dem Grundton g tatsächlich erklingend in Takt 4 [Englischhorn]), der Takte 5– 10 als prolongierter V. Stufe (repräsentiert durch das D der Tuba in Takt 5) sowie der Takte 11–16 als harmonisch-spannungsmäßigen Zielpunkt des Stückes (das in Takt 11 durch die Celesta intonierte g1). Gleichzeitig ergibt sich in dieser Lesart und korrespondierend zur Grundierung im Vorderund Mittelgrund die zweifach ansetzende, absteigende Linie 3–2–1: h (Bassklarinette in T. 1) – a (Klarinette in T. 4) bzw. h (Solovioline in T. 12) – A (Harmonium in T. 13) – g1 (Bassklarinette in T. 15). Zusätzliche Struktur erhält das Stück für Travis aus den gliedernden „z-Chords“,96 die ihre deutlichste Darstellung in der zentralen Figur der Solovioline (T. 10–12) mit der „Prime Form“ [0,1,6,7] haben. Die Schwierigkeiten des Ansatzes liegen auf der Hand. Die Schenkersche Analysemethode entlang teils im Hintergrund laufender, harmonischer und melodischer Spannungsbögen geht grundsätzlich von einer tonal fundierten Harmonik aus, die sich der Verhältnisse von funktional gedachter Spannung und Entspannung bewusst ist. Durch das nicht nur 96
Es bleibt unklar, was Travis unter dem Begriff „z-chord“ versteht. Eine mögliche Erklärung wäre das Abbilden eines „Z“ durch die in der Partitur notierten Halbtonschritte. Die Assoziation einer „z-Relation“ im Sinne eines identischen „intervall-class content“ bei gleichzeitiger Nichtverwandtschaft durch Transposition oder Umkehrung kann in diesem Fall nicht gelten, bezieht sie sich im Falle der Pitch-class analysis (s. u.) im Bereich der Tetrachorde lediglich auf die Sets mit den Forte-Nummern 4–Z29 und 4–Z15, deren Intervallstruktur in den von Travis bezeichneten Fällen aber nicht vorliegt; vgl. Joseph N. Straus, Introduction to PostTonal Theory, Upper Saddle River (New Jersey) 32005, S. 91f.
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definitorische Fehlen dieser Parameter in der vorliegenden, freiatonalen Musik entbehrt sie somit der entscheidenden Grundlage. Ein dennoch derart durchgeführter Analyseversuch hätte dann seine Berechtigung, wenn er beim Hören einfangbare melodisch-motivische Spannungsmomente zur Grundlage seiner Strukturüberlegungen machte.97 Doch auch diese Forderung erfüllt Travis nur rudimentär. Zwar weist er die notwendigen Strukturtöne als im geforderten Rahmen vorhanden nach, es bleibt jedoch der (bei der Schenker-basierten Analyse sich übrigens manches Mal aufdrängende) Eindruck, dass, um der Idee einer legitimierenden Urlinie willen, an der eigentlichen Spannungs- und Aussagestruktur des Stückes vorbeigearbeitet wird. Pitch Class Set-Analysis: Allen Forte und Elaine Barkin
Allen Forte, Begründer der Pitch Class Analysis, liefert in seiner Analyse von Weberns Stück eine ausführliche Sammlung des intervallischen Materials.98 Diese ist getragen von der Überzeugung, dass mit der Aufdeckung der im Stück erscheinenden Segmentierung im Sinne pitch-classset-geordneter Intervallstruktur der Schlüssel zu einem weiterführenden Die Hörbarkeit harmonischer und formaler Gliederungspunkte ist natürlich nicht das einzige gültige Kriterium zur Erklärung der Konsistenz musikalischer Texturen. Fragen z. B. der (abstrakten) Proportion etc. haben oft eine entscheidende Funktion im Hinblick auf die Gliederung des Stückes. Wenn hier und im Folgenden immer wieder der Aspekt der sinnlichen Wahrnehmbarkeit als sinnstiftendes Moment stark gemacht wird, dann geschieht dies im Bemühen um einen greifbaren Zugang zu einer Musik, die ihr Primat der „Fasslichkeit“ sicher nicht nur auf der theoretischen Ebene erfüllt sehen will. 98 Der Ansatz Fortes zielt auf die Bereitstellung einer Analysemethode, mit der das Tonmaterial eines atonalen Stückes in seinem Bestand wie auch in seinen Interaktionen systematisiert und einheitlich beschrieben werden kann. Grundlegend ist dabei die Vorgabe, dass zum Zwecke der Vergleichbarkeit und (mathematischer) Operationalisierbarkeit sowohl oktaväquivalente Töne in sog. Pitch Classes gebündelt als auch melodische oder akkordische Intervallstrukturen auf ihre jeweils kleinsten Komplementärmomente rückgeführt werden. Die Methode ist von der Überzeugung getragen, dass sich auch in diesen reduzierten Verhältnisbeschreibungen die charakteristische Kernsubstanz der jeweiligen intervallischen Konstellation erhält bzw. diese repräsentiert wird; vgl. zur Einführung in das Konzept Straus 2005 (Anm. 96); Allen Forte, The Structure of Atonal Music, New Haven u. a. 31979. 97
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Verständnis gegeben ist.99 Dabei unterscheidet Forte im Hinblick auf die Strukturierung des Stückes zwischen einer „external form“,100 die sich orientiert an Pausen innerhalb der Partitur und insofern eine Fünfgliedrigkeit nahelegt (T. 1–3; 4–5; 6–8; 9–12; 13–16). Dieser äußeren Struktur steht für Forte eine „internal form“101 gegenüber, durch die Weberns Stück eigentlich gestaltet ist. Diese ‚eigentliche‘ Regulation erklärt Forte – und hierin besteht die wesentliche Leistung seiner Arbeit – über die Interaktion verschiedener Pitch Class Sets, insbesondere von Hexa-, Penta-, Hepta- und Oktachorden. Die Untersuchung beginnt mit der Darstellung der Hexachorde, bei denen die durch z-Relation verwandten Strukturen 6–Z6 und 6–Z38 das Hauptgliederungsmerkmal des Stückes insofern ausmachen, als sie bei einem gemeinsamen Stamm an Pitch Classes die je ‚übrigen‘ Töne gegenseitig einfangen. Ein gleich gestalteter Durchgang durch den Notentext im Hinblick auf die zentralen Penta- und Heptachorde scheint ähnlich überzeugende Ergebnisse zu liefern: Die komplementären Sets 5–6 und 7–6 respektive 5–7 und 7–7 beschreiben das tonale Material noch umfassender, insofern sie auch bislang nicht rezipierte Töne integrieren und so das Material des Orchesterstücks Bewegt als durch die Intervallkonstellationen komplett determiniert erscheinen lassen (vgl. dazu die Einteilung Fortes in Abb. 2.2). Wichtig ist Forte dabei die Feststellung, dass es jedoch nicht die vieltönigen Sets sind, die die Musik genauer strukturieren. Vielmehr verantworten die verschiedenen „invariant subsets“,102 die den Sets gemeinsamen kleineren Tongruppierungen, den inneren Zusammenhang der Musik. In der Folge zeigt Forte einige dieser Bezüge auf, etwa um die strukturelle Einbindung der satztechnisch gegenüber dem Rest des Stückes sich distinkt darstellenden Takte 9–12 zu belegen. Das in der Solovioline zentral vorgestellte Tonmaterial der Set class 4–9 ist Subset eines Vgl. Forte 1974 (Anm. 89), S. 13: „Once the key to this [the segmentation, D. S.] is discovered, [...] the difficulties disappear to a large extent.“ 100 Ebd., S. 14. 101 Ebd. 102 Ebd., S. 20: „It can be concluded from the foregoing discussion that although order relations are not insignificant, they are far less important as structural means than are other aspects, notably the invariant subsets.“ 199
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Abb. 2.2: Gliederung von Bewegt nach komplementären Penta- und Heptachorden (Forte, Analysis Symposium, S. 23)
Oktachords der Set class 8–7 und über diesen an das vorhergehende Material angebunden. So einleuchtend eine solche Beobachtung im Einzelfall sein mag, so schwierig ist es, aus dem angebotenen Analysematerial Aussagen über die konkrete Qualität des Stückes treffen zu können. Die aposteriorische Applikation eines totalitären Systems – im vorliegenden Fall die oft recht willkürlich wirkende Einteilung der auftauchenden Töne in Gruppen verschiedener Größe – wirkt um des Systems willen vollzogen. Sie orientiert sich nur rudimentär an musikalischen Momenten, die für die hörende Wahrnehmung entscheidend sind. Motivik, Phrasenbau, dynamische Ent-
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wicklung oder Instrumentation werden zu einer eventuell sinnvollen Gruppierung des Tonmaterials nicht in Betracht gezogen. Mehr noch, sie werden teils in ihrer Bedeutung für die spezifische Qualität zwar benannt, aber letztlich nur vernachlässigt behandelt, da nicht mit dem eigenen System verknüpfbar.103 Dieser Geltungsanspruch macht auch selbstbewusste Setzungen, etwa die Behauptung einer Referenz an Schönberg,104 nur mit Vorsicht und unter Hinzuziehung weiterer Referenzen behandelbar. Eine an spezifischen Intervallkonstellationen orientierte Analyse liefert auch Elaine Barkin.105 In direkter Antwort auf die Entwürfe von Travis und Forte plädiert sie jedoch für einen selektiveren Umgang mit dem Tonmaterial. Dieser nimmt seinen Ausgangspunkt an der Beobachtung des mehrfach auftauchenden, zentralen Halbtonschritts f–fis (T. 3; T. 7; T. 10–12; T. 14).106 Diesem spricht sie in der Verbindung mit der jeweils vorhandenen Grundierung durch Perkussionsinstrumente den Charakter eines Kerns Paradigmatisch für diese Kritik steht der Umgang Fortes mit Fragen der Instrumentation. Die Beobachtung von Relationen zwischen „external structure“ und der Einsatzfolge der beteiligten Instrumente ist bemerkenswert (ebd., S. 41), wird aber von Forte selbst zugunsten der eigenen Akzentsetzung als vernachlässigenswert eingestuft: „It is reasonable to assume, however, that orchestration was not a primary consideration, whereas the overall pitch organization of the music was a fundamental concern“ (ebd., S. 38). 104 Ohne vor Ort Belege im Werk Schönbergs zu nennen, behauptet Forte, im singulären Auftauchen des Hexachords 6–Z44 der Celesta „undoubtedly [...] a kind of musical tribute to their teacher“ (ebd., S. 22) zu erkennen. 105 Die Reflexionen Barkins („Notwithstanding the depth both Travi’s and Forte’s probings and their scrupulously detailed findings, I found it difficult to hear either of their Webern pieces. [...] And so, after listening to a recording of the work and then returning to the two analyses, neither of which was satisfactorily adaptable as my Webern piece, I proceeded to make a series of sketches of the work which constitutes the bulk of this presentation.“ Vgl. Barkin 1974 [Anm. 90], S. 48ff.) machen auf das Kernproblem musikalischer Analyse aufmerksam: Die eine, objektiv gültige Interpretation eines Werkes kann es nicht geben. Jeder Versuch, sich einem Stück zu nähern, sieht sich methodischen, persönlichen und historischen Determinationen ausgesetzt, die Betrachtungen in die eine oder die andere Richtung lenken; vgl. dazu Clemens Kühn, Musiktheorie unterrichten – Musik vermitteln, Kassel u. a. 2006, S. 150. 106 Die Bezeichnung des Schritts f–fis als pitch class deutet auch bei Barkin auf die Ungebundenheit der Töne an die konkrete Erscheinung einer kleinen Sekunde. Im Sinne der Theorie Fortes (s. o.) beschreibt eine pitch class einen Möglichkeitsraum von oktaväquivalenten Tönen, die sich mathematisch durch die Operation mod12 angleichen lassen; vgl. Straus 2005 (Anm. 96), S. 5f. 103
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zu, der im analytischen Fortgang sukzessive erweitert wird, bis der Tetrachord e–f–fis–g als materielles Zentralmoment etabliert ist. Als bedenkenswerte Begründung für diese Auswahl aus der Mitte des Stücks heraus bringt Barkin neben einer assoziativen Wahrnehmung im Verlauf des Hörens eine instrumentationstechnische Beobachtung an: Im Unterschied zu allen übrigen erklingenden Tönen ist keine dieser Pitch Classes durch Spieltechniken verfremdet.107 Interessant sind in Barkins Analyse darüber hinaus auch die Beschreibung korrespondierender rhythmischer Strukturen im Verlauf des Stücks. Hier sieht sie eine Gliederung in „graspable patterns“ gewährleistet durch annähernd proportionale Verkürzung der Taktgruppen 2–4 und 8–12 (im Verhältnis der Anzahl von Viertel 1:2, hier 8:15 Schläge), sowie dem gegenüber stehend eine identische Tongruppenlänge von jeweils sechs Vierteln in den Takten 6–7 respektive 14–15. Damit liefert sie bereits eine Grundlage für ihre abschließende Diskussion der Form, für die sie unter Hinzuziehung des extrahierten Tetrachords e–g und seiner Erweiterungen (s. o.) zwei Gliederungsmöglichkeiten anbietet. Einerseits wird eine Vierteilung vorgeschlagen, die das Motiv der Tuba in Takt 5 als Einstieg in eine Untergruppe begreift, die sich zwischen den Beginn und den reduzierten Mittelteil (ab Takt 8) einfügt und so für die ersten beiden Teile den Tetrachord in den Mittelpunkt stellt. Eine weitere in die Diskussion gebrachte Möglichkeit der Formbeschreibung ist die Orientierung an den in Takt 6 und Takt 13 durch Webern angebrachten Tempobezeichnungen (accelerando … ritardando). In dieser Lesart wäre die Rolle des Tetrachords eine dreifache: „[I]t is first a between event (mm. 2–4); then a beginning and a between (mm. 6–7 and mm. 10–12); then a concluder (mm. 14–15). The orderings derive – as a totality – from a rotational (in retrograde) operation.“108 Ausgehend von ihren Skizzen versucht Barkin damit folgende Deutung des Stücks: „So if ‚Bewegt‘ can be said to be ‚about‘ – and heard ‚in terms of‘ – something, why not: about turning things and itself outside-in and inside-out – an informal description of ‚aboutness‘ but it seems apt.“109 Ganz einleuchten will eine solche
Vgl. Barkin 1974 (Anm. 90), S. 55; den Wirbel der Pauke in T. 14 fasst Barkin dabei nicht als verfremdende Spieltechnik auf, sondern vielmehr als „probably [...] the easiest way to sustain a timpani sonority“ (ebd.). 108 Ebd., S. 62 109 Ebd., S. 64. 107
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Erkenntnis semantisch zwar nicht, sie darf aber als legitimes Produkt analytischer Auseinandersetzung gelesen werden. Komplementärstrukturen: Elizabeth W. Marvin
Die materialiter umfassende Vorleistung Fortes produktiv umzusetzen gelingt Elizabeth W. Marvin in ihrer Untersuchung der Komplementärstrukturen110 in Weberns Orchestra Pieces (1913). Sie fragt darin nach Ergänzungen und Entsprechungen der im Verlauf des Stückes auftauchenden Tonfolgen.111 Dabei leistet sie eine hilfreiche Erklärung für die Zusammenhänge der von ihr favorisierten ABA-Form (Takt 1–8; Takt 9–12; Takt 13–16) des Stückes (vgl. dazu Abb. 2.3): Ausgehend von der Gliederung der Takte 1–8 in zwei Zwölftonaggregate112 beschreibt sie die dort erscheinenden Töne als Folge sowohl von Tetrachorden, die ihre komplementäre Ergänzung in den zugehörigen Oktachorden finden (in der ForteBezifferung jeweils 4–1 und 8–1) als auch das gleiche Material als Wechselgeschehen von Oktachorden, die in komplementären Tetrachorden ihre Entsprechung finden (hier jeweils 8–9 und 4–9). Die Takte 9–12 sind aus anderem Material gestaltet und erfüllen so die Funktion eines Kontrastteils. Teil A’ knüpft wiederum an die ersten Takte insofern an, als sich über den Mittelteil hinweg Strukturen ergänzen: Der Heptachord 7–1 findet sein
Mit Komplementärstrukturen ist die wechselseitige Ergänzung von Tonfeldern und Intervallkonstellationen im Hinblick auf die Ergänzung der Negativspannung durch noch nicht erklungene Mitglieder des Zwölftonraums gemeint. Im Sinne der Pitch Class Set Theory bedeutet dies das Vorhandensein eines Sets mit n Mitgliedern, dem ein Komplementärset mit 12–n Mitgliedern entspricht. Beide Sets sind über ihre gegenseitige Ergänzung hinaus insofern miteinander verwandt, als sie in Bezug auf den Intervall-Class Content Häufungen an den gleichen Stellen aufweisen. Diese strukturelle Similarität kann auch als Erklärung ihrer klanglichen Verwandtschaft herangezogen werden; vgl. Straus 2005 (Anm. 96), S. 93–96. 111 Auch Forte nimmt in seiner Analyse die Untersuchung von Komplementen vor, hält es aber nicht für erforderlich, diese in ihrer möglichen Funktion für das Stück zu deuten. Die Erläuterung Marvins geht insofern weiter, als sie im Unterschied zu Forte mit der Orientierung an der Chronologie der Erscheinung der Töne ein starkes Kriterium für die Ordnung ihrer Tonfelder vorlegt; vgl. Forte 1974 (Anm. 89), S. 22f. 112 Auf den Umstand des zweimaligen Auftauchens fast des gesamten zur Verfügung stehenden Materials aus zwölf Tönen zu Beginn des Stückes weist bereits Forte hin, allerdings ohne das näher auszuführen bzw. in seiner Bedeutung einzuordnen; vgl. ebd., S. 15. 110
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Abb. 2.3: Summary of complementation relations in „Bewegt“ (Marvin, The Structural Role, S. 84)
Komplement im Pentachord 5–1, ebenso die Trichorde 3–2 und 3–3 in ihren Entsprechungen 9–2 und 9–3. Das ganze Ergänzungsgeschehen erläutert Marvin dabei als ein zweifaches Spiel Weberns mit Spannung (tension) und Lösung (release). Zunächst wird innerhalb des A-Teils eine Binnenspannung erzeugt, die aber durch das sofortige Auftreten der Komplemente und der damit verbundenen Auffüllung des Zwölftonraums gelöst wird.113 Weiterhin, und so den Orchestersatz Bewegt als in sich abgeschlossen formatierend, wird die durch den Mittelteil B erzeugte Spannung in A’ gelöst durch die zurückgreifende Ergänzung der Tonfelder. Der Ansatz Marvins kann gewinnbringend gelesen werden als ein Beitrag zur Diskussion der Form des vorliegenden Stückes. Es sind nicht unmittelbar fassliche Parameter wie etwa Motivik oder Phrasenbau, die im Vordergrund stehen. Vielmehr wird durch das Aufzeigen zugrunde liegender Strukturen so etwas wie eine intellektuelle Legitimation der Gesamt113
Vgl. Marvin 1983 (Anm. 91), S. 83.
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anlage geleistet, die durch den Abgleich mit den Termini ‚klassischer‘ Formbeschreibung zu einem sinnvollen Gesamtverständnis beitragen kann. Aesthetic analysis: Robert Snarrenberg
Die methodischen und inhaltlichen Unzulänglichkeiten einer ausschließlich pitch-class-theory-basierten Analyse als „myopic“114 („kurzsichtig“) kritisiert Robert Snarrenberg. Gleichzeitig versucht er, diese durch einen integrativ-ganzheitlichen Ansatz zu überwinden. Seine Analyse „Hearings of Webern’s ‚Bewegt‘“ fühlt sich dem Konzept einer „aesthetic analysis“115 verpflichtet, die ihren methodischen Kern im mehrmaligen Hören des Stückes und der daraus sich ergebenden, immer weiter verfeinernden Detailbesprechung hat.116 Dabei exponiert Snarrenberg in Bezug auf die Form des Stückes eine Dreigliedrigkeit, in der die äußeren Abschnitte T. 1–7 und T. 13–16 als sich beziehende Elemente hinsichtlich „eruption“ (Ausbruch) und „aftershocks“ (retardierender Rücknahme) beschrieben werden, die einen fließenden („floating“) Mittelteil umrahmen. Besonderes Augenmerk verdienen dabei seine Beobachtungen zur Struktur der äußeren Konturen des Stückes, die er in der Korrespondenz von Instrumentation und Dynamik als „inaudible beginning“ bzw. „[shading] into nothingness“117 beschreibt. Des subjektiven Charakters seiner Ausführungen gewahr,118 gelingt es ihm, auch die subtilen Entwicklungen innerhalb des Anfangsteils in ihrer musikalischen Wirkung theoretisch zu beschreiben, indem er unter dem Stichwort „Dynamic envelopment and the shape of erupting“ den Beginn als segmentierten und intern gleichermaßen reziprok korrespondierenden Abschnitt darstellt, – insofern hier die dynamische Struktur der ein-
Vgl. Snarrenberg 1986 (Anm. 92), S. 386. Ebd., S. 387 116 Vgl. ebd., S. 398: „The following sequence of hearings documents my diachronically emergent awareness of this work’s aestheticity, from vague and gestaltic rumination toward refracted and particular analysis of layers of meaning. [...] Rather, this sequence brings the world of ‚Bewegt‘ into being for me as I move from a distant view of its skyline to an intimate grasp of architectural details and winding streets.“ 117 Ebd., S. 390. 118 Vgl. z. B. ebd.: „However, it is not an experience which is empirically or rationally determinable; rather, it is an intersubjective meaning unfolded by ‚Bewegt‘.“ 114 115
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zelnen Elemente im Sinne von crescendo und decrescendo, Öffnen und Schließen, als jeweils nach vorne und hinten verankertes Moment dargestellt wird, das als feinsinnig instrumentierter und abgeschatteter Verbund den impliziten Steigerungscharakter unterstützt. Die rhythmischen Verkürzungen mit Blick auf die jeweilige klingende Länge der Segmente verstärken diesen Eindruck zusätzlich. Den Schlussteil wiederum interpretiert Snarrenberg als „dissolving into silence.“119 Hier findet er u. a. strukturelle und tonale Ähnlichkeiten zum Beginn, die aber nun derart transformiert sind, dass sie die Gesamterscheinung von Bewegt als „interpenetration of Now and not-Now“120 im Sinne Jaques Derridas interpretierbar werden lassen. Zwei Beobachtungen aus Snarrenbergs Analyse erweisen sich für das Verständnis des Stückes als hilfreich. Zum einen ist es das Ansetzen der Analyse beim konkreten Hörerlebnis. Das ist an sich keine zwingende Voraussetzung für eine gelungene Beschreibung, stellt aber durch das Ansprechen des zentralen Rezeptionsmoments von Musik, dem Hören und seiner Verarbeitung, eine Nähe zum Gegenstand her, die gewinnbringend sein kann. Zum anderen ist die aus dem ersten Punkt resultierende Beschreibung von musikalischen Ereignissen zu nennen, die für die Verständlichkeit auch assoziativer und affektiver Gehalte in einem ersten Schritt eventuell mehr leisten kann als die Fokussierung auf eine rein technische Fragestellung. Konturenanalyse: Robert J. Clifford
Einen bislang nur rudimentär behandelten Gesichtspunkt bringt Robert J. Clifford in seiner Untersuchung zu Weberns Orchesterstück ein, die er im Rahmen seiner Dissertation aus dem Jahr 1995 durchführt. Grundlegendes Thema ist bei ihm die Frage nach der Rolle von Konturen als strukturierende Elemente präserieller Musik. Den Begriff der Kontur definiert er dabei vor allem bezogen auf Richtung und aufgespannte Entfernung melodischer Bewegung.121 Indem er die verschiedenen Segmente des Ebd., S. 398. Ebd., S. 400. 121 Vgl. Clifford 1995 (Anm. 93), S. 36f.: „[...] I include the assertion that specific attributes – namely the direction and distance spanned by melodic motion – char 119 120
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Stücks auf ihre derartigen Qualitäten hin untersucht, gelingen ihm weiterführende Aussagen über den formalen Zusammenhang des Orchestersatzes. Ihren Ausgangspunkt nehmen seine Beschreibungen in der Wahrnehmung einer „single large ascending motion“122 der Konturen in den Takten 1–12. Diese gestaltet sich derart, dass die entlang der Forteschen Fünfteilung (s. o., Clifford bezeichnet diese Teile als ‚Units‘) von Clifford nochmals verfeinert durchgeführte Distinktion in verschiedene „contour segments“123 auf ihre Bewegungsrichtung und auf ihre intervallische Konstellation hin untersucht werden. Innerhalb dieser ihrem Rahmen nach stets dreitönigen Segmente macht Clifford nun zunächst eine Gliederung aus, die sich an einer gemeinsamen Bewegungsrichtung orientiert. Bei unterschiedlichen konkreten Intervallqualitäten erhalten die ersten Segmente das Label einer „up/down contour“.124 Gleichzeitig sind die ersten Units dadurch strukturiert, dass die beinhalteten Segmente zwar nicht durch eine konkrete Tonstruktur,125 wohl aber durch gemeinsame, konturbildende Rahmenintervalle verknüpft sind.126 Der Transformationsprozess, den die einzelnen Segmente dabei in fortschreitendem Erscheinen durch Augmentation oder Diminution ihrer Intervalle sowie auch die Änderung der Bewegungsrichtung erfahren, sieht Clifford „similar to motivic variation“.127 So fügt sich letztlich auch der satztechnisch distinkt gearbeitete Abschnitt Takt 10–12 in diese Entwicklung ein, er wird beschrieben als „climatic point“128 und „logical conclusion to gestures initiated at the beginning of
acterize the phenomenon of contour. To be sure, my definition contains only a subtle difference from those defining countour in terms of certain melodic attributes. But it retains a reference to an important component of melody – motion – often omitted in more abstract definitions.“ – Interessant an Cliffords Ansatz ist die Tatsache, dass er mit der Frage nach der Kontur eine Kategorie aufgreift, die auch für Arnold Schönberg unter dem Terminus „Fasslichkeit“ von zentraler Bedeutung für das Schaffen von musikalischem Zusammenhang ist, er diesen aber nur in geringem Maße rezipiert und in seiner eigenen Definition dieses Begriffs in keiner Weise integriert; vgl. dazu auch den obigen Abschnitt zum Thema „Form“. 122 Ebd., S. 134. 123 Ebd., S. 126. 124 Ebd., S. 127. 125 Ebd., S. 129: „Also, the transformation of a contour segment is accomplished without a particular attention to specific pitch-classes, since the variations are a result of the gradual change in the segment’s shape.“ 126 Vgl. ebd., S. 127. 127 Ebd., S. 129. 128 Ebd., S. 134. 121
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the piece“,129 auf den der Formteil in seiner Bewegung hinzielt und „overlays the organizational schemes“.130 Die Konsequenz dieser Lesart ist für Clifford, im Unterschied zu den anderen Interpreten eine nur zweiteilige Form des Stückes anzunehmen. Den Takten 13–16 spricht er die Rolle einer Coda zu, sieht sie also trotz mancher struktureller Ähnlichkeiten als eigenständigen Teil in der Funktion, „[to] complete [...] specific processes and relations initiated in earlier units.“131 Ertrag und Überhänge
Die meisten entscheidenden Momente das Verständnis des Stücks betreffend sind bereits in der vorgängigen Beschreibung der Analysen zur Sprache gekommen. Es bleibt noch, die Ergebnisse in den Momenten zu verknüpfen, die von eigenem Interesse des Verfassers sind. Dies betrifft im Folgenden lediglich eine kurze Relecture der Frage nach der Form und ihre Bestärkung durch die entsprechende Satztechnik und Instrumentation. Elizabeth W. Marvins Untersuchung der Komplementärstrukturen liefert eindeutige Indizien der legitimen Lesart einer dreiteiligen Form auf der Ebene der absoluten Tonhöhenprogression. Die Entsprechungen der Tonfolgen im ersten und dritten Teil (T. 1–8 bzw. T. 13–16, s. o.) finden ihre Korrespondenz in einer Satztechnik, die sich vom Mittelteil (T. 9–12) deutlich unterscheiden und so das in der traditionellen Formensprache geforderte Moment der Kontrastierung innerhalb der dreiteiligen Form ABA’ bedienen. Die Außenteile arbeiten mit fragmentarischem Material, das durch variative Verfremdung Entsprechungen auf typhafter Ebene schafft (vgl. die gemeinsame intervallische und gestische Substanz etwa des Kontrafagotts T. 2,4 und der Bassklarinette T. 14,4). Darüber hinaus sind die freilich nicht ihrer formalen Organisation, doch aber ihrem affektiven Auftreten nach etwas willkürlich wirkenden Einsätze einzelner Töne in beiden Teilen typisch für das kompositorische Ringen um einen authentischen Klangausdruck im Sinne des andauernden Experiments mit unterschiedlichen Klangfarben und deren feinsinniger Kombination. Zu Ebd., S. 124. Ebd., S. 134. 131 Ebd., S. 137. 129 130
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verweisen wäre im Sinne des Auslotens ‚neuer‘ Ausdrucksformen auch auf den Einsatz des Schlagwerks, der einerseits Lücken im Klangteppich schließt (wie z. B. die große Trommel T. 3,3), andererseits aber auch für eine Grundierung verantwortlich ist, die vor allem dem Schlussteil eine Aura des formal sich entgrenzenden Verklingens gibt. Das „shading into nothingness“ der Aesthetic analysis Robert Snarrenbergs (s. o.) hat hier ihren satztechnischen Grund. Dass dieser sich ‚traditioneller‘ Formbeschreibung nicht bis ins Letzte erschließt, liegt im auch ‚negativen‘ Charakter dieser Art von Musik selbst begründet. Der Mittelteil steht dem deutlich abgesetzt gegenüber und präsentiert in der linearen Entfaltung und deutlich reduzierter Instrumentation (Celesta und gedämpfte Violine) ein durchsichtiges Gewebe, das in seiner Struktur entschieden kontrapunktische Anklänge hörbar macht. Man muss diesen Tribut an ein zentrales Element westlicher Tonsprache keinesfalls überbewerten, doch scheint das sich in davon absetzendem Kontext vorgebrachte Zitat nicht zufällig – schafft es doch die Möglichkeit, neben ihrem kontrastierenden Charakter auch die integrative Kraft der neuen Musik hervorzuheben, die sich dadurch auszeichnet, dass die konstruktive Substanz traditioneller Gehalte (hier des Kontrapunkts) transformiert und in neuem Umfeld zur Geltung gebracht wird. 2.3
Analyse II: Sehr bewegte Viertel
Das dritte der Orchestra Pieces (1913) ist mit Sehr bewegte Viertel überschrieben und präsentiert sich in einem Grundduktus, der für die Webernsche Musik eher ungewöhnlich erscheint. Erforderte eine Beschreibung im größeren Fall seines Œuvres eher eine Terminologie „am Rande des Verstummens“132 ob der sich normalerweise in der Kompositionsweise Weberns manifestierenden Arbeit in dynamischen und affektiven Schichten unterhalb des Lauten und Grellen, so scheint für Sehr bewegte Viertel eine entgegengesetzte Sprache erforderlich. Lediglich einige Sätze der Orchesterstücke op. 6 scheinen in der Massivität ihres Grundgestus dem vorliegenden Stück vergleichbar. Auch ein dynamischer Ausbruch, wie er beispielsweise im Mittelstück der Fünf Stücke für Orchester 132
Vgl. Döhl 1976 (Anm. 4), S. 153.
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op. 10 zu finden ist, reicht aufgrund seiner auf wenige Takte begrenzten Dauer nicht an seine Klangsprache heran, zumal auch die dortige Orchesterbesetzung von anderer, solch explosiver Emphase kaum fähiger Qualität ist. Der oben durchgeführte Durchgang durch die verschiedenen Analyseansätze zum ersten Stück hat gezeigt, dass die Fixierung auf eine einzelne Methode zur Gewinnung sämtlicher relevanter Fakten über das Stück nur bedingt hilfreich ist. Die folgenden Überlegungen orientieren sich daher gleichermaßen an Fragen der Form, der harmonischen und melodischen Gestaltung sowie des musikalischen Spannungsverlaufs, um ein möglichst konsistentes Bild von dem Webernschen Werk zu zeichnen. Es wird dazu im Großen der Versuch unternommen, das Stück als eine zweiteilige Studie unter dem – freilich in Anführungszeichen zu setzenden und das Bewusstsein um seinen Charakter als Hilfskonstrukt gewahr zu haltenden – Grundgedanken „Konstruktion und Dekonstruktion“ zu lesen. Dieses Vorgehen gewinnt seine Motivation aus der klaren Zweiteilung des 14-taktigen Stückes, das bereits beim oberflächlichen Durchsehen eine satztechnische Verschiedenheit der beiden Hälften erkennen lässt und in der in T. 6/7 akkordisch verbreiternden Struktur ihre Zäsur findet – findet sich doch der weiter unten analysierte Kulminationspunkt dieser Musik genau in der klingenden Mitte des Stückes: nach 39 von 79 klingenden Vierteln ist die chromatische Totale erreicht. Konstruktion (T. 1–5)
Die eröffnende Gestalt der Trompete besteht aus zwölf Tönen, füllt aber durch die Oktavidentität von Anfangs- und Schlusston a sowie die Dopplungen von e, f und fis das chromatische Total nicht aus (vgl. Abb. 2.4). Den Zusammenhalt der Töne leistet – wie auch für das übrige Stück als konstitutiv nachzuweisen sein wird – eine Verknüpfungstechnik, die jeden Ton chromatisch an den Vorgänger oder Nachfolger anbindet.133 133
Interessanterweise „fehlen“ in dem in dieser Phrase zum Einsatz kommenden Material mit h, c, cis und d vier chromatisch nebeneinanderliegende Töne. Diese Tatsache scheint positiv wie negativ allerdings für die weitere Konstruktion des Stückes keine Bedeutung zu haben.
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Dominik Skala e a‘- a“ rvall: Oktav Rahmeninte
Verwendetes Tonmaterial *) chrom. Anschluss an die Tuba (B)
Chromatische Anschlüsse zur harm. Legitimation und zur Verbindung von Phrasen
Abb. 2.4: Melodische Spannungsgestaltung in der Trompetengestalt T. 1f.
Gegliedert ist die Gestalt in drei Motive, die durch punktierte Rhythmen in Verbindung mit teils großen Intervallsprüngen charakterisiert sind. Die ersten beiden Motive arbeiten je mit einem Rahmenintervall einer großen Septime (fis1–f 2/ges2–g1) und sind so chromatisch nebeneinanderstehend verbunden. Das dritte Motiv umfasst diesen Rahmen durch Non- und Terzsprung (e1–f 2–a2) und sprengt den Ambitus hin zum Zielton a2. Grundiert wird diese Passage durch einen Blechbläsersatz, der das erste Trompetenmotiv rhythmisch unterstützt (vgl. Abb. 2.5). Harmonisch werden 1. und 2. Posaune chromatisch (as–A) sowie 2. Trompete, Basstrompete und 3. Posaune in der Dreitonkonstellation aus großer und kleiner Sekunde (e1–d–Cis) verknüpft. Die Wirkung dessen ist neben der Verunmöglichung tonikaler Substanzbildung die relativ gleichmäßige Ausfüllung der kleinen und großen Oktave im Sinne einer konstellativen Lesart harmonischer Disposition. Ebenfalls mit oktavidentischem Anfangs- und Schlusston (es) operiert die der Trompetengestalt folgende Klarinettenphrase. Ihren ‚Antwortcharakter‘ im Sinne einer Korrespondenz mit dem Beginn des Stückes erhält sie auch in ihrem kaskadenhaft fallenden, rhythmisch uniformen Sechzehntelgestus, der zwei Oktaven durchschreitet. Ihre melodische Qualität ist bestimmt von großen, eher fallenden Intervallen, deren Zieltöne jeweils über chromatische Verknüpfung verbunden sind (vgl. Abb. 2.6). In das beschriebene Eröffnungsgeschehen von Öffnen (Trompete) und Schließen (Klarinette) setzt bereits mit dem Viertelauftakt des 3. und 4.
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Abb. 2.5: Harmonische Gestaltung der Grundierung T. 1
Chromatische Anschlüsse zur harm. Legitimation und zur Verbindung von Phrasen
*) chrom. Anschluss an das e von Fagott, Kontrafagott, Cello und Kontrabass in T. 2,5
Abb. 2.6: Melodische Gestaltung der Klarinettenphrase T. 2
Horns auf T. 2 der zweite wichtige Komplex des ersten Teils an. Webern entfaltet in den folgenden Takten ein vielschichtiges melodisches und harmonisches Geschehen, das in traditionellen Begriffen als Mit- und Gegeneinander von Polyphonie oder Kontrapunktik und orchestraler Sympho-
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nik beschrieben werden kann. In verschiedenen Lagen werden verschiedene Typen von Melodie- und Harmoniebildung präsentiert, die für sich jeweils eine gewisse charakterliche Konsistenz aufweisen und in ihrer Einbindung in das symphonische Gesamt gleichzeitig eine Möglichkeit von konstruktiver Pluralität garantieren. Insgesamt vier Schichten lassen sich dabei unterscheiden: 1. Die Grundierung durch tiefes Blech; 2. eine rhythmisch-expressive Gestalt der 3. Posaune; 3. die linienhafte Gestalt der Hörner; 4. die großintervallige Linie der Flöten.
Ad 1) Grundschicht. Der Grundschicht der tieferen Blechbläser kommt im Verlauf des Stückes zunächst eine Verknüpfungsfunktion zu. Sie verbindet die erste Phrase aus Trompete und Klarinette mit dem folgenden Geschehen. Zwei ihrer beteiligten Stimmen (T. 2: 2./4. Horn; T. 3: 3. Trompete) setzen auftaktig ein und helfen so den Bruch in der Textur zu kaschieren. Mit dem Beginn von T. 2 ist jedoch die Schicht in ihrem Gerüst- und Grundbestand von 2./4. Horn, Basstrompete und Tuba etabliert. Die harmonische Gestaltung dieser Schicht ist in ihrer Satzart bereits aus der Stützung des ersten Trompetenmotivs bekannt. Sie geschieht durch chromatische Verknüpfung horizontaler und vertikaler Couleur und bindet so jeden Ton mindestens an einen nebenstehenden (vgl. dazu Abb. 2.7). Der Satztechnik nach erinnert die Stelle an die grundierenden Bläserschichten spätromantischer Symphonik. Durch die Instrumentierung mit Tuba statt 3. Posaune wird im Vergleich mit T. 1 zwar der Ambitus nicht geweitet, das Klangvolumen in der großen Oktave aber vergrößert. Dieser massivere Eindruck wird durch durchgehende Triller in allen beteiligten Instrumenten verstärkt. Gleichzeitig verfremdet diese spieltechnische Vorgabe den symphonischen Eindruck und damit mögliche Referenzen an tonale Vorlagen und die Idee einer sinnstiftenden Spannungsharmonik insgesamt. Es tritt mehr der geräuschhafte Charakter dieser Schicht in den Vordergrund.
Ad 2) Posaune. Die Grundsubstanz ihrer Bewegtheit zieht die solistische Phrase der 3. Posaune aus der Eröffnungsgestalt der Trompete. Verknüpft wiederum über
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Abb. 2.7: Beispiele chromatischer Verknüpfung in der Gestaltung der Bläsergrundschicht T. 2–5
Abb. 2.8: Metrische Verknappungsprozesse T. 3–5
chromatische Anschlüsse, wohnt ihr ein steigernder Zug inne, der sich technisch aus der Intensivierung von Rhythmus und Intervallik auf kleiner werdendem Raum erklärt. Abb. 2.8 illustriert dieses metrische Verknappungsgeschehen, das durch Triolenfiguren am Ende eine zusätzliche Steigerung erfährt:
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Abb. 2.9: Melodische Gestaltung der Posaunenphrase T. 3–5
Die ansteigende Durchdringung eines Ambitus durch insgesamt 27 Halbtöne (Es–ges1) verstärkt diese Wirkung, sie wird geleistet durch die unregelmäßige lineare Aufwärtsführung von lokalen Spitzentönen vom Anfangston H aus (vgl. Abb. 2.9).
Ad 3) Hörner. Von linearer Qualität ist der dritte Bestandteil der vorliegenden Schichtung. Das 1. und 2. Horn intonieren eine bogenförmige Phrase, die durch intensive chromatische und ganztönige Verflechtung als typisches Beispiel Webernscher Phrasenbildung gelten kann (vgl. Abb. 2.10). Die Spielanweisung „Schalltrichter hoch“ und ein vorgeschriebenes fortefortissimo mit zwei weiteren crescendo-Bezeichnungen verleihen der Phrase einen ‚brüllenden‘ Gestus. Motivisch erscheint die Phrase dabei nicht unvermittelt: Der Auftakt aus Halber und Viertelnote stellt artikulatorisch identisches und rhythmisch augmentiertes Material des Einsatzes der 3. Trompete in der Bläsergrundschicht (T. 2,5) dar.
Ad 4) Flöten. Die melodisch höchstgelegene Schicht bringen die Flöten. Sie zeichnet sich durch große Intervalle überwiegend fallenden Charakters aus, in der Summe werden neun Halbtöne durchschritten (b3–cis3). Die Flatterzunge der zwei großen Flöten verstärkt das geräuschhafte Moment, was den charakterlichen Eigenstand der Phrase gleichzeitig unterstreicht und gefährdet. Die hemiolische Aufteilung in T. 3/4 (die sich in versteckter Form übrigens auch in der Bläsergrundschicht T. 4/5 findet) bewirkt eine Ver-
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Abb. 2.10: Horngestalt T. 3–5
Abb. 2.11: Flöten in T. 3–5
schiebung, die den Komplexitätsgrad der gesamtrhythmischen Anlage zusätzlich erhöht (vgl. Abb. 2.11).
Zusammenfassend kann man für den ersten Teil des Stückes festhalten, dass Webern bei allem erfolgreichen Bemühen um eine atonikale Tonsprache mittels chromatischer Verknüpfung auf der anderen Seite doch einen musikalischen Zusammenhang schafft, der seine Plausibilität aus dem Mit- und Gegeneinander verschiedener Schichten gewinnt. Diese
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Schichten sind, ihre Eigenstruktur betreffend, über die ‚klassischen‘ Parameter Rhythmik, Intervallik und Lage so gearbeitet, dass sie einzeln gegenüber dem erklingenden Rest charakteristisch hervortreten. Es ist sicher nicht übertrieben, für das Gesamt von einem ‚kontrapunktischen‘ Gewebe zu sprechen. Damit ist ein weiteres ausgesagt: Sinnstiftende musikalische Konstruktion, wie sie in der ersten Hälfte des vorliegenden Stückes erfolgt, findet bei Webern in der Inanspruchnahme genau jener Mittel statt, derer auch die klassisch-romantische Tradition sich bedient: Quasi-periodisches Öffnen und Schließen von Phrasen (Trompete und Klarinette T. 1/2), rhythmisch-intervallische Steigerungs- und Konzentrationsprozesse im Falle der Posaune, die Bildung von melodischen Spannungsbögen im Falle der Flöten und Hörner, gleichzeitig die Untergrundbildung durch einen Bläserapparat. Durch die Gleichzeitigkeit dieses Geschehens entsteht ein kontrapunktisches Geflecht, das seine Bezeichnung nicht negativ aus einem strengen harmonisch limitierenden Begriff gewinnt (chromatische Verknüpfungen in vertikaler Hinsicht ausgenommen), sondern vielmehr positiv aus einer echten, charakterlich deutlich gegeneinander abgrenzbaren Eigenständigkeit der jeweiligen Stimmen. Die beschriebenen Prozesse sind gegenüber ihrem ursprünglichen historischen Ort freilich aus mindestens zwei Gründen verfremdet. Einerseits zwingt die fehlende tonikale Rückbindung zu einer Neuausrichtung von melodischen und harmonischen Verläufen. Diese geschieht nun verstärkt durch ein Ausspielen der Parameter Intervallik, Rhythmik und Melodik, mit denen nach ihren jeweiligen Eigengesetzlichkeiten umgegangen wird, weil sie sich nicht mehr an den Notwendigkeiten tonikaler Spannungsbildungen zu orientieren haben. Diese Eigengesetzlichkeiten bestimmen andererseits auch die zeitliche und gestalthafte Ausdehnung der Prozesse. Die Trompetenphrase braucht keine rhythmische und intervallische ‚Ordnung‘, um einen Spannungszustand zu beschreiben, der zum Zwecke musikalischer Sinnbildung eine Beantwortung durch die Klarinetten erforderlich macht. Der Posaunenphrase wohnt ein aufsteigender Zug inne, der eine Aufhängung an funktional prädefinierten Spannungstönen nicht erforderlich macht, diese entstehen gewissermaßen im Geschehen selbst.
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Kulmination (T. 6/7)
Struktureller Höhepunkt des Orchesterstückes ist unmittelbar aus dem Schichtungsgeschehen folgend die Kulmination der Akkorde in T. 6 und 7 (vgl. zur Illustration auch Abb. 2.12). In drei Anläufen wird mit dem Akkord in T. 7,3 schließlich die chromatische Totale aller zur Verfügung stehenden Töne erreicht. Kompositionstechnisch gestaltet Webern das derart, dass im Verlauf der drei Akkordvorgänge der Ambitus gespreizt wird. Dies geschieht zumindest partiell betrachtet in ergänzender Weise: Die Halbtonfortschreitung der oberen Außenstimmen zwischen dem ersten und zweiten Klang (e2–f 2) findet sich auch zwischen dem zweiten und dritten Klang in den Unterstimmen (Es–D), während Gleiches für den Tritonus der Unterstimmen zwischen dem ersten und zweiten Klang (A–Es) gilt: Er findet sich in den Oberstimmen zwischen zweitem und drittem Klang wieder (f 2–h2). Gleichzeitig wird die Anzahl der beteiligten Instrumente erhöht und schließlich durch eine komplementärharmonische Auffüllung die gesamte Vertikale des Klangs betreffend ein Spannungsgeschehen gleich einem
Anzahl klingender Töne
Anzahl beteiligter Instrumente
Abb. 2.12: Harmonische Gestaltung des Höhepunkts T. 6f.
T. 6,2
6,5
6,6
7,3
14
12
17
21
8
8
8
12
*) fis‘‘‘ 8va (Piccolo); kF 8ba (Tuba), dadurch Halbton zwischen den Außenstimmen im Totalklang
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Sog implementiert. Dieser Vorgang betrifft sowohl die gesamte Klangentwicklung der Akkordkomplexe als auch die Gliederung der nebeneinander stehenden Akkorde. So lässt sich auch der Klang in T. 6,5 die Anzahl der beteiligten Instrumente betreffend als retardierendes Element beschreiben, das seine unmittelbare Ergänzung und Fortführung in T. 6,6 findet. Die Funktion dieser klanglichen und affektiven Kulmination lässt sich als konsequente Fortführung und dialektische Ausdeutung des Kontruktionsgeschehens im ersten Teil des Stückes interpretieren. Das ist so zu verstehen, dass die Aufbietung der chromatischen Totale (T. 7,3) in Verbindung mit einem extremen Ambitus – der wiederum einer sukzessiven Spreizung des Tonraums der vorhergehenden Klänge geschuldet ist – sowie über dynamische und intervallische Komplementierung in der langfristigen und unmittelbaren Vorbereitung als Inbegriff von absoluter, historisch legitimierter Konstruktivität gelesen werden kann. Eine drastischere Form der offensichtlichen Kontrolle von Prozess und Material scheint nicht vorstellbar. Im selben Moment ist dieser Punkt Ort des Umschlags: Ein ‚darüber hinaus‘ im Sinne weiterer Formatierung durch die musikalischen Zusammenhang garantierenden ‚klassischen‘ Formen wie Kontrapunkt oder Periode ist auch in der im ersten Teil bereits gegenüber ihrem historischen Vorbild geleisteten, der veränderten Tonsprache geschuldeten Verfremdung nicht möglich. Der zweite, im Folgenden zu untersuchende Teil greift genau diese Vorgabe auf und fragt nach Elementen, die einerseits weiterhin einen Zusammenhang stiften und andererseits diesen Konnex in gebrochener Form artikulieren dergestalt, dass „[e]rst im fragmentarischen, seiner selbst entäußerten Werk [...] der kritische Gehalt frei [wird]“.134 Dekonstruktion (T. 7,5–14)
Den Übergang von der Totale in den ausdeutenden, gleichsam dekonstruierenden Teil schafft Webern durch den Transfer von melodischen Bestandteilen aus der ersten Hälfte des Stücks. Allerdings taucht das an die Klarinettenphrase T. 2 gemahnende Material in T. 7,6 nur noch gestalt134
Vgl. Adorno 2003 (Anm. 7), S. 119.
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Abb. 2.13: Complementation and smallscale symmetric planning in „Sehr bewegte Viertel“ mm. 7–8 (Marvin, The Structural Role, S. 78)
haft gebrochen und in mehrerer Hinsicht modifiziert oder typisiert auf: Statt der Holz- sind es nun Blechbläser (Posaunen), die sich der Motivik bedienen. Dazu werden drei Stimmen übereinandergelegt und statt mit einem absteigenden in der ersten und zweiten Stimme mit einem aufsteigenden Zug versehen. Mit Elizabeth W. Marvin ist auf die konstruierte Struktur hinzuweisen, die dieser Stelle nach dem Aufstellen der vertikalen Totale die Qualität eines ‚Aufklappens‘ in die horizontale Richtung unter Beibehaltung der gesamten tonalen Substanz gibt: „In this passage, the composer has arranged the twelve tones horizontally so that one of the melodies is the literal complement (L.C.) of the other two – the sets 5–21 and 7–21 contain mutually exclusive pitch classes – and vertically so as to form a symmetric pattern of equivalent trichords.“135 Die der Analyse Marvins entnommene Abbildung 2.13 illustriert das Verhältnis der beiden Instanzen. Die in T. 7 erklungene Totale schlägt also um. Im folgenden T. 8 legt Webern eine Horizontale frei, die sich deshalb so deutlich absetzt, weil das vorher vertikal und in massiver Gleichzeitigkeit präsentierte Tonmaterial 135
Vgl. Marvin 1983 (Anm. 91), S. 78.
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Abb. 2.14: Vielschichtigkeit der Instrumentierung in T. 8
Abb. 2.15: Chromatische Anschlüsse in T. 8
nun horizontal zur subtilen Darstellung gebracht wird. Einzelne Töne, zwar dynamisch immer noch in höchster Lautstärke, wirken aber plötzlich durch ihr einzelnes oder paarweises Erklingen geradezu intim. Webern instrumentiert innerhalb dieses einen Taktes in nicht weniger als 13 Klangkombinationen und schafft so einen Gehalt, der sich satztechnisch aus der größtmöglichen Kontrastierung legitimiert (vgl. Abb. 2.14). Wie im Falle der vertikalen Totale letztlich die Chromatik ein verbindendes Element zwischen den zusammenhängenden Tönen darstellt, so gilt gleiches auch für die Folgestelle: Neu einsetzende Töne vermitteln sich stets halbtönig an bereits Erklungenes bzw. noch Klingendes (vgl. Abb. 2.15).
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Schon der Blick auf einen einzelnen Takt des zweiten Teils legt somit ein dialektisches Moment frei: Die Überschrift „Dekonstruktion“ bezieht ihren Blickpunkt aus der Setzung historisch legitimierten Materials (Kontrapunktik, Symphonik etc., s. o.) als These, die es zu widerlegen gilt. Gleichzeitig aber lässt sich dem in T. 8 beschriebenen Verlauf auch eine positive, genuin konstruktive Lesart abgewinnen. Die ‚Entzerrung‘ der Klangereignisse auf einzelne ‚Tupfer‘ hin setzt beispielsweise eine Potenz frei, die ihre Elemente gerade aus dem Gegensatz zur limitierenden Massivität der Konstruktion bezieht. Dies lässt sich positiv so deuten, dass die „Entfremdung [von Bekanntem, D. S.], die in der Konsistenz der künstlerischen Technik gelegen ist, den Gehalt des Kunstwerks selber bildet.“136 Musikalisch konkret wird das im Hervorgang von Fragen der ausdifferenzierten instrumentationstechnischen Farbgebung aus einer, vorher in dieser Subtilität nur schwerlich erreichbaren, Tiefe ablesbar. Das Fragmentarische kann somit in der Folge auch als das positiv konstruktive Moment der kompositorischen Gestaltung des gesamten zweiten Teils beschrieben werden. Dies geschieht in der oben für das Posaunenmotiv bereits durchgespielten Idee einer referenziellen Typik, die Momente des ersten Teils aufgreift und sie in einen neuen Zusammenhang setzt. Deutlich wird dieses Verfahren zum Beispiel auch am Umgang mit der aus der Kulminationsstelle gewonnenen Abbildung der vertikalen chromatischen Totale (vgl. dazu Abb. 2.16). Drei Stellen im Verlauf des zweiten Teils bringen Anklänge dieser Idee wieder (T. 10,4 [Fl, Hrn, Trp, Hrf, Vcl]; T. 12,1 [Klar]; T. 12,5 [Pk]). Die Ganzheit aller zwölf Töne wird allerdings nicht mehr erreicht. Der Prozess verläuft jedoch noch dynamischer: Die Gestalten erscheinen in rhythmisch gelockerter (vgl. den zeitlich dreifachen Einsatz in T. 10) und damit ihre Totalität auch auf dieser Ebene marginalisierenden Form, sie werden auf einzelne Instrumentengruppen reduziert und schließlich in der Anzahl ihrer klingenden Mitglieder verkleinert, bis sich der Paukenwirbel in T. 12,5 nur noch als rudimentäres Element einstiger chromatischer Fülle erkennen lässt. Die geforderten Spieltechniken gemahnen darüber hinaus schemenhaft an die spezifischen Gestalten des ersten Teils: Flatterzunge bzw. Tremolo in T. 10,3 136
Vgl. Adorno 2003 (Anm. 7), S. 126.
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Dominik Skala Horizontale Fragmentarisierung
Reduktion auf eine Instrumentengruppe
Reduktion auf eine Intervallqualität
Abb. 2.16: Sukzessive Dekonstruktion des Totalklangs in T. 7,3
(Fl, Trp, Vcl) erinnern an die Flötenphrase T. 3–5, die Triller in T. 10,4 (Hrn) bzw. T. 12,1 (Klar) blenden zurück auf die symphonische Bläserschicht. Der jeweilige, im ersten Teil charakteristische und exponierte Eigenstand ist jedoch erloschen, vielmehr fließen sämtliche Momente in einer chimärenhaften, nun fragmentarisch zersetzt sich darstellenden Idee ehemaliger konstruktiver Gewalt zusammen. Der positive Gehalt dessen ist offensichtlich. Durch die ‚Horizontalisierung‘ im kleinen (T. 10) wie im größeren Zusammenhang wird auf dynamische Weise neuer Raum geschaffen, dessen Potenzial gerade in der Möglichkeit der Aufstellung zitathafter Momente und vergangener Konstruktionen in neu sich entwickelnden Kontexten liegt. Wie dieser freigelegte Raum genutzt wird, sei abschließend exemplarisch am Umgang Weberns mit einem weiteren Rudiment ‚traditioneller‘ Formatierung gezeigt: Die Motive von Oboe und Englischhorn (T. 9,1– T. 12,1) leben prinzipiell noch von einem Gestus, der im Sinne von gegenseitiger Entsprechung (etwa wieder ‚Frage‘ und ‚Antwort‘) bestimmt ist, sind aber einerseits durch das vertikale Moment in T. 10,4f. getrennt und somit in der Plastizität dieser Erscheinung als solcher eingeschränkt. Auch wirkt die ‚auratische‘ Grundierung durch große Trommel und Becken ver-
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fremdend. Andererseits ist diese phrasenhafte Erscheinung unmittelbar mit den umgebenden motivischen Momenten verwoben: Die Basstrompete intoniert ein fünftöniges Motiv (T. 9,4), das als Gegenstruktur gelesen werden kann, in seinem lediglich zitathaften Charakter aber keine wirkliche kontrapunktische Qualität mehr entfaltet. Vielmehr scheint der intervallische Grund als freiliegend und somit die Substanz von Motiv, aber auch der Musik insgesamt als offen daliegend. Gleiches gilt auch für die sich an die Oboen-Englischhorn-Phrase anschließenden motivischen Momente, etwa der Celesta (T. 12,2) oder wiederum der Basstrompete (T. 13,3). Als Reflex der Substanz bilden sie diese gleichzeitig selbst. Die abschließende Cellophrase (T. 12,3–T. 14,1), die ihrer Ausdehnung nach auch als eine Widerlegung der eingangs aufgestellten These vom dekonstruierenden Charakter des zweiten Hauptteils gelesen werden könnte, steht jedoch genau in dieser Linie: Chromatischer Zusammenhang erscheint in der Verbindung mit der extremen Lage (Spitzenton cis3) als paradigmatisches Moment jener egalen Tendenzlosigkeit des Materials, über das die freie Atonalität zwischen den Restriktionen Tonalität und Dodekaphonie verfügt. Zusammenfassende Überlegung
Das Erstellen eines freien Raumes erweist sich in der Rückblende als zentraler Gehalt der Komposition Weberns. Er ist Ausdruck eines musikalischen Geschehens, das sich zunächst zwischen den Polen Konstruktion und Dekonstruktion (im Sinne ‚traditionell‘ legitimierter Begriffe) abspielt. Gleichzeitig erweist sich eine ausschließlich derart gerichtete Lesart als kurzsichtig. Die Umkehrung der Blickrichtung hin zu einer Interpretation aus dem Geiste einer Konstruktivität im Fragmentarischen lässt das Stück im Zentrum einer Auseinandersetzung stehen, der es darum geht, für eine der harmonischen Form – mit Blick auf später wieder strenger regulierende Momente der Zwölftontechnik wird man sagen müssen: vorerst – entledigte Musik und Tonkontrolle neue strukturierende Parameter zu finden.
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3 Ertrag und Perspektivierung Diese Untersuchung zielte vor allem auf zwei Themenbereiche. Zunächst ging es um das Umfeld, in dem der Komponist Anton Webern sich in der Zeit von 1911 bis 1913 biographisch und künstlerisch bewegte. Damit ist der Hintergrund verdeutlicht, vor dem die einzelnen Kompositionen in ihren ganz konkreten Herausforderungen zu betrachten sind. Die organisatorischen Mittel, derer sich Webern in den untersuchten Kompositionen bedient, scheinen technisch nicht über den Stand der ‚etablierten‘ Werke dieser Zeit, etwa die Stücke für Orchester op. 10, hinauszugehen: Fragen der Form artikulieren sich durch satztechnische Kontraste, die Legitimation einzelner Töne erfolgt über ihre chromatische Nachbarschaft im Sinne horizontaler oder vertikaler Verknüpfung. Gleichzeitig ist der Umgang mit den Herausforderungen einer Kontrolle des Tonmaterials, die sich mit der Aufgabe der Tonikalität ihres liebsten Kindes nicht mehr bedienen darf, wieder aufregend neu. Die gegenüber op. 10 vergrößerte, für Webern insgesamt untypisch große Orchesterbesetzung vor allem in Sehr bewegte Viertel, die fast beständig am oberen Anschlag operierende Dynamik, das Spannungsgeschehen zwischen den beiden Großteilen sowie die Organisation im Binnenbereich: All diese Momente lassen das Stück zu einer Studie werden, die es sich in der Auseinandersetzung mit dem Fortgang der freien Atonalität in den Blick zu nehmen lohnt. Der zweite Schwerpunkt dieser Studie betrifft die Frage nach der Angemessenheit verschiedener Analysemethoden und nach ihrer Eignung für den Bereich der ‚(frei-)atonalen‘ Musik. Diesbezüglich wurde deutlich, dass es das umfassende Werkzeug der musikalischen Analyse nicht geben kann. Vielmehr gilt es – wie erneut festzuhalten ist – jene Instrumente musikalischer Analyse einzusetzen, die ein multidimensionales Verständnis des Stückes eröffnen: Für Fragen der Großform mögen dies klassische (ihren kontingenten Gebrauch in der generalbassgebundenen Musik auch transzendierende) Formbegriffe sein. Fragen des harmonischen und melodischen Zusammenhangs lassen sich über ordnende Intervallbenennungen, wie sie etwa die Pitch Class Theory anbietet, klären. Wenn dies in einem Bewusstsein um die Terminologien in ihrem jeweiligen historischen Kontext geschieht, wird eine zusätzliche Tiefenschärfe erreicht, die das einzelne Stück sowohl besser verstehbar als auch differenzierter kommunizierbar macht.
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Die Frage nach dem Gesamtzusammenhang der zwischen 1911 und 1913 entstandenen Orchesterstücke Anton Weberns bleibt ein Forschungsfeld, das weitere Anstrengung lohnen würde. Eine Aufarbeitung des gesamten Materials, auch der fragmentarischen Bestände, wie sie im Rahmen der Webern-Gesamtausgabe geplant ist,137 könnte helfen, die Frage zu klären, in welchem Maße sowohl die als Opus 10 veröffentlichten Stücke für Orchester, die Orchestra Pieces (1913) als auch die Fragmente in einem musikalischen Sinnzusammenhang stehen. Das wiederum sollte der Musiktheorie Herausforderung sein, Fragen der scheinbar bewusst unterlassenen orchestralen Zyklenbildung jenseits des Opus 10 in dieser Schaffensphase Weberns analytisch voranzubringen.
137
Die Webern-Gesamtausgabe wird seit dem Jahr 2006 federführend vom Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Basel betreut. Das Unternehmen darf deshalb mit Spannung erwartet werden, weil sich zum Ziel gesetzt worden ist, „das gesamte kompositorische Schaffen dieses Komponisten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zur Publikation vorgesehen sind deshalb nicht nur die Fassungen der Werke, die Webern selbst zum Druck befördert hat, sondern auch deren unpublizierte Frühfassungen sowie Werke, die Webern unveröffentlicht liess. Ebenso sollen die Jugend- und Studienkompositionen wie auch Fragmente, Skizzen und Bearbeitungen im Rahmen der Gesamtausgabe veröffentlicht werden.“ url: http://mws.uni bas.ch/forschung/anton-webern-gesamtausgabe/ (Abruf 28.08.2013).
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Abstract Von den Orchesterwerken der ‚freiatonalen‘ Periode Anton Weberns haben besonders die Fünf Stücke für Orchester op. 10 eine breite analytische und aufführungspraktische Rezeption gefunden. Weniger bekannt ist eine Sammlung von im gleichen Umfeld entstandenen Werken Weberns, deren fünf unter dem Titel Orchestra Pieces (1913) im Jahr 1971 als posthume Kompilation veröffentlicht wurden. Die vorliegende, im Jahr 2011 entstandene Studie entfaltet ein biographisches und kompositionsgeschichtliches Panorama Weberns in den Jahren 1911 bis 1913 und untersucht zwei der edierten Sätze, Bewegt und Sehr bewegte Viertel. Auch wenn diese nicht dem durch Webern autorisierten Werkkatalog zugeordnet werden können, wird aufgezeigt, dass die analytische Auseinandersetzung dennoch lohnt: Mit Blick auf Bewegt werden einzelne, in der Literatur bereits durchgeführte Analyseansätze vorgestellt und auf ihre Stärken und Überhänge hin befragt. Die Analyse von Sehr bewegte Viertel nimmt diese Ergebnisse auf und interpretiert das Stück in einem eigenen Ansatz als dialektische Auseinandersetzung Weberns mit der Frage nach historisch und selbstständig legitimierter Konstruktivität. Among the orchestral works of Anton Webern’s ‘freely atonal’ period, the Fünf Stücke für Orchester op. 10 have received the most widespread attention, in terms of both analysis and performance. Less well known is a collection of Webern’s works that came into being around the same time, from which five were published posthumously in 1971 under the title Orchestra Pieces (1913). The present text was written in 2011 and offers a biographical and compositional-historical panorama of Webern for the years 1911–13 and explores two of the edited pieces in detail, Bewegt and Sehr bewegte Viertel. Although these pieces are not among the catalog of compositions authorized by Webern, their examination is demonstrably worthwhile: with regard to Bewegt, analytical approaches undertaken in earlier musicological research will be presented and surveyed as to their strengths and their open questions. The analysis of Sehr bewegte Viertel incorporates these results and interprets the piece according to the question of historical and independently legitimized constructivity.
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Verzeichnis der Quellen und Literatur Quellen
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