Originalien Nervenarzt 2005 · 77:1105–1110 DOI 10.1007/s00115-005-1967-9 Online publiziert: 19. Juli 2005 © Springer Medizin Verlag 2005
A Weßling1 · W. Wölwer1 · S. Heres2 · M. Mayenberger3 · C. Rummel2 · M. Sievers4 · M. Wagner5 · J. Klosterkötter6 · W. Gaebel1 1 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Düsseldorf 2 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Technischen Universität München 3 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Tübingen 4 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der LMU München 5 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Bonn 6 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität zu Köln
Telefon-Hotline als niederschwelliges Angebot für Fragen zur Schizophrenie
Hintergrund und Zielsetzung Hoher Informationsbedarf Schizophrenie ist eine Erkrankung, die bei den Angehörigen und nahen Bezugspersonen oftmals Ratlosigkeit hervorruft. Erste mögliche Krankheitsanzeichen wie soziale Rückzugstendenzen, Niedergeschlagenheit, Misstrauen und Denkstörungen lassen sich nur schwer als solche erkennen und von anderen psychiatrischen Krankheitsbildern wie Persönlichkeitsstörung, Borderline oder Depression abgrenzen. Mit Einsetzen einer akuten psychotischen Episode erhöht sich der Grad an Hilflosigkeit, nicht selten sind Zwangseinweisungen die Folge. In Europa schwankt der Anteil zwischen 3,2 in Portugal und 30 in Schweden, in Deutschland beginnt jede 5. bis 6. stationäre Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus auf Basis des Psychisch-Krankengesetzes (PsychKG) [5], davon entfallen in Nordrhein-Westfalen rund 40 auf psychotische Erkrankungen [8]. Welche Belastungen auftreten und wie hoch der Bedarf an Information, Beratung und Unterstützung gerade für die nächsten Bezugspersonen ist, ist in verschiedenen Forschungsarbeiten bereits dargelegt worden [1, 3, 4, 6, 7]. Der Bedarf bestätigt sich bei öffentlichkeitswirksamen
Veranstaltungen des bundesweiten Forschungsverbunds „Kompetenznetz Schizophrenie“ [11], die eine starke Nachfrage nach weiteren Informationen hervorrufen. Insbesondere Angehörige erkundigten sich über das Krankheitsbild, Möglichkeiten der Früherkennung, Versorgung und sozialen Integration und das Kompetenznetz Schizophrenie. Ähnlich hoch war der Informationsbedarf nach der Auftaktveranstaltung für die Umsetzung des weltweiten Antistigmaprogramms „fighting against stigma and discrimination because of schizophrenia“ [6] in Deutschland. Um diesem Informationsbedarf kontinuierlich gerecht werden zu können, initiierte das Kompetenznetz die erste bundesweite Telefon-Hotline für Fragen zur Schizophrenie in Deutschland.
Telefonischer Beratungsservice Ein breit angelegtes telefonisches Serviceangebot findet man in Großbritannien. Die SANELINE der Britischen Gesundheitsorganisation SANE richtet sich an Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen und ihre Bezugspersonen, sie ist also nicht auf ein psychiatrisches Krankheitsbild wie Schizophrenie begrenzt. Im Gegenteil, es bestand anfangs Skepsis, ob sich Menschen mit einer in-
stabilen Schizophrenie an einen Telefondienst wenden würden. Die Nutzerstatistik zeigt jedoch, dass bereits seit Gründung der SANELINE 1992 gerade diese Gruppe verglichen mit anderen Patientengruppen das Angebot relativ häufig nutzen (37 Schizophrenie vs. 7 manische Depression) [10]. Psychotische Erkrankungen wie manische Depressionen und Schizophrenie veranlassen auch heute fast die Hälfte aller Anrufe und rangieren damit noch vor den nichtmanischen Depressionen (http://www.sane.org.uk). Die SANELINE wird häufiger von Betroffenen als von Angehörigen genutzt. Die meisten Anrufer sind weiblich. Dies spiegelt wider, dass die Betreuung und Sorge um Angehörige in der Gesellschaft größtenteils von Frauen geleistet wird und deckt sich mit den Ergebnissen einer Züricher Studie über Belastungsfaktoren von Angehörigen psychisch Kranker, in der explizit auf den Betreuungsaufwand der weiblichen Angehörigen hingewiesen wird [9]. Aufgrund der starken Nachfrage hat die SANELINE ihr Angebot seit Gründung sowohl zeitlich als auch personell ausgeweitet. Pro Woche werden derzeit bis zu 1000 Anrufe von rund 200 freiwilligen Helfern entgegengenommen. Als TELEFON-HOTLINE 01801-724496 Der Nervenarzt 9 · 2006
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Originalien Informationsquelle dient eine Datenbank (SID, SANELINE Information Database) mit aktuell mehr 18.000 Einträgen über die Symptomatik psychiatrischer Krankheiten, Behandlungsmöglichkeiten und juristische Themen in der Beratung sowie über lokale und nationale Gesundheitsdienste. Ihren Service bietet die SANELINE täglich von 12.00 Uhr mittags bis 2.00 Uhr nachts an. Die Kosten für den Anrufer entsprechen dem Ortstarif. Ausgehend von den Erfahrung in England war es Ziel des Kompetenznetzes Schizophrenie ein spezielles telefonisches Informationsangebot anzubieten, das sich ausschließlich mit Fragen zur Schizophrenie befasst und damit sowohl die bereits etablierten „Krisentelefone“ als auch die sich in jüngster Zeit etablierenden medizinischen „Callcenter“ um ein krankheitsspezifisches Angebot zu ergänzen.
Methode Umsetzung der Telefon-Hotline Das Kompetenznetz Schizophrenie unterhält seit Januar 2001 die erste bundesweite Telefon-Hotline speziell für Fragen zur Schizophrenie, um dem spezifischen Informationsbedarf der Angehörigen, aber auch der Betroffenen kontinuierlich gerecht zu werden und um darüber hinaus ein Angebot für interessierte Laien und Berufsgruppen zu schaffen, die nicht in der Psychiatrie tätig sind (z. B. Allgemeinmediziner, Psychologen, Pädagogen, Mitarbeiter in Verbänden). Die Telefon-Hotline ist jeden Mittwoch von 12.00–14.00 Uhr unter der Servicenummer 01801-724496 (01801-SCHIZO auf den mit Buchstaben hinterlegten Tasten des Telefons) freigeschaltet. Getragen wird das Angebot im wöchentlichen Wechsel von klinisch versierten Ärzten und Psychologen aus den Forschungszentren des Netzwerks in Bonn, Düsseldorf, Köln, München und Tübingen. Die Koordination erfolgt durch die Netzwerkzentrale des Kompetenznetzes, die an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Heinrich-Heine-Universität/Rheinische Kliniken Düsseldorf angesiedelt ist. Ziel der Hotline ist es, fachkompetente Auskunft bei Fragen zur Schizophrenie zu
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erteilen, emotionale Unterstützung und Möglichkeit zur Aussprache zu geben sowie praktische Informationen anzubieten. Die telefonischen Auskünfte ersetzen jedoch keine individuelle Beratung durch den behandelnden Facharzt/Psychotherapeuten, sondern übernehmen die Funktion eines niederschwelligen individuell ausgerichteten Informationsangebots.
keine Angaben bezüglich der Anzahl der Anrufe. Bei den nichtrealisierten Anrufen war in über 80 der Telefonanschluss besetzt. Zum Teil wird es sich bei den nichtrealisierten Anrufen um mehrfache wiederholte Anrufversuche handeln. Anhand der Statistiken ist jedoch nicht auswertbar, inwieweit bei einem wiederholten Versuch eine erfolgreiche Verbindung hergestellt werden konnte.
Systematische Dokumentation Ergebnisse Die eingehenden Anrufe werden seit Februar 2001 mittels eines halbstandardisierten Dokumentationsbogens systematisch erfasst und von der zentralen Koordinierungsstelle nach Nutzergruppen, Anlass des Anrufs, Beratungsinhalt und Empfehlung ausgewertet. Darüber hinaus wurden die monatlichen Statistiken der beauftragten Telefongesellschaft zum Auslastungsgrad der Telefon-Hotline und Gesprächsdauer in die Analysen einbezogen. Die Dokumentation ermöglicht eine Zusammenstellung der häufigsten Fragen und ihrer Antworten in einer „Frequently-asked-question-Übersicht“, die dann wiederum einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann. Auf der Website des Kompetenznetzes http://www.kompetenznetz-schizophrenie. de sind Fragen und Antworten hinterlegt, die aus einem 3-monatigen ExpertenChat von April bis Juni 2001 resultieren, der von GesundheitScout24 (heute: sanvartis) organisiert wurde und an dem sich das Kompetenznetz Schizophrenie beteiligte. Die folgenden Auswertungen der Telefon-Hotline beziehen sich auf einen Zweijahreszeitraum vom 01.07.2001 bis zum 30.6.2003. In diesen zwei Jahren sind insgesamt 3909 Anrufe in der Telefonstatistik registriert worden, wobei aufgrund des zeitlich begrenzten Umfangs von 2 h pro Woche nur für einen Teil der Anrufe (n=577) tatsächlich eine Gesprächsverbindung realisiert werden konnte. Von den realisierten Gesprächsverbindungen in diesem Zeitraum dauern 345 Anrufe länger als 1,5 min, von denen wiederum 277 Anrufe systematisch dokumentiert wurden. Überwiegend handelte es sich um Erstanrufer. Von 12 Anrufer wurde dokumentiert, dass sie zum wiederholten Male angerufen haben. In 32 Fällen existieren
Nutzergruppen im Vergleich Grundsätzlich steht die Telefon-Hotline einem breiten Adressatenkreis zur Verfügung. Faktisch konzentriert sich die Inanspruchnahme jedoch auf Angehörige von psychiatrisch Kranken (70). Etwa jeder 4. Anrufer (24) ist selbst betroffen. Lediglich 2 der Anrufe bei der TelefonHotline des Kompetenznetzes stammen von professionell Tätigen, über weitere 4 liegen keine Angaben vor. Die meisten Anrufer sind weiblich, ihr Anteil beträgt rund 70.
Beratungsinhalte und Angebote Die Beratungsinhalte der Telefon-Hotline sind relativ breit gefächert. Sowohl bei den Betroffenen als auch bei den Angehörigen stehen Fragen zur Krankheit und Pharmakotherapie im Vordergrund. Für Angehörige ist darüber hinaus das Bedürfnis nach Aussprache, sozialer Unterstützung und Information über Versorgungseinrichtung von Bedeutung. Bei den Betroffenen sind neben dem Bedürfnis nach Aussprache insbesondere Fragen zur nichtmedikamentösen Therapie, zur Prognose und zu nicht näher spezifizierten Themen (z. B. individueller Lebenslauf, spezielle Therapieverfahren, Tipps für andere HotlineNutzer) relevant (. Abb. 1).
Auslastung Der Auslastungsgrad des telefonischen Serviceangebots ist hoch. Nach Ankündigung der Telefon-Hotline in der Presse im Januar 2001 gingen am 1. Tag der Hotline mehrere hundert Anrufe ein, die die Kapazität der Hotline und den vermuteten Bedarf bei weitem übertrafen. Die
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Abb. 1 8 Beratungsinhalte (Mehrfachnennung möglich) bei Betroffenen (n=62) und Angehörigen (n=193) in Prozent über einen Zweijahreszeitraum (Juli 2001–Juni 2003)
Abb. 2 8 Durchschnittliche Gesprächsdauer pro Monat und Zweijahresdurchschnitt (Juli 2001 bis Juni 2003)
Inanspruchnahme hat sich in dem Beobachtungszeitraum von Mitte 2001 bis Mitte 2003 auf im Durchschnitt 144 Anrufe pro Monat reduziert. In Abhängigkeit von werbewirksamen Aktivitäten des Netzes zeigt sich, dass erhebliche Schwankungen hinsichtlich der Nachfrage auftreten können. Im ersten Halbjahr 2002 gingen 3-mal soviel Anrufe ein wie im zweiten Halbjahr (1590 vs. 509), was in engem Zusammenhang mit den Öffentlichkeitsaktivitäten des Netzes steht (z. B. Presseartikel, Newsletter, Hinweis in der Zeitschrift Test, Öffentlichkeitsveranstaltungen). Im ersten Halbjahr 2003 stieg die Zahl wieder auf knapp 1000 Anrufe an. Damit übersteigt die Nachfrage das verfügbare Angebot deutlich. Trotz erheb-
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licher Variationen in der Zahl der eingegangenen Anrufe bleibt die Zahl der Beratungsgespräche mit durchschnittlich 5–8 Telefonaten pro Hotline-Termin je Halbjahr relativ konstant. Relativ konstant bleibt auch die Anzahl der Anrufe mit einer Gesprächsdauer von mehr als 1,5 min. Sie liegt pro Halbjahr zwischen 82 und 88 Anrufen. Die durchschnittliche Gesprächsdauer beträgt 8,5 min mit einer Spannbreite von 4,5–14 min (. Abb. 2).
Diskussion Die hohe Nachfrage bekräftigt den Bedarf einer Telefon-Hotline für Fragen zur Schizophrenie. Die Inanspruchnahme der SANELINE in England bestätigt, dass trotz
anfänglicher Skepsis, ob sich Menschen mit einer Schizophrenie an einen Telefondienst wenden würden, gerade diese Gruppe verglichen mit anderen psychiatrischen Patientengruppen (z. B. Angststörung, manische Depression) das Angebot relativ häufig nutzen. Demgegenüber wird die Telefon-Hotline des Kompetenznetzes primär von Angehörigen in Anspruch genommen. Relativ gering ist die Nutzung des telefonischen Angebots durch professionell Tätige. Bei der SANELINE beträgt der Anteil weniger als 10 bei leicht steigender Tendenz, liegt damit jedoch höher als bei der Telefon-Hotline (ca. 2), wobei für 7 der Hotline-Nutzer keine Angaben vorliegen. Im Umfang des Angebots und in der Qualität der Gespräche liegt ein deutlicher Unterschied zwischen der Telefon-Hotline und der SANELINE. Während die SANELINE auf ein mehrstündiges Angebot pro Tag verweisen kann und auch in den Abendstunden erreichbar ist, ist das Angebot des Kompetenznetzes aus finanziellen Gründen auf 2 h pro Woche begrenzt. Das umfangreiche Angebot in Großbritannien ist durch freiwillig Tätige möglich, die für diese Aufgabe geschult werden und auf eine umfangreiche Datenbank mit Informationen über psychiatrische Krankheiten und Versorgungseinrichtungen zurückgreifen können. Dieses impliziert einen hohen Standardisierungsgrad der telefonischen Auskunft. Demgegenüber wird die TelefonHotline des Kompetenznetzes von klinisch versierten Ärzten und Psychologen getragen, so dass hier die Möglichkeit der individuellen Beratung stärker ausgeprägt sein dürfte. Möglicherweise werden die gewünschten Informationen bei der Telefon-Hotline auch in komprimierterer Form weitergegeben, so liegt die durchschnittliche Gesprächsdauer hier bei 8,5 min, während sie bei der SANELINE 17 min beträgt (http://www.sane.org.uk). Neben allgemeinen Fragen zur Krankheit und zur Pharmakotherapie ist das ausgeprägte Bedürfnis nach Aussprache und sozialer Unterstützung bei den Angehörigen und zum Teil bei den Betroffenen bemerkenswert. Grundsätzlich könnte dieses Bedürfnis auch von anderen Einrichtungen und Personen abgedeckt werden, der Vorteil der Telefon-Hotline liegt
Zusammenfassung · Summary darin, dass es sich um ein niederschwelliges und zugleich fachkompetentes Angebot handelt, welches die Weitergabe fundierter krankheits- und behandlungsbezogener Informationen einschließlich einer problemspezifischen Weitervermittlung innerhalb des gegliederten Versorgungssystems beinhaltet. Der Vorteil gegenüber medizinischen Callcentern, die üblicherweise Anfragen über ein breites Krankheitsspektrum bedienen, ergibt sich aus der spezifischen Ausrichtung auf ein einzelnes Krankheitsbild. Insbesondere bei Krankheiten mit einer vergleichsweise geringen Prävalenz lässt eine krankheitsspezifische Telefon-Hotline, die mit entsprechend fachlich versierten Experten besetzt ist, einen höheren Grad an Detailinformationen vermuten. Zwar liegt die Lebenszeitprävalenz für Schizophrenie bei einem Prozent, in Deutschland sind etwa 800.000 Menschen hiervon betroffen, doch gegenüber onkologischen und kardiovaskulären Krankheiten oder Depressionen tritt die Häufigkeit von psychotischen Erkrankungen zurück. Hinzukommt, dass Schizophrenie trotz therapeutischer Fortschritte bis heute oftmals Stigmatisierungs- und Diskriminierungsprozesse hervorruft, so dass auch ein in dieser Hinsicht sensibilisiertes Personal zur Verfügung stehen sollte. Im Gesundheitssystem wächst das Angebot an Telemedien kontinuierlich. Es erstreckt sich von Informationen im Internet über Telemedizin und elektronische Patientenakte bis hin zur elektronischen Versichertenkarte, die ab 2006 die bisherige Karte ersetzen soll. Für Patienten und Interessierte nehmen die Möglichkeiten zu, sich via Internet aktuell zu informieren. Sofern die technische Ausstattung gegeben ist, sind Informationen im Internet leicht zugänglich und werden entsprechend häufig abgerufen. In zunehmendem Maße werden reine Textinformationen durch interaktive Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten wie Diskussionsforen und E-Mail-basierte Feedbacksysteme ergänzt (z. B.: http://www.kompetenznetz-schizophrenie.de), wobei im Unterschied zur Telefon-Hotline der TeleDialog via Internet mit zeitlicher Verzögerung erfolgt und möglicherweise dem emotionalen Bedürfnis nach Aussprache
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Telefon-Hotline als niederschwelliges Angebot für Fragen zur Schizophrenie Zusammenfassung Die Resonanz auf öffentlichkeitsbezogene Veranstaltungen des Kompetenznetzes Schizophrenie (KNS) bestätigt internationale Forschungsarbeiten, wonach ein hoher Informations- und Unterstützungsbedarf bei nahen Bezugspersonen schizophren Erkrankter besteht. Seit 2001 bietet das KNS daher eine Telefon-Hotline an. Die Hotline ist einmal pro Woche mit klinisch erfahrenen Ärzten oder Psychologen besetzt. Die Anrufe werden systematisch dokumentiert. Von 2001 bis 2003 wurden 3909 Anrufe registriert, wobei diese Zahl deutlich die Zahl der realisierbaren Gesprächsverbindung übertrifft. Das niederschwellige telefonische Angebot wird insbe-
sondere von Angehörigen psychotisch kranker Menschen genutzt. Im Vordergrund stehen Fragen zum Krankheitsbild der Schizophrenie und zur Pharmakotherapie, aber auch die emotionale Unterstützung per Telefon kristallisiert sich als wichtige Motivation für einen Anruf heraus. Die Telefon-Hotline wird als sinnvolle Ergänzung zu bereits etablierten Krisentelefonen betrachtet und soll daher auch nach Ablauf der öffentlichen Förderung des KNS fortgeführt werden. Schlüsselwörter Schizophrenie · Telefon-Hotline · Angehörige · Information · Unterstützung
A telephone hotline as an easily accessible service for questions on schizophrenia Summary Public relations activities of the German Research Network on Schizophrenia (GRNS) have shown that there is a demand for more information about schizophrenia disorder. This confirms international research findings that relatives of schizophrenia patients are particularly in need of information and support. In response, the GRNS has maintained a telephone hotline since 2001. The hotline is manned by clinical experts, psychiatrists, or psychologists once a week. The telephone calls are documented in a systematic manner. From 2001 to 2003, 3,909 calls were registered. This volume exceeds the limit of the hotline’s resources. The telephone hotline
is mainly used by relatives of psychotic patients. Most questions relate to the symptoms of schizophrenia and pharmaceutical treatment. The need for emotional support is also a high motivational factor for dialing the hotline number. The telephone hotline seems to be a worthwhile addition to the already existing crisis telephones and should be maintained even after public funding of the network expires. Keywords Schizophrenia · Telephone hotline · Relatives · Information · Support
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Fachnachrichten und sozialer Unterstützung weniger gut gerecht wird. Generell zeichnet sich ab, dass die Bereitschaft wächst sich via Telemedien bei medizinischen Fragen zu informieren. Langzeitstudien werden zeigen müssen, ob Telemedien, die letztlich den selbstbestimmten informierten Patienten fördern, langfristig auch kosteneinsparende Effekte durch eine gezieltere Inanspruchnahme der medizinisch-ärztlichen Leistungen des Gesundheitssystems erreichen kann.
Ausblick Ziel des Kompetenznetzes Schizophrenie ist es, das fachkompetente telefonische Beratungsangebot, das inzwischen von anderen Kompetenznetzen wie dem Kompetenznetz Hepatitis seit März 2002 in ähnlicher Form angeboten wird, auch nach Ablauf der Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung fortzuführen. Die Telefon-Hotline wird ihren Schwerpunkt in der Beratung von Angehörigen und Betroffenen beibehalten und stellt aufgrund ihrer medizinischen Ausrichtung und Fokussierung auf das Krankheitsbild der Schizophrenie eine sinnvolle Ergänzung zu bereits etablierten „Krisentelefonen“ im psychosozialen Sektor dar.
Korrespondierender Autor Dr. A Weßling Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Heinrich-Heine-Universität, Rheinische Kliniken Düsseldorf Bergische Landstraße 2, 40629 Düsseldorf
[email protected] Danksagung. Diese Publikation wurde im Rahmen des Kompetenznetzes Schizophrenie erstellt und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unter der FKZ 01 GI 9932/01 GI 0232 gefördert. Dank gilt den Universitätskliniken für Psychiatrie und Psychiatrie in Bonn, Düsseldorf, Köln, München (TU und LMU) und Tübingen, die das telefonische Angebot im wöchentlichen Wechsel ohne Sonderförderung im Rahmen der Kompetenznetzförderung aufrecht erhalten. Insbesondere richtet sich der Dank an alle beteiligten Ärzte und Psychologen. Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor versichert, dass keine Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt, bestehen.
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Literatur 1. Angermeyer CM, Matschinger H, Holzinger A (1997) Die Belastung der Angehörigen chronisch psychisch Kranker. Psychiatr Prax 24:215–220 2. Baumann A, Zaeske H, Gaebel W (2003) Das Bild psychisch Kranker im Film: Auswirkungen auf Wissen, Einstellungen und soziale Distanz am Beispiel des Spielfilms „Das weiße Rauschen“. Psychiatr Prax 30:372–378 3. Cassidy E, Hill S, O’Callaghan E (2001) Efficacy of a psychoeducational intervention in improving relatives’ knowledge about schizophrenia and reducing rehospitalisation. Eur Psychiatry 16:446–450 4. Dixon L (1999) Providing services to families of persons with schizophrenia: present and future. J Ment Health Policy Econ 2:3–8 5. Dreßing H, Salize HJ (2004) Nehmen Zwangseinweisungen psychisch Kranker in den Ländern der Europäischen Union zu? Gesundheitswesen 66:240–245 6. Gaebel W, Baumann A (2000) Reduktion von Stigma und Diskriminierung schizophren Kranker. Die Umsetzung des WPA-Antistigma-Programms in Deutschland. ZNS J 21:42–48 7. Gaebel W, Baumann A, Witte M et al. (2002) Public attitudes towards people with schizophrenia in six German cities. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 252:278–287 8. Landesamt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst NRW (2004) PsychKG NRW. Ausgewählte Daten im Vergleich 1999–2002. Bielefeld 9. Lauber C, Eichberger A, Rüssler W (2001) Oft vergessen und alleine mit ihren Belastungen. Eine Untersuchung mit Angehörigen psychisch kranker Menschen in Zürich. Psychosoziale Umschau 2:22– 24 10. Wallace M (1994) Schizophrenia–a national emergency: preliminary observations on SANELINE. Acta Pychiatr Scand 380:33–35 11. Wölwer W, Buchkremer G, Häfner H et al. (2003) German Research network on schizophrenia. Bridging the gap between research and care. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 253:321–329
Depression bei Kindern und Jugendlichen Bei Kindern kann sich hinter Aggressionen, anderen Auffälligkeiten und körperlichen Symptomen auch eine Depression verbergen. Die Differenzierung von regulärer negativer Stimmung ist jedoch schwierig und Symptome werden oft verkannt. Das „Berliner Bündnis gegen Depression“ weist gerade angesichts der Gewalt an Schulen auf diesen Zusammenhang hin. Rund 2% der Kinder im Vor- und Grundschulalter erkranken an einer Depression. Ab der Pubertät steigt die Häufigkeit an. Insgesamt beträgt die Wahrscheinlichkeit, im Laufe der Jugend eine Depression zu entwickeln, zwischen 9,4 und 18,5%. Die Symptome unterscheiden sich nach Alter und von Fall zu Fall stark, sodass die Abgrenzung von normaler Traurigkeit bei Kindern besonders in der Pubertät schwierig sein kann. Bei Kindern sind die Anzeichen der Depression fast immer untypisch. Erst im Jugendalter ähneln sie denen von Erwachsenen. Bei jüngeren Kindern ist es deshalb besonders wichtig, ihr Spiel-, Ess- und Schlafverhalten zu beobachten. Bei älteren muss zusätzlich der Umgang mit Leistungsanforderungen beachtet werden. Besonders wichtig ist ferner die Fremdanamnese durch Eltern, Lehrer oder Kindergärtnerinnen. Bei der Therapie von depressiven Kindern ist der Einbezug der Eltern von besonderer Bedeutung. Die Gabe von Psychopharmaka kann durchaus indiziert sein, es ist jedoch äußerste Sorgfalt geboten. Quelle: Berliner Bündnis gegen Depression, www.berlinerbuendnisgegendepression.de