Anthropologie Eine eingewanderte Familie von hohem Rang ? Für das Frühe Mittelalter, an dessen Beginn die Unterhachinger Grabgruppe datiert wird, stehen im Vergleich zu den unmittelbar vorhergehenden und den nachfolgenden Zeitperioden weniger historische, d. h. schriftliche Quellen zur Verfügung, die Auskunft über damalige Lebensbedingungen geben könnten. Daher ist eine intensive anthropologische Untersuchung der im Gegensatz dazu häufigen Skelettfunde unter Einbeziehung der modernen naturwissenschaftlichen Methodik umso entscheidender, will man der historischen Realität nahe kommen. Im Falle der Grabgruppe von Unterhaching galt es, neben der allgemeinen Fragestellung nach der Charakterisierung der hier bestatteten Population und ihren Lebensbedingungen, mehrere Vermutungen zu prüfen, die im Vorfeld anhand der archäologischen Funde und Befunde aufgestellt wurden1: So sollte festgestellt werden, ob sich für die mutmaßlich herausgehobene soziale Stellung der Individuen biologische Korrelate finden lassen. Weiterhin weisen die Beigaben darauf hin, dass es sich zumindest bei einigen Individuen um Einwanderer handeln könnte. Zudem stellte Volker Bierbrauer die Vermutung auf, dass die potentiell eingewanderten Individuen sich schon länger in der Siedlungsgemeinschaft aufgehalten haben könnten, da einige Trachtbestandteile aus der Region übernommen wurden2. Dies sollte in der vorliegenden Studie mittels Strontium- und Sauerstoffisotopenanalysen überprüft werden – Verfahren, die Hinweise auf das Migrationsverhalten von Individuen geben. Weiterhin wurde aufgrund der archäologischen Fundsituation angenommen, dass es sich bei den in Unterhaching bestatteten Individuen um Mitglieder einer Familie und gegebenenfalls deren Abhängige handelte. Die Überprüfung dieser Vermutung ist bei entsprechendem DNA-Erhalt mittels molekulargenetischer Analysen möglich. Die Gräbergruppe von Unterhaching fällt in eine Zeit, in der die Belegung der größeren altbairischen Reihengräberfelder, z. B. Altenerding mit über 1500 Bestattungen (5.–7. Jahrhundert) oder Aschheim-Bajuwarenring mit etwa 440 Gräbern (ca. 6.–7. Jahrhundert), begann. Unterhaching lässt sich aber eher einer anderen Gattung von Bestattungsplätzen zu-
rechnen, die ebenfalls in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts beginnt, aber wesentlich weniger Gräber umfasst und in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts wieder abbricht. Hubert Fehr nennt als Charakteristika dieses Typus neben der geringen Zahl der Bestattungen auch die verhältnismäßig tiefen Grabgruben und zählt dazu den Friedhof von RegensburgBurgweinting mit 19 Bestattungen (Ende 5./ Anfang 6. Jahrhundert) und die von Unterhaching nur wenige Kilometer entfernte, allerdings nicht vollständig ergrabene Begräbnisstätte von München-Perlach (32 ausgewertete Bestattungen, Ende 5.–6. Jahrhundert)3. Um die in dieser Studie erhobenen Ergebnisse zu Unterhaching kontextuell einzuordnen, werden diese, soweit möglich, im Vergleich mit den genannten zeitgleichen Gräberfeldern betrachtet.
Zum methodischen Vorgehen In der vorliegenden Studie ist annähernd das gesamte zurzeit verfügbare anthropologische Methodeninventar genutzt worden. Aufgrund dieser Vielfalt kann dieses jedoch nicht eingehend beschrieben, oder können die im Labor genutzten Protokolle nicht detailliert wiedergegeben werden. Im Folgenden werden daher nur die Hintergründe der jeweiligen Methoden kurz angerissen, die wichtigsten verwendeten Parameter dargestellt und für Details auf die jeweilige Fachliteratur verwiesen. Da die Nutzung anthropologischer Methoden für vor- und frühgeschichtliche Fragestellungen in den zurückliegenden Jahren eine überaus große Resonanz erfahren hat und die Ergebnisse nicht selten unkritisch bzw. auch komplett ablehnend interpretiert wurden, soll explizit auf deren Möglichkeiten, aber auch die derzeit gesetzten Grenzen eingegangen werden. Die für die Unterhachinger Skelette angegebenen Individualnummern entsprechen den Grabnummern. Die Angaben zu den vergleichend betrachteten Gräberfeldern sind,
1 2 3
Vgl. z. B. Haas-Gebhard 2010. Bierbrauer 2010. Fehr 2006; vgl. dazu ders. in diesem Band, S. 198– 200.
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soweit nicht anders erwähnt, den grundlegenden Publikationen entnommen4.
Morphologische Begutachtung und Ermittlung der biologischen Basisdaten Grundlage der anthropologischen Charakterisierung einer Skelettserie ist die Erhebung der biologischen Basisdaten der Bestatteten. Abhängig vom individuellen Erhaltungs- bzw. Überlieferungszustand gehören dazu die Bestimmung des Geschlechts, des Sterbealters und der Körpergröße sowie ggf. die Diagnose von vorhandenen Pathologien, anatomischen Varianten und degenerativen Veränderungen. Hinweise auf diese Merkmale liefert die morphologische Begutachtung5. Die hier beschriebene intensive morphologische Befundung fand unabhängig von der Erstbegutachtung der Skelette statt, womit sich eventuelle Diskrepanzen zu Gisela Grupe und George McGlynn erklären lassen6. Weiterhin wurden unterstützend zu den morphologischen Methoden zur Bestimmung von Alter- und Geschlecht histologische bzw. molekulargenetische Verfahren eingesetzt. Die Geschlechtsdiagnose erwachsener Individuen erfolgte morphologisch anhand geschlechtstypischer Becken- und Schädelaspekte. Zur Unterstützung der morphologischen Analyse wurde eine molekulargenetische Geschlechtsbestimmung mittels des Amelogenin-Genortes7 durchgeführt. Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass entgegen verbreiteter Meinung eine molekulargenetische Geschlechtsbestimmung keinesfalls „sicherer“ ist als eine morphologische Diagnose am vollständig erhaltenen Skelett eines Erwachsenen. Die Ursache hierfür liegt in den methodischen Schwierigkeiten der molekulargenetischen Geschlechtsbestimmung, die ein erhöhtes Risiko der Falschbestimmung durch Kontaminationen oder Degradationsartefakte birgt. Durch die Kombination beider Methoden kann jedoch letztlich eine erhöhte Sicherheit in der Geschlechtsbestimmung erlangt werden. Kriterien für die morphologische Sterbealtersschätzungen bei kindlichen Individuen sind der Entwicklungszustand der Milch- und Dauerzähne sowie, wie auch bei juvenilen oder frühadulten Individuen, die Reifemerkmale des Skelettes. Bei älteren Individuen werden mehrere Merkmale, insbesondere der Grad der Verknöcherung der Schädelnähte und die Ausprägung des Schambeinsymphysenreliefs, zu einem Gesamteindruck für die Ermittlung des Sterbealters zusammengefasst. Die Angabe des morphologischen Alters erfolgt in folgenden Altersklassen: Infans I (0–6 Jahre), Infans II
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(7–12 Jahre), Juvenis (13–20 Jahre), Adultas (20–40 Jahre), Maturitas (40–60 Jahre), Senilis (60–ω Jahre). Während für kindliche, juvenile und frühadulte Altersstufen die morphologische Begutachtung noch eine relativ genaue Altersbestimmung zulässt, ist dies bei älteren Individuen häufig nur eingeschränkt möglich und mit starken Unsicherheiten behaftet. Daher erfolgte zusätzlich für die erwachsenen Individuen eine Altersdiagnose mittels der histologischen Analyse der Zuwachsringe des Zahnzements (TCA-Analyse: Tooth-CementumAnnulation-Analysis). Bei einer TCA-Analyse wird das chronologische Sterbealter anhand der jährlichen Anlagerung von Zahnzementzuwachsringen und dem Durchbruchsalter des entsprechenden Zahnes ermittelt. Die Anzahl der vorhandenen „Jahresringe“ – bestehend aus einer hellen und dunklen Mineralisationslinie – ist weitgehend unabhängig von Umwelteinflüssen, wodurch im Idealfall eine Genauigkeit der Methode von +/- 2,5 Jahren erreicht werden kann8. Die Angabe des Sterbealters der Unterhachinger Population ergab sich durch den Durchschnitt der Auszählung von mehreren Zahnquerschnitten pro Individuum durch jeweils zwei Bearbeiter9. Die Körperhöhe der erwachsenen Individuen wurde aus den langen Extremitätenknochen anhand derjenigen Regressionsformeln nach Bach/Breitinger10 berechnet, die überwiegend auch für das Vergleichsmaterial genutzt wurden. Eine Ausnahme stellt hier die angegebene durchschnittliche Körperhöhe der Individuen von Altenerding dar, die anhand dieser Formel neu aus den Angaben zur Durchschnittslänge der Femora11 berechnet wurde. Auf die Körperhöhenbestimmung aus rekonstruierten Langknochen oder Femurkopfdurchmessern wird aufgrund des erhöhten Fehlers verzichtet. Arthrotische Veränderungen an den Gelenken wurden, angelehnt an den Global History of Health-Katalog12, in folgenden Stufen bewertet: Keine Veränderungen – leichte Veränderungen (leichte Randleistenbildung von weniger als 3 mm und geringe Verschleißspuren) – mittlere Veränderungen (Randleistenbildung über 3 mm, stärkere Verschleißspuren) – starke Veränderungen (Eburnisierungen, grobporöse Gelenkoberflächen, Spangen- und Blockwirbelbildung). Weiterhin wurde der Gebisszustand der bestatteten Individuen dokumentiert. In der vorliegenden Studie beschränkt sich die Auswertung der Kariesbefunde auf sichtbare Läsionen von erwachsenen Individuen, die Intensität bzw. eine Lokalisation wurden nicht berücksichtigt. Um die Einzelbefunde vergleichbar zu machen, wurden für die Population verschiedene Indikatoren berechnet, die sich folgendermaßen definieren:
• tiefer Sulcus praeauricularis • laterale Auflagerungen am distalen Ende der linken Schienbeindiaphyse • deformierter Finger- und Handwurzelknochen (Os lunatum) wahrscheinlich aufgrund einer verheilten leichten Handverletzung links • Verwachsung von Atlas und Axis sowie beginnende Blockwirbelbildung zweier zusätzlicher Halswirbel • anatomische Variante: Foramen transversum bipartium
53
• tiefer Sulcus praeauricularis • weitflächiger entzündungsbedingter Abbau des linken Oberkiefers im Bereich des Eckzahns und der beiden Prämolaren • anatomische Variante: Foramen supratrochleare
18
170 +/- 3,9 cm
• aktiver Kallus bedingt durch die Fraktur einer rechten mittleren Rippe (Abb. 2) • poröse Knochenauflagerung im Bereich des äußeren rechten Gehörganges und in der rechten Kieferhöhle • anatomische Varianten: beidseitig persistierende Wachstumsfuge im Acetabulum, Wormsche Knochen, Weisheitszähne im Unterkiefer sind nicht angelegt/durchgebrochen
59
• deutliche 2 cm breite Knochenneubildung auf der posterioren Fläche des Manubriums mit unklarer Genese (Fraktur, Weichgewebsentzündung?) • starker Zahnsteinbefall und Parodontopathien des Zahnhalteapparates
juvenil
infans I (3-4 Jahre)
5
♀
frühadult
6
♂
matur/senil
• Auflagerungen im Bereich der Schädelbasis und des Oberkiefers, deren Genese nicht eindeutig geklärt werden können und auch wachstumsbedingt sein mögen (z. B. im Oberkiefer durch Zahndurchbruch) • leichte Cribra orbitalia
7
♂
8
♀
50
• Sulcus praeauricularis • feinporöse Auflagerungen auf dem Os parietale (ectocranial) sowie im Diaphysenbereich der Femora, Tibiae, Fibulae und auf den Patellae mit nichtspezifischer Genese • robuster Körperbau
9
♀
adult/matur
32
164 +/- 4,1 cm
• tiefer Sulcus praeauricularis sowie Sulcus praesymphysialis • abgeheilte Cribra orbitalia • anatomische Variante: eine mittlere Rippe als Gabelrippe ausgeprägt, Inkabein
10
♀
adult
37
• tiefer Sulcus praeauricularis • leichte Schmelzhypoplasie an Oberkiefereckzahn, als Anzeichen einer überwundenen Mangelphase in der Kindheit • anatomische Varianten: Inkabein, Foramen transversum bipartium
• entzündlich bedingte Deformation dreier rechter Handwurzelknochen (Os lunatum, Os pisiforme und Os trapezoideum), Deformation des rechten Daumengelenks, sowie leichte Auflagerung auf korrespon dierendem distalem Radiusende, wahrscheinlich Folgen einer komplizierten Fraktur • feinporöse Auflagerung auf dem äußeren rechten Felsenbein, die auf eine nicht näher zur spezifi zierende entzündliche Reaktion in diesem Bereich hinweisen könnte • vollständig verheilte Frakturen im posterioren Drittel an je einer rechten und einer linken mittleren Rippe
matur
matur
43
172 +/- 4,8 cm
• Überdeutliche Zahnabrasion im Bereich der Schneide- und Eckzähne des Ober- und Unterkiefers, eventuell durch Gebrauch der Zähne als Haltewerkzeug zu erklären • Deformation des Phalangen I.2 im Fuß sowie Anzeichen von Knorpeldefekten in den Großzehengrund- gelenke, entstanden durch übermäßige Belastung • laterale Hockfacetten an beiden Tibiae • anatomische Variante: Reduktion der lateralen Schneidezähne des Oberkiefers, Diastema im Ober und Unterkiefer
Die Kariesfrequenz gibt den prozentualen Anteil der an Karies erkrankten Personen an, die Kariesintensität dagegen den Anteil kariöser Zähne in Bezug zu allen vorhandenen Zähne der untersuchten Serie. Gleiches gilt analog für die Zahnverlustfrequenz und ‑intensität, wobei in diesen Fällen der Bezug zu den beurteilbaren Alveolen hergestellt wird. Die letztgenannten intravitalen Zahnverluste werden in der Hauptsache durch Karies verursacht. Somit ist es berechtigt, Zahnkaries wie auch Zahnverlust zu einem Indikator zusammenzufassen. Dazu wurde ein Index (Kariesverlustindex) verwendet, der sich folgendermaßen berechnet: [(Gesamtanzahl der Zähne mit
4 Aschheim-Bajuwarenring: Staskiewicz 2007, teilweise unpubl. – Regensburg-Burgweinting: Schleuder in Vorb. – München-Perlach: Haebler/ Zintl/Grupe 2006; Haebler 2006, teilweise unpubl. 5 Verwendete Methoden: vgl. Herrmann u. a. 1990; Steckel u. a. 2005. 6 Vgl. Grupe/McGlynn 2010. 7 Zur angewandten Methodik s. u., S. 213. 8 Wittwer-Backofen/Gampe/Vaupel 2004. Details zur histologischen Präparation der Zähne (vorzugsweise Prämolare) und der mikroskopischen Bearbeitung sind Grupe/Lippitsch 2007 zu entnehmen. 9 Durchgeführt durch die Mitautorinnen S. Bauer und M. Seiler. 10 Vgl. Herrmann u. a. 1990. 11 Vgl. Helmuth 1977. 12 Steckel u. a. 2005.
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1 Biologische Basisdaten der untersuchten Individuen aus Unterhaching und deren individuelle Besonderheiten. Morphologisches und molekulargenetisches Geschlecht in jedem Fall übereinstimmend; TCA = Tooth cementum annulation (Zahnzementannulation).
Isotopenanalysen Isotopenanalysen an Knochen- bzw. Zahnmaterial können abhängig vom betrachteten Isotopensystem Auskunft über das Migrationsverhalten von Individuen oder deren Ernährung geben. Dabei unterscheidet man je nach Masse schwere Elemente, wie z. B. Strontium (Sr), von leichten Elementen, wie z. B. Kohlenstoff (C), Stickstoff (N) und Sauerstoff (O). Nur bei den leichten Elementen kommt es aufgrund der differierenden chemischen und physikalischen Eigenschaften der Isotope zu Isotopenfraktionierungen und damit zu Unterschieden in den Isotopensignaturen verschiedener biologischer Materialien oder Ökosysteme. Da die Unterschiede in den Isotopenwerten der leichten Elemente meist sehr klein sind, werden deren Isotopenverhältnisse relativ zueinander betrachtet und in der sogenannten δ-Notation, gemessen in Promille (δ(‰)), angegeben. Das schwere Isotopenverhältnis 87Sr/86Sr wird zur Provenienzanalyse genutzt. Dabei macht man sich, vereinfacht dargestellt, folgenden Hintergrund zu Nutze: Der 87Sr-Gehalt eines Gesteins ist eine Funktion des Ausgangsgehaltes an Rubidium und seines Alters, so dass das 87 Sr/86Sr-Verhältnis zur Charakterisierung von Gesteinen herangezogen werden kann. Bei der Verwitterung der Gesteine wird das Strontium gelöst und gelangt mit seiner spezifischen Signatur in Boden und Grundwasser, wo es biologisch verfügbar wird. Dieses Isotopenverhältnis gelangt über die Pflanzen in die Nahrungskette und wird bei Mensch und Tier im Zahnschmelz und Knochen konserviert13. Es wurde für alle Individuen von Unterhaching die Strontiumisotopensignatur des Zahnschmelzes bestimmt14. Vergleichsweise wurden in dieser Studie zusätzlich die Strontiumisotopensignaturen von Rippen der Individuen 3, 5, 6 und 8 und einer Bodenprobe aus Grab 5 ermittelt15. Die festgestellten Sauerstoffisotopensignaturen (18O/16O-Verhältnis) aller Individuen aus dem strukturellen Knochenkarbonat kann dazu dienen, spät zugewanderte Individuen auszumachen: Da der δ18O-Wert des atmosphärischen Sauerstoffes weitestgehend konstant ist, variiert das Isotopenverhältnis des meteorischen Wassers in Abhängigkeit von der Temperatur, der Höhenlage, der Niederschlagsmenge, dem Breitengrad und der Entfernung zur Küste. Diese regionalen Unterschiede in der Isotopenzusammensetzung werden über das Trinkwasser aufgenommen und unter anderem in die
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Skelettgewebe eingelagert. Und da zwischen den δ18O-Werten des Trinkwassers und des Körperwassers eine lineare Beziehung besteht, wird im strukturellen Karbonat des Knochens das meteorische Wasser der Trinkwasserquelle abgebildet, wodurch mögliche Migrationsmuster zu erkennen sind16. Das Sauerstoffisotopenverhältnis wird in Bezug zu dem internationalen Standard V-PDB dargestellt. Die Präzision der Messung liegt bei mindestens +/- 0,1 ‰. Die Bestimmung der Verhältnisse der stabilen Isotope von Kohlenstoff (13C, 12C) und Stickstoff (15N, 14N) aus dem Knochenkollagen gibt Hinweise auf die Herkunft pflanzlichen und tierischen Proteins und somit auf die Ernährung. Für die δ13C-Werte gilt, dass sie Unterschiede in pflanzlicher Nahrung angeben, die durch die unterschiedliche Isotopenfraktionierung von C3- (z. B. Weizen, Roggen, Hafer) und C4-Pflanzen (in Europa hauptsächlich Hirse) entstehen (δ13C-Werte von C3-Pflanzen: -37 ‰ bis -22 ‰, von C 4-Pflanzen: -13 ‰ bis -10 ‰). Die C-Isotopenraten des Kollagens von Herbivoren und Karnivoren sind in Bezug auf ihre Nahrung um ca. 5 ‰ angereichert. Süßwasserpflanzen haben ähnliche δ13C-Werte wie terrestrische C3-Pflanzen, während marine Pflanzen δ13C-Werte zwischen jenen von C3und C4-Pflanzen zeigen. Für die δ15N-Werte gilt, dass sich das schwere Isotop von einer Trophiestufe zur nächsten relativ konstant anreichert, die Unterschiede betragen dabei im Mittel +3 ‰. Solche Trophiestufeneffekte werden auch bei laktierenden Säugern innerhalb des eigenen Körpers erzeugt, was zu einem Anstieg der δ15N-Werte in der Milch führt. In den marinen Ökosystemen sind – mit Ausnahme von ariden Gebieten – die δ15N-Werte generell höher als in terrestrischen Habitaten17. Die Isotopenverhältnisse werden relativ gegen den Standard PDB für δ13C bzw. Luft-N2 für δ15N angegeben. Der Messfehler des Laborstandards beträgt ≤ 0,2 ‰. Kollagen kann durch liegezeitbedingte Prozesse verändert werden, wodurch die Isotopenwerte nicht mehr dem authentischen Signal entsprechen könnten. Um solche Prozesse zu detektieren wird das molare C/N-Verhältnis des extrahierten Kollagens als Anhaltspunkt herangezogen18. Bei den Unterhachinger Individuen lag dieser Wert, mit Ausnahme von Individuum 2, das von der Interpretation ausgeschlossen wurde, durchgehend in dem geforderten Bereich von 2,9 bis 3,619. Da aus der Unterhachinger Grabgruppe keine Tierknochen zur Rekonstruktion eines Nahrungsnetzes zur Verfügung standen, wurde auf ausgewählte Daten zurückgegriffen, die Isotopenwerte für Faunaproben aus der fraglichen Zeitstellung (5.–7. Jahrhundert) und der
Region (Altenerding, Aschheim-Bajuwarenring, Eching-Kleiststraße, Freising-Attaching, Klettham) angeben20. Offensichtliche „Ausreißer“ wurden ausgesondert.
Molekulargenetische Analysen Bei der Vorbereitung, Extraktion und Amplifikation der Proben sowie der Analyse der Produkte der PCR (Polymerasekettenreaktion zur In-vitro-Vervielfältigung von Erbsubstanz) erfolgten alle Arbeitsschritte nach den für alte DNA-Untersuchungen üblichen Vorkehrungen, um sowohl Verunreinigungen mit moderner DNA als auch Kreuzkontaminationen zu vermeiden. Dies beinhaltet z. B. die Arbeit in einem ausschließlich und speziell für Alte-DNA-Analysen eingerichteten Reinraum mit entsprechender Schutzkleidung und Dekontamination aller Chemikalien und Gerätschaften mit UV-Licht bzw. Bleiche21. Zur DNAAnalyse wurden, soweit möglich, jeweils zwei Zähne pro Individuum verwendet. Im Falle des Kindes von Unterhaching (Individuum 4) konnte allerdings nur auf Knochenmaterial (Felsenbein und Femur) zurückgegriffen werden, und im Falle des Individuums 5 wurde neben einem Zahn eine Femurprobe verwendet. Die Proben wurden mittels Bleiche und UV-Licht dekontaminiert, homogenisiert und die DNA extrahiert. Für die molekulare Geschlechtsbestimmung wurde ein Teil des X-Yhomologen Amelogenin-Gens analysiert22. Zur Feststellung der mütterlichen Verwandtschaftslinie wurde die Hypervariable Region I (HVR I, Region 16056-16407 nach rCRS) der mitochondrialen Kontrollregion mittels Polymerasekettenreaktion (PCR) vervielfältigt (amplifiziert) und sequenziert. Dafür wurden sowohl vier23 als auch zwei überlappende Primerpaare (Primerpair I: H 16036 GAAGCAGATTGGGTACCAC und L 16223: GGGTTGATTGCTGTACTTGCT; Primerpair II: H 16183: ACCCCTCCCATGCTTA und L 16418: ATTTCACGGAGGATGGTGGT) genutzt. Die PCR wurde in folgendem 20 μl Reaktionsansatz ausgeführt: 1x AmpliTaq Gold PCR Buffer II, 4 mM MgCl2, 1 mg/ml bovine serum albumin (BSA), jeweils 250 μM von dATP, dCTP and dGTP, 500 μM dUTP, 1.5 μM von jedem Primer, 0.5 U hitzelabiler USB und 1.5 U AmpliTaq Gold DNA, sowie 1 µl DNA-Extrakt. Die PCRBedingungen waren wie folgt: Inkubieren mit USB 15 min bei 37 °C, Denaturierung und TaqAktivierung bei 94 °C für 9 min; 35 Zyklen: 95 °C 20 sec; Annealing-Temperatur abhängig vom Primerpaar (55 °C24) 30 sec; 72 °C 30 sec und finale Extension für 4 min bei 72 °C25. Zur Feststellung der Verwandtschaft über die
väterliche Linie wurden 17 Y-chromosomale Short-Tandem-Repeats (STRs) der männlichen Individuen analysiert (ebenfalls mindestens dreifache Wiederholung)26. Die mit der Analyse von alter DNA verbundenen Schwierigkeiten (Artefaktbildung durch Degradationsprozesse und Kontaminationsrisiko) machen es erforderlich, die Ergebnisse der DNA-Analyse zu reproduzieren, um für ihre Authentizität zu garantieren. So sind die Ergebnisse für die einzelnen Individuen, je nach Anzahl der erfolgreichen Reproduktionen, als unterschiedlich gesichert einzustufen. Während für acht Individuen der Unterhachinger Grabgruppe die Ergebnisse aus zwei DNAExtrakten zweier unterschiedlicher Proben mindestens dreimal reproduziert wurden und damit als gesichert gelten, sind die DNA-Ergebnisse für die Individuen 2 und 3 als vorläufig zu betrachten, da bislang noch keine zweite Extraktion bearbeitet werden konnte.
Die Individualdaten: Bevölkerungsdemographie und Einzelschicksale Die Überreste der in Unterhaching bestatteten Verstorbenen waren mit Ausnahme von Individuum 1 weitgehend vollständig, das heißt in sämtlichen Körperpartien überliefert. Sie lagen allerdings, überwiegend bergungsbedingt, häufig in fragmentiertem Zustand vor (insbesondere Individuum 2). Eine Übersicht der Ergebnisse kann Abbildung 1 entnommen werden.
13 Für eine ausführliche Besprechung s. Bentley 2006. 14 Dazu Grupe/McGlynn 2010. 15 Die angewendete Labormethodik ist im Detail z. B. Haebler/Zintl/Grupe 2006 zu entnehmen. 16 Die detaillierte Beschreibung der eingesetzten Labormethodik findet sich wiederum beispielhaft ebd. 17 Zur allg. Darstellung s. Harbeck/Grupe 2008; zu den angegebenen Promillewerten s. Zusammenfassung in Doppler u. a. 2010. – Das Kollagenextraktionsprotokoll und Angaben zur Massenspektrometrie entnehme man z. B. Harbeck/Grupe 2009. 18 Vgl. aber auch ebd. 19 DeNiro 1985. 20 Hakenbeck u. a. 2010. 21 Weitere Details vgl. Sofeso u. a. 2012. 22 Für die verwendeten Protokolle vgl. ebd. 23 S. ebd. für Primersequenz wie auch für die Annealing-Temperatur. 24 Ebd. 25 Die Sequenzierbedingungen und Auswertungsparameter entnehme man ebenfalls ebd. 26 Hierfür wurde das AmpFlSTR® YfilerTM Multiplex Kit von Applied Biosystems nach Herstellerangabe verwendet (Applied Biosystems 2006).
213
2 Unterhaching Grab 5. Rechte mittlere Rippe des Individuums 5 mit noch nicht vollständig verheilter Fraktur (Bruchstelle mit ersten Heilungsspuren in Vergrößerung).
3 Degenerative Gelenkveränderungen der einzelnen Individuen aus Unterhaching; n. b. = nicht bestimmbar (Gelenk fehlte bzw. war unvollständig).
Geschlechts- und Altersverteilung Bei den zehn Skeletten der Unterhachinger Grabgruppe handelt es sich um die Überreste von neun erwachsenen Individuen, wobei der überwiegende Anteil das mature Alter erreichte (vgl. Abb. 1). Im adulten Alter verstarben drei Frauen, während ein Mann nur das juvenile Alter erreichte. Weiterhin fand sich die Bestattung eines Kindes (Individuum 4), das durch die molekulargenetische Analyse als weiblich diagnostiziert werden kann. Seine Zahn- und Reifeentwicklung verweist auf ein Alter von drei bis vier Jahren. Bei Betrachtung der Geschlechterverteilung fällt der Frauenüberschuss auf: Es handelt um sechs Frauen und nur drei Männer. Während die großen frühmittelalterlichen Reihengräberfelder wie etwa Aschheim-Bajuwarenring oder Altenerding27 und auch der untersuchte Ausschnitt des nahegelegenen Gräberfeldes von München-Perlach die biologisch zu erwartende gleichmäßige Geschlechterverteilung zeigten, konnte auch bei der kleinen Grabgruppe in Regensburg-Burgweinting ein starker Frauenüberschuss festgestellt werden. Die Abweichung von der Geschlechtergleichverteilung kann bei solch kleinen Grablegen stochastische Gründe haben, zeigt allerdings
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2
3
keine keine keine keine keine keine stark leicht n. b.
leicht keine mittel leicht n. b. leicht mittel leicht keine
keine keine keine keine keine keine keine keine keine
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Individuum 5 6 keine leicht keine n. b. keine keine keine keine keine
n. b. leicht leicht keine n. b. n. b. mittel mittel mittel
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n. b. mittel leicht leicht leicht leicht n. b. n. b. n. b.
leicht leicht leicht leicht n. b. mittel mittel leicht keine
keine leicht keine keine keine leicht mittel keine keine
keine keine leicht n. b. leicht leicht leicht keine mittel
deutlich, dass hier kein repräsentativer Ausschnitt einer biologischen Bevölkerung vorliegt. Als mögliche kausale Ursachen für einen Frauenüberschuss in einem vollständig ergrabenen Gräberfeld sind eine größere Zahl unverheirateter Mägde auf landwirtschaftlichen Anwesen, die ambulante Lebensweise der Männer, die sich um Streubesitze kümmern, Wiederverheiratung der Männer nach dem früheren Tode der Frau, ein Konkubinatssystem oder kriegerische Auseinandersetzungen, bei denen Männer an ihrem entfernten Todesort bestattet werden, zu nennen28. Soweit die kleine Individuenzahl eine Aussage zulässt, entspricht die Sterbealtersverteilung der Unterhachinger Grabgruppe annähernd derjenigen, die häufig für historische Populationen zu beobachten ist: Ein Teil der Frauen verstirbt auch hier im adulten Alter (hingegen kein Mann), während die Mehrzahl der Männer das mature Alter erreicht. Solch zweigipflige Sterbeverteilung wird häufig durch eine erhöhte Mortalitätsrate von Frauen im adulten Alter – bedingt durch Schwangerschaften und Geburt – erklärt, könnte die Ursache aber auch in unterschiedlichen Lebensbedingungen von Mann und Frau haben29.
Lebensgeschichtsparameter Individuelle Auffälligkeiten sind ebenfalls in Abb. 1 aufgeführt. Auf eine Darstellung jedes einzelnen Individuums wird verzichtet, da dies in aller Ausführlichkeit durch Gisela Grupe und George McGlynn bereits erfolgte30. Als beispielhafte Pathologie sei hier die bisher nicht beschriebene Rippenfraktur der frühadult verstorbenen Frau (Individuum 5) dargestellt. Wie Abbildung 2 zeigt, ist in der entsprechenden Fraktur noch die Bruchlinie zu erkennen; die Verwachsung der beiden Bruchstücke und damit die Kallusbildung haben allerdings schon eingesetzt. Auch wenn der Frakturheilungsprozess von einer hohen Anzahl von Variablen (z. B. vom Alter, der Bruchstelle und dem Knochentyp) abhängig ist, deutet der andauernde Heilungsprozess doch darauf hin, dass die Verletzung zeitlich nicht allzu fern, aber mindestens drei Wochen vor dem Tod erfolgte31. Die Ursache dieser Verletzung kann nicht rekonstruiert werden: Rippen können sowohl aufgrund von Belastungen (Stressfraktur auch z. B. durch anhaltenden Husten) wie auch durch indirekte Gewalteinwirkung brechen. Meist resultiert eine solche Fraktur aber durch direkte mechanische Einwirkung (z. B. durch einen Sturz) und ist der häufigste Frakturentyp in modernen wie auch in den meisten historischen Populationen32. Rippenbrüche
können unentdeckt bis stark schmerzhaft sein, heilen aber meist folgenlos ab, wenn nicht eine lebensbedrohliche Komplikation durch Verletzung von umgebendem Weichgewebe oder inneren Organen entsteht33. Bei vier der sechs erwachsenen weiblichen Individuen waren weiterhin sehr tiefe und breite sogenannte Sulci praeauriculares auffällig. Während rinnenartige, schmalere Furchen unterhalb der Gelenkfläche des Darmbeins sowohl bei Männern als auch bei Frauen beobachtet werden können, zeigt sich solch eine breite, tiefe Ausprägung nur bei Frauen und wird häufig in Zusammenhang mit den Belastungen einer Geburt gebracht34. Ein schwach ausgeprägter oder fehlender Sulcus praeauricularis (wie bei Individuum 8) lässt keine Interpretation bzw. Negativaussage zu. Eine der Frauen (Individuum 9) wies zusätzlich zum Sulcus praeauricularis einen Sulcus praesymphysialis auf – eine Furche am ventralen Symphysenrand, an dem die Bänder der Muskeln ansetzen. Auch dieses Merkmal wird bei deutlicher Ausprägung mit den schwangerschaftsund geburtstraumatisch bedingten Belastungen in Verbindung gebracht, wenngleich auch dies nicht unumstritten ist35. Die festgestellten degenerativen Veränderungen der Gelenke der Individuen (Abb. 3) können als altersgerecht beurteilt werden. Es fällt allerdings auf, dass bei den Frauen überdurchschnittlich häufig degenerative Veränderungen an den Halswirbeln beobachtet werden können. In keinem der Vergleichskollektive von Burgweinting, München-Perlach oder Aschheim konnte dies so festgestellt werden. Bei der Untersuchung von frühmittelalterlichen, alemannischen Grablegen finden sich in 27,3 % der Fälle arthrotische Veränderungen der Halswirbelsäule36, was ungefähr der heutigen Häufigkeit entspricht. Ob es sich bei der in Unterhaching vorgefundenen Häufigkeit von 60 % um einen stochastischen Effekt handelt, oder ob es sich um Folgen eines nicht näher definierbaren Bewegungsmusters handelt, muss unbeantwortet bleiben. Abschließend sei noch erwähnt, dass drei Individuen Anzeichen von Mangelphasen in der Kindheit bzw. Jugend aufweisen: Bei dem einzigen Kind (Individuum 4) finden sich leichte Cribra orbitalia, die sich in abgeheilter Form auch bei einer etwa 30jährigen Frau (Individuum 9) nachweisen lassen. Das Individuum 10 weist Schmelzhypoplasien an einem Oberkiefereckzahn auf. Sowohl Cribra orbitalia, als auch Zahnschmelzhypoplasien gehören zu den sogenannten nichtspezifischen Stressmarkern. Sie sind zwar Anzeichen für eine Belastungsphase, können allerdings keine Auskunft darüber geben ob diese z. B. durch Mangelernährung,
Infektionserkrankungen, Parasitenbefall oder traumatische Ereignisse zustande gekommen sind37. Solche Befunde sind erwartungsgemäß für eine frühmittelalterliche Bevölkerung und können auch in den zitierten Vergleichspopulationen regelhaft beobachtet werden.
Zum Migrationshintergrund Auskunft zur Mobilität der Unterhachinger können die Isotopenverhältnisse von Strontium und Sauerstoff geben. Zunächst musste aber, will man Migranten erkennen, für das betrachtete Habitat, also das Unterhachinger Tal, die lokale Spannweite der bioverfügbaren Strontiumisotopensignaturen bestimmt werden. Leider standen für Unterhaching keine archäologischen Tierknochen von Kleinsäugern zur Verfügung, deren Analyse die beste Methode darstellt, um solche örtlichen Variationsbereiche zu bestimmen. Für Bodenproben des geologisch relativ einheitlichen bayerischen Gebietes zwischen Alpen und Donau (überwiegend Sedimentgesteine mit ähnlichen Strontiumisotopensignaturen) sind jedoch Werte zwischen 0,708 und 0,71 festgestellt worden38. Weiterhin existieren für verschiedene Fundstellen dieser Region eine Reihe von Daten menschlicher und tierischer Knochen39. Mit diesen kann die biologisch verfügbare 87Sr/86Sr -Spannweite für den betreffenden Raum auf Werte zwischen 0,708 und höchstens 0,7103 festgelegt werden. Das 87 Sr/86Sr-Verhältnis der Bodenprobe aus Grab 5 von 0,70876 lässt vermuteten, dass die lokale Isotopensignatur in Unterhaching sich wahrscheinlich eher im unteren Bereich der Variationsbreite befindet, so dass das hier verwendete obere Limit sehr hoch gesetzt ist. In Abbildung 4 sind die Ergebnisse der Strontiumisotopenanalyse zusammengefasst. Man erkennt, dass die Strontiumisotopensignaturen des Zahnschmelzes von sieben Individuen klar über der für das Habitat festgestellten, maximalen bioverfügbaren Strontiumisotopensignatur von 0,7103 liegen. Diese Individu-
27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39
Helmuth 1977. Vgl. dazu Czermak 2012. Herrmann u. a. 1990. Grupe/McGlynn 2010. Vgl. Lovell 1997. Ebd. Brickley 2006. Zusammenfassend Breitinger 1990. Ebd. Weber/Czanetzki/Spring 2003. Vgl. z. B. Obertova/Thurzo 2008. Grupe u. a. 1997; Schweissing/Grupe 2003. Ebd., ferner Bentley/Knipper 2005.
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5 cm
en haben sicher ihre Kindheit nicht im Unterhachinger Tal verbracht, sind also zweifellos als „ortsfremd“ anzusprechen. Unterstützt wird diese Diagnose durch die Ergebnisse der Strontiumisotopenanalyse an Rippenknochen von vier Individuen (s. Abb. 4). Im Gegensatz zum Zahnschmelz, in dem die Isotopensignaturen der Kindheit gespeichert bleiben, reflektiert die Isotopenzusammensetzung des Knochens den Mittelwert der letzten Lebensjahre. Alle daraufhin untersuchten Individuen zeigen in ihren Knochen Werte zwischen 0,70835 bis 0,70897. Es ist also wahrscheinlich (geht man nicht von einer diagenetisch bedingten postmortalen Sr-Aufnahme aus, die nie auszuschließen ist), dass sich hier die Signatur des bioverfügbaren Strontiums der Unterhachinger Umgebung zeigt, in der die Individuen ihre letzten Lebensjahre verbracht haben. Der direkte Vergleich der Strontiumisotopenverhältnisse aus Zahnschmelz und Rippe bestätigt bei den Individuen 6 und 8 den Wohnortwechsel von einer Region in eine andere (vgl. Abb. 4). Die Frage nach dem Herkunftsgebiet dieser zugewanderten sieben Individuen kann hingegen mittels der Strontiumisotopenanalyse nicht beantwortet werden. Wie Gisela Grupe und George McGlynn bereits bemerkten40, ist der bei den sieben ortsfremden Individuen festgestellte Isotopenwert typisch für eine granit- bzw. gneisdominierte Region, wie z. B. den Bayerischen Wald oder die Ostalpen. Allerdings ist zu bedenken, dass es keine 87Sr/86Sr-Signatur gibt, die nur einem einzigen Herkunftsort eindeutig zugeordnet werden kann. Es existieren viele geographisch divergierende Regionen, die eine ähnliche Gesteinszusammensetzung und damit gleiche Strontiumisotopensignaturen aufweisen. Darin liegt auch die Schwierigkeit begründet, Individuen mit Isotopien, die in dem als lokal bestimmten Bereich liegen, als lokal anzusprechen. Dies ist bei den Unterhachinger Individuen 3 und 5 sowie auch bei dem Kind (Individuum 4) der Fall. Hier zeigte der
4 Isotopensignaturen aller Individuen der Unterhachinger Grabgruppe (Daten zum Strontiumisotopenverhältnis aus dem Zahnschmelz nach Grupe/McGlynn 2010).
Zahnschmelz entsprechende lokale Werte, die denen der jeweiligen gemessenen Rippen gleichen (Abb. 4). Für diese Individuen kann aber eben nicht eindeutig entschieden werden, ob sie tatsächlich standorttreu waren oder aber aus einem Gebiet eingewandert sind, das eine gleiche Strontiumisotopensignatur aufweist. Auffällig ist allerdings, dass das drei- bis vierjährige Kind ein besonders hohes Strontiumisotopenverhältnis im Vergleich zu den anderen als „lokal“ einstufbaren Werten (insbesondere der Rippenknochen) zeigt – der Wert befindet sich nahe am sehr hoch gesetzten oberen Limit. Es ist somit denkbar, dass dieser auf einer Mischisotopie beruht. Diese entsteht, wenn sich die Strontiumisotopensignatur eines Gewebes aus den Werten unterschiedlicher Habitate zusammensetzt, da während des Bildungszeitraumes des Gewebes ein Ortswechsel stattgefunden hat. Die Frage, ob alle als „fremd“ bestimmten Individuen von einem einzigen Herkunftsort kommen, muss ebenfalls offen bleiben: Zwar liegt dies angesichts der festgestellten Strontiumisotopenwerte im Bereich des Möglichen, ist aber aufgrund der Redundanz von Strontiumisotopensignaturen und der unbekannten Variabilität des bioverfügbaren Strontium am potentiellen Herkunftsort nicht zu entscheiden. Einen weiteren Hinweis zur Mobilität der Individuen können die Sauerstoffisotopenverhältnisse geben, die aus dem Knochenapatit für neun von zehn Individuen festgestellt werden konnten (Abb. 4). Die lokale Sauerstoffisotopie der von den Individuen von Unterhaching genutzten Trinkwasserquelle kann zwar nicht rekonstruiert werden, trotzdem lassen sich aus diesen Daten Informationen zur Mobilität der Individuen der letzten Lebensjahre gewinnen: Die gemessenen Werte liegen alle im Bereich von -8,86 und -7,71 um einen Median von -8,41 ‰. Die um weniger als 1 ‰ variierenden Werte sprechen dafür, dass die Individuen die gleiche ökologische Region als Lebensort ihrer letzten Jahre genutzt haben. Wahrscheinlich ist, dass diese Spannweite den lokalen Bereich
Zur Ernährung Hinweise auf Ernährung und die allgemeinen Lebensbedingungen können sich aus verschiedenen Merkmalen am Skelett ableiten lassen, welche im Folgenden einzeln besprochen werden sollen.
Körperhöhe Aufgrund des Fragmentierungsgrades konnte die Köperhöhe mit vertretbarem Fehler nur von vier Individuen bestimmt werden. Darunter findet sich ein Mann, dessen Körperhöhe mit ca. 172 cm ein wenig über dem Durchschnitt frühmittelalterlicher Bevölkerungen der Region liegt42. Bei aller gebotenen Vorsicht angesichts der sehr kleinen Individuenzahl fällt aber auf, dass die bestimmbaren Frauen ebenfalls am oberen Ende des Variabilitätsbereichs für Körperhöhen dieser Zeitstellung liegen (Abb. 5). Interessanterweise gilt Gleiches für die Frauen der Grabgruppen von Burgweinting, die ähnlich wie die Unterhachinger Gräbergruppe auf Basis der Grabbeigaben überwiegend als Angehörige einer sozial privilegierten Schicht interpretiert wurden43. Es scheint daher naheliegend, diesen erhöhten Körperwuchs mit den auf Wohlstand verweisenden archäologischen Funden in Zusammenhang zu bringen und so die überdurchschnittliche Körpergröße als Folge von besserer Ernährung und medizinischer Versorgung, bedingt durch die sozialen Privilegien der Individuen, zu interpretieren. In der Tat ist anzunehmen, dass Individuen mit günstigen Umweltbedingungen, wie adäquater Ernährung und geringerer Krankheitsbe-
Körperhöhe in cm
repräsentiert. Die Austauschrate von Sauerstoffisotopen im Knochenmineral ist nicht genau bekannt, sie wird allerdings auf 10 Jahre geschätzt41, wobei anzunehmen ist, dass dies bei Kindern (wie Individuum 4) aufgrund der gesteigerten Knochenumbauraten wesentlich schneller geschieht. Leider liegen bisher nur wenige Mobilitätsstudien mittels Isotopenanalysen vor, insbesondere für größere zeitgleiche Grablegen des fraglichen Gebietes. Vorläufige Ergebnisse zum Burgweintinger Friedhof zeigen jedoch, dass dort wahrscheinlich ebenso mit einer hohen Zahl von Einwanderern gerechnet werden kann. Die Strontiumisotopenanalyse am Perlacher Gräberfeld ergab jedoch nur für 14 % der untersuchten Individuen eine definitiv ortsfremde Herkunft.
Aschheim
Perlach
Burgweinting
Altenerding
lastung, eine größere Chance haben, ihr genetisches Wachstumspotential auszuschöpfen als diejenigen, die widrigen Bedingungen, z. B. harter körperlicher Arbeit schon im Kindesalter, Unterernährung und Krankheiten, ausgesetzt waren, wie es eher für ärmere Bevölkerungsschichten anzunehmen ist44. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Körperhöhe ein hochkomplexes Merkmal ist, das nicht nur durch eine ganze Reihe von (rückwirkend nicht mehr feststellbaren) Umweltfaktoren beeinflusst wird, sondern zu etwa 80 % eine genetische Komponente aufweist45. Somit sollten für Aussagen zu Subpopulationen die betrachteten Individuen alle einer Bevölkerung angehören, die denselben Hintergrund der genetischen Disposition und Umwelterfahrung teilen. Dies ist für die Mehrzahl der Individuen aus Unterhaching in Bezug auf die Vergleichsgräberfelder nicht der Fall, da es sich bei ersteren wohl überwiegend um Einwanderer in die Region handelt. So kann also eine gehobene soziale Stellung der Individuen von Unterhaching anhand der Körperhöhe höchstens wahrscheinlicher gemacht, aber nicht vollends bestätigt werden.
Zahnstatus Der ermittelte Zahnstatus für die Unterhachinger Individuen ist in Abbildung 6 im Vergleich zu denjenigen von Burgweinting bzw. München-Perlach dargestellt. Vergleichsda-
5 Vergleich der weiblichen Körperhöhen von frühmittelalterlichen Gräberfeldern in Südbayern. Rechteck = Mittelwert; Linie = Standardabweichung; Pfeilspitze nach unten = festgestellter Minimalwert; Pfeilspitze nach oben = festgestellter Maximalwert; Punkte = Unterhachinger Frauen, für die eine Körperhöhe festgestellt werden konnte.
ten von Aschheim oder Altenerding standen nicht zur Verfügung. In Unterhaching ist an jedem erwachsenen Individuum an mindestens einem Zahn Karies festgestellt worden (Frequenz von 100 %). Weiterhin fällt die im Vergleich zu den beiden anderen betrachteten Gräberfeldern hohe Kariesintensität von 18 % auf. Hinsichtlich der Frequenz als auch der Intensität des Zahnverlustes zeigt sich, dass die Menschen von Unterhaching im Vergleich zu den anderen Fundorten nur wenige Zähne schon zu Lebzeiten verloren haben. Intravitaler Zahnverlust kann auch durch parodontale Erkrankungen bewirkt werden, als häufigste Ursache ist allerdings die Karies zu nennen. Interpretiert man zumindest einen Großteil der beobachteten Zahnausfälle der Burgweintinger und Perlacher Individuen als Folge von fortgeschrittenem Kariesbefall, relativiert sich die hohe Kariesintensität der Unterhachinger Population. Dies wird durch die Berechnung des kombinierten Indexes deutlich: Betrachtet man Karies und Zahnausfall gemeinsam, sind die Unterhachinger Individuen sogar am geringsten von kariesbedingten Erkrankungen betroffen, während die Burgweintinger durch verstärkten Zahnverlust auffallen. Eine besondere Stellung der Unterhachinger Individuen anhand des Zahnstatus kann im Vergleich der drei Fundorte nicht abgeleitet werden, auch der durchschnittliche Zahnabrieb (in Abb. 6 nicht gesondert dargestellt) scheint unauffällig. Unterhaching Burgweinting Perlach
Frequenz
Karies Intensität
100 % 69 % 62 %
18 % 8 % 11 %
6 Vergleich der Frequenz und Intensität von Karies und Zahnverlust sowie dem daraus kombinierten Index für ausgewählte frühmittelalterliche Gräberfelder in Südbayern.
Zahnverlust Frequenz Intensität 55 % 75 % 58 %
9 % 26 % 21 %
KariesVerlustindex 13 % 19 % 15 %
Die Kariesintensitäten der drei betrachteten Bestattungsplätze fallen in die für das frühmittelalterliche Europa festgestellte Variationsbreite. So werden für fünf europäische Fundstätten des Frühmittelalters Kariesintensitäten von ca. 11 bis 18 % genannt und Zahnverlustintensitäten von 8 bis 24 % 46. Interessanterweise zeigt sich überdies ein Anstieg der Karies- und Zahnverlustintensität zwischen Spätantike und Frühmittelalter47. Dieser Anstieg wird mit einem vermehrten Konsum von kohlenhydrathaltiger gegenüber proteinreicher Nahrung im Frühmittelalter begründet. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass neben kohlenhydratreicher Kost auch mangelnde Mundhygiene, ein durchschnittlich schlechterer Immunstatus oder eine erhöhte Frequenz der Nahrungsaufnahme ein erhöhtes Kariesaufkommen bewirken kann48.
218
Ernährungsrekonstruktion mittels Isotopenanalyse Die für die Individuen von Unterhaching zur Ernährungsrekonstruktion ermittelten Isotopenverhältnisse von Stickstoff und Kohlenstoff aus Knochenkollagen finden sich in Abbildung 4. Hierbei fällt auf, dass die δ13C-Werte der einzelnen Individuen sehr dicht um einen Median von -19,5 ‰ liegen. Die Differenz von Maximal- (-19,2 ‰) zu Minimalwert (-19,7 ‰) betrug lediglich 0,5 ‰. Ähnlich verhält es sich bei den δ15N-Werten. Sie streuen um einen Median von 8,9 ‰ und weisen eine ebenfalls geringe Differenz von Maximal- (9,3 ‰) zu Minimalwert (8,1 ‰) von 1,2 ‰ auf. Diese geringe Variation der Werte könnte darauf hinweisen, dass alle Individuen in den letzten Jahren vor ihrem Tod ähnliche Nahrungsressourcen nutzten. Dementsprechend muss auch darauf verzichtet werden, Ernährungsunterschiede zwischen den Einzelindividuen ausmachen zu wollen. In Abbildung 7 sind die δ13C- und δ15NWerte der Unterhachinger im Vergleich zu den Faunaproben wie auch zu der frühen Phase der Gräberfelder Altenerding49 und Burgweinting dargestellt, deren Isotopenwerte wesentlich mehr streuen. Die δ13C-Werte der Menschen zeigen, dass die vegetabile Grundlage ihrer Ernährung überwiegend auf C3-Pflanzen (Weizen, Gerste, Roggen, Hafer, viele Obst- und Gemüsesorten) basierte. Der Verzehr von einem kleineren Anteil von C 4 -Pflanzen (beispielsweise Hirse) lässt sich dabei nicht ausschließen. Ein vermehrter Konsum von C 4 -Pflanzen, die hauptsächlich in heißen und trockenen Klimazonen angebaut werden, würde sich in deutlich positiveren Werten zeigen und kann daher als Hauptnahrungskomponente für die letzten Lebensjahre der Unterhachinger Skelettpopulation ausgeschlossen werden. Die δ15N-Werte der Individuen aus Unterhaching liegen, wie in Abbildung 7 deutlich wird, zwischen den Werten von Herbivoren und Karnivoren, im oberen Bereich der Omnivoren. Somit kann eine typische omnivore Ernährungsweise mit vermehrtem Anteil tierischer Produkte angenommen werden, wobei es sich neben Fleisch auch um Eier, Milch und Milchprodukte gehandelt haben kann. Im vorsichtigen Vergleich zu den Gräberfeldern von Burgweinting oder Altenerding ist dieser Konsum tierischen Proteins aber nicht als auffällig einzuschätzen – beide Vergleichsgruppen liegen im Mittel sogar ein wenig höher als die Unterhachinger Individuen. Ein häufiger Konsum von Fisch – sowohl von Süßwasser- als auch von Seefisch – kann für Unterhaching nicht nachgewiesen werden. In beiden Fällen wären höhere δ15N-Werte, im
Falle von marinem Fisch ebenfalls erhöhte δ13C-Werte zu erwarten50. Das einzige infantile Individuum der Grabgruppe von Unterhaching (Grab 4), dessen Alter auf drei bis vier Jahre geschätzt wurde, wies einen unauffälligen δ15N-Wert von 8,6 ‰ auf. Dies ist insofern erwähnenswert, da damit gerechnet werden muss, dass bei Kindern erhöhte Stickstoffisotopenverhältnisse infolge des Stillens mit Muttermilch auftreten51. Aufgrund der nicht gut bekannten und wiederum altersabhängigen turn-over-Rate von Kollagen in Rippen ist die Schätzung, wie lange vor dem Tod das Kind von Unterhaching abgestillt wurde (insofern es überhaupt gestillt wurde), schwierig. Mit großer Unsicherheit behaftet kann aber vermutet werden, dass das endgültige Abstillen des Individuums mindestens ein Jahr vor dem Tod erfolgte52. Vergleichswerte aus derselben Region und Zeitstellung stehen nur in geringem Maße zur Verfügung. So ergab sich bei einem zwei- bis dreijährigen Kind der spätantiken Grabgruppe Erding-Kletthamer Feld ein erhöhter δ15N-Wert (12 ‰), der darauf hinweist, dass dieses noch gestillt worden ist53. Andrea M. Czermak beobachtete bei der Analyse mehrerer Gräberfelder der späten Merowingerzeit aus Südbayern ebenfalls erhöhte δ15N-Werte bei infantilen Individuen54. Sie schätzt, dass bei diesen spätestens im Alter von einem Jahr feste Nahrung zugefüttert wurde, stellt aber fest, dass die δ15N-Werte mehrheitlich erst mit dem Alter von sieben Jahren das Erwachsenenniveau erreichen. Dementsprechend scheint für das Unterhachinger Kind die vollständige Entwöhnung von der Muttermilch relativ früh erfolgt zu sein.
Verwandtschaftliche Beziehungen Es ist klar, dass mittels DNA-Analysen nur verwandtschaftliche Beziehungen im Sinne einer genetischen Verwandtschaft als sogenannte Blutsverwandtschaften aufgedeckt und daher z. B. Ehepaare nicht detektiert werden können. In dieser Studie wurde versucht, wie bei Verwandtschaftsuntersuchungen üblich, die mütterliche bzw. die väterliche Vererbungslinie darzustellen. Die Interpretation dieser Analysen ist nicht so intuitiv einsichtig wie häufig vermutet, daher sei der Vererbungsweg beider Linien exemplarisch in Abbildung 8 erläutert. Daraus werden auch die Grenzen dieses Vorgehens ersichtlich: So ist es auch nicht möglich, jedes genetische Verwandtschaftsverhältnis, wie z. B. Vater-Tochter-Relationen, mit der verwendeten Methodik darzustellen.
In der Unterhachinger Grabgruppe fanden sich nur zwei Individuen, für die eine Verwandtschaft über die mütterliche Seite angenommen werden kann, da diese bezüglich der analysierten HVR I-Region der mitochondrialen DNA ein gleiches Muster zeigen (Abb. 9). Dabei handelt es sich um Individuum 2, eine Frau im maturen Alter, und um Individuum 7, einen Mann ebenfalls im maturen Alter, beide primär ortsfremd. In Abbildung 8 ist zur Verdeutlichung der Interpretation beispielhaft ein mögliches Individuum 7 mit einem Stern gekennzeichnet – verfolgt man die Verteilung seines mitochondrialen DNA-Musters (rote Farbe) im fiktiven Stammbaum, ist erkennbar, dass es sich bei Individuum 2 sowohl um seine Schwester, seine Mutter, aber auch um eine entfernte Cousine gehandelt haben könnte, allerdings z. B. nicht um seine Tochter, die ein anderes Muster als er zeigen würde. Andere verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Individuen über die mütterliche Linie konnten anhand der sich jeweils voneinander absetzenden mitochondrialen DNAMuster sicher ausgeschlossen werden (Abb. 9). Das bedeutet etwa, dass für das Kind (Individuum 4) keine Mutter/Großmutter, Tante mütterlicherseits oder Geschwister in der Grablege gefunden werden konnten. Da es sich bei dem Kind allerdings um ein Mädchen handelt, ist 46 47 48 49 50 51
Šlaus u. a. 2011. Ebd. Vgl. z. B. Selwitz/Ismail/Pitts 2007. Hakenbeck u. a. 2010. Richards/Hedges 1999. Erhöhung um ca. 2 ‰, vgl. Zusammenfassung in Nitsch/Humphrey/Hedges 2011. 52 Vgl. ebd. 53 Dazu Sofeso u. a. 2012. 54 Czermak 2012.
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7 Nahrungsnetz für das frühmittelalterliche Südbayern (Faunawerte und Angaben zu Altenerding nach Hakenbeck u. a. 2010). Für die Menschen von Unterhaching sind die Datenpunkte eingetragen, für die Gräberfelder von Regensburg-Burgweinting und Altenerding werden die Spannweiten (minimale und maximale Werte) angegeben sowie die Mediane (Kreuzpunkt der Linien).
es möglich, dass eines der in Unterhaching bestatteten männlichen Individuen den Vater verkörpert. Dies könnten, ebenso wie die Charakterisierung der Beziehung zwischen den Individuen 2 und 7, nur weitere aufwendigere DNA-Analysen zeigen, worauf aber im Moment verzichtet werden musste. Auch die drei männlichen Individuen weisen in jedem Fall jeweils mindestens zwei Unterschiede in ihrem Y-chromosomalen STRMuster auf (Abb. 10). So kann davon ausgegangen werden, dass zwischen Ihnen keine Verwandtschaft über die männliche Linie besteht, also keine Vater-Sohn-Verbindungen, Brüder oder Vettern zu detektieren sind (Abb. 8). Die genetische Vielfalt – drei männliche Individuen zeigen drei unterschiedliche väterliche Vererbungslinien, zehn Individuen weisen neun unterschiedliche mütterliche Linien auf – beweist, dass unter der Annahme, dass die Unterhachinger Grabgruppe vollständig erfasst ist, sicher nicht mehrere Generationen einer Familie bestattet wurden. Auch wenn man davon ausgeht, dass dort neben engen Familienmitgliedern auch nichtverwandte Abhängige oder Verwandte im sozialen Sinne beigesetzt wurden, sollte sich dennoch mehr als eine genetische Verbindung über die mütterliche Linie ermitteln lassen. Andere zeitgenössische Beispiele, die es ermöglichen, die genetische Struktur dieser Grabgruppe mit zeitgleichen weiteren Friedhöfen zu vergleichen, wurden bislang nicht publiziert. Nur für Regensburg-Burgweinting liegen vorläufige, noch unpublizierte Ergebnisse vor, die auf einige genetische Beziehungen innerhalb dieser Grabgruppen hindeuten.
8 Exemplarischer Stammbaum: Kreise = Frauen, Quadrate = Männer. Die jeweiligen Farben bzw. Muster stehen für unterschiedliche mitochondriale DNA-Vererbungslinien (Haplotypen). Die farblich differierenden Y-Symbole stehen für unterschiedliche Y-chromosomale Vererbungslinien. Stern = exemplarisch für Individuum 7 (vgl. Text).
220
Zusammenfassung und Deutung der Grabgruppe Bei der 2004 ausgegrabenen frühmittelalterlichen Grabgruppe von Unterhaching handelt es sich um die Bestattungen von sechs Frauen, drei Männern und einem Kind, die überwiegend nicht miteinander in genetischen Verwandtschaftsverhältnissen standen und mehrheitlich in die Region eingewandert sind. Die Analyse der erhobenen Parameter ihrer Lebensweise zeigte weder hinsichtlich der Ernährung noch der Gelenkbelastung oder bei Erkrankungen der Individuen Auffälligkeiten im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Gräbergruppen bzw. Gräberfeldern, die nicht durch stochastische Effekte erklärt werden könnten. Hinsichtlich der im Vorfeld formulierten Hypothesen können anhand des hier anthropologisch untersuchten Skelettmaterials die folgenden zusammenfassenden Aussagen getroffen werden: Es konnten keine eindeutigen biologischen Korrelate zur vermuteten gehobenen sozialen Stellung einiger Unterhachinger Individuen ermittelt werden. Weder die Trophiestufenbestimmung mittels stabiler Isotopenanalysen, noch die Kariesbelastung bzw. andere Skelettmarker, wie z. B. die Intensität der degenerativen Gelenkerkrankungen, wiesen im Vergleich zu anderen Bestattungsplätzen des Frühen Mittelalters auf eine besondere Stellung der Unterhachinger Population oder gar einzelner dort bestatteter Personen hin. Lediglich die Körperhöhe, die nur bei sehr wenigen Individuen überhaupt bestimmt werden konnte, erwies sich als eher überdurchschnittlich. Das Fehlen biologischer Hinweise auf einen gehobenen Sozialstatus des Individuums kann allerdings keinesfalls als dessen Ausschlusskriterium gewertet werden. Es unklar, ob am Skelett sichtbare biologische Indikatoren in jedem Fall geeignet sind, feine Unterschiede in den Lebensbedingungen deutlich zu machen55. Zu bedenken ist weiterhin, dass die Bestimmung der individuellen Trophiestufe mittels Isotopenanalysen irreführend sein kann, da der regelmäßige Konsum kostengünstig zu beschaffender Nahrung tierischen Ursprungs, wie z. B. Milch oder Käse, im Konsumenten zu höheren δ15N-Werten führt als der Verzehr kostspieligeren Fleisches bzw. da der einfache Zugang zu Milchprodukten keineswegs an einen herausgehobenen Sozialstatus gebunden sein muss56. Die anhand der Beigabenanalyse aufgestellte Vermutung, dass es sich bei einem Teil der Individuen um Einwanderer aus einer anderen Region gehandelt haben könnte (vgl. S. 234),
Position
1
2*
3
16093 C 16069 C 16126 T 16147 C 16163 A 16180 A 16186 C 16189 T 16209 T 16224 T 16235 G 16291 C 16294 C 16296 C 16297 T 16298 T 16304 T 16311 T 16390 G
C G T C T
C C
C Bereich nicht bestimmbar aufgrund mangelnden DNA-Erhalts T T C
DYS 456 DYS 389 I DYS 390 DYS 389 II DYS 458 DYS 19 DYS 385 DYS 393 DYS 391 DYS 439 DYS 635 DYS 392 Y GATA H 4 DYS 437 DYS 438 DYS 448
10 DNA-Muster der getesteten Y-chromosomalen Regionen (STR-Loci) der Unterhachinger Männer 3, 6 und 7. Angabe derjenigen festgestellten Ausprägungen in Klammern, die bislang nur zweimal reproduziert werden konnten und damit als weniger sicher einzuschätzen sind.
kann für sieben von zehn Individuen der Grabgruppe zweifelsfrei bestätigt werden. Dass aber ausgerechnet die Individuen 5 und 3, welche nach Ausweis der archäologischen Funde aus dem Süden stammen könnten57, kein abweichendes Isotopenverhältnis zeigen, ist aufgrund der Redundanz der Strontiumisotopenverhältnisse nicht als zwingender Gegenbeweis zu verstehen. Vielmehr muss hier auf eine eindeutige Aussage von anthropologischer Seite verzichtet werden. Die Frage nach dem Herkunftsort der Bestatteten muss im Moment ebenfalls offen bleiben. Es lässt sich höchstens feststellen, dass sie von einem (oder
T C A
6
7*
8
9
10
C G C C
C C
C
G
mehreren) unbestimmten Ort(en) einwanderten, die außerhalb des Gebietes zwischen Donau und Alpen liegen und gneis- bzw. granitdominiert sind. Die Vermutung, dass diese Einwanderer sich nach ihrer Ankunft bereits länger in der Region aufgehalten haben, wird hingegen von den Ergebnissen der Isotopenanalyse an Sauerstoff, Kohlenstoff und Stickstoff deutlich unterstützt. Die Hypothese, dass es sich bei den Bestatteten von Unterhaching um mehrere Generationen einer Familie handelt, hat sich nicht bestätigt. Es war möglich, mit Sicherheit festzustellen, dass der Großteil der Eltern- aber auch der Nachkommen-Generation der Unterhachinger Individuen nicht zusammen mit diesen bestattet wurde. Ersteres lässt sich gewiss dadurch erklären, dass man es hier mit Einwanderern in die Region zu tun hat, deren Elterngeneration vermutlich im Herkunftsgebiet bestattet wurde. Das Fehlen von Nachkommen – also von Kindern der in Unterhaching bestatteten Frauen bzw. von Söhnen der männlichen Individuen – lässt in Kombination mit der Datierung58 und der geringen Größe der Grabgruppe auf eine kurze Nutzungsdauer des Bestattungsplatzes schließen. Somit wird unter anderem deutlich, warum die Mutter des dreijährigen Kindes (Grab 4) nicht mit diesem bestattet wurde: Sie dürfte ihr Kind um einige Zeit überlebt haben, um dann bei ihrem Tod an einem anderen Ort beigesetzt zu werden.
55 56 57 58
Vgl. hierzu ebd. Strott/Czermak/Grupe 2007. Vgl. Bierbrauer 2010; Haas-Gebhard 2010. Vgl. Beitrag von J. Haberstroh in diesem Band, S. 223–227.
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9 DNA-Muster (Haplotypen) der mitochondrialen HVR-I-Region der Individuen aus Unterhaching. Angabe der jeweils festgestellten Abweichungen von der „revised Cambridge reference sequence“ (Andrews u. a. 1999). Die Individuen 2 und 7 zeigen die exakt gleichen Abweichungen, während alle anderen Individuen unterschiedliche Muster aufweisen. Obwohl für das juvenile Individuum 3 bislang nicht alle Positionen bestimmt werden konnten, zeigt kein anderes Individuum ein gleiches Muster.
Insgesamt implizieren die Ergebnisse das Bild einer größeren Bevölkerungsgruppe von annähernd zeitgleich oder eher mehrheitlich gemeinsam eingewanderten Individuen, die ihre Verstorbenen weniger als eine Generation lang in der in Unterhaching entdeckten Gräbergruppe beisetzten, bevor sie ihren Bestattungsplatz wechselten. Es liegt nahe, diesen Bestattungsplatzwechsel mit einem weiteren Wohnortwechsel dieser – laut der reichen archäologischen Funde zur gesellschaftlichen Elite gehörenden – Personengruppe in Verbindung zu bringen, der aufgrund der wechselnden Territorialansprüche jener Zeit durchaus politisch motiviert gewesen sein könnte. Abschließend sei noch erwähnt, dass sich im Vergleich der hier angeführten zeitgenössischen Gräberfelder anscheinend die größten Ähnlichkeiten zwischen den beiden kleinsten Bestattungsplätzen – nämlich derjenigen von Regensburg-Burgweinting und dem von Unterhaching – feststellen lassen. Während für die zu Unterhaching benachbarte Grabgruppe von München-Perlach nur wenige Migranten nachgewiesen werden können, setzen sich deren Gemeinschaften maßgeblich aus Zuwanderern zusammen. Weiterhin bestehen sie – ebenfalls im Gegensatz zu allen zum Vergleich herangezogenen Grabgruppen – überwiegend aus Frauen mit tendenziell überdurchschnitt-
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licher Körperhöhe. Bemerkenswert ist, dass sowohl die Personengruppen von RegensburgBurgweinting als auch diejenige von Unterhaching von archäologischer Seite als elitär angesprochen werden, während dies z. B. nicht für die zeitgenössischen Bestatteten von München-Perlach oder Aschheim festgestellt werden konnte. Eine eindeutige Interpretation dieser Zusammenhänge wäre allerdings zu diesem Zeitpunkt aufgrund der momentan noch sehr begrenzten anthropologischen Vergleichsdatenlage mehr als spekulativ. Die Ergebnisse dieser Studie haben deutlich gemacht, dass die anthropologische Analyse unter Anwendung moderner naturwissenschaftlicher Methodik einen von der Archäologie unabhängigen, aber gut damit kombinierbaren Zugang zur Frühgeschichte darstellt, der großes Potential birgt, um Fragen nach den täglichen Lebensbedingungen, der Ernährung, der Mobilität oder der Gesellschaftsstruktur dieser historischen Gemeinschaften zu beantworten. Es steht daher zu hoffen, dass dieser Ansatz unter kritischer Würdigung der Quellenbasis zukünftig noch verstärkt in der Frühmittelalterforschung zur Anwendung kommt. Michaela Harbeck, Marion Seiler, Carla Hegerl, Stephanie Bauer und Gisela Grupe
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Report "Unterhaching. Eine Grabgruppe der Zeit um 500 n. Chr. bei München - Anthropologie "