T. L. Kienlin (ed.), Fremdheit – Perspektiven auf das Andere. Cologne Contributions to Archaeology and Cultural Studies 1 / Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 264. Bonn: Habelt 2015.

July 15, 2017 | Author: Tobias Kienlin | Category: Cultural History, Cultural Studies, Archaeology, Prehistoric Archaeology, Cultural Theory, Archaeological Theory, Prehistory, Identity, Archaeological Method and Theory, Alterity, Identity and Alterity, Archaeological Theory, Prehistory, Identity, Archaeological Method and Theory, Alterity, Identity and Alterity
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Kienlin (Hrsg.) · Fremdheit – Perspektiven auf das Andere

Fremdheit — Perspektiven auf das Andere

herausgegeben von

Tobias L. Kienlin

2015 Verlag Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn

Redaktionelle Bearbeitung: Dr. Leonie C. Koch, Büro für Redaktion und Archäologie, Frankfurt/Köln Satz und Layoutentwurf: Susanne Kubenz M.A., Halle (Saale) Umschlagabbildung: Pyxisdeckel aus Minet el Bheida (vgl. Beitrag von Rüden in diesem Band S. 138 Abb. 1) Gesamtherstellung: Druckerei Martin Roesberg, Alfter-Impekoven Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages und des Herausgebers unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigung, Übersetzung, Mikroverfilmung und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren eigenverantwortlich. ISBN 978-3-7749-3950-9 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detailliertere bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Copyright 2015 by Tobias L. Kienlin, Köln & Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn

VORWORT DER HERAUSGEBER

Die Reihe „Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie“ soll einem in der jüngeren Vergangenheit entstandenen Bedürfnis Rechnung tragen, nämlich Examensarbeiten und andere Forschungsleistungen vornehmlich jüngerer Wissenschaftler in die Öffentlichkeit zu tragen. Die etablierten Reihen und Zeitschriften des Faches reichen längst nicht mehr aus, die vorhandenen Manuskripte aufzunehmen. Die Universitäten sind deshalb aufgerufen, Abhilfe zu schaffen. Einige von ihnen haben mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln unter zumeist tatkräftigem Handanlegen der Autoren die vorliegende Reihe begründet. Thematisch soll darin die ganze Breite des Faches vom Paläolithikum bis zur Ar

      

Ursprünglich hatten sich fünf Universitätsinstitute in Deutschland zur Herausgabe der Reihe zusammengefunden, der Kreis ist inzwischen größer geworden. Er lädt alle interessierten Professoren und Dozenten ein, als Mitherausgeber tätig zu werden und Arbeiten aus ihrem Bereich der Reihe zukommen zu lassen. Für die einzelnen Bände zeichnen jeweils die Autoren und Institute ihrer Herkunft, die im Titel deutlich gekennzeichnet sind, verantwortlich. Sie erstellen Satz, Umbruch und einen Ausdruck. Bei gleicher Anordnung des Umschlages haben die verschie               

Farbe. Finanzierung und Druck erfolgen entweder durch sie selbst oder durch den Verlag Dr. Rudolf Habelt GmbH, der in jedem Fall den Vertrieb der Bände sichert.

Herausgeber sind derzeit:

Kurt Alt (Mainz) François Bertemes (Halle) Nikolaus Boroffka (Berlin) Peter Breunig (Frankfurt am Main) Philippe Della Casa (Zürich) Manfred K.H. Eggert (Tübingen) Clemens Eibner (Heidelberg) Frank Falkenstein (Würzburg) Ralf Gleser (Münster) Bernhard Hänsel (Berlin) Alfred Haffner (Kiel) Albert Hafner (Bern) Svend Hansen (Berlin) Ole Harck (Kiel) Joachim Henning (Frankfurt am Main) Christian Jeunesse (Strasbourg) Albrecht Jockenhövel (Münster) Tobias L. Kienlin (Köln) Rüdiger Krause (Frankfurt am Main) Klára Kuzmová (Trnava) Amei Lang (München) Andreas Lippert (Wien) Jens Lüning (Frankfurt am Main)

Joseph Maran (Heidelberg) Carola Metzner-Nebelsick (München) Johannes Müller (Kiel) Ulrich Müller (Kiel) Michael Müller-Wille (Kiel) Mária Novotná (Trnava) Bernd Päffgen (München) Diamantis Panagiotopoulos (Heidelberg) Christopher Pare (Mainz) Hermann Parzinger (Berlin) Heidi Peter-Röcher (Würzburg) Britta Ramminger (Hamburg) Jürgen Richter (Köln) Sabine Rieckhoff (Leipzig) Thomas Saile (Regensburg) Wolfram Schier (Berlin) Thomas Stöllner (Bochum)    ! " Gerhard Tomedi (Innsbruck) Ulrich Veit (Leipzig) Karl-Heinz Willroth (Göttingen) Andreas Zimmermann (Köln)

Kölner Beiträge zu Archäologie und Kulturwissenschaften – Cologne Contributions to Archaeology and Cultural Studies Folgt man dem weiten Verständnis, dass Kultur alles sei, „was im Zusammenleben von Menschen der Fall ist“1, so ist eine Bestimmung der Archäologie als Kulturwissenschaft unabweisbar. Dies gilt umso mehr, als sich die verschiedenen Archäologien schon traditionell auch mit solchen Aspekten menschlicher Kultur befassen – etwa Raum, Materialität oder Medialität –, die erst kürzlich in den Blick anderer Disziplinen der Geschichts-, Sprach- oder Sozialwissenschaften gerieten, als diese begannen, sich im Rahmen als sogenannter turns ausgewiesener Paradigmenwechsel in Teilen neu als Kulturwissenschaften zu bestimmen. Dabei ist oft die problematische Tendenz zu beobachten, ein Selbstverständnis als Kulturwissenschaft gegen ein traditionelleres Fachverständnis in Stellung zu bringen. Turns oder ‚Wenden‘, die eigentlich nur die berechtigte Ausweitung des forschenden Interesses auf neue Aspekte dessen markieren sollten, was Menschen in den verschiedensten historischen Kontexten an kulturellen Ausprägungen hervorbringen, werden zum forschungsstrategischen Kampfbegriff auf einem Markt

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A. Assmann, Einführung in die Kulturwissenschaft. Grundbegriffe, Themen, Fragestellungen. Berlin: Erich Schmidt Verlag 22008, 13.

einander immer rascher ablösender Theoriemoden. Die Archäologien hingegen, deren Zugehörigkeit zu dem weiten Feld der Kulturwissenschaften eigentlich außer Frage stehen sollte, entziehen sich einer solchen Selbstbestimmung oft schlicht durch Mangel an Reflexion. Hier ist ein immer noch vorherrschender Positivismus zu nennen, heute bisweilen gewendet in die Auffassung, wissenschaftlicher Fortschritt sei, wenn nicht schlicht durch mehr Daten, so doch durch die Anwendung immer neuer, meist aus den Naturwissenschaften entlehnter Methoden zu erzielen. Ein Theoriedefizit vor allem der zentraleuropäischen Archäologie wurde oft beklagt, doch muss auch auf gegenläufige Tendenzen hingewiesen werden. Seitens der Klassischen Archäologie arbeitet beispielsweise die in Hamburg beheimatete Zeitschrift „Hephaistos“ seit langem dagegen an. Aus der Ur- und Frühgeschichtlichen Archäologie sind unter anderem die Arbeitsgemeinschaft „Theorie in der Archäologie“ und das Tübinger Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters mit dem langjährigen Lehrstuhlinhaber Manfred K. H. Eggert zu nennen, dem sich diverse Bände der Reihe „Tübinger Archäologische Taschenbücher“ verdanken. An verschiedenen Standorten sind Archäolo-

gien darüber hinaus inzwischen an Clustern oder Sonderforschungsbereichen beteiligt, die sich theoriegeleitet mit kulturwissenschaftlichen Fragestellungen befassen. Gleichwohl kann man nicht sagen, dass in den Archäologien inhaltliche Konzepte für eine dauerhaft fruchtbare Aufstellung als Kulturwissenschaft ausreichend bestimmt wären. Vielmehr ist oft ein taktisches Verhältnis zu ‚Theorie‘ festzustellen, etwa bei der Teilnahme an inter- oder transdisziplinären Forschungsverbünden, ohne dass die ‚Antragsrhetorik‘ tatsächlich immer auf Anliegen und Forschungspraxis durchschlagen würde. Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel, mit dem Veranstaltungsformat der „Kölner Interdisziplinären Vorlesung Archäologie und Kulturwissenschaften“ sowie mit der Publikationsreihe der „Kölner Beiträge zu Archäologie und Kulturwissenschaften“ ein universitär verankertes Forum zu schaffen, um Themen und Ansätze vertiefend zu erörtern, die die verschiedenen kulturwissenschaftlichen Disziplinen verbinden, und diese Diskussionen als Publikation einem größeren Interessentenkreis zugänglich zu machen. Ohne den Druck unmittelbaren Anwendungsbezugs, auch ohne den Drang, fortwährend neue turns ausrufen zu müssen, bevor noch die Implikationen der jeweils vorhergehenden bedacht sind, soll Erkenntnisgewinn gerade durch das Nebeneinander und die Zusammenschau verschiedener Fachtraditionen, Ansätze und Meinungen ermöglicht werden. Weder wird der Gestus des erhobenen theoretischen Zeigefingers angestrebt noch sollen kontroverse Debatten unter allen Umständen auf einen gemeinsamen Nenner gebracht oder als verbindlich erachtete Forschungsstrategien formuliert werden. Als gewinnbringend erscheint es vielmehr, Differenz in Perspektiven und Herangehensweisen zuzulassen und sichtbar zu machen, um eine Reflexion auf den je eigenen Standpunkt zu erlauben. Ein Beitrag der Archäolo-

gien kann dabei in der großen zeitlichen Tiefe ihres Forschungsgegenstands liegen. Ebenso relevant ist ihr spezifisches Interesse an der Bedeutung materieller Kultur für die Konstruktion kultureller und sozialer ‚Realität‘ – vermitteln die Dinge doch kulturelle Klassifikationsschemata und habituelle Prägungen und sind gerade deshalb ‚wirkmächtig‘, weil ihr kommunikatives Potential, anders als jenes sprachlicher Aussagen, selten bewusst reflektiert wird. Indem das kommunikative Potential materieller Kultur herausgestellt und die Anordnungen der Dinge in ihren sozialen Handlungsbezügen thematisiert werden, entstehen vielfache Anknüpfungspunkte an andere kulturwissenschaftliche Disziplinen, die sich ebenfalls mit der Rekonstruktion materieller und immaterieller Kommunikationsräume und Diskursfelder befassen. Entsprechendes gilt selbstverständlich auch für alle anderen Themen kulturwissenschaftlicher Theoriebildung, die auf ihre Reichweite in verschiedenen historischen Kontexten hin zu befragen sind. Dabei kann es weder um eine Vereinnahmung der jeweiligen Nachbardisziplinen gehen noch um die Aufforderung, dort entwickelte Ansätze ‚anzuwenden‘. Vielmehr sollen ähnliche Problemlagen ermittelt und zudem aufgezeigt werden, welche Zugangsweisen in unterschiedlichen disziplinären Traditionen beim Umgang mit diversen Quellen bzw. Medien (Text, Sprache, Bild, materielle Kultur ...) denkbar sind. Getragen wird dies von der Überzeugung, dass trotz aller Unterschiede der Fachtraditionen mit dem gemeinsamen Interesse an einem Verständnis der Vielfalt menschlicher Kulturäußerungen eine hinreichende Begründung des Gegenstands kulturwissenschaftlicher Forschung vorliegt. Und dass ferner wir alle als heutige Vertreter europäischer universitärer Disziplinen in unseren Konzeptualisierungen menschlicher Kultur an ähnliche Traditionen und geistesgeschichtliche Prädispositionen an-

knüpfen, deren Auswirkungen auf unser Tun es zu reflektieren gilt. Gegenstand der ersten Ringvorlesung „Archäologie und Kulturwissenschaften“ an der Universität zu Köln im Sommersemester 2013, deren Beiträge nun vorgelegt werden können, war aus diesem Grund das Thema „Fremdheit – Perspektiven auf das Andere“. Die Beiträge zur zweiten Veranstaltung der Reihe im Wintersemester 2014/15 unter dem Titel „Emotionen“ befinden sich gegenwärtig in Druckvorbereitung. Mit Blick auf zukünftige Themen ist unter anderem an „Natur und Naturwahrnehmung“ sowie „Kulturkontakt und Postcolonial Studies“ gedacht. Anregungen und Kooperationsvorschläge für zukünftige Ausgestaltungen sind herzlich willkommen. Neben dem Format der Ringvorlesung ist dabei insbesondere auch an Workshops und Tagungen gedacht. Darüber hinaus richtet sich das Angebot zur Veröffentlichung in den „Kölner Beiträgen zu Archäologie und Kulturwissenschaften“ aber an alle, die ein entsprechendes inhaltliches Anliegen teilen und einen Rahmen für ihre Publikationsprojekte suchen. Die Herausgeber freuen sich auf Anfragen und inhaltliche Diskussionen! (TLK)

* * * If one agrees with the broad understanding that culture is everything, “which is the case for people living together” (A. Assmann 2008, 13), the identification of archaeology as a cultural study is irrefutable. It is even more so since different archaeological disciplines have already traditionally been concerned with aspects of human culture, such as space, materiality or mediality, whereas these aspects have only recently found their way into the view of other historical, linguistic or social disciplines when these partially redefined themselves as cultural studies in the context of paradigm shifts called turns. In doing so often a problematic tendency to emplace the self-concept as a cultural study

against the more traditional understanding of the subject is noticeable. And turns, which were solely meant to mark the reasonable expansion of research interest to new aspects of all the different cultural characteristics humans develop in various historical contexts, now have become a research strategic polemic term on the market of the constantly changing vogues of theories. In contrast, archaeologists, whose affiliation to the broad field of cultural studies should be beyond all question, often elude such a self-determination simply through lack of reflexion. Here one must mention the still predominant positivism, which today is often concealed in the idea that scientific advance can be achieved, if not through more data then by applying new methods, often borrowed from the ‘hard’ natural sciences. This theoretical deficit has oft been lamented, especially for the central European archaeology. However, one should not forget to allude to opposite tendencies. On the part of classical archaeology, for instance, these are localised in the environment of the journal Hephaistos from Hamburg. On the part of prehistoric archaeology they are connected with the activity of the German Arbeitsgemeinschaft Theorie in der Archäologie and with the Department for Pre- and Protohistory, University of Tübingen, under the supervision of the former holder of the chair M. K. H. Eggert (various volumes of the Tübinger Archäologische Taschenbücher series). Nonetheless, one cannot say that central concepts are sufficiently determined in the archaeologies for a permanent and fruitful establishment as a cultural study. In fact, one often notices a tactical relation towards ‘theory’. This shows, e. g. in the matter of taking part in the inter- or transdisciplinary research networks which are so important today, without wordy rhetorics in the applications for funding truly affecting the actual concern and research practice.

Against this background, with the ‘Cologne Interdisciplinary Lectures Archaeology and Cultural Studies’ and the publication series ‘Cologne Contributions to Archaeology and Cultural Studies’ it is our goal to create a forum fixed in academic surroundings in order to debate and enhance relevant topics and theories, which link the different disciplines devoted to cultural studies. Without the pressure of direct application and without the urge of constantly having to declare new turns before having fully considered the implications of the previous one, knowledge is to be gained precisely by allowing the coexistence and synopsis of different academic traditions, approaches and views.The gesture of threateningly wagging a theoretical finger is not aspired, nor do controversial debates necessarily need to be reduced to a common denominator or rephrased as binding research strategies. Rather, it is considered profitable to permit differences in perspectives and approaches and to uncover them in order to enable the reflexion of one’s own personal point of view. One contribution archaeology could make would be, for example, of the great temporal depth of its object of research. Its specific interest in the significance of material culture for constructing cultural and social ‘reality’ is just as important, since objects convey cultural meaning and shape our habitus, and just that makes them ‘potent’, as, other than verbal statements, their communicative potential is seldom consciously deliberated. By emphasising the communicative potential of material culture and broaching the issue of its importance for social action, many connecting factors for other cultural study disciplines engaged with the reconstruction of material and immaterial communication spaces and fields of discourse are given. Naturally the same applies for all the other areas of culture and social theory development, which can be continuatively compared and questioned to their range in different historical

contexts as well as the different structures of the available sources. And yet, the aim is neither to monopolise neighbouring disciplines for one’s own, nor to prompt an ‘application’ of their models and approaches. Instead, broadly comparable challenges are to be detected and also an effort is to be made to demonstrate the different approaches and methods that are thinkable for dealing with various sources and respectively media (text, speech, image, material culture ...) in different disciplinary traditions. This is supported by the conviction that despite all their differences our academic traditions share an interest in understanding the diversity of human cultural expressions and therefore ample reason for the matter of cultural studies is existent. Even more, with our own conceptualisations of human culture we, who are all representatives of contemporaneous European academic disciplines, are tying in with similar traditions and predispositions of intellectual history, and their impact on our interpretations must be evaluated. The topic of the first lecture series during the summer semester of 2013, which is published in this volume, was thus Fremdheit – Perspektiven auf das Andere (‘Alterity – Perspectives on the Other’).The second course of the series, entitled ‘Emotions’, in the winter semester 2014/15 is currently in prepress. As to future topics we are considering ‘Nature and Perceptions of Nature’ as well as ‘Culture Contact and Postcolonial Studies’. Suggestions for the organisers and/or propositions for cooperation for future arrangements, which may also take the form of workshops or conferences, are very welcome. In addition, the ‘Cologne Contributions to Archaeology and Cultural Studies’ series is open to all sharing our concerns, and the editors welcome any manuscripts suggested for publication be they conference volumes or monographs. (TLK, translation: Maria Heitkamp)

Inhalt

Tobias L. Kienlin

Fremdheit – Perspektiven auf das Andere. Zur Einführung ........................................................1 Herbert Uerlings

Verkehrte Welten. Primitivismus in Literatur und Kunst der Klassischen Moderne .....................9 Christoph Antweiler

Fremdheit, Identität und Ethnisierung: Instrumentalisierung des Anderen und ihre Relevanz für Archäologie und Ethnologie ................................................................. 25 Thomas Widlok

Kulturtechniken: ethnographisch fremd und anthropologisch fremd. Eine Kritik an ökologisch-phänomenologischen und kognitiv-modularisierenden Ansätzen ....................... 41 Paul Roscoe

Ethnographic Gifts: Some Cautions on the Use of Ethnographic Analogies from Contemporary Cultural Anthropology ............................................................................ 61 Alexandra Karentzos

Antikenideal und Alterität. „Echtes Antikisieren“ als künstlerisches Programm des 19. Jahrhunderts .............................................................................................. 79 Beat Schweizer

‚Griechische Archäologie‘. Eine Archäologie des Fremden? ..................................................... 93 Christoph Ulf

Korrelationen des Wandels. Die Formierung von Identität und Fremdheit bei Thukydides .................................................................................................... 109 Dietmar Till

Kolonialismus des Geistes. Orientalismus und Geschichtsphilosophie bei Herder und Hegel .......................................................................................................... 125 Constance von Rüden

Minoische Moderne, Thalassokratie und orientalische Despoten. Zwischen Orientalismus und Globalisierung in der Archäologie des östlichen Mittelmeerraumes .......... 135 Tobias L. Kienlin

All Heroes in Their Armour Bright and Shining? Comments on the Bronze Age ‘Other’ ....... 153

Erich Kistler

Zwischen Lokalität und Kolonialität – alternative Konzepte und Thesen zur Archäologie eines indigenen Kultplatzes auf dem Monte Iato (Westsizilien: 7. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.) ............................................................................. 195 Sebastian Brather

Alteritäten und Identitäten. Perspektivenwechsel in der Frühmittelalterarchäologie ................ 219 Brigitte Röder

Jäger sind anders – Sammlerinnen auch. Zur Deutungsmacht des bürgerlichen Geschlechter- und Familienmodells in der Prähistorischen Archäologie ................................. 237 Manfred K. H. Eggert

Das Rituelle als erkenntnistheoretisches Problem der Archäologie ......................................... 255

Autorenverzeichnis ............................................................................................................... 279

Tobias L. Kienlin

Fremdheit – Perspektiven auf das Andere. Zur Einführung

Unser Wissen über das kulturell Fremde, das gegenwärtige wie das vergangene, stellt eine Konstruktion dar, die als solche in unserer akademischen Sozialisation ebenso verwurzelt ist wie in weiter gefassten Traditionen und zeitgenössischen Denkströmungen. Diese prägen unser Bild von den ‚Anderen‘ bzw. allgemein unsere Dispositionen, das ‚Andere‘ zu bestimmen, beispielsweise als faszinierend und exotisch oder aber als unbekannt und bedrohlich. ‚Fremdheit‘ ist dabei keine ontologische Gegebenheit, sondern ein relationales Konzept. Sie existiert nur in Abgrenzung und als Gegenentwurf zu etwas Eigenem. Und gleich unserer eigenen Identität, der sie entgegen gesetzt wird, ist Fremdheit, sind die ‚Anderen‘ als Kollektiv oder als kulturelles Abstraktum nichts Statisches, sondern befinden sich in permanenter Aushandlung und unterliegen fortgesetzter Neubestimmung. Entsprechend sind die Wahrnehmungsweisen und Beziehungsmodi, die uns mit den ‚Anderen‘ verbinden, wandelbar, historisch situativ und kontextabhängig. Sie können durch Sozialisation in eine Gruppe unreflektiert übernommen oder bewusst manipuliert werden, und sie können höchst unterschiedlich ausfallen: Von antagonistischen Konstellationen, in denen den Anderen Kulturfähigkeit, Geschichtlichkeit oder sogar geteiltes Mensch-

sein abgesprochen wird, über den Versuch eines gleichberechtigten Nebeneinanders oder das strategische Ausblenden objektiv gegebener Unterschiede bis hin zu Anverwandlungen des Fremden. Letzteres ist eine Gedankenfigur, die synchron oder diachron gewendet in mehreren Beiträgen dieses Bandes thematisiert wird: ‚sie‘ sind so wie ‚wir‘ sein sollten, ‚sie‘ sind so wie ‚wir‘ einmal waren, positiv oder negativ besetzt doch ohne weitergehenden Bezug, oder ‚sie‘ stehen tatsächlich in einem (angenommenen) ‚genetischen‘ Verhältnis zu ‚uns‘ heute. Die Frage, wie angesichts solch vielfältiger Konstellationen unser Wissen über das – vergangene wie rezente – Fremde zu Stande kommt, ob Fremdverstehen möglich ist bzw. was und auf welche Weise wir überhaupt wissen können, hat eine lange Tradition in der Philosophie, den Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften, etwa im Rahmen hermeneutischer Ansätze. Gleiches gilt für den Versuch, unser einschlägiges Wissen historisch zu kontextualisieren, also für die Frage, durch welche Denktraditionen des frühneuzeitlichen und modernen Westens unsere Fremdbilder jeweils bedingt sind, sei es der ‚edle Wilde‘ oder – im 19. und 20. Jahrhundert durchaus häufiger, jedenfalls bedrohlicher – negative Fremdzuschreibungen an Kollektive,

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Tobias L. Kienlin

die dann auch unmittelbar handlungsleitend wurden. Dass hier in vielen Bereichen ein grundlegender Zusammenhang besteht zwischen der Erzeugung von ‚Wissen‘ und der Ausübung von Macht über die ‚Fremden‘, ist eine grundlegende Erkenntnis der Postcolonial Studies, deren Vertreterinnen und Vertreter hegemoniale Diskurse in ganz verschiedenen historischen Kontexten und sozialen und kulturellen Konstellationen identifiziert haben und zu dekonstruieren suchen. Insofern sind (oder eher schon: waren) ‚Fremdheit‘ oder ‚Alterität‘ durchaus Modethemen, dies freilich um den Preis, dass ähnlich wie bei dem verwandten Feld der Gender Studies sich ein einschlägiger Expertendiskurs etabliert und durchaus auch wieder aus der Mode kommt, während jenseits dessen problematische Repräsentationen des ‚Anderen‘ erstaunlich langlebig sind. Zumindest in der Archäologie, aber vermutlich auch darüber hinaus, ist so zu beobachten, dass im alltäglichen Vollzug, in Forschung und Lehre, das Gemachtsein unseres Wissens um das kulturell ‚Andere‘ immer wieder in den Hintergrund tritt. Dies reicht von der Ebene der sich uns oft zwanglos erschließenden Motivationen prähistorischer Akteure (wahlweise aufgrund der angenommenen biologischen Konstante ‚Mensch‘ entsprechend den unsrigen, oder eben aufgrund der unüberwindbaren zeitlichen und kulturellen Distanz irgendwie ganz ‚anders‘, urtümlich), über die unreflektierte Rede von ‚Kulturen‘, ‚Ethnien‘ oder ‚Völkern‘ und die Versuche einer wesensmäßigen Bestimmung dieser uns fremden Kollektive, als handele es sich um uranfängliche Gegebenheiten, bis hin zu problematischen Epochencharakterisierungen, die Differenz im Rahmen eines evolutionistischen Paradigmas nur als Fortschritt zu denken erlauben. So scheint es, als müsse das Problembewusstsein hinsichtlich unserer Repräsentationen des Fremden und deren möglicher Inanspruchnahmen immer aufs Neue geschärft werden,

in der Forschung wie im öffentlichen Diskurs. Im Rahmen der ersten „Kölner Interdisziplinären Vorlesung Archäologie und Kulturwissenschaften“ im Sommersemester 2013 geschah dies, indem unter dem Titel „Fremdheit – Perspektiven auf das Andere“ exemplarisch aus der Perspektive unterschiedlicher kulturwissenschaftlicher Disziplinen nach der Genese und nach den Konsequenzen unserer Vorstellungen des kulturell Fremden gefragt wurde. Neben Unterschieden in Fragestellung und Herangehensweise, zeichnen sich in den hier nun in überarbeiteter Form vorgelegten Beiträgen auch charakteristische Übereinstimmungen ab. Dies betrifft zum Beispiel die Frage, was als problematisch wahrgenommen wird, sowie die rezipierten Theoriebestände, die ein tatsächliches Zusammenwachsen der Kulturwissenschaften oder jedenfalls die Möglichkeit der Verständigung und des fruchtbaren Austauschs unter ihren Teildisziplinen erkennen lassen. Den Band eröffnet ein Beitrag des Germanisten Herbert Uerlings, der sich anhand von Beispielen aus bildender Kunst und Literatur der Klassischen Moderne mit produktiven, auch verstörenden Brechungen weit verbreiteten primitivistischen Gedankenguts befasst. Dabei stehen also nicht westliche Projektionen des ‚primitiven‘ Fremden auf die eigene Vergangenheit oder moderne Orientierungsversuche an vorgeblich geschichtslosen Naturvölkern und idealisierten Naturzuständen im Mittelpunkt, sondern frühe Versuche mit künstlerischen Mitteln solche Konstruktionen von Fremdheit und ihre Instrumentalisierungen als problematisch zu entlarven. Uerlings arbeitet heraus, wie solche selbstreflexiven Impulse wegweisend wurden für neuere kulturwissenschaftliche Debatten, von Bronislaw Malinowkis Betonung direkter Beobachtung statt primitivistischer Spekulation bis zu den gegenwärtigen Postcolonial Studies. Sein Beitrag eröffnet diesen Band als nachdenkliche Demonstration der Wirkmacht von Texten

Fremdheit – Perspektiven auf das Andere. Zur Einführung

und Bildern, die immer eine reflektierte ‚Lektüre‘ erfordern, aber auch von deren subversivem Potential, durch Verweigerung vertrauter Lesarten den kritischen Blick zu schärfen. Aus der Ethnologie, traditionell der „Wissenschaft von dem kulturell Fremden“, stammen die anschließenden drei Beiträge, wobei sich zunächst Christoph Antweiler von einer solchen Selbstbestimmung gerade distanziert aufgrund der damit verbundenen Ontologisierung eines ganz ‚anderen‘ Fremden. Antweiler betont statt dessen den immer relationalen Charakter des ‚Fremden‘, das nie für sich allein existiere, sondern immer als Resultat einer Ausoder Abgrenzung im Rahmen der Ausbildung und Konstruktion kollektiver Eigen-Identitäten anzusehen sei. Am Beispiel der Ethnizität wird dargelegt, wie trotz postmoderner Versuche, ‚Kultur(en)‘ als abgrenzbare Entitäten aufzulösen, Kollektive dennoch Gemeinsamkeiten betonen, Grenzen ziehen und handlungsleitende Vorstellungen über ‚uns‘ und die ‚Anderen‘ entwickeln. Der Umgang so konstruierter Wir-Gruppen mit dem angenommenen Fremden kann ganz unterschiedlich ausfallen, und so beschließt den Beitrag Antweiler der Versuch einer Systematisierung oder ‚Typologie‘ der Umgangsweisen und Beziehungsmuster mit den ‚Anderen‘. Generell zeichnet ja die Ethnologie ein seit langem etabliertes kontroverses Nachdenken über die Möglichkeit und die Berechtigung ethnographischer Repräsentationen des Fremden aus, und diesen Diskurs mögen die folgenden zwei Beiträge von Thomas Widlok und Paul Roscoe exemplifizieren, die je eine relativ aktuelle ‚Modeströmung‘ in den Blick nehmen. Beide Beiträge können dabei jeweils auf ihre Weise als Mahnung dienen, dass auch im weitesten Sinne postmoderne, emanzipatorische Ansätze, das ethnographische Andere frei zu machen von dem kolonialisierenden, westlichen Blick zu problematischen, weil essentialisierenden (Miss-)Repräsentationen eines möglichst exotischen ‚Fremden‘ führen

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können. Widlok entwickelt diesen Gedanken am Beispiel der einflussreichen Differenzierung von Tim Ingold zwischen externalisierter, moderner westlicher ‚Technologie‘ und sozial eingebetteten, indigenen ‚Kulturtechniken‘. Er erkennt hier eine problematische Dichotomisierung in ‚wir‘, die wir Technologie haben, während die ‚Anderen‘ über verleiblichte Fertigkeiten (embodied skills) verfügten. Er setzt dem das Konzept der generellen ‚anthropologischen Fremdheit‘ in der natürlichen und kulturellen Umwelt entgegen, die alle Menschen zu überwinden hätten, ohne dass sich dabei – am Beispiel der Weltbeherrschung durch die Erzeugung von Artefakten und andere ‚Kulturtechniken‘ – analytische ‚Abstandshaltung‘ oder ‚involvierte Einbettung‘ jeweils unterschiedlichen kulturellen ‚Entwicklungsstufen‘ oder ‚technisch‘-materiellen Kontexten zuweisen ließen (‚wir‘ als die Vertreter der Moderne vs. die indigenen ‚Anderen‘). Ganz ähnlich gelagert ist die Warnung von Paul Roscoe, dass das zunehmende Interesse in den Kulturwissenschaften an relationalen Ontologien, die damit verbundene Kritik an westlichen Konzepten von Individualität und die Aufwertung agenshafter Dinge in diesem Kontext trotz gegenteiliger Behauptungen Ausdruck eines problematischen und letztlich orientalistischen Diskurses über das exotische ‚Fremde‘ sind. Die Attraktivität solcher Ansätze gründet demnach auch in Defiziterfahrungen des modernen westlichen Betrachters und in der faszinierenden Fremdartigkeit einer Welt, in der Personen von der Begrenztheit ihrer Individualität befreit und nebst den Dingen als Teil eines Kosmos allgemeiner Bedeutsamkeit erscheinen. Eine problematische Repräsentation der ethnographischen ‚Realität‘ liegt hier Roscoe zufolge insofern vor, als indigenen (menschlichen) Akteuren die Fähigkeit zu metaphorischem Sprachgebrauch ebenso abgesprochen wird wie Reflexion über kulturelle Zeichensysteme und die Möglichkeit strategischen Handelns. Im Grunde werden

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also Einsichten aus der Rezeption handlungstheoretischer Ansätze zugunsten eines idealistischen Weltbildes revidiert. Indigene Akteure werden herabgestuft zu passiven Rezipienten oder ‚Ausführenden‘ einer anregend fremdartigen Ontologie oder Weltsicht. Neben kolonialen Kontaktsituationen mit außereuropäischen Völkern seit Beginn der frühen Neuzeit kommt für die Selbstvergegenwärtigung des modernen ‚Westens‘ dem Bezug auf die klassische Antike paradigmatische Bedeutung zu. Dies aber bekanntermaßen gerade nicht, indem vor allem das griechische Altertum als irgendwie fremd begriffen worden wäre, gleich der ethnographischen Gegenwart, sondern in Form der Aneignung und des Anspruchs auf direkten Traditionsbezug. Die moderne westliche Zivilisation fußt aus dieser Perspektive auf Kernwerten, die von so wahrgenommenen ‚klassischen‘ Idealen abgeleitet sind, etwa Philosophie und Rationalität, die Vorliebe für bestimmte Ästhetiken oder auch Vorstellungen über das Wesen und die politische Verfasstheit der Gesellschaft. Und aus der Antike, die erstmals auf uns gekommene schriftlich fixierte ‚Ethnographien‘ hervorbrachte und klar formulierte, wenngleich oft fiktionale Vorstellungen des ‚Anderen‘, stammt auch das – neben den außereuropäischen ‚Wilden‘ – große Gegenüber unserer eigenen westlichen Zivilisation: der ‚Orient‘. Der Beitrag der Kunsthistorikerin Alexandra Karentzos, der diesen Themenabschnitt eröffnet, blickt in beide Richtungen, indem historistische Vereinnahmungen der griechischen Antike im 19. Jahrhundert neben orientalistischen Diskursen am Beispiel der ambivalenten Person Kleopatras – hellenistische Herrscherin oder orientalische Pharaonin und Verführerin – behandelt werden. Im Vergleich beider Fallstudien zeigt sich die Bandbreite der diskursiven Strategien und Resultate der medialen, hier bildlichen Repräsentation des ‚Anderen‘ wie auch der parallel laufenden Bestimmung des ‚Eigenen‘: von dem Versuch

der Vereinnahmung einer idealisierten griechischen Antike als Referenzpunkt für die kulturelle Selbstbestimmung des modernen Westens und sich ausbildender Nationalstaaten, bis hin zu dem ‚Brüchigwerden‘ solcher Konstruktionen, wenn dem ‚befremdlichen‘ Orient immer etwas Verlockendes, Faszinierendes anhängt und so auch eigene Identitäten potentiell labil bleiben. Ganz entsprechend beschreibt auch der Klassische Archäologe Beat Schweizer seine Wissenschaft – in der traditionellen Selbstwahrnehmung – gerade nicht als eine ‚Archäologie des Fremden‘. Vielmehr handele es sich aus dieser Perspektive um eine Disziplin, die mit der Erschließung der materiellen Hinterlassenschaften und vor allem der idealisierten Kunstwerke und Architektur der Antike einen Beitrag zum Verständnis des Ursprungs unserer eigenen Kultur leisten wolle. Wenn die ‚Griechen‘ inzwischen doch befremdlich wirken, so mag dies an dem Wegbrechen eines bildungsbürgerlichen Milieus liegen, und – so Schweizer – an einem zunehmend theoriegeleiteten Zugriff, der Identitätsstiftung durch Rückgriff auf die doch zeitlich weit zurückliegende und sozial und kulturell durchaus fremdartige Antike problematisch erscheinen lässt. Exemplarisch vorgeführt wird diese bewusste Distanzierung unter anderem am Beispiel der Athener Akropolis, heute ein auf wenige klassische Dekaden ‚purifizierter‘ Ort, in unserer Vorstellung ästhetisiert und still gestellt auf Kosten all dessen, was dem Bild der ‚edlen Einfalt und stillen Größe‘ Winckelmannscher Tradition entgegen steht. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang etwa die zahlreichen, auch kontroversen Handlungsoptionen, die ein solcher Ort bot, oder die vielfältigen, auch chaotischen bis widerwärtigen Sinneseindrücke, die er hervorrief – bis hin zu dem Brüllen der Opfertiere und dem Gestank der Opferfeuer. Als früheste voll schriftliche Kultur Europas liegen von den ‚Griechen‘ umfangreiche Eigenäußerungen vor, die dieses Kollektiv im

Fremdheit – Perspektiven auf das Andere. Zur Einführung

Prozess der Abgrenzung, Identitätsbildung und fortgesetzten Neubestimmung des jeweiligen ‚Eigenen‘ und ‚Fremden‘ zeigen – prominent natürlich die Perserkriege, während derer man sich überhaupt erstmals geeint sah als Griechen, und die bis heute im Rahmen orientalisierender Diskurse wirkmächtigen Vorstellungen von dem ‚Orient‘ gegen die ‚barbarischen‘ Perser in Stellung brachte. Dass es nicht bei diesen monolithischen Blöcken blieb, sondern andauernd Identität und Fremdheit auf verschiedenen Ebenen ausgehandelt wurden, zeigt der Althistoriker Christoph Ulf an dem komplexen Beispiel der Darstellung des Peloponnesischen Krieges bei Thukydides. Ulf arbeitet heraus, wie es strategischem Kalkül folgend zu einen explizit politischen Gebrauch der Kategorie der Fremdheit und zu Verschiebungen der Unterscheidungsmerkmale des Eigenen und Fremden kam, etwa der Freiheit, um Gegner auszugrenzen und zu delegitimieren, verschränkt mit einer zunehmenden Aufladung binnengriechischer ‚ethnischer‘ Differenzen – die ‚Dorier‘ gegen die ‚Ioner‘. Weit über die Antike hinaus weist der bei den Griechen angelegte Gegensatz zwischen Okzident und Orient, den Edward Said, ein Vordenker der Postcolonial Studies, unter dem Stichwort des ‚Orientalismus‘ als einen hegemonialen Diskurs und eine akademische Form kultureller Diskriminierung analysierte. Das frühneuzeitliche und moderne westliche Nachdenken über den ‚Orient‘ fügte sich demnach zwanglos in das Projekt der kolonialen Aneignung, indem imperiale Unterwerfung mit einer ideologischen Rechtfertigung versehen und auch ganz pragmatisch das für eine effiziente Ausbeutung der Anderen erforderliche Wissen verfügbar gemacht wurde. Den Rhetoriker Dietmar Till interessiert an einer solchen Konstellation, wie durch Kommunikation Einfluss ausgeübt werden kann und ein allgemein akzeptiertes ‚Normalwissen‘ über die Anderen hervorgebracht wird, das im konkreten Fall strategische Relevanz nicht

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nur für die ideelle, sondern auch für die faktische Kolonisation des Orients erlangte. Till entwickelt dies am Beispiel orientalistischen Gedankenguts in den geschichtsphilosophischen Arbeiten von Johann Gottfried Herder und Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Sichtbar werden an dieser Paarung zweier Autoren, die nur durch wenige Dekaden getrennt sind, die durchaus vorhandenen Unterschiede in der Bewertung des ‚Anderen‘ und seiner Bedeutung für den Fortgang der Geschichte. Solche Einschätzungen hängen immer auch von der Weltsicht oder der Philosophie eines Autors ab und sind nicht pauschal mit dem Orientalismus-Vorwurf an eine ganze geistesgeschichtliche Epoche zu erfassen und abzuhandeln. Zum anderen zeigen sich aber natürlich auch Konstanten in der latent abwertenden und essentialisierenden Charakterisierung des ‚Anderen‘, etwa die Antriebsarmut und der Aberglaube des Orientalen, der Despotismus und die fehlende Rationalität des Orients, die eingebettet in ein sinnstiftendes historisches Narrativ um so wirkungsvoller werden: hier insbesondere die Vorstellung eines Fortschreitens der geschichtlichen Entwicklung von Ost nach West hin zum eigentlichen Ziel der Geschichte, der modernen westlichen Zivilisation. Postkoloniale Ansätze im weitesten Sinn widmen sich der Dekonstruktion solcher Narrative und beleuchten das Spannungsfeld zwischen Identitätsentwürfen und der dafür notwendigen Ausgrenzung des ‚Anderen‘. In die Kritik geraten dabei Ontologisierungen des ‚Eigenen‘ wie des ‚Fremden‘, und an die Stelle statischer Dichotomien, oft in Verbindung mit einem geschichtslosen oder passiven Gegenüber, treten differenziertere Konzeptualisierungen kultureller Kontaktsituationen und fremdkultureller Aushandlungsprozesse. Hier sind es nicht mehr die zivilisatorisch überlegenen Kolonisatoren – heute die Vertreter des modernen Westens, früher etwa die bronzezeitlichen Hochkulturen des mediterranen Raumes, die antiken Griechen oder

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Tobias L. Kienlin

Römer –, die einer unterlegenen und bedingungslos aufnahmebereiten indigenen Bevölkerung entgegen treten. Statt dessen wird den ‚Anderen‘ agency zuerkannt und die Möglichkeit kreativen oder strategischen Umgangs mit dem ‚überlegenen‘ kulturellen Angebot. ‚Hybride‘ Neuschaffungen materieller Kultur oder allgemein kultureller Ausdrucksformen geraten dabei ebenso in den Blick wie neue Bedeutungszuweisungen an fremde Objekte oder Güter und deren Rekontextualisierung in ‚indigenen‘ Gruppen. Auf einer solchen theoretischen Grundlage widmen sich die folgenden drei archäologischen Beiträge der im Ostmittelmeerraum tätigen Prähistorikerin Constance v. Rüden, des Herausgebers und des Klassischen Archäologen Erich Kistler mit jeweils unterschiedlichem Schwerpunkt kulturellen Kontaktsituationen im bronzezeitlichen bzw. antiken Mittelmeerraum und dessen Randgebieten. Der bronzezeitliche ostmediterrane Raum ist nachgerade ein Paradebeispiel für ‚transkulturelle Verwobenheit‘, das sich eindeutigen kulturellen Zuweisungen entzieht, wie v. Rüden eingangs anhand eines Pyxisdeckels demonstriert, der ‚orientalische‘ und ägäische, d.h. vorgeblich ‚europäische‘ Elemente zu vereinen scheint. Aufgrund seiner Ambivalenz und Offenheit für unterschiedliche Lesarten erschien dieses Stück besonders geeignet, um auf dem Umschlag des vorliegenden Bandes zu erscheinen. Obwohl also schlichte Ost-WestDichotomien zu kurz greifen, durchzieht den Ostmittelmeerraum traditionell eine ebensolche Bruchlinie zwischen Europa und dem alten Orient als dem ‚vergangenen Anderen‘, und v. Rüden arbeitet am Beispiel des minoischen Kreta heraus, wie eine weit zurückliegende bronzezeitliche Kultur schrittweise dem europäischen ‚Eigenen‘ anverwandelt wurde. Dieser Prozess beginnt bereits mit Arthur Evans, dem Ausgräber von Knossos, der handfeste forschungspolitische Interessen verfolgte, indem er den „Palast des Minos“ dem mytho-

logischen Bildungshorizont seiner britischen Leser einschrieb bzw. weitergehend die kretische Zivilisation zum Vorläufer des modernen Westens erklärte. Es folgten immer neue Essentialisierungen und Hervorhebungen des spezifisch ‚Europäischen‘ im Minoischen im Gegensatz zu den Hochkulturen des alten Orients, die doch aus heutiger Sicht eigentlich Pate standen für Schriftlichkeit und Palastkultur Kretas: sei es die spezifische ‚Modernität‘ der minoischen Fresken und Frauentrachten, oder die das britische Empire vorwegnehmende minoische Thalassokratie. Einen im weitesten Sinne diskursanalytischen Ansatz verfolgt auch der Beitrag des Herausgebers, in dem eine populäre Repräsentation der europäischen Bronzezeit als Epoche bedeutenden gesellschaftlichen Aufschwungs, getragen von kriegerischen Eliten, und der Angleichung an mediterrane Hochkulturen kritisch hinterfragt wird. Hier sind vielfältige Strategien des Othering einerseits und der Aneignung andererseits festzustellen, sei es der tendenziöse Gebrauch ethnographischer Analogien als ‚Beleg‘ für das Interesse bronzezeitlicher Eliten an exotisch-esoterischem Wissen, oder die Rückübertragung uns vertrauter homerischer Helden der frühen Eisenzeit in einen gänzlich anderen sozialen und kulturellen Kontext der mykenischen Spätbronzezeit. Das entstehende Gesamtbild ist suggestiv, doch ebenso manipulativ, so das Fazit des Beitrags, und operiert durchgängig mit problematischen Essentialisierungen (die ‚Mykener‘ etc.) sowie einem Konzept passiver ‚Peripherien‘ am Rande überlegener mediterraner ‚Zentren‘, das aus Sicht postkolonialer Theoriebildung hinter einer sehr viel komplexeren einstigen Wirklichkeit zurückbleibt. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der Klassische Archäologe Erich Kistler, dessen von Ansätzen der Postcolonial Studies inspirierte Arbeit auf dem antiken Kultplatz des Monte Iato in Westsizilien zu einem differenzierten Bild des Umgangs indigener Akteure mit fremden, hier griechischen

Fremdheit – Perspektiven auf das Andere. Zur Einführung

Objekten und Praktiken führt. Weit entfernt von einer schlichten Übernahme griechischer Keramik und der Sitte des Symposions werden beide in einen lokalen Diskurs einbezogen und Bestandteil komplexer Aushandlungsprozesse und Legitimationsstrategien, die teils auf das fremde Neue, teils auf lokale Traditionen rekurrierten, ohne dass langfristig eine Auflösung lokaler Identitäten zu beobachten wäre. Im archäologischen Befund fassbar wird hier der materielle und räumliche Niederschlag der Inszenierung unterschiedlich legitimitierter Machtdiskurse und Traditionsbezüge, konkret eine räumliche Trennung und der differenzierte Gebrauch traditioneller einheimischer und fremder griechischer Waren in unterschiedlichen Kontexten. Ebenfalls eine Stärke archäologischer Ansätze ist die Möglichkeit, den Wandel solch materiell vermittelter Verständigungen über traditionelle Identitäten und die Handlungsoptionen ambitionierter gesellschaftlicher Teilgruppen diachron über lange Zeit zu verfolgen. An einer Systematisierung des in der bisherigen Forschung oft unreflektierten Umganges mit Identitäten und Alteritäten im frühen Mittelalter ist dem anschließenden Beitrag des Frühmittelalterarchäologen Sebastian Brather gelegen, der damit in mancher Hinsicht auch in Bezug zu dem weiter vorne im Band stehenden Text von Christoph Antweiler zu lesen ist. Auch Brather vertritt einen relationalen Begriff von Identität und Alterität, die zwingend aufeinander bezogen seien, widmet sein besonderes Augenmerk aber der Komplexität und Vielschichtigkeit von Identitäten und Identitätsgruppen, die situativ aufgerufen werden und jeweils unterschiedliche Bedeutung für das Individuum erlangen könnten, wobei Ethnizität zum Beispiel mit Zugehörigkeiten aufgrund von Religion, Alter, Geschlecht, Verwandtschaft, Rang oder Tätigkeit ‚konkurriere‘. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist der Befund, dass ähnlich anderen Beispielen, etwa der griechischen Antike, das frühe Mit-

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telalter an sich oft gar nicht als ‚fremd‘ angesehen werde, sondern als ‚Wegbereiter‘ Europas, aber eben diese vorgebliche Vertrautheit zu problematischen Projektionen der modernen Situation auf die Vergangenheit führe: Während Identität mit der Gegenwart empfunden werde, werde Alterität zum Beispiel zwischen merowingerzeitlichen Gruppierungen vermutet und oft vorschnell mit ethnischen Begriffen von ‚Stämmen‘ und ‚Völkern‘ belegt, die eher eine moderne nationalstaatliche Wirklichkeit reflektieren als die in dieser Hinsicht sehr viel heterogenere Welt des frühen Mittelalters. Besonders deutlich werde dies, so Brather, am Beispiel der Gräberarchäologie, die oftmals auf ethnische Zuweisungen fokussiere, also auf eine sehr spezielle Ausprägung frühmittelalterlicher Alterität, ohne dass die sehr viel komplexeren Identitäten in den Blick gerieten, die tatsächlich das damalige Leben geprägt haben dürften und potentiell in den Bestattungssitten zum Ausdruck gebracht werden konnten. Dem anschließen lässt sich der Beitrag der Prähistorikerin Brigitte Röder, die mit dem Einfluss des bürgerlichen Geschlechter- und Familienmodells auf unsere Interpretationen urgeschichtlicher Lebensverhältnisse eine ganz wesentliche der auch von Brather angesprochenen Dimensionen von Identität in den Blick nimmt und dabei ebenso eine zu große ‚Nähe‘ als interpretatorisches Problem ausmacht: So erschließe sich selbst bei den ‚Urmenschen‘ des weit zurückliegenden Paläolithikums, und ebenso für alle jüngeren urgeschichtlichen Perioden zwanglos, wie sich das Zusammenleben der Geschlechter gestaltet habe, nämlich in der Konstellation von Vater, Mutter und Kindern, also in Form der ‚klassischen‘ Kernfamilie, die zugleich die grundlegende Wirtschafts- und Koresidenzeinheit dargestellt habe. Hier nun handelt es sich, so Röder, um eine durchaus historisch spezifische Erscheinung, nämlich das Familienmodell der bürgerlichen Gesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts, mit dem die Vorstellung, die mono-

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Tobias L. Kienlin

game, heterosexuelle Paarbeziehung bilde den Normalfall und die Grundeinheit der Gesellschaft, auf die Urgeschichte projiziert werde. Es handelt sich um eine Denkbewegung, die zum einen die Vergangenheit unserer Gegenwart anverwandelt, während doch ethnographisch zahlreiche Alternativen zu unseren Geschlechterrollen und Modellen des Zusammenlebens belegt sind, deren Auftreten in der Vergangenheit zumindest zu erwägen wäre. Zum anderen wird so als immer schon da gewesen naturalisiert, was unseren gesellschaftlichen Normen, wenn auch nicht mehr unserer tatsächlichen Realität entspricht – die lebenslange monogame Paarbeziehung. Röder plädiert aus diesem Grund abschließend für mehr Fremdheit, für eine bewusste analytische Distanzierung, um möglicherweise von unserem Erwartungshorizont abweichende Konstruktionen von Geschlechterordnung und Familie überhaupt erst wieder in den Blick zu bekommen. Den Band beschließt ein Beitrag des Prähistorikers Manfred K.H.Eggert über das ‚Fremdartige‘ in der Urgeschichte schlechthin, Religion und Ritual, in dem ältere Ansätze einer ‚Religionsarchäologie‘ unter Verweis auf die große Variabilität ethnographisch belegter Kultpraktiken aus erkenntnistheoretischer Perspektive kritisch beurteilt werden. Die Veröffentlichung dieses Bandes erfolgt in der Hoffnung, dass die hier vorgelegten Beiträge einmal mehr den Blick schärfen mögen für die Problematik unserer Repräsentationen des ‚Anderen‘. Besonderes Augenmerk verdient immer noch die Frage, wie solche Fremdbilder instrumentalisiert werden, welche Strategien ihres Gebrauchs vorliegen, um in öffentlichen Diskursen Geltungsansprüche durchzusetzen, Ordnungen und Werte zu sta-

bilisieren oder gegebenenfalls zu delegitimieren und zu untergraben. Dass dabei seitens der Archäologie gerade vergangene und rezente, so genannte ‚primitive‘ oder traditionelle Gesellschaften und das Bild, das sich der Westen von ihnen in den verschiedenen Medien macht, ins Blickfeld gerückt werden, liegt auf der Hand. Darüber hinaus bestehen jedoch, auch das zeigt der vorliegende Band, vielfältige Berührungspunkte mit anderen Disziplinen, genannt seien neben der Ethnologie nur die Kunstwissenschaft, die Germanistik oder die Geschichtswissenschaft(en). Schließlich begegnen hier jeweils ähnliche Diskurse, die auf dieselben Wurzeln zurückzuführen sind, zum Beispiel auf den frühneuzeitlichen kolonialen Kontakt mit außereuropäischen Völkern und die darauf aufbauenden eurozentrischen Konzeptualisierungen des Fremden. Inhaltlich reicht dies von der positiven Verklärung durch Primitivismus oder Exotismus, über die tendenzielle Abwertung im Rahmen fortschrittsgläubiger evolutionistischer Diskurse mit ihrer Fokussierung auf die Entstehung von Hochkultur bzw. Zivilisation bis hin zur Legitimation europäischer Vorherrschaft. Unabhängig von den jeweiligen disziplinären Besonderheiten besteht eine gemeinsame Verantwortung, unsere Konstruktionen des Fremden zu reflektieren und zu kontextualisieren, die wahrzunehmen in keiner Weise eine Abwertung unserer Aussagen über kulturelle Phänomene darstellt. Im Gegenteil: Wissenschaftlichkeit äußert sich gerade in dem Bewusstsein der Bedingtheit solcher Aussagen über das kulturell Fremde – und nicht in dem Anspruch auf zeitlos gültige Wahrheiten.

Herbert Uerlings

Verkehrte Welten. Primitivismus in Literatur und Kunst der Klassischen Moderne

Der Primitivismus gehört zu den wirkungsmächtigsten und folgenreichsten Modellen der Erklärung und des Verstehens fremder Kulturen. Unter ‚Primitivismus‘ wird im Folgenden im Kern eine Strömung in Kunst, Kultur und Wissenschaften im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts verstanden, also – in literatur- und kunsthistorischer Terminologie – in der sogenannten Klassischen Moderne. Dieser Primitivismus hat eine Vor- und eine Nachgeschichte, und er kennt sehr unterschiedliche Ausprägungen. Dennoch gibt es eine zentrale Gemeinsamkeit, die den Primitivismus zum Primitivismus macht: die Orientierung an für ‚primitiv‘ gehaltene Kulturen und die Verlagerung der Gegenwart des Fremden in die Vergangenheit des Eigenen (Fabian 2002). Der Primitivismus überträgt damit den Gegensatz von eigen / fremd in den von Gegenwart / Vergangenheit. Das Fremde wird entweder als geschichtslos oder als Anfang der eigenen Entwicklung gedacht, seine Präsenz in der Gegenwart ist ein unzeitgemäßer Rest des ursprünglichen Zustands. Zu diesen Differenzen von eigen und fremd, Gegenwart und Vergangenheit kommt als drittes die Unterscheidung von Kultur und Natur hinzu. Das Fremde ist einfache und geschichtslose Natur, das Eigene ist komplexe und dynamische Kultur. Diese Grundformel

bleibt erkennbar auch in den Variationen, von denen die beiden bedeutendsten zum einen die religiös imprägnierten Formen sind, die die Trennung von Ursprung und Geschichte betonen, und zum anderen die der Geschichtlichkeit verpflichteten, für die die Frage nach dem historischen Ursprung konstitutiv ist. Die neuzeitliche primitivistische Auseinandersetzung mit dem ‚Fremden‘ entspringt mindestens so sehr wissenschaftlicher Neugier wie kolonialistischem Interesse, einem Unbehagen an der eigenen Kultur und künstlerischer Experimentierlust. Deshalb ist das Primitive in den Augen der Europäer ambivalent: faszinierend und bedrohlich, Gegenstand des Begehrens wie der Abwehr, Faszinosum wie Tremendum. Das ist einerseits die typische Dialektik in der Begegnung mit Fremdem, neu ist in der Klassischen Moderne aber die Emphase, mit der behauptet wird, das Fremde sei zugleich Eigenes, eben barbarische oder paradiesische / idyllische Frühgeschichte dessen, was man selbst ist, also eigener Ursprung.1

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Ablesbar ist das insbesondere an der Auffassung, die temporalen Zusammenhänge seien im Körper verankert sowie empirisch nachweisbar und – so das zeittypische biogenetische Grundgesetz Haeckels – in der Ontogenese wiederhole sich die Phylogenese. Damit

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Diese Konstruktion hat deutlich projektive Züge und scheint wenig geeignet, eine Erfahrung von Alterität zuzulassen. Denn das Grundmuster ist das der Spiegelung: Der Primitivismus spiegelt Europa in der verkehrten Welt der inner- und außereuropäischen ‚Primitiven‘ (Kinder, Frauen, Irre, Wilde). Darauf bezieht sich der Titel dieses Beitrags Verkehrte Welten, der zugleich eine klassische ethnologische Studie zur imaginären Ethnographie des 19. Jahrhunderts zitiert, Fritz Kramers Verkehrte Welten (Kramer 1977). Der Primitivismus, darauf soll im Folgenden ein besonderes Augenmerk gelegt werden, ist aber zugleich Ausdruck einer Beunruhigung, einer Verunsicherung über die eigene Identität, und er ist – je nach Erscheinungsform – durchaus geeignet, diese Unruhe aufrechtzuerhalten und produktiv werden zu lassen. Auch das ergibt sich aus der Suche nach dem Ursprung, der anders sein soll als man selbst und andererseits doch dem Selbst zugehörig, dem Ursprung, der erkannt werden soll und sich doch dem Begreifen immer wieder entzieht. Auch diese Irritation steckt im Muster der ‚Verkehrten Welten‘. Neben der projektiven gibt es deshalb auch eine andere, produktivere Variante, die – so die im Folgenden vertretene These – die Gegensatzbildungen und die mit ihnen verbundenen essentialistischen Zuschreibungen an fremde Kulturen in Frage stellt. Hier öffnen sich Spielräume für einen nicht-projektiven, nichttotalitären sondern offeneren, freieren und produktiveren Umgang mit Fremdheit, hier gibt es ästhetische und theoretische Verfahrensweisen, die geeignet sind, aus dem Spiegelkabinett des Primitivismus herauszuführen, und vielleicht auch aus heutiger Sicht für eine

ist eine Präsenz des Primitiven gegeben, die sich von Schillers sentimentalischer Erinnerung deutlich unterscheidet und für die Ästhetisierung der Politik folgenreich sein wird.

Diskussion über Fremdheit interessant sind. Das soll zunächst an drei Beispielen, einem aus der bildenden Kunst und zweien aus der Literatur, demonstriert werden.

Picassos Les Demoiselles d’Avignon: – Für eine nicht mehr nur europäische Moderne Die bekannteste Form des Primitivismus ist die gleichnamige Strömung in der bildenden Kunst der Frühen Moderne, und das berühmteste Werk aus diesem Zusammenhang sind zweifelsohne Picassos Les Demoiselles d’Avignon von 1907 (Abb. 1). ‚Primitivismus‘ bedeutet in der Kunstgeschichte so viel wie Nachahmung der ‚primitiven Kunst‘ oder der ‚Kunst der Primitiven‘. Picasso hat bei den Demoiselles, die zum Schlüsselbild der Moderne geworden sind, auf Darstellungsweisen zurückgegriffen, die damals als ‚primitiv‘ galten, etwa für die Frau am linken Bildrand auf die altägyptischen Wandreliefs, für dieselbe Figur sowie für die mittlere Frau auf altiberische Kunst und für die Gesichter der beiden Frauen rechts auf afrikanische Masken – freilich ohne dass er sie einfach ‚nachgeahmt‘ hätte oder sich auch nur angeben ließe, an welchen Masken er sich orientiert hat.2

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Picasso kannte seit 1905 sogenannte ‚Negerplastiken‘, erste Figurenskizzen zu den Demoiselles entstanden im November 1906, im Sommer 1907 brachte ein Besuch der ethnologischen Sammlung im TrocadéroMuseum eine erneute Begegnung mit der afrikanischen Plastik. Die Vorstudien sind zugänglich im Katalog der 1988 vom Pariser Picasso-Museum veranstalteten Ausstellung (vgl. Seckel 1988). Zuletzt hat Bärbel Küster mit neuen Argumenten gezeigt, dass es Picasso (und anderen französischen Künstlern, besonders Matisse) gerade nicht um Primitivismus i. S. einer ‚Abwertung von Gleichzeitigem / Früheren‘ ging. ‚Primitivismus‘ bedeutet hier vielmehr die Suche nach Universalien in der Kunst, nach Gleichbleibendem in der Darstellung

Primitivismus in Literatur und Kunst der Klassischen Moderne

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Abb. 1: Picasso: Les Demoiselles d’Avignon 1907 (nach Palau i Fabre 1998, 39).

Das Bild zeigt den Moment der Zurschaustellung, der sogenannten Parade in einem Bordell, darauf spielt auch der Titel an: ‚Les Demoiselles d’Avignon‘, das war eine geläufige Bezeichnung für die Prostituierten. Picasso zitiert auf vielfache Weise Konventionen der europäischen Aktmalerei und erzeugt damit eine Erwartungshaltung, die er dann konsequent enttäuscht. So wird in der linken

Bildhälfte das Bildformular der ‚Drei Grazien‘ aufgerufen, und die mittlere Figur zitiert zugleich die Venus von Milo, aber das damit verbundene klassische antike Schönheitsprogramm wird unterlaufen durch die Malweise, die das zeitliche Nacheinander des Sehens in mehrperspektivische Gleichzeitigkeit überführt und die Körper nicht harmonisch, sondern aus zerklüfteten Teilen zusammenfügt,

besonders des menschlichen Körpers. Das ‚Primitive‘ ist das Alte und Gleichbleibende. Das deckt sich mit einem breiten Diskursfeld im zeitgenössischen Frankreich, das es in Deutschland offenbar so nicht gab. Küster zeigt, dass dieser anthropologische Universalismus

sich sowohl gegen das evolutionistische Moment wie gegen die Überbetonung kultureller Differenz richtet. Sie hat außerdem gezeigt, dass die Rezeption altiberischer Kunst in Picassos Demoiselles vielfältiger ist als gedacht (Küster 2003, 121; 125–127; 171).

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alles Runde in eckige Formen übersetzt und sich einer explosiven Farbgebung bedient, die die Beziehungslosigkeit der Figuren betont und insgesamt dezidiert flächig wirkt (vgl. Herding 1992, 20). Zudem ist das Bild, was hier nicht im Einzelnen gezeigt werden kann, voller satirischer und ironischer Anspielungen auch auf die Malweise avantgardistischer Zeitgenossen, vor allem die Fauves und ihre Zentralgestalt Matisse. Auch das Thema der Bordellszene ist zur Persiflage geworden: Der Betrachterstandpunkt ist der des Voyeurs, aber sein Blick wird nicht befriedigt: Die Frauen sind weder schön noch einladend, ihre Zurschaustellung ist teilweise, etwa bei der Figur rechts unten, obszön, sie unterwerfen sich nicht dem voyeuristischen Blick, sondern starren zurück oder ihre Blicke bleiben leer. Frauen, Wilde, Nacktheit – Versatzstücke des Primitivismus werden zitiert, aber sie fügen sich nicht zum Diskurs des Primitivismus zusammen. Im Gegenteil: Das Zitat altägyptischer Reliefkunst und die maskenhaften Gesichter der beiden Figuren am rechten Rand erwecken vielmehr den Eindruck, dass Picasso hier in der Auseinandersetzung mit sogenannter primitiver Kunst eben jene Darstellungsweise entwickelt hat, die er hier vorführt und die die Erwartungen des Primitivismus nicht erfüllt. Das primitivistische Konzept der Verschiebung von Differenzen in eine temporalisierende Ursprungs- und Entwicklungsgeschichte stößt hier auf ein Formprogramm der „Rücknahme der Tiefe in die Fläche“ (Herding 1992, 11) und der nicht synthetisierenden Verknüpfung von Heterogenem: Zerfall der Bildkontinuität, Verzicht sowohl auf Realitätstreue wie auf Symbolgehalt, Verknüpfung von Alt und Neu, Hoch und Niedrig,Tafelbild und Karikatur, Scherz, Satire und Ironie einerseits und dem Anspruch, ein wirklich modernes Bild geschaffen zu haben, andererseits. All dies führt zu einer Komposition, an der der gewohnte Betrachterblick scheitert. Es sind

also nicht nur die Frauen, die sich den Erwartungen nicht fügen, sondern die Gesamtkomposition. Entscheidend ist die dadurch ausgelöste Blickumkehr: Das Bild wirft die Frage auf, warum dem (damaligen, an der europäischen Konvention geschulten) Betrachter jede Identifikationsmöglichkeit thematischer, formaler, voyeuristischer oder ästhetischer Art verwehrt ist. Indem das Bild die Erwartungen enttäuscht, lenkt es den Blick der europäischen Kunst auf diese selbst und ihre Schematisierungen zurück. Man darf das Bild sicher auch als Ausdruck einer Anerkennung ‚primitiver‘ Kunst verstehen, deren Techniken Picasso zur Lösung eigener Darstellungsprobleme adaptiert hat. Aber den Schwerpunkt bildet das nicht. Picasso geht es vor allem um eine Erneuerung der Kunst, und die muss sich gegen den „Begriff einer nur europäischen Kunst“ (Herding 1992, 47) vollziehen. Wirklich ‚modern‘ ist eine Verknüpfung von Gegensätzen, die die Grenzen verschiebt: Das Primitive ist zugleich komplex, das Archaische zugleich modern – damit ist der Gegensatz aufgehoben. Das ist der im Zusammenhang dieses Beitrags entscheidende Punkt: Der Spiegel, in dem der Europäer sich erkennt, wird von Picasso zerschlagen. Der Spiegel, der die eigene Welt verkehrt und als Bild des Primitiven ausgibt, dieser Spiegel, in dem der Europäer sich erkennt, indem er sich vom Bild des Primitiven unterscheidet, dieser Spiegel, der die verkehrte Welt erzeugt und damit auch die eigene – er ist zerbrochen.

Kafkas Wunsch, Indianer zu werden: Jenseits des Imaginären? Das zweite Beispiel für einen solchen selbstreflexiven Primitivismus, der das Konzept letztlich auflöst, ist ein literarisches: Franz Kafkas 1912 geschriebene kleine Prosaskizze Wunsch, Indianer zu werden:

Primitivismus in Literatur und Kunst der Klassischen Moderne

Wunsch, Indianer zu werden Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glatt gemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf. (Kafka 1996, 32–33). Ein verstörender Text. Am Anfang steht die nachgerade klassische primitivistische Wunschphantasie, ein Indianer zu sein, hier ist sie schon fast Realität geworden: Das „gleich bereit“ meint die totale Präsenz von Geist und Körper, und im Nu ergibt sich das Einswerden mit Pferd und Boden, Kraft, Schnelligkeit und Richtung, nichts als Natur sein – ohne Sporen und Zügel – , aber da beginnt das Bild bereits zu kippen: „denn es gab keine Sporen“, „es gab keine Zügel“, der Boden ist eine „glatt gemähte Heide“ und dann verschwindet der Schein von Realität vollends und der Text wird unheimlich: „schon ohne Pferdehals und Pferdekopf“. Was eben noch beinahe Wirklichkeit gewordene Phantasie war, entpuppt sich als Realitätsentzug bis zur – buchstäblichen – Bodenlosigkeit, und am Ende steht ein Nichts. Primitivistisches Ursprungsdenken und Erfahrung des Unheimlichen verhalten sich komplementär zueinander, sie sind Kehrseiten einer Medaille. In Kafkas Erzählung erhält das ‚Man‘ Konturen in dem Maße, in dem es den ‚Indianer‘ imaginiert, beide entstehen gleichzeitig, und mit dem Schwinden des imaginierten Anderen verschwindet deshalb auch das Ich. Kafka kehrt den gewöhnlichen projektiven Prozess um und führt die Projektion auf ihren Ursprung zurück. Die Umkehrung zeigt, was gewöhnlich geschieht: Das Ich gewinnt Konturen durch die Erfindung eines anderen,

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durch Projektion und Identifikation, durch Imagination. Kafkas Text zeigt das Imaginäre solcher Identitätsbildung. Indem er den Text buchstäblich im Nichts enden lässt, wirft er Fragen auf: Wer oder was wären wir ohne unsere Imagination von Anderen? Wären wir überhaupt? Sind unsere Imaginationen von Anderen für uns hintergehbar oder wechseln wir immer nur von einer Imagination zur nächsten? Damit wir nicht in einen Abgrund der Identitätslosigkeit stürzen, denn der verbirgt sich ja hinter dem Gefühl des Unheimlichen, das dieser Text auslöst. Man muss dafür nicht einmal Freuds Studie Das Unheimliche (1919) aus derselben Zeit oder Lacans Arbeiten heranziehen – was die Psychoanalyse mit symbolischer Kastration meint, die vollständige Entmächtigung, das ist auch so spürbar. Kafkas Text gibt auf die Frage nach der Möglichkeit eines ‚Jenseits‘ der Projektionen, Verkennungen, Verschiebungen keine Antwort, er konfrontiert den Leser nur mit dem Abgrund, der jenseits primitivistischer Phantasien liegt. Literarische Texte wie dieser illustrieren kein vorgängiges Wissen, sondern sie werfen Fragen auf, die in diesem Fall den Primitivismus betreffen, sich aber verallgemeinern lassen: Kommen wir ohne Konstruktionen von Fremdheit aus? Sind alle Konstruktionen von Fremdheit falsifizierbar oder sind sie nolens volens imaginär? Dient dieses Imaginäre dazu, den Abgrund des Eigenen zu verdecken? Gibt es keinen Grund, keinen Ursprung – oder nur im Verfehlen? Der Text führt in Reinform vor, was sich auch an Picassos Bild gezeigt hat: Moderne Kunst hat das Potential, ihre eigene Fremdheit gegenüber anderen gesellschaftlichen Teilsystemen, also ihre ästhetische Differenz, so zu nutzen, dass sie Primitivismen gewissermaßen zitiert, d. h. so vorführt, dass sie den Betrachter oder Leser einerseits hineinzieht, die Primitivität gewissermaßen erfahrbar macht – und

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gleichzeitig dekonstruiert. Eine solche ästhetische Inszenierung des Primitivismus macht Fremdheit sichtbar – als Verschiebung, als Verkehrung der eigenen Fremdheit im verkehrenden Spiegelbild des Primitiven.

Gottfried Benns Negerbraut – Kritik ‚weißer‘ Wissensproduktion Der Verfasser des dritten Beispiels für eine Dekonstruktion des Primitivismus ist der Dichter und Mediziner Gottfried Benn. In seiner ersten Veröffentlichung, dem berühmtberüchtigten Band Morgue (1912), gibt eines der Gedichte den Bezug zum Primitivismus schon im Titel zu erkennen: Negerbraut Dann lag auf Kissen dunklen Bluts gebettet der blonde Nacken einer weißen Frau. Die Sonne wütete in ihrem Haar und leckte ihr die hellen Schenkel lang und kniete um die bräunlicheren Brüste, noch unentstellt durch Laster und Geburt. Ein Nigger neben ihr: durch Pferdehufschlag Augen und Stirn zerfetzt. Der bohrte zwei Zehen seines schmutzigen linken Fußes ins Innere ihres kleinen weißen Ohrs. Sie aber lag und schlief wie eine Braut: am Saume ihres Glücks der ersten Liebe und wie vorm Aufbruch vieler Himmelfahrten des jungen warmen Blutes. Bis man ihr das Messer in die weiße Kehle senkte und einen Purpurschurz aus totem Blut ihr um die Hüften warf. (Benn 1986–2003, 12) Negerbraut ist ein eindrucksvolles Gedicht (vgl. Kaiser 1991, 353–356). Beim ersten Hören oder Lesen klingt es wie eine ‚wilde‘

Mischung aus Sexualität und Gewalt, „Nigger“ und weißer Frau, Leidenschaft und Tod, vorgetragen in ausdrucksvollen fünfhebigen, reimlosen Jamben, wobei Versende und Satzende beziehungsweise syntaktischer Einschnitt sich zumeist decken. Die ersten Verse entwerfen das Bild der weißen Frau als der schlafenden Schönen. Sie wird zum Objekt einer Sexualphantasie, in der die „Sonne“ den aktiven Part übernimmt. Darauf folgt eine krass abgewertete Szenerie, deren Anspielung auf die Penetration offensichtlich ist: „Ein Nigger neben ihr: durch Pferdehufschlag / Augen und Stirn zerfetzt. Der bohrte / zwei Zehen seines schmutzigen linken Fußes / ins Innere ihres kleinen weißen Ohrs.“ Auf den ersten Blick handelt es sich um einen typisch primitivistischen Text. Man kann, so scheint es, deutlich unterscheiden zwischen der ‚weißen Frau‘ und dem ‚schwarzen Mann‘, zwischen Unschuld und Laster, sexueller Reinheit und sexueller Unreinheit. Das Gedicht zitiert diese Positionen aber mehr, als dass es sie wirklich besetzte. So steht die Sonne im europäischen Wissensdiskurs – und im Diskurs des Primitivismus – metaphorisch für das Licht der Aufklärung, während der ‚Nigger‘ das Gegenteil, die vernunftlose Triebaktivität, das Andere der Vernunft verkörpert. In Benns Gedicht dagegen scheinen „Sonne“ und „Nigger“ eng verwandt zu sein, beide sind sexuell aggressiv, auch die Sonne „wütet“, und von Anfang an ist von „Blut“ die Rede. Außerdem ist der „Nigger“ tot, „durch Pferdehufschlag / Augen und Stirn zerfetzt“. Von ihm geht also gar keine sexuelle Aktivität aus, er ist nicht weniger ‚unschuldig‘ als die Frau, es findet gar keine sexuelle Handlung statt, sondern es gibt nur eine durch den Anblick zweier Leichen ausgelöste ebenso aggressive wie exzessive Phantasietätigkeit. Wer aber ist dann derjenige, der diese primitivistische Sexualphantasie entwirft? Sie kann nur von demjenigen stammen, der die beiden Leichen anschaut und die Sze-

Primitivismus in Literatur und Kunst der Klassischen Moderne

nerie als sexuelle deutet – und das ist die Figur des Mediziners im Gedicht. Denn in der Textwirklichkeit befinden wir uns, der Bandtitel Morgue sagt es bereits, im Leichenschauhaus. Bei allen Gedichten dieses Bandes (beziehungsweise des Zyklus, der dem Band seinen Namen gegeben hat) handelt es sich um Rollenlyrik aus der Sicht eines sezierenden Mediziners.3 Der tote „Nigger“ und die tote Frau liegen nebeneinander auf dem Sektionstisch, aber umgekehrt nebeneinander, so dass sein zerfetzter Kopf neben ihren Füßen liegt und sich seine Zehen in ihr Ohr bohren können. Diese Zufallskonstellation löst beim Mediziner wilde, Gewalt und Sexualität vermischende Phantasien aus: Bis man ihr das Messer in die weiße Kehle senkte und einen Purpurschurz aus totem Blut ihr um die Hüften warf. Das ist das (vorläufige) Ende der (Sexual-) Phantasien: der Schnitt des Sekteurs, deutlich markiert durch den Zeilenschnitt. Dieser letzte Satz des Gedichts bringt die Gewalttätigkeit der primitivistischen Imagination vollständig zum Vorschein, indem er sie in eine Handlung umsetzt. Nicht der „Nigger“ war gewalttätig, sondern der imaginierende Sprecher des Gedichtes, und seine Sexualisierung bereitete nur vor, was der Sekteur vornimmt: den vampirhaften Stich in die Kehle und den Schnitt um die Hüften.4 Aus dem „Aufbruch“ des „jungen warmen Blutes“ wird ein ganz anderer (aber die Phantasie nur wörtlich nehmender) ‚Aufbruch‘: ein ‚Aufbrechen‘ des Körpers, das nur „totes Blut“ hinterlässt.

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Benn berichtet, der Morgue-Zyklus sei in Verbindung mit einem Sektionskurs entstanden (vgl. Benn 1986–2003, I, 353). 4 Benn verfremdet hier einen ‚lehrbuchmäßigen‘ Schnitt, der vom Hals bis zum Schambein durchgeführt wird (vgl. Hahn 2011, 115).

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Dass man aus „totem Blut“ ihr „einen Purpurschurz“ „um die Hüften“ wirft, ist zunächst einmal zynisch, d. h. als Ausdruck des objektiven Zynismus des Geschehens zu verstehen: die Farbe der Kaiser und Könige für die ‚schöne Leiche‘. Was als Schönheitspreis und Brautlied begann, endet im Triumph der Zerstückelung. Man mag dahinter aber auch das Moment der Scham, den Wunsch, den so gewaltsam erzwungenen ‚Aufbruch‘ zuzudecken, mithören. Dieses Gedicht zitiert also primitivistische Phantasien mit der Absicht, den Ort kenntlich zu machen, an dem imaginiert wird, und die Gewalttätigkeit dieser Konstruktionen zum Vorschein zu bringen. Dabei wird die Subjektposition in aufschlussreicher Weise verschoben, zwischen dem „Nigger“ und der „Sonne“ beziehungsweise dem männlichen weißen Bewusstsein, aber auch zwischen diesem und der Frau, die nicht nur zitiertes Bild weiblicher Unschuld bleibt, sondern deren Darstellung dieses Bild zugleich paradox zerschreibt: Einerseits soll sie „noch unentstellt von Laster und Geburt“, also eine körperlose ‚weiße Frau‘ sein. Andererseits wird von den „Himmelfahrten“ nicht der Seele, sondern des „jungen warmen Blutes“ gesprochen, die zudem als ihre eigenen Träume vorgeführt werden. Entgegen der zunächst vorgeführten Abwertung und Spaltung wird sie so durchaus zu der im Titel genannten „Negerbraut“. Auch darauf mag der „Purpurschurz“ verweisen. Es geht, die Trope der Sonne hat es bereits anklingen lassen, aber nicht nur um Sexualität. Der Schnitt des Sekteurs dient der Untersuchung der Leiche. Vorgeführt wird also, dass der ‚männliche europäische Blick‘ nicht nur die sexuellen Beziehungen, sondern auch die Konzepte von Wahrheit und Erkenntnis regelt. Dafür war die Anatomie, die Leichenöffnung, schon immer das geradezu emblematische Bild. Benn inszeniert es jedoch so, dass Erkenntnisdrang und Zerstörung, Begehren und Töten ununterscheidbar werden. Dahinter steht, um

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Benn zu zitieren, „das große fressende herrschsüchtige Tier: der erkennende Mensch“ (Benn 1986–2003, VI.1, 14). Diese Rationalitätsform bildet sich, indem sie Anderes, sexuell und kulturell Anderes, die Frau und den ‚anderen‘ Mann, als ihr ‚konstitutives Außen‘ erschafft. Diese Gegensätze werden im vorliegenden Gedicht nicht einfach umgewertet, auch das wäre Primitivismus, sondern die Gegensatzbildung als solche wird aufgelöst. Die primitivistischen Dichotomien werden dezentriert, und das dürfte der Kern der Morgue-Gedichte sein, ähnlich wie bei Picasso (und Kafka), und in beiden Fällen kann man von einer Ästhetik des Hässlichen als Strategie des Sinnentzuges sprechen. Was ‚Nigger‘ oder ‚Frauen‘ eigentlich sind, das wird nicht gesagt. Es ist nicht das Thema des Gedichts. Es dezentriert oder dekonstruiert stattdessen den Ort der Wissensproduktion. In diesem Sinne ist Negerbraut ein herausragendes Beispiel für den Angriff des kritisch-selbstreflexiven Primitivismus auf zentrale und für problematisch erkannte Überzeugungen und Positionen der europäischen Moderne. ‚Herausragend‘ deshalb, und das ist die Pointe, weil hier auch der Primitivismus als Bestandteil, als kompensatorisches Gegenstück, als verkehrendes Spiegelbild der europäischen Moderne dekonstruiert wird.

Sparta – Primitivismus und Totalitarismus Bei diesem selbstreflexiven Primitivismus blieb es jedoch nicht. In den 1920er Jahren rezipierte Benn eine Fülle anthropologischer, ethnologischer, psychiatrischer und medizinischer Arbeiten. Das ging einher mit einem zunehmenden Einschwenken auf eine primitivistische Linie zu Lasten der kritischen, dekonstruktiven Dimension seines Werkes. Eine Schlüsselrolle spielten dabei spekulative Paläoanthropologen wie Eugen Georg und Edgar Dacqué sowie der philosophisch-sozio-

logisch verfahrende Ethnologe Lucien LévyBruhl. Ganz im Sinne des Primitivismus schreibt Benn in seinem Essay Der Aufbau der Persönlichkeit. Grundriß einer Geologie des Ich (1930): „Wir tragen die fremden Völker in unserer Seele“ (Benn 1986–2003, III, 271). Damit war gemeint, dass menschheitsgeschichtlich frühe Stadien im Körper gespeichert seien. So hat Benn unterschieden zwischen der entwicklungsgeschichtlich jüngeren Hirnrinde und dem älteren Stammhirn, und er hat die junge Hirnrinde als Sitz der Intellektualität, das ältere Stammhirn aber als Sitz archaischer Erinnerungen angesehen. Hier sei eine schöpferische Substanz verfügbar, die dem Relativismus und Rationalismus der Moderne entzogen sei und ‚ganzheitliche‘ Erfahrungen ermögliche. Benn verband diese biologisierende Sicht mit LévyBruhls soziologisch-ethnologischer These von der ganz anderen Denkweise der sogenannten Primitiven, die ihnen die ‚mystische Partizipation‘ ermögliche, ein Denken jenseits der Differenzierungen westlicher Logik. So lautet denn auch das Zitat aus Der Aufbau der Persönlichkeit im Zusammenhang: „Wir tragen die frühen Völker in unserer Seele, und wenn die späte Ratio sich lockert, in Traum und Rausch, steigen sie empor mit ihren Riten, ihrer prälogischen Geistesart und vergeben eine Stunde der mystischen Partizipation“ (Benn 1986–2003, III, 271). Gemeint ist mit ‚mystischer Partizipation‘ bei Benn die Teilhabe an einem absoluten Sein. Einen privilegierten Zugang dazu eröffne die Kunst, etwa die monumentalen Steinskulpturen, die Moai, auf den Osterinseln. In seinem Gedicht Osterinsel spricht Benn von „Riesenformungszwang“: Was aus diesem primitiven Schöpfungsgrund geschaffen sei, das sei unvergänglich und wahr, „aus wahrem Konstruktiv“ (Benn 1986–2003, I, 67). Benn vollzieht damit eine Gegenbewegung zu dem, was in Gedichten wie Negerbraut geleistet wurde. An die Stelle der Dekon-

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Abb. 2: Altamira: Gestürzter Bison (nach Kühn 1922, o. S. [53]).

struktion tritt ‚das wahre Konstruktiv‘, die frühere Strategie des Sinnentzuges wird ersetzt durch eine Metaphysik der Kunst und des Primitiven.5 Eine Verknüpfung von Kunstproduktion und primitivistischer Anthropologie fand Benn vorgebildet bei dem Prähistoriker Herbert Kühn, dem Begründer der Kölner Urund Frühgeschichte.6 Kühn war von Haus aus Kunsthistoriker, seine Domäne war die Kunst der ‚Primitiven‘, genauer gesagt: die Kunst der Eiszeit. Kühn, der ein Millionenpublikum erreicht haben soll,7 hat sich große Ver-

dienste um die Aufwertung der Kunst der Eiszeit erworben. Allerdings um den Preis einer rassistischen Deutung. Träger dieser Kunst sei der rassisch höherwertige Aurignac-Mensch gewesen, ein Proto-Europäer, dem Neandertaler überlegen, den er deshalb beiseite gedrängt habe.8 Benn hat Kühns Arbeit gekannt und sein Primitivismus-Konzept auch mit dessen Hilfe entwickelt. 1930 schreibt er in seinem Aufsatz Saison unter Bezugnahme auf die Höhlenmalerei in Altamira beziehungsweise auf eine Detail-Reproduktion (Abb. 2) und enthusiastische Beschreibung bei Kühn: „o Aurignac, der 4 Eiszeiten überwand … in dem Schwung

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Benn hat die Wiederholung solcher vor-, ur- und frühgeschichtlichen Einheitserfahrungen freilich nur in der Kunst (und vielleicht noch in Drogenexperimenten) für möglich gehalten. Für die exotistische Verklärung geographisch fernliegender Orte hatte er deshalb nur Spott und Ironie übrig; sie interessierten ihn nur als Stätten unwiderruflich vergangener Kulte, deren Essenz in der Kunst ihre Fortsetzung finde. 1933 / 34, im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung verschwindet diese Distanz zwischen Kunst und außerästhetischer Wirklichkeit vorübergehend. 6 Kühn habilitierte sich 1925 in Köln und wurde 1929 zum apl. Professor ernannt; auf seine Initiative wurde 1930 das Institut für Vorgeschichte als Abteilung des Historischen Seminars eingerichtet (vgl. Schäfer 2006).

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Im einschlägigen Wikipedia-Artikel ist zu lesen: „Seine zahlreichen Publikationen haben ein Millionenpublikum gefunden, und dies nicht nur in Deutschland. Viele seiner grundlegenden Publikationen erreichten Neu- und Mehrauflagen und wurden in mehrere Fremdsprachen übersetzt.“ (http: // de.wikipedia.org / wiki / Herbert_Kühn [27.2.2012]). 8 Vgl. Kühn 1922, 34–35. Die Ableitung kognitiver und künstlerischer Fähigkeiten aus der Anatomie, besonders der Schädelform, und eine primitivistische Deutung der Evolution, der zufolge sich jeweils alles vom Einfachen zum Komplexen entwickelt, bildet hier die Brücke zur Rassenlehre.

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eines gestürzten Büffels lebte 50 000 Jahre dein großes Troglodytenherz“ (Benn 1986–2003, III, 298). Diese Apotheose des AurignacMenschen wird abgesetzt gegen eine polemisch entwertete Moderne: „O Aufklärung, o Fortschritt, o Induktion“, heute „steppt der Negroide … und die Jazzband einer Neandertalkapelle dröhnt aus Afrika Himmel und Erde und … Zeugung und Verfall über deine Pinsel“ (ebd.; vgl. Hahn 2011, 586). Hohn und Spott also über die Moderne, ein spätzeitliches Verfallsprodukt, Zeichen des Niedergangs der ‚weißen Rasse‘, wie Benn zu sagen pflegt. Anders als noch in Gedichten wie Osterinsel erscheinen die außereuropäischen Primitiven hier jedoch nicht mehr als Heilsträger, sondern als Nachfahren der Neandertaler, mithin als nicht-menschliche Wesen. Im Vorfeld der nationalsozialistischen Machtergreifung richtet sich die Heilssuche, anders als in den 1920er Jahren, nicht mehr auf außereuropäische Primitive. Das Heil kommt vielmehr, wenn es kommt, aus den Tiefen eines primitiven europäiden Körpers, aus der ‚weißen Rasse‘. Benns Blick richtet sich deshalb auf die eigenen, die europäischen Primitiven. Er ist dabei nicht der Gefahr entgangen, Fremdes und Eigenes, Archaisches und Gegenwärtiges vollends zu identifizieren. 1933 / 34 engagierte Benn sich in Wort und Tat intensiv für den NS-Staat. Er betrieb in Rundfunkreden Propaganda für den neuen Staat und gegen die Emigranten und beteiligte sich an Überlegungen zu Rassenlehre und Eugenik sowie an der Gleichschaltung der Preußischen Akademie der Künste. Diese Parteinahme entsprang vor allem seinen primitivistischen Überzeugungen. Das macht der Essay Dorische Welt (1934) deutlich, in dem der NS-Staat als Wiederverkörperung Spartas gefeiert wird, eines totalen Staates, dem die Kunst sich zwar nicht unterordnet, dem sie aber zuarbeitet, und zwar nicht zuletzt bei der Züchtung einer modernen Kriegerrasse.

Mit dieser Volte stand Benn nicht alleine da. Dorische Welt ist Teil eines alten, in Deutschland seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert intensiver geführten Sparta-Diskurses über das Verhältnis von individueller Freiheit und allgemeinem Gesetz. Jetzt, 1933, wurde nicht nur bei Benn im Zeichen Spartas der Primitivismus zur Räson eines totalitären Staates.9 Die populärste Inszenierung dieser Ideologie dürfte Leni Riefenstahls Film über die Berliner Olympiade von 1936 gewesen sein. Riefenstahl lässt im Prolog ihres Films Olympia – Fest der Völker das nationalsozialistische Deutschland bei den Dorern beginnen. Die Kamera fährt vorbei an dorischen Tempeln, umkreist Statuen und blickt schließlich auf den Diskuswerfer des Myron, der sich in die lebende Gestalt des Zehnkämpfers Erwin Huber auflöst (Abb. 3). Modellathleten und nackte Tempeltänzerinnen füllen die Szene, in einer mystischen Atmosphäre wird das olympische Feuer auf dem Stumpf einer dorischen Säule entzündet. Der anschließende Fackellauf endet im Berliner Olympia-Stadion von 1936, genauer gesagt im leinwandfüllenden Gesicht Adolf Hitlers. Riefenstahl erzählt – wie Benn in Dorische Welt – „eine kurze, idealisierte Entwicklungsgeschichte des ‚Dritten Reiches‘. Sie lautet, in Stichworte gefaßt: Antike – arische Körper – Deutschland – Nationalsozialismus – Hitler“ (Kinkel 2002, 152; vgl.Wildmann 1998, 27–34). Die von Benn und Riefenstahl beschworene Einheit von Führer und Volk sowie von Geist und Körper ist eine Gemeinschaft unter totalitärem Vorzeichen. Benn glaubt in diesen Jahren, und eben dies ist sein Primitivismus,

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Zur Sparta-Rezeption und Forschung vgl. Christ 1986. Ein Spartabild, das der Propaganda des Nationalsozialismus diente, indem die Dorer als nordische Rasse und als Abkömmlinge des nordischen Herrenvolkes instrumentalisiert wurden, entwickelte maßgeblich Berve 1937.

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Abb. 3: Der Zehnkämpfer Erwin Huber als antiker Diskuswerfer im Prolog zu Riefenstahls Olympia (nach Trimborn 2002, o. S.).

Kunst, Macht und Anthropologie seien ein und demselben „Gesetz der Form“ (Benn 1986– 2003, III, 403) verpflichtet. In dieser Sicht ist die nationalsozialistische Machtergreifung keine politische, sondern eine anthropologische Wende. Die Abkehr von der Welt der MorgueGedichte könnte entschiedener kaum sein.10 Pathetisch heißt es in Dorische Welt: „… der Staat, die Macht reinigt das Individuum, filtert seine Reizbarkeit, macht es kubisch, schafft ihm Fläche, macht es kunstfähig“ (Benn 1986–2003, IV, 150). Der totalitären Staatsund Menschenkunst wird jetzt der Kubismus zugeordnet, der sich doch, wie Benn wusste, an der ‚Negerplastik‘ gebildet hatte. Was einmal Einspruch gegen den Zugriff der Macht und

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ihres Blickregimes war, das wird jetzt umgemünzt in eine Reinigung von allen Inhalten zugunsten einer totalen Mobilmachung der Körper für beliebige Zwecke, die allein ‚die Macht‘ vorgibt. Zur Ironie der Geschichte gehört, dass Benn kurz darauf wegen seiner frühen Gedichte selbst angegriffen wurde, und zwar in der SSZeitschrift Das schwarze Korps und schließlich sogar in der Ausstellung Entartete Kunst. Seine expressionistischen Anfänge galten längst als ‚Negerkunst‘. Pointiert gesagt: Der ‚Neger‘, der sich weiß waschen wollte, bekam Schwierigkeiten. Sie wurden durch persönliche Intervention Himmlers gelöst (vgl. Dyck 2006, 223–236). Seine Parteinahme für den Nationalsozialismus hat Benn aber aus einem anderen Grund beendet:Weil er den Eindruck hatte, dass der NS-Primitivismus nicht das Niveau des eigenen Primitivismus hatte, und weil auch für ihn der verbrecherische Charakter dieses Regimes unübersehbar wurde. Aber da hatte der ‚Mohr‘ seine Schuldigkeit bereits getan. Als Heinrich Böll 1950 in seiner schnell zum Schul-Klassiker avancierenden Erzählung Wanderer kommst Du nach Spa… mit dem Sparta-Mythos abrechnet, da werden diese Dimensionen des Primitivismus – Totalitarismus als Dominanz der Form und totale Mobilmachung des Körpers bis zu seiner Vernichtung – ebenso mit reflektiert wie die Bezüge zum deutschen Kolonialimperialismus und zu der bis zu Schiller zurückreichenden Diskussion um die beste Staatsverfassung.

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Neben dem kritisch-ätzenden Geist der MorgueGedichte gab es bei Benn freilich von Anfang an eine exotistisch-regressive Tendenz, die in Essays wie Dorische Welt die Oberhand gewinnt. Mit dieser Tendenz (nicht aber mit ihrem Umschlagen in Faschismus) bewegt sich Benn innerhalb eines Paradigmas, dem auch andere prominente Autoren der Klassischen Moderne wie Döblin, Thomas Mann, Freud u. a. folgten (vgl. Riedel 2008).

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Kulturwissenschaftliche Debatten Der Primitivismus war, wie gezeigt, eine für das Feld ‚Verstehen fremder Kulturen‘ ebenso problematische wie wirkungsmächtige Strömung, die außerdem zeitweise auch das politische Feld bestimmt hat. Innerhalb der primitivistischen Strömung gab es jedoch von Anfang an Künstler, die in einer selbstreflexiven Bewegung den Primitivismus von den angeblich ‚Wilden‘ zurück nach Europa verlagert und ihn als rein europäische Angelegenheit dekuvriert haben. An diesen Befund soll jetzt noch einmal angeknüpft und in einem letzten Schritt – im Blick auf das kulturwissenschaftliche Rahmenthema des vorliegenden Bandes – nach den wissenschaftlichen Diskussionen gefragt werden. Das geht allerdings nur in einem großen Sprung über viele Zeiten und Grenzen hinweg. Fragt man, inwiefern dieser selbstreflexive erkenntniskritische Impuls einzelner Vertreter der Klassischen Moderne in kulturwissenschaftlichen Debatten aufgegriffen und produktiv wurde, so ließe sich antworten: In sehr vielen, vor allem in den großen kulturwissenschaftlichen Debatten der letzten Jahrzehnte hat dieser Impuls fortgewirkt, und nicht selten lässt sich der Ursprung bis in die Frühe Moderne zurückverfolgen. Stichworte müssen hier genügen: In erster Linie sind hier die kulturwissenschaftlichen Debatten im Umfeld der postkolonialen Studien gemeint: der Poststrukturalismus mit seiner Idee der unendlichen Verschiebung der Schließung von Systemen, die Postmoderne mit ihrem ‚Ende der großen Erzählungen‘ (eine solche war der Primitivismus ganz gewiss), die Dekonstruktion mit ihrem Programm, die zugrundeliegende Aporie eines jeden Systems aufzuzeigen, Spivaks Studien zur diskursiven Gewalt des Sprechens und Schweigens, Saids Studie zum Orientalismus als machtinteressiertem Spiegelungsphänomen, und die geschichtswissenschaftlichen

Neuorientierungen im Zeichen von ‚geteilter Geschichte‘ und ‚Globalgeschichte‘: Anliegen all dieser Debatten war es, die Grenzen der Erkenntnis im erkennenden Subjekt und in seinen Verfahrensweisen aufzuzeigen. Mit der Literatur und der Literaturwissenschaft haben diese Debatten enge Berührungspunkte dort, wo es um die Problematisierung sprachlicher Darstellungsformen ging, vor allem um das monoperspektivische Erzählen der Wissenschaft, und wo man sich um die Öffnung für neue Fragestellungen und Darstellungsformen dialogischer und offener Art bemühte. Konkret rückverfolgen bis in die Frühe Moderne lassen sich solche Diskussionslinien in mindestens drei Bereichen. Das erste Feld ist die Ethnologie und Anthropologie: Das von Malinowski während des Ersten Weltkriegs entwickelte Verfahren der teilnehmenden Beobachtung war ein für die Ethnologie folgenreicher Versuch, dem Primitivismus und seinen Spekulationen durch Empirie und Rollentausch zu begegnen. Dieses Rollenspiel hat seine eigene Dialektik: Der Anthropologe, so Malinowski in seiner Einleitung zu Lips The Savage Hits Back, „has to find the human being in the savage; he has to discover the primitive in the highly sophisticated Westerner of to-day“ (Lips 1937 / 1966, VII). Der Rollentausch soll der Selbstdeutung der Befragten Raum geben, aber auch dem Fremdartigen und Unverständlichen sowie dem Individuellen und Zufälligen, und er kann darüber insgesamt zur Infragestellung des Fragenden führen. Inwieweit es Malinowski gelungen ist, dem Primitivismus durch Perspektivenwechsel, Gegenwartsbezug und Funktionalismus zu entkommen, ist strittig, unstrittig aber fand er den „Mut, dem Anderen als Gleichem gegenüberzutreten“ (Kramer 1979, 566). Ein weiterer Diskussionsstrang lässt sich zurückverfolgen für den Bereich des Museums, also für die Frage:Wie stellt man Objekte aus außereuropäischen Kulturen aus? Für die kritische Reflexion ethnographisch-anthropo-

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logischer Repräsentationen im Museum wird – zu Recht – häufig auf zwei Künstler hingewiesen, die aus ihren erkenntniskritischen Impulsen neue Präsentationsformen entwickelt haben: Zum einen auf den Schriftsteller Carl Einstein, der als Verfasser zweier Bücher über schwarzafrikanische Plastik und Ausstellungskritiker den gegen Primitivismus, Rassismus und Kolonialismus gerichteten Versuch gemacht hat, die sogenannte ‚Negerplastik‘ durch ihre dezidiert ästhetische Würdigung sowie durch die Berücksichtigung ethnographischer Kontexte dem eurozentrischen Blick zu entziehen.11 Zum anderen wird verwiesen auf die Berliner Dadaistin Hannah Höch. Ihre in den 1920er Jahren entstandenen Fotomontagen mit dem Titel Aus einem ethnographischen Museum gelten als „Institutionskritik avant la lettre“ (Kravagna 2008; vgl. Schmidt-Linsenhoff 2010, 196–216). Bereits der Titel Aus einem ethnographischen Museum zeigt an, dass das Primitive seinen Ursprungsort in der diskursiven Ordnung des Museums beziehungsweise der ethnographischen Praxis hat, nicht in einem kulturellen Anderswo. Ob dieser kritische Blick auch im Blick auf die heutige Ausstellungspraxis ethnologischer Museen erhellend sein kann, wäre am Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum Kulturen der Welt zu erproben. Die seit der Neueröffnung 2010

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Die beiden Strategien gehören, was häufig übersehen wird, zusammen: Die Ästhetisierung begründet Einstein in Negerplastik (1915) damit, dass ihm (und anderen) das nötige Kontextwissen fehle: „In jedem Falle, weder die geschichtlichen noch geographischen Kenntnisse erlauben vorläufig auch nicht die bescheidenste Kunstbestimmung.“ (Einstein 1980, 246, Hervorhebung im Original). Eine Neuorientierung setzt aber bereits mit Afrikanische Plastik (1921) ein; in diesem Sinne übte Einstein 1926 in zwei Besprechungen in der Zeitschrift Querschnitt auch Kritik an der neu geordneten Sammlung des Berliner Museums für Völkerkunde. Die strikt ästhetische Behandlung der Objekte ist aber sowohl eine Befreiung aus kolonialer Verachtung wie eine Vereinnahmung für eigene beziehungsweise europäische ästhetische Konzepte.

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präsentierte grundlegende Neuordnung der Sammlung folgt der Idee einer offenen Mehrperspektivität, ein Konzept, das sich zunächst durchaus zu den hier skizzierten Positionen der Klassischen Moderne in Beziehung setzen lässt. Die Objekte werden als kulturthematisch universalisierend, kulturspezifisch lokalisierend sowie als ästhetische Objekte (aber nicht im Sinne eines europäischen L’art-pour-l’art) ausgestellt, außerdem erscheinen – im kritischen selbstreflexiven Zitat – die kolonialistische und die stereotype Perspektive. Ob hier jedoch auch postkoloniale Mehrperspektivität erreicht wird, sei dahingestellt: Es fehlt die außereuropäische Perspektive auf die Europäer, obwohl dies doch bereits der Kölner Ethnologe Julius Lips gefordert hatte, der ab 1930 der erste Inhaber des neu eingerichteten Lehrstuhls für Völkerkunde sowie 1928–1933 Direktor des Museums war und 1937 The Savage Hits Back veröffentlichte, die erste Zusammenstellung und Kommentierung außereuropäischer Darstellungen von Europäern. Für einen dritten Bereich, die ästhetische Fremderfahrung wäre für die Theoriegeschichte auf Victor Segalen zu verweisen. Er hat in seiner zwischen 1904 und 1919 geschriebenen Ästhetik des Diversen so deutlich wie kaum ein zweiter die Anerkennung des Anderen in den Mittelpunkt gestellt und dies mit einem relationalen Konzept von Differenzen verbunden. Das ‚Diverse‘, die Erfahrung von Differenz, war für ihn weder ein Manko noch der notwendige Ausgangspunkt für Assimilation, Integration oder Hybridisierung. Die Erfahrung, „daß etwas nicht das eigene Ich ist, und die Fähigkeit …, anders aufzufassen“ (Segalen 1994, 41), waren für ihn etwas, das „beflügelt, bereichert und bestärkt“ (ebd. 72). Auch hier wird, wie bei den anderen Genannten, die Fremdheit ins eigene Ich verschoben, die Differenz zwischen fremd / vertraut ist nicht mehr deckungsgleich mit der Grenze zwischen wir /sie. Segalens Ausführungen beeindrucken durch die Einbeziehung dieser

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existentiellen Dimension und, unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs, eines politischen Horizonts, der über die Kritik des Kolonialismus und der kulturindustriellen Vereinnahmung der Exotik hinausgeht. Zu den jüngeren Debatten der letzten Jahrzehnte wäre jedoch kritisch anzumerken, dass gelegentlich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet worden ist und der Eindruck entstand, es gebe nur symbolische Realitäten und zwischen Erkennen und Verkennen lasse sich gar nicht mehr unterscheiden. Und womöglich hat die Anlage dieses Beitrags diesen Verdacht bekräftigt, denn Picassos, Benns und Kafkas Absicht war es nicht, Fremde besser zu verstehen – sie haben, in ihrem Bemühen, sich anders zu verstehen, nur Voraussetzungen dafür geschaffen. Im Titel des vorliegenden Beitrags – Verkehrte Welten – schwingt (wie schon bei Kramer) aber eben auch die Wortbedeutung mit, nach der ‚verkehrt‘ so viel bedeutet wie ‚falsch‘ oder ‚unangemessen‘. Damit verbindet sich die Erwartung, dass durch das Zerbrechen des Spiegels, der immer nur das eigene Ich zeigt, bislang Fremdes sichtbar wird. Es ist fraglich, ob und inwieweit das gelingen kann. Dafür sei abschließend ein Beispiel gewählt, auf das sich auch Fritz Kramer in seiner Studie bezieht. Es stammt aus Emil Noldes Reise in die Kolonie Deutsch-Neuguinea, die der Maler 1913 / 14 als Mitglied der Medizinisch-demographischen Deutsch-Neuguinea-Expedition des Reichskolonialamtes unternahm (Abb. 4). In der postkolonialen Kunstgeschichtsschreibung sind Noldes Südsee-Bilder als primitivistische Typenporträts gedeutet worden, mit denen der Maler seiner Auffassung vom notwendigen Untergang dieser (wilden, aber glücklichen) „Urmenschen“ (Nolde 1965, 88) Ausdruck verliehen habe. Für diese Deutung – Nolde als Primitivist – gibt es gute Gründe, sie trifft die programmatische Seite dieser Bilder.12 Aber noch in Noldes 1936 (!) geschriebenen Erinnerungen finden sich, neben der

Abb. 4: Emil Nolde: Eingeborener / Südsee-Insulaner 1914 (nach Nolde 1965, 78).

Rechtfertigung des Kolonialismus, eben auch Bemerkungen wie die, die Gefangennahme der ‚Eingeborenen‘ sei „radikal und roh“ (Nolde 1965, 57), das „Kolonisieren … eine brutale Angelegenheit“ (ebd.) und die Überlegung: „Wenn, von den farbigen Eingeborenen aus gesehen, eine Kolonialgeschichte einmal geschrieben wird, dann dürfen wir weißen Europäer uns verschämt in Höhlen verkriechen“ (ebd. 58). Die spannungsgeladene Situation in der Kolonie, in der sich bewaffneter Widerstand regt, deutet Nolde keineswegs nur als Ausdruck ‚primitiver Wildheit‘, sondern auch als Reaktion auf koloniale Gewalt (vgl. ebd. 59; 68; 94; 96–98), ähnlich die Tatsache, dass auf einer der Inseln „seit 15 Jahren kein

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Den primitivistischen Charakter von Noldes Südsee-Reise und -Bildproduktion haben zuletzt D. Daum (2004) und C. Otterbeck (2007, 207–270) hervorgehoben.

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Kind mehr geboren worden“ sei: „Die Eingeborenen wollten aussterben. Lieber dies als für die Fremden arbeiten“ (ebd. 99). Es ist deshalb durchaus plausibel anzunehmen, dass es Nolde, gewissermaßen gegen den Strich des ethnographischen Typenporträts, in Bildern wie Eingeborener (1914), heute auch SüdseeInsulaner betitelt, gelungen ist, im Gesichtsausdruck des Porträtierten etwas einzufangen von diesem Blick der Kolonisierten, mithin eine indigene Sicht der Dinge. Das Bild zeigt, so Kramer, einen Melanesier, dessen Ausdruck voller „Mißtrauen, gespannter Wachsamkeit, wachsendem Stolz, Haß und … Trauer“ (Kramer 1977, 105) ist. „Der gespannte Blick, der den Betrachter der Aquarelle trifft, gilt dem Weißen“ (ebd. 106).13 Vor diesem Hintergrund wird man ein Fazit ziehen und urteilen dürfen, dass der Primitivismus eine vielgestaltige, sehr ambivalente und politisch brisante Strömung gewesen ist, in deren ästhetischer Praxis und Theorie jedoch auch Dinge gedacht und realisiert wurden, die für heutige Diskussionen über den Umgang mit kultureller Alterität und ihre Interpretation als ‚Fremdheit‘ bahnbrechend waren und vielleicht immer noch plausible Bezugspunkte bleiben können, über deren Leistung und Grenzen man aber immer auch im Blick auf den Einzelfall und den historischen Kontext urteilen kann und muss. Andererseits gilt: Primitivismus dürfte eine Möglichkeit sein, die allen Gesellschaften zu allen Zeiten zur Verfügung stand und steht. Die konkrete Gestalt, die er in Wissenschaft, Politik und Künsten in der Klassischen Moderne

gefunden hat, mag der Vergangenheit angehören. ‚Vorbei‘ ist der Primitivismus aber deshalb nicht.

13 So plausibel diese Deutung Kramers ist, so unplausibel beziehungsweise spekulativ ist seine Begründung. Sie beruht auf der Annahme einer vollständigen Spaltung zwischen ästhetischer und außerästhetischer Praxis: „In dieser Konstellation konnte Nolde nicht das mindeste verbalisierte Verständnis aufbringen“ (Kramer 1977, 105). Wie gezeigt, ist das Gegenteil der Fall. Inwieweit es sich bei Noldes Aquarellen in jedem Ein-

zelfall um ethnographische Typenporträts handelt oder nicht doch um Bilder mit physiognomischer Eindeutigkeit, wäre vielleicht auch noch einmal zu überdenken. Nolde berichtet, dass der ehemalige Gouverneur von Deutsch-Neuguinea, Hahl, angesichts der Aquarelle ausgerufen habe: „Diesen Mann kenne ich – der lebt auf jener Insel – dieser gehört zu jenem Stamm – sie sind ja großartig“ (Nolde 1965, 146).

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Christoph Antweiler

Fremdheit, Identität und Ethnisierung: Instrumentalisierung des Anderen und ihre Relevanz für Archäologie und Ethnologie

Welche Bedeutung kommt der Fremdheit im sozialen Umgang zu? Welchen Sinn hat Verfremdung? Dieser Beitrag soll erläutern, wie Fremdheit als Mittel in der Interaktion von Kollektiven fungiert. Ich möchte zeigen, dass individuelle Kognition und Emotion mit der Sozialität verknüpft sind. Ich arbeite heraus, dass das Fremde mit Andersartigkeit zu tun hat, aber nicht einfach mit dem Anderen gleichzusetzen ist. Das Andere und die Anderen sind oft durchaus bekannt oder sogar vertraut. Andere Kulturen werden aber als ‚ganz fremd‘ wahrgenommen oder kontrastverstärkt dargestellt – und das hat oft strategische Gründe. Das betrifft auch die Wissenschaften wie die Archäologie und die Ethnologie. Der Beitrag will einer Ontologisierung ‚des Fremden‘ und der immer schon ‚ganz anderen‘ fremden oder archaischen Kulturen konstruktiv begegnen. Zunächst (1) beziehe ich das Thema auf die Wissenschaften selbst. Ich frage nach der Funktion von Fremdheit in den Wissenschaften und vergleiche die Fremdheit im Gegenstandsfeld der Ethnologie und der Archäologie beziehungsweise der Ur- und Frühgeschichte. Ich argumentiere dagegen, Archäologie und Ethnologie über die Andersartigkeit oder Fremdheit der untersuchten Kulturen zu bestimmen. Daran schließt (2) eine Analyse der Rolle von Fremdheit bei der Beziehung zwischen Kol-

lektiven an. Hier erläutere ich Ethnizität als Wir-Bewusstsein und Ethnozentrismus als eine wertende auf die Eigengruppe konzentrierte Perspektive und Fremdes kontrastiv betonende Haltung. Darauf baut (3) eine Systematisierung der Formen des Umgangs mit Fremdheit in sogenannten interkulturellen Beziehungen auf. Ich schließe mit einem Plädoyer für einen moderaten Kulturbegriff, der Grenzen und Fremdheit ernstnimmt, aber auch Gemeinsamkeiten zwischen Menschen und zwischen Kulturen sieht.

Fremde Kulturen und Othering in Wissenschaftskulturen Die Ethnologie ist ein Fach, das sich selbst oft als zuständig für kulturelle Besonderheiten und ‚andere‘ Kulturen sieht. Ethnologie wird als „Wissenschaft vom kulturell Fremden“ aufgefasst (Kohl 2012,Titel). Dabei wird heutzutage aber durchweg die prinzipielle Relationalität des Fremden betont: Fremdes steht immer in einer Beziehung zum Eigenen. In dieser Fassung (‚kulturell Fremdes‘) besteht das Eigene in der eigenen Kultur. In einem Sammelband mit Beiträgen aus vielen Disziplinen liegt es nahe, erst einmal nach Fremdheit in den Wissenschaften selbst zu fragen. Im Alltag der

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Forschung und Lehre werden jeweils andere Wissenschaften oft mit Befremden wahrgenommen, eben als andere Wissenschafts-Kulturen. Dies führt oft zur Meidung, selbst im sogenannten interdisziplinären Rahmen. Im konkurrenzbetonten Wissenschaftsgeschäft bleibt es oft nicht bei Befremdung oder Ignoranz. Es kommt zu Lagerbildung und leider oft auch zum strategischen Othering: hier ‚Naturwissenschaften‘, dort ‚Geisteswissenschaften‘. Ähnlich der Ethnologie liegen die Urund Frühgeschichte und die Archäologien (im Folgenden einfach „Archäologien“) im Niemandsland zwischen den eingefahrenen Lagern. Während die Ethnologie eher zwischen Sozial- und Geisteswissenschaften eingeordnet wird, stehen die Archäologien – wie übrigens auch die Geographie – zwischen historischer Wissenschaft, Kulturwissenschaften und Naturwissenschaften (Renfrew / Bahn 2012; Eggert / Samida 2009). Während die Archäologien in den USA teilweise mit der Ethnologie (Cultural Anthropology) in einem anthropologischen Department untergebracht sind, sind sie in Europa meistens in historischen Instituten oder zusammen mit der Altertumswissenschaft oder der Orientalistik verortet (Hodder 2005, 126; Eggert 2012). Die Fremdheit zwischen den tradierten Wissenschafts-‚Kulturen‘ der Naturwissenschaften und der Geistes- beziehungsweise Kulturwissenschaften ist mir aus eigener Erfahrung vertraut. Es ist vor allem die gegenseitige Befremdung und Skepsis zwischen generalisierender Theoriesuche und historisierender oder sonst wie relativierender Kontextualisierung. Gleichzeitig habe ich diese Fremdheit als Hemmnis durch einen Graben erlebt, der inhaltlich kaum begründbar ist. Ich habe vor meinem Ethnologie-Studium zunächst ein Studium naturwissenschaftlicher Fächer absolviert. Mit den Disziplinen Geologie, Paläontologie und Biologie habe ich aber besondere Naturwissenschaften studiert. Es sind Wissenschaften, die Verallgemeinerungen suchen,

aber dennoch historische Gegenstände haben: ‚Naturgeschichte‘. Ich habe beide Zugänge in mir selbst als bereichernd erfahren und bekam mehr und mehr den Eindruck, dass diese dichotome Wissenschaftseinteilung obsolet ist. Worin besteht das Fremde im Gegenstand der Archäologien und der Ethnologie? Hier bestehen Gemeinsamkeiten, aber die Fächer unterscheiden sich diesbezüglich auch deutlich. Die Archäologien befassen sich mit Menschen und Lebensweisen, die es heute nicht mehr gibt und von denen zum Teil keine eigenen Schriftzeugnisse bestehen. Die Datengrundlage sind in erster Linie Dinge: Bodenfunde wie Reste materieller Kultur, gebaute Strukturen, seltener organische Hinterlassenschaften (Eggert 2012; Fagan / Durrani 2013). Archäologen können die menschlichen Akteure, die hinter diesen Resten und Spuren stehen, nicht beobachten oder befragen. Ihr Denken und Fühlen bleibt ihnen fremd im Sinne von unbekannt. Damit ist das zentrale Verfahren die Rekonstruktion aufgrund materieller Reste oder Spuren. In zeitlicher Hinsicht ist das Spektrum breit. Archäologie ist diachron angelegt und kann innerhalb der Menschheitsgeschichte zeitlich unbegrenzt in die Tiefe gehen. Damit ist Archäologie m. E. vom Gegenstand her eine historische Wissenschaft, auch wenn Datengrundlagen und Methoden teilweise anders als in den Geschichtswissenschaften sind (vgl. Bernbeck 1997, 130–270; Eggert 2006). Die Ethnologie befasst sich primär mit der Lebensweise, ‚Kultur‘, im Sinne der Daseinsgestaltung (Rudolph 1973; Rudolph / Tschohl 1977). Diese Daseinsgestaltung wird untersucht in menschlichen Gruppen (zu Kollektiven Hansen 2009) der Gegenwart. Kultur umfasst dabei psychische, soziale Phänomene wie auch Artefakte („materielle Kultur“, Hahn 2014). Grundlage sind sozialwissenschaftliche Verfahren, wie Beobachtung und Befragung. Methodisch im Mittelpunkt steht der erfahrungsnahe Umgang mit Akteuren in

Fremdheit, Identität und Ethnisierung

deren Lebenskontext innerhalb der sogenannten „Feldforschung“ (als Übersichten Eriksen 2010; Heidemann 2011; Hahn 2013). Dennoch bleibt das Verstehen des Fremden prinzipiell begrenzt (Saalmann 2005). Mit der Beschränkung auf gegenwärtige Kollektive ist die zeitliche Tiefe der Ethnologie stark begrenzt. Historisch gehen Ethnologen in der Regel nur bis in die von lebenden Akteuren noch erinnerte jüngere Sozialgeschichte zurück. Thematisch war die klassische Ethnologie bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts auf kleine beziehungsweise einfache Gesellschaften außerhalb Europas spezialisiert, also auf ‚fremde‘ Kulturen. Heute erforschen Ethnologen Gesellschaften aller Typen und Komplexitätsgrade. Und sie erforschen auch Teilbereiche der ‚eigenen‘ Kultur. Aufgrund des „mikroskopischen“ Vorgehens sind sie zumeist mit überschaubaren Ausschnitten dieser Gesellschaften befasst. Während die thematisch ähnlich gelagerte Soziologie sich auf moderne und zumeist westliche Gesellschaften konzentriert, widmen sich Ethnologen heute Gesellschaften auf dem ganzen Globus. Das Fach hat damit eine stärker vergleichende Perspektive, auch wenn einzelne Ethnologinnen und Ethnologen üblicherweise nur in einer Gesellschaft forschen. Im Hinblick auf die zeitliche Tiefe steht zwischen der aktual-orientierten Ethnologie und der auf Bodenfunde fokussierten Archäologie die auf Schriftdokumente bauende Geschichtswissenschaft. Potentiale wie Probleme der Ethnologie sind durch ihre traditionelle Orientierung auf ‚das Fremde‘ gegeben. Als Disziplin ist die Ethnologie unterschiedlich bestimmt worden. Einige dieser Bestimmungen treffen zwar bestimmte Charakteristika, eignen sich aber m. E. heute nicht mehr zur Verdeutlichung des Fachkerns. Erstens sehe ich die Ethnologie nur nachgeordnet als Studium von ‚Kulturen‘, ‚Ethnien‘, auch wenn das der traditionelle Fokus der Ethnologie war. Ethnologie sollte weniger auf Gesellschaften (‚Kulturen‘)

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als solche fokussiert sein, sondern auf spezifische Wege, das gleiche zu tun beziehungsweise auf unterschiedliche Arten, die gleichen Probleme zu lösen. Eine Bestimmung von Ethnologie als Untersuchung von Kulturen läuft immer Gefahr, diese als intern einheitlich und abgegrenzt zu versehen und fälschlicherweise anzunehmen, Kultur sei unter den Personen geteilt (shared ). Diese Essentialisierung führt leicht dazu, Menschen nur als ‚Exemplare‘ von Kulturen zu sehen und sie damit zu entpersonalisieren. Ethnologie sollte zweitens nur mit Vorsicht als Wissenschaft des kulturell Fremden schlechthin gesehen werden. Fremdheit ist keine Eigenschaft von Kulturen, sondern ihrer Beziehung. Das Fremde als solches sollte nicht der Gegenstand sein, weil das gegen Vergleiche als Methode und gegen die Einsicht der Einheit der Menschheit spricht. Insbesondere sollte die Ethnologie nicht über das Fremde als das ‚ganz Andere‘ bestimmt werden. Sonst werden erkenntnishinderliche Dichotomien zementiert, die sogar politisch sehr gefährlich werden können, weil sie ungewollt die Einheit der Menschheit in Frage stellen. Glorifizierende, mystifizierende, aber eben auch abwertende ‚Kulturrassismen‘ sind ohnehin verbreitet und sie können ethnologisches Gedankengut oder auch nur ethnologische Termini allzu leicht für sich vereinnahmen. Die Ethnologie könnte auch über ihre Erkenntnischarakteristika bestimmt werden. Dies wäre eine Fachbestimmung über ihr spezielles epistemisches Problem (Verstehen fremder Kultur) und praktisches Umgangsproblem (fremdkultureller Umgang) sowie ihre allgemeine Haltung als Antwort darauf (Kulturrelativismus). Eine solche epistemische Fachbestimmung ist aber logisch – ich muss einschränken: nach meinem materialistischen Weltbild – nachgeordnet gegenüber der ontischen, also thematischen Bestimmung über ihren Gegenstand. Beide, Archäologie und Ethnologie, haben es mit anderen und fremden

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Christoph Antweiler

Kulturen zu tun. Beide wollen Fremdes verständlich oder vertraut machen. Ethnologen lieben das Aufdecken verborgener Strukturen oder Diskurse und damit (Ebeling 2004) finden sie die Metapher der ‚Archäologie‘, höchst faszinierend (vgl. Ebeling / Altekamp 2004; zur Aktualität des „Archäologischen“). Die größten Ähnlichkeiten bezüglich der Fremdheit im Forschungsgegenstand bestehen wohl zwischen Ethnologie und den post-prozessualen Ansätzen in der Archäologie. Dies zeigt sich etwa in der Zeitschrift Jounal of Social Archaeology (Hodder 2005, 134). Gleichzeitig verfremden oder distanzieren beide durch Darstellung anderer Lebensformen den Blick auf die eigene Kultur.

Das Andere macht Sinn: kollektive Identität Kollektive Identität durch Abgrenzung gegen Fremde

Kollektive Identität bezieht sich auf wahrgenommene oder erlebte Kontinuitäten in Kollektiven (Krappmann 2010). Die kollektive Frage „Wer sind wir?“ hängt zusammen mit der Frage „Wer bin ich?“. Menschen können nur in Kollektiven überleben und das Kollektiv hat schon wegen seiner Vielheit ein Übergewicht gegenüber dem Individuum, was dessen Autonomie prinzipiell begrenzt. Auch kausal ist kollektive Identität mit der Identität des Individuums verbunden. Die Verbindung zwischen personaler und kollektiver Identität ergibt sich durch die Fragen: „Zu wem gehöre ich?“ beziehungsweise „Wem fühle ich mich zugehörig?“. Deshalb muss zum Verstehen kollektiver Identität zunächst geklärt werden, was individuelle Identität ist. Als Synonyme werden häufig ‚soziale Identität‘, ‚GruppenIdentität‘, ‚kulturelle Identität‘ und ‚ethnische Identität‘ verwendet. Andererseits werden damit spezifische Identitätsbezüge benannt.

Gemeint ist dann die Identifikation mit einer sozialen Position, einer Gruppe oder SubGruppe, einer kulturellen Tradition oder einer ethnischen Kategorie beziehungsweise ethnischen Gruppe. Kollektive Identitäten bestehen immer auf verschiedenen Ebenen. Sie sind prinzipiell taxonomisch geordnet. Individuen wählen dabei je nach Situation aus einem Set von Identitätsgruppen. Dieses Wählen erfolgt in aller Regel kaum bewusst; manchmal erfolgt die Wahl dagegen aber nach strategischen Gesichtspunkten. Dies können aufsteigend etwa Verwandtschaftsgruppen (Lineages, Clans), Altersgruppen, Regionalgruppen oder Religionsgruppen sein. Zweitens selegieren Individuen die gruppenkonstituierenden Merkmale aus einer Vielzahl von Möglichkeiten. Drittens können für verschiedene Ebenen (von Lineages bis Religion) ganz unterschiedliche Merkmale herangezogen werden, etwa Sprache, regionale Herkunft, genealogische Verwandtschaft oder Religion. Entscheidend ist die emische Ebene, die gefühlten, geglaubten und jeweils betonten Gemeinsamkeiten. Insofern ist es für die Identitätsdynamik auch zweitrangig, ob die Abgrenzungen althergebracht (primordial) oder etwa erst durch kolonialbehördliche Eingriffe kreiert sind (konstruiert) und ob eine Ursprungslegende aus der wissenschaftlichen Außensicht reale Geschichte wiedergibt oder fiktiv ist. In der Ethnologie wurde bis in die 1960er Jahre gefragt, was eine ethnische Gruppe essentiell sei. Grundsätzlich sind ethnische Gruppen zwischen der Ebene der Verwandtschaft und der der Nation angesiedelt. Es gab diverse Ansätze, ethnische Gruppen mittels einer Liste objektiver Merkmale abzugrenzen, die sehr kontrovers diskutiert wurden (vgl. Naroll 1964). Das Problem statischer und an Merkmalskatalogen ausgerichteter Ansätze war, dass Variationen unbeachtet blieben oder ausschließlich der Assimilation zugeschrieben wurden. Die (1) Vielfalt der zur Selbstpräsen-

Fremdheit, Identität und Ethnisierung

tation und Abgrenzung möglichen Merkmale und (2) der Wandel bezüglich einzelner Gruppen führten letztlich zur Abkehr von diesem objektivistischen Ansatz. Ethnische Gruppen werden im historischen Prozess durch Ethnizität gebildet. In der Regel stellen sie endogame Gruppen dar. Die aus der Sicht der Mitglieder maßgebenden Gruppenkonstituenten sind zumeist ausgewählte oder konstruierte Traditionen, die als gemeinsam anerkannt werden (vgl. Orywal / Hackstein 1993). Beides, Endogamie und Traditionsorientierung, stellen das dominante Grundmuster dar, zu dem es aber viele Ausnahmen gibt. Im Einzelnen müssten immer verschiedene Ebenen sauber unterschieden werden: ethnische Kategorien, ethnische Gruppen, ethnische Netzwerke und ethnische Institutionen beziehungsweise Organisationen. Dies wird leider selten so klar gemacht, wie das Judith Strauch in ihrer Studie über Identitätsstrategien bei Interaktionen in der multiethnischen Stadt Georgetown auf Penang in Malaysia tut (Strauch 1981, 235). Ethnizität (auch ‚ethnische Identität‘) besteht in Vorstellungen (Kognition), Gefühlen (Emotion) und Handlungen der Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen, die eine Gruppe gegen andere abgrenzen. Im Kern bezeichnet ‚Ethnizität‘ das Wir-Bewusstsein. Sie beruft sich auf verbreitete Konzepte gemeinsamer Herkunft beziehungsweise Ursprung und /oder gemeinsame Traditionen und betont kulturelle Unterschiede zu anderen Kollektiven. Identitätsstiftend wirken insbesondere die gemeinsame Sprache und Religion. Der traditionelle Ansatz betont Essenz und Kontinuität und erklärt Ethnizität mit dem gemeinsamen geschichtlichen Ursprung (Primordialismus). Neuere Ansätze betonen demgegenüber eher den Handlungsrahmen, die Dynamik und die strategische, politische beziehungsweise manipulative Seite von Ethnizität (situative, kontextuelle, strategische, funktionale, utilitaristische Ansätze). Menschen nutzen Grenzen und Unterschiede,

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um damit bestimmte Ziele gegenüber konkurrierenden Kollektiven durchzusetzen (z. B. Ressourcensicherung) und um interne Konformität und Solidarität zu erreichen. Bei der Bildung des Wir-Bewusstseins werden von (führenden) Mitgliedern bestimmte gegenwärtige Werte, Normen und Praktiken selegiert beziehungsweise bestimmte Traditionen und Aspekte der Geschichte ausgewählt oder betont („Erfindung von Geschichte“). Grenzen der eigenen zur fremden Gruppe sind für die Organisation kultureller Diversität von zentraler Bedeutung. Schon bei Barth werden kulturelle Grenzen sowohl in ihrer verbindenden als auch trennenden Funktion thematisiert. Sie dienen gleichzeitig als Demarkationslinie wie auch als Kontaktzone. Darüber hinausgehend konnte Barth zeigen, wie der Kontakt beziehungsweise die Wechselwirkung die Grenze festigt, statt sie zu mindern, unabhängig davon, ob der Austausch konflikthafter Natur ist oder nicht. In der Einleitung, einem der meistzitierten Texte der sozialwissenschaftlichen Theorie zu kollektiver Identität, betont Barth explizit, dass die Grenzziehung viel wichtiger ist als die kulturellen Inhalte der durch die Grenze unterschiedenen ethnischen Einheiten (Barth 1969 / 1998, 12). Gemeinsamkeiten der Lebensweise der Mitglieder in Ethnien und Unterschiede zu anderen sind eher das Resultat der Grenzbildung als deren Basis. Dementsprechend bringt der Band etliche Fallanalysen, die zeigen, dass sich die Lebensweise von Gruppen, zum Beispiel benachbarten Ethnien oft divergent ändert, während die Grenzziehung zwischen ihnen vergleichsweise stabil bleibt. Dieser prozessuale Ansatz (auch formalistischer, konstruktivistischer Ansatz), der Grenzen, Situativität und Interessen betont, wurde paradigmatisch anhand tribaler Gruppen entwickelt (Berreby 2005). Er steht aber exemplarisch für Struktur und Dynamik der Formierung von überfamiliären Gruppen in jeglichen menschlichen Kollektiven (Orywal 1986 und Vermeulen /Govers 1994).

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Christoph Antweiler

Trotz der Bedeutsamkeit der Grenze können Mitglieder ihre Zugehörigkeit wechseln. Das erklärt, warum ‚interkultureller‘ Austausch gegen alle intuitiven Annahmen oft nicht zu kultureller Angleichung (Assimilation) führt, sondern zu kultureller Divergenz (Dissimilation). Die Reflexivität ethnischer Abgrenzung ist prinzipiell zu beachten: welche Vorstellungen bestehen seitens anderer Kollektive zu einer betrachteten Gruppe. Neuere Arbeiten bauen auf Barths Einsichten auf, kritisieren aber den Fokus auf Grenzerhaltung und abgegrenzte Gruppen als Grundeinheiten. Sie arbeiten heraus, dass es in Großgesellschaften ethnisierte Kategorien geben kann, ohne dass ethnische Gruppen bestehen. Demnach können Gruppen nicht als quasi-natürliche Einheiten sozialen Lebens gesehen werden, sondern müssen erklärt werden (Brubaker 2004 / 2012). Die Kriterien der Abgrenzung entstammen oft nicht den Selbstzuschreibungen, sondern kommen von außen. Fremdgruppen, Kolonialmächte oder der Nationalstaat geben Bezeichnungen und Kategorien vor. Religion, Macht und Herrschaft sowie ökonomische Faktoren und Systeme ethnischer Schichtung und Arbeitsteilung werden mehr beachtet. Im Phänomen der Ethnizität sind Exklusion und Inklusion prinzipiell verquickt. Zusammengenommen bilden sie das Strukturprinzip kollektiver Identität. Entgegen den Annahmen vieler Theorien ist Inklusion aber nicht einfach die andere Seite der Exklusion. Ethnische Gruppen entstehen nicht nur durch Ausschließung anderer Gruppen, sondern auch durch Inklusion weiterer Gruppen, in aller Regel taxonomisch tiefer stehenden beziehungsweise Subeinheiten. Die Exklusion anderer Gruppen ist also verknüpft mit der Inklusion von weiteren Gruppen, die „solidarisch einverleibt“ werden (vgl. Orywal 1986, Abb. 3). Ethnizität bedeutet also eine strukturelle Dynamik, in der prinzipiell eigene Identifikation und Zuschreibung durch andere (Askription) zusammenkommen.

Erklärungsprobleme für rein konstruktivistische Ansätze bestehen (1) in der Tatsache, dass ethnische Identität von Personen erlebt und wahrgenommen wird, als sei sie primordial und (2) in der Effektivität vonVerwandtschaftsidiomen im Nationalismus. Hierfür können menschliche Neigungen des Erlebens, die in der Humanevolution in Kleingruppen im Holozän geprägt wurden, ins Feld geführt werden (kin selection; Soziobiologie, Evolutionspsychologie). Eine weitere (3) Herausforderung für rein kostruktivistische Ansätze besteht in der universalen Verbreitung von Ethnozentrismus. Konzentrischer Dualismus – Ethnozentrische Verfremdung

Im Rahmen von Ethnizität wird die kulturelle Grenze von Akteuren als scharfe Dichotomie konzeptualisiert (‚We‘ / ‚They‘ ). Eine Verknüpfung dieser kontrastverstärkenden mit einer auf die eigene Gruppe zentrierten und wertenden Perspektive bildet den Ethnozentrismus. In diesem konzentrischen Dualismus ist eine hohe Einschätzung der eigenen Gruppe mit einer expliziten Abwertung anderer Gruppen, z. B. benachbarter Ethnien verbunden (‚Us‘ > ‚Them‘ ). Ethnozentrismus kann einfach beschrieben werden als eine „… Tendenz zur Höherschätzung des Heimatlich-Vertrauten, des Bodenständigen und Immer-so-gewesenen – verbunden mit entsprechendem Mißtrauen gegen alles Fremde, Andersartige, aus der gewohnten Ordnung Fallende“ (Bischof 1992, 40). Ethnozentrismus kann als Haltung gesehen werden, die Ethnie, der man sich zugehörig fühlt, in den Mittelpunkt, ins Zentrum der gesamten Weltsicht zu stellen und die Welt ‚durch die eigene Brille‘ zu sehen. In der Emotionalität geht Ethnozentrismus über Ethnizität hinaus. Ethnozentrismus ist ein Syndrom und besteht im Einzelnen darin,

Fremdheit, Identität und Ethnisierung

„Sie“ „Die“ „Andere“

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„unvollkommene Menschen“ „Wir“ „Menschen“, „echte Menschen“ „Zentrum der Welt“ „Zivilisation“ „Kultur“

„Rand der Welt“ „Wildheit“ „Natur“

Abb. 1: Ethnozentrismus als konzentrischer Dualismus (verändert nach Antweiler 2004, 267).

t EJF8FMUWPOEFS8BSUFEFS&JHFOHSVQQFBVT wahrzunehmen, also in einer Perspektive, einer ethnozentrischen Optik und Haltung zum Leben; t EJF8FMU  CF[JFIVOHTXFJTF .FOTDIFO  FOUsprechend zu bewerten beziehungsweise zu beurteilen, also in einer Einstellung und t .FOTDIFOFOUTQSFDIFOE[VCFIBOEFMO BMTP im Handeln (siehe Abb. 1). Welches ist die besondere Perspektive auf Eigen- und Fremdgruppe(n), die den Ethnozentrismus kennzeichnet? In der ethnozentrischen Sicht werden die eigene Person und andere Personen in Bezug zum Betrachter und dessen Gruppe gesehen und nur in dessen Kategorien bewertet. Oft besteht jenseits der Übergeneralisierung, die Vorurteile generell kennzeichnet, eine kategoriale oder kategorische, stereotype, hegemoniale oder auch defensive Einstellung gegenüber anderen. Der Eigenstereotyp ist also meist positiv und entspricht damit dem, was heute wissenschaftlich meistens unter ‚Image‘ verstanden wird. Meist wird die eigene Kultur in jeder Hinsicht für optimal und damit anderen überlegen gehal-

ten. Diese Haltung hat eine Tendenz zur Totalisierung und Verabsolutierung: das eigene Essen ist das Beste, die eigenen Leute sind die saubersten, die eigene Landschaft ist die schönste und die eigenen Frauen sind die begehrtesten (vgl. für Details Müller 1987; Antweiler 1994; 2004). Die Fremden erscheinen jedenfalls in aller Regel nicht nur irgendwie anders als die Eigengruppe, sondern als das genaue Gegenteil, quasi als Antithese. Da das Eigene positiv gesehen wird, erscheint das Fremde meist als wertende Negation des Eigenen. Eurozentrismus versus Ethnozentrismus

Ethnozentrismus wird oft vorschnell mit Eurozentrismus gleichgesetzt oder als eine Variante dessen gesehen. Häufig wird z. B. vom ‚Ethnozentrismus‘ in der westlichen Forschung gesprochen, was oben an der Ethnologie kurz illustriert wurde. Weltweit wird das heute wohl am ehesten in den meist in ihren grundsätzlichen Annahmen unhinterfragten Idealen der ‚Entwicklung‘ oder des weltweiten Austausches deutlich. Diese Gleichsetzung von Ethnozentrismus und Eurozentrismus

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vernebelt entscheidende Unterschiede. Eurozentrismus hat mit Ethnozentrismus zwar die zentrierte Wahrnehmungsperspektive und das Eigeninteresse gemein. Hinsichtlich seiner sozialen Fundierung und geistesgeschichtlichem Hintergrund ist Eurozentrismus aber etwas ganz anderes als Ethnozentrismus. Eurozentrismus ist gerade nicht Ausdruck der kulturellen Identität einer geschlossenen sozialen Gruppe, wie etwa einer Ethnie. Er ist dagegen Ausdruck eines kulturellen Einheitsbewußtseins. Dabei erscheinen die Besonderheiten der europäischen Völker aufgehoben. Im Unterschied zum Ethnozentrismus steht hinter dem Eurozentrismus gerade die Auflösung eines geschlossenen Weltbildes. Aufklärung und Entdeckungen lösten die kirchliche (christozentrische) Diabolisierung alles Fremden ab. Stattdessen wird das Fremde nostrifiziert (Stagl 1981). Das Erkenntnisinteresse an vergangenen Kulturen in der Archäologie und an fremden Kulturen ist nie unmittelbar, sondern an die eigene Gesellschaft geknüpft. Fremdes wird fast immer von sich selbst ausgehend, also von zentrischer Warte heraus gesehen. Hintergrund des Interesses am Fremden war in der Aufklärung und in der Kolonialzeit nicht mehr, wie früher, eine kategorische Ablehnung alles Fremden, sondern ein Interesse am Fremden, das in einer kritischen Sicht der Eigengesellschaft begründet lag. Der bewusste Eurozentrismus ging „... mit einer Kritik an den unbewussten eurozentrischen Vorstellungen der älteren und zeitgenössischen Reiseliteratur Hand in Hand“, so Karl-Heinz Kohl (1982, 31; vgl. Adams 1998). In der Ethnologie ist das aber eben nicht eine ethnozentrische Haltung, sondern eine reflektiert eurozentrische, damit bedacht universalistische und begrenzt kulturrelativistische Sicht. Dies mündet zugleich in das Potential und in die Problematik ethnologischer Zugänge zu Fremdheit. Das besondere ethnologische Potential liegt m. E. darin, dass Umgang mit

Fremdem und kulturelle Relativierung des Eigenen durch den erfahrungsnahen Zugang in der Feldforschung schon immer im Kern der Ethnologie liegt. Das Problem liegt letzten Endes in der widersprüchlichen Idee eines konsequenten Kulturrelativismus.

Umgang mit Fremdheit und Andersheit Ambivalenz von Fremdheit

Fremdheit ist zunächst auf der psychischen Ebene zu verorten. Fremdes ist für den einzelnen Menschen kognitiv unbekannt oder emotional unvertraut. Dies kann zu Verwirrung, Verunsicherung oder Beunruhigung führen. Als Unvertrautes kann Fremdes auch Ängste erzeugen. Andererseits kann das Unbekannte im Fremden auch faszinieren. Das Exotische lässt überaschende Einsichten oder neue Erlebnisse erwarten. Das zeigt sich sowohl in der Attraktion notorischer Weise ‚ganz anderer‘ Kulturen im Ethnotourismus wie bei der Faszination vor dem ägyptischen Sarkophag im Britischen Museum. Das Fremde legt gedankliche Wertung und eine emotionale Reaktion nahe. Das Fremde lässt keinen kalt. Dennoch ist davor zu warnen, Fremdheit zu ontologisieren. Fremdheit hat ohnehin eine verdächtige Konjunktur im deutschen Forschungsbetrieb. Der Extremfall ist Alois Wierlacher, der Begründer der deutschen interkulturellen Germanistik. Er schreibt Hunderte von Seiten über Fremdes als „Kulturthema“. Das Fremde bleibt aber merkwürdig unbestimmt und so bleibt nichts mehr unfremd (Busch 2013, 9–10). Fremdheit ist etwas Relationales. Ich kann nicht nur archaische Zivilisationen oder heutige Kulturen anderer Weltgegenden fremd finden, sondern schon die eigenen Landsleute. Das macht die Unterscheidung zwischen interkultureller und intra-kultureller Fremdheit schwierig. Fremdheit oder Befremdung kann

Fremdheit, Identität und Ethnisierung

es selbst zwischen einander vertrauten Personen geben, zum Beispiel zwischen Geschwistern. Ja, ich kann mir selbst fremd werden beziehungsweise das Individuum bleibt sich selbst prinzipiell immer fremd (Kristeva 1990). Die inhärente Relationalität des Fremden macht das vermeintlich so eindeutig Fremde ambivalent und diese Ambivalenz kann selbst als bedrohlich empfunden werden. Die Ambivalenz bei der Wertung des Fremden zeigt sich in der populären Kultur. Ein Großteil des Konsums in modernen Gesellschaften ist ein Konsum von kultureller Differenz: Fremdheit, Exotik und Nostalgie. Dabei soll die Ethnologie das räumlich Entfernte und kulturell ‚Natürliche‘ liefern, während die Archäologie für das zeitlich ‚Tiefe‘ und ‚Versunkene‘ steht. Da räumlich entfernte Kulturen als zeitlich frühere wahrgenommen werden, trifft sich die Faszination für Archäologie und Ethnologie im Streben (longing for) nach dem Nostalgischen. Das Nostalgische ist zum Mainstream der Massenkultur geworden. Die popularisierende Nutzung unserer Fächer in den deutschsprachigen Massenmedien wird im Falle der Archäologie deutlich von Wissenschaftlern beeinflusst (für Beispiele siehe Holtorf 2007, 29–50; Kircher 2012, 87–110), während die Popularisierung in der Ethnologe (außer durch ethnologische Museen) durch andere Akteure erfolgt (zur Übersicht Antweiler 2005). Die verschiedenen Bewertungen im öffentlichen Umgang mit Fremdem machen die Ambivalenz deutlich. Heutige fremde Kulturen oder ausgestorbene Kulturen werden zum einen idealisiert, romantisiert oder anders verklärt (Primitivismus, Exotismus; vgl. Beitrag Herbert Uerlings in diesem Band). Andererseits wurden und werden andere Kulturen abgewertet (‚Primitive‘, klassischer Evolutionismus). Dem ‚Guten Wilden‘ steht der ‚Böse Wilde‘, der rohe und unfertige ‚Primitive‘ gegenüber. In beiden Varianten erscheint das Andere oft nicht nur als irgendwie anders,

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sondern als das diametrale Gegenteil. In der überkomplexen und übersichtlichen Risikogesellschaft der späten Moderne besteht ein Verlangen nach dem Gegenteil, den ‚echten archaischen Kulturen‘ und den vermeintlich einfachen ‚Naturvölkern‘. Oft zeigt sich eine enge Verquickung von beiden Wertungen. Beides, die dichotomisierende Perspektive als auch die Verquickung von positiver und negativer Haltung finden wir im Orientalismus (siehe auch Beitrag Constance von Rüden in diesem Band). Das zeigt sich besonders daran, dass der Orientalismus – wie auch seine Kritik! – gleichzeitig Okzidentalismen beinhaltet. Im Folgenden soll es um das Fremde als Phänomen zwischen Gruppen gehen, wobei aber nicht zu vergessen ist, dass Kulturen sich nicht ‚begegnen‘ oder ‚im Dialog‘ stehen können, sondern nur einzelne ihrer Vertreter: „Kulturen sprechen nicht“ (Radtke 2012). Insbesondere ist die Frage, welche Bedeutung fremde Kollektive für die Bildung und Stabilität von Kollektiven haben. Der Bereich der Fremdheit ist für viele Kollektive zunächst der Bereich der ‚Natur‘. Es ist der Bereich des nicht Zivilisierten, ein Gebiet, das oft schon im Wald um eine Siedlung beginnt. Kollektive können unterschiedlich mit der Fremdheit anderer Kollektive umgehen. Fremde Kollektive können zunächst bekämpft oder gemieden werden. Deren Andersartigkeit kann auch respektiert oder toleriert werden, etwa durch räumliche Trennung. Sie kann ferner geleugnet werden beziehungsweise die fremde Kultur kann der eigenen anverwandelt werden. Dies kann das Bild betreffen, das man sich von anderen macht oder auch deren konkrete Angleichung bedeuten (Assimilation). In modernen und komplexen Gesellschaften, in denen schon seit langem viele Menschen leben, wird der Fremde oft zum Sozialtyp. Er ist der Randseiter (marginal man), Gastarbeiter (sojourner), Händler oder Weltbürger (cosmopolitan) (Merz-Benz / Wagner 2002, 36; vgl. Geenen 2002; Reuter 2002).

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Die zentrale Frage im Umgang zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen, also interkulturellem Umgang, kann salopp so formuliert werden1: Was an der Kultur ist schuld, dass der Umgang mit fremder Kultur zu einem besonderen wird? Was macht also interkulturellen Umgang besonders, etwa gegenüber dem Umgang zwischen (sich ja auch oft fremden) Personen in einer Kultur, also interpersonalem beziehungsweise intersubjektivem Umgang? Umgangsweisen mit anderer Kultur – eine Typologie

Das Besondere am interkulturellen Umgang liegt zunächst darin, dass interkultureller Umgang etwas viel Umfassenderes ist als interpersoneller Umgang. Das ist entscheidend, um z. B. Ethnozentrismen im Umgang nicht einfach mit (inter-) individuellen Vorurteilen gleichzusetzen. Die weiteren Besonderheiten lassen sich aus dem bisher Ausgeführten ableiten: es sind der systemische Charakter von Kultur und ihre Orientierungsfunktion, ihre Gruppen-Orientierung im Rahmen des historischen Verhältnisses mit anderen Gruppen und die jeweils kulturspezifische Sozialisation (Enkulturation), die den Umgang prägen und ihn oft ethnozentrisch strukturieren. Für die Betrachtung interkulturellen Umganges sind einige analytische Unterscheidungen nützlich, die ich im Folgenden erläutere (für Details Antweiler 1994): t ESFJWFSTDIJFEFOF(FHFOTUÊOEF BVGEJFTJDI Weltbilder beziehen, t [XFJ 4JDIUXFJTFO EFT *OUFSHSVQQFOWFSIÊMUnisses, t ESFJ1FSTQFLUJWFOBVGGSFNEF.FOTDIFOVOE

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P.Tschohl, Interkultureller Umgang. Universität zu Köln, Institut für Völkerkunde; Sommersemester 1984, Seminarmitschriften Ch. Antweiler.

t ESFJ#F[JFIVOHTGPSNFO[XJTDIFO(SVQQFO Mit Hilfe dieser analytischen Hilfsmittel, von denen sich die ersten drei eher auf die psychische Dimension und die vierte auf die politökonomische Lage beziehen, kann man fragen, welche dieser Sichtweisen, Sichtrichtungen und Beziehungen für welche gesellschaftlichen Ziele nützlich sind: Damit können auch kritische Fragen hinsichtlich möglicher Instrumentalisierung präziser angegangen werden. Bezüglich der Referenten von Weltbildern, die interkulturellen Umgang bestimmen, kann man unterscheiden in Vorstellungsbilder, die zumeist stereotyp sind: - das Bild von der eigenen Gruppe (Eigenbild, Eigenstereotyp, Autostereotyp), - die Vorstellungen von der anderen Gruppe (Fremdbild, Fremdstereotyp, Heterostereotyp) und - das Bild der Beziehung zwischen beiden Gruppen (Eigen-, Fremd-, Beziehungsbild, Interaktionsstereotyp). Wir wissen aus der oben skizzierten Ethnizitätsforschung, dass es meist ausgeprägte Bilder zu allen drei Bereichen gibt, weil sie sich in enger Verquickung miteinander bilden. Hinsichtlich der Sicht der Intergruppenrelation, also der Einschätzung, die zwei Gruppen über ihr Verhältnis haben, gibt es zwei Grundmodelle (Tschohl 1984): t FJO'SFNEIFJUTNPEFMM EBTTBHUvEJFBOEFSF Gruppe ist uns fremd / unähnlich / unvertraut“, und t FJO (MFJDIIFJUTNPEFMM  EBT BOOJNNU vEJF anderen sind uns gleich / ähnlich / vertraut.“ Nach den Befunden der Ethnizitätsforschung ist zu vermuten, dass das Fremdheits-Modell das bei weitem verbreitetere ist. Die Sicht der Fremdheit versus Ähnlichkeit anderer Gruppen hängt zusammen mit Erfahrungen, aber

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auch mit Annahmen, die das Individuum über seine Gruppengenossen macht und die systematisch verzerrt sein können. Irrtümliche Annahmen über Ideen, Gefühle und Handlungen von Angehörigen der eigenen Gruppe wurden von Floyd Allport 1924 als „pluralistische Ignoranz“ bezeichnet. Ein für interethnische Beziehungen sehr relevanter Ausdruck solcher Ignoranz der eigenen Gruppe ist, dass Individuen oft denken, ihr eigenes Verhalten anderen gegenüber würde von ihren Gruppengenossen kontrolliert (censorious peers). Also sind sie vorsichtig: der einzelne fürchtet breite Ablehnung seiner Gruppenmitglieder, wenn er mit Fremden interagiert, obwohl dies tatsächlich nur wenige ablehnen würden. Erklären lässt sich solche pluralistische Ignoranz durch eine Annäherung in den tatsächlichen Intergruppenbeziehungen, die von den Beteiligten selbst „konservativ unterschätzt“ wird (Banton / Mansor 1992, 610–612 am Beispiel von Chinesen in Malaysia). Dies verweist auf den Zusammenhang der dualistischen Wir- versus Sie-Sichtweise mit der von der Eigengruppe ausgehenden Perspektive. Diese Perspektive ist aber nicht die einzig mögliche. In Bezug auf die Perspektive auf andere Menschengruppen können folgende drei Sichtweisen der Akteure beziehungsweise Gruppen unterschieden werden: - Die eigene Wir-Gruppe kann die Fremdgruppe aus ihrer eigenen Perspektive sehen. Das ist die klassische ethnozentrische Sicht, die oben im Detail beschrieben wurde. - Die Wir-Gruppe könnte die andere Gruppe aber auch nach deren eigenem Modell sehen. Das ist eine xeno- beziehungsweise heterozentrische Perspektive und könnte als ‚direkter ethnologischer Ansatz‘ bezeichnet werden. Dies entspricht am ehesten den ethnologischen Bemühungen, die Eigenbeziehungsweise Innensicht (emic view) darzustellen. Ich setze hier die Bezeichnung „ethnologisch“ (und entsprechend „anthro-

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pologisch“) bei der folgenden Perspektive in Anführungszeichen, um sie von explizit wissenschaftlichen ethnologischen Ansätzen zu unterscheiden. - Die Wir-Gruppe kann aber auch eine distanzierte Haltung zugrunde legen, indem sie die andere Gruppe in ihrer Beziehung zur eigenen Gruppe, also das Inter, sieht. Dies kann man als „indirekten ethnologischen“ beziehungsweise „anthropologischen Ansatz“ bezeichnen (Tschohl 1984). Hier wissen wir aus der Ethnozentrismusforschung, dass die erste Perspektive die universal dominante ist. Ethnologen konnten aber auch in Einzelfällen dokumentieren, dass nicht nur individuell je nach Partner unterschiedliche Aspekte der Ethnizität situativ aktualisiert werden, sondern dass es auch in einer Gruppe unterschiedlichste Umgangsregeln mit verschiedenen Fremdgruppen gibt, darunter eben auch stark ausgeprägte Gastfreundlichkeit. Praktisch und politisch relevant werden die drei Perspektiven (die ethnozentrische, die xenozentrische und die „anthropologische“) dadurch, dass sie sich für verschiedene Ziele von Gruppen unterschiedlich gut eignen. Die ethnozentrische Perspektive ist sicherlich zur Durchsetzung der Interessen der Eigengruppe von Nutzen. Die Sicht der Fremdgruppe nach deren Selbst-Modell eignet sich dagegen gut, wenn sich die Eigengruppe selbst ändern will, eine zumindest denkbare Möglichkeit. Die „anthropologische“ Perspektive schließlich eignet sich, wenn beide Gruppen eine Gemeinsamkeit, etwa in ihren Interessen, haben. Ich gebe ein konkretes Beispiel für die strategische Bedeutung von eigenen Sichtweisen in Zusammenhang mit Zuschreibungen an andere beim interethnischen Umgang. Ansprüche der eigenen Gruppe werden bei Interessenkonflikten zwischen Ethnien oft als ‚strukturell notwendig‘ apostrophiert, etwa mit einer Notlage begründet. Ansprüche der

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Konkurrenten dagegen werden gerne auf deren besondere Motive oder deren ‚Charakter‘ zurückgeführt und können damit leicht abgetan werden. Die zentrale Frage ist nun, unter welchen strukturellen Rahmenbedingungen sich interkultureller Umgang abspielt. Entscheidend ist der Rahmen von Dominanz und Unterordnung, der die Situation der beteiligten Gruppen strukturell bestimmt und damit die Umgangssituation insgesamt formt. Salopp gesagt: Wer hat das ‚Heimrecht‘ und wer ist nur geduldeter Gast? Innerhalb von Intergruppenbeziehungen könnte man mit Erika Dettmer (1989, 73; 345–348; in Erweiterung von Bateson 1985) folgende Beziehungsmuster unterscheiden: - In einer komplementären Beziehung zwischen zwei Gruppen A und B ergänzen sich beide auf einer höheren Einheit. Auf dieser Ebene gibt es unter Umständen Respekt und Zusammenarbeit untereinander. Ein ethnologisches Beispiel sind Segmente in segmentären Gesellschaften beziehungsweise die Redeweise: „Ich gegen meinen Bruder, ich mit meinem Bruder gegen die restliche Familie, unsere Familie gegen andere Familien.“ - In der gegensätzlichen (antagonistischen) Beziehung zwischen A und B sind die Interessen fundamental und unabänderlich verschieden, wie z. B. in der kolonialen Situation zwischen Kolonisierten und der Kolonialmacht (idealtypisch). Antagonistische Konstellationen bergen die Gefahr immer größerer Konfrontation (komplementäre Schismogenese vorgedacht: Bateson 1985, 105–106). - In der symmetrischen Beziehung von A und B schließlich besteht kein Dominanzverhältnis zwischen den Gruppen, sie haben dieselben Wünsche, nur in verschiedener Ausrichtung.

Die jeweilige Beziehungs- und Machtverhältnisse zwischen subnationalen Gruppen, Mehrheiten und Minderheiten müssen in der Erforschung interkultureller Kommunikation viel mehr berücksichtigt werden, als das bislang der Fall ist. Auch die Beziehungen verschiedener Minoritäten zueinander können eine erhebliche Rolle spielen. Die spezifische Globalität kollektiver Identität besteht heute (1) darin, dass Subjektivität zunehmend über abgrenzende Identität erlebt und behauptet wird (Meyer / Geschiere 1999; Taylor 1977 / 1996); (2) darin, dass das Berufen auf kollektive Identität als effektives Mittel im Kampf um Anerkennung und Ressourcen eingesetzt wird und (3), dass gerade der ethnisierende Begriff der kollektiven Identität in postkolonialen Kontexten vereinnahmt wird, vor allem seitens ethnonationalistischer Staaten und Bewegungen sowie durch indigene Bevölkerungsminderheiten.

Fremde, Kultur und Öffentlichkeit Kulturen haben keine scharfen Grenzen und sie sind füreinander nicht so fremd, dass sie inkompatibel wären. Als Systeme sind sie aber analytisch abgrenzbar und sie schaffen selbst aktiv Grenzen zum jeweils Fremden beziehungsweise Anderen. Ich plädiere damit für ein explizit nichtextremes Verständnis von Kultur und Fremdheit. Dies ist auch wichtig für eine verantwortliche Haltung von uns als Archäologen und Ethnologen in der Öffentlichkeit. Die Massenmedien brauchen markige Wörter und scharfe Bilder. Der zunehmend profilorientierte Wissenschaftsmarkt honoriert überpointierte Thesen und markante Begriffe. Das zeigt sich besonders in der Verwendung der Kultur im Singular und Plural. Das in den Massenmedien gängige AlltagsKonzept von Kulturen ist mehrfach totalisierend. Erstens wird alles zu Kultur und zweitens wird Kultur auf das Trennende reduziert. Dieses

Fremdheit, Identität und Ethnisierung

verbreitete Kulturverständnis erliegt nicht nur einer umfassenden Kulturalisierung (Beispiele in Breidenbach / Nyíri 2009, 84–121), sondern auch einer Obsession mit der Alterität (van der Walt 2006). Im den Feldern der Politik und interkulturellen Austauschs ist dieses Verständnis oft zusätzlich verknüpft mit dem Bild von Kulturen quasi als Personen, so als könne es einen ‚Dialog‘ zwischen Kulturen geben (vgl. Radtkes Kritik 2012, 26–80). Dieser Kulturbegriff, ergänzt um eine Reduktion auf Nationalkulturen, dominiert leider auch die Forschung zu interkultureller Kommunikation (zur Kritik Busch 2013, 15–41; 271–300). Seit der Postmoderne ist dagegen besonders in den Kulturwissenschaften ein fluides Kulturkonzept gängig. Dieses Kulturverständnis spricht zwar noch von Kulturen im Plural, besagt aber, Kulturen seien prinzipiell unbegrenzt. Sie glichen Flüssen oder offenen Landschaften. Leider ist es aber in die andere extreme Richtung überzogen (zur Kritik z. B. Sidky 2003; Aleksandrowicz 2011, insbes. 144– 161). Wenn etwa Byung-Chul Han schreibt: „Nicht Grenzen, sondern Links und Vernetzungen organisieren den Hyperraum der Kultur“ (Han 2005, 16), schüttet er das Kind mit dem Badewasser aus. Übersehen wird dabei: Kulturen als Systeme haben durchaus Grenzen und vor allem machen Kollektive Grenzen. Mit dem Sozialkonstruktivismus kommt eine starke epistemische Relativierung hinzu und damit eine weitgehende Abkehr vom wissenschaftlichen Ziel der Generalisierung (zur Kritik Boghossian 2006 / 2013). Damit ist das kulturwissenschaftliche Kulturverständnis anders als das Populärverständnis zwar nicht essentialisierend, aber ähnlich totalisierend: Kultur wird als Allzweckwaffe eingesetzt. Eine moderate Perspektive auf Kulturen sieht – gegen das populäre wie das kulturwissenschaftlich derzeit gängige Verständnis – zwar grenzüberschreitende Verbindungen und kulturelle Transfers. Sie ignoriert dabei aber weder kulturelle Grenzen noch blei-

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bende Fremdheit, noch blendet sie nichttriviale Gemeinsamkeiten zwischen Kulturen aus (Antweiler 2012; Welsch 2012).

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Kulturtechniken: ethnographisch fremd und anthropologisch fremd. Eine Kritik an ökologisch-phänomenologischen und kognitiv-modularisierenden Ansätzen Einleitung: Was ist dem Ethnologen fremd? Ethnologen sind Spezialisten für Fremdheit und oft stellen Definitionen des Faches die Erforschung des „kulturell Fremden“ in den Mittelpunkt. Allerdings sind es bei näherer Betrachtung zwei sehr unterschiedliche Aspekte von Fremdheit, die hier eine Rolle spielen und die ich in diesem Beitrag entsprechend unterscheiden möchte. Der Einfachheit halber können wir von Fremdheit im ethnographischen Sinne und Fremdheit im anthropologischen Sinne sprechen. Beides sind genuine Arbeits- und Wissensbereiche der Ethnologie, allerdings mit unterschiedlichen Fragen und Methoden. Ich will die beiden Formen von Fremdheit anhand eines Feldes untersuchen, das auch für Archäologen von Interesse ist und anschlussfähig an Debatten innerhalb der Archäologie: Bei dem Beispiel handelt es sich um Kulturtechniken aus dem Bereich der Jäger-Sammler-Studien, Kulturtechniken wie das Knacken von Nüssen und das Herstellen von Pfeil und Bogen, die relativ nahe am Gegenstandsbereich der Ur- und Frühgeschichte sind. Die dahinterliegende Frage ist jedoch ein allge-

mein-kulturwissenschaftliches Problem, das sich nicht nur mit Blick auf Jäger-SammlerGesellschaften stellt. Lassen Sie mich jedoch zunächst die Unterscheidung zwischen ethnographischer Fremdheit und anthropologischer Fremdheit verdeutlichen und zwar im Rückgriff auf Populärmedien, genauer gesagt auf Daktari, eine amerikanische Fernsehserie über Afrika aus dem letzten Jahrhundert. Die Überzeichnung durch Hollywood hat zum einen den Vorteil, dass hier Tendenzen sinnfällig auf die Spitze getrieben werden, die ansonsten eher diffus ihren Einfluss auf unsere Vorstellung vom ‚kulturell Fremden‘ geltend machen. Es bewahrt mich zudem davor, hier einzelne Fachvertreter als Zielscheibe zu nehmen, denen ich durch eine verkürzte Darstellung vielleicht Unrecht tue. Und schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass Perspektiven auf die Anderen / das Andere nicht erst mit dem Eintritt in die Universität geprägt werden, sondern schon viel früher. In der mir vorangehenden Generation wird in diesem Zusammenhang oft auf die (in Deutschland) weit verbreitete Lektüre von Karl May verwiesen. Für die heranwachsende Generation von Studierenden können es Musikvideos

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und andere Internet-basierte Medien sein. Für viele Vertreter meiner Generation war das Fernsehen prägend, damals noch recht übersichtlich mit wenigen Serien, die aber daher im Einzelnen vielleicht viel wirkmächtiger waren als das breiter aufgefächerte Fernsehen heute. In meinem Beispiel Daktari geht es um eine Serie über ein (fiktives) Tierkrankenhaus in Ostafrika, in mehreren Spielfilmen präsentiert und im deutschen Fernsehen der 60er und 70er Jahre regelmäßig zur ‚prime time‘ am Samstagabend zu sehen. Heute sind Ausschnitte und ganze Filme aus dieser Serie leicht über das Internet zu finden. Ein kurzer Abriss einer typischen Daktari-Episode muss hier genügen: Am Beginn des Films Clarence, der schielende Löwe (original Clarence, the Cross-Eyed Lion von 1965) wird ein afrikanisches Gehöft gezeigt, auf das ein Jeep zufährt. Im Jeep sitzen afrikanische ‚Ranger‘, die von den Bewohnern aufgeregt über die Anwesenheit eines Löwen informiert werden, der durch das Gehöft streift, die Tiere und Menschen aufscheucht, aber offensichtlich ohne jemanden zu töten. Einer der Ranger greift zum Funkgerät, um die ‚Zentrale‘ zu rufen, bekommt aber keine Verbindung und greift dann kurz entschlossen zur Trommel, um die Nachricht über den Löwen weiterzugeben. Dann ein Szenenwechsel, während die Trommeln im Hintergrund weiter zu hören sind: Die Tierklinik. Der weiße ‚Arzt‘ Dr. Tracy behandelt ein Tier und wird von seiner jungen Tochter sowie von seinem schwarzen Assistenten auf den Vorfall angesprochen. Er ist offensichtlich skeptisch, aber seine Tochter beharrt darauf, dass „die Trommeln nicht lügen“ und man beschließt der Sache durch eigene Anschauung auf den Grund zu gehen. Die klischeehafte Darstellung ist offensichtlich: Hauptheld und Hauptidentifikationsperson ist der „white male“, Mediziner, der Inbegriff westlicher Rationalität und westlicher Entwicklungsanstrengungen. Er ist umgeben

von weiteren klischeehaften Figuren: dem einheimischen, schwarzen Assistent als Personifizierung der neuen aufstrebenden Elite in den afrikanischen Ländern, einem uniformierten alten Haudegen (als Chief Ranger) als Sinnbild für koloniale oder staatliche Ordnung und notwendige militärische Intervention sowie der jungen, leicht naiv-emotionalen, auf Verständnis der Afrikaner ausgerichteten Tochter, einer Art wie es aus heutiger Sicht scheint left-wing liberal der 60er Jahre, allerdings eher im harmlosen Protest verhaftet. Daneben sehen wir eine romantisierende Vorstellung von Natur als etwas zu Domestizierendes, das aber zugleich auch der Hilfe der Menschen bedarf und, als Teil dieses Hintergrundes, die namenlosen Afrikaner, die die Gehöfte und die Landschaft bewohnen. Das kulturell (ethnographisch) Fremde tritt uns in diesem Ausschnitt in der Form der Trommel als Kommunikationsmittel entgegen beziehungsweise dem Trommeln der Afrikaner als einer alltäglichen Kulturtechnik. Auch zwei prototypische Haltungen zu dieser Kulturtechnik bekommen wir präsentiert. Da ist einmal der Unglaube von Dr.Tracy, der – ganz Positivist – weder der Übertragung durch Trommeln noch der Geschichte vom harmlosen Löwen recht glauben will, sondern stattdessen auf die eigene Anschauung beharrt. Demgegenüber steht die relativistische Haltung seiner Tochter, die implizit davon zeugt, dass es offensichtlich unterschiedliche Kommunikationsformen gibt, die ihrer jeweiligen kulturellen Umgebung angepasst sind. Das Funkgerät funktioniert in Afrika nicht, aber die Trommeln tun es. Das Trommeln ist nicht nur gleichberechtigt, sondern wird in diesem Fall sogar exotisierend als der westlichen Technologie überlegen dargestellt. Noch wichtiger allerdings, und darauf werde ich im Detail eingehen, ist, dass der Gebrauch der Trommel und der Gebrauch des Funkgeräts, das Trommeln und das Funken, als direkte und vergleichbare technologische Entsprechungen gegeneinander gesetzt

Kulturtechniken: ethnographisch fremd und anthropologisch fremd

werden.1 In diesem Kontext von Fremdheit ist es die Aufgabe des Ethnographen, zu erklären, wie die unterschiedlichen Nutzungen und Wertschätzungen von Trommeln zu verstehen sind und ineinander übersetzt werden können. Ganz woanders ist die anthropologische Fremdheit zu suchen. Sie lässt sich zum einen in der Reaktion des Rangers konstatieren, der auf den Löwen mit dem seltsamen Verhalten stößt und es zudem mit einem Funkgerät zu tun hat, das keine Verbindung bekommt. Hier zeigt sich eine ‚Entfremdung‘ des Menschen, die nicht – wie Marx dachte – das Kennzeichen einer vorübergehenden geschichtlichen Krise ist, sondern quasi chronisch. Der Mensch lebt in einer Welt, die anders als die Umwelt der Tiere, ihn fortwährend überfordert. Er ist nie bruchlos eingebettet, weder in die natürliche Umwelt noch in die von ihm geschaffene kulturelle Welt, da er im Abstand zu dieser Welt steht, sich über das Verhalten von Löwen Gedanken machen muss (und kann) sowie damit rechnen muss (und kann), dass die geschaffenen und eingesetzten Kulturwerkzeuge und Kulturtechniken wie das Funken (oder Trommeln) nicht ausreichen oder sogar komplett versagen. Er ist nicht im fortwährenden flow seines Verhaltens aufgehoben. Vielmehr kann er die Welt, in der er lebt, zwar versuchen sich vertraut zu machen, aber sie bleibt bis zu einer gewissen Grenze immer fremd. Während die ethnographische Fremdheit zwischen Dr. Tracy auf der einen Seite und den Trommlern (aktiv trommelnd sowie passiv hörend) auf der anderen Seite besteht, liegt die anthropologische Fremdheit zwischen – einerseits – den Menschen (hier prominent personifiziert durch den Ranger)

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Ähnliche Gleichsetzungen finden sich auch heute, siehe de Bruijn / Nyamnjoh / Brinkman (2009), die von Mobiltelefonen als den „new talking drums“ sprechen, allerdings ohne diesen Vergleich analytisch oder empirisch aufzuarbeiten.

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und – andererseits – einer Welt, mit der sich der Mensch auseinandersetzen muss, die nicht optimal für ihn eingerichtet ist, sondern die ihn immer wieder neu herausfordert und ihm fremd bleibt. Ein zweiter Aspekt der anthropologischen Fremdheit findet sich nicht nur in der Situation des Rangers, sondern in gleichem Maße auch in der Situation von Tracy, seiner Tochter und seines Assistenten, die aus der Entfernung Stellung beziehen müssen zu ambivalenten Vorgängen (die Vorgänge mit Bezug auf das Verhalten des Löwen und mit Bezug auf die Verlässlichkeit der Trommel-Botschaft). Die Fremdheit erstreckt sich letztlich auch auf uns als Betrachter des Films, die wir uns in (dramaturgisch zugespitzter) Unsicherheit über diese Situation befinden, die von der gewohnten Ordnung der Dinge abweicht. Während die Hühner und Ziegen eine eindeutige Handlungsanweisung aus der Situation ziehen, nämlich die Flucht vor dem Löwen, so verliert sich diese Eindeutigkeit für uns Menschen. Eine typische Reaktion auf diesen Nervenkitzel ist es, auf diese Situation mit Lachen zu reagieren, sie – wie von den Machern des Films beabsichtigt – komisch zu finden, ein Punkt, den Helmuth Plessner in seiner philosophischen Anthropologie theoretisch aufgearbeitet hat und auf den ich später zurückkommen werde. Die Welt ist anthropologisch fremd, weil die Einbettung des menschlichen Verhaltens brüchig ist und weil der Mensch herausgefordert ist, über diesen Bruch mit der Welt zu reflektieren. Die Überbrückung dieser anthropologischen Fremdheit ist entsprechend nicht ein Problem zwischen Afrika und ‚dem Westen‘, sondern zwischen der Welt und den Menschen, die in ihr leben. Wie diese Aufgabe sich im Einzelnen darstellt, will ich mit einem vergleichenden Blick auf verschiedene Kulturtechniken erläutern. Ich beginne mit dem bereits angesprochenen Trommeln, nach gängiger Auffassung eine typische Kulturtechnik. Wie erwähnt

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unterscheiden sich die Haltungen der Filmcharaktere, und es wäre nicht schwierig für die Haltung von Dr. Tracy und seiner Tochter entsprechende Tendenzen in der weiteren Öffentlichkeit und in der Wissenschaft zu finden. In Dr. Tracy können wir den unilineardenkenden Evolutionisten erkennen: Nach dessen Ansicht gibt es einfache Grundformen der Kommunikation wie das Trommeln, die mit zunehmender Komplexität anderen Formen gewichen sind, zum Beispiel dem Funkgerät und letztlich der wissenschaftlichen Methode empirischer Datenerhebung angelsächsischer Prägung, die da lautet: Nichts glauben, für dass es keine eigenen Sinnesdaten gibt, d. h. was man nicht selber gehört oder gesehen hat. Seine Tochter personifiziert den Relativismus, der anerkennt, dass wir es hier mit einfachen Technologien zu tun haben, aber dass die Komplexität der afrikanischen Kulturtechniken offensichtlich in einem anderen Bereich liegt, in einer mythischen, nicht leicht zugänglichen Kultur, aber mit gleichem Wert ausgestattet (Kulturrelativismus) oder sogar mit einem höherem Wert (Primitivismus), denn „die Trommeln lügen nie“. Das erinnert an frühe ethnologische Bemerkungen etwa über Australische Aborigines und andere Jäger und Sammler: Ihre Technologie mag einfach sein, aber dafür sind Religion und das Verwandtschaftssystem komplex und zwar in einem Maße, dass sie für Außenstehende kaum verständlich sind. Obwohl gegensätzlich in der Wertschätzung und Einordnung, so sind sich die beiden entgegengesetzten Positionen doch in einer grundsätzlichen Hinsicht einig: Trommeln und Funkgerät sind parallelisierbar. Ohne zu zögern und ohne weiteres greift der Ranger nach der Trommel als das Funkgerät nicht funktioniert. Es scheint sich um austauschbare Technologien zu handeln. Aber wie angemessen ist die Parallelisierung von Funkgerät und Trommel? Die zugrundeliegende Gleichsetzung behauptet, dass wir es hier nicht nur mit unter-

schiedlichen Kulturtechniken, sondern mit zwei alternativen Technologien zu tun haben. Das System der Technologie, so wie es die Europäer vom Funkverkehr her kennen, bildet eine kulturvergleichende Kategorie, unter die sowohl das Walkie-Talkie als auch die Trommeln als alternative aber parallele Problemlösungsmittel und Werkzeuge des Menschen passen. Ethnologen haben hier Zweifel angemeldet, und ich beziehe mich hier insbesondere auf die Arbeiten von Tim Ingold (2000; 2011). Ingolds Darstellung des modernen westlichen Verständnis’ von Technik als Technologie (im Gegensatz zur antiken Vorstellung) hebt die Idee der Austauschbarkeit und der Transferierbarkeit über einzelne Situationen und Menschen hinweg hervor (Ingold 2000, 296). Technologie wird als extern zu sozialen Beziehungen gesehen, als eine Relation zwischen Dingen, von jedem Ingenieur erlernbar, vermittelbar, einsetzbar und in alle Kontexte übertragbar. In der Charakterisierung Ingolds ist Technologie „an objective system of relations among things, that is wholly exterior to the social domain of relations among persons“ (2000, 313; Hervorhebung im Original). Dieses Abgetrenntsein vom spezifischen sozialen und situativen Kontext ist nicht einfach eine unbeabsichtigte Nebenwirkung, sondern genau das macht – aus der Sicht des Ingenieurs – die Technologie ja so wertvoll: In der Technologie werden Techniken so heruntergebrochen in einzelne, standardisierte Abläufe, dass sie leichter und von quasi jedem ausführbar werden. Wir müssen nicht wissen, wie ein Funkgerät im Innern funktioniert, um es erfolgreich nutzen zu können. Wir brauchen so gut wie nichts über Strom, Schaltkreise, Radiowellen usw. wissen, sondern das nötige Wissen ist im Funkgerät so destilliert, dass jeder, der einen Knopf drücken kann, davon Nutzen hat. Die industrielle Fließbandarbeit als gigantische Technologiemaschine ist das prototypische Sinnbild für Technologie in diesem Sinne. In

Kulturtechniken: ethnographisch fremd und anthropologisch fremd

dieser Hinsicht ist Technologie allerdings das genaue Gegenteil von Kulturtechniken wie dem Trommeln, denn diese Kulturtechniken sind gebunden an die gelernten und geübten Fertigkeiten dessen, der die Techniken zur Ausführung bringt. Wenn Trommeln als eine Form von Musik betrachtet wird, ist das vermutlich unumstritten. Das Musikinstrument an sich, auch zusammen mit Noten oder Material zum Erlernen des Musizierens ist keine transferierbare Technologie, da die Fertigkeit des Spielers, mühevoll und zeitraubend über einen langen Zeitraum des Übens erarbeitet, hinzukommen muss. „Musik deuten heißt Musik machen. Ihr Sinngehalt läßt sich von ihrer Realisierung nicht trennen“ schreibt Plessner (1967 / 2003, 471) und greift damit Adornos Unterscheidung auf, nach der Interpretieren einer Sprache Verstehen ist, Musik Interpretieren aber Musik machen bedeutet (Plessner 1967 / 2003, 464). Kulturtechniken zeichnen sich, nach Ingold (2000, 292), dadurch aus, dass sie ein „embodied skill“ sind, eine verleiblichte Fertigkeit, die entsprechend der Ausbildung und der Übung des einzelnen Spielers sehr unterschiedlich sein kann. Trommeln, so mag man einwenden, sind ein Grenzfall, weil sie eben nicht nur Kommunikationsmittel (talking drums) sind, sondern auch Musikinstrumente. Um diesen möglichen Einwand, die Musik (oder Kunst generell) sei ein kreativer Sonderfall, entgegenzutreten, will ich dieses Argument daher an einer einfacheren Kulturtechnik verdeutlichen, nämlich dem Nüsseknacken.

Die alltägliche Kunst des Nussknackens Im Laufe meiner Feldforschung mit KhoisanSprechern im südlichen Afrika habe ich lange Zeit an einem Ort verbracht, der „Mangetti“ heißt, benannt nach einem Baum, der dort in einem großen Wald wächst, und dessen

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Frucht, die Mangetti-Nüsse, von der ansässi| Akhoe Hai // om als gen Bevölkerung der = Grundnahrungsmittel gesammelt und verzehrt werden. Die Mangetti-Nuss hat eine gewisse Berühmtheit in der Ethnologie und Archäologie erreicht, da R. Lee (1979) in ihr die Antwort auf die Frage sah, warum es auch heute noch Jäger und Sammler gibt, die zudem keinen Sinn darin sehen, sich zu Ackerbauern zu entwickeln: „Warum sollten wir pflanzen, wo es doch so viele Mongongo auf der Welt gibt?“ ist ein Ausspruch, den Lee zum Motto2 seiner Ethnographie gewählt hat (Lee 1979, v; siehe auch Widlok 1999, 74). Die Mangetti-Nuss ist reichhaltig an Inhaltsstoffen und während die äußere weiche Schicht saisonal ist, das weiche äußere Fruchtfleisch schmeckt wie eine wilde Variante von Honigbrot, sind die harten Kerne, die einer Haselnuss ähneln, das ganze Jahr über verfügbar und auch heute noch ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Lassen Sie mich eine kurze Einführung in die Kulturtechnik des Mangetti-Knackens geben. Mangetti-Bäume wachsen auf sehr sandigen Böden, aber Nüsseknacken ist in einer sandigen Gegend gar nicht so einfach, weil meist keine Steine zur Verfügung stehen. Aus diesem Grunde haben Hai // om in der Region an verschiedenen Stellen, die immer wieder besucht werden, Steine zum Knacken deponiert, meist ein großer Stein mit Einbuchtungen und ein kleiner, handlicher Schlagstein (Abb. 1). Die Einbuchtungen sind sehr hilfreich, weil Mangetti-Nüsse rundlich-oval sind und schnell seitlich wegrollen, wenn man versucht, sie auf einer glatten Fläche zu knacken. Die Klingen von Äxten eignen sich ebenfalls, wenn sie beispielsweise zwischen den Füßen

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Lee benutzt den in seiner Forschungsregion gängigen Namen Mongongo, der lokale Name der Hai // om für diese Nuss ist / Gom-e, der Ort entsprechend / Gomais genannt.

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| Akhoe Hai // om beim Knacken von Abb. 1: = Mangetti-Nüssen im nördlichen Namibia (Foto Th.Widlok).

aufrecht fixiert werden. Nachdem das äußere Fruchtfleisch abgegessen oder einfach verdorrt ist, bleibt eine Nuss, die etwa die Größe und Form einer Olive hat. Darin befindet sich die etwa Haselnuss-große innere Nuss. Das bedeutet, dass die umschließende Schale der Nuss sehr dick und fest ist. Das hat Vorteile dahingehend, dass die Nüsse sich sehr lange halten und nicht verderben, auch wenn sie über Wochen und Monate unter dem Baum liegen oder selbst, wenn sie bereits von Tieren abgekaut wurden. Hai // om in der Region Mangetti haben sich unter anderem darauf spezialisiert, Nüsse in den Kraals von Ziegen zu sammeln. Die Ziegen fressen die Nüsse im Laufe des Tages, spucken sie als Wiederkäuer aber dann in ihrer Zeit im Kraal wieder aus, nachdem sie das äußere Fruchtfleisch abgenagt und verdaut haben. Auf diese Weise lassen sich in kürzester Zeit große Mengen an Nüs-

sen aufsammeln. Die dicke Schale schützt die innere Nuss so gut, dass sie auch dann noch ohne Verunreinigung oder Geschmacksverlust gegessen werden kann, wenn sie zuvor im Magen eines Wiederkäuers war. Der Nachteil der dicken Schale ist aber offensichtlich, dass zum Knacken durchaus die entsprechende Kraft und Fertigkeit nötig sind. Selbst geübte Knacker können die innere Nuss meist nicht mit einem einzigen Schlag aus der Schale befreien, meist sind zwei oder drei Schläge nötig. Das regelmäßige Klopfen – tock-tock-tock [Pause, neue Nuss] tocktock-tock – ist weithin vernehmbar und wird mitunter sogar als Orientierungshilfe benutzt, wenn man in dichtem Buschwerk die Hütte oder das Lager einer Gruppe sucht. Ungeübte Knacker, etwa Ethnologen auf der Feldforschung, erkennt man leicht an ihrer ungeübten Schlagfolge der folgenden Art: tick-ticktick-tiick [Pause] tock-tock-toook [weitere Pause], tock-tock-tunk [komplette Zerstörung der Nuss]. Die Fertigkeit des geübten Nussknackers besteht darin, genug, aber nicht zu viel Kraft in den Schlag beziehungsweise die Schläge zu setzen. Meist wird versucht, mit dem ersten und zweiten Schlag die Nuss an ihrer Längsseite zu spalten und dann in einem weiteren, vorsichtigeren Schlag die Schale in zwei saubere Teile zu zerlegen und so die innere Nuss freizulegen. Ungeübte Knacker hingegen beginnen oft zu zaghaft, da sie die Stärke der Schale noch nicht einschätzen können, verstärken dann die Kraft und landen am Ende zu starke Schläge, die, nachdem die Schale gespalten ist, dann die gesamte innere Nuss zermalmen oder zumindest die harte, dünne Schutzhülle der inneren Nuss zerstören. Ob diese innere Schutzhülle zusammen mit der äußeren Schale von der Nuss getrennt werden soll oder nicht, hängt von der weiteren Verwendung der Nuss ab. Die dunkle Schutzhülle ist essbar, aber sehr hart. Sie ist von Nutzen, wenn man die Nuss vor dem Verzehr noch in heißer Asche rösten will, denn so bleibt das

Kulturtechniken: ethnographisch fremd und anthropologisch fremd

weiche, weiße Fruchtfleisch der Nuss sauber und unversehrt. Wenn die Nuss allerdings in einem Mörser zerstoßen werden soll, dann stört die Schutzhülle womöglich. Aus diesem Grund werden heute von vielen Hai // om Axt- und Beilklingen als ‚Unterlage‘ für das Knacken von Nüssen bevorzugt, weil sich dann die Klinge typischerweise in der Schale verkantet und man dann die Schale kontrolliert mit der Hand abspreizen kann. Erfolgreiches Nüsseknacken braucht also Erfahrung, ein Paradebeispiel für embodied skill Ingolds, weil man nach einiger Zeit es ‚im Gefühl‘ hat, wo man den Schlag ansetzt, wie stark er sein muss, wie viele Schläge benötigt werden. Die nötigen Informationen gewinnt der Nussknacker aus dem Gewicht des Steins, dem Zustand der Nuss (frisch oder alt, groß oder klein) und auch dem Geräusch des Knackens, das dem Erfahrenen signalisiert, wie weit die Nussschale bereits geöffnet oder zerstört ist. Bisher nicht erwähnt, aber für das erfolgreiche Knacken letztlich genauso wichtig sind Erfahrungen, die mit dem Auffinden der Nüsse zu tun haben. Dazu gehören Kenntnisse über Standort der Bäume (nur weibliche Bäume tragen Nüsse, Mangetti-Bäume wachsen relativ schnell, sterben aber auch schnell ab) und über die Saisonalität der Nüsse (unter anderem von den lokal sehr unterschiedlichen und erratischen Regenfällen abhängig). Schließlich gehören auch Eigentumsfragen dazu. Obwohl Bäume nicht im Privatbesitz sind, wird bei fortgesetzter Nutzung erwartet, dass die Bewohner eines Ortes das Recht haben, gefragt zu werden. Und zumindest früher gab es „first-fruit ceremonies“, das „Kosten der ersten Frucht“ durch Älteste, mit einem Tabu der Ernte von unreifen Früchten bevor das Kosten stattgefunden hat (siehe Widlok 1999, 214). Zusammenfassend lässt sich also sagen: Wir haben es hier mit einer Kulturtechnik zu tun, die sozial erlernt ist und in ganz bestimmten sozialen Kontexten aufgebaut, gestaltet und anwendbar ist. Jemand, der nicht Teil dieses

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sozio-kulturellen Kontexts ist, wird beim Versuch des Knackens zunächst scheitern, einmal weil er oder sie weder die Übung hat noch das körperliche implizite Wissen für die richtige Schlagtechnik, und zum anderen weil es am lokalen Wissen fehlt, welches die Nutzung dieser Nüsse reguliert und ermöglicht.

Nüsse, Maschinen, Technologien: Eine Kritik der ökologischen Phänomenologie Weshalb ist es nun irreführend diese doch relativ komplexen Prozesse als eine ‚Technologie‘ zu beschreiben? Dazu lohnt der genaue Vergleich mit technologischem Nüsseknacken. Obwohl in Namibia mit Mühlen für einige Baumnüsse (z. B. Marula) erfolgreich experimentiert wurde, gibt es keine MangettiKnack-Maschinen. Solche Knackmaschinen (für Walnüsse) lassen sich auf den Webseiten von Technologie-Schmieden in Europa studieren.3 Automatisierte Nussknackmaschinen funktionieren nach dem gleichen Prinzip wie Maschinen, die man auch aus anderen Kontexten kennt. Charakteristisch für eine Maschine ist die Umwandlung einer hin-her Bewegung, die der manuellen Körperbewegung folgt, in eine kreisförmige Bewegung, die sich dann zur Mechanisierung eignet, also zu einem Antrieb mit der Kraft von Tieren, von Wasser oder von Dampf und Strom (siehe Ingold 2000, 303). Entsprechend wichtig war die Erfindung der Kurbel für die Mechanisierung von Arbeitsabläufen. Das bekannteste Beispiel für die Umstellung auf eine rotierende Arbeitsweise ist die Veränderung von einer manueller Säge zur maschinellen Kreissäge, eine Umwandlung von einer manuellen hin-

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Ein Beispiel ist zu finden unter: https: // www.youtube.com / watch?v=yE3KoAySyRw (16. 8. 2014).

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und-her-Bewegung zu einer Kreisbewegung, die sehr unterschiedliche indirekte Antriebe nutzen kann. Auch die Nussknackmaschine besteht aus einer rotierenden Trommel, die so geformt ist, dass Nüsse, die dort hineingelangen, von entsprechenden in der Bewegung entgegengesetzten Metallteilen durch die Drehbewegung gequetscht beziehungsweise geknackt werden. Alle Maschinen, die Räder und Motoren haben, folgen einem ähnlichen Prinzip. Dadurch wird es zum einen möglich, sehr verschiedene Antriebe zu nutzen. Statt der sehr komplexen Bewegung eines menschlichen Arms können hier nicht-menschliche und selbst ‚anorganische‘ Kräfte genutzt werden, solange sie ein Rad antreiben können, mit dessen Hilfe dann eine auf-ab-Bewegung entweder simuliert oder ersetzt werden kann. Diese Maschinen, einschließlich der Nussknackmaschinen, sind auch von Kindern oder anderen ungeübten Menschen zu bedienen. Jeder, der einen Sack Nüsse ausleeren kann, kann am Ende geknackte Nüsse in Empfang nehmen. Nichts muss eingeübt werden, es gibt stattdessen einfach eine Gebrauchsanweisung, der man quasi sklavisch folgen muss und der Rest ergibt sich. Die komplexen, für das Knacken nötigen Bewegungsabläufe werden in die Maschine hineingelegt, aus Sicht des Menschen externalisiert, müssen also nicht vom Menschen ausgeführt werden. Der Mensch wird beim ganzen Ablauf peripher. Die Ausführung der Bewegungen wird entkoppelt von den individuellen Sinneswahrnehmungen. Alles, was beim manuellen Knacken so wichtig für den Erfolg ist, wird für denjenigen entbehrlich, der die Maschine bedient: Die Töne, die taktilen Informationen über Gewicht, Widerstand und Zustand von Nuss, Nussschale und der manuellen Werkzeuge, die Abfolge der Schläge in Abstimmung mit dem bereits Erreichten. Dabei muss die Maschine selber nicht unbedingt komplexer sein als die beschriebenen Fertigkeiten – entscheidender ist die Auslage-

rung der Kenntnisse. Entsprechend beschreiben Ethnologen wie Tim Ingold die Entwicklung der Technologie nicht als eine Geschichte zunehmender Komplexität, sondern als eine Geschichte zunehmender Externalität. Wenn Kulturtechniken in erster Linie aus embodied skills bestehen, dann ist das Besondere an Technologien, dass sie diese Bindung an internalisierte, verkörperlichte Fertigkeiten aufheben und externalisieren. Entsprechend hält es Ingold dann auch für falsch, den Begriff Technologie auf diese Kulturtechniken zu erweitern, da wir es bei der Technologie, so wie sie im westlichen Denken konzipiert ist, mit einem von den sozialen Kontexten abgeschlossenen, transferierbaren System zu tun haben. In Ingolds Sicht ist eine auf diese Weise als Technologie konzipierte Technikvorstellung eine rezente Erfindung des Westens und nicht ohne weiteres anwendbar auf andere Kontexte, in denen diese Externalisierung weder gewünscht noch realisiert ist. Mit Blick auf die Begrifflichkeit der Fremdheit: Die ethnographische Fremdheit von Kulturtechniken wie etwa des Nüsseknackens (oder des Trommelns) verbietet es, sie als Technologien zu bezeichnen, weil hier die Entkopplung vom körperlichen und sozialen Kontext weder Ziel noch Praxis ist. Die europäische Kategorie ‚Technologie‘ wäre demnach nicht geeignet, weil sie etwas ganz anderes beschreibt. Als Alternative schlägt Ingold vor, in diesen Fällen von „body techniques“ zu sprechen, einem Entwicklungssystem (developmental system), bestehend aus der komplexen Interaktion zwischen Technik, Körper, Kognition, Materialien und sozialen Beziehungen, die alle miteinander verflochten sind. Das Nüsseknacken braucht die Steine, die Übung, die Anleitung, das Sozialgefüge von Zugangsregeln usw. Dieser ökologisch-phänomenologischen Sicht folgend (siehe Ingold 2011, 11) wären Kulturtechniken „embedded“, während die Technologie des Westens als „disembedded“ zu bezeichnen wäre (Ingold 2000, 290). Eine solche Darstel-

Kulturtechniken: ethnographisch fremd und anthropologisch fremd

lung betont ethnographische Fremdheit und ‚erklärt‘ die Unterschiede beziehungsweise die ‚Unvergleichlichkeit‘ von Phänomenen, die zwar ähnlich erscheinen, sich aber in unterschiedlichen Kategorien befinden. Der Preis ist eine Zweiteilung der Welt in ‚wir‘ und ‚sie‘, die sich bereits in anderen Feldern als irreführend erwiesen hat. ‚Sie haben Kulturtechniken, wir haben Technologie‘ parallel zu ‚Sie haben Religion, wir haben Glauben‘, ‚Sie haben Ritual, wir haben Protokolle‘, ‚Sie haben Geister, wir haben Körperschaften‘, ‚Sie haben lokales spezifisches Wissen, wir haben allgemeines Wissen‘ oder ganz allgemein ‚Sie haben Kultur, wir sind modern‘. Eine Kritik dieser Position findet sich unter anderem bei Bruno Latour (1993). Es lohnt sich daher im Weiteren zu untersuchen, ob es sich hier vielleicht gar nicht so sehr um einen Fall von ethnographischer Fremdheit handelt, sondern um einen Fall von anthropologischer Fremdheit. Die Perspektive der anthropologischen Fremdheit auf handwerkliche Fertigkeiten und Kulturtechniken ist bereits in Ingolds Arbeiten zu „skill“ angelegt (vgl. Ingold 2000). Mehr oder weniger explizit argumentiert er an verschiedenen Stellen, dass die komplexen Entwicklungssysteme, die er für einige ‚nichtmoderne‘ oder ‚vor-moderne‘ Fälle beschreibt, die eigentlich zutreffendere Beschreibung dessen ist, was den Menschen allgemein ausmacht. Demnach wäre die europäische Idee von Technik als Technologie eine Illusion oder eine Ideologie nicht nur für die beschriebenen afrikanischen Praktiken, sondern auch mit Blick auf die westlichen Bespiele. Die Aufgabe wäre entsprechend, dass wir zurückfinden zu einer Beschreibung von technischen Vorgängen als Körpertechniken und eben nicht als Technologien – auch bei ‚uns‘. Das wird an den Beispielen deutlich, die Ingold aus dem europäischen Kontext nimmt, z. B. mit Blick auf das Kochen.4 Es gibt in der europäischen Moderne Kochbücher, die den Eindruck erwecken können,

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dass wir es hier mit einer Technologie im oben eingangs beschriebenen Sinne zu tun haben, das heißt mit externalisiertem Wissen, das in Buchform von einem Koch zum nächsten und von einer Generation oder Kultur zur nächsten, weitergegeben wird. Ingold führt aber zwei Gründe an, weshalb diese Sicht des Kochens (generell, überall) falsch ist. Zum einen fehlt in den Kochrezepten oft viel Information, die vorausgesetzt werden kann, solange es keinen großen zeitlichen oder kulturellen Abstand gibt. Es wird für gewöhnlich vorausgesetzt, dass der Leser weiß, wie man z. B. Wasser zum Kochen bringt, Zutaten richtig abwiegt, Gemüse abwellt oder blanchiert usw. Schon innerhalb weniger Jahrzehnte können sich hier die kulturellen Grundlagen ändern. Wenn zum Beispiel in alten Rezepten von ‚toasten‘ gesprochen wird und eine offene Feuerstelle gemeint ist, dann sind einige Anweisungen heute in der Zeit der elektrischen Toaster nicht mehr ohne weiteres zu verstehen. Rezepte setzen viel Wissen voraus und lassen viele Schritte aus, weil sie kulturell als bekannt vorausgesetzt werden. Daneben setzen Rezepte auch ‚inkorporierte Fertigkeiten‘ (embodied skills) voraus, die ebensowenig durch die Lektüre von Kochbüchern vermittelt werden kann. Ingolds Beispiel ist das Aufschlagen eines Eies. Kochbücher und Küchengeräte sollten uns nicht darüber hinweg täuschen, dass für das gekonnte Aufschlagen eines Eies Fertigkeiten nötig sind, die man sich nicht aus Rezepten oder Gebrauchsanweisungen aneignet, sondern durch praktisches Üben. Meistens führt dabei ein geübter Erwachsener die Hand des Neulings. Das Ei wird am Rand kurz angeschlagen, um dann über den Ton (und

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Ingolds Vorlesung zu diesem Thema „To learn is to improvise a movement along a way of life“ ist online abrufbar unter www.cognitionandculture.net / lectures und www.youtube.com / watch?v=lDaaPaK-N5o (16. 8. 2014).

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die Erfahrung) einen Schlag auszuführen, der kräftig genug ist, um eine ausreichend große Lücke zu schaffen, aus der das Eiweiß und Eigelb (möglichst getrennt) entweichen kann, aber nicht zu kräftig ist, so dass Eierschalen in den Topf fallen würden. Ein gekonntes Aufschlagen eines Eies, so dass beispielsweise eine Trennung von Eiweiß, Eigelb und Eierschale möglich ist, erinnert dann sehr an das oben beschriebene Nüsseknacken. Letztendlich zeigt Ingold also, dass auch unsere Handlungen in einer hochtechnisierten Umgebung letztlich auf Kulturtechniken beruhen, die keine Technologien im extremen Sinn von externalisierten, objektivierten Abläufen sind. Ingold bemüht sich in diesem Beispiel und in seinem gesamten rezenten Werk darum, den Status der verkörperten Praxis und des impliziten Wissens gegenüber den Rezepten, den Blaupausen, und den Codes des theoretischen Wissens aufzuwerten und in seiner Bedeutung angemessen zu würdigen. Dieses phänomenologische Freilegen der menschlichen Erfahrung lässt das Kochen nach Rezept, das Leben nach Codes, als bedauerliche Entfremdung erscheinen, der Europa und der moderne Westen anheim gefallen sind. Während die zugrundeliegende Erfahrung nur noch in früheren Zeiten und an fernen Orten intakt ist, so bleibt sie auch in den Zeiten der Kochbücher unter der Oberfläche weiterhin wirkmächtig, allerdings ist, nach Ingold, unser Blick darauf verstellt. Im Gegensatz dazu möchte ich betonen, dass diese ‚Entfremdung‘ zum einen zur conditio humana gehört, und zum anderen, dass sie auch nicht nur bedauerlich ist oder umkehrbar wäre. Anschließend an Helmuth Plessner (1950 / 2003) gehe ich davon aus, dass es eine menschliche Grundkonstante ist, genau zwischen diesen beiden Sicht- und Handlungsweisen hin und her zu pendeln, zwischen der planenden Abstandshaltung und der involvierten Einbettung. Mit anderen Worten, wenn wir verstehen wollen, wie Kochen funktioniert, was die

Menschen in die Lage versetzt, so zu kochen, wie sie es tun, dann ist nicht so sehr ethnographische, sondern anthropologische Fremdheit zu überwinden, denn wir alle wissen meist nur implizit, wie wir tun, was wir tun. Diese Fremdheit verschwindet nicht mit der Ankunft von Nussknackmaschinen. Auch die Nussknackmaschine, so mein Argument, ist Teil eines umfassenden komplexen Entwicklungssystems, in dem natürlich auch soziale Beziehungen und eine ganze Reihe von kulturellen Vorbedingungen erfüllt sein müssen, damit am Ende die geknackten Nüsse gegessen werden können. Ich meine hier nicht nur die Geschichte der verschiedensten Erfindungen und Wissensbestände, die gegeben sein müssen, also Wissen über Materialien, über Physik usw., sondern auch der Kontext, der z. B. den nötigen Strom liefert, um diese Maschine zu betreiben und die wirtschaftlichen Aktivitäten, die nötig sind, um das nötige Geld für eine solche Maschine aufzubringen, aber auch Aktivitäten und Handlungen, die die Menschen dazu bringen, von nun an Nüsse mit einer Maschine zu knacken. Es gibt Hinweise in Studien zur Industriearbeit, dass selbst die Arbeit am Fließband, der externalisierten Maschine par excellence, inkorporierte Fertigkeiten involviert. Arbeiter am Band berichten davon, dass sie mit der Zeit eine Art flow erreichen, der sich unter anderem dann zeigt, wenn er gestört wird, wenn beispielsweise die Betriebsleitung die Geschwindigkeit des Bandes ändert und damit die Arbeiter ‚aus dem Rhythmus‘ bringt (siehe Beynon 1975, 76). Wir können also in Abwandlung dessen, was Ingold beschreibt, festhalten, dass der Übergang von Kulturtechnik zur Technologie nicht ein lineares disembedding ist, also ein Herausschälen, sondern vielmehr ein re-embedding, ein Umbetten in andere soziale und kulturelle Zusammenhänge. Statt der ‚wir‘-versus‚sie‘-Dichotomie zwischen der auf Abstand zielenden Technologie einerseits und den im Körper des jeweils Einzelnen verwurzelten

Kulturtechniken: ethnographisch fremd und anthropologisch fremd

Kulturtechniken andererseits, würde demnach eine dynamische Bewegung zwischen diesen beiden Enden eines Spektrums vorliegen. Einer genaueren Klärung bedarf dabei noch die Frage, ob hier eine lineare Tendenz und Entwicklungslinie hin zu einer zunehmenden Abstandshaltung und Externalisierung festzustellen ist oder ob es sich um eine Grundkonstitution mit einer gewissen Variationsbreite handelt. Die erstgenannte Position findet sich nicht nur in der Ethnologie Ingolds wieder, sondern prominent auch in der Philosophie von Sloterdijk (2012). Zwar sieht Sloterdijk, im Gegensatz zu Ingold, einen Fortschritt in dem so neu definierten Zivilisationsprozess, aber er teilt mit Ingold die Sicht, dass die von Plessner beschriebene exzentrische Position nicht für alle Menschen gegeben ist, sondern sich darin eine historisch nachvollziehbare Entwicklung zu einer größeren Abstandshaltung zeigt (Sloterdijk 2012, 564). Dabei schauen sowohl Sloterdijk als auch Ingold meines Erachtens zu sehr auf die erfolgreichen Adaptionen des Menschen und geben den Belegen des Scheiterns nicht genug Aufmerksamkeit. Ingolds Beispiel für erfolgreich körperlich inkorporierte Fertigkeiten sind Musiker, gute Handwerker und Künstler, denen es ohne Rezeptbuch und ohne Blaupause gelingt, es zu hoher Meisterschaft zu bringen. Demgegenüber würde ich festhalten wollen, dass für jedes erfolgreich gekochte Essen, jedes meisterhaft gespielte Musikstück, jeden wohlgeformten Tontopf es immer mehrere misslungene Ergebnisse gibt. Die vorgefertigten, oder halb-vorgefertigten Blaupausen und Rezepte sind sinnvolle Hilfsmittel, die angenommen werden, nicht weil es grundsätzlich eine zivilisatorische Tendenz zu größerem Abstand gäbe, sondern im Versuch, die ständige Gefahr der gescheiterten Unternehmungen zu reduzieren – selbstverständlich ohne eine Garantie für den Erfolg zu sein. Sloterdijk sieht ein unaufhaltsames Voranschreiten des ‚Trainings‘ in allen wichtigen Unternehmungen des Menschens über die Jahrhunderte

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hinweg. Auch das ist, meiner Einschätzung nach, ein geschönter Blick zurück. Viele der hohen Leistungen, die heute im Vergleich zu früher und die im Westen im Vergleich zum Rest der Welt zu beobachten sind, können genauso gut einer allgemeinen Zunahme der Bevölkerung und ihrer Aktivitäten geschuldet sein. Im Verhältnis zum Gesamtvolumen der menschlichen Unternehmungen, wenn man diese denn einfach messen könnte, lassen sich für viele Bereiche eine große Zahl von gescheiterten Trainingsversuchen ins Feld führen. Für jeden virtuosen Musiker gibt es eine große Zahl von gänzlich Unmusikalischen, für jede produktive Erfindung gibt es destruktive Gegenstücke usw. Zudem gibt es ein Training ‚nach unten‘, das Einschleifen unproduktiver und schädlicher Verhaltensweisen. Entsprechend gibt es in einigen Bereichen auch eine Bewegung, die versucht, den Abstand zu reduzieren, durch ‚hands-on learning‘, durch eine Wertschätzung handwerklicher Arbeit und der (Wieder-) Gewinnung von Autonomie in Herstellungsprozessen. Sowohl Sloterdijk als auch Ingold lesen die empirischen Belege eher selektiv und kommen so in ihrer Darstellung zu einer deutlich linearen Entwicklungslinie hin zur Externalisierung (wenn auch unter anderen Vorzeichen). Es lohnt sich an dieser Stelle Herangehensweisen der kognitiven Archäologie einzubeziehen, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Grenze zwischen externalisiertem Wissen und den im Körper des Einzelnen verankerten Fertigkeiten detailgenau zu beschreiben.

Pfeile, Pläne, Module: Eine Kritik der kognitiven Archäologie Der vor allem von M. Lombard und M. N. Haidle (2012) entwickelte Ansatz der kognitiven Archäologie weist darauf hin, dass der Prozess des Externalisierens, den Ingold für das Aufkommen der Maschinen beschreibt,

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Abb. 2a:Ausschnitt aus einem „cognigram“ (Kognigramm) für das Jagen mit Pfeil und Bogen nach M. Lombard und M. Haidle. Quadrate stehen für „Aktivitäten“, während „Werkzeuge“ mit trapezförmigen und „Bedürfnisse“ mit rautenförmigen Symbolen dargestellt werden (verändert nach Lombard / Haidle 2012, 255 Abb. 9).

viel weiter in die Vergangenheit verlagert und verallgemeinert werden kann. Die bearbeiteten Beispiele beziehen sich auf sogenannte ‚einfache‘ Werkzeuge der Jäger und Sammler, und hier vor allem auf Waffen wie Pfeil und Bogen. Während ich oben diskursiv die relative Komplexität von Handlungen wie dem Nüsseknacken beschrieben habe, schlagen Lombard und Haidle (2012) ein formales Notationssystem vor, um die Komplexität der hier involvierten Kulturtechniken modular darstellen zu können. Konkret wird etwa die Herstellung von Pfeil und Bogen in viele kleine Unterziele und Unterprodukte zerlegt, von der Wahrnehmung des Hungerbedürfnisses, über die Herstellung aller Einzelteile und Hilfsmittel bis hin zum Einsatz des Bogens für die erfolgreiche Bedürfnisbefriedigung (Abb. 2a).

Das Ergebnis sind umfangreiche Schaubilder, in denen alle Einzelschritte festgehalten sind, die letztlich dafür nötig sind, dass beispielsweise ein Pfeil und ein Bogen erfolgreich hergestellt werden. Ohne die Komplexität hier reproduzieren zu können, genügt es in diesem Zusammenhang das dahinterliegende Prinzip sichtbar zu machen: Ein handwerklich hergestellter Pfeil ist ein komplexes Gebilde, das Ergebnis eines komplexen Entwicklungsprozesses, zu dem zunächst die Gewinnung der nötigen Materialien (Stein, Holz, Metall oder Knochen, Federn usw.) und der damit verbundenen technischen Fertigkeiten gehört. Jede dieser Materialien bedarf mehrerer Schritte der Verarbeitung – das Schmieden beziehungsweise Schlagen der Pfeilspitzen, das Schnitzen des Holzschaftes usw. – die jeweils noch

Kulturtechniken: ethnographisch fremd und anthropologisch fremd

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Abb. 2b: Ausschnitt aus der Wirkungskette („effective chain“ [Effektivkette]) für die Herstellung des Pfeils im Gesamtprozess des Jagens mit Pfeil und Bogen in der Darstellungsweise von M. Lombard und M. Haidle. Der Kreis mit dem Plus symbolisiert den Punkt, an dem vormals unabhängige „Foki der Aufmerksamkeit“ zu einem zusammengesetzten Fokus verschmelzen (verändert nach Lombard / Haidle 2012, 257 Abb. 10c).

weiter unterteilt werden können in konstituierende Einheiten, wie etwa dem Entfachen eines Feuers, dem Vorbereiten eines Werkzeugs usw. (Abb. 2b). Das Modell der kognitiven Archäologie geht allerdings über diese Zusammenstellung der nötigen Schritte hinaus. Der Erkenntnisgewinn des komplexen modularen Notationssystems ist es, dass es zeigen kann, dass nicht jeder, der einen Pfeil und Bogen verwenden will, alle diese Module beherrschen und ausführen muss. Vielmehr sind viele der nötigen Arbeitsschritte quasi ausgelagert, eine frühe Form des outsourcing sozusagen. Auch die Innovation und die kulturelle Diffusion lässt sich hier als eine Vielzahl von kleinen Veränderungsschritten darstellen, ohne dass es der Vorstellung eines individuellen „Genius“ oder eines kulturellen Zentrums bedarf (die ja nur in den seltensten Fällen eindeutig nachweisbar sind). Das nötige Wissen wird in festen Abläufen gespeichert, unterteilt und verteilt. Die

nötigen Gegenstände, wie z. B. ein Blasebalg für das Schmieden, müssen nicht von jedem angeschafft werden, und nicht alle modularen Fertigkeiten müssen in einem Individuum oder in einer Gruppe oder in einer Epoche oder Region vereint sein. Ohne diese Verteiltheit würde schon die Herstellung von Pfeil und Bogen den Einzelnen oft überfordern, und auch ein Mensch, der eine komplexe Maschine zur Verfügung hat, muss sie nicht in all ihren Einzelheiten verstehen oder selber produzieren können. Tatsächlich unterstreicht die Ethnographie der Jäger und Sammler diesen Punkt in verschiedener Hinsicht. So ist schon in vorkolonialer Zeit Handel und Austausch zwischen verschiedenen Gruppen belegt, die sich jeweils auf den Eisenerzabbau, auf die Eisenherstellung, die Schmiedearbeit und die Nutzung der erstellten Eisenprodukte beschränken (siehe Widlok 1999). Mit Blick auf Pfeil und Bogen

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|Akhoe Hai // om bei der Herstellung von Pfeilen im nördlichen Namibia (Foto Th.Widlok). Abb. 3: =

ist belegt, dass der erfolgreiche Jäger oft mit Pfeilen schießt, die er nicht selber gemacht hat, sondern oftmals die inzwischen etwas älteren, aber umso erfahreneren Männer im gleichen Lager (Abb. 3). Die Regel, dass der Hersteller des Pfeils neben dem erfolgreichen Jäger Anrechte auf das Fleisch hat (Widlok 1999, 70), fördert diese Modularität der Fertigkeiten genauso wie die Praktiken des Glücksspiels, die dafür sorgen, dass gute und schlechte Pfeile von unterschiedlichen Männern sich in den Köchern der Jäger wiederfinden (Woodburn 1968, 53). Auch über die Einzelfälle hinaus hat die Form der Beschreibung wie sie von kognitiven Archäologen vorgeschlagen wird, Vorteile. Mithilfe dieser Konzeptualiserung gelingt es in einem Rahmen sowohl über die Kulturtechniken der kulturell fremden Tätigkeiten als auch über ‚eigene‘ Technologie zu spre-

chen. Beides sind nur graduell verschiedene Manifestationen von ineinandergeschachtelten Abläufen. Keine Wasserscheide trennt mehr die Kulturtechniken der anderen von ‚unserer‘ Technologie. Das Schaubild für eine Nuss-Knackmaschine ist lediglich umfangreicher als das eines im manuellen Nussknacken versierten Individuums. Das Schaubild zeigt, wie sich die verteilte Kognitive (distributed cognition) über verschiedene Menschen, Objekte und Praktiken erstreckt. Quasi nebenbei erklärt dieses Modell, weshalb aus dem Blick des Einzelnen und seiner Fertigkeiten die Komplexität über sehr unterschiedliche Kontexte hinweg konstant oder doch vergleichbar zu sein scheint, auch wenn mit Blick auf das Gesamtbild sich sehr wohl Unterschiede feststellen lassen.Wenn der Mensch demnach immer und überall ‚exter-

Kulturtechniken: ethnographisch fremd und anthropologisch fremd

nalisiert‘ beziehungsweise Wissen und Fertigkeiten ausgelagert hat, bleibt die Frage ob die Externalisierung insgesamt zugenommen hat oder nicht. Die Antwort hängt davon ab, wo die Grenze zwischen ‚intern‘ und ‚extern‘ gezogen wird. Die Kognitionswissenschaften nehmen mehrheitlich eine Organismus-zentrierte Sichtweise ein, nach der ‚innen‘ bedeutet ‚innerhalb der Haut‘, der im Gehirn abgespeicherten Erinnerungen usw. Es gibt jedoch auch – als Minderheitenposition innerhalb der westlichen Wissenschaft – die Sicht, dass vor allem für komplexe Bewusstseins- und Verhaltensweisen diese Grenzziehung eher arbiträr ist, da sie sich nie isolierbar auf Vorgänge innerhalb des einzelnen Organismus beschränken (siehe Fuchs 2008). Erkauft werden diese Vorteile der Darstellung der kognitiven Archäologie allerdings von einer Darstellungsweise, die wiederum Aspekte der westlichen Vorstellung von Technologie auf die ‚inkorporierten‘ Tätigkeiten der Jäger und Sammler ausdehnt. Maschinen sind nicht nur dadurch charakterisiert, dass sie unabhängig von spezifischen Situationen und Personen einsetzbar sein sollen, sondern dass sie in der Herstellung (und entsprechend in der Reparatur) modular aufgebaut sind. Am Fließband werden vorgefertigte Bauteile so montiert, dass weder der Hersteller des einzelnen Bausteins, noch der Monteur dieses Bausteins über die anderen Module oder über den Gesamtbauplan Kenntnisse oder Fertigkeiten besitzen muss. Die Austauschbarkeit und Standardisierung der Module und ihre Verbindungen sind für das rationelle Funktionieren von Maschinen zentral. Für die Fertigkeiten des Künstlers oder Handwerkers, so wie er von Ingold beschrieben wurde, ist im Gegensatz dazu wichtig, dass über einen übenden Zeitraum hinweg eine Verbindung zum Material entsteht und dass Erfahrungen über die vorangegangenen Fertigungsschritte in den Prozess mit einfließen. Die beiden Prozesse könnten also anders nicht sein, hier

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das gewobene Geflecht, in dem der virtuose Handwerker involviert ist, dort eine lineare Reihe wie am Fließband, die ohne Rücksicht zerschnitten und in Module gehackt wird, um sie dann in einer Art Netzwerkanalyse wieder zusammen zu setzen. Aus der Sicht von Ingolds ökologischer Phänomenologie wird in der Beschreibung der kognitiven Archäologie die westliche Ideologie der Technologie zur Methode für die allgemeine vergleichende Analyse gemacht. Die Priorisierung der Modularität über das verwobene Leben ist aus dieser Sicht ein erneutes Überstülpen eines westlichen Konzepts von Modularität und Netzwerk, die für die westliche Technologie so entscheidend sind. Allerdings ähneln sich die kognitive Archäologie und die ökologische Phänomenologie in einem Punkt. In beiden Fällen haben wir es mit Vorstellungen von Komplexität und Totalität zu tun, wenn auch sehr unterschiedlich aufgefasst. In der kognitiven Archäologie Haidles besteht die komplexe Totalität aus der analytischen Summe von diskreten Einzelereignissen. Ingold nennt dies das Sigma-Prinzip (2011, 232) und kritisiert, dass dies vielleicht für leblose Maschinen eine angemessene Beschreibung ist, nicht aber für den Prozess des embodied enskilment, bei Ingold eine holistisch-deskriptive Totalität, die nur als Gesamtprozess mit einem entsprechenden flow zu sehen ist. Die Totalität ist hier Ausdruck eines verwobenen Seins, getrieben von treibenden, vitalen Lebensprozessen. Das macht nach Ingold letztlich das Leben aus: Im Vergleich zu mechanischen, anorganischen Prozessen, können lebende Wesen gar nicht anders als Teil zu haben an diesen verwobenen Entwicklungsprozessen. Es ist die Bestimmung der Lebewesen, sich in ihren Fertigkeiten zu entfalten. Die „totalisierenden“ Tendenzen in beiden Ausprägungen legen einen ethnographischen Vergleich getrennter, diskreter Systeme nahe, wobei die Grenzziehung der Systeme in beiden Fällen problematisch ist: Auch komplexe

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Thomas Widlok

Technologien können mit gutem Grund als auf Erfahrungen mit einfacher Technik aufbauend beschrieben werden. Dann wären die generationsübergreifenden Erfahrungen bei der Materialbearbeitung im Zuge des Baus von Pfeil und Bogen am Ende auch Teil eines geschachtelten Moduls heutiger industrieller Maschinen-Systeme, die letztlich auf diesen Erfahrungen aufbauen und vielleicht auch ähnliche Ziele verfolgen. Der Prozess des sich entwickelnden Lebens, auf den Ingold rekurriert, ist ähnlich amorph und unbegrenzt und verliert damit seine beschreibende Schärfe. Aber es gibt Alternativen zur totalisierenden systemischen Darstellungsweise, auf die ich abschließend eingehen möchte. Diese Alternative geht stärker auf die einzelnen Praktiken und ihre ungeordneten, offenen Aspekte ein.

Kulturtechniken, die scheitern Die abschließende Sicht der hier diskutierten Kulturtechniken, die ich entwickeln möchte, lernt zwar von den beiden dargestellten theoretischen Entwürfen, führt aber dann doch zu einer alternativen Sichtweise. Die Grundidee ist dabei, die Totalität, die in beiden Ansätzen zu finden ist, aufzubrechen und zu öffnen. Aufgebrochen wird die Totalität zum einen durch das schon oben konstatierte Auseinanderfallen von Mensch und Welt. Auch wenn es virtuose Handwerker und Musiker gibt, von denen wir den Eindruck bekommen, sie wären ‚aus einem Guss‘ und unauflöslich miteinander verflochten, so zeigen doch die vielen Fehlschläge und Missgriffe, die unvollendeten oder missglückten Versuche des Menschen, dass es im Normalfall eine Kluft zwischen Mensch und Welt gibt und eben keine unzerbrochene Totalität. Viele, die meisten Dinge sogar, gehen nicht nach Plan und verfehlen ihre ‚um-zu-Funktion‘ im großen Ganzen (siehe Widlok 2008). Mit anderen Worten, viele Tätigkeiten erfüllen nicht ihren Zweck und sind trotzdem Teil des

Prozesses, würden aber beispielsweise in den Schaubildern der kognitiven Archäologie nicht auftauchen. Ähnlich könnte man mit Blick auf Ingold sagen, dass für jede Manifestation eines skillful embodiment es mehrere unskillful embodiments gibt.5 Mit anderen Worten, viele Probleme werden nicht gelöst, viele Werkzeuge funktionieren nicht, viele Jagden enden ergebnislos, viele Objekte werden als nicht brauchbar weggeworfen oder eben als mögliche Ersatzteile für später liegen gelassen, oftmals wird ein suboptimaler Ersatz verwendet z. B. bei der Herstellung von Gegenständen und oft müssen spontane Abwandlungen gefunden werden. Im archäologischen Befund sind Fehlschläge nicht immer deutlich von absichtsvollen Variationen zu erkennen, aber die ethnographischen Darstellungen geben Zeugnis davon, wie weit verbreitet das Scheitern tatsächlich ist, und sie verweisen damit auf einen Prozess, der für den Einzelnen im Extremfall das Ende seiner Welt bedeuten kann und der im Ganzen betrachtet eben durch Offenheit statt durch Totalität gekennzeichnet ist. Und das trifft nicht nur auf die Situation des Einzelnen zu, sondern auch auf die Zusammenschau der Fertigkeiten in einer menschlichen Gruppe: Der Grund weshalb Menschen lernen, Pfeil und Bogen zu gebrauchen, Nüsse erfolgreich zu knacken und selbst Maschinen dafür zu entwickeln, ist nicht nur (und vielleicht nicht

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Ingold selber ist ein guter Cellospieler und er gibt an, dass dies ethnographisch eine wichtige Erfahrung in seinem Verständnis davon ist, wie Fertigkeiten körperlich aufgebaut werden (2000, 413). Ich gestehe hiermit ein, dass ich weder Cello noch ein anderes Instrument annehmbar spiele und vielleicht lässt mich diese Erfahrung auch in der Ethnographie der Jäger und Sammler das fortwährende Scheitern beim Entwickeln von Fertigkeiten sehen. Hierbei handelt es sich nicht einfach um ein vorläufiges Scheitern wie es der Musiker beim Üben auch erlebt, sondern ein bleibendes Scheitern, das nur sozial und überindividuell aufgefangen, aber nie komplett aufgehoben werden kann.

Kulturtechniken: ethnographisch fremd und anthropologisch fremd

in erster Linie) im vitalen Repertoire der Fertigkeiten der Einzelnen zu suchen oder in der Eingliederung in eine modulare Komplexität. Vielmehr zeigt sich hier eine spezifische Kooperativität, die es ermöglicht, die vielen Fehlversuche aufzufangen, die den Normalfall darstellen. Umgekehrt sind Fehlversuche, das Experimentieren mit schlechten Pfeilen, defekten Maschinen und schlecht geknackten Nüssen die Grundlage für das Entstehen von Fertigkeiten und Komplexität wie sie von Ingold und Haidle beschrieben werden. In der Primatenforschung zeigt sich, dass die Neigung zur Kooperativität schnell sinkt, wenn der Anlass für die Kooperation nicht mehr da ist oder wenn die anderen nicht mehr ihren Teil an der kooperativen Aufgabe erfüllen.6 Die menschliche Kooperativität hingegen ist (meistens) auf eine Art ‚gnädig‘, dadurch dass sie all dieses Scheitern zulässt, ohne dass damit die Zusammenarbeit sofort aufgekündigt würde. Die Aufgaben, die sich Menschen stellen, werden nie vollständig gelöst und bleiben charakteristischerweise offen. Menschliche Sozialität kann mit dieser Offenheit umgehen wie es die Zusammenarbeit bei anderen Primaten offensichtlich nicht kann, offensichtlich weil der Mensch eine längere Erinnerungsfähigkeit besitzt sowie eine höhere Leidensfähigkeit oder auch ‚Mitleidensfähigkeit‘ im Angesicht des fortgesetzten Scheiterns. Hinzu kommt der eingangs erwähnte zweite Aspekt der anthropologischen Fremdheit, der es dem Menschen ermöglicht, und es von ihm verlangt, sich nicht nur planendrational seinen Unternehmungen zu nähern, sondern immer auch eine unwillkürliche Haltung gegenüber diesen Unternehmungen möglich macht. In den Schemata der kognitiven Archäologie wird von einer Zielgerichtetheit des gesamten Prozesses ausgegangen. Alle

6

Daniel Hanus, persönliche Mitteilung.

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Aktivitäten sind ‚um-zu-Aktivitäten‘, die ineinander greifen. Das große Ziel, beispielsweise ‚ein Tier erbeuten‘ wird in viele Kleinziele zerteilt, z. B. einen gerade fliegenden Pfeil zu schnitzen, einen Bogen so zu spannen, dass der Pfeil ausreichend weit fliegt usw. Möglich wird dies nach Haidle durch die genuine Fähigkeit des Menschen, die Erfüllung von Wünschen aufzuschieben für ein weiter entferntes Ziel. So wie jedes Werkzeug als eine Ausweitung der Möglichkeiten des menschlichen Körpers gesehen werden kann, so werden die Möglichkeiten dadurch, dass Menschen arbeitsteilig denken und arbeiten um einen weiteren Schritt verlängert und erweitert. Menschen tun auch Dinge, die erst viel später und nur in der Kombination mit vielen anderen Abläufen zum Ziel führen – sogar wenn sie alleine tätig sind. In dieser Sicht der Dinge liegt der Unterschied zwischen Mensch und Tier, nicht im Gebrauch der Werkzeuge, sondern in der Fähigkeit des Verschiebens von Gratifikation im Interesse eines übergeordneten Plans. Es ist richtig und wichtig, den Erwartungshorizont des Handelnden gegenüber den Tätigkeiten mit einzubeziehen, allerdings will ich unterstreichen, dass sich damit Haltungen verbinden, die oft sehr viel vielschichtiger und widersprüchlicher sind als das Aufschieben einer Gratifikation. Kulturtechniken sind nicht nur Ausdruck der menschlichen Sorge um das Dasein – so würde es Heidegger z. B. beschreiben, auf den auch Ingold stark aufbaut. Sie sind auch Ausdruck des Verlangens und der Freude am geteilten Leben, wenn man statt Heidegger z. B. Emmanuel Levinas heranzieht. Gut geschnitzte Pfeile treffen nicht nur ihr Ziel, sie sind für viele Jäger und Sammler auch ein befriedigendes Ziel, an dem sie lange feilen, selbst wenn sie den Pfeil am Ende nie abschießen werden. Missratene Pfeile, die schlecht fliegen oder Bögen, die wegen schlechter Verarbeitung brechen, bieten auch bei Jäger-Sammlern nicht nur Anlass zur Sorge, sondern auch Anlass zum Lachen. Die

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Thomas Widlok

Trickster-Geschichten der südafrikanischen und anderer Jäger-Sammler-Gesellschaften sind voll von Plänen, die durchkreuzt werden, Strategien, die nicht aufgehen, Verkleidungen, die enttarnt werden, usw. Die von der kognitiven Archäologie modularisierten Handlungen sind nicht nur Gegenstand für das Verschieben bei der Erfüllung von Wünschen. Potentiell ist auch jede Handlung und jedes (Zwischen-) Produkt ein Ziel für erweiterte Wünsche und Bedürfnisse. Der Pfeil soll eben nicht nur das Tier treffen, er soll auch gut in der Hand liegt und gut fliegen, unabhängig davon ob und was er trifft. Das spezifisch Menschliche wäre demnach nicht das Aufschieben, sondern die Fähigkeit fortwährend umzuschalten zwischen der situativen Befriedigung im Prozess und einem übergeordneten Plan. Das impliziert die Fähigkeit, Pläne zu ändern und einzelne Handlungen und Objekte mit verschiedenen und mehrfachen Plänen zu verbinden. Der leicht missglückte Pfeil ist vielleicht für die erfolgreiche Jagd nicht mehr brauchbar, aber dann doch noch als Übungsspielzeug für die Kinder, als Verkaufsobjekt für Touristen oder zur Not auch als Stocher-Werkzeug beim Rösten von Nüssen usw. Meine Haltung zum hergestellten Objekt sowie zu meinen Unternehmungen und denen der anderen im Prozess des Herstellens ist daher nicht rein utilitaristisch. Das Ergebnis meiner Bemühungen kann meiner Haltung sehr unterschiedliche Tönungen verleihen, mich im Extremfall zum Lachen oder zum Weinen bringen. In beiden Fällen, lachen und weinen, geht es nicht nur darum, dass unsere Mittel immer tendenziell unangemessen und unzureichend für unsere Ziele sind, sondern dass hier die prinzipiellen Grenzen des menschlichen Verhaltens aufbrechen, wie Plessner sie beschrieben hat. Die Menschen geraten, im Gegensatz zum Tier, zu diesen extremen Ausdrucksformen, weil ihr Verhältnis zur Welt an Grenzen stößt und

zwangsläufig immer wieder gestört wird. Dass der Mensch, ob als Jäger und Sammler oder als Maschinist, in der Lage ist, so unterschiedliche Ausdrucksweisen gegenüber seinem eigenen Verhalten und den Produkten seines Schaffens an den Tag zu legen, liegt nach Plessner an der menschlichen Daseinsstruktur, die invariant über Zeiten und Orte hinweg aus einer exzentrischen Verunsicherung des Menschen in der Welt besteht (1961 / 2003, 230). Das Verständnis der beschriebenen Kulturtechniken auf dem Hintergrund dieser invarianten Daseinsweise unterscheidet sich sowohl von der Phänomenologie Ingolds als auch vom Kognitivismus Haidles. Die Kulturtechniken sind demnach nicht (wie sie uns bei Ingold entgegentreten) ein integraler Bestandteil eines vitalen Entwicklungsprozesses, und im Gegensatz zu Maschinen und Technologie noch nicht entfremdet.Vielmehr ist die relative Fremdheit des Menschen gegenüber geschaffenen Objekten und Schaffensprozessen ein unüberwindlicher Bestandteil seines Abstands zur Welt, die sich auch in der Erschaffung und Verwendung von kulturellen Techniken und Objekten niederschlägt. Die Kulturtechniken sind aber auch nicht (wie sie uns bei Haidle entgegentreten) austauschbare Module einer menschlichen Kultur, die den Menschen nützliche ‚Prothesen‘ an die Hand gibt, um sich schrittweise aus seiner mangelhaften natürlichen Ausstattung zu befreien, z. B. durch eine technisch aufgerüstete Jagd und eine zunehmend distribuierte Arbeitsteilung, die für die nötige kognitive Entlastung sorgt. Vielmehr bleiben Belastung und Entlastung des Menschen durch die Kulturtechniken im Grunde unverändert, denn keine der Techniken und Objekte setzt die exzentrische Daseinsstruktur des Menschen außer Kraft, weder war die Verkörperung je vollständig, nimmt sie ab oder verschwindet sie durch die geschichtliche Entwicklung.

Kulturtechniken: ethnographisch fremd und anthropologisch fremd

Zusammenfassung In einer tour de force durch verschiedeneVorstellungsweisen alltäglicher Kulturtechniken habe ich versucht, unsere Aufmerksamkeit von der ethnographischen Fremdheit auf Fragen der grundlegenderen anthropologischen Fremdheit zu lenken. Eine vorschnelle Anwendung des kulturübergreifenden Begriffs von ‚Technologie‘ birgt die Gefahr in sich, die ethnographische Fremdheit zu überspielen, indem eine einfache Übersetzbarkeit zwischen Funkgerät und Trommel oder zwischen geknackten Mangetti-Nüssen und der Nussknackmaschine aus der industriellen Produktion nahe gelegt wird. Demgegenüber birgt eine dichotome Trennung zwischen ‚eingebetteten‘ Körpertechniken und ‚nicht-eingebetteter‘ Technologie die Gefahr, die ethnographische Fremdheit überzubetonen. Beide Ansätze wiederum unterschätzen die anthropologische Fremdheit, die sich in der Position des Menschen mit Bezug auf seine eigenen Kulturtechniken und Technologien zeigt. Erst durch ein besseres Verständnis der anthropologischen Fremdheit sind die Grundlagen für ein verbessertes Verständnis der einzelnen Techniken gegeben. Bibliographie Beynon 1975 H. Beynon. Working for Ford. Wakefield: EP Publishing 1975. de Bruijn / Nyamnjoh / Brinkman 2009 M. de Bruijn / F. Nyamnjoh / I. Brinkman (Hrsg.), Mobile phones: the new talking drums of everyday Africa. Bamenda: Langaa 2009. Fuchs 2008 Th. Fuchs, Das Gehirn – ein Beziehungsorgan. Eine phänomenologisch-ökologische Konzeption. Stuttgart: Kohlhammer 2008. Ingold 2000 T. Ingold, The Perception of the Environment. London: Routledge 2000.

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Ingold 2011 T. Ingold, Being Alive. Essays on movement, knowledge and description. London: Routledge 2011. Latour 1993 B. Latour, We have never been modern. Cambridge: Harvard University Press 1993. Lee 1979 R. Lee, The Dobe !Kung. Cambridge: Cambridge University Press 1979. Lombard / Haidle 2012 M. Lombard / M. N. Haidle, Thinking an Bowand-arrow Set: Cognitive Implications of Middle Stone Age Bow and Stone-tipped Arrow Technology. Cambridge Archaeological Journal 22/2, 2012, 237–264. Plessner 1950 / 2003 H. Plessner, Über das Welt-Umweltverhältnis des Menschen. In: Plessner 2003 VIII, 77–87. Plessner 1961 / 2003 H. Plessner, Elemente menschlichen Verhaltens. In: Plessner 2003 VIII, 218–234. Plessner 1967 / 2003 H. Plessner, Zur Hermeneutik nichtsprachlichen Ausdrucks. In: Plessner 2003 VII, 459–477. Plessner 2003 H. Plessner, Gesammelte Schriften Band I–X. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003. Sloterdijlk 2012 P. Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2012. Widlok 1999 Th. Widlok, Living on Mangetti. Oxford: Oxford University Press 1999. Widlok 2008 Th. Widlok, Vergessene technische und soziale Erfindungen. In: P. Seele (Hrsg.), Philosophie des Neuen. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2008, 150–165. Woodburn 1968 J. Woodburn, An Introduction to Hadza Ecology. In: R. Lee / I. deVore (Hrsg.), Man the Hunter. New York: de Gruyter 1968, 49–55.

Paul Roscoe

Ethnographic Gifts: Some Cautions on the Use of Ethnographic Analogies from Contemporary Cultural Anthropology

Introduction This volume pursues an important theme: how Euro-American images of the Other – the stranger, the foreigner – have (mis)shaped, and been (mis)shaped in, academic and public discourse. The hope is that by bringing multidisciplinary attention to bear on the issue, we can sharpen archaeological consciousness of taken-for-granted, western assumptions that the discipline may be importing into its interpretation of people who inhabited other times, and ultimately produce better understandings of the small-scale societies in which they lived. For some three decades, cultural anthropology has been consumed with very similar issues: the wellsprings of the western image of the Other; how it gets constructed and reproduced; and how we might expose or destabilize the assumptions that support it in both academic and public discourse.These concerns have been set within a broader anthropological frame that the archaeologists Harris and Robb (2012) refer to as the ontological critique, and that others have called the ontological turn and ontological anthropology. Ontology can be defined in several ways, but in this context it commonly means a “fundamental set of understandings about how the world is: what kinds of beings, processes, and qualities could potentially exist

and how these relate to each other” (ibid. 668). The ontological critique asserts that the ontology to which a people subscribes is reality; the ontologies that motivate the Other are therefore as ‘real’ as our own, the implication being that there are multiple realities or multiple worlds. As Harris and Rob phrase the critique in reference to the anthropology of the body: “some people [e. g., the Huron] inhabit a reality in which humans can transform into animals, and others [e. g., Euro-American populations] inhabit a reality in which this is impossible; there is no cross-cultural absolute bottom line on whether humans can turn into reindeer or not that is grounded in the inherent ‘nature’ of the body” (Harris / Robb 2012, 668). These issues pose even greater epistemological challenges to archaeology than they do to anthropology, and it is therefore odd that the implications have provoked rather less epistemological angst in archaeology than they have in cultural anthropology. It is a daunting enough task for cultural anthropologists to try and grasp, mediate, and translate the worldviews and behavioral repertoires of contemporary Others, but at least they can talk to these Others. Archaeologists have the far harder task of trying to penetrate worldviews and activities that are not only foreign in space but also distant in time, using nothing more than the

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Paul Roscoe

material vestiges of those bygone lives.Yet, the post-processual approach – the nearest archaeological equivalent of the ontological critique in anthropology – has had a modest impact at best on the discipline. If it is true that the less one knows about a subject, the more one can pronounce with confidence upon it, then perhaps archaeology’s nonchalance in the face of these difficulties can be attributed to the very fact that they are so difficult.With so little hard evidence to challenge its assumptions about the Other, it is all too easy in archaeology to project Euro-American worldviews onto the past without noticing it. My own areal quarter of cultural anthropology, Melanesian studies, has been particularly influential in shaping the ontological critique. In this chapter, therefore, I use the Melanesian case to sketch the elements of the ontological critique, its aims, and what lessons archaeology might draw from it about how to conceptualize the Other. When I embarked on this project, I did not imagine that archaeology would have paid much attention to what is, after all, a rather rarified cultural anthropological subject. I was surprised to discover, therefore, that the critique has actually made some modest inroads into the archaeological literature, particularly in its Melanesian guise. What I had thought would be quite unconnected to archaeological interests turned out to be a subject of existing interest after all! As shall become clear, my assessment of the ontological critique’s value to archaeology is severely conflicted. On the one hand, the argument provides things that can be good to think with – a set of tools useful for exposing the Euro-American assumptions we may unwittingly project onto the Other, and for reflecting upon how radically different Other ontologies could be (though not necessarily are). On the other hand, its idealist philosophical perspective – in actuality, often obscured – dovetails poorly with the realism to which

most archaeologists subscribe, and a review of the uses archaeology has made of it reveals its dangers. Too often, archaeologists have interpreted the ontological critique in realist rather than idealist terms. As a result, the critique’s ethnographic analysis of the Other is mistakenly read as a source of radical ethnographic analogy to explain the past.1 It would be easy for archaeologists with ‘realist’ inclinations to dismiss the ontological critique as a post-modern quagmire, and I have some sympathy with this attitude. Nevertheless, recent ‘realist’ anthropological research into cross-cultural psychology suggests that its claims about Euro-American and Other ontologies are not without substance. I conclude, though, that archaeologists will likely find this ‘realist,’ empirically-based research more useful than the ontological critique in bringing to light the cultural freight that, as members of market-oriented nation-states, we unwittingly bring to the task of comprehending the Other.

Cultural Anthropology and the Other The Other – the fascinating, exotic, unfamiliar, and threatening Stranger – has furnished cultural anthropology’s bread and butter from the beginning. The early Intellectualists (Tylor and Frazer) got things off on what is now universally recognized as the wrong foot by unreflexively portraying the Other as a primitive version of the ‘civilized’ (Victorian) Self. The cultural relativist response was not long in coming. Fortified against ethnocentrism by his early fieldwork in the Arctic, Boas (1887, 589) averred that, “civilization is not something

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Fowler 2004, 15–19; Gosden / Marshall 1999; Harris / Robb 2012; Knapp / van Dommelen 2008; Meskell 1999; Thomas 2002; though see Jones 2005, 195.

Ethnographic Gifts

absolute but ... is relative, and ... our ideas and conceptions are true only so far as our civilization goes.” “Judgements are based on experience, and experience is interpreted by each individual in terms of his own enculturation,” Herskovits (1948, 63) noted, a comment that applied to the Intellectualists and anthropologists in general as much as it did any other community. Others and their cultures were not the lower rungs on some ladder to civilization. Rather, each was a manifestation of humanity’s cultural potential, to be understood in its own terms and values, not those of the ‘Civilized’ Self. Thus emerged a central pre-occupation of English-speaking anthropology into the 1970s: how best to represent or ‘translate’ the Other’s terms and values with accuracy and fidelity into our own. And then, an interesting thing happened. ‘Thick description’ of the cultural categories and concepts of the Other became the reflexive interrogation of our own. Cultural relativism generates two problematics: How to represent the Other in our own terms; and how to escape our own, unconscious, biasing, cultural bonds. Having spent much of the 20th Century occupied with the former problematic, cultural anthropology – especially in the US – now shifted towards the latter. The promise of anthropology, Marcus and Fischer opined in 1986, is “to serve as a form of cultural critique for ourselves. In using portraits of other cultural patterns to reflect self-critically on our own ways, anthropology disrupts common sense and makes us reexamine our taken-forgranted assumptions” (1986, 1). Other ontologies – other ways of viewing the world, of valuing the material and non-material, of stipulating what is moral, amoral, and immoral – are valuable vehicles for identifying and undermining what the Western Self takes for granted. In some current guises, though, the ontological turn subscribes to an even more radical proposition. The very idea of deploying other

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ways of seeing the world to destabilize our own stems, in this program, from a modernist ontology that implicitly assumes the existence of ‘minds’ and of a ‘world’ in which these minds exist and about which they can have ‘ideas’.Within such an ontology, it makes sense to suppose that representations of a commonly experienced world can be compared and used to destabilize taken-for-granted components of one another. But what if some group of people does not subscribe to such an ontology? Emerging with particular force in Amerindian anthropology (Holbraad 2012;Viveiros de Castro 1998; 2004; see also Pederson 2011), this version of the ontological critique claims that, in fact, some social groups entertain ontologies with quite different perspectives about what we call ‘humans’ and the ‘world’. If this is the case, then it casts into question whether different ontologies are simply different representations of “the world”; rather, each ontology is its own world. We live not in a common world that humans represent differently; we simply live in multiple different worlds. Thus, in a Euro-American world, the ritual snuff consumed by some indigenous Amazonians is a hallucinogen that acts on their minds to make them think they can see and deploy the powers of spirit animals and plants. In an Amazonian world, however, this snuff reveals the actual existence of these spirits. Because our ontology dictates the existence of ‘minds’ that can reflect upon, interact with, and be acted upon by a world of ‘objects’, we reflexively assume that ritual snuff – an object in the world – is responsible for creating an illusion of spirits in the human mind. We fail to recognize that the world we Euro-Americans ‘see’ is a function of what our ontology conceptualizes as our ‘minds’, and we therefore find it difficult to comprehend that animal and plant spirits can exist in other worlds. This volume essentially redirects these concerns from cultural heterogeneity in the present towards the cultural diversity of the past.

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The explanatory categories of social-science in general and of archaeology in particular are the product of a distinctive social world, that of the western (capitalist) nation-state. In itself, this claim is unobjectionable, but the ontological critique asserts that we have failed to recognize just how profoundly our modernist, nation-stateness has shaped our categories and concepts. As a result, we fail utterly to recognize just how profoundly ontologies of Others separated from us in time differ from our own.

Melanesian Anthropology and its Gifts For an example of this new ontological approach, we may consider some of the foundational texts that emerged from Melanesian anthropology, my own field of ethnographic expertise. Marilyn Strathern’s Gender of the Gift (1988) is the locus classicus, but one can look to the work of Roy Wagner (1981; 1986) and Brown (1979; 1980) for earlier influences; and to many of Strathern’s other publications2 and to Alred Gell (1998) and Harrison (1993) for analyses in a similar vein. Like so many texts in ontological anthropology, The Gender of the Gift is famously difficult to comprehend. Gell (1999), whose exegesis of The Gender of the Gift is the best I have encountered (though see also Fowler 2004), referred to it as “an infernally difficult book to read,” and he claims to have spent an entire summer struggling to understand it. Acknowledging that any attempt to summarize Strathern’s view is therefore fraught, the project with which she and others were engaged seems to go something like this. A world of capitalist commodity exchange, the world to which anthropology and the social sciences are heir, produces – indeed

2

e. g., Strathern 1985; 1992; 1993; 1999.

requires – a particular ontology, a distinctive view of the world. To begin with, it demands a conception that ‘individuals’ and ‘things’ are separable entities such that an ‘individual’ can ‘own’ ‘things’ such as resources, products, the means of production. It requires also that these ‘owned’ things be detachable from the ‘individual,’ that they be separate and separable from their ‘owner’ in order to be transacted – freely bought and sold in sale, barter, trade, whatever. The ontological critique draws two particularly important conclusions from these assertions. First, the ontology of a capitalist political economy, where people own and transact things, must necessarily be realist. That is to say, people view the world as consisting of perceptible things (e. g., commodities) about which they can and do have representations, ideas (fig. 1). Now, those of us who are ‘scientifically-minded’ might respond, “But surely, this is self-evident?” There are things in the Universe, we can perceive them, and obviously we have ideas about them. The critique’s response is, no. Scientific rationality is a product of the capitalist economy that requires it. A second consequence of a market economy, the argument goes, is that persons are seen as bounded, unitary agents, the authors of their own actions. They ‘own’ their own mind, labour, body, etc., just as they also ‘own’ (or are responsible for) their behavior. As a result, persons are seen as ‘naturally’ autonomous (freewilled), self-interested, and as a result competitive / aggressive. Assuming the agent to be this ‘naturally’ asocial being, inclined to pursue unbridled self-interest at the expense of others, the capitalist ontology assumes that, left to exercise their ‘natural’ propensities, humans would exist in a Hobbesian state of ‘Warre.’ Violence and war, in other words, are primordial ‘givens’ that humans must constantly and chronically struggle to transcend. So, it follows in this ontology, humans have a basic need for regulation – an ideology that, for members of

Ethnographic Gifts

THE WEST

MELANESIA

MIND (ideas, notions, symbols, etc.)

THE REAL WORLD (people, pigs, shells, yams, etc.)

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MIND (relational code/system)

THE REAL WORLD (people, pigs, shells, yams, etc.)

REALIST ONTOLOGY

IDEALIST ONTOLOGY

Fig. 1: Western Realist and Melanesian Idealist Ontologies.

a nation-state, legitimates state control and its suppression of violence. Given the autonomous and aggressive ‘nature’ of humans, in sum, a market ontology takes society to be a ‘natural’ state of affairs. It assumes a priori that, to exist, humans require social systems that impose control on their members. The problem that a capitalist, market ontology poses for a social science like anthropology is that these culture-bound concepts filter unnoticed into our analyses of our own and other cultures. They seem such obvious and ‘natural’ dimensions of being human that we never even think to think about them let alone interrogate them. Some ontological critics claim, for instance, that because of our cultural blinders, western social scientists have largely taken the emergence and theoretical status of sociopolitical groups for granted, failing to interrogate them as the important social constructs they are. The broader failing, they argue, is that despite their most conscientious efforts, western ethnographers end up reproducing their own culture even as they think they are representing the Other’s. Of course, if it turned out that other cultures also subscribed to a realist ontology – to notions of the agent as the author of his or her actions, autonomous, separated from others, self-interested, competitive / aggressive, and so

on – this would be less of a problem. As noted already, however, proponents of the ontological critique take the position that this may not be the case, and The Gender of the Gift is one of several attempts to elucidate and undergird this claim. The Melanesian political economy, the argument goes, is a gift economy (or, as it is sometimes called, a human economy), and just as a capitalist economy predisposes one suite of categories and concepts, a gift economy produces another. In Melanesia, entities are not commodities to be transacted or otherwise operated on, as in the West. Rather, they are gifts that objectify enchainment and relationship in an idealist ontology (fig. 1). In this ontology, things in themselves (objects, humans) do not have meaning; rather, things are conceptualized as brought into being by their relations with other entities. These relations, in turn, are objectified as gifts (be they pigs, yams, other items of food, labour, protection, and blood, or something as simple as greetings, kind words, and helpful gestures). Neither Strathern nor other proponents of the ontological critique explain in any detail what they means by a relation or a relational system (which one might consider a significant oversight), but Gell provides two useful examples. The first concerns numbers. The number 5 is meaningless in itself; it has meaning

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only by virtue of its relations to other numbers (e. g., it is larger than 4, less than 6). The reader may be tempted to say: “Yes, but 5 gets its meaning in relation to 4 not just because it is greater but because it is greater by a precise amount, 1.” But, the response is, 1 (and by implication other numbers) has meaning only in relation to other numbers such as 0.To see this, imagine the world of a computer and the machine code on which it is based. The essence of machine code is a binary opposition. This opposition can be expressed as 0 / 1, but the crucial point is that it can be expressed as any oppositional relation: on / off (as is commonly the case in our computers), up- / downspin (in quantum computing), male / female (in a human world). 1 does not have meaning in itself; instead, it derives its meaning from an oppositional relation (here, 1 and not-1). In the social world, the concept-pair of mother / son furnishes a second example. The term and status, mother, has no meaning – could not exist – in a world without the equivalent term and status, son (or daughter, child). Mother has meaning only in relation to child. A physical woman, in herself, is not a mother (there is no necessary reason why she should have a child), nor even is one who has given birth (one can be a mother by adoption); rather, a mother “only attains that identity by virtue of a relationship she has with her child” (Gell 1999, 25). Strathern contends that the Melanesian social world is visualized in these relational terms, as a code or ‘aesthetic’ that connects (and thereby creates) ‘mothers’ and ‘children,’ ‘brothers’ and ‘sisters,’ and so on. Relationships, though, are not perceptible – visible. They can only be apprehended, therefore, via entities in the sensible world that reveal their presence; in other words, they have to be objectified. In Melanesia, Strathern asserts, all relations are objectified in exchange relations – gifts of food, pigs, shell valuables, and so on (Gell 1999, 36–38). Amongst the Yangoru Boiken

with whom I lived, for instance, a mother’s brother should periodically confer food on a sister’s son and help him with his labours; conversely a sister’s-son should provide wealth to a mother’s brother whenever the latter is in need of it. The interesting thing about these gift flows is that the Yangoru Boiken could apply them to almost anyone, regardless of what we would see as their biological relationship. I encountered a pair of biological brothers, for instance, who treated one another as actual brothers in only a few contexts. In other contexts, brother A presented himself as mother’s brother to brother B; and in yet other contexts, brother B became mother’s brother to brother A! The flow of gifts in these different contexts announced what relationship was (temporally) in existence. In this case, as in any Yangoru kinship relation, moreover, if the flow of gifts and assistance were to cease, it would announce a relationship in crisis. All well and good (depending on your perspective). What particularly caught anthropological attention, however, was that, in Strathern’s scheme, persons as well as gifts can be objectifications of the relations that connect them to others. A child, for instance, is (among other things) a sign vehicle of the relation between its father and mother. At this point, the argument starts to get rather complicated (see Gell 1999, 46–51), but Strathern’s essential point is that people see themselves and others as signs or objectifications of the relations that produced them.Thus, a male is not an individual but a ‘dividual’, not the unitary being that we in the industrialized world envisage but a partible entity, one that can be divided up into parts. What is more, this process is fractal: parts can themselves be divided into parts, objectifying relationships that produced relationships. What we take to be an individual is for Melanesians a vehicle not just for the male-female relationship that brought him or her into existence, but also for the grandparental malefemale relationship that produced the mother

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in this relationship as well as the grandparental male-female relationship that produced the father, the great-grandparental male-female relationship that produced the mother’s father in the grandparental male-female relationship, and so on. It follows from this fractal system that the individual is not only partible but also androgynous, because he or she objectifies both the male and female persons who brought ‘him’ or ‘her’ into existence. In Strathern’s scheme, Melanesian ceremony and ritual constitute a kind of ‘technology’ that draws these variously gendered social relations out of the androgynous person, the particular relations extracted being dependent on the context – marriage, initiation, and so on – and what the ritual is attempting to realize. Some rituals might bring out a female gender in what we would see as a female body; but others may bring out a male gender in what we would take as a female body, and vice-versa. Melanesians can be male in some ceremonial contexts, female in others, and androgynous at yet other times. Although it was seldom picked up in the archaeological literature, a ‘relational’ ontology – assuming such a thing exists – would have fundamental implications for the structure and organization of small-scale social systems. In these systems, the individual would be seen not as the ‘naturally’ asocial being he or she is taken to be in the West, but as ‘naturally’ sociable. The essential attributes of the person would not be autonomy, independence and aggressiveness, but relatedness and dependency on others, a combination that induces peaceability and connectedness, not aggression and hostility, towards others. Elaborating this idea for lowland New Guinea, Harrison (1993; cf. Roscoe 1996) has argued that the people of the Middle Sepik do not see themselves as ‘natural-born killers.’ Rather, they must learn to kill, and this is one of the prime aims of their male initia-

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tions. Where we see violence as a breakdown in social relations that must be repaired, they see it as something entirely different, as social action that serves intrinsic interests such as communication and that may be enjoined as one of a whole range of forms of interaction. In addition, Harrison continues, Middle Sepik people do not take a basic human need for regulation as axiomatic. In contrast to the West, therefore, they do not see a need for social control as self-evident; rather, they take social relatedness to others as ‘natural.’ Nor do they take the existence of sociopolitical groups such as clans and villages as ‘givens’; instead, they view them as deeply problematic, exiguous, and contingent formations that must be purposively created and maintained by human action (see also Strathern 1985). Although archaeologists were largely indifferent to the ontological critique’s claims about small-scale social organization, they showed rather more interest in what it had to say about objects, artifacts, and gifts – some of the more prominent archaeological signatures for inferring social relationships – and their relations to persons. In Strathern’s findings that objects, gifts and persons are objectifying vehicles in the small-scale societies of Melanesia, that gifts are part of an apparatus in which partibility is brought out and concealed again in ceremonial activity, quite a few archeologists discovered a lens through which they might glimpse a radically different, prehistoric Other. In his heroic effort to expand archaeological visions of prehistoric personhood, for instance, Fowler (2004) took Strathern’s work as his ethnographic keystone. While allowing that the precise mechanics of her model might be specific to Melanesia, he concluded that it was more likely than not that some kind of partible rather than indivisible conception of personhood characterized prehistoric lives (2004, 85–86). In their archaeological review of the cultural biography of objects – the different ways in which humans apprehend the

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relationship between persons and things – Gosden and Marshall (1999, 173) used Strathern’s analysis as an illustration of the starkly different ways in which objects can become invested with meanings that seem foreign to Western sensibilities. “While Westerners understand objects to exist in and of themselves, Melanesians see objects as the detached parts of people circulating through the social body in complex ways” (1999, 173). Thomas (2002, 34), drawing on Strathern for ethnographic authority, insists that it is a Western conceit to theorize the individual and society as analytically divisible when, in reality, both are inseparable. And so on.3 It is testimony to Strathern’s allusive (and elusive) style that some archaeologists have managed to deploy her ‘ethnographic cases’ in support of theoretical viewpoints that are actually opposed (Knapp / van Dommelen 2008, 20). Theoretical differences notwithstanding, though, archaeologists (and many anthropologists) assume that Strathern has uncovered an ethnographic reality – i. e., an actual Melanesian world in which ‘dividuals’ subscribe to a relational ontology. Since she speaks so authoritatively about how Mt Hagen people and other highlanders think and behave, this inference might seem reflexively obvious.Yet, I am compelled to ask: does Strathern’s partible, androgynous Melanesian Other actually exist? I raise this issue because I have had more than two years’ of interaction with a range of interlocuteurs in one small part of Melanesia, yet I have found it a chronic challenge to recognize Strathern’s version of Melanesian ontology in what I learned about their lives. Certainly, her analysis can seem to make sense of what Melanesians say and do. Consider, for instance, her claim that Melanesians see the

3

For other archaeological references to Strathern’s analysis, see, e. g., Chapman 2000; Meskell 1999, 33; Meskell / Joyce 2003, 17–18; Rowlands 1993.

person as essentially androgynous, with this androgyny periodically ‘opened’ in ceremonial activity – i. e., exposed as temporarily male or female – before being ‘closed’ up to become once again androgynous. Strathern seems to be drawing here on a widespread Melanesian trope that casts males as females (and, to a lesser extent, females as males) in ceremonial activity. Among the Yangoru Boiken, for example, I found the ceremonial exchange of pigs and other commodities to be shot through with representations of males as females. A man’s pig-exchange partner, for instance, can be spoken of as a wife. This, I was told, is partly because to confer gifts on an equal is to ‘screw’ (i. e., have intercourse with) them. Partly, it is because the gifts conferred (pigs, yams, and soup) are like the food that a wife stereotypically provides her husband. And partly, it is because the exchange partner, like the wife, is one’s partner; exchange partners depend on one another’s actions for their prestige as do a husband and wife (Roscoe 1995). Thus, in pig-exchange ceremonies, receivers – those who are being ‘screwed’ – place bright red hibiscus flowers or particular ferns in their hair because they conjure images of the vagina and say, “I’m like a woman; they’re ‘screwing’ me here!”. If an exchange partner is delinquent in reciprocating gifts of pigs, yams, and soup, one might reproach him in anger: “I’ve screwed you, and screwed you, and screwed you. You must be heavily pregnant by now; better go off and give birth to this child!” Indeed, in seeming to acknowledge this androgyny, the Yangoru Boiken go beyond ceremonial occasions. They have, for instance, two kinship terminologies, deployed in both reference and address. The first is a unilineal, Omaha type, and it is used in formal or public settings, including (though not limited to) ceremonial occasions. The second, which is used in informal contexts, as for instance when relatives are chatting around the fire at night, extends nuclear kin terms bilaterally but with

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a twist. The mother’s brothers and mother’s brother’s sons are called ‘mother,’ while the father’s sister and father’s sister’s children are called ‘father.’ Strathern’s theory of Melanesian androgyny, of a bi-gendered being temporarily opened into its male and female parts before being closed up again, offers a seductive frame within which to interpret the dizzying gender kaleidoscope I encountered in Yangoru. But the analysis only works if we deny to the Yangoru Boiken a metaphorical intent that they make all too explicit. A primary clue is their laughter when they use this transgendered imagery. They do not mean it seriously; it is intended, rather, as a clever pun. “It’s pretend (ina kalik) talk; it’s not true (yerekai) talk,” one man said when I queried the matter explicitly.“No, no!” said another in agreement. “It’s just talk from the mouth, talk…. No! It’s like this: I don’t [actually] screw him [the exchange partner]. It’s just talk; we say, ‘You are like a woman’” (emphasis added). A Strathernian analyst might argue that these metaphors take the form they do precisely because they stem from the relational Melanesian ontology she has identified. In other words, men choose to metaphorize themselves as women – as opposed to, say, animals, spirits, plants, astronomical bodies, or whatever – because their metaphors are structured by a Strathernian ontology. Perhaps so. But, in Yangoru at least, people could (and voluntarily did) relate these gendered images to a wider semiotic context in which intercourse and gifts of pigs were spears being thrown; exchange partners were enemies and donated pigs were their ‘killed’ bodies; and so on.There was, in other words, a semiotic system in place that had little to do with the relational ontology imagined in Strathern’s Melanesia. It is difficult to know whether I am alone in finding the Melanesians I lived with to have an ontology that overlapped considerably with my own ‘realist’ one. Quite possibly, I simply

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lacked the ethnographic perspicacity required to detect a radically different Other among the Yangoru Boiken. Perhaps, I unreflexively imposed a Euro-American ontology onto everything they told me, with the perverse result that I ended up mistakenly discovering myself in them. Several considerations, though, lead me to question Strathern’s relational representation of Melanesian ontology. To begin with, it may be telling that the theoretical impact of Strathern’s analytical frame appears to be in inverse proportion to the empirical utility ethnographers have found in it. Although her arguments have had an enormous influence on theoretical debates in Melanesian and general anthropology, few Melanesianists4 and even fewer ethnographers in other parts of the world (though see, e. g., Mosko 1992) seem to have discovered and found useful her notions of ‘dividuals’ or androgynous persons. Gell might as well have been describing how Strathern’s work has been deployed in anthropology as how poorly understood it is, when he observed: “Her writings are conducive to scholarly abuse, that is, citation for effect rather than sense, and the picking out of little snippets of ideas from here and there, without any real reference to the structure of the argument from which these snippets are drawn” (Gell 1999, 29). Perhaps Melanesianists and others find her scheme difficult to apply because, as one highlands’ ethnographer commented to me, the people among whom they worked seem too much like ‘little Hobbesians’? Recently, for instance, Gillison (2013) has questioned the veracity of Strathern’s arguments in scathing terms, a critique with particular force since Gillison’s ethnography of the Gimi was instrumental in Strathern’s efforts to extend

4

Though see, e. g., Foster 1990, 432; Hess 2009, 51–52; Mosko 2010.

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her analysis from Mt Hagen to highland New Guinea generally. “The ‘dividual’ does not correspond to social reality among the Gimi,” Gillison states. “Strathern’s ‘dividual’ is a travesty of life in New Guinea, now or in the past, and represents exactly the kind of projection of Western stereotype and ‘orientalist’ fantasy it is supposed to replace.The ‘dividual’s’ outlandish success gives rise to the need … to question the state of anthropology” (Gillison 2013, 118). Gillison finds Strathern guilty of replacing “old-style ethnocentrism” with a “careless narcissism” (2013, 119). Referring to elements of Gimi myth, ritual and exchange that Strathern drew on to formulate her concept of the ‘dividual,’ Gillison concludes that Strathern “mistook a virulently anti-female [Gimi] ideology – including a fantasy in which men may subsume or incorporate certain aspects of female anatomy – for benign accommodation between the sexes” (Gillison 2013, 118; for a critique of the Amerindian version of the ontological turn, see Bessire / Bond 2014). As withering as Gillison’s critique is, I fear she may be making the same mistake as many other anthropologists and most archaeologists. They have taken Strathern’s work to be much like any other ethnographic monograph, albeit one couched in a particularly dense form. They have read it as a representation of how Melanesians really view the world: “Melanesians conceptualize themselves and their relationships as X,Y, Z…”, and this is what earlier anthropologists would have recognized had they not been blinded by the cultural freight of a capitalist state. Certainly, this is the impression that Strathern leaves us with in much of her writing. But that oeuvre – as Gell noted – can be so ambiguous that it is difficult to be sure, and it contains some confounding claims. In her introduction, in fact, Strathern implies that her analysis is not a representation of Melanesian thought and behavior but rather an attempt to represent what Melanesians think about their thought and behavior:

“We do not, of course, have to imagine that these ideas [the idealist Melanesian system she proposes] exist as a set of ground rules or a kind of template for everything that Melanesians do or say. Rather, as in the manner in which Westerners may think about the relationship between individual and society, they occur at moments when Melanesians dwell on the reasons or causes for actions. They are the (cultural) form that their thoughts take – tantamount to a theory of social action” (Strathern 1988, 15–16, emphasis added). So her scheme, then, is what a Melanesian proto-social-scientist might think about his or her world, when provoked to do so – which is not necessarily what guides actual Melanesian thought and behavior as people go about their daily lives. But even this, it seems, is not her intent. In her conclusion, she seems to present yet another goal: “I have not authored [in this book] ‘a perspective’ on Melanesian society and culture; I have hoped to show the difference that perspective makes … I have not presented Melanesian ideas but an analysis from the point of view of Western anthropological and feminist preoccupations of what Melanesian ideas might look like if they were to appear in the form of those pre-occupations. … I have tried to expand the metaphorical possibilities of our own language of analysis.” (Strathern 1988, 309, emphasis added). In his (largely sympathetic) attempt to explicate The Gender of the Gift, Gell drew attention to the abstracted level on which Strathern’s analysis seemed to lie, referring to it as system M, where ‘M’ could stand for Melanesia or Marilyn (i. e., Strathern).

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“It is important to underline the fact that [in Strathern’s work] ‘Melanesia’ stands for an intellectual project rather than a geographic entity because the methodological usefulness of Strathern’s interpretative technique is not restricted to (geographic) Melanesia, as opposed to Africa, America, Asia or anywhere else … Perhaps the best way to think about Strathern’s Melanesia, especially for those who feel rather resistant to postmodernist relativism on other grounds, is to think of Melanesia as the anthropological equivalent of Abbot’s Flatland: that is, the setting for a sustained thought experiment.” (Gell 1999, 24, emphasis added). In other words, it would be a grave mistake to suppose that Strathern is describing Melanesian ethnography, what is in Melanesian minds and its relation to what motivates their behavior. Rather, The Gender of the Gift describes something that is in her own mind, the pre-occupations of a British Melanesianist and feminist anthropologist. It is for this reason that I think Strathern’s work is a dark and treacherous landscape for those archaeologists who have tried to explore it. Most have taken it as a source of ethnographic analogies for the thought and behavior of the Other when it is nothing of the sort. Until this landscape is better illuminated, therefore, they would be wise to exercise extreme caution towards notions of androgynous dividuals, partible persons, and their implications for gifts and gift-giving as a source of ethnographic analogy. A critical perspective on the ontological turn would seem, by extension, to be equally prudent.

Conclusion In a recent article on the relationship between cultural anthropology and archaeology, Brian

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Schiffer contends that, “if archaeology is to realize its full potential as the science of behavioral change … then a trial separation from cultural-anthropological theories is overdue” (2011, 28). Citing a shift in contemporary cultural anthropology towards “varieties of vulgar idealism” (ibid. 22), Schiffer maintains that the cumulative contributions of the discipline to explaining behavioral diversity and change are “too minuscule to measure.” (ibid. 23). “In the end, few cultural anthropologists are interested in artifacts, the natural environment, or long-term behavioral change, and fewer still care to craft scientific generalizations. So why should archaeologists adopt their theories du jour, research questions, and constructs, which are tailored to short-term – essentially synchronic – mentalist phenomena?” (ibid. 23). Although a social-cultural anthropologist myself, I find it difficult not to sympathize with Schiffer’s exasperation even as I find it overstated. More than a ‘few’ cultural anthropologists – including some behavioral ecologists, evolutionary ecologists, economic anthropologists, and environmental anthropologists – find only limited use for vulgar idealism, and there is still considerable concern in these quarters with topics relevant to archaeology. But Schiffer is right that mainstream cultural anthropology, at least, has shifted towards interests that are rather narrowly focused on the culturally particular and the historically contingent, to the virtual exclusion of generalization; and on idealist explanations, almost to the exclusion of behavior, material phenomena, and their recursive influences on the contents of ideological systems. The conclusions I draw in this chapter, moreover, rather confirm Schiffer’s dismal assessment of the value of cultural anthropology’s ‘theories du jour.’ Quite a number of

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archaeologists have attended to the ontological critique, but as I have tried to demonstrate they should be wary, at least, of Strathern’s influential version of the critique. Having said this, I do not want to leave the impression that the ontological critique has nothing at all to offer archaeology. In drawing attention to the fact that social science is the product of a specific social milieu – the capitalist nation-state – and that social scientists bring a particular suite of western categories and conceptions to bear on the representation of the Other, the critique does raise the important question that this Ringvorlesung volume targets. What can we do to transcend our Western cultural freight in the struggle to comprehend a long-ago Other? It may well be a stretch too far to oppose the Other to the Self in the stark terms that the ontological critique deploys. To claim that the Other has no conception of the individual as a unitary entity or of agency, that the Other views ‘things’ purely as gifts, never as commodities, and that the Other understands sociality in idealist and relational rather than realist and regulatory terms is without any sound empirical warrant. But to pose these oppositions, at the very least, should sensitize archaeologists, as much as anthropologists, to the frames we unwittingly place around our portraits of the Other. If we are to understand lifeways of the past, Fowler quite properly notes, “it is necessary first to interrogate some of our commonsense understandings of what it means to be a person, loosen their grip on our imaginations, and then illuminate some other conceptions of personhood. The reward of this approach is a far richer picture of what past people were like” (2004, 1). If they do nothing else, ontological critics alert us to just how naïve, how profoundly ethnocentric we may have been – and still perhaps are – in trying to imagine the Other across time and space. As these critics assert, it is also indisputable that our cultural background as members of

a nation-state, participants in a capitalist, market system, profoundly shapes our views of humanity – and, if we are not scrupulously careful, of the Other. An industrial nationstate could not function, for instance, without a reflexively accepted notion of time as something that can be partitioned, quantified, and coordinated. In industrialized minds, time becomes a monetizable commodity (“Time is money”), a means of precisely coordinating and regulating action (“Let’s meet at noon”; “School starts at 9 am prompt”), and a mode of disciplining a life (“Once you have finished with school, you will serve two years of National Service. After that, you will be free to seek employment. Once you reach 65 years of age, you can retire.”) The Other, suffice it to say, likely has different notions of time. He or she may share our notion that time flows in a linear fashion from the past through the present and into the future (though even this has been questioned). But if they are members of a small-scale society, dependent on cultivation or pastoralism for their subsistence, it is unlikely that they will have our commoditized view of time, a difference with significant implications for how they conceptualize and live out the cycles of their days and lives. It is less clear whether we should accept contentions that the Other subscribes to a relational ontology that has the effect, as Gillison notes, of erasing “affect, agency, identity and other essential features of human beings” (2013, 118). It is not just that these portrayals are empirically suspect, as I have argued for the Melanesian case. It is also that they tend “to dichotomize the gap between Westerners and non-Westerners in terms of opposed, heuristic ideal types” (Harris / Robb 2012, 668; see also Bessire / Bond 2014, 442–445). In consequence, they leave no room for human similarities, for anything that all humans share, such as the capacity to formulate interests, to experience moods and emotions, or to see the material world in roughly similar ways. In the

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ontological critique, there is only cultural difference, nothing more. Thus, the analysis goes, we in the West think X,Y, Z; but non-Western societies think not-X, not-Y, not-Z. We in the West see the individual as unitary, for instance; Melanesians therefore see the individual as not-unitary, as partible. The possibility that non-Western people might think partly-X and partly-not-X, Y to some degree but not wholly, etc., goes unconsidered. In fairness, this binary structure to the ontological critique could be the unintended consequence of a mode of argumentation. In focusing for critical purposes on the contrasts between western and small-scale cultures, proponents may have inadvertently created an impression that they see these differences as categorical and mutually exclusive. Inadvertent or not, however, the idea that cultures are categorically unlike one another resonates with a marked shift in cultural anthropology over the least three decades towards a focus on cultural difference, coupled with a declining interest in cultural commonalities and a rising hostility to cross-cultural comparison and its assumption that cultures (and Others) can be similar in some respects and different in others (Brown 1991; Roscoe 2006). Archaeology, by and large, seems more disposed to view humans and their cultures as both sharing similarities and manifesting cultural differences. From this perspective, we are likely to recognize ourselves in the Other even as we concede that there is much about the Other we must struggle to comprehend. So, for example, we and the Other may conceptualize time in very different ways, but it is problematic to suppose that our conceptions are completely incompatible. In practical contexts, the Yangoru Boiken seemed to regard time much as I did, as a linear flow from a past into a present towards a future. It is difficult for me to imagine, in fact, how such a large fraction of our communications and interaction could otherwise have been so unproblematic. On the

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other hand, even after 50 years of interaction with Westerners, it was abundantly clear that they had neither a concept of nor any interest in commoditizing time. Palecˇek and Risjord (2012) argue that the ontological turn in anthropology is useful to philosophers because it firms up Donald Davidson’s (1984; 2001) antirepresentationalist philosophy in a way that navigates between “the untenable alternatives of a severe scientific realism on one side and a skepticism, constructivism, or antirealism on the other” (ibid. 20). For our purposes, the utility of the ontological turn can perhaps be summarized as a couple of claims that should be uncontroversial to anyone with a passing familiarity with the philosophy and sociology of science. First, different people and different groups of people inhabit different worlds in the sense that they have different ontologies, sometimes profoundly different ontologies. Second, no one of these people and groups can claim that their ontology is somehow privileged over others, that it is the one True Ontology (Palecˇek / Risjord 2012, 18). How could we ever be sure that our ontology is True, after all, unless we already knew ahead of time what the Truth is? This latter claim may seem provocative to the more scientistic amongst us, but really, all it calls for is humility rather than pretense in our archaeological and anthropological claims and a much greater sensitivity than is currently apparent in Euro-american social science to just how very different other ontologies may be from our own. If archaeologists are willing to accept these stipulations, then they might be better served in imagining the Other by looking not to ontological anthropology but to recent work in cognitive anthropology. I am thinking in particular, of anthropologist Joseph Henrich and his psychology colleagues (2010) and their survey of WEIRD people. WEIRD people are members of Western, Educated, Industrialized, Rich and Democratic societies.

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Drawing on a wide range of experimental studies conducted in many types of society across the globe, Henrich and his colleagues provided an array of data that showed marked differences in the way WEIRD people and those in other societies perceive the world, their place in it, and themselves. Of particular note, their survey revealed marked differences in norms, conceptions of the Self, and perceptions of the world between members of industrialized and small-scale societies; between Westerners and non-Westerners, such as Asians; between Americans and other Westerners; and within the United States, between highly educated Americans and everybody else. Henrich and his colleagues were concerned about the problem these results posed for psychology. More than any other social science, psychology is dominated by American research; and much of that research has been conducted on the psychology of American college students. Yet “members of WEIRD societies are among the least representative populations one could find for generalizing about humans. Overall … we need to be less cavalier in addressing questions of human nature, on the basis of data drawn from this particularly thin and rather unusual slice of humanity.” (Henrich / Heine / Norenzayan 2010, 61, emphasis in original). We need not be psychologists, though, to recognize that these findings have fundamental implications for any discipline that pretends to make comparative claims about global cultures. The problem exists in archaeology as well, where the aspiration is to represent the world and its temporal development. Like psychologists, though, we do so in a distinctively WEIRD way. Too often, we picture the Other as a Western Self, and we analyze the actions of that Self in terms of quantifiable, primarily material entities, discrete events, and distinct temporal sequences. In trying to envision the Other, therefore, archaeologists, anthropologists, and other academics need to recognize

that, like psychologists, they may be among the least well equipped humans on earth to do this. We are obliged to recognize and tackle this problem. In in so doing, I suggest that Henrich et al.’s empirically grounded findings provide a more secure starting-point than analogies derived from ‘ethnographies’ influenced by the ontological critique. In particular, we should attend to two of the major findings in Henrich et al.’s survey. The first is that, contra the binary structure erected by ontological critics to sever Western from small-scale societies, an array of psychological traits appear to be common to humans. To put this another way, the Other is not so foreign as the ontological critique would have us believe. Henrich et al. also found systematic psychological differences between WEIRD and small-scale societies, though, and these are especially relevant to archaeological efforts to imagine the Other. Research on optical illusions, for example, reveals that people in smallscale societies actually perceive some aspects of the world more faithfully than do those in WEIRD societies. Notions of fairness appear to be more developed in market-economy societies than in other types of community. WEIRD children raised in an urban environment follow a different sequence in developing folkbiological classifications than their counterparts in small-scale societies. WEIRD subjects also appear to use a means of envisioning themselves in space that is different from that deployed in small-scale societies. Other evidence suggests differences in time-discounting rates between WEIRD and other societies. Surprisingly, however, the most striking difference between WEIRD and small-scale societies had some similarities to that asserted in the ontological critique. Members of WEIRD societies are more likely than those in smallscale societies to view the world in terms of separate entities rather than relationships, and to interpret the world in terms of categories and laws

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rather than patterns and contexts. The same holds true to a degree also among more complex communities. Deploying a range of data, Markus and Kitayama (1991) found that Asian cultures view individuals as fundamentally related to each other, and they value attending to others, fitting in, and harmonious interdependence with them. American individuals, by contrast, seek to maintain their independence from others, emphasizing the self and expressing their unique inner attributes. These different orientations appear to have significant effects on a variety of emotions, cognitions, and motivations. It is perhaps the ultimate irony, therefore, that what archaeologists have mistakenly taken for ethnographic analogy in Strathern’s work is not entirely misplaced. If Schiffer is our guide, however, archaeology is likely to feel more comfortable accepting the empirically validated picture of the Western Self and Melanesian Other that anthropologists like Henrich provide than the interpretative ‘theory du jour’ that cultural anthropology has to offer.

Acknowledgements I deeply appreciate comments on this paper and / or discussions with: Ulrike Claas, Terry Hays, Tobias Kienlin, and Hans-Peter Wotzka. None of these individuals, however, are in any way responsible for the errors and idiocies that I have surely perpetrated. Bibliography Bessire / Bond 2014 L. Bessire / D. Bond, Ontological Anthropology and the Deferral of Critique. American Ethnologist 41, 2014, 440–456. Boas 1887 F. Boas, Museums of Ethnology and their Classification. Science, 9, 1887, 587–589.

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Alexandra Karentzos

Antikenideal und Alterität. „Echtes Antikisieren“ als künstlerisches Programm des 19. Jahrhunderts

Die historistische Kunst des 19. Jahrhunderts kann im Zusammenhang der damaligen Bemühungen gesehen werden, die Nation kulturell zu profilieren. Den „kulturell legitimierte(n) Nationalstaat“ des 19. Jahrhunderts beschreibt etwa Bazon Brock (1997, 14–15) als „ein Postulat jenseits aller historischer Wahrheit“, als „eine Vorstellungskraft besetzende Fiktion, eine kontrafaktische Behauptung“; die Durchsetzung dieser Fiktion sei mit „Kulturkämpfen“ einhergegangen. Der Begriff „Nation“ habe eine „politische Manifestation von ethnischer, rassischer, religiöser, eben kultureller Identität“ bezeichnet (ebd.). Im Folgenden soll auf künstlerische Konzepte fokussiert werden, die im 19. Jahrhundert zu diesem Projekt der Konstruktion kultureller Identität beigetragen haben. Am Beispiel des Historismus in München und Wien wird deutlich, dass der Rückbezug auf die griechische Antike dazu dient, eine eigene kulturelle Identität zu beanspruchen, zu stiften und zu definieren. Dabei verschränken sich zeitliche und räumliche Kategorien, wie zu zeigen sein wird.1 Figuren wie Athena dienen in diesem Kontext dazu, den Ursprung der Kultur zu verkörpern, und üben dadurch eine Repräsentationsfunktion für moderne Staaten aus, wie ich im ersten Teil meines Beitrages vor Augen führen möchte. Die Stadt München zum Bei-

spiel wird im 19. Jahrhundert zu „Isar-Athen“ stilisiert (vgl. zu solchen Athen-Bezügen allgemeiner Lehmbruch 2008). Glyptothek und Antikensammlung stellen nicht nur die antike Kunst aus, sondern machen sie sich auch zu eigen, indem sie selbst Tempelgestalt annehmen (Abb. 1). Ähnlich lässt sich der Parlamentsbau in Wien einordnen (Abb. 2). Er erfüllt eine vergleichbare Repräsentationsfunktion im Rückgriff auf den Mythos. Durch den Rekurs auf die Antike wird das Staatswesen verklärt – die Moderne, in der eine Repräsentation des Gesamtsystems problematisch geworden ist, scheint mit den Anleihen bei der Antike eine solche Repräsentation nachzubilden. In derartigen Konstruktionen personifiziert Athena das griechische „Mutterland“2, das ‚Eigene‘, die Identität des kulturellen Selbst (freilich nur im Sinne einer Projektion – ist das Programm des Historismus doch nicht darauf angelegt, die Antike zu wiederholen, sondern sie als Referenzpunkt angesichts

1

Die folgenden Ausführungen setzen einige Überlegungen aus meinem Buch Kunstgöttinnen (Karentzos 2005) fort. 2 Dies ist ein nicht nur im 19. Jahrhundert gängiger Begriff für das griechische Festland, vgl. dazu z. B. Baumgarten et al. (1913, 67).

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Abb. 1: Leo von Klenze: Propyläen und Königsplatz, Ansicht von Westen 1848. Öl auf Leinwand, 87,5 × 130,2 cm (Münchner Stadtmuseum; nach R. Baumstark 1999, 596).

genuin moderner Repräsentationsprobleme zu nutzen, vgl. Karentzos 2005, insbes. 11–14; 20–24). Dieses ‚Eigene‘ wird indessen durch den Ausschluss des ‚Anderen‘ konstituiert: sei es etwa, dass jenes ‚Andere‘ als ‚barbarisch‘, ‚unkultiviert‘, ‚primitiv‘, ‚wild‘, ‚animalisch‘ verstanden wird. Die Differenz zwischen dem ‚Eigenen‘ und ‚Anderen‘ ist dynamisch: Das ‚Andere‘ erscheint bedrohlich und abstoßend, zugleich aber auch anlockend, verlockend, Wünsche und Begierden auf sich ziehend. Illustrieren möchte ich diesen Gesichtspunkt im zweiten Teil meines Beitrags insbesondere am Beispiel der Figur Kleopatra: Kleopatra, einerseits als Weiße dargestellt und dem Geschlecht der Ptolemäer in der Nachfolge Alexanders des Großen zugeordnet, steht insofern in einer hellenischen Tradition, andererseits aber ist Kleopatra in Ägypten als orien-

talisch-anderem Ort situiert, wodurch in der Kunst des 19. Jahrhunderts häufig exotistische Imaginationen bedient werden. Diese Ambivalenz des ‚Anderen‘ führt dazu, dass Konstruktionen des ‚Eigenen‘ dynamisiert werden. An diesem Beispiel zeigt sich exemplarisch, wie Europa sich selbst beschreibt und eine eigene Identität ausbildet.

Antikenideal und Nation Damit komme ich zu meinem ersten Punkt, dem Rekurs auf die griechische Antike. Leo von Klenze (1784–1864), Architekt des Ensembles der Propyläen und der Glyptothek am Königsplatz in München, setzt programmatisch das Ziel, anstatt zu kopieren, „durch ächtes Antikisiren ... einen ... zeitgemäß neuen Baustyl“ (Klenze 2000, 94) zu schaffen.

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Abb. 2: Theophil Hansen: Parlament Wien (Ringstraßenfront) 1871–1883. Minervabrunnen von Karl Kundmann, ca. 1878 (Marmor, Bronze, Gold) (nach Kalmár / Lehne 1999, 79).

Diese Formulierung mag zunächst paradox erscheinen: Wie kann im Antikisieren etwas Zeitgemäßes liegen? Und inwiefern kann es „echt“ genannt werden, wenn das Antikisieren nachahmend und nachträglich geschieht? Das „echte Antikisieren“, das zeitgemäß sein soll, bedeutet nicht Wiederholung, sondern Neu-Setzung unter modernen Bedingungen. Durch die Adaption griechischer Architektur in Bayern sollte eine Art neuer deutscher Nationalstil entstehen (Nerdinger 1999, 190). Als eine Art ‚Keimzelle der europäischen Zivilisation‘ erfüllt Griechenland repräsentative Aufgaben in der Selbstdarstellung moderner Staaten. Auch im ‚Isar-Athen‘ soll ein philosophisches und kulturelles Zentrum entstehen. Die Propyläen führen in München dementsprechend zu den ‚Tempeln‘ der Moderne: zur Glyptothek und zur Antikensammlung, die die antike Kultur beherbergen.

Ironisch wird diese Tendenz von den Zeitgenossen rezipiert: „Man ist dermaßen griechisch in München, daß man in Athen notgedrungen bayerisch sein muss ...“.3 Athen, das bis ins 19. Jahrhundert hinein zum Osmanischen Reich zählt, ist von 1832 an tatsächlich ‚bayerisch‘ und wird – vom bayerischen König Otto regiert – zur „Ottonopolis“ (Papageorgiou-Vanetas 1999).4 Als Hauptstadt des

3

Gérard de Nerval 1839 nach einem München-Aufenthalt (zitiert nach: Wünsche 1999, 16). 4 1832 wird Otto, Sohn Ludwigs I., zum König von Griechenland durch die griechische Nationalversammlung unter Mitwirkung der europäischen Großmächte ernannt. 1833 kommt er in Nauplia an, und bis zur seiner Volljährigkeit 1835 übernimmt ein vierköpfiger Regentschaftsrat die Regierung. Von 1835 an ist er alleiniger Regent. Nach Abzug des bayerischen Schutzkorps 1843 wird er durch einen Militärputsch

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Abb. 3: Leo von Klenze: Ideale Ansicht der Stadt Athen mit der Akropolis und dem Areopag (mit Athena Promachos) 1846. Öl auf Leinwand, 102,8 × 147,7 cm (München, Neue Pinakothek; nach Baumstark 1999, 532).

‚Neuen Hellas‘ soll Athen zu einem klassizistischen Ort werden, in dem die Antike wiederauferstehen soll. Dass es Klenze nicht um eine bloße Rekonstruktion, sondern um eine idealisierende Konstruktion geht, wird deutlich in seiner Idealen Ansicht der Stadt Athen mit der Akropolis und dem Areopag (mit Athena Promachos) von 1846 (Abb. 3). Dieses Gemälde kann als Programmbild des klassizistischen Historismus gesehen werden, das ganz in der von

gezwungen, eine Landesverfassung zu erlassen und eine Nationalversammlung in Athen einzuberufen. Er kehrt 1862 nach einer Militärrevolte ohne förmliche Abdankung nach Bayern zurück. Vgl. dazu: Stichwort: Otto I., König von Griechenland, Personenregister, auf der CD-ROM zum Ausstellungs-Katalog Klenze 2000.

Schinkel in seinem Gemälde Blick in Griechenlands Blüte entworfenen Tradition steht. Antike Architektur, die in Klenzes Vision gemäß den damals aktuellen Funden als polychrome dargestellt wird, verbindet sich hier mit christlicher Religion: Im Vordergrund der Szenerie ist die Predigt von Paulus an die Athener dargestellt. Damit erinnert das Gemälde an die „Christianisierung der antiken Welt“, wie Adrian von Buttlar betont: „Die Botschaft für den zeitgenössischen Betrachter lautete, dass die angeblich heidnische Architektur der Antike für eine moderne Renaissance im christlichen Abendland prädestiniert sei“ (von Buttlar 1999, 532). Zusammenfassend kann man im Hinblick auf Klenzes Programm von einer doppelten Idealisierung sprechen, indem er Athen ide-

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alisiert und dieses idealisierte Bild der antiken Stadt wiederum auf München überträgt. Klenze war überdies maßgeblich an der klassizistischen Umgestaltung Athens im Rahmen der Thronbesteigung Ottos I. beteiligt, der als bayerischer Prinz erster König des neuen Griechenland wurde, und entwarf das städtebauliche Konzept. Mit Klenzes Ansatz ist der von Theophil Hansen5 vergleichbar, der in Athen griechische und hellenistische Baukunst studierte und dort auch für zahlreiche Bauten verantwortlich war. Seine Ideen übertrug er dann auf Wien (Wagner-Rieger / Reissberger 1980; Papageorgiou-Venetas 2007). Während Klenze also das Stadtbild Münchens geprägt hat, gilt dies für Theophil Hansen in Bezug auf Wien. Hansens opus magnum, der Parlamentsbau, der zwischen 1874 und 1883 errichtet wurde, lässt sich ebenfalls einem Programm der Antikisierung zuordnen. Der Eingang des Parlaments verweist durch den Giebel und die korinthischen Säulen auf antike Tempelarchitektur. Auf dem Vorplatz findet sich ein monumentaler Minervabrunnen, der von Carl Kundmann nach einem Entwurf Hansens 1902 fertiggestellt worden ist und der das Parlament nahezu wie einen „Tempelbezirk“ der Göttin erscheinen lässt (Kalmár / Lehne 1999, 79). Die monumentale Athena steht auf einer Komposit-Säule, und unter ihr liegen die Personifikationen der größten Flüsse Österreich-Ungarns. Der Brunnen steht genau in der Mittelachse des Parlamentsbaus von Theophil Hansen. Die Stadtgöttin Athens, der Polis, die seit der Französischen Revolution als Wiege der Demokratie gilt,6

5

Hansen studierte bereits 1838 Klenzes Bauten in München, bevor er nach Athen reiste. Sein Bruder, Hans Christian Hansen, war zudem Hofarchitekt König Ottos I. von Griechenland. 6 Die Göttin der Demokratie, mit den Insignien der Athena, wurde bereits während der französischen Revolution bei Festen gefeiert (vgl. Karentzos 2005, bes. 149–156).

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beschirmt nun das Bürgertum Wiens. Hegel beschreibt Athenas umfassende Bedeutung folgendermaßen: Athena „ist die Stadt selbst in ihrer Gesamtheit und die Göttin als der Geist dieser Gesamtheit“ (Hegel 1837/1955, 122). Das Staatswesen wird durch den Antikenbezug idealisiert.

Philhellenismus und Orientalismus Den Identitäts- und Kulturvorstellungen des Europäischen, die in solchen Konzepten konstruiert werden, stehen im 19. Jahrhundert Visualisierungen des ‚Anderen‘ entgegen, die insbesondere vom Orientalismus im Sinne Edward Saids geprägt sind. Dies liegt unter anderem in den griechischen Unabhängigkeitskämpfen gegen das Osmanische Reich begründet und in den im Philhellenismus gepflegten ‚Freund‘-‚Feind‘Schemata. Um diesen Zusammenhang kurz vor Augen zu führen, lässt sich exemplarisch Eugène Delacroix’ Griechenland auf den Ruinen von Missolonghi aus dem Jahr 1827 heranziehen, auf dem die Niederlage Griechenlands gegenüber den Osmanen dargestellt ist (Abb. 4). Die Personifikation Griechenlands kniet auf den Trümmern der Stadt, unter denen die Toten liegen, im Hintergrund ist der ‚Feind‘ durch einen schwarzen Turbanträger repräsentiert. In dem Bild verbinden sich die Exotismen der Orientmalerei mit der Darstellung des europäischen ‚Eigenen‘, hier durch den oranten Gestus der Christin markiert. Entscheidend ist für meine folgenden Überlegungen, dass das orientalische ‚Andere‘ im 19. Jahrhundert nicht nur als bedrohliches Feindbild kursiert, sondern darüber hinaus auch eine eigene Faszinationskraft ausübt. Die Ambivalenz des Orientalischen, das zwischen dem Grauenerregenden und dem Lustvollen changiert, zeigt sich besonders deutlich an Delacroix’ Gemälde Der Tod des Sardanapal, für das der Philhellene Lord Byron mit seinem

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Abb. 4: Eugène Delacroix: Das sterbende Griechenland auf den Ruinen von Missolonghi 1827. Öl auf Leinwand, 213 × 142 cm (Musée des Beaux-Arts, Bordeaux; nach Katalog Delacroix 1987, 39).

Theaterstück Sardanapalus die Vorlage lieferte, auf ein durch Herodot überliefertes Narrativ zurückgreifend (Abb. 5). Das Bild situiert das Geschehen in einer mythischen Vorzeit und verstärkt mit der Darstellung des assyrischen Herrschers, der seinen ganzen Besitz zerstören und seine Frauen umbringen lässt, das Sinnlich-Erotisch-Sadistische des Orientkonstrukts. Hier wird das scheinbar natürliche Recht des orientalischen Mannes über den Körper der Frau thematisiert. Der Farbklang mit den Gold-, Braun- und Rottönen wird im 19. Jahrhundert oft in der Malerei übernommen und prägt das Stereotyp vom sinnlichschwülen Orient.

Provokativ ist Delacroix’ Darstellung nicht zuletzt dadurch, dass Sardanapal hier gelassen und emotionslos, distanziert wie ein Dandy, das Geschehen verfolgt, wenn nicht gar ignoriert. Es entsteht ein Phantasieraum der Begierde und des Sadismus, der Tyrannei. Sexuelle Inbesitznahme und Mord werden als Verheißung absoluten Genusses inszeniert (absolut im wörtlichen Sinne: ein Genuss, der losgelöst ist von Moral). Die Ausschweifung wird durch die pastose Malweise hervorgehoben, der Künstler nimmt gleichsam am Gemetzel teil. Die Kunsthistorikerin Linda Nochlin beschreibt in ihrer einschlägigen Studie The Imaginary Orient die europäische Orientmalerei des 19. Jahrhunderts als Teil eines Machtdiskurses, in dem sich die koloniale Dominanz über den als homogen imaginierten Orient manifestiert (Nochlin 1987). Mit einem solchen Verständnis des Orientalismus schließt sie dezidiert an Edward Saids 1978 erschienenes grundlegendes Werk Orientalism an, der allerdings seinerseits nicht auf die bildende Kunst eingeht (vgl. Said 1978 / 2003). Nochlin erweitert Saids Untersuchungsfeld, indem sie herausarbeitet, welche Funktion Kunstwerken im Zusammenhang des Orientalismus zukommt, etwa indem Bilder die orientalische Gesellschaft als mythisch und zeitenthoben vorstellen. Nochlin problematisiert anhand von Delacroix’ Tod des Sardanapal auch die geschlechtlich codierten Herrschaftsverhältnisse, die durch solche Bildfindungen in den ‚Orient‘ projiziert werden (vgl. auch Lewis 1996). In den weiteren Kontext des Orientalismus gehören auch die Kleopatra-Darstellungen des 19. Jahrhunderts, allerdings mit der Besonderheit, dass Kleopatra nicht nur als Andere markiert ist, sondern zugleich auch Europa zugeordnet ist. Im Kontext der Antikisierungen besetzt sie beide Seiten der Differenz, von Eigenem und Fremdem, ist sie doch als ägyptische Pharaonin dem Orient zugeordnet, steht aber zugleich als Ptolemäerin in der Nach-

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Abb. 5: Eugène Delacroix: Der Tod des Sardanapal 1827–1828. Öl auf Leinwand, 395 × 495 cm (Musée du Louvre, Paris; nach Katalog Delacroix 1987, 39).

folge Alexander des Großen, so dass sie einer hellenischen Tradition verpflichtet ist. Wie dieses Spannungsverhältnis der Figur in der Kunst visualisiert wird, möchte ich an zwei Kleopatra-Gemälden von Hans Makart exemplarisch zeigen. Makart inszeniert den Tod der Kleopatra (Abb. 6) in der Tradition von Delacroix’ Bild Der Tod des Sardanapal. Vor allem die malerisch-koloristische Atmosphäre des Kleopatra-Gemäldes greift das in Delacroix’ Bild entworfene Stereotyp vom sinnlich-schwülen Orient auf. In den Bildern vom Tod der Kleopatra zeigt sich die erotische Komponente vor allem auch durch die Inszenierung der nackten Königin mit der Schlange an ihrer Brust. Sie

ist situiert in einem opulenten orientalisierten Ambiente mit Tigerfellen und purpurroten und goldenen Stoffen – diese textile Üppigkeit imaginiert einen Harems-Innenraum, wie ihn ähnlich auch Delacroix inszeniert. Dabei liegt Kleopatra aber wie eine Renaissance-Venus auf ihrem Lager, so dass hier die ikonographischen Muster verschmelzen: Auf der ikonographischen Ebene wird mithin deutlich, dass Kleopatra als Orientalin und zugleich als griechische Göttin gilt. Tizians Venus mit dem Orgelspieler etwa diente Makart später auch als Vorbild für ein Lünettenbild der Venus Tizians im Kunsthistorischen Museum in Wien (Abb. 7).

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Abb. 6: Hans Makart: Tod der Kleopatra 1875. Öl auf Leinwand, 191 × 255 cm (Staatliche Museen Kassel; nach Katalog Makart 2000, 121).

Kleopatra in Makarts Bild ist wie Delacroix’ Sardanapal auf einem Bett drapiert. Auf dem Boden neben der ‚verderblichen‘ Kleopatra in Makarts Darstellung liegt – auch dem Orientbild Delacroix’ ähnlich – eine tote Sklavin: Die dunkle Haut und die Blauarabesken auf dem Arm und der Brust markieren den Status der Dienerin. In Europa wird die Tätowierung zur Stigmatisierung der Ausgeschlossenen verwendet, der Straffälligen oder der Seefahrer etwa (vgl. Meyer-Drawe 2002). Es liegt auf der gleichen Linie, wenn Adolf Loos (1908 / 1962) in seinem Aufsatz Ornament und Verbrechen die Tätowierung und das Ornament den „Degenerierten“ und Häftlingen zuordnet und im selben Aufsatz das Ornament als Merkmal des Wilden und der Frauen beschreibt. So erklärt

sich, dass auch Sklavinnen auf diese Weise gekennzeichnet werden müssen, um die Differenz zur Königin deutlich zu machen. Kleopatras besonders weiße Haut leuchtet hervor und wird durch den dunkel gehaltenen Hintergrund und die dunkelhäutigen Sklavinnen betont. Ihre „Leichenblässe“7 thematisiert zum einen die Schwelle zwischen Leben und Tod, zum anderen betont sie aber auch die Hautfarbe. Der Körper wird über die Diskursmuster der Fremdheit produziert: Die Hautfarbe

7

Siehe dazu Steinhauser (1973, 168). Vgl. auch Vincenti (1876 / 2000, 120): „Es liegt ein todesberauschender Zauber in diesem Bilde“.

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Abb. 7: Hans Makart: Tizian 1882–84. Öl auf Leinwand, ca. 178 × 356 cm (Lünettenbild im Treppenhaus des Kunsthistorischen Museums, Wien; nach Kriller / Kugler 1991, 243).

ist primäres Merkmal, nach dem ethnische Differenz bestimmt wird – die Semantik der Inkarnate prägt ein „koloristisches Bedeutungssystem“ (Schmidt-Linsenhoff 2001). Der Opposition von schwarz-weiß kommt damit zentrale Wirksamkeit zu. In dem Monumentalgemälde8 Die Nilfahrt der Kleopatra aus dem Jahr 1875 wird die nackte weiße Haut zweier Frauen mit der schwarzen Haut der Männer kontrastiert, so dass erstere besonders hervorleuchtet (Abb. 8). Die Hautfarbe fungiert als visuelle Kategorie der Andersheit (Benthien 1999, 174). Claudia Benthien beschreibt am Beispiel Johann Gottfried Herders, dass die ‚weiße‘ Haut wie in der Drucktechnik oder Malerei als eine Art farbneutrale Leinwand oder unbeschriebenes Blatt – als tabula

rasa –, die dunkle Haut als ihr Pendant verstanden wird: „Die ‚farbige‘ Haut wird somit, im Gegensatz zur hellen, als markierte interpretiert; sie wird zu einer von der neutralen Norm abweichenden“ (ebd.). Die weiße Haut wird demnach als unmarkierte Instanz und universale Norm gesetzt, indem die dunkle Haut als Alterität definiert wird. Dadurch wird die Vorstellung einer ‚natürlichen‘ Differenz hervorgebracht. Die in Makarts Bild dargestellten männlichen Körper bedürfen einer solchen Markierung der Andersheit, sowie auch die Sklavinnen. Letztere sind dunkelhäutig, während Kleopatra als Königin weiß ist.9 Durch die Hautfarben wird eine Hierarchisierung ins Bild gesetzt.

9 8

Das Bild misst 189,5 cm × 506 cm (Frodl 1974, Kat.-Nr. 251).

Lucy Hughes-Hallett beschreibt in ihrem Buch über Kleopatra deren Entwicklung zur „Fremden“ (Hughes-Hallett 1990, bes. 252–280).

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Abb. 8: Hans Makart: Die Nilfahrt der Kleopatra 1874/75. Öl auf Leinwand, 189,5 × 506 cm (Staatsgalerie Stuttgart; nach Husslein-Arco / Klee 2011, 44).

Die Alterität Ägyptens gegenüber Europa geht bei Makart einher mit der Darstellung von Weiblichkeit und Sinnlichkeit: Erotik und Exotik fallen zusammen.10 In dem Bild Die Nilfahrt der Kleopatra zeigt sich die Pharaonin auf einem blumengeschmückten Boot in prächtigen Kleidern und mit großem Halsschmuck, dessen Anhänger ihr zwischen den entblößten Brüsten hängt und den Blick geradezu darauf lenkt. Entsprechend dem Vergleich, den Shakespeare in Antonius und Kleopatra zieht, erscheint Kleopatra „farbenstrahlender als jene Venus, / Wo die Natur der Malerei erliegt“.11 So sitzt sie in Makarts Bild auf dem Boot wie eine liegende Venus,12 so dass der kleine Junge

10 Dabei ist es von geringer Bedeutung, ob es sich um Frauen aus Nordafrika oder Japan handelt. Makart stellt etwa eine Japanerin dar, die ein Gewand trägt, das die Brüste unbedeckt lässt, vgl. Die Japanerin aus dem Jahr 1875 (Frodl 1974, Kat.-Nr. 254). 11 Shakespeare 1623 / 1979, 116, 2. Aufzug 2. Szene. Dass Kleopatra auf einem Boot auf dem Nil fährt, wird im 19. Jahrhundert ein gängiger Topos. So beginnt Théophile Gautiers Erzählung Eine Nacht der Kleopatra mit einer ausführlichen Beschreibung der Barke (Gautier 1839 / 1990, 7 ff.). 12 Ikonographisch lässt sich diese Parallele bis hin zur Venus in der Muschel in der Casa II 3, 1.2.3, der so genannten Casa della Venere in Conchiglia in Pompeji

im vorderen Bereich der Barke wie ein Erosknabe erscheint.13 Im gleichen Zug werden die Sklaven und Sklavinnen im Wasser zu Tritonen und Nereiden, die die Begleiter und Begleiterinnen der Aphrodite bei ihrer Meergeburt sind.14 Kleopatra changiert damit zwischen der mythischen, verführerisch schönen Frau, verkörpert durch Venus, und der absoluten ‚historisch belegten‘ femme fatale. Bei Hans Makart avanciert Ägypten zu einem Konstrukt historistischer Imaginationen. Diese Darstellungen bedürfen keiner Verifikation am Ort, da sie eine U-topie, einen Nicht-Ort, zeigen. Indem als Vorlage ein Theaterstück dient, das bereits genannte Antonius und Kleopatra von Shakespeare, referiert das Bild von vornherein auf künstlerische Fiktion

zurückführen, ein Typus, der in zahlreichen Darstellungen der römischen Antike zu finden ist. Eine Analogisierung von Kleopatra und Venus findet sich bereits in der Antike (Hamer 1993, 111 ff.). 13 Bei Shakespeare heißt es: „Zu beiden Seiten ihr holdselge Knaben, / Mit Wangengrübchen, wie Cupid lächelnd, / Mit bunten Fächern ...“. Shakespeare 1623 / 1979, 2. Aufzug 2. Szene, 116. Makart hält sich sehr eng an die Textvorlage. 14 In Shakespeares Text werden sie als „Nereiden, Meerweiber“ beschrieben. Shakespeare 1623 / 1979, 2. Aufzug 2. Szene, 116.

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Abb. 9: Hans Makarts Künstlerwerkstatt in Wien, Gußhausstraße 25. 1870, Holzstich von V. Katzler nach Photographie von J. Löwy (akg-images).

stärker denn auf Realgeschichte. Entsprechend stand für Makarts theatralisch-pompös-dekadentes Bild der Kleopatra die Wiener Schauspielerin Charlotte Wolter Modell. Der Orient ist damit bei Makart per se ein artifizielles Konstrukt. Das Exotische wird zum Kunstraum. In seiner Abweichung vom Alltag fasziniert das Fremde. Das Atelier Makarts ist ein Spiegel dessen: Palmen, orientalische Teppiche, Leopardenfelle, Ottomanen bilden neben altitalienischen Truhen, chinesischen Gongs, Straußeneiern, altdeutschen Türen und vielen anderen Objekten ein historistisches Ensemble, in das sich seine Bilder perfekt einfügen (Abb. 9). Das Atelier wird auf diese Weise zum Mikrokosmos des Fremden und Vergangenen,15 in dessen Zentrum die Gemälde Kleopatras stehen. Am Beispiel von Makarts Kleopatra-Darstellungen wird deutlich, wie der Exotismus zum Programm gemacht wird, indem die Kunst sich auf das Ferne, ‚Fremde‘, Ausgeschlossene kapriziert. Dabei zeigt sich, dass Kategorien der Andersheit in der Figur der Kleopatra mit den Konstruktionen des Eigenen verschmel-

zen und auf diese Weise in Bewegung geraten. So kann Kleopatra in diesen Imaginationen griechische Göttin und orientalische Königin zugleich sein.

‚Wieder-Erzählungen‘ der Vergangenheit Im ersten Teil meines Beitrags hat sich gezeigt, dass die historistische Kunst zu einem großen Teil darauf angelegt ist, zur Stiftung kultureller Identität den Schein einer homogenen europäischen Tradition als Legitimation der Nationenbildung herzustellen; hingegen wurde im zweiten Teil deutlich, dass solche Konzepte hybrid und brüchig sind.Wie Homi

15

Auch andere Künstler dieser Zeit richten sich exotisch ein. So baut etwa der englische Künstler Frederic Lord Leighton eine arabische Halle an sein Haus in London – ein Raum mit Kuppel, einem Brunnen in der Mitte und maurischen Fliesen an den Wänden (Campbell 1996, 10–16).

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K. Bhabha (1990a, 1–7; 1990b, 291–321) und auch im Anschluss daran Said betonen, stützen sich Nationen immer auf Narrative, mit denen sie sich über Kultur und Tradition begründen: „nations ... are narrations“, so Said (1993, XIII). Die Antike ist auf solche Weise in die Narrationen europäischer Nationen eingeschrieben und in Strategien kultureller Identifikation eingebunden. Dergestalt produzieren solche Erzählungen, solche ‚Wieder-Erzählungen‘ der Vergangenheit (vgl. Hall 1990 / 1994, 28), zwar symbolische Ordnungen der kulturellen Dominanz, doch erweist sich dabei ‚Kultur‘ als dynamische Kategorie, die immer wieder neu kontextualisiert und konstruiert wird: „Kulturelle Identitäten sind die instabilen Identifikationspunkte oder Nahtstellen, die innerhalb der Diskurse über Geschichte und Kultur gebildet werden. Kein Wesen, sondern eine Positionierung“ (Hall 1990 / 1994, 30; Hervorhebung im Original). Bibliographie Baumgarten et al. 1913 F. Baumgarten / F. Poland / R. Wagner, Die hellenische Kultur. Leipzig, Berlin: B. G. Teubner 31913. Baumstark 1999 R. Baumstark (Hrsg.), Das neue Hellas. Griechen und Bayern zur Zeit Ludwigs I. Ausstellungskatalog Bayerisches Nationalmuseum München. München: Hirmer 1999. Benthien 1999 C. Benthien, Haut: Literaturgeschichte – Körperbilder – Grenzdiskurse. Reinbek: Rowohlt 1999. Bhabha 1990a H. K. Bhabha, Introduction: narrating the nation. In: H. K. Bhabha (Hrsg.), Nation and Narration. New York: Routledge 1990, 1–7. Bhabha 1990b H. K. Bhabha, DissemiNation: time, narrative and the margins of the modern nation. In: H. K. Bhabha (Hrsg.), Nation and Narration. New York: Routledge 1990, 291–321.

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Beat Schweizer

‚Griechische Archäologie‘. Eine Archäologie des Fremden?

Einleitung Sich dem Thema „‚Griechische Archäologie‘. Eine Archäologie des Fremden?“ anzunähern, setzt zunächst eine Definition dessen voraus, was unter ‚Griechische Archäologie‘ verstanden werden soll. In einer Facheinführung wird Klassische Archäologie definiert als: „speziell die Archäologie des ‚klassischen‘ Altertums: der griechischen, etruskischen und römischen Kultur, einschließlich ihrer kulturellen Vorstufen und Nachwirkungen, ihrer Randgebiete, ihrer Beziehungen zu benachbarten Kulturen sowie die Geschichte ihrer Erforschung bis in die Gegenwart“ (Borbein / Hölscher / Zanker 2000, 8). Dieser Konzeption folgend soll hier ‚Griechische Archäologie‘ als ein Teilbereich einer auf das ‚klassische Altertum‘ ausgerichteten Klassischen Archäologie im Vordergrund stehen, die noch bis in die 1960er Jahre mit einem Geschichtsbild universalen Geltungsanspruchs verbunden war. Aus der Sicht etwa einer ‚nationalen‘ Archäologie im modernen Griechenland, in der Antiken das zentrale symbolische Kapital des Landes (Hamilakis 2007, 51) darstellen, würde eine Stellungnahme anders ausfallen. Deren partikulares Geschichtsbild ist seit dem 19. Jahrhundert durch einen aus dem „Western Hellenism“ hervorgegangenen „Indigenous

Hellenism“ (Hamilakis 2007, 57–123) geprägt, also durch eine Identitätskonstruktion, in der auch die byzantinische Epoche im Raum des modernen Griechenland berücksichtigt wird. Als problematisch wird inzwischen gesehen, wie eine derartige auf Kontinuität zwischen Antike und Gegenwart festgelegte Konzeption – „Grundsätze und Obsessionen des 19. Jahrhunderts“ – mit den Realitäten einer modernen „multikulturellen griechischen Gesellschaft“ in Übereinstimmung gebracht werden kann (Damaskos 2011, 81; 84). Was das Quellenmaterial der Archäologie betrifft, wird in der angeführten Einleitung auch eine Einschränkung vorgenommen, nämlich die auf gegenständlich Vorhandenes, das dann offensichtlich dem visuell Erfassbaren gleichgesetzt wird und nicht nur Texte im traditionellen Sinn ausschließt: „Archäologie ist, in einem allgemeinen Sinn, die Wissenschaft von den gegenständlichen, visuell erfaßbaren Zeugnissen vergangener Gesellschaften. Sie umfaßt sowohl die allgemeine materielle Kultur als auch speziell die verschiedenen Gattungen der ‚Kunst‘, besonders Bild- und Bauwerke“ (Borbein / Hölscher / Zanker 2000, 7). Damit wird einerseits der fachlichen Ausdifferenzierung – ‚Griechische Archäologie‘ etwa gegenüber der Gräzistik und Alten Geschichte – Rechnung getragen, jedoch

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Beat Schweizer

auch ein sektoraler Kulturbegriff (vgl. Gotter 2001, 257–265) vorausgesetzt. Es sind damit bestimmte Präferenzen, Einschränkungen, aber auch Möglichkeiten und Vorteile der Interpretationen und Diskurse vorbestimmt. Denn Vergangenheit liegt nur medial vermittelt vor, sodass die Rekonstruktion oder Konstruktion der Vergangenheit auch den Beschränkungen dieser Medien und den Diskursen um diese Medien unterliegt. Auch wenn andere methodisch und theoretisch umfassendere, auf einem holistischen Kulturbegriff basierende Konzeptionen einer Klassischen Archäologie möglich sind,1 soll die über Dinge, Bild- und Bauwerke eines ‚klassischen‘ Altertums definierte Archäologie hier im Fokus stehen, und zwar in Hinblick auf die Fragen: Wird innerhalb der Klassischen Archäologie nicht das kulturell oder sozial Fremde als das kulturell und sozial Identische konstruiert? Kann ‚Griechische Archäologie‘ eine Archäologie des Fremden sein? Dieser Problemstellung wird für die archäologischen Quellenkategorien der Heiligtümer und der Statuen am Beispiel einzelner Denkmäler nachgegangen und dabei werden Diskurse um Erinnerungsorte und den Zusammenhang von Bildwerken und Geschichte behandelt.2 Darauf aufbauend soll abschließend die Frage nach der Archäologie als einer Wissenschaft des Fremden und auch die des ‚Fremden‘ im Rahmen der ‚Griechischen Archäologie‘ aufgenommen werden.

1

Vgl. z. B. Snodgrass 1987; Altekamp / Hofter / Krumme 2001; Lang 2002; Voutsaki 2008. Oder: „Der be-fundorientierten Archäologie geht es … um die Rekonstruktion von Prozessen und Strukturen, also um etwas, das … zwischen den Dingen liegt“ (Schneider 1985/86, 24). 2 Beispiele wie Diskurse sind in anderen Beiträgen (Schweizer 2009; 2011; 2012; 2014) teils ausführlicher – mit der relevanten Forschungsliteratur – teils in Hinblick auf andere Aspekte schon behandelt worden. Überschneidungen ließen sich nicht vermeiden.

Die Akropolis von Athen „erblickten wir vom Meer aus die Akropolis und den Parthenon. Ich traute kaum meinen Augen; wahre Feerei! … Wie ein Traum, wie berauscht! der Eindruck dieser Trümmerstadt läßt sich nicht beschreiben.“ Die Worte in einem Brief des Geographen Carl Ritter an seine Frau aus dem Jahr 1837 (Kramer 1875, 43–44) beschreiben eine Erfahrung von Monumenten im landschaftlichen Zusammenhang in einer wohl nur in jener Zeit möglichen Intensität. Bezeugt wird die Annäherung des Bildungsbürgers an einen Fixpunkt seiner eigenen kulturellen Welt. Im Fokus stehen konkrete Denkmäler am Ort, angeschlossen wird aber an einen Raum des kulturellen Gedächtnisses mit den zugehörigen Mythen oder Narrativen der historischen Überlieferung. Die Sichtweise wurde seinerzeit von Gebildeten und Experten, also Fachwissenschaftlern geteilt. Im Rahmen einer gerade erst, nach Gründung des griechischen Staates institutionalisierten Archäologie war begonnen worden, diese kulturelle Welt wieder zu gewinnen, zu re-konstruieren. Archäologie war zugleich eine ausgrabende und eine die Monumente wiederherstellende Wissenschaft, von daher eng verbunden mit der Konstruktion eines Weltbilds. Dies zeigt der Vergleich von zeichnerischen Rekonstruktionen der Akropolis aus den 1830er und 1840er Jahren mit einem ‚Programmbild‘ des Klassizismus – ‚Ideale Ansicht der Stadt Athen mit der Akropolis und dem Areopag‘ von Leo von Klenze (Abb. 1). Das Weltbild hat jedoch auch die archäologische Praxis geprägt. Die Akropolis von heute ist ein auf Bauwerke eines einzigen Jahrhunderts – die Propyläen, der Parthenon, das Erechtheion und der Nike-Tempel – purifizierter Ort (Schneider / Höcker 1990, 52). Diesem Bild – „von

‚Griechische Archäologie‘. Eine Archäologie des Fremden?

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b

a c Abb. 1: Die Akropolis von Athen, vom Befund zur Imagination. „Die Propyläen.“ a: (nach dem Titelblatt von: L. Ross / E. Schaubert / Ch. Hansen, Die Akropolis von Athen nach den neuesten Ausgrabungen 1. Der Tempel der Nike Apteros. Berlin 1839). b: (nach der Beilage zu: E. Curtius, Die Akropolis von Athen. Ein Vortrag im wissenschaftlichen Vereine zu Berlin am 10. Februar gehalten. Berlin 1844). c: (nach dem Bild Klenzes in: Schneider / Höcker 1990, Farbtafel 2).

Kultur schlechthin, ‚abendländischer Kultur‘“ (Schneider 1999, 254) – ist der Zustand vom Anfang des 19. Jahrhunderts gegenübergestellt worden (Abb. 2): „farbige Ablagerung einer jahrtausendealten wechselhaften, im übrigen nicht nur griechischen, sondern ebenso byzantinischen, italienischen, slavischen, albanischen, bulgarischen und türkischen Geschichte – einer nicht schmerzfreien Geschichte“ (ebd. 260). Ein Blick auf das Fremde, das Fremdartige ist damit selbstverständlich noch nicht gewonnen, es handelt sich nur um eine andere Form der Identitätskonstruktion. Den einerseits auf eine konsistente, auf die Klassik, andererseits auf das Fragmentarische, Widersprüchliche und Hybride zielenden Konstruktionen scheinen in erster Linie unterschiedliche Konzeptionen von Kultur zugrunde zu liegen.3

3

Vgl. dazu ganz allgemein den Zugriff auf Kulturbegriffe über Gegensatzpaare bei Haller (2005, 28–37).

In der Antike waren die Bauten der Athener Akropolis jedenfalls „Monumente stolzer Selbstdarstellung Athens mit deutlichem Bezug auf Vergangenheit“ (Schneider 1999, 254). Kollektives Gedächtnis stellte sich als Konstruktion aus Bauwerken und Denkmälern dar. Verhandelt wurden darüber Demokratie, Bürgerschaft, Politik, Freiheit, aber auch der Gegensatz von Griechenland und Orient. Daher kann die auf Athen fokussierte griechische und damit frühe europäische Geschichte auch als „Ergebnis der Selbst-Historisierung dieser Stadt“ (T. Hölscher 2010, 130) beschrieben werden. Dass diese Verknüpfung von Griechenland und Europa mit den Monumenten des ‚klassischen‘ Athen ohne eine klassizistische Tradition nicht denkbar ist, zeigt das Buch „Erinnerungsorte der Antike. Die griechische Welt“ (Stein-Hölkeskamp / Hölkeskamp 2010). Den Schutzumschlag ziert ein Ausschnitt aus von Klenzes Programmbild des Klassizismus. Dass diese ‚Rekonstruktion‘, die die Leerstelle eines Bildes des ‚ursprünglichen‘

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a

Abb. 2: Die Akropolis von Athen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (nach: E. Dodwell, Views in Greece. London: 1821. a: View of the Parthenon from the Propylaea; b: Westfront of the Parthenon).

b

Zustands im 5. Jh. v. Chr. quasi authentisch füllt, an dieser Stelle eingesetzt werden kann, belegt die Verwobenheit von monumentalen und metaphorischen Erinnerungsorten unterschiedlicher Zeiten von der Antike über den Klassizismus und die klassische Bildung bis zum Europa-Gedanken.4 Archäologische Stätten sind denn auch kein Quellenmaterial der Archäologie, sondern Medien des kollektiven und kulturellen Gedächtnisses. Von daher führt jedenfalls kein Weg zu der zuletzt in den Einführungen in das Fach klar und deutlich eingeforderten Archäologie des Fremden. Denn: „Uns sind die Griechen des klassischen Altertums ‚fremd‘ geworden.“ Aber

gerade das ermögliche es, „sich der griechischen Kultur aus kritischer Distanz heraus und unter neuem Blickwinkel wieder zu nähern“ (Lang 2002, 10). Es wird „die normative Geltung der griechischen und römischen Kultur als Vorbild und Maßstab für die Gegenwart“

4

Ähnlich Borbein (2011, 56): „Nur noch selten finden wir heute Orte, an denen antike Ruinen und Landschaft, Spuren der Vergangenheit und Leben der Gegenwart als Einheit erlebt werden können – so wie Goethe die römische Campagna auf dem berühmten Gemälde von Johann Heinrich Tischbein aus dem Jahre 1786. Die Landschaft, die seit der Antike weitgehend unverändert dieselbe geblieben war, … “

‚Griechische Archäologie‘. Eine Archäologie des Fremden?

in Frage gestellt. An der Bezeichnung ‚Klassische Archäologie‘ könne nur „im Sinn einer wertneutralen geographischen und chronologischen Definition“ festgehalten werden.5 Gefordert wird für das Fach: „einen Beitrag dazu zu leisten, daß die griechische und römische Kultur im interkulturellen Vergleich ins Verhältnis zu anderen Kulturen gesetzt werden kann“ (Borbein / Hölscher / Zanker 2000, 8). Zu beachten sind dagegen aber auch Formulierungen wie: „Im Spektrum der Weltkulturen stellen das antike Griechenland und das Römische Reich Optionen dar, die Europa und das ‚Abendland‘ in vieler Hinsicht, positiv wie negativ, geprägt haben.“ Und: „Diese Tradition, zu der die archäologische Wissenschaft selbst gehört, kritisch bewußt zu machen und zu erforschen, ist eine besondere Aufgabe der ‚Klassischen‘ Archäologie gerade in Europa“ (ebd.). Bleibt Klassische Archäologie – „gerade in Europa“ – damit nicht an den europäischen Referenzrahmen gebunden, wird ihr so nicht nur eine andere, jetzt nicht mehr affirmative, sondern kritische Stellung im Europadiskurs zugewiesen? In einer Bestandsaufnahme der Altertumswissenschaften am Ende des 20. Jahrhunderts war das noch prononcierter vertreten worden. Gesprochen wurde von einer komparatistischen Sicht in dreifacher Hinsicht, synchron in Hinblick auf antike Kulturen, diachron in Bezug auf die Neuzeit und drittens systematisch komparatistisch „im Rahmen einer imaginären Geschichte der Weltkulturen, die die eurozentrischen Verengungen überwindet. Es müßte eine ‚Hermeneutik der Fremdheit‘ entwickelt werden, die

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die Antike einschließt“ (Hölscher 1995, 202). Aus Sicht der Alten Geschichte wurde als eine Herausforderung formuliert, die „Antike bewußt als das Fremde, das Andere“ zu begreifen, die üblichen fachlichen Routinen hinter sich zu lassen, um Verhaltensweisen und Praktiken zu untersuchen (Gehrke 1995, 177). Die Akropolis des 5. Jhs. v. Chr. war nicht nur ein Ensemble von Bauten klassischer Formgebung, sondern als Ort wichtiger Heiligtümer der Polis Athen auch Zielpunkt der wichtigsten Festprozessionen der Stadt, der Panathenäen – und damit war die Akropolis architektonischer, räumlicher Rahmen zentraler religiöser Riten der Polis, nämlich großer Tieropfer (Bruit Zaidman / Schmitt Pantel 1994, 33–37).6 Im Rahmen soziologisch ausgerichteter Herangehensweisen an antike Religion, im Rahmen einer soziologischen Opfertheorie verbürgt das Opfermahl die Zugehörigkeit des Individuums zur Opfergemeinschaft, also der Polis. Am Ort selbst, auf dem Fries des Parthenon ist diese Prozession repräsentiert (Burkert 1977, 165). Götter und Bürger und auch die Opfertiere sind in klassische Form gebracht. Zwar scheinen die Rinder auf Platten des Nord- und des Südfrieses (Himmelmann 1997, 37 Abb. 22–23; 39 Abb. 24–25) nicht ganz so gelassen und unberührt wie auf attischen Tongefäßen der gleichen Zeit (vgl. Durand / Schnapp 1985, 73–82). Diese zeigen das Neigen des Kopfes (Himmelmann 1997, 18–20), auch beim Trinken, was als Einverständnis des Opfertiers ‚gedeutet‘ wurde (ebd. 45–47; Moraw 2002, 76–77). Dementsprechend gab es Erzählungen darüber, dass das Tier „‚freiwillig‘ zum Opfer schreitet“ (Burkert 1977, 101).7 Aber selbst mit den nach vorne drängenden Kühen am Nord- und Süd-

5

Selbstverständlich kann die Bezeichnung ‚Klassische Archäologie‘ nicht wertneutral sein. Diese beizubehalten, wäre allerdings zu begründen. Versuche dazu liegen vor, etwa bei Snodgrass (1987) oder bei Altekamp, Hofter und Krumme (2001). Die Bezeichnung ‚wertneutral‘ zu verwenden, heißt die Wertungen implizit weiter zu führen.

6

Allgemein zu Prozession und Opfer: Bremmer 1996, 45–51. 7 Knapp zur Diskussion des ‚Schuldbewusstseins‘ als Basis einer Opfertheorie: Bremmer 1996, 48–50.

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fries des Parthenon scheint „Opferwilligkeit“ ausgedrückt (Himmelmann 1997, 37–46). Eine realistischere Vorstellung der Riten auf der Akropolis in klassischer Zeit lässt sich über – aktualistische – Analogien von Festen gewinnen, in denen eine größere Zahl von Tieren geopfert werden. Für Betrachter der ‚westlichen‘ Welt, in denen Schlachtvorgänge mehr oder minder räumlich abgesondert und damit auch verdrängt werden (Himmelmann 1997, 7 mit Anm. 1), ist dies durch das mit Gebeten verbundene Schlachten von Tieren beim Opferfest etwa in Großstädten der islamischen Welt gegeben. Die Tiere streben selbstverständlich nicht dem Opfer entgegen, sondern werden gebunden, zu Boden gedrückt, sind nicht auf der Stelle tot, der Kopf wird abgetrennt und den Tieren die Haut abgezogen, sie werden zerlegt, das Fleisch herausgetrennt und zerkleinert. Dies alles kann auf der Straße stattfinden.8 Derartige mit Opfern von Tieren verbundene Feste erlauben es trotz des anderen Kontextes, sich dem, was die Akropolis des 5. Jhs. v. Chr. ausmachte, auf neue Weise, in Ausrichtung auf das Fremdartige der griechischen Kultur zu nähern. Während der großen Panathenäen wurden einhundert – eine Hekatombe – oder auch weit mehr Rinder mitgeführt und geopfert, das heißt, geschlachtet, den Göttern geweiht, also verbrannt, größtenteils aber auch unter den Bürgern verteilt, geröstet oder gekocht und gegessen (Bruit Zaidman / Schmitt Pantel 1994, 109). Mit Bildern der Prozession, auch des Parthenonfrieses, waren also ganz andere Assoziationen verbunden, als sie Bücher zur Bilderwelt des

8

S. etwa C.Wenger, „Aus Dhaka (Bangladesch) berichtet C.Wenger“: http: // archive-ch.com /page / 342243 / 2012-09-30/http: // www.maz.ch /arbeiten / deza / wenger / bericht.asp. Bilder des Opferfestes lassen sich über eine Internetrecherche leicht auffinden. Sie werden auch politisch – als abschreckende Beispiele einer Gegenwelt – instrumentalisiert.

‚klassischen‘ Griechenland zeigen: „Tieropfer ist Blut vergießen; daß die Altäre blutig werden, ist Charakteristik des Opfervollzugs überhaupt“ (Burkert 1977, 106). Nicht zuletzt gehörten dazu auch Gerüche aller Art, auch die des Feuers (ebd. 109–110). Die Bilder der opferwilligen Tiere aus dem Athen des 5. Jahrhunderts können aus heutiger Sicht als „Bilder, die lügen“ (Moraw 2002) bewertet werden. Aber auch die Opfer nicht nur als blutige, sondern auch als „unappetitliche Angelegenheit“ (ebd. 74) zu bezeichnen, kann den Blick auf die Fremdheit der Riten jedoch wieder verstellen. Es geht nicht nur darum, die „unheimliche“ Seite der „Klassik der Griechen“ (T. Hölscher 1989) oder Gewalt als „die andere Seite der Klassik“ (vgl. Moraw 2002) zu entdecken, sondern das Fremde der „klassizistischen“ Seite. „Die Fremdheit einer Kultur setzt nicht erst in den inhaltlichen Einstellungen zur Gewalt ein, sondern schon in den formalen Strukturen, wie Texte und Bilder über Gewalttätigkeiten berichten“ (Muth 2008, 8). Eine Option der Annäherung ist der strukturalistische Blick auf die Bilderwelt der attischen Gefäße, die „cité des images“ (vgl. Durand / Schnapp 1985).

Die sogenannten Tyrannenmörder Im Myrtenzweige tragen will ich mein Schwert, so wie Harmodios und Aristogeiton, da den Tyrannen sie erschlugen, gleiches Recht den Athenern schufen. Athenaios, Deipnosophistai 15,6959 Das Beispiel der sogenannten Tyrannenmörder soll dazu dienen, anhand eines spezifischen Denkmals des frühklassischen Athen

9

Die Übersetzung hier nach U. und K.Treu: Athenaios von Naukratis, Das Gelehrtenmahl. Sammlung Dieterich 329. Leipzig: Dieterich 1985, 432–433.

‚Griechische Archäologie‘. Eine Archäologie des Fremden?

der üblichen Praxis der Gegenstandserschließung und Gegenstandssicherung in der Klassischen Archäologie nachzugehen und zugleich gesellschaftliche Aktualisierungen und wissenschaftliche Interpretationen materieller Kultur in Bezug auf schriftliche Überlieferung zu verfolgen. Die historische Basis bildet ein Ereignis des Jahres 514 v. Chr.10: Während der Vorbereitung des Panathenäenzugs wurde Hipparchos, einer der Söhne des vormaligen Tyrannen Peisistratos, von Harmodios und Aristogeiton aus dem Adelsgeschlecht der Gephyräer getötet. In Versen eines wohl kurz darauf entstandenen Trinklieds wurde der Anschlag mit der Isonomie, der Gleichheit politischer Rechte, verbunden, ein gegen die Tyrannis gerichteter, politischer Leitgedanke, der dann im späten 5. Jh. v. Chr. auf die Gründung der athenischen Demokratie bezogen wurde. Sowohl in der antiken als auch der modernen historischen Forschung wurde diese Verknüpfung jedoch bezweifelt, dem Attentat also der Ereignischarakter abgesprochen. Harmodios und Aristogeiton, die im Zusammenhang des Attentats beziehungsweise kurz danach ebenfalls umgebracht wurden, begegnen jedoch in Diskursen zu klassischer Plastik. Denn Statuengruppen der heroisierten Attentäter waren auf der Agora von Athen errichtet worden: eine erste des Bildhauers Antenor war 480 v. Chr. von den Persern geraubt und 477 / 76 v. Chr. durch eine Bronzegruppe von Kritios und Nesiotes ersetzt worden. Letztere ist durch römische Marmorkopien überliefert und wird in römischen Quellen als ‚Tyrannentöter‘, wissen-

10 Für die umfangreiche historische und archäologische Literatur zum Ereignis und zur Statuengruppe, zur Rezeption von Ereignis und Gruppe vor allem in Medien des 5. und 4. Jhs. v. Chr. und auch zur Forschungsgeschichte sei hier nur auf Schweizer (2006; 2009) und darüber hinaus auf F. Hölscher (2010) verwiesen.

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Abb. 3: Die Tyrannenmörder von Kritios und Nesiotes, Rekonstruktion im Gipsabguss. Roma, Università, Museo dei Gessi (nach: Schweizer 2009, 241 Abb. 1).

schaftlich aber als ‚Tyrannenmörder‘ bezeichnet. Die Bedeutung dieser zweiten Gruppe (Abb. 3) im öffentlichen Leben Athens ist durch Bezugnahmen in anderen – bildlichen und an Schrift gebundenen – Medien des 5. und 4. Jhs. v. Chr. bezeugt. Auch um die Mitte des 20. Jahrhunderts standen die Namen Harmodios und Aristogeiton für mehr als zwei Figuren griechischer Statuen. In einem Gedicht von Karl Wolfskehl – ‚Zu Schand und Ehr‘ – war die geistige Haltung des konservativen Widerstands unter dem Schlagwort ‚Hellas‘ gefasst worden. Und zwei Mitglieder des George-Kreises, Claus und Berthold von Stauffenberg, waren Harmodios und Aristogeiton gleich gesetzt worden: selbstverständlich nur auf der abstrakten Ebene der ‚Attentäter‘, handelte es sich doch einerseits um ein Brüderpaar, andererseits um ein Männerpaar unterschiedlicher Lebens-

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alter. Eine andere politische Aktualisierung etwa derselben Zeit stellt ein wissenschaftlicher Artikel des dem George-Kreis nahe stehenden Archäologen Karl Schefold im 1944 neu gegründeten ‚Museum Helveticum‘ dar, diesmal jedoch nicht mit den historischen Personen, sondern den statuarischen Gruppen als Bezugspunkt. Als Einleitung dienten die Verse des Trinklieds – und zwar in der Übertragung Hölderlins (Schweizer 2009, 242–243). Die politische Botschaft wurde allerdings implizit, nur durch die Wahl des Gegenstands, ausgedrückt. Angelegt war der Beitrag als Teil der Diskussion um die Gestalt, das Gesamtbild der Skulpturengruppen, seinerzeit ‚großes‘ Thema der Klassischen Archäologie, auch zu den ‚Tyrannenmördern‘. Zuvor, seit Mitte des 19. Jahrhunderts war die Forschung auf Kopienkritik der Einzelfiguren ausgerichtet gewesen. Auf der Ebene des Materials wurde dieser ältere Diskurs abgeschlossen, nachdem unter den 1954 aufgefundenen römischen Gipsabgüssen von Baiae ein zum Kopf des Aristogeiton gehöriges Fragment identifiziert wurde, das als Abguss des klassischen Bronzeoriginals gilt. Als die Funde von Baiae dann 1985 publiziert wurden, hatte sich das Forschungsinteresse jedoch zu einer politischen Ikonologie verschoben. Die ‚Tyrannenmörder‘ werden in dieser Perspektive – auch in ihrer formalen Gestaltung – als erstes öffentliches Denkmal einer sich selbst verwaltenden politischen Gemeinschaft gedeutet.11 Das zweite, das in klassischer Zeit im Zentrum Athens sichtbare Statuenpaar wird als politisches wie visuelles Leitbild des demokratischen Athen gesehen, auch in Hinblick auf die Verkörperung bestimmter Verhaltensideale, Wertvorstellungen und Handlungskonzepte. Im Rahmen der Klassischen Archäologie wird daher der

für die athenische Demokratie affirmative Charakter der Bildwerke und ihre Bedeutung als erstes politisches Denkmal gewürdigt. Innerhalb der Archäologie ist diese seit den 1970er Jahren vertretene politische Erklärung zuletzt erweitert worden, indem die zuvor nur für die Rekonstruktion der Gruppe herangezogenen Darstellungen von Tat und Monument in anderen Medien, vor allem den Gefäßbildern, in die Interpretation einbezogen wurden. Darüber hinaus kann die Rezeption des Attentats des Jahres 514 v. Chr. sowie der Statuen der dann heroisierten Attentäter von 477 / 476 v. Chr. allgemein über verschiedene Medien – Münz- und Gefäßbilder, Trinklied, Komödie, Geschichtswerk – verfolgt werden. Für das letzte Viertel des 5. und den Beginn des 4. Jhs. v. Chr. ist die Rolle von Harmodios und Aristogeiton als Medienikone (Abb. 4) in affirmativen oder subversiven Perspektiven zu fassen (Schweizer 2009, 21–24). Die ‚Tyrannenmörder‘ sind im Rahmen der unterschiedlichen Medien mit jeweils anderen Bedingungen der Verbreitung und der Rezeptionskontexte Elemente eines spezifischen politischen Diskurses jener Zeit: Der politische Gegner wurde prinzipiell der Errichtung einer Tyrannis verdächtigt. Auch der Tyrannenmörderexkurs des Thukydides (VI 54–59) bezieht sich auf den Verdacht einer Tyrannenverschwörung, nämlich der des Alkibiades. Wie am Ende des 5. Jhs. v. Chr. das Attentat sowie das mit zentralen Orten und Verfahren der Demokratie verbundene Denkmal auch zur Zielscheibe des Spotts werden konnte, illustrieren Verse in einigen Komödien des Aristophanes,12 etwa Lysistrate: Ich durchschaue das Gewebe, Männer: das ist Tyrannei!

12

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Vgl. etwa Fehr (1984), zuletzt F. Hölscher (2010).

Acharner 978–980; 1093; Wespen 1224–1226; Lysistrate 630–635; Weibervolksversammlung 681–683.

‚Griechische Archäologie‘. Eine Archäologie des Fremden?

Münze

Gefäß

Stamnos/Skyphos Figuren 470–50er Grablekythos Statere Kyzikos

Statuengruppe Antenor 510/09? um 500? Nach 487/86? Kritios/Nesiotes 477/76

Trinklied Harmodioslied Ende 6. Jh.

Zyklusschalen Theseus

Panathenäische Preisamphoren Denkmal um 400 Choenkannen

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Komödie

Historie

Bezug auf Lied Acharner/Wespen 420er

Herodot

Bezug auf Lied und Denkmal Lysistrate/Weibervolksversammlung um 400

Thukydides argumentiert mit Monumenten

Abb. 4: Die Tyrannenmörder. Die Attentäter und die Statuengruppe des Kritios und Nesiotes in den Medien des 5. Jhs. v. Chr. Grau unterlegt die Artefakte des Mediendiskurses um 400 v. Chr. (nach: Schweizer 2009, 260 Tabelle 2).

Doch tyrannisieren sollen sie mich nie: ich hüte mich, Und „im Myrtengrün mein Schlachtschwert werd’ ich tragen“ fürderhin, Auf dem Markt in voller Rüstung bei Aristogeitons Bild Werd’ ich stehn – wie er zu großer Tat berufen steh’ ich da! Dir, du gottverhaßte Vettel, alle Zähne schlag ich ein! Aristophanes, Lysistrate 630–63513 Für Thukydides war das Attentat dagegen Beispiel der Erläuterung seiner historischen Methode, falschen „Nachrichten von Früherem“ durch Prüfung entgegenzutreten, herkömmliche Meinungen und dichterische Darstellung durch Forschen nach Wahrheit und Argumentation zu ersetzen. Nach Thukydides (I 20) ist Hipparchos nicht als Tyrann Athens getötet worden. Im Tyrannenmörder-Exkurs

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Übersetzung von L. Seeger: Die Komödien des Aristophanes. Berlin: Schneider 1940.

wurde gleich zu Beginn eine Liebesgeschichte als Motiv der Tat genannt. Dementsprechend wird die Tat auch in der archäologischen und althistorischen Forschung gesehen. Die Feier der Tyrannenmörder im alten Athen – im „offiziellen Gedächtnis der Polis, inszeniert in den kollektiven Ritualen“ – ist dann nach „den Maßstäben eines Historikers“ – „pure Geschichtsklitterung“ (Flaig 2004, 58). Schon Thukydides interpretierte die Geschehnisse des Jahres 514 v. Chr. nach den politischen und historischen Maßstäben seiner Zeit, also nach den Kriterien des späten 5. Jhs. v. Chr. Demnach galt eine Tat mit Eros, Demütigung und gekränkter Ehre als Motiven nicht als politisch begründet. Tatsächlich können von Thukydides für seine Argumentation herangezogene Fakten aber als Spuren eines in archaischer Zeit geforderten Verhaltens gelten, die Familienehre zu bewahren, und somit auch einer – nach Kriterien jener Zeit – politischen Handlungsweise. Das Fremdartige der griechischen Kultur an der Wende des 6. zum 5. Jahrhundert v. Chr. wird also nicht nur

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durch den modernen Referenzrahmen überdeckt. Schon in den Medien der Wende des 5. zum 4. Jahrhunderts v. Chr. wurde die Tat in einer Weise interpretiert und verhandelt, nach der Politik als eigene autonome Sphäre verstanden wird, und die dementsprechend auch dem modernen Interpreten, dem Historiker wie dem Archäologen, näher steht.

Fremdheit – Alterität – Alienität „Uns sind die Griechen des klassischen Altertums ‚fremd‘ geworden“ (Lang 2002, 10): Damit ist zunächst gemeint, dass die direkten, zugleich aus heutiger Sicht auch freien bis sehr freien Aneignungen der Antike nicht mehr möglich sind. Das ‚klassische Altertum‘ hat nicht mehr den Status des selbstverständlichen kulturellen Referenzrahmens (Borbein 2011, 45), der die Basis für die bildungsbürgerliche Annäherung an die Akropolis im 19. und wohl auch 20. Jahrhundert oder auch die zumindest in hermetischen Kreisen noch mögliche Rezeption der ‚Tyrannenmörder‘ in der Mitte des 20. Jahrhunderts bildete.14 Die Antike hat „unter den Dingen, die uns fern gerückt sind, auch ihre privilegierte Stellung verloren“ (ebd.). Ein Buch zu Erinnerungsorten des antiken Griechenland (SteinHölkeskamp / Hölkeskamp 2010) ist so zum einen Ergebnis wissenschaftlicher Arbeit, in Klassischer Archäologie, Gräzistik und Alter Geschichte. Aneignung auch ‚des Klassischen‘ ist also Arbeit am Fremden, wie im 18. Jahrhundert, als Goethe in seiner Italienischen Reise von 1817 zum 23. März 1787 gegenüber den Tempeln von Paestum schrieb (vgl. Mertens 2010, 150):

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Borbein (2011, 45–47) knapp zur Bedeutung der Antike für die Kunst um 1900 und des frühen 20. Jahrhunderts.

„Ich befand mich in einer völlig fremden Welt. Denn wie die Jahrhunderte sich aus dem Ernsten das Gefällige bilden, so bilden sie den Menschen mit, ja erzeugen ihn so. Nun sind unsere Augen und durch sie unser ganzes inneres Wesen an schlankere Baukunst hingetrieben und entschieden bestimmt, so daß uns diese stumpfen, kegelförmigen, enggedrängten Säulenmassen lästig, ja furchtbar erscheinen. Doch nahm ich mich bald zusammen, erinnerte mich der Kunstgeschichte, gedachte der Zeit, deren Geist solche Bauart gemäß fand, vergegenwärtigte mir den strengen Stil der Plastik, und in weniger als einer Stunde fühlte ich mich befreundet ...“ Zum anderen ist durch den Begriff Erinnerungsort doch definiert, dass auch „das antike Griechenland … Europa und das ‚Abendland‘ in vieler Hinsicht, positiv wie negativ, geprägt“ hat. Es ist dies eine „Tradition, zu der die archäologische Wissenschaft selbst gehört“ (Borbein / Hölscher / Zanker 2000, 8). Die Klassische Archäologie ist also wie alle anderen Wissenschaften des ‚klassischen Altertums‘ selbst Erinnerungsort. Aktualisierungen der griechischen Geschichte und Kultur finden sich etwa beim Beispiel der ‚Tyrannenmörder‘ nicht nur außerhalb der Wissenschaft noch Mitte des 20. Jahrhunderts, sondern auch innerhalb der Wissenschaft, etwa wenn seit den 1970er Jahren die Funktion als politisches Denkmal betont wurde, zuletzt aber die Homoerotik der Attentäter (Stewart 1997, 73; Neer 2010, 78–80). Auch Historische Wissenschaften spielen im Rahmen der Traditions- und Kontinuitätsstiftung sowie der Ab- und Ausgrenzungspraktiken moderner Gesellschaften eine besondere Rolle. Dabei wurde insbesondere die Archäologie als ‚Spurensuche‘ der Selbstvergewisserung zugeordnet (Gehrke 1994, 258). Diesen Zusammenhang kritisch aufzubrechen, galt der Gedanke, „Antike bewußt

‚Griechische Archäologie‘. Eine Archäologie des Fremden?

als das Fremde, das Andere“ (Gehrke 1995, 177) zu begreifen.15 Auch das ‚griechische Altertum‘ wird also zum einen als ‚fremd geworden‘ und ‚fern gerückt‘ eingeschätzt, die Dinge, die Monumente und Texte der Antike sind jedoch teilweise konstituierende Bestandteile moderner Geschichtsbilder, die wiederum die Interpretationen desselben Quellenmaterials prägen, sodass ein bewusstes ‚als fremd begreifen‘ als heuristisches Mittel gelten kann. Aus diesen Perspektiven ergeben sich für eine „Hermeneutik der Fremdheit“ (Hölscher 1995, 202) prinzipiell mehrere Probleme. Erstens ist die ‚Griechische Archäologie‘ dann – ebenso wie die Alte Geschichte und die Gräzistik – eine, wenn auch disziplinierte Praxis der Aneignung des Fremden (Schreiber 2013, 98–100, zu einigen kritischen Aspekten). In Bezug auf Dinge, Quellenmaterial der Archäologie in der hier verfolgten Konzeption, kann Aneignung des Fremden ganz allgemein als Übernahme mit der Konstruktion neuer Bedeutungen, Zuordnung zu neuen Objektkategorien, Inkorporierung, Umgestaltung, Traditionalisierung und Authentifizierung (ebd. 79–81) und damit insgesamt als – zumindest partielle – Aufhebung der Fremdheit gesehen werden. Es ist festgestellt worden, dass die nach wie vor dominierende typo-, chrono- und chorologische Praxis, die Vergangenheit nach Kulturen, Zeitabschnitten oder Typen zu ordnen, die Behandlung kulturwissenschaftlicher Problemstellungen ausschließt (Johnson 2006, 123). Auch über die übliche Anwendung stilistischer oder formaler Methoden ist die Fremdheit kultureller Kontexte nicht zu erreichen. Voraussetzung dafür wäre, kulturelle Praktiken der Antike mit denen anderer Kulturen zu vergleichen, aber nicht in einer interdisziplinären

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Borbein (2011, 68–72) parallelisiert dies mit der ‚Verfremdung‘ der Antike in der zeitgenössischen Kunst.

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Perspektive des interkulturellen Vergleichs der ‚griechischen Kultur‘ mit anderen Kulturen, sondern durch eine Anthropologisierung des Forschungsfelds. Zweitens ist Fremdheit eine relationale Zuschreibung (Schreiber 2013, 77), die sich in unterschiedlichen Zeiten und in Bezug auf unterschiedliche soziale Gruppen je anders darstellen kann (Wimmer 1997, 1066–1067). In einem Beitrag zur Anwendung des Konzepts der Akkulturation in der altertumswissenschaftlichen Forschung ist festgestellt worden: „Was als eigen und was als fremd angesehen wird, ist deutungsabhängig. Die Gruppe, die eine fremde Kultur rezipiert und gleichzeitig ihre kulturelle Identität reproduziert, interpretiert bestimmte Praktiken, Techniken, Symbole als fremd und als nicht fremd“ (Flaig 1999, 81). Dies betrifft dann auch Archäologie, und somit ‚Griechische Archäologie‘ als eine Wissenschaft des Fremden. Unterstellt man für den Moment, dass für die behandelten Beispiele der Akropolis von Athen und der ‚Tyrannenmörder‘ Wege zu einer Archäologie des Fremden referiert oder aufgezeigt worden sind, so gilt dies nur aus der Perspektive einer westlichen, europäischen Archäologie, und damit würde ein Prozess der Aneignung des Fremden begonnen haben. Im Rahmen einer Archäologie des Fremden wäre also ein andauendes Ausgreifen auf das Unvertraute gefordert. Jedoch bestehen lange Traditionen der Anthropologisierung des ‚klassischen Altertums‘ für den Bereich der antiken Religion (Baudy 1999), aber auch den der Ökonomie (Gehrke 1995, 178–180), ohne dass das Unvertraute, Fremde gänzlich eingemeindet worden und damit verschwunden wäre. Auch besteht dafür offensichtlich auch ein gewisses Unbehagen, etwa wenn gefragt wird: „Sinnvoll ist gewiss die Perspektive des Ethnologen, der ‚regard éloigné‘. Aber ist der nicht gelegentlich zu forciert verfremdend und neigt er nicht dazu, die tatsächliche Privilegierung einer Epoche,

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der klassischen Antike in der europäischen Tradition, zu übersehen und die daraus resultierende Nähe zu unterschätzen?“ (Gehrke 2005, 46).16 Folgt man drittens einer Differenzierung der Fremdheit in die Aspekte des Anderen, der Alterität einerseits, und des Unvertrauten, der Alienität andererseits (Schreiber 2013, 77),17 so können die behandelten Beispiele und auch die Konzeptualisierungen des ‚fremd geworden‘ und des ‚als fremd begreifen‘ mit Fremdheit im Sinne des Unvertrauten verknüpft werden. Alienität wird allerdings in manchen kulturwissenschaftlichen Entwürfen auch als das radikal Fremde gesehen, das einem Fremdverstehen nicht zugänglich ist (Wimmer 1997, 1075–1076). Der andere Aspekt der Fremdheit, der der Alterität wirft demgegenüber die Frage nach der Verknüpfung von Identität und Alterität auf. Diese führt zum einen zur Möglichkeit des Fremdverstehens – Alterität als das übersetzbare Andere –, unterstellt aber andererseits das Fremde einer Machtbeziehung (Wimmer 1997, 1069–1072). Im Rahmen der Ethnologie ist unter dem Schlagwort ‚writing culture‘ der Zusammenhang des Schreibens über Kulturen mit der Konstruktion von Kulturen thematisiert worden (Berg / Fuchs 1993; Wimmer 1997, 1073–1074), und zwar bis zu dem Punkt, dass der Anspruch einer adäquaten Repräsentation zeitlich oder räumlich ent-

16 An anderer Stelle dann auch die Feststellung, dass die Antike „bei den größeren Integrationen auf europäischer und globaler Ebene zwangsläufig deshalb ins Spiel [kommt], weil sie jenseits der nationalen Traditionen die verbindende Geschichte schlechthin darstellt und ohnehin bei der Herausbildung des europäischokzidentalen Selbstverständnisses eine wesentliche Rolle gespielt hat“ (Gehrke 2005, 39). 17 Ein anderes Schema (Wimmer 1997, 1068–1069) unterscheidet für die Beziehungen zum Fremden zwischen einer axiologischen, wertenden Ebene (etwa: gut – böse), einer praxeologischen (etwa: Annäherung – Distanzierung) und einer epistemologischen Ebene (etwa: Wissen – Unwissen).

fernter kultureller und sozialer Kontexte ganz aufgegeben wurde. Gesprochen wird in diesem Zusammenhang auch von ‚Veranderung‘ oder ‚Othering‘, der Fremde wird fremder gemacht, als er ist, als Gegenbild zur je eigenen Identität. Man spricht von Orientalisierung und Okzidentalisierung (Haller 2005, 19). Diese Problemlage muss immer mitbedacht sein, wenn „Antike bewußt als das Fremde, das Andere“ (Gehrke 1995, 177) begriffen werden soll. In Bezug auf die ‚Griechische Archäologie‘ ist dies jedoch kaum zu erwarten. Der herrschende Rahmen für den Zusammenhang von Traditions- und Kontinuitätsstiftung und Abund Ausgrenzungspraktiken in der historischen Forschung – intentionale Geschichte (Gehrke 2004) – ist nach wie vor eurozentrisch in dem Sinne, dass der Orient als das Fremde schlechthin gilt. Eine Durchsicht allein der Aussagen zu der sogenannten Orientalisierenden Zeit lässt für lange Phasen ein verfestigtes Gegenbild zum ‚Westen‘, dem kulturellen Kontext der Wissenschaft aufscheinen (Schweizer 2005, 356–360; 2012, 202–209). Interpretationen zur ‚Orientalisierenden Zeit‘ operieren in der Regel mit den großen kulturellen Blöcken Griechenland und Orient (vielleicht im Sinne großer Weltkulturen), selbst wenn vereinzelt geschrieben wird: „On the non-existence of the Orient“ (Purcell 2006, 25–26), oder auch: „there is no such thing as a singular ‚Greek society‘ in the Archaic period“ (Hall 2004, 42–43). Und typisch sind Charakterisierungen beider Blöcke mit Adjektiven wie kreativ gegenüber dekorativ, aber auch rational gegenüber magisch, phantastisch oder exotisch. Nicht nur diese, sondern alle Archäologien des Fremden sind Bestandteil der Identitätskonstruktion „in langfristigen, Vergangenheit wie Zukunft umgreifenden Kommunikations- und Sinnhorizonten“, sobald Kulturen „als mit großem Aufwand in Gang gehaltene Gedächtnissysteme“ verstanden werden (Assmann 2011, 286).

‚Griechische Archäologie‘. Eine Archäologie des Fremden?

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Christoph Ulf

Korrelationen des Wandels. Die Formierung von Identität und Fremdheit bei Thukydides*

Die Beschäftigung mit dem Fremden in der Antike wurde häufig mit der Analyse ethnographischer Texte und des Barbarenbilds gleichgesetzt. Dieses Vorgehen wurde inzwischen mit dem Hinweis darauf kritisiert, dass man auch die Perspektive der Anderen einnehmen müsse und dass sich dann die Definition des Fremden verändert, aber ebenso die Urteile über das Fremde nicht mehr dieselben sind. Doch wenn man dem, was als das Fremde gilt, gerecht werden will, reicht es nicht aus, nur die Vorzeichen der Bewertung des Anderen umzukehren. Der genannte ethnographische Blick setzt voneinander abgrenzbare und einander gegenüberstehende Einheiten voraus, seien das Völker oder Kulturen. Das aus der Romantik stammende Konzept ‚Volk‘ wurde inzwischen durch das der Ethnogenese mit guten Gründen korrigiert. Analysen von Kulturbegegnung und Kulturtransfer zeigen, dass auch ‚Kulturen‘ keine essentialistisch aufzufassenden Einheiten darstellen, sondern sich aus verschiedenen Formen von Identitäten zusammensetzen, die selbst wiederum nicht stabil sind. Zum besseren Verständnis derartiger Identitäten und ihres Verhältnisses zueinander kann die Sozialpsychologie verhelfen. Ein Ergebnis sozialpsychologischer Untersuchungen (Brewer 2003, 35–40) ist der Sachverhalt, dass Individuen,

um sich ihrer Position innerhalb der eigenen sozialen Gruppe sicher werden zu wollen, mit anderen Personen derselben Gruppe vergleichen. Solche Vergleiche sind beinahe zwangsläufig kompetitiv. Derartiges Verhalten bestimmt auch die Festlegung des Verhältnisses zwischen ganzen (sozialen) Gruppen. In diesen Fällen verstärkt sich die Neigung zur Polarisierung, mit der eine Intensivierung des Wettbewerbs einhergeht (Brewer 2003, 87). Der aus Athen stammende Historiograph Thukydides erlebte im fünften Jahrhundert v. Chr. einen beinahe dreißig Jahre währenden Krieg unter den Griechen, in dessen Zentrum die Hauptkontrahenten Sparta und Athen standen. Dieser Krieg entwickelte sich langsam, nahm dann immer schärfere Züge an, wurde durch eine labile Friedenszeit unterbrochen, um dann in noch größerer Heftigkeit weitergeführt zu werden. An der Darstellung dieses Krieges durch Thukydides soll im Folgenden gezeigt werden, dass im Zuge der Verschärfung der Gegensätze in dem Krieg

* Obwohl überarbeitet, wurde der mündliche Duktus beibehalten. Die vielfältigen Debatten über den Text des Thukydides können nicht einmal angedeutet werden. Zur grundlegenden Information: Sonnabend 2011; Rengakos / Tsamakis 2006; Luschnat 1970.

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der jeweilige Kontrahent immer stärker mit den Charakteristika des Fremden ausgestattet wurde und sich dabei gleichzeitig auch die Eigensicht veränderte.

Fremdheit und zeitliche Distanz im Text des Thukydides Thukydides will den „Krieg der Peloponnesier gegen die Athener“ (I 1, 1) nicht nur beschreiben, sondern auch eine Erklärung dafür liefern, warum es zu ihm überhaupt gekommen ist. Zu diesem Zweck trifft er eine in der Geschichte der Historiographie viel gerühmte Unterscheidung zwischen Ursache und Anlass. Nicht weniger wichtig für seine Analyse ist jedoch seine Überzeugung, dass Zeitstufen als Phasen menschlicher Entwicklung mit bestimmten Zuständen und Verhaltensformen zu verbinden seien. Er unterscheidet von einer ersten und langen, nur durch mythische Erzählungen bekannten ‚Anfangsphase‘ die zweite wesentlich jüngere Zeit der Perserkriege am Beginn des 5. Jahrhunderts v. Chr. Fünfzig Jahre nach den Perserkriegen beginnt dann der Krieg zwischen den Peloponnesiern und Athen. Dessen Verlauf wird von Thukydides in drei große Abschnitte gegliedert: ein erster zehn Jahre währender Krieg, eine Phase eines labilen Friedens, ein Wiederausbrechen des Kriegs, den Thukydides aber nur bis zu dem Zeitpunkt berichtet, als er den Hellespont erreicht. Nicht aus der Perspektive der Verlaufsgeschichte und auch nicht mit deren Grundgliederung in Einklang stehend wird im fünften Kriegsjahr durch den Erzählerkommentar eine entscheidende Zäsur gesetzt (Hornblower 1991, 477–490; Gomme 1962, 385–386). In dem Bürgerkrieg auf der Insel und Stadt Kerkyra wird zum ersten Mal eine neue Qualität von Grausamkeit und „Sittenverderbnis“ (kakotropía) beobachtet, die sich ab jetzt durch die Konflikte der Hellenen ziehen wird (III 83). Im Folgenden wird zu zei-

gen sein, dass neben den genannten Zeitstufen auch diese zeitliche Differenzierung innerhalb des Krieges Rückwirkungen auf die Art der Selbstdefinition der historischen Akteure hat und diese mit der jeweiligen Einschätzung des Anderen in direkter Beziehung steht. Die Hellenen der fernen Vergangenheit sind wie die ‚Barbaren‘ fremd

In den letzten Jahrzehnten wurde deutlich herausgearbeitet, dass sich die Griechen bis in die Zeit der Perserkriege nicht als eine geschlossene Einheit betrachteten.1 Das kommt nicht zuletzt bei Thukydides selbst zum Ausdruck. Um die besondere Dimension des von ihm beschriebenen Kriegs zu belegen, blickt er kurz auf die frühesten, ihm (durch den Mythos) zugänglichen Zeiten zurück. Das „was heute Hellas heißt“, war noch nicht fest besiedelt (I 2, 2). Unter den in diesem Gebiet lebenden Völkerschaften (éthne) breiteten sich die Pelasger am weitesten aus (I 2–3), nur die in der kleinen Landschaft Phthiotis, im südlichen Thessalien lebenden Menschen hießen Hellenen. Sie siedelten neben und gemeinsam mit Barbaren an den Küsten des Festlandes und auf den Inseln, und sie alle lebten von Seefahrt und Piraterie (I 2, 5). Die kleine Gruppe der Hellenen der Frühzeit wird also ‚kulturell‘ auf dieselbe Stufe gesetzt wie alle anderen und unterscheidet sich nicht von diesen ‚Barbaren‘. Daneben verwendet Thukydides auch für die aus dem (mythischen) Krieg um Troia Zurückkehrenden den Namen Hellenen und erweitert damit dessen Ausdehnung u. a. auf Ionien, Italien und Sizilien. Doch es wird eigens festgehalten, dass die Hellenen in dieser Zeit keinen irgendwie gearteten Zusammenhalt kannten.

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Vgl. dazu Ulf 1996; Hall 1997; Timpe 2000; Hall 2002.

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Die Perserkriege: Der Barbar als Feind wird fremd

Barbaren lebten Seite an Seite mit den Hellenen, ohne dass deswegen ein negatives Urteil über sie gefällt würde. Erst mit den Perserkriegen wird das anders, ohne Zweifel deshalb, weil die Perser zu einer direkten Bedrohung für einen Großteil der Griechen geworden waren. In der zweiten Phase des Krieges gegen die Perser führten die Lakedaimonier die sich am Krieg beteiligenden Hellenen an. Nach dem Sieg über die Perser zeigte sich die Labilität dieses keineswegs alle Griechen umfassenden Bündnisses. Denn danach unterstellten sich die vom persischen König abgefallenen Hellenen teils Athen teils Sparta (I 18). In unserem Zusammenhang ist die Begründung bemerkenswert, welche die Ioner für die Wahl der Anführerschaft Athens geben: sie berufen sich auf ihre gemeinsame (ionische) Abkunft (I 95). Das ist deswegen von Bedeutung, weil in archaischer Zeit versucht wurde, über eine auf den fiktiven Ahnen Hellen zurückführende Genealogie eine Einheit der Hellenen zu begründen. Aiolos, Doros, Xouthos und Ion wurden dabei in eine verwandtschaftliche Relation zueinander gebracht. Diese Hellenen-Genealogie konnte jedoch in verschiedenen Varianten erzählt werden, was zeigt, dass ihr keine schon vorhandene Realität gegenüberstand.2 Aus den unterschiedlichen Positionierungen der Söhne und Enkel des Hellen in ihrem Verhältnis zu diesem geht aber auch hervor, dass mit der Genealogie unterschiedliche Machtansprüche transportiert wurden, die noch nicht entschieden worden waren. Die Athener griffen die Möglichkeit sofort auf, über eine genealogische begründete Verwandtschaft eine politische Verbindung zu begründen, und installierten in dem neuen

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Vgl. Ulf 1996; Ulf 2015; etwas anders: Hall 2002, 85–89. Überblick über die ältere Argumentation bei Hornblower 1996, 61–80.

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Bund einen Beamten mit dem programmatischen Titel „Schatzmeister von Hellas“, um den weiteren Krieg gegen die Perser zu finanzieren (I 95). Obwohl sich selbst in den Perserkriegen keine einheitliche Identität der Hellenen ausgebildet hatte, wurde über die durch den Krieg beförderte Feindtopik ab jetzt ein negatives Barbarenklischee verfügbar. Thukydides rekurriert darauf in seiner Beschreibung der beiden Phasen dieses Kriegs: „Zehn Jahre nach dem Sieg der Athener bei Marathon kam der Barbar wieder, um Hellas zu versklaven“ (I 18, 2). Der aus dem Erfolg über die Perser möglich gewordene Topos der eigenen Superiorität wird ab diesem Zeitpunkt auf alle Barbaren übertragen und konnte in ganz unterschiedlichen Situationen abgerufen werden. Ein extremes Beispiel dafür ist die Nachricht bei Thukydides darüber, dass die in der Anfangsphase des peloponnesischen Kriegs gegen eine Allianz aus ‚barbarischen‘ Amphilochiern und Athenern unterlegenen Amprakier zu den attischen Schiffen geschwommen seien, weil es besser sei, durch die Athener den Tod zu erleiden als durch die Amphilochier, die verhassten Barbaren (III 112, 7). Ein anderes Beispiel ist die Warnung des Nikias an die Athener, Syrakus beziehungsweise Sizilien anzugreifen. Ihn hält auch die Anwesenheit der Gesandten aus dem barbarischen Egesta nicht ab zu fordern, nicht auf den Rat von Männern fremder Herkunft (VI 9) hin einen Krieg beginnen. Die Entscheidung gehe auch nicht um die Egester, ein Barbarenvolk (vgl. II 7), sondern darum, dass die Athener vor Sparta auf der Hut sein müssten. Wertet der athenische Feldherr die intellektuelle Qualität der Barbaren ab, so macht dies der Spartaner Brasidas ähnlich mit deren militärischen Fähigkeiten. In seiner Ansprache beim Zug mit Perdikkas gegen Arrabaios (IV 126) stachelt er die Soldaten mit dem Argument an und auf, dass sie als Peloponnesier ebensowenig Angst vor der Fremdheit hätten wie vor

Abb. 1: Die Ägäis zur Zeit des Peloponnesischen Krieges (nach Wittke 2012, 97).

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einer Menge von Barbaren, weil diese nicht gefährlich seien, sich nur durch Geschrei hervortäten, aber keine feste Aufstellung kennen würden. Es erscheint wie eine Folge dieser Argumentation, dass die Barbaren von Brasidas und seinen Hellenen ablassen (IV 127; vgl. IV 128).

Ein Konstrukt: die Hellenen in der Gegenwart Angesichts der Gleichsetzung von Barbaren und Fremden wäre zu erwarten, dass diesem Fremden eine ebenso klare Vorstellung des Eigenen, des Hellenen gegenübersteht. Doch wie festgestellt, ist das keineswegs so. Es entstand auch nach den Perserkriegen keine politische Einheit der Hellenen. So bleibt Thukydides nur die Möglichkeit, eine hellenische ‚Kultur‘ zu finden, um einen Maßstab zu erhalten, an dem er das Verhalten der Akteure in dem von ihm beschriebenen peloponnesischen Krieg messen kann. Freie Hellenen – fremde Barbaren

Im Gegensatz zu den Barbaren sind die Hellenen durch Freiheit ausgezeichnet. Doch diese Freiheit ist kein absolut zu bestimmender Zustand, sondern nur eine relationale Größe, die sich aus dem Vergleich mit dem jeweiligen Anderen ergibt. Daher kann die schon zitierte Vorstellung, dass der Barbar, das heißt die Perser, kamen „um Hellas zu versklaven“ (I 18), manchmal als Vergleichsfall benützt werden, um auf diese Weise die eigene Gegenwart zu beurteilen. Die Korinther versuchen die Spartaner zum Kampf gegen die Athener zu bewegen. Sie erinnern sie daran, dass sie sich selbst „Befreier von Hellas“ nennen, aber jetzt nicht gegen die Athener vorgehen wollen (I 69). Ähnlich argumentieren die Platäer angesichts ihrer Bedrohung durch Sparta. Auch sie erinnern an

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diesen Anspruch der Lakedaimonier, aber auch an ihre eigene Leistung: Denn von allen Böotern haben nur sie zur Befreiung von Hellas mitgekämpft (II 71). Die Mytilenäer machen die Spartaner darauf aufmerksam, dass sie sich den Athenern angeschlossen hatten – nicht zur Unterwerfung der Hellenen unter Athen, sondern zur Befreiung von den Persern für Hellas (III 10). Auch der Syrakuser Hermokrates argumentiert in seiner Rede in Kamarina mit der Freiheit der Hellenen, allerdings mit anderer Akzentsetzung: weder die Athener noch die Hellenen insgesamt haben dem Perser wegen der Freiheit für Hellas widerstanden; die Athener zielten auf die Unterwerfung unter ihr eigenes Joch, die anderen Hellenen tauschten nur die Herrschaft (VI 76). Es ist kein Zufall, dass diese Art des Vergleichs auf wenige, wenn auch im Text wichtige Fälle beschränkt bleibt, weil dabei Freiheit als Merkmal zur Unterscheidung der Hellenen von den Barbaren implizit in den Kontext der Unterscheidung zwischen Hellenen transferiert wird (Raaflaub 1985, 72–79; 102–108; 123–125; Raaflaub 2003, 60). Dadurch wird die Differenz zwischen Eigenem und Fremden signifikant verschoben. Hellas und Hellenen – ein labiles Gebilde

Die in wissenschaftlichen Kommentaren immer wieder – häufig mit bedauerndem Unterton – getroffene Feststellung, dass die Griechen keine politische Einheit gebildet haben, setzt als selbstverständlich voraus, dass sich die Griechen als eine Einheit gefühlt hatten. Gerade das ist jedoch auch im Text des Thukydides nicht eindeutig der Fall (Price 2001, 371–377). Thukydides bezieht sich nie auf eine Einheit, sondern nur auf eine vage Vorstellung von den Hellenen. Die größte Einheitlichkeit vermittelt noch der von den Hellenen bewohnte Raum dadurch, dass er den Namen Hellas, trägt. Dieses Hellas wird mehrfach als Bezugspunkt benützt: wenn von

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Hellenen innerhalb und außerhalb der Peloponnes (I 13) die Rede ist, oder davon, dass der größte Teil von Hellas Athen untertan ist (I 88), oder dass es um die Hellenen bis zu den Thermopylen geht (II 101). Der spartanische König Pausanias hat Hellas befreit (II 71), die Spartaner sind sich einig, dass „das übrige Hellas“ gegen sie nicht ankommen kann (IV 19), oder die Spartaner können sich durch eine militärische Tat von dem „in Hellas“ erhobenen Vorwurf der Feigheit befreien (V 75). Auch der Hellenen-Begriff wird zum Raum-Begriff, wenn etwas Herausragendes gekennzeichnet werden soll. Die Seeschlacht zwischen Korinth und Kerkyra war die nach der Zahl der Schiffe „weitaus größte Seeschlacht“, die bis dahin Hellenen mit Hellenen geschlagen hatten (I 50); das spartanische Heer, das gemeinsam mit den Verbündeten gegen Argos ausrückt, wird zum „schönsten hellenischen Heer“, das je bis dahin beisammen war (V 60). Das athenische Heer, das gegen Sizilien mit seiner Flotte ausfährt, war „so kostbar und prachtvoll“ wie keines je bis zu dieser Zeit unter den Hellenen (VI 31); die Schlacht von Mantineia im Jahr 418 war die weitaus bedeutendste seit längerer Zeit in Hellas (V 74). Innerhalb des Raumes der Hellenen werden auch Superlative für das Verhalten vergeben. Die Niederlage der Amprakier war „das Schlimmste“, was je in diesem Krieg eine einzelne Hellenenstadt in gleich wenigen Tagen betraf (III 113); dass sich die Spartaner auf der Insel Sphakteria den Athenern ergeben, war in dem ganzen Krieg für die Hellenen „die größte Überraschung“ (IV 40); wenn die Syrakuser die Athener samt ihren Verbündeten besiegten, würden sie „in den Augen der Hellenen einen herrlichen Sieg“ errungen haben (VII 55). Ebenfalls in den Kontext der besonderen Größe des Kriegs gehört der Kommentar des Erzählers über das schreckliche Schicksal, das die Athener nach ihrer Niederlage in den Steinbrüchen von Syrakus erdulden

mussten: „Man kann wohl sagen, dass dieses Ereignis von allen in diesem Krieg das bedeutendste war, meines Erachtens sogar von allen, die wir aus der Überlieferung der Hellenen kennen, für die Sieger der größte Ruhm, für die Untergegangenen das größte Unglück“ (VII 87). Doch auch saloppe Formulierungen wie die, dass die jungen Leute in Syrakus die „Dümmsten aller Hellenen“ seien (VI 38), oder solche, dass der athenische Tyrann Hippias in seinen Tagen „der Allererste in Hellas“ war (VI 59) und dass die Spartaner von sich meinen, die „angesehensten von allen Hellenen“ zu sein (IV 18), machen den Raum der Hellenen zum Bezugspunkt. Angesichts der Selbstverständlichkeit, mit der diese Vergleiche gezogen werden, ist die bekannte Tatsache bemerkenswert, dass es keine Institution gibt, die eindeutig hellenisch ist. Hier sind nur die olympischen Spiele zu nennen, die als ein hellenisches Kommunikationsforum und gleichzeitig auch als eine den griechischen Staaten übergeordnete Instanz fungieren können. Denn von den Spielen kann man nicht nur ausgeschlossen werden, sondern deren Organisatoren, die Eleer, können auch Sanktionen verhängen, an deren Befolgung die Hellenen insgesamt ein klares Interesse zeigen. Hellenische nómoi – zwischen Tradition und Neuerung

Die Korinther argumentieren in ihrer Rede in Sparta noch vor dem Ausbruch des Krieges mit der Vorstellung, dass ganz Hellas misshandelt werden kann (I 68). Damit setzen sie für den Raum der Hellenen geltende Normen voraus, mit deren Hilfe richtiges und falsches Handeln voneinander unterschieden werden kann. Sie fordern von Sparta, diesen Normen gegenüber Athen Geltung zu verleihen und unter den Hellenen wieder Gleichheit und Gerechtigkeit herzustellen (I 71). Dafür müssten sie als Widerpart zu den Athenern als

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leidenschaftlichen Neuerern (I 70) von ihrer zögerlichen „altväterischen Lebensform“ (I 71, 2) abgehen und ihre Kriegsmacht gegen Athen einsetzen (vgl. Leppin 1999, 99–100; Luginbill 1999, 82–104). Damit relativieren die Korinther das, was in anderen Situationen immer wieder als Maßstab für das Handeln genannt wird: die Sitten der Väter.3 Denn früher hatten sie behauptet, dass es genügend Rechtsgründe gemäß den herkömmlichen Regeln der Hellenen (katà tous hellénon nómous) gebe, gegen Athen militärisch vorzugehen (I 41).4 Als solche hellenische Regeln werden im Lauf der Darstellung genannt: Die Einhaltung von Verträgen, das Opfer an die Götter (I 126; V 18) und der Schutz ihrer Tempel samt den darin befindlichen Weihegaben (IV 118) sowie die Einhaltung des „Festfriedens“ (VIII 19). Wer gegen solche Regeln verstößt, ist mit einem Fluch belegt (Athener Kylon: I 126; Lakedaimonier: I 128). Das Verhältnis zu den Göttern ist insgesamt von Bedeutung: Wer einen Krieg beginnt, sollte die Billigung der Götter dafür besitzen (vgl. I 118, 128; II 54, 74; III 59). Ähnliche Regeln des politischen Handelns werden an anderen Stellen noch konkretisiert: es sollen keine Bündnispartner abspenstig gemacht werden (I 66), Abtrünnige werden zwar aufgenommen, aber verachtet (III 9), und es gilt unter allen Hellenen als verdächtig, durch das Land des Nachbarn ungefragt mit einem Heer hindurchzumarschieren (IV 61). Der Widerspruch in der Forderung der Korinther nach normengerechtem Verhalten und gleichzeitig des Abgehens von den väterlichen Sitten legt die Schwäche ihrer Argumentation offen. In ihrer Antwort wollen die Athener die an sie gerichteten Vorwürfe gar nicht entkräften, sondern bringen gegen

die nómoi Macht als den allein entscheidenden Faktor ins Spiel: sie haben „die Sache von Hellas“ bei Salamis mit ihrer Flotte entschieden (I 74), deswegen würden sie nach der Natur der Dinge und auch der menschlichen Natur Herrschaft ausüben (I 75; dazu: Rengakos 1984). Um dagegen die Normen wieder in ihr Recht zu setzen, wie das die Korinther verlangen, müssen eben diese Normen überschritten werden: mit dem Einsatz von Gewalt, vor dem Sparta solange wie nur möglich zurückschreckt, weil er die Gleichheit verletzen würde.5 Ihr Dilemma wird im Vorwurf der Athener sichtbar, dass sich jeder einzelne der Spartaner, wenn er in der Fremde ist, sich weder an die eigenen Bräuche noch an sonstigen Hellenbrauch hält (I 77). Das ist nicht aus der Luft gegriffen, wie das Verhalten des spartanischen Königs Pausanias zeigt. Er fuhr nach dem Sieg über die Perser auf eigene Faust zum Hellespont, um hier mit dem Großkönig über die Herrschaft (basileia) in Hellas zu verhandeln, nicht aber, um „den hellenischen Krieg“ zu führen (I 128). Dazu passt, dass er sich wie ein tyrannischer Perser verhält: er ist stolz und aufbrausend, frönt dem Luxus und ist von einer Leibwache umgeben (I 130–134). Und doch haben auch die Spartaner recht. Das ergibt sich aus der zentralen Bedeutung des Bürgerkriegs in Kerkyra für den gesamten Aufbau des Textes. Wie sich der Konflikt in Kerkyra entwickelt hat, ist nichts anderes als die konsequente, durch keine nómoi mehr eingegrenzte Fortschreibung der Anwendung von Gewalt. Zum ersten Mal sei hier die rohe Auseinandersetzung (óme stásis) erkennbar geworden, die sich dann auf die ganze hellenische Welt ausgebreitet hätte (III 82, 1).

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Vgl. z. B. I 42; II 2; II 11; II 62; II 71; III 65. Vgl. IV 97;VII 71.

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Eben dazu wollen aber auch die Thebaner die Spartaner bringen. Diese sollen Platää angreifen, weil die Platäer den Nomos der Hellenen übertreten hätten: III 61, 65, 67, 6.

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Damit ist die Suche nach den hellenischen nómoi an einem toten Punkt angelangt, oder anders formuliert: es existieren offensichtlich unterschiedliche Diskurse darüber, was den Hellenen angemessen sei. Auf der einen Seite steht das Lob für den spartanischen Feldherr Brasidas für sein gerechtes und maßvolles Auftreten (IV 81); auf der anderen die Rechtfertigung von Themistokles in seiner Rede in Sparta, dass die Athener sich sehr „wohl auf ihr eigenes und das allgemeine Beste“ verstehen würden (I 91). Der normativen Festlegung des Richtigen wird die perspektivische Interpretation des Besten gegenübergestellt. Den sich daraus ergebenden Spielraum nützt wie immer Alkibiades aus. Als er die Athener dazu bringen will, den Kriegsbeschluss gegen Sizilien zu fassen, bezieht er sich zuerst auf die hellenischen Regeln: wegen seines Auftretens als Festbote in Olympia hätten die Hellenen Athen für „noch größer“ und mächtiger gehalten, als es tatsächlich sei. Von hier ausgehend stellt er nach etlichen Zwischenschritten den hellenischen nómoi die des eigenen Staates gegenüber. Die Menschen würden ihren Staat am sichersten erhalten, „die von den bisherigen Sitten und Gesetzen, seien sie auch minder vollkommen, am wenigsten abweichen.“ (VI 16, 18).

Gegenwärtige Realität: die Hellenen sind sich selbst fremd Der Schwebezustand, in dem sich befindet, was als hellenisch gelten kann, betrifft auch jede Antwort auf die Frage, wer die Hellenen waren oder gegenwärtig sind. Doch um die ihm zeitgenössische Welt ordnen und bewerten zu können, bleibt Thukydides gar nichts anderes übrig, als sich auf dieses vage Gebilde beziehen. Da diese Welt durch den Krieg gravierend verändert wird, verschieben sich die Abgrenzungen zwischen Eigenem und Fremden, die sich aus dem Rekurs auf die Kriterien

ergeben, nach denen das Gebilde ‚Hellenen‘ konstruiert ist. Tyrannische Herren – Fremde unter den Hellenen

In den Debatten über die Rechtfertigung des peloponnesischen Krieges wird immer wieder auf den Vorwurf rekurriert, dass der jeweils Andere die Freiheit der Hellenen bedrohe oder nicht respektiere. Die politische Freiheit der Hellenen insgesamt kann durch Hellenen bedroht werden, einzelne hellenische Städte können durch hellenische Städte die Freiheit verlieren, aber sie kann aber auch aus der Polis heraus durch Mitbürger in Gefahr geraten. Diese Verkehrung der Verhältnisse, dass nämlich aus der Freiheit vor den Persern Knechtschaft (douleia) für Hellenen durch Hellenen geworden sei, wird aber nicht ausschließlich den Athenern vorgeworfen. In der vom Autor formulierten Grunderklärung für den Krieg heißt es vorerst: Athen zwang die erschreckten Spartaner zum Krieg (I 23). Explizit dann das Urteil, dass die Athener die anderen Hellenen, die freiwillig zu ihren Verbündeten wurden, wie ein Tyrann behandle (I 122, 3, vgl. I 63, 2).6 Daher fordern die spartanischen Gesandten in Athen, dass die Athener die Hellenen in die Selbständigkeit entlassen sollen (I 139). Dieser Appell bleibt ohne Erfolg. So heißt es nicht viel später aus dem Mund der von den Athenern mit Macht niedergehaltenen Bewohner der Stadt Mytilene auf der Insel Lesbos, dass sie kein Bündnis zur Unterwerfung der Hellenen mit den Athenern geschlossen hätten, sondern eines zur Befreiung von Hellas von den Persern. Deshalb rufen sie die

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Die Korinther exemplifizieren, was unter dieser Tyrannis zu verstehen ist: Athen nahm mit der Zeit den Städten (außer Chios und Lesbos) die Schiffe weg und verlangte Abgaben in Geld, um damit seine Herrschaft zu finanzieren (I 69–70).

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Spartaner an, sich als (ihre) Befreier zu erweisen (III 10–13). Obwohl die Thebaner nicht zu den Verbündeten Athens gehören, lautet ihr Vorwurf an die Athener sehr ähnlich: Platää soll sich aus der Verbindung mit den Athenern lösen, weil diese „ganz Hellas“ unterwerfen wollen. Die Freiheit von Athen wird mit der Freiheit von den Persern auf eine Ebene gestellt (III 62–63) – umgekehrt der Angriff der Athener auf Syrakus mit dem Verhalten der Perser (VI 33). Athen wird zum Tyrannen und damit zum Fremden. Die gegenüber der Perserkriegszeit veränderte Einschätzung, wer der Andere, der Fremde ist, geht auch daraus hervor, dass die Athener gar nicht leugnen, Herrschaft über Hellenen auszuüben. Sie beharren nur darauf, dass ihre Herrschaft gemäß der menschlichen Natur (I 76, 2: anthropeios tropos) den anderen gut tue und dass die Verbündeten das von den Persern ertragen und sich gefallen lassen hätten (I 77, 5). Aus der berühmten Selbsteinschätzung, die Perikles den Athenern vorträgt, ergibt sich die Rechtfertigung dafür. Wir sind die einzigen, die nicht so sehr aus Berechnung des Vorteils wie aus sicherer Freiheit furchtlos anderen Gutes tun (II 40, 5). Er stellt auch mit unverhohlenem Stolz fest, dass noch nie Hellenen über so viele Hellenen geherrscht hätten (II 64, 3). Und um die Zustände im Vergleich mit dem sich auf die hergebrachten Normen beziehenden Hellenendiskurs endgültig auf den Kopf zu stellen, beruft er sich auf eine Verpflichtung der Athener gegenüber ihren Vätern, die Freiheit der Athener zu bewahren und so das Gemeinsame (tò koinón), das heißt aber (nur) Athen zur retten (II 61, 4; vgl. II 65, 4). Mit dieser eindeutigen Verengung der Perspektive des feindlichen Fremden auf andere Hellenen operiert auch der Syrakuser Hermokrates in einer Rede vor einer Versammlung der Sizilier in Gela. Er vergleicht das Verhältnis zwischen den Städten Siziliens mit einem Krieg unter den Bürgern einer Polis (IV 64,

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5: oikeios pólemos) und bezeichnet es als heilige Pflicht, der Bedrohung durch die Athener gemeinsam zu begegnen und untereinander einen ewigen Frieden zu schließen. Freiheit sei eben dann nicht gegeben, wenn man Fremden (allóphyloi), das sind auch die herbeigerufenen Athener (IV 61, 8: epíkletoi), untertan sei. Wenn sie sich aussöhnten, würden sie sich von den Athenern ebenso wie vom inneren Krieg befreien und wären dann alle gemeinsam als Sizilier ein freies Land (IV 64, 5). Doch auch die Spartaner treffen solche Vorwürfe (z. B.: I 93; II 67). Die Platäer fordern vom spartanischen König Archidamos, ihre Unabhängigkeit zu respektieren, die gerade der im Anschluss an die Perserkriege zum ‚König‘ (basileus) mutierte Spartaner Pausanias mit einem Eid garantiert hatte (II 71, 2–4). Von den Lakedaimoniern auf Leben und Tod bedroht, kommen sie darauf zurück: wenn die Spartaner die Platäer töteten, würden sie das Land gerade an der Stelle, wo Hellas in den Perserkriegen (endgültig) frei geworden war, unterjochen. Der im realen Verhalten enthaltene Bruch mit dem Hellenendiskurs wird an den damit verbundenen Folgen kenntlich gemacht. Die Lakedaimonier würden auch die Tempel der Götter, zu denen sie vor dem Sieg über die Perser beteten, verfallen lassen, die die Väter der jetzigen Generation begründet hatten (III 58, 5). Tatsächlich kümmern sich die Spartaner um solche Argumente nicht, sondern erobern gemeinsam mit den Thebanern die Stadt Platää. Freiheit ist Autonomie – Hellenen als die Anderen

Knapp vor Kriegsausbruch fordern die Spartaner noch einmal, dass Athen seine Verbündeten in die Autonomie entlasse (I 139, 3). Im Krieg selbst entwickelt der spartanische Feldherr Brasidas in einer Rede vor den Bewohnern von Akanthos, einer Apoikie der Insel Andros, ein regelrechtes Freiheitsprogramm

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(IV 85–87; vgl. Hornblower 1996, 276–278). Er sei zu nichts anderem gesandt, als Hellas zu befreien (vgl. IV 105–106, 108, 114, 120). Dafür sei es nötig, die Athener zu bekämpfen. In diesem Bemühen wolle er ihnen jedoch keine nicht dem Recht entsprechende Freiheit aufdrängen. Als Verbündete Spartas wären sie selbständig (IV 86, 1: xýmmachoi autónomoi). Die Lakedaimonier mischen sich nicht in die inneren Verhältnisse einer Stadt ein; das wäre eine Fremdherrschaft, die Herrschaft eines anderen Stammes (allophýlou arché). Doch sollten sie sich auch nicht gegen diese Freiheit sträuben; denn die Verpflichtung auf das für sie alle gemeinsam Beste (IV 87: koinón agathón) verpflichtet die Spartaner zur Befreiung der Hellenen aus der Knechtschaft (IV 87: douleia) durch die Athener.7 Auch die von den Spartanern versprochene Autonomie ist nicht vollständig. Schon ganz am Beginn des Textes heißt es, dass die Lakedaimonier zwar ihre Verbündeten nicht abgabenpflichtig machen, aber doch darauf achten, dass durch eine Oligarchie die Dinge in ihrem Sinn gelenkt werden (I 19). Und natürlich versuchen die Athener zu lancieren, dass Sparta gegen die eigenen Verheißungen verstößt (III 109). Tatsächlich handelt sich der spartanische Feldherr Alkidas, der in Teos alle Gefangenen niedermachen lässt, von den Gesandten der Samier den Vorwurf ein, dass das „nicht rechte Art (sei), Hellas zu befreien“ (III 32, 1–2).8

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Vgl. auch I 124. Auf diese Selbstdarstellung der Spartaner reagieren positiv:Thasos (VIII 46, 64),Torone (IV 114), die Skionier (IV 120). Aus anderer Perspektive erscheint Ähnliches. Der Böotarch Pagondas behauptet, dass es ererbte Art der Böoter sei, ein Heer fremder Abkunft (stratos allophylos) zurückzuschlagen, insbesondere wenn es aus Athen kommt, das alle anderen zu Sklaven zu machen sucht (IV 92, 4: doulousthai). 8 Vgl. zur Reaktion der Spartaner auf solche Vorhaltungen:V 25, 77, 79.

Die Diskrepanz zwischen eigenem Machtstreben und den zu dessen Realisierung eingesetzten Argumenten ist offensichtlich. Weder die Athener noch die Spartaner sind tatsächlich willens, Gleichheit unter den Hellenen herzustellen, wie das von den Korinthern vor dem Beginn des Krieges als Ziel definiert wird (I 69–70). Das zeigt der die erste Phase des Krieges abschließende Friedensvertrag zwischen Sparta und Athen, der die beiden großen Mächte bevorzugt. In dieser für alle anderen Hellenen unbefriedigenden Situation schlägt (wiederum) Korinth vor, einen Bund zu gründen, an dem alle hellenischen Städte teilnehmen können (V 27) – ein Vorschlag, den Argos aufgreift.Von der Aufnahme in diesen Bund sollen jedoch Sparta und Athen ausgenommen sein (V 28). Der Kreislauf von Machtstreben und Abwertung der jeweils anderen Hellenen wird auch so nicht durchbrochen. Stattdessen wird nach Rechtfertigungen für die Herrschaft über andere Hellenen gesucht, unter anderem dadurch, dass diese fremden Feinden angenähert werden. Der Bürgerkrieg: der Fremde im Inneren der Polis

Die mit dem Bürgerkrieg in Kerkyra im Ablauf des peloponnesischen Krieges gesetzte Zäsur wird ausführlich als eine Steigerung des vorher schon in Athen im Gefolge des Ausbruchs der Pest beobachtbaren Fehlverhaltens beschrieben (II 53). Korinth entließ gefangene Kerkyrer in ihre Heimatstadt mit der Auflage, dass sie Kerkyra in ein Bündnis mit Korinth führen. Die Kerkyrer entschieden sich jedoch für eine Art von Neutralität als Verbündete Athens und gleichzeitig „wie bisher“ Freunde der Peloponnesier (III 70). Dagegen wird in Kerkyra mit einer Klage vorgegangen, der eine Gegenklage gegen die fünf reichsten Bürger entgegengestellt wird. Darauf suchen diese reichen Bürger sofort im Asyl gewährenden

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Umfeld von Altären Schutz. Das zeigt, dass das Problem nicht (mehr) innerhalb der dafür vorgesehenen Prozeduren zu lösen ist. Es beginnt sich eine Spirale der Gewalt zu drehen. Der Vertreter Athens in Kerkyra, Angeklagter im ersten Prozess, wird ebenso wie Ratsleute ermordet. Die Gruppe der Reichen übernimmt die Führung in der Stadt und schickt Gesandte nach Athen, um das Bündnis aufzukündigen. Diese werden in Athen als Aufrührer behandelt und auf der Insel Aigina festgesetzt. Daraufhin werden mit der Unterstützung spartanischer Gesandter die „Machthaber des Volkes“ in Kerkyra angegriffen (III 72). Um sich in dem unter dieser Voraussetzung nicht zu vermeidenden Bürgerkrieg zu stärken, versprechen beide feindlichen Gruppen den auf den Landgütern arbeitenden Sklaven die Freiheit (III 73). Mit deren Unterstützung, aber auch mit der der Frauen (!), siegt das „Volk“ in der nun folgenden Schlacht (III 74). Die „Adligen“ reagieren darauf mit Brandlegung eines größeren Teils fremder, aber auch eigener Häuser. Es ist interessant, dass sich der inzwischen eingetroffene athenische Feldherr Nikostratos nicht einfach auf die Seite ‚des Volkes‘ schlägt, sondern der Gewalt ein Ende zu setzen versucht. Er erreicht einen Friedensschluss zwischen den Gruppierungen, aber auch einen Vertrag mit Athen. Sein vorerst akzeptierter Vorschlag wird wegen des zwischen den Gruppierungen herrschenden Hasses sofort wieder ausgehebelt. Die „Führer des Volkes“ übergeben dem athenischen Feldherrn eine Liste mit Namen aus den Reihen der Begüterten, die ihm als Soldaten mitgegeben werden sollen. Diese fliehen ins Heiligtum der Dioskuren. Weitere Vierhundert von ihnen begeben sich ins Heiligtum der Hera, obwohl sie von Nikostratos geschützt werden. Wegen der intensivierten Involvierung der Peloponnesier und Athens sind der Anwendung der Gewalt ab jetzt keine Schranken mehr gesetzt. Nach einer Seeschlacht zwischen

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Peloponnesiern und Kerkyrern brandschatzen die Peloponnesier das Festland. Die in Kerkyra herrschenden Führer des Volks erschlagen jeden Gegner, dessen sie habhaft werden; fünfzig Schutzflehende, die sich einem Gericht stellen, verurteilen sie zum Tode (III 81). Der Kommentator dazu ist eindeutig: „So ins Unmenschliche steigerte sich dieser Bürgerkrieg und wurde desto stärker empfunden, als er der allererste dieser Art war. Später freilich ergriff das Fieber so ziemlich die ganze hellenische Welt (tò hellenikón)“ (III 82). Die Nichtbeachtung der nur mühsam eruierbaren hellenischen nómoi bedeutete das Zusammenbrechen der Kommunikation (Price 2001, 190–204) und eine völlige Umwertung aller Werte und Regeln: „man schaffte sich vielmehr einen guten Namen, wenn es gelang, gerade durch den Schönklang eines Wortes eine Tat des Hasses zu vollführen“ (III 82, 8; vgl. auch I 31). Aus Hass wurden Hellenen einander zu Feinden, aber auch zu Fremden. Wenn auch nach Thukydides dieses Verhalten mit dem Bürgerkrieg in Kerkyra beginnt, bietet er selbst einige Beispiele, die dafür als Vorläufer anzusehen sind (z. B. II 63, 1; III 64, 4; 67, 5).9 Diese Gedankenlinie im Text scheint auf das Jahr hinzuleiten, in dem Thukydides‘ Darstellung endet, im Jahr 411 v. Chr. mit dem oligarchischen Umsturz in Athen – mit dem dem Volk von Athen hundert Jahre nach der Befreiung von der Tyrannis die Freiheit wieder genommen wurde (VIII 68,4; vgl. Hornblower 2008, 953–954).

9

Von lang anhaltenden inneren Kämpfen ist mehrfach die Rede: Lesbos (III 18), Notion (III 34), Megara (IV 66–74), Chaironeia (IV 76), Parrhasos in Arkadien (V 33) sowie Sikyon, Argos, Akragas, Thurioi und Metapont (VII 46).

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Dorier und Ioner: eine neue Dimension von Fremdheit Mit dem Fortschreiten des peloponnesischen Kriegs tritt das genealogische Argument in der Gestalt des Gegensatzes zwischen Ionern und Doriern immer stärker in den Vordergrund.10 Im Kontext der in Athen ausgebrochenen Seuche wird erwähnt, dass sich die Älteren in Athen an einen alten Spruch erinnert hätten: „Kommen wird einst der dorische Krieg (doriakós pólemos), ihm folgt die Seuche“ (II 54, 2). Auch wenn der ethnische Gegensatz schon von den Korinthern in ihrer Begründung für ihre Forderung an die Lakedaimonier, die Stadt Potideia militärisch zu unterstützen, Anwendung fand (I 124), bringt doch erst der Bürgerkrieg in Kerkyra das direkte Eingreifen der Peloponnesier und Athener auf Seiten der einander bekämpfenden Gruppierungen. Die Folgen daraus werden an zwei direkt an die Ereignisse in Kerkyra geschilderten Vorkommnissen vorgeführt. Das erste führt auf den Schauplatz Sizilien. Hier stehen sich die dorischen Städte und die Leontiner gegenüber. Die Letzteren wollen die Unterstützung von Athen auch mit dem Argument erreichen, dass sie beide Ioner seien (III 86, 3). Tatsächlich schicken die Athener auch mit dem Verweis auf diese Verwandtschaft (oikeiótes) Schiffe nach Sizilien.11 Noch deutlicher wird der Gegensatz ‚Dorier versus Ioner‘ zur treibenden Kraft für den Konflikt im daran anschließend geschilderten, mitten im Krieg erfolgten lakedaimonischen Gründung einer Apoikie genannten Stadt namens Heraklea in der Landschaft Trachis. Der Anlass dafür soll ein Hilferuf der Trachinier und der Bewohner der Landschaft Dorís,

10

Zur trennenden Funktion von Genealogien vgl. IV 120 (Skione),V 31 (Elis), I 141 (Sparta). 11 Athen definierte sich keineswegs seit jeher als ionische Stadt; vgl. III 104.

der Dorier gewesen sein. Mit dem Namen der Landschaft wird die seit dem sechsten Jahrhundert v. Chr. geläufige dorischen Herkunft der Lakedaimonier in den Vordergrund gespielt.12 Die Landschaft Doris findet außerhalb des thukydideischen Textes kaum eine Erwähnung, wird hier jedoch zur Metropolis der Lakedaimonier. Ganz offensichtlich soll durch die ungewöhnlich prominente Positionierung der Landschaft Doris und die Gründung von Heraklea der dorische Charakter der Spartaner außer Zweifel gestellt werden – das auch damit, dass sich an der Gründung der Stadt, mit Ausnahme besonders der Ioner und Achäer, alle Hellenen beteiligen durften (III 92). Nicht nur das, auch die extrem kurze Lebenszeit der Stadt verleihen ihr einen eigentümlichen Charakter: wegen des herrischen Verhaltens der Spartaner (III 93) wird die Stadt von den umliegenden Gruppen eingenommen (V 51), und die Böoter bemächtigten sich der Stadt (V 52). Komplementär zu dem hier beobachtbaren Vorrücken des ethnischen Diskurses ist, dass an Sparta und Athen nach den Perserkriegen eine besondere innere Geschlossenheit hervorgehoben wird. In der weit zurückliegenden Vergangenheit sei Sparta unter den griechischen Staaten zwar am längsten durch innere Kämpfe erschüttert worden, aber auch am frühesten zu Gesetz und Ordnung gekommen.13 Athen als Metropolis der kleinasiatischen Ioner und der Inseln wird in der in der Rede des Perikles formulierten Selbstsicht zu einem Vorbild für ganz Hellas. In dieser Darstellung wird die Verbindung der für Athen spezifischen Freiheit mit der für die Gefah-

12 Zur komplizierten Quellensituation vgl. Ulf 1996, bes. 259–264; teilweise anders Hall 2002, 82–89. 13 I 18; damit stimmt die Charakterisierung von Sparta durch den König Archidamos überein (I 84); allerdings heißt es in I 118, dass Sparta zur Zeit der Pentekontaetie noch „durch inneren Krieg gelähmt“ war.

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ren des Kriegs nötigen Kühnheit, wird der Konflikt mit den äußeren Gegnern zum Kitt für den Zusammenhalt der Polis (II 34–45). Die sich daraus ergebende Gegenüberstellung eines Sparta frei von inneren Konflikten und der inneren Geschlossenheit von Athen hat ganz im Sinn der Sozialpsychologie zur Folge, dass die Welt des jeweils anderen nur mehr als ein scharfer Gegensatz verstanden werden kann. Ab dem Wendepunkt Kerkyra wird daher der Gegensatz ‚Dorier versus Ioner‘ in den Reden besonders der Feldherrn der beiden Kontrahenten zum Hauptargument in der Begründung ihrer feindlichen Haltung zueinander. Brasidas macht seinen Soldaten vor dem Kampf um Amphipolis mit dem Klischee Mut, dass Dorier die Ioner gewöhnlich besiegen (V 9, 1). Boten aus Egesta erinnern die Athener daran, dass Syrakus eine dorische Stadt sei und daher zu befürchten, dass sie als Tochterstadt von Korinth einmal den stammverwandten Doriern zu Hilfe eilen könnte (VI 6, 2). Für den Athener Euphemos sind die Ioner seit jeher Feinde der Dorier (VI 82, 2). Der athenische Feldherr Nikias hofft, dass die Städte Naxos und Katane wegen ihrer Stammverwandtschaft auf der athenischen Seite kämpfen würden (VI 20–23). Athenische Gesandte fordern mit diesem Argument die Unterstützung von Rhegion ein (VI 44). Umgekehrt wirft der pro-athenische Teil der Bewohner von Mytilene seinen Gegnern vor, mit den ihnen verwandten (xyngenés) Böotern gemeinsame Sache zu machen (III 2, 3). Der Syrakuser Hermokrates stellt die Dorier, die ihre eigenen Herren sind (VI 77), den Ionern gegenüber, die immer irgendeinem Herrn unterworfen sind (VI 80). In der Rede des spartanischen Feldherrn Gylippos nimmt schließlich der ethnische Diskurs dann seine volle Schärfe an. Er spornt die Syrakuser und ihre Verbündeten mit dem Hinweis an, dass es empörend wäre, wenn sie, Peloponnesier und Dorier, nicht entschlossen seien, die Ioner

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und Inselvölker und angespültes Gesindel, zu besiegen und aus dem Land zu jagen (VII 5, 4). Durch seine Anreicherung mit Ethnizität wurde das bisher offene Konzept der Verwandtschaft in einem bisher nicht gekannten Maß emotionalisiert. Ein deutliches Indiz dafür sind Begriffe wie Freiheit, Feinde und Verrat, derer sich Hermokrates in solchem Kontext bedient (VI 77, 80).14 Der Athener Demosthenes instrumentalisiert diese ethnisch fundierte Emotionalität im umgekehrten Sinn: er lässt in der Schlacht um Amprakia die Messenier vorgehen und die Amprakier in ihrer dorischen Sprache anreden, um deren Vertrauen zu erwecken (III 112; ähnlich: IV 3; IV 24). Damit ist klar, dass die von Thukydides mühsam ausfindig gemachten hellenischen Regeln durch ethnische ersetzt worden sind. Daraus erhält die Feststellung ihren Sinn, dass der sizilischen Stadt Gela bei ihrer Gründung dorisches Gesetz gegeben wurde, während sich in Himera das Gesetz von Chalkis durchsetzte, obwohl die dort gesprochene Sprache eine Mischung aus chalkidisch und dorisch war (VI 5). Den wohl stärksten Ausdruck findet die durch die Ethnisierung angestrebte Polarisierung darin, dass Personen auftreten, die nach dem Ethnos benannt wurden: Von Brasidas wurde ein Doros als Bote von Herakleia aus nach dem Norden geschickt (IV 78), Dorieus ist spartanischer Feldherr (VIII 35, 1) und Tydeus, der Sohn des Ion, wird in Chios wegen Athenerfreundlichkeit hingerichtet (VIII 38).

14 Der chronologisch erste derartige Fall, das Misstrauen der Spartaner gegenüber den Athenern anlässlich des Helotenaufstands in Messenien, weil diese Fremdstämmige seien, ist Anlass zur Verwunderung, aber (noch) kein Grund, einen grundsätzlichen ethnischen Gegensatz zu postulieren (I 102).

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Die Gier nach Macht lässt alle einander fremd werden Schon für die Frühzeit wurde von Thukydides angenommen, dass der Faktor Macht für die Schaffung eines politischen Großgebildes entscheidend ist. Das dafür im peloponnesischen Krieg am häufigsten zitierte Beispiel ist der so genannte Melierdialog zwischen den Ratsleuten der Insel Melos und den Abgesandten der Athener (V 84–116). Die Insel Melos wollte nicht zum Verbündeten von Athen werden. Daraufhin verwüsteten die Athener das offene Land, schickten dann Gesandte, um den Meliern klar zu machen, dass es das Beste für sie sei, sich Athen anzuschließen. In dem daraus entstehenden Dialog versuchen die Melier mit dem Verweis auf die hellenischen nómoi, auf die Gerechtigkeit, auf die Götter und auf das mit ihnen verwandte Sparta die Athener von ihrem Fehlverhalten zu überzeugen. All dem entgegnen die Athener nur, dass entsprechend der Natur des Menschen nur Macht und Herrschaft zählen. Unter dieser Perspektive sei es doch besser beziehungsweise nützlicher für sie, von Athen abhängig zu sein als sich zu widersetzen, weil sie dann vermeiden würden, vernichtet zu werden (V 84). Mit dieser Aufhebung der Gültigkeit aller ‚kulturellen‘ Regelungen korreliert die Einschätzung des realen Vorgehens der Athener. Schon im Erzählerkommentar am Beginn des Feldzugs gegen Sizilien heißt es, dass die Hilfe für Stammverwandte nur ein Vorwand gewesen war, um Sizilien als Ganzes unterwerfen zu können (VI 6). Und der nach Sparta geflohene athenische Politiker Alkibiades denunziert dort das Ziel Athens als die Herrschaft über die ganze hellenische Welt (VI 90, 4). Die Folge der Aufhebung aller Regeln ist ein Kampf, in dem die Grenzen zwischen den auf diesen Regeln beruhenden Gruppierungen verschwimmen. In der Beschreibung der Belagerung von Syrakus heißt es, dass die Kontrahenten nicht „nach Rechtstiteln oder

durch Stammverwandtschaft“ sich zusammengefunden hatten, sondern „wie Vorteil oder Zwang sie gerade leitete“. Daher kämpften auch Menschen gleicher Abkunft gegeneinander: „Äoler gegen Äoler, nämlich gegen die Böoter auf Syrakus’ Seite … und die Platäer als einzige Böoter geradewegs gegen Böoter“ (VI 56–57). Dasselbe wird auf Seiten der Syrakuser festgestellt, und nicht viel anders verhält es sich in den nachfolgenden Schlachten in beziehungsweise vor Kleinasien (z. B.VIII 25). Damit ist der Weg auch frei für eine Aufhebung der nach dem Perserkrieg gezogenen Grenze gegenüber den barbarischen Persern. Diese werden ab jetzt zum gleichberechtigten Partner im Kampf um die Macht. Wie immer hat diese Haltung ihre Vorläufer, doch jetzt mit Fortdauer des Kriegs benötigt sie keine Rechtfertigung mehr (vgl. I 82, 1–2, 109, 115; II 80–81). Nach den Perserkriegen versuchte der spartanische König Pausanias mit der Unterstützung des Perserkönigs die Herrschaft über Hellas (helleniké arché) zu erreichen (I 128, 3) und verlor deshalb noch Leib und Leben (I 134); Themistokles versuchte Ähnliches (I 135–38). Dann schicken die Lakedaimonier selbst Gesandte zum persischen König und anderen Barbaren, von denen sie sich Hilfe erwarten (II 7, 1; weitere Gesandtschaften: II 65; II 67; IV 50). Die Athener wollen in Sizilien gemeinsam mit Sikelern, aber auch Iberern kämpfen (III 103; VI 88; VI 90), Syrakus versucht, auch italische Städte neben Korinth und Sparta zum gemeinsamen Kampf zu gewinnen (VI 88). Die Unterscheidung von Hellenen und Barbaren spielt in dieser neuen Definition von Zugehörigkeit keine Rolle (vgl. III 82; VIII 46–48, 53–54, 81–82, 108). Auf der Grundlage solchen Denkens gewinnen die Kontakte zwischen Hellenen und Persern nach der Niederlage der Athener in Sizilien eine neue Qualität. Ein charakteristisches Merkmal dafür ist, dass der Anspruch der Perser auf die hellenischen Städte in Kleinasien nicht mehr

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bestritten wird. Die als Subtext propagierte Einheit der Hellenen ist damit auch politisch aufgegeben. So sucht zum Beispiel der persische Satrap Tissaphernes die Hilfe von Sparta, um Abgaben in Ionien einzutreiben, was bisher wegen Athen nicht möglich war (VIII 5). Die Chier und Tissaphernes betreiben das gleiche Anliegen (VIII 6). Parallel dazu werden vom anderen Satrapen Pharnabazos die Verbannten Kalligeitos aus Megara und Timagoras aus Kyzikos nach Sparta geschickt, um dort Schiffe zu erhalten, mit denen sie am Hellespont Abgaben einheben sollen. Gleich nach dem Abfall Milets kommt es zwischen Tissaphernes und Chalkideus zum ersten Bündnis zwischen dem Großkönig und Sparta (VIII 17, 4; vgl. Hornblower 2008, 800–802) und damit der offenen Aufgabe der ideologischen Verbrämung der Perserkriege. Die Städte, die früher persisch waren, sollen das wieder sein und deren Abgaben ab jetzt an die Perser und Sparta gehen. Gemeinsam wollen sie Krieg gegen Athen führen (VIII 18). So zeigt sich im Text des Thukydides eine deutliche Entwicklung von verschiedenen Formen von Identitäten, die mit Formen des Fremden beziehungsweise der Fremdheit in direkter Korrelation stehen. Das sollte zur Vorsicht gegenüber klaren Kategorien wie Hellenen und Barbaren, Doriern und Ionern, aber auch dem Eigenen und dem Fremden mahnen. Deren Abgrenzung ist flexibel.15 Das Gewicht der dahinter stehenden zeitgenössischen Diskurse hängt von der Entwicklung der politischen Lage ab. Das ergibt sich auch daraus, dass auch die durch die Änderung der politischen Situation verdrängten Diskurse da und dort durchscheinen. So empört sich zum Beispiel Lichas, der neue Gesandte aus Sparta, nach der sizilischen Niederlage der Athener über die

15

Zu modernen Vergleichsbeispielen vgl. Baberowski / Kaelble / Schriewer 2008.

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bisher mit Tissaphernes ausgehandelten Verträge, weil Gebiete, über die der König und seine Ahnen früher geherrscht, jetzt wieder von ihm beansprucht würden. Das bedeute ja, dass die Spartaner den Hellenen statt Freiheit eine persische Oberhoheit gebracht hätten. Doch daraus folgt für Lichas zu diesem Zeitpunkt dennoch nicht (mehr), dass die Spartaner sich nur mit Hellenen verbünden sollten, sondern er will vom Perser Tissaphernes nur günstigere Bedingungen für Sparta erreichen (vgl. auch VIII 39, 58, 84). Tissaphernes verließ daraufhin erbittert die Verhandlungen (VIII 43, 4). Obwohl die Beschreibung und Erklärung des Krieges im Text des Thukydides davon getragen wird, dass Macht der über alles entscheidende Faktor, aber auch die treibende Kraft für den Krieg ist, wird bis zuletzt eine Alternative zu den Grauen des Krieges benannt. Diese Alternative bestünde in der Einheit der Hellenen und von Hellas, aber er findet nirgendwo einen Ansatz für deren Realisierung in der historischen Realität.

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Dietmar Till

Kolonialismus des Geistes. Orientalismus und Geschichtsphilosophie bei Herder und Hegel

Einleitung: ‚Orientalismus‘ als Konzept Edward Saids Orientalism handelt auf einer ersten Ebene von der Problematik der Repräsentation des Ostens durch den Westen (des Orients, Asiens durch den Okzident – wir werden sehen, dass diese Begriffe, die für uns heute klarer getrennt sind, im 18. und frühen 19. Jahrhundert noch mehr oder weniger in eins fallen), wobei Said die These vertritt, dass diese Repräsentation inakkurat ist, weil sie falsche Bilder auf den Orient projiziert.1 In diesem Sinne ist ‚Orientalismus‘ ein diskursives Phänomen, das Said bis in die Antike zurückverfolgt, bis zu den Persern des Aischylos: Orientalismus gibt es in der westlichen Tradition also immer schon, und er hat insofern auch für den Okzident / den Westen eine zentrale fundierende Funktion (zur Kritik an Said vgl. Polaschegg 2005; vgl auch Varisco 2007). Wir könnten also sagen, dass es eine bestimmte stereotype Topik der OrientRepräsentation gibt, die als „gesellschaftliche Einbildungskraft“ (um diesen Begriff aus der rhetorischen Topiktheorie Lothar Bornscheuers zu nehmen, vgl. Bornscheuer 1974) Wahrnehmungen des Orients auf einer unbewussten, also basalen Ebene reguliert und präjudiziert. Orientalismus ist damit also eine

Form kultureller Diskriminierung, die verschiedene Bereiche betrifft, wobei sich Said vor allem für zwei Felder interessiert hat, zwischen denen insofern ein Übergängigkeitsverhältnis besteht, als dass ein Bereich den anderen fundiert. Ich meine natürlich die beiden Systeme von Wissenschaft und (imperialer) Politik. Said arbeitet in seiner Studie heraus (vor allem am Beispiel von England und Frankreich), wie der akademische Diskurs des Orientalismus den imperialen ideologisch fundiert und dessen koloniales Expansionsstreben damit legitimiert und vorantreibt. Das meint Said, wenn er den Orientalismus als ‚akademische Tradition‘2 von der „tatsächlichen Seite des Orientalismus“ (Said 2009, 11) abtrennt: „Nimmt man in sehr grober Annäherung das späte 18. Jahrhundert als Ausgangspunkt, so stellt sich der Orientalismus als institutioneller Rahmen für den Umgang mit dem Orient dar, das heißt

1

Wobei sich Said für diese Frage nach Wahrheit / Richtigkeit – die „Lügen und Märchen“ (Said 2009, 15) – nicht sehr interessiert, sondern für die machtstrategische Funktion des zugrundeliegenden Diskurses. 2 Hierzu speziell mit Blick auf die deutsche Tradition S. Marchand (2009).

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für die Legitimation von Ansichten, Aussagen, Lehrmeinungen und Richtlinien zum Thema sowie für ordnende und regulierende Maßnahmen. Kurz, der Orientalismus ist seither ein westlicher Stil, den Orient zu beherrschen, zu gestalten und zu unterdrücken“ (ebd.).

keine wertfreie und unpolitische Wissenschaft, das akademische Wissen etwa um Indien oder Ägypten sei „von den politischen Gewaltverhältnissen“ durchsetzt und geprägt (ebd. 20). Vielmehr sei von einer „prekären Symbiose“ (ebd. 22) unterschiedlicher „Machtinstanzen“ auszugehen,

Said greift an dieser Stelle auf die Diskurstheorie von Foucault zurück. Er arbeitet heraus, wie ‚orientalistische‘ Diskurse unsere Auffassungen vom Orient normalisieren und naturalisieren – und wie auf dieser Grundlage handfeste Fragen nach Macht, Einfluss und Hegemonie zu sehen sind. Es geht also um Fragen des strategischen Einsatzes von Wissen, um dadurch Macht zu generieren und auszuüben. Said (2009, 12) scheibt: „Mit einem Wort, dank des Orientalismus ging (und geht) mit dem Orient eine Reglementierung des Denkens und Handelns einher“. Man sieht an diesen Zitaten: Edward Saids ‚Orientalismus‘-Konzept ist gerade für Rhetoriker, die ja untersuchen, wie man durch Kommunikation Einfluss ausüben kann, äußerst spannend, ja man könnte sagen, dass auf der Ebene des Diskurses ‚Orientalismus‘ ein rhetorisches Phänomen ist (s. auch Osterhammel 1997). Zentral für den ‚Orientalismus‘ ist die Vorstellung einer Überlegenheit des Westens (vgl. Said 2009, 16), die zugleich dessen Hegemoniestreben zu legitimieren vermag. Aus diesem Überlegenheitsstreben, so Said, geht der Orient erst hervor: „zunächst aufgrund allgemeiner Prinzipien darüber, wer oder was als orientalisch zu gelten hatte, und dann nach einer speziellen Logik, die indes nicht einfach der empirischen Realität folgte, sondern einem ganzen Bündel von Bedürfnissen,Verdrängungen, Unterstellungen und Projektionen“ (ebd. 17). An diesem erst mittelbar geostrategischen Orientalismus hat die Wissenschaft vom Orient entscheidenden Anteil – nach Said gibt es

„darunter die politische (in Form des Kolonialismus oder Imperialismus), die intellektuelle (in Form von Leitwissenschaften, etwa der vergleichenden Linguistik und Anatomie oder Bereichen der modernen Politologie), die kulturelle (in Form von Geschmacks-, Texte- oder Wertekanons und anderen Orthodoxien), die moralische (gestützt auf Annahmen darüber, was ‚wir‘ tun, ‚die‘ aber nicht so verstehen können wie ‚wir‘). Ich meine also, dass der Orientalismus ein konstitutiver und nicht nur beiläufiger Bestandteil der modernen politisch-intellektuellen Kultur ist – und als solcher weniger mit dem Orient selbst als mit ‚unserer‘ Welt zu tun hat.“ (ebd. 22). Wissenschaftliche und (in engerem Sinne) ‚politische‘ Fragen gehen also Hand in Hand. Said umreißt das Spektrum möglicher Fragen an eine Erforschung (die bei ihm zugleich die Aufdeckung einer Art geistesgeschichtlichen Komplottes ist) in folgender Weise: „Welche … geistigen, ästhetischen, ethischen und kulturellen Energien flossen in die Entstehung einer imperialistischen Tradition wie der orientalistischen? Was trugen Philologie, Lexikographie, Geschichtswissenschaft, Biologie, Politologie, Ökonomie, Lyrik und Prosa zur generell imperialistischen Weltanschauung des Orients bei?“ (ebd. 25).

Kolonialismus des Geistes

Hegel und Herder – Historismus und Geschichtsphilosophie In dieses Spektrum möglicher Fragen reihen sich die nachfolgenden Überlegungen ein, die mit Johann Gottfried Herder (1744–1803) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770– 1831) zwei Theoretiker mit Blick auf ihren Standpunkt zu ‚Orientalismus‘ befragen, die bei Said selbst keine zentrale Rolle spielen (Herder wird einige Male genannt, Hegel gar nicht). Insgesamt konzentriert sich Said, was in der Forschung auch immer wieder kritisch angemerkt wurde, auf die englischen und französischen Quellen. Dass es tatsächlich auch einen intensiven ‚deutschen Orientalismus‘ gibt (und zwar einen Orientalismus ohne Imperialismus, also ohne Kolonien – die es ja dann erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab), das ist erst richtig deutlich geworden durch die grundlegende Studie von Suzanne Marchand German Orientalism in the Age of Empire von 2009. Es gibt also einen Orientalismus, der – jedenfalls potenziell – koloniales Machtstreben gedanklich vorbereitet, also einen Diskurs der Normalisierung, der ‚dem Westen‘ eine bestimmte hegemoniale Machtposition gegenüber ‚dem Orient‘ zuweist, also Wegbereiter für praktisch-machtpolitisches Handeln sein kann. Zwei Gesichtspunkte sind bei Herder und Hegel mit Blick auf den Diskurs des Orientalismus interessant: Erstens werden Herder und Hegel mit dem Begriff des Historismus einerseits und dem Konzept einer säkularen Geschichtsphilosophie andererseits verbunden. Historismus meint hier die mit dem 18. Jahrhundert verbundene Vorstellung von der Eigengesetzlichkeit der Zeit-Epochen, also der Vorstellung, dass man in einer als individuell verstandenen Jetztzeit lebt, kurzum: die Idee der Geschichtlichkeit. Davon hängt dann der moderne Kollektivsingular von ‚der Geschichte‘ unmittelbar ab. Geschichtsphilosophie als Teildisziplin

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der Philosophie wiederum hat Vorstellungen und Konzepte von Geschichte zum Gegenstand, im Falle Hegels eine ziemlich harte Konzeption von Fortschritt und Richtung des historischen Prozesses (darauf wird später noch eingegangen). Allgemein grenzt man den Historismus und die Geschichtsphilosophie à la Hegel als diametrale Konzepte voneinander ab: Historismus betont die Eigengesetzlichkeit von Epochen, arbeitet nicht mit Wertkonzepten wie ‚Fortschritt‘ und hierarchisiert deshalb Epochen nicht, die Hegel’sche Geschichtsphilosophie tut genau das Gegenteil. Wir werden sehen, dass diese Differenz in der Praxis nicht ganz so fundamental ist, wie die Theoretiker (wie etwa Friedrich Meinecke in seinem bedeutenden Werk über den Historismus) es postulieren. Zweitens ist für den Diskurs des Orientalismus interessant, dass mit Vorstellungen wie derjenigen vom ‚Fortschritt‘, von ‚Entwicklung‘ oder von ‚Zielen‘ und dem ‚Ende‘ der Geschichte, die metaphorisch etwa in Konzepten von Aufstieg und Abstieg gedacht werden, immer auch eine Bewegung von der Peripherie ins Zentrum (also nach Europa, den ‚Westen‘) verknüpft ist. Häufig wird diese Vorstellung durch Allegorien der Lebensalter ausgedrückt, also mit dem Orient als ‚Kind‘ und dem ‚Westen‘ als Erwachsenem, oft mit der Vorstellung einer Geschlechterdichotomie verbunden, die den Osten / Orient an das Weibliche (und die Einbildungskraft / Phantasie), den ‚Westen‘ / Okzident an das Männliche (und die Rationalität / Vernunft) bindet. Geschichte verläuft also nicht nur durch die Zeit als Aufstieg etwa von Rationalität, Subjektivität oder ähnlichem, sondern sie lässt sich auch geographisch durch die Bewegung von der Peripherie auf ein Zentrum (den Westen) hin verstehen. Wie diese beiden Aspekte bei Herder und Hegel unterschiedlich (aber eben komplett anders) aussehen, möchte ich im Folgenden zeigen. Zwischen beiden Texten / Textgrup-

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pen liegen etwa fünfzig Jahre: Herders Auch eine Philosophie der Geschichte der Menschheit erschien anonym 1774 in Riga, Hegels Vorlesungen über ‚Philosophie der Weltgeschichte‘ wurden zwischen 1822 und 1831 fünfmal vorgetragen.3

Herder Herders Abhandlung Auch eine Philosophie steht am Beginn der Entstehung der modernen Geschichtsphilosophie (der Begriff selbst wurde in dieser Zeit auch noch nicht terminologisch und mit einer gewissen semantischen Unschärfe verwendet). Im Jahre 1765 war Voltaires äußerst einflussreicher, kontrovers diskutierter Essay Philosophie de l’histoire erschienen. Voltaire, radikaler Aufklärer und deshalb radikaler Kritiker des Klerus, richtet seine Geschichtskonzeption in erster Linie gegen eine christliche Historiographie, wie es etwa Bossuet am Ende des 17. Jahrhunderts vertreten hatte (solche Positionen waren auch fast ein Jahrhundert später noch gängig): Gemeint ist das Verständnis von Geschichte als Heilsgeschichte (als Eschatologie), der ein Plan innewohnt, den Gott als Lenker und Leiter der Geschichte verfolgt (vgl. Dierse / Scholtz 1974, 417). Wie aber sollte ‚Geschichte‘ – verstanden als begründeter, eben nicht kontingenter Zusammenhang von historischen Einzelereignissen – verstanden werden? Als Fortschritt mit dem Ziel der ‚Vernunft‘? Für die Frage nach der Bewertung des Orients haben solche geschichtsphilosophischen Fragen unmittelbare Relevanz, denn es ist etwa klar, dass das Modell der Geschichts-Progression (mit dem

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Ich beziehe mich im Folgenden auf die Edition im Rahmen der Suhrkamp-Theorie-Werkausgabe unter dem Titel Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Die Vorlesungen wurden erst durch den Hegel-Schüler Heinrich Gustav Hotho zum Druck befördert.

‚vernünftigen‘ Westen des 18. Jahrhunderts als Ziel) eine Abwertung des ‚Orients‘ als Vorläufer (der eben auf einer Stufe des noch-nichtAufgeklärt-Seins verharrt) unmittelbar und mit zwingender Logik bedingt: Geschichtsphilosophische Diskurse dienen also der Legitimation und sind insofern Grundlage des ‚Orientalismus‘. Zudem stellte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch die Frage nach der ‚Nützlichkeit‘ der Geschichte (vor dem Hintergrund des ciceronischen Topos von der historia als magistra vitae; vgl. Koselleck 1989) sowie die Frage, wie man die Geschichte als Textgattung vom (ja ebenfalls erzählenden) Roman abgrenzen sollte (dies ist ein etwa von David Hume diskutiertes Problem: rekonstruiert der Historiker Geschichte oder konstruiert er sie nicht vielmehr? Vgl. Rothermund 1994, 44). Letzteres zeigt, wie sehr die Dinge am ‚Vorabend‘ der modernen Geschichtswissenschaft noch im Fluss sind. In der Frage, ob ‚die‘ Geschichte einem Progressionsverlauf folgt, also ob es geschichtlichen ‚Fortschritt‘ gibt, äußert sich Herder vermittelnd. Ein absolutes Ziel der Geschichte gibt es für ihn nicht, gleichwohl aber eine Abfolge von Kulturen, zwischen denen es die Vorstellung einer ‚Entwicklung‘ gibt – ein Konzept von Entwicklung allerdings, das früheren Kulturen als Bedingung der Existenz späterer, entwickelter Kulturen doch so etwas wie ein ‚Eigenrecht’ belässt. In der Epochenfrage nach Progression versus Historismus nimmt Herder eine durchaus raffiniert zugeschnittene Zwischenposition ein. Das betrifft auch seine Einschätzung der Kulturen des sogenannten ‚Orients‘, die Herder durch das Etikett eines patriarchalen Despotismus charakterisiert.Zentral dabei ist, von welchem Standpunkt aus man diese Kulturen bewertet. Herder plädiert hier für einen relativierenden, historisierenden Standpunkt, den er durch eine LebensalterAllegorie und Metaphern aus dem Bereich der Biologie illustriert: Das Morgenland ist Kindheit und Keim und damit zwar – für sich

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genommen – noch nicht entwickelt (und also sozusagen ‚primitiv‘), aber doch zugleich in dieser Perspektive des Wachstums Vorläufer und Grundlage – Herder spricht von „Keimen“ und „Grundsäulen“ (Herder 1774 / 1990, 10), manchmal auch von „Grundsteine[n]“ (ebd. 11) – der eigenen Kultur: „Und siehe, was jedem einzelnen Menschen in seiner Kindheit unumgänglich not ist: dem ganzen Menschengeschlecht in seiner Kindheit gewiß nicht weniger. … Jahrhunderte haben drüber gebaut, Stürme von Weltalter haben sie wie den Fuß der Pyramiden mit Sandwüsten überschwemmet, aber nicht zu erschüttern vermocht – sie liegen noch! und glücklich, da alles auf ihnen ruht.“ (ebd. 10–11) Herder pocht hier also gewissermaßen auf das ‚Eigenrecht‘ früherer Kulturen: „jeder vernünftelt doch nur nach seiner Empfindung“ (ebd. 10; Hervorhebung D.T.) heißt es. Ein weiteres Zitat: „Wie töricht, wenn du diese Unwissenheit und Bewundrung, diese Einbildung und Ehrfurcht, diesen Enthusiasmus und Kindessinn mit den schwärzesten Teufelsgestalten deines Jahrhunderts, Betrügerei und Dummheit, Aberglaub’ und Sklaverei brandmarken, dir ein Heer von Priesterteufeln und Tyrannengespenstern erdichten willt, die nur in deiner Seele existieren!“ (ebd. 13; Unterstreichungen D.T.) Die geschichtliche Entwicklung läuft für Herder aus dem Osten gewissermaßen auf das Zentrum ‚Westen‘ zu, das es trotz einer historistischen Sicht auf die historischen Prozesse bei Herder klar gibt. Auf den Orient mit seinem System des Patriarchalismus und Despotismus folgt das alte Ägypten. Herder diagnostiziert Veränderungen auf mehreren sozialen,

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wirtschaftlichen, staatstheoretischen und verwaltungsmäßigen Ebenen; letztlich geht sein ganzheitlicher Blick auf die Entwicklung der einzelnen Kulturen sogar bis in den Bereich der Ethik: Ackerbau, Städteleben, sogar ein „Bürgersinn“ entsteht nun, wobei diese Entwicklung auch aus dem Mangel und einer produktiven Adaptationsleistung heraus erklärt wird (ebd. 16). Ägypten ist am Ende von Herders Ausführungen ein „Knabe[n] von sieben Jahren“ (ebd. 17), mit dem sich also „noch nicht, wie mit Greis und Manne, vernünfteln“ lässt (ebd.). Man sieht hier, wie Herder zwischen den beiden Polen schwankt: Einerseits gibt es – gemessen an seinem eigenen Jahrhundert der Aufklärung – ein klares Defizit an Rationalität, doch die eigentlich negative Diagnose fehlender Vernunft wird gleich wieder positiviert. Denn der Knabe „mußte eingeschlossen sein. Eine gewisse Privation von Kenntnissen, Neigungen und Tugenden mußte da sein, um das zu entwickeln, was in ihm lag und jetzt in der Reihe der Weltbegebenheiten nur das Land, die Stelle entwickeln konnte! Also waren ihm diese Nachteile Vorteile oder unvermeidliche Übel, wie die Pflege mit fremden Ideen dem Kinde, Streifereien und Schulzucht dem Knaben – warum willt [sic!] du ihn von seiner Stelle, aus seinem Lebensalter rücken – den armen Knaben töten?“ (ebd. 18) Zielscheibe von Herders Kritik an einer falsch verstandenen Vorstellung historischer Progression im Sinne von ‚Überwindung‘, von Abwertung und Negierung des Vergangenen ist Johann Joachim Winckelmanns einflussreiche Geschichte der Kunst des Altertums von 1764. In einer längeren Passage kritisiert er dessen gräcozentrischen Schönheitsbegriff, der die griechische Plastik als Ideal, ägyptische Kunst von diesem Ideal ausgehend als deviant abwertet:

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„Der beste Geschichtschreiber der Kunst des Altertums, Winckelmann, hat über die Kunstwerke der Ägypter nur nach griechischem Maßstabe geurteilt, sie also verneinend [= abwertend] sehr gut, aber nach eigner Natur und Art so wenig geschildert, daß fast bei jedem seiner Sätze in diesem Hauptstück das offenbar einseitige und Schielende vorleuchtet. … Und da es den Ägyptern meist so geht, daß man zu ihnen aus Griechenland und also mit bloß griechischem Auge kommt – wie kanns ihnen schlechter gehen?“ (ebd. 18). Auf die Ägypter – ich raffe an dieser Stelle Herders Argumentation etwas – folgen die Phönizier, die als schlechterdings „unvergleichbar“ (ebd. 20) bezeichnet werden, und darauf schließlich die Griechen, wobei wir auf der Stufe des Jünglings angekommen sind (darauf folgt dann Rom, aber das interessiert uns nicht mehr). Für Herder wird Griechenland durch die Idee der demokratischen Staatsform verkörpert, und er lässt keinen Zweifel daran, dass er diese für die optimale hält. Noch einmal wird klar, wie vorsichtig und abwägend er mit dem Problem historischer Entwicklung umgeht. Denn einerseits ist erst mit der attischen Demokratie die beste Regierungsform erreicht, andererseits führt dies nicht zu Abwertung orientalischer Despotie, ägyptischem Zunftwesens und phönizischer Aristokratie als bloßer ‚Vorstufen‘. Einmal mehr Herder: „Die Regimentsform, mußte sie sich nicht vom orientalischen Vaterdespotismus durch die ägyptischen Landzünfte und halbe phönizische Aristokratien herabgeschwungen haben, ehe die schöne Idee einer Republik in griechischem Sinne … statthaben konnte?“ (ebd. 22). Zentral für Herders Modell historischer Entwicklung ist – neben den biologischen Meta-

phern – das Bild der Leiter. Mit dem Ausruf „Entwickelung, Fortgang, Stufen der Leiter!“ (ebd. 16) beschreibt Herder in Auch eine Philosophie einmal seinen geschichtsphilosophischen Ansatz: Historisches Bewusstsein ist damit für ein angemessenes Verständnis vergangener und fremder Kulturen notwendig, mehr aber noch für eine angemessene Einschätzung vom erreichten Stand der eigenen Kultur, die als Produkt des Durchgangs und der Reflexion früherer Kulturstufen beschrieben wird. Herders eigenes Zeitalter steht am Ende der Stufen-Leiter, die doch nicht um- oder weggeworfen kann, will man der Kultur nicht ihr Fundament und ihren Stand entziehen. Herder ist also – um wieder zu meiner Ausgangsfrage zurückzukehren – kein ‚Orientalist‘ im Sinne Edward Saids. Doch er ist auch kein Relativist. Am absoluten Vorrang der griechischen Kultur etwa lässt er keinen Zweifel, an der Defizienz der orientalischen Lebens- und Gesellschaftsformen aber auch nicht.

Hegel In Hegels Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte verläuft vieles eindeutiger und klarer als bei Herder. Vorgetragen wurden diese Vorlesungen in den Jahren 1822–1831 an der Berliner Universität (Hegel selbst starb 1831); Herder und Hegel trennt also ein knappes halbes Jahrhundert. Neben den geschichtsphilosophischen Vorlesungen findet sich Material zu Hegels Haltung zum Orient übrigens noch in den Ästhetik-Vorlesungen und in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Diese beiden Werkkomplexen stehen am Beginn der nachfolgenden Ausführungen, weil sie erste Hinweise zu Hegels Orient-Konzept geben. In den philosophiehistorischen Vorlesungen gibt es am Ende des ersten Teils (also noch vor dem eigentlichen geschichtlichen Durchgang) einen Abschnitt ‚Orientalische Philosophie‘, dessen Fremdkörpercharakter

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unter anderem schon dadurch deutlich wird, dass er nicht in die sonst durchgängige Kapitel- und Abschnittszählung integriert ist. Die, so Hegel, „sogenannte orientalische Philosophie“ trete „nicht in den Körper und Bereich unserer Darstellung“; sie sei „nur ein Vorläufiges“, mehr „religiöse Weltanschauung“ (Hegel 1971, 138) als ‚seriöse‘ Philosophie. Ursache hierfür ist der Grad der Individualisierung des Subjekts, der im Christentum hoch sei („das Subjekt [ist] frei“ ebd. 140), im Orient allerdings schlechterdings nicht (noch nicht) vorhanden sei. Resümierend spricht Hegel vom „Mangelhafte[n] des Orientalismus“ (ebd. 169), der dem „harte[n], europäische[n] Verstand“ (ebd.) gegenübergestellt wird. Diese Exklusion des Orients aus der Philosophie (wie sie etwa das Schema ‚Vom Mythos zum Logos‘ des Altphilologen Wilhelm Nestle 1940 in seinem wichtigen Buch prägte; vgl. Nestle 1940) auf der Basis eines Emanzipationsnarrativs ist bis heute in einer eurozentrischen Philosophiegeschichtsschreibung prägend. Sie findet sich analog auch in Hegels ÄsthetikVorlesungen, genauer in den Abschnitten über die symbolische Kunstform. Das Symbol, so argumentiert Hegel, ist ein Konzept, das im Verlauf der Geschichte der Entwicklung der Kunst zugunsten von Konzepten wie Idee und Form überwunden werden muss. Das Symbol, so schreibt er, mache den „Anfang der Kunst“ aus, die deshalb „gleichsam nur als Vorkunst zu betrachten [sei], welche hauptsächlich dem Morgenlande“ (Hegel 1970b, 393) zugerechnet werden müsse. Erst die Auflösung der symbolischen Kunstform markiert die Grenze zur eigentlichen Kunst, der ‚klassischen‘ Kunst der Griechen (ebd.). Deutlicher noch wird diese Linie in den Geschichtsphilosophie-Vorlesungen. Hegel beginnt mit einer Entgegensetzung von Natur und Geist: Während es in der Natur nur den Kreislauf gibt, aber nichts Neues, ist erst der menschliche Geist zur Veränderung in der Lage. Dem Menschen wohnt eine „wirkliche

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Veränderungsfähigkeit“ inne (Hegel 1970a, 74), „ein Trieb der Perfektibilität“, ein „Fortgang zum Besseren, Vollkommneren“ (ebd.). Zwar ist Geschichte damit ohne Ziel und auch ohne Zweck (ebd. 75) – insofern ist Hegel Gegner einer Vorstellung der Heilsgeschichte –, aber die Veränderung zum Besseren hin ist doch ein formales Prinzip, das den Verlauf der Geschichte organisiert. Dabei ist der Begriff der ‚Freiheit‘ zentral, insofern der „Stufengang der Entwicklung“ einem Bewusstsein von der Freiheit korreliert, dessen Endpunkt Hegel als „Selbstbewußtsein und Selbstgefühl des Wesens der Geistigkeit“ bestimmt (ebd. 77). Geschichte ist insofern ein Reflexionsmedium der Entwicklung des Selbstbewusstsein; ohne Geschichte bleibt auch die politische Organisation des Gemeinwesens rückständig: „Die Geschichte ist aber immer für ein Volk von großer Wichtigkeit, denn dadurch kommt es zum Bewußtsein des Ganges seines Geistes, der sich in Gesetzen, Sitten und Taten ausspricht. Gesetze als Sitten und Einrichtungen sind das Bleibende überhaupt. Aber die Geschichte gibt dem Volke sein Bild in einem Zustande, der ihm dadurch objektiv wird. Ohne Geschichte ist sein zeitliches Dasein nur in sich blind und ein sich wiederholendes Spiel der Willkür in mannigfaltigen Formen.“ (Hegel 1970b, 203–204). Staatlichkeit ist für Hegel der Beginn der Geschichtlichkeit, insofern zählt er die Mythen des Orients (und damit den Orient überhaupt) ‚noch‘ nicht zur Geschichte: Geschichte sei prosaisch, heißt es, nicht poetisch wie die Fabel. Abstraktes Denken, Formulierung von Gesetzen, die Trennung von Immanenz und Transzendenz sind zentrale Indikatoren. Hegel macht das u. a. am Gottesbegriff der Orientalen fest, insofern weltliches und göttliches

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Recht unter der Konzeption einer Theokratie in eins fallen (ebd. 143): „Was wir Gott nennen, ist im Orient noch nicht zum Bewußtsein gekommen, denn unser Gott tritt erst in der Erhebung zum Übersinnlichen [also über das Sinnliche hinaus, ins Abstrakte] ein, und wenn wir gehorchen, weil wir das, was wir tun, aus uns selbst nehmen, so ist dort [im Orient] das Gesetz das Geltende an sich, ohne dieses subjektiven Dazutretens zu bedürfen“ (ebd. 143). Anders als Herder hat Hegel einen weiter gefassten Begriff vom Orient: Er fasst darunter auf Grundlage einer naturräumlichen Gliederung (Hegel spricht von „Terrains“): China und die Mongolei, Ganges und Indus (Indien, das vor allem durch Friedrich Schlegels Sanskrit-Forschungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts prominent wurde), Persien und die Ebenen von Euphrat und Tigris, schließlich Ägypten und die Ebene des Nil. Mit China nun beginnt für Hegel die eigentliche Geschichte, deren Darstellung auf dem Wertungsprinzip des ‚noch nicht‘ basiert: Die Länder und Gegenden des Orients werden an einem – westlichen – Ideal gemessen, das dort eben noch nicht realisiert ist. Erst Griechenland markiert, so Hegel, den „Übergang in die Weltgeschichte“ (Hegel 1970b, 146), während China und Indien „noch außer der Weltgeschichte liegen“ (ebd. 147). Diese Völker haben, so heißt es weiter, „uralte Traditionen, aber keine Geschichte.“ (ebd. 147) Was das Recht anlangt, so vergleicht Hegel die Chinesen mit Kindern: Diese kennten die „Subjektivität der Ehre nicht; sie unterliegen mehr der Zucht als der Strafe, wie bei uns die Kinder“ (ebd. 162). Denn: „Bei der Züchtigung ist der Abhaltungsgrund nur Furcht vor der Strafe, nicht die Innerlichkeit des Unrechts, denn es

ist hier noch nicht die Reflexion über die Natur der Handlung selbst vorauszusetzen.“ (ebd. 162) Indien erscheine im Gegensatz zum ‚prosaischen‘ China „als ein Wunderreich, als eine verzauberte Welt“: Es ist für Hegel das „Land der Phantasie und Empfindung“ (Hegel 1970b, 174), eine Schatzkammer der Natur, in der neben Diamanten und Perlen auch „Wohlgerüche, Rosenöle, Elefanten, Löwen usw.“ (ebd. 178) zu finden sind. Deren Ausbeutung durch westlich-imperiale Mächte liegt für Hegel in der Logik der Weltgeschichte: „Die Engländer, oder vielmehr die Ostindische Kompanie, sind die Herren des Landes, denn es ist das notwendige Schicksal der asiatischen Reiche, den Europäern unterworfen zu sein, und China wird sich auch einmal diesem Schicksale fügen müssen“ (ebd. 179). Aufgrund der Fixierung der Inder auf die ‚poetische‘ Einbildungskraft sind sie nicht in der Lage, zu geschichtlichem Bewusstsein zu gelangen. „Denn Geschichte“, so Hegel, „erfordert Verstand, die Kraft, den Gegenstand für sich freizulassen und ihn in seinem verständigen Zusammenhange aufzufassen. Der Geschichte, wie der Prosa überhaupt, sind daher nur Völker fähig, die dazu gekommen sind und davon ausgehen, daß die Individuen sich als für sich seiend, mit Selbstbewußt sein, erfassen“ (ebd. 202). Logische Folge dieser Geschichts-Unfähigkeit ist die Amoralität der Inder; ihre Einbildungskraft verkehrt die Realität „zum Fiebertraum“: „Wahrhaftigkeit [ist] das Gegenteil ihrer Natur, sie lügen sogar wissentlich und vorsätzlich, wo sie es besser wissen.“ (ebd. 203) Erst mit den Persern, so heißt es, „treten wir … in den Zusammenhang der Geschichte“ (ebd. 215). Im Gang von Osten nach Westen, der die Geschichtsfähigkeit der Völker und Kulturen bestimmt und Hegels Darstellung strukturiert, markiert Persien also eine Schwelle hin zur Geschichtlichkeit. Hegel macht das daran fest, dass Persien untergegan-

Kolonialismus des Geistes

gen ist. Während China und Indien „statarisch bleiben“ (ebd. 215) und ein „vegetatives Dasein bis in die Gegenwart fristen“, gewinnt Persien gewissermaßen historische Größe durch seinen Untergang, denn nur Entwicklungen und Umwälzungen sind Ausdruck des „geschichtlichen Zustand[s]“ (ebd. 215). Hegels Rekonstruktion basiert also auf einem Narrativ des ‚Durchbruchs‘ zum Historischen. Ähnlich wie bei Herder ist es auch bei Hegel der „Übergang zu Griechenland“ (ebd. 273), der die eigentliche Wende zur Geschichte markiert: Die Selbstbefreiung des Geistes überwindet Limitationen und Widersprüche des orientalischen Geistes: „Hier ist es zuerst, wo der Geist herangereift sich selbst zum Inhalt seines Wollens und seines Wissens erhält“ (ebd. 275). Zugleich fühlt man sich in Griechenland, wie Hegel schreibt, „sogleich heimatlich“, wir sind also im Westen, in Europa, im Okzident angekommen, wo das „eigentliche Aufsteigen ... des Geistes zu suchen“ ist (ebd. 275). Achill und Alexander sind die beiden entscheidenden Schlüsselfiguren; sie konstituieren sich bezeichnenderweise erst im „Kampf gegen Asien“ (ebd. 276), also in der Negation der Orients.

Schluss Herders und mehr noch Hegels geschichtsphilosophische Überlegungen sind sprechende Beispiele für Edward Saids Bemerkung, dass der „Orient keine simple Naturgegebenheit ist. … Als gleichermaßen geographische wie kulturelle – um nicht zu sagen historische – Konstrukte sind auch Gegenden, Regionen, geographische Zonen wie ‚Orient‘ und ‚Okzident‘ bloßes Menschenwerk“ (Said 2009, 13). Vor allem Hegel kennt und verwertet in seinen Vorlesungen die Erkenntnisse des wissenschaftlichen Orientalismus seiner Zeit. Sie fließen ein in eine Geschichtsphilosophie, die den Orient mit einer historischen Entwicklungs-

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logik notwendig abwertet und gerade dadurch leicht zur Legitimation eines imperialen, auf Expansion angelegten Orientalismus dienen konnte. Uns heutigen mag Hegels Darstellung des Orients seltsam artifiziell und willkürlich erscheinen und ihre Wertungen scheinen vielfach nicht mehr akzeptabel. Machttheoretisch dienen solche geschichtsphilosophischen Entwürfe aber der Etablierung eines Orient-Diskurses, der solche für uns heute bestenfalls kontingenten Narrative als akzeptiertes ‚Normalwissen‘ einer Epoche installiert. Schon Said hat darauf hingewiesen, dass uns ein gewaltiger Fehler unterlaufen würde, wenn wir die Stereotypen des Orientalismus bloß als Lügen und Märchen ansähen (Said 2009, 15): „In meinen Augen liegt sein besonderer Wert nicht darin, einen wahrheitsgemäßen Diskurs über den Orient zu begründen – als der er sich in seiner akademischen oder wissenschaftlichen Form der Orientalistik ausgibt –, sondern vielmehr in seiner Funktion als Symbol der europäisch-atlantischen Macht über den Orient“ (ebd.). Geschichtsphilosophien haben daran in besonderem Maße Anteil, denn es handelt sich um Diskurse basaler Natur, die fachwissenschaftliche und disziplinäre Diskurse mit großer Nachhaltigkeit und gleichsam unsichtbarer Hand fundieren können. Das bedeutet der Titel dieses Beitrags: „Kolonialismus des Geistes“.

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der Geschichte, Werke in 20 Bänden. Band 12. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1970. Hegel 1970b G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, Werke in 20 Bänden. Band 13. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1970. Hegel 1971 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Werke in 20 Bänden. Band 18. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1971. Herder 1774 / 1990 J. G. Herder, Auch eine Philosophie der Menschheit. Herausgegeben von Hans Dietrich Irmscher. Stuttgart: Reclam 1990. Koselleck 1989 R. Koselleck, Historia Magistra Vitae. Über die Auflösung des Topos im Horizont neuzeitlich bewegter Geschichte. In: R. Koselleck, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1989, 38–66. Marchand 2009 S. Marchand, German Orientalism in the Age of Empire. Religion, Race and Scholarship.Washington D. C.: Cambridge University Press 2009.

Nestle 1940 W. Nestle, Vom Mythos zum Logos. Die Selbstentfaltung des griechischen Denkens von Homer bis auf die Sophistik und Sokrates. Stuttgart: Kröner 1940. Osterhammel 1997 J. Osterhammel, Edward W. Said und die „Orientalismus“-Debatte. Ein Rückblick. Asien Afrika Lateinamerika 25, 1997, 597–607. Polaschegg 2005 A. Polaschegg, Der andere Orientalismus. Regeln deutsch-morgenländischer Imagination im 19. Jahrhundert. Berlin, New York: de Gruyter 2005. Rothermund 1994 D. Rothermund, Geschichte als Prozeß und Aussage: Eine Einführung in Theorien des historischen Wandels und der Geschichtsschreibung. München: Oldenburg 21994. Said 2009 E. Said, Orientalismus. Aus dem Englischen von Hans Günter Holl. Frankfurt am Main: S. Fischer 2009. Varisco 2007 D. M.Varisco, Reading Orientalism – Said and the Unsaid. Seattle: University of Washington Press 2007.

Constance von Rüden

Minoische Moderne, Thalassokratie und orientalische Despoten. Zwischen Orientalismus und Globalisierung in der Archäologie des östlichen Mittelmeerraumes*

Einführung: Das Fremde als das Andere Fremdheit als sozialwissenschaftliche Kategorie, das zentrale Thema des vorliegenden Bandes, lässt einen fast unweigerlich an Georg Simmels Exkurs über den Fremden zu Beginn des 20. Jahrhunderts denken (Simmel 1908, 509– 512), dessen zentraler Gegenstand der Fremde als Element einer Gruppe darstellt. Simmel interessierten dabei sowohl Zuweisungen zum Fremden wie angebliche Eigenschaften und Gewohnheiten als auch Wechselwirkungen mit dem „lokalen“ Rest der Gruppe. Sein zentrales Thema war dabei die „Gleichzeitigkeit von Nähe und Ferne“, die im Fremden vereint schien. Für ihn ist der Fremde „… ein Element der Gruppe selbst, … – ein Element, dessen immanente und Gliedstellung zugleich ein Außerhalb und Gegenüber einschließt“ (Simmel 1908, 509–510). In seinen Überlegungen wird damit dieses Spannungsfeld zwischen Innen und Außen, zwischen dem Eigenen und dem Anderen deutlich, er betont aber zugleich die Inkorporierung des Anderen und der damit verbundenen Assoziationen und Bilder in die Lebenswelt der Gruppe. Die Inkorporation des Fremden wird demnach festgemacht an einem tatsächlich gegenwärtigen Menschen, dem Migranten. Seltener

spricht er das Fremde in seiner abstrakteren Form an – repräsentiert durch Bilder, Normen, dem Image weit entfernter Regionen oder „exotischer“ Gesellschaften. Auf diesen Aspekt geht er nur ganz am Rande ein, indem er schreibt: „Andrerseits gibt es eine Art von ‚Fremdheit‘, bei der gerade die Gemeinsamkeit auf dem Boden eines Allgemeineren, die Parteien Umfassenden, ausgeschlossen ist; hierfür ist etwa das Verhältnis der Griechen zum bárbaros typisch, all die Fälle, in denen dem Andern gerade die generellen Eigenschaften, die man als eigentlich und bloß menschlich empfindet, abgesprochen werden. Allein hier hat ‚der Fremde‘ keinen positiven Sinn, die Beziehung zu ihm ist Nicht-Beziehung …“ (Simmel 1908, 512). Es ist eher diese abstrakte Konstruktion von Fremdheit, ohne den gegenwärtigen Migranten, die ich im Folgenden zum Thema machen möchte, auch wenn

* An dieser Stelle möchte ich Tobias Kienlin sowohl für die Einladung zur Vortragsreihe „Fremdheit – Perspektiven auf das Andere“ am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Köln als auch für die Gelegenheit, das dort vorgestellte Thema hier zu publizieren sehr herzlich danken. Der Artikel baut zum Teil auf einem von mir 2013 publizierten Beitrag mit dem Titel Beyond an East-West-Dichotomy in Levantine Wall Paintings auf.

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ich Georg Simmel in der absoluten Gegensätzlichkeit, also in der Nicht-Beziehung nicht zustimme. Gerade auch die Projektionen anderer Lebenswelten wie die des Barbaren, die exotische Ferne in der Malerei oder auch profanere Dingen wie die Phototapete tropischer Strände der 1980er Jahre setzen eine Beziehung voraus, sogar eine durch Auseinandersetzung entstehende Integrierung „des Fremden“ in die eigene Lebenswelt. Damit kann es mit dem „Anderen“, wie es beispielsweise hinsichtlich der Entwicklung des Selbstbewusstseins bei Lacan oder Sartre thematisiert wird, in Verbindung gebracht werden (Lacan 1997; Sartre 2003, 459–471). In ganz direktem Zusammenhang steht es aber mit den postkolonialen Diskursen in den Kulturwissenschaften und der Anthropologie wie beispielsweise in Edward Saids Orientalism (1978) oder Johannes Fabians Time and the Other (1983). Letzterer bemerkt hinsichtlich der Verwobenheit zwischen dem Anderen und dem Selbst sehr treffend, dass „our ways of making the Other are ways of making ourselves“ (Fabian 1990, 756). Unweigerlich stellt sich damit die Frage inwiefern das Andere hierbei tatsächlich noch als explizit fremd oder eben eher als Eigenes zu betrachten ist. Sicherlich können die Konstruktionen von Bildern, Werten und Normen über eine andere – vergangene oder gegenwärtige – Gruppe, Gesellschaft oder auch Kultur in verschiedenster Hinsicht wirken: mal als Gegenbild zur Festigung der eigenen Zusammengehörigkeit, mal als Sehnsuchtsort. Gerade dieses Spannungsfeld, diese Ambivalenz in der archäologischen Forschung soll im Folgenden Thema sein. Beziehen werde ich mich hierbei weniger auf antike Realitäten; vielmehr möchte ich mich im Sinne der Kritischen Theorie oder auch Kritischen Archäologie1 den wissenschaftlichen und auch öffentlichen Konstruktionen nähern, die letztlich in unserer Narration von Geschichte münden. Ziel ist es dabei, nicht ein besseres Wissen über die Vergangen-

heit zu erlangen (Leone / Potter / Shackel 1987, 285) oder in Kategorien wie „richtig“ oder „falsch“ zu denken, sondern nach der sozialen Bedingtheit von Wissen zu suchen (vgl. Blakey 1987, 292). Somit sind die materiellen Kulturen des 2. Jts. v. u. Z. nur in indirekter Weise Gegenstand, vielmehr stehen einige der im wissenschaftlichen Diskurs des letzten und diesen Jahrhunderts herausgebildeten Perspektiven auf dieses Material im Zentrum. Wie positionieren sich einzelne Forscher_innen oder Forscher_innengruppen, wie konstruieren sie das Eigene oder Fremde oder wie werden solche Dichotomien auch wieder aufgelöst; hier offenbaren sich Entwicklungen, die zumeist eng mit den zeitgleichen Haltungen der (bürgerlichen) Öffentlichkeit und des Zeitgeistes, mit den Sphären von Politik und auch den wirtschaftlichen Interessen verwoben sind (s. dazu White 1973). Es gilt also den Ort der geschichtlichen Konstruktion mit Walter Benjamins Worten nicht als „homogene und leere Zeit“ sondern als „von Jetztzeit erfüllte“ zu betrachten (Benjamin 1992, XIV).

Dichotomien in der Archäologie des östlichen Mittelmeerraums Die Archäologie des östlichen Mittelmeerraums, der Region zwischen „Orient und Occident“, ist gerade hinsichtlich einer Auseinandersetzung mit Formen transkultureller Verwobenheit ein beliebtes Laboratorium.Ver-

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Blakey 1987; Leone / Potter / Shackel 1987; von Rüden, Der Tigersprung ins Vergangene – ein Plädoyer für eine Kritische Archäologie. Forum Kritische Archäologie 1, 2012: http: // www.kritischearchaeologie.de / fka / article / view / 9 / 9 (4.9.2014); Autorenkollektiv 2012, Diskussion: Was ist eine kritische Archäologie? Forum Kritische Archäologie 1, 2012: http: // www.kritischearchaeologie.de / repositorium / fka / Forum_Kritische_Archaeologie_2012_1.pdf (4.9.2014).

Minoische Moderne, Thalassokratie und orientalische Despoten

stärkt werden seit den 1990ern2 und insbesondere seit Homi Bhabhas einflussreichem Werk The Third Place (Bhabha 1994) altbekannte und oft allzu liebgewonnene Kategorien „archäologischer Kulturen“ immer mehr hinterfragt. Der Terminus Hybridität, wenn auch oft in verallgemeinerter Form als Allheilmittel überbewertet, erfährt in diesem Zuge eine immer größere Beliebtheit (s. dazu beispielsweise auch Knapp 2008, 57–61; Maran / Stockhammer 2012). Trotz dieses allgemeinen Trends verharren einige Ideen über diesen Raum in vergleichsweise starren traditionellen Ordnungskriterien, die zum Teil immer noch von einer materiellen Kultur als eher statische und klar abgeschlossene Formation ausgehen. Beispielsweise fanden im Diskurs über die so genannte ‚Minoische Malerei‘ in Westasien und Ägypten trotz der Komplexität und der Variabilität der Befunde Mehrdeutigkeiten nur selten Raum. Vielmehr bevorzugte man es diese Malerei, unabhängig ihres Kontextes, meist einem eindeutig minoischen Kulturraum zuzuordnen. Damit war die Suche nach dem ‚Ursprung‘ der Techniken und der Ikonographie im Zentrum des Interesses. Dass die Malereien mindestens im Zusammenspiel mit der jeweils lokalen Palastarchitektur einen hybriden (nicht in Homi Bhabhas Sinne) Raum produzierten, wurde marginalisiert (eine Ausnahme ist Feldman 2007, zur Diskussion s. von Rüden 2013 mit Literatur). Sie wurden ähnlich einem Bild einer Gemäldegalerie entkontextualisiert und konnten auf diesem Weg „bis auf weiteres Minoisch“ bleiben, um Uta Halles Titel hier etwas zu entfremden (2002). Ein ähnliches Festhalten an traditionellen archäologischen Kategorien kann an der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einem elfenbeinernen Pyxisdeckel aus einem Grab in

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Eine Ausnahme bildet hier sicherlich Helene Kantor (1947).

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Minet el Bheida, dem Hafen Ugarits, beobachtet werden (Abb. 1). Die Liste der Publikationen, die sich mit diesem Objekt beschäftigen, ist lang und zumeist mit der Hoffnung verfasst, seinen Produktionsort durch eine materialanalytische, motivische oder stilistische Analyse zuweisen zu können (z. B. Gates 1992; Rehak / Younger 1998, 259; Poursat 1999, 684). Interessanterweise scheint sich der Deckel nicht so leicht in unser Kategorisierungssystem einzufügen. Die oftmals verinnerlichten Ost-West-Denkmuster lassen uns dieses Stück in seine Einzelelemente zerlegen. Wir erkennen eine ‚orientalische‘ Potnia Theron in ‚ägäischem Gewand‘ in einer ‚ägäischen Landschaft‘ und verstellen uns somit den Blick auf einige wesentliche Herausforderungen des Stückes. Fragen, wie es letztlich zu einem solchen ikonographischen Gesamtkonzept gekommen ist und in welcher Weise es sowohl in der lokalen als auch überregionalen Konsumption eingebettet war, finden höchstens am Rande Beachtung. Offensichtlich ist der Wunsch nach eindeutigen Kategorien stark und dieses Bedürfnis scheint durch die an sich natürlich berechtigte Suche nach dem Produktionsort zumindest oberflächlich befriedigt zu werden. Aber nur wenn man sich darauf beschränkt, können Objekte unverändert einer klar abgegrenzten Gruppe eindeutig zugeordnet werden, wenn man ihr wandelbares „soziales Leben“ berücksichtigt aber nicht (Appadurai 1986). In einem Raum, der immer als Paradebeispiel überregionaler Beziehungen und wechselseitiger Einflüsse herangezogen wird, ist eine solche Reduktion recht erstaunlich und wirft Fragen auf. Die Tendenz an unveränderlichen, sich nicht im Prozess befindlichen Kategorien festzuhalten, scheint sich durch die häufig eher unbedarfte Verwendung ethnischer oder pseudo-ethnischer Termini zur Benennung materieller Kultur noch zu verstärken (s. Diskussion in S. Sherratt 1994, 237) – aus dem Hilfsbegriff der „minoischen Kultur“ wurde

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Abb. 1: Pyxisdeckel aus Minet el Bheida (nach Aruz / Benzel / Evans 2008, 408 Kat.-Nr. 261).

im Laufe des 20. Jahrhundert häufig „die Minoer“ und aus der materiellen Kultur der Levante und Ägyptens „die Kanaanäer“ und „Ägypter“ unserer archäologischen Narrationen (s. z. B. Niemeier 1991, 195). Diese oft wenig reflektierte Ethnisierung der archäologischen Hinterlassenschaften, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingesetzt hat, stellt einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen Artefakt und moralischem Charakter, ethnischer Identität und kognitiven Fähigkeiten ihrer Produzenten her (Preziosi 2002, 35–36;

Bernal 1987; 1991). Sie schwingt implizit in vielen Thesen zum östlichen Mittelmeerraum auch heute noch mit und scheint die kategorische Abgrenzung archäologischer Kulturen zu verstärken. Zusammen sind diese Beobachtungen vielleicht ausreichend Anlass, die Forschungsgeschichte genauer zu beleuchten und die Frage zu stellen, inwieweit politische und soziale Zusammenhänge diese Kategorien, die sich häufig in einem Herausstellen von OstWest-Dichotomien äußerten, unterstützten oder vielleicht sogar erst inspirierten.

Minoische Moderne, Thalassokratie und orientalische Despoten

Sir Arthur Evans, Knossos und die Entstehung des Eigenen Eng verwoben mit der Kolonialgeschichte Europas begann spätestens ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die archäologische Erforschung Westasiens. Vor allem im Auftrag der großen europäischen Museen wurden die zum Teil durch die Bibel oder Herodot bekannten großen Fundplätze nach repräsentativen Schätzen ‚umgegraben‘ (z. B. Larsen 1996; Oates 2010; Chevalier 2010; Cobet 2010). Die besondere Anziehungskraft lag auch in der Exotik und Fremdheit der bei Herodot oder in der Bibel beschriebenen Lebensweisen, die man dort meinte vom Staub der Jahrhunderte zu befreien. Die im Zuge dieser Tätigkeit für die europäischen Museen abtransportierten Objekte wurden in zum Teil kuriosen Ausstellungen dem Bürgertum der europäischen Metropolen präsentiert und fanden auf diesem Wege Eingang in die ‚westliche‘ Lebenswelt. In ihrer Dinglichkeit vereinten sie somit nicht nur die Nähe und Ferne, sondern auch die Vergangenheit mit der Gegenwart. Damit bedienten sie das Bedürfnis nach Exotik in den bürgerlichen Kreisen und inspirierten ein Bild des „Alten Orients“ als das „Vergangene Andere“, das im Gegensatz zu ihrer westlich, angeblich rationalen Welt der europäischen Metropolen stand (T. Bennett 1995). Die Bedeutung dieses Gegenbildes für die Konstruktion des bürgerlichen Eigenen in Zentral- und Westeuropa wird vielleicht anhand des späteren Babel-Bibel-Streites deutlich: Der Aufschrei, den Friedrich Delitzsch durch seine These auslöste, dass die jüdische Religion und damit das Alte Testament der Christen auf babylonische Wurzeln zurückzuführen sei (Delitzsch 1904), kann vielleicht nicht allein auf religionsgeschichtliche Divergenzen und die Vorstellung einer Offenbarungsfunktion biblischer Texte zurückgeführt werden. Eine Rolle spielte sicherlich auch das vorherrschende konservativ-christliche Selbstbild, das

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nicht mit dem „anderen Babylon“ in Verbindung gebracht werden wollte. Im Vergleich zu diesen frühen imperialen Tätigkeiten in Westasien und der Konstruktion des ‚Alten Orients‘, begannen Arthur Evans’ Arbeiten in Knossos vergleichsweise spät im Jahre 1900. Eine Phase, in der in Großbritannien, wie auch in den meisten anderen europäischen Staaten, eine zutiefst nationalistische Stimmung vorherrschte. Im Kreise des zumeist klassisch gebildeten Bürgertums fand Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens Wettlauf um Kolonialgebiete auch einen Widerhall in der archäologischen Forschung. Für Evans galt es demnach, Heinrich Schliemanns Führung bei der Entdeckung des vorhomerischen Griechenlandes in Mykene, Tiryns und Troia herauszufordern und Knossos mindestens auf dieselbe Ebene zu stellen (s. auch Zeitungsberichte, die auf diesen Berichten basieren wie The Westminster Gazette im Jahr 1900: S. Sherratt 2009, 622). Dass Schliemann samt seines Lebenswerkes auch nach seinem Tod 1890 in der Öffentlichkeit präsent war, dafür hatte der deutsche Ausgräber zum Teil selbst gesorgt. Einer der einprägsamsten Denkmäler dieser Selbstheroisierung ist vielleicht das durch Ernst Ziller entworfene Mausoleum auf dem Athener Nekrotapheion I, geschmückt mit einem Fries zu seinen Grabungen in Troia (Klöckner / Wulfmeier 1991, 34). Aber die Öffentlichkeitsarbeit von Evans stand dem in nichts nach: Als ehemaliger Journalist besaß er herausragende Fähigkeiten die Presse und damit auch das öffentliche Interesse zu manipulieren (S. Sherratt 2009, 639). Die Entdeckung der Archive von Knossos nutze er beispielsweise, um Kreta mit den Schriftkulturen des Orients zu vergleichen und somit im Sinne des damals vorherrschenden Fortschrittsgedankens als im Vergleich zu Troia und Mykene höherentwickelte Kultur zu kategorisieren, was ihm zumindest einen Punktesieg gegenüber Heinrich Schliemann ermöglichte. Publikumswirksam bezeichnet

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er zudem bereits im Jahre 1900 Knossos als „Palace of Minos“ und verknüpfte es damit direkt mit dem mythologischen Wissen des britischen Bürgertums. Er versah diesen Ausdruck zwar mit Anführungszeichen, wusste wahrscheinlich aber nur zu gut, dass die Presse den ihr zugeworfenen Ball spielen würde und fortan die mythologischen Figuren Daidalos und Minos im Kampf um Aufmerksamkeit an seiner Seite stünden (S. Sherratt 2009, 621). Nicht unähnlich dem heutigen Kampf um Drittmittel, sah sich auch Evans gezwungen den damaligen Zeitgeist zu bedienen, um für seine durch private Mittel finanzierte Grabung Sponsoren an Land zu ziehen (S. Sherratt 2009, 628) und dies tat er auch, indem er das Nationalgefühl seiner Landsleute für seine Interessen instrumentalisierte. Seine Tätigkeiten auf Kreta präsentierte er in Konkurrenz zu den dortigen italienischen und französischen Missionen sowie auch Schliemanns Arbeiten in Mykene und Tiryns und damit als eine Art Wettlauf um wissenschaftliche Vorherrschaft. Für die Unterstützung seiner Tätigkeit warb er mit den Worten „for the honnour of British science“ und in einem zusammen mit David George Hogarth verfassten Bericht verglichen sie ihre Arbeiten ganz unverblümt mit denen ihrer Konkurrenten (s. S. Sherratt 2009, 623). Von besonderer Bedeutung für unsere Frage ist aber Evans Charakterisierung seiner eigenen Ausgrabungstätigkeit mit den folgenden Worten: „the exploration that we have taken in hand is not one confined to the backwaters of antiquarian research. It lies about the fountain-head of our own civilization… In this field at least British archaeological enterprise has been fortunate enough to obtain the lead, and it rests with the public to see that it is maintained.“ (Bericht zitiert bei S. Sherratt 2009, 624).

Seine Forschungen als ein explizit nationales, britisches Unterfangen sollen auch eine patriotische Unterstützung erfahren, um andere Nationen beim Wettlauf um die Vorgeschichte Griechenlands in den Schatten zu stellen. Zentral ist aber, dass er die kretische Bronzezeit dabei als die Urquelle der eigenen Zivilisation bewarb und damit das minoische Kreta zum Urahn und zum integralen Bestandteil der nationalen Identität machte. Evans betrachtete wohlgemerkt die Griechen als direkte Nachfahren der ‚Minoer‘, während er die ‚Mykener‘ lediglich als provinzielle Variante einschätzte (Bintliff 1984, 36; Evans 1921, 278; 281–282). Damit verband er die damals wie heute am antiken Griechenland aufgehängten europäischen Identitätsnarrationen (s. z. B. Herzfeld 1987) unmittelbar mit seinen ‚Minoern‘. Ein Aspekt, der gerade vor dem Hintergrund der erst kürzlich vom „orientalischen Joch“ „befreiten“ Kreter, über eine ganz besondere politische Schärfe verfügt (J. Bennet 2002, 216). Im Gegensatz zur Konstruktion des ‚Alten Orients‘ als zumeist ‚das Andere‘ stilisiert Evans also bereits um 1900, also direkt nach den ersten Grabungen, das minoische Kreta zum nationalen ‚Eigenen‘. Die Kategorisierung der ‚Minoer‘ als das Eigene spitzte Evans in der folgenden Phase noch durch die Konstruktion einer modernen Zeitlichkeit zu, indem er wiederholt die „minoische Kultur“ Kretas mit der Gegenwart der europäischen Moderne in Verbindung bringt und sie somit näher an die eigene Kultur heranrückte. Für ihn antizipierte beispielsweise der Thron von Knossos gotisches Design und die auf den Fresken dargestellte Frauenkleidung bezeichnete er als „truly Parisian“ und assoziierte sie mit der damals aktuellen Pariser Mode, sozusagen mit dem letzte Schrei um 1900 (Westminster Gazetter 1900: S. Sherratt 621). Das kommt auch in der Bezeichnung Evans’ „La Parisienne“ für eine Frauendarstellung auf einem Fresko zum Ausdruck (Abb. 2). Solch programmatische Bezüge lie-

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Abb. 2: „La Parisienne“ (nach Evans 1935, Taf. XXXII).

ßen schließlich auch die Presse außerhalb Griechenlands und Großbritanniens aufhorchen: Die Zeitschrift Journal de Mons bestätigte 1901 die Modernität der kretischen Kleidung und eine Woche zuvor stellte die Zeitschrift Le Temps in einem Artikel Le palais du roi Minos – Modes anciennes et nouvelles heraus, dass Parallelen zu diesen extraordinären Kleidern nur in „unserem 19. Jahrhundert“ zu finden seien (Le Temps 8th June 1901: S. Sherratt 2009, 631). Auch noch nach dem Ersten Weltkrieg ist die „Modernität der Minoer“ ein packen-

des Thema in den Vereinigten Staaten. In American Weekly wurde im Januar 1922 ein Text mit folgendem Titel veröffentlicht: „ Jazz, Corsets and Bathtubes in Old Knossos 5000 Years Ago. New excavations Reveal the Astonishing Up-toDateness of Social Life, Fashions, Plumbing and Even Apartment Houses in the Wicked City of the Minotaure Before It Became Time-Crumbled Ruins.“ (zitiert bei S. Sherratt 2009, 631 Anmerkung 65).

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Im öffentlichen Diskurs näherte sich die Zeitlichkeit von Minos und seinem Palast immer mehr der Moderne an, was auch mit einer ‚KoErfindung‘ von Moderne und Antike in den Museen dieser Zeit in Verbindung gebracht werden kann (Preziosi 2002, 36). Johannes Fabians Überlegungen zur Zeit können uns einen Hinweis für die Interpretation dieses Phänomens liefern. Durch seine Reflektionen über die Zeitlichkeit der Anthropologen und ihres konstruierten Gegenübers, ihres Studiensubjekts, kommt er zu dem Schluss, dass die Zeit des Anthropologen meist als moderne, bewegliche Zeit dargestellt wird, die Zeit des zu studierenden Anderen hingegen als statisch, weniger entwickelt und älter. Fabian bezeichnet dies als „denial of coevalness“ und als „allochronic discourse“, worin für ihn eine politische Agenda liegt: „the Politics of Time“ (Fabian 1983). Das Aberkennen der Gleichzeitigkeit des Anthropologen mit dem zu studierenden Anderen rechtfertigt nach ihm die koloniale Dominanz über den Anderen, der im westlich-evolutionären Denken als zurückliegend und damit weniger fortgeschritten gilt. Die durch Fabian sensibilisierte Wahrnehmung für die politische Dimension von Zeitlichkeit ermöglicht uns nun eine neue Perspektive. In dem für uns gewohnten linearen, evolutionären Zeitverständnis des Westens mag es vielleicht noch eingängig wirken den ‚Alten Orient‘ als das Vergangene zu konstruieren, aber was geschieht, wenn wir eine in unserem westlichen Zeitverständnis vergangene Gesellschaft mit der Moderne assoziieren? Es liegt nahe, Fabians These umzudrehen und zu argumentieren, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts die ‚minoische Kultur‘ zu etwas zeitgleichem Eigenen gemacht wurde, zum britischen, französischen oder vielleicht europäischen Eigenen, während der ‚Alte Orient‘ das vergangene Andere darstellt, von dem sich die europäischen Nationalstaaten, ‚der Westen‘ abheben kann.

‚Europäische Moderne‘ und Orientalismus Nach dem ersten Weltkrieg setzt sich diese Haltung prinzipiell fort, auch wenn natürlich einige Veränderungen im archäologischen Zeitgeist zu erkennen sind. V. Gordon Childe, selbst ein Schüler Evans’ und auch durchaus von dessen Ideen beeinflusst (A. Sherratt 2006), kann man wohl als guten, und vor allem sehr einflussreichen Repräsentanten dieser Phase heranziehen. In der ersten Ausgabe seines wohlbekannten Buches The Dawn of European Civilization beschreibt er 1925 die Zivilisationen Europas nicht als: „… the result of miraculous birth, but the result of the diffusion and adaption of the discoveries of the Orient … In the process of diffusion and creation the isle of Crete played a foremost role. Its geographical position enabled the Cretans to take advantage of advances made in the South and East without becoming dependent either on Egypt or on Sumer.” (Childe 1925, 24). Gemäß seines diffusionistischen Weltbildes deklarierte er die Ähnlichkeiten im Nahen Osten und Europa eindeutig als aus dem „Orient“ stammende Einflüsse oder „Fortschritte“. Aber dennoch ist in den darauf folgenden Abschnitten eine deutliche Ambivalenz zu erkennen. Offensichtlich verspürte er ein Bedürfnis, Kretas kulturelle Besonderheit hervorzuheben und erklärt einige Seiten weiter: „We have seen that Minoan civilization was deeply indebted both to Egypt and Mesopotamia. Now I must insist that it was no mere copy of either, but an original and creative force. As such Crete stands out as essentially modern in outlook. The Minoan spirit was thoroughly European and in no sense oriental. A comparison

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with Egypt and Mesopotamia will make the contrast plain. We find in Crete none of those stupendous palaces that betoken the autocratic power of the oriental despot. Nor do gigantic temples and extravagant tombs like the pyramids reveal an excessive preoccupation with ghostly things. The consequences of this distinction are reflected in Minoan art. The Cretan artist was not limited to perpetuating the cruel deeds of a selfish despot nor doomed to formalism by the innate conservatism of priestly superstition. Hence the modern naturalism, the truly occidental feeling for life and nature that distinguish Minoan vase painting, frescoes and intaglios. Beholding these charming scenes of games and processions, animal and fishes, flowers and trees we breathe already a European atmosphere.“ (Childe 1925, 29; ebenso zitiert bei A. Sherratt 2006) Seine Abgrenzung eines „europäischen“, „modernen“ Kreta von einem „despotischen“, „mit geisterhaften Dingen“ beschäftigten Orient ist ein wunderbares Beispiel für das, was Edward Said als Orientalismus beschreibt (1978). Zuweisungen wie „Irrationalität“ und eine Vorliebe für „Despoten“ produzieren ein Bild vom Nahen Osten, das in der ‚westlichen‘ Literatur, Kunst und Forschung gut bekannt war und ist und als das ‚Andere‘ der so genannten ‚Westlichen Welt‘ herhalten muss(te). Seine gleichzeitige Bewunderung für den Fortschritt aus dem Nahen Osten ist eine Ambivalenz, die in den verschiedenen Ausführungen des Orientalismus gut bekannt ist. Es ist erstaunlich, wie Childe in seinem diffusionistischen Konzept des „ex oriente lux“ eine westliche Überlegenheit integrierte, verkörpert durch die „europäischen Minoer“, die eine „rationale“ Kultur ohne Despoten aufbauten. Die bereits bei Evans beobachteten Vorstellungen einer ‚Minoischen Moderne‘,

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dem Konstrukt ihrer Gleichzeitigkeit mit dem betrachtenden Archäologen, setzten sich weiter fort. Neu ist hingegen die explizit europäische Dimension, die nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs vielleicht einer Sehnsucht nach einer europäischen Identität geschuldet ist oder aber Childes marxistischer Haltung. Aber auch europäische Kategorien sind bereits bei Evans zu erkennen, der trotz der von ihm vielfach postulierten anatolischen, afrikanischen und westasiatischen Migrationsströme nach Kreta ganz besonders betonte, dass es sich dabei sicherlich um europäische Elemente handelt und es eine Absurdität sei „to confuse the European-like Libyan element with Negros!“ (McEnroe 2002, 70), womit er auch eine deutlich rassistische Haltung an den Tag legte. In jedem Fall deklarierte Childe die minoische Kunst und Freskomalerei als explizites Kennzeichen für Kretas „modernem Naturalismus, dem wahrhaft westlichen Lebensgefühl“ (Childe 1925, 29). Er machte sie zu einem Symbol der „Europäischen Moderne“ und kontrastierte sie nun direkt mit dem Orient.Trotz seiner zahlreich aufgezeigten Bezüge zwischen beiden Regionen, konstruierte gerade er eine Dichtomie zwischen „Orient und Okzident“, die auch weiterhin die Forschungen im östlichen Mittelmeerraum prägen sollte. In der Ambivalenz verwandt sind auch Leonard Woolleys Ausführungen zu seinen Grabungen in Alalach in den Jahren direkt vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. In einem Vortrag im Jahre 1953 legte er als Ziele seiner Forschung in der Region Hatay, also der Region um Alalach, fest „to contribute to our knowledge of civilization‘s progress“ (Woolley 1953, 13–14) und „to throw light on the origin and development of Cretan art“ (Woolley 1953). Ganz im Sinne Childes scheinen Diffusionismus und Fortschrittsgedanke Woolleys Leitbilder zu sein und dabei verpflichtete er sich gerade auch der Erforschung der „europäischen Zivilisation“. Da beide einem Kreis von

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Wissenschaftlern angehörten, der sich regelmäßig in Evans’ Haus in Youlbury bei Oxford traf (Green 1981, 61), sind ihre konvergierenden Ansätze nicht vollkommen überraschend. Vielleicht resultierte daraus die erstaunliche Vehemenz, mit der Woolley Knossos und Alalakh in Verbindung brachte.Vor allem in einem Vortrag von 1942, als Syrien im Zweiten Weltkrieg durch die Alliierten besetzt war, betont er enthusiastisch die „erstaunliche Ähnlichkeit“ in der Bauweise sowie der Maltechnik und -ikonographie beider Paläste (Woolley 1942, 11). Die Ausführungsweise der Malerei charakterisierte er als impressionistisch und „unmissverständlich im Geiste kretischer Kunst“ (Woolley 1955, 231) und das nicht erhaltene obere Stockwerk des Palastes ließ er in einem „typically Cretan design“ als „piano nobile“ wiedererstehen (Woolley 1946, 186). Ausdrucksweisen, die irritieren, wenn man bedenkt, dass er aus chronologischen Gründen3 davon ausging, dass Kreta „owes the best of its architecture, and its frescoes, to the Asiatic mainland“ (Woolley 1953, 11–12; 74). Sie vermitteln den Eindruck, dass es ihm schwer fiel, diese Elemente der Architektur und Kunst, die von Childe zuvor als „im Geiste einer europäischen Moderne“ kategorisiert wurden, mit letzter Konsequenz dem „Orient“ zuzuordnen, obwohl sie dies gemäß seiner eigenen Interpretation wären. Macht eine bewusste oder unbewusste Tradierung dieser Assoziationen es uns auch heute noch schwer, die Freskomalerei in Westasien wenigstens auch als Teil lokaler materieller Kultur zu begreifen? Sind Fresken vielleicht schon zu lange und zu eng mit unserer westlichen europäischen Identität verknüpft als dass wir sie mit unseren ‚östlichen Nachbarn‘ teilen könnten? Es ist bezeichnend, dass Wolf-Dietrich Niemeier noch 1991 die

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Die damals gängige Chronologie von S. Smith (Smith 1940) datierte Alalakh mindestens ein Jahrhundert früher als Knossos.

Freskotechnik als etwas beschreibt, das zum Temperament der „Minoer“ passt (Niemeier 1991, 195) und dabei auf Wolfgang Schierings rhetorische Frage aus dem Jahr 1960 verweist: „Welche Technik hätte diesem quecksilbrigen Temperament der Kreter besser entsprochen als die ganz aus dem Moment schaffende Freskomalerei?“ (Schiering 1960, 36). Ungeachtet der Tatsache, dass Freskomalerei sicherlich nicht ein Handwerk ist, das aus dem Moment entsteht, ist für unsere Fragestellung relevant, dass hier eine direkte Verbindung zwischen Technik und der Mentalität einer Gruppe vorgebracht wird. Dabei wird deutlich, dass die Bezeichnung „Minoer“ hier nicht einfach als terminus technicus, sondern als eine Art Label einer ethnischen Gruppe verwendet wird, die sich durch ein spezielles Temperament auszeichnet, das anderen nicht zugestanden wird. Eine solch problematische Zuweisung erschwert es, einen Transfer über ethnischen Grenzen hinweg überhaupt zu denken und erinnert an Childes Annahme der spezifisch „westlichen Natur minoischer Kunst“.

Minoische Thalassokratie: vom Empire zum Freihandel Neben Kunst und Kultur existiert noch eine weitere Identifikationsfläche ‚westlicher‘ Sehnsüchte: die ‚minoische Thalassokratie‘. Bereits 1901 publizierte die Zeitschrift The Navy and Army Illustrated auf der Basis von Evans’ Berichten einen Artikel mit dem Titel Sea Power Four Thousand Years ago (Abb. 3), der die Meinung verbreitete, dass König Minos über die erste Seemacht verfügte. Von militärischem Interesse war in diesem Zusammenhang, dass Knossos keine schützende Mauer besaß und demnach auch eine Seemacht wie Großbritannien zum Schutze Londons keine Befestigung in Surrey benötigte (S. Sherratt 2009, 629). Evans proklamierte selbst zwar nie eine ‚minoische Thalassokratie‘, bescheinigte

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Abb. 3: Navy and Army Illustrated 1901.

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den „Minoern“ aber eine Initiative im Handel und legte den Grundstein dieses Gedankens, indem er Knossos mit dem mythologischen König Minos in Verbindung brachte, der gemäß den Texten von Thukydides (I 4, 1) und Herodot (III 122) eine Seeherrschaft ausgeübt haben soll. Er konnte sicherlich darauf zählen, dass sich sein klassisch gebildetes Publikum dem bewusst war. Seine volle Wirkung sollte dieses Bild aber erst ein paar Jahre später entfalten. Während des Ersten Weltkrieges unterzeichneten Großbritannien und Frankreich das geheime Sykes-Picot-Abkommen mit dem Ziel, die politische Zukunft Westasiens nach dem Fall des Osmanischen Reiches zu bestimmen. Während also Großbritannien noch offiziell all denen Regionen Autonomie versprach, die sich durch die arabischen Aufstände befreiten, beinhaltete dieses geheime Abkommen bereits den Plan Westasien in eine französische und eine britische Einflusssphäre aufzuteilen. Beide Mächte garantierten sich gegenseitig gleiche ökonomische Rechte innerhalb der von ihnen kontrollierten Regionen, einschließlich der Nutzung wichtiger Häfen wie Haifa oder Alexandretta (§5 des Abkommens). Offensichtlich war der leichte Zugang zu Häfen, Handelsrouten und damit Märkten ein zentrales Anliegen dieser französisch-britischen Unternehmung, unbeachtet etwaiger Interessen der lokalen Bevölkerung. Noch bevor dieses Abkommen 1922 vom Völkerbund ratifiziert wurde, kontrollierten französische Truppen die nördliche Levante. Hand in Hand mit dieser militärischen Unterwerfung eignete sich auch die archäologische Forschung diesen Raum wieder an – das Militär besetzte das Land, die Archäologen die Tells und damit die Geschichtsschreibung dieser Region. Dass letztere damals nicht nur passiver Spielball politischer Gegebenheiten waren, sondern sich auch durchaus mit diesem imperialistischen Vorgehen identifizierten, wird anhand einer Vortragseinleitung von Claude

F. A. Schaeffer im Jahre 1942 ersichtlich. Darin setzte er seine damalige Ausgrabungstätigkeit in Ugarit in die Tradition von Bonapartes Expedition nach Ägypten und Ernest Renans Expedition im Jahre 1860, als Frankreich seine Truppen an die syrische Küste schickte, um angeblich die christlichen Araber zu unterstützen (Schaeffer 1942, 185). Damals wie heute waren die Sphären von Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik keine separaten Felder, sondern ideologisch eng verwoben. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass in dieser Phase, nach über 20 Jahren, wieder verstärkt über eine ‚Minoischen Thalassokratie‘ geschrieben wurde. 1924 wurde Evans in der Zeitschrift Peking and Tientsin Times zu seinen Forschungen beglückwünscht, durch die er herausgefunden habe, dass eine Zivilisation auf Kreta große Teile des östlichen Mittelmeerraums kontrollierte. The Singapore Free Press erklärte im selben Jahr, dass das minoische Empire größer war als zuvor angenommen und wohl weit nach Kleinasien, über die Levante bis hin zur Küste des Roten Meeres und vielleicht darüber hinaus reichte (S. Sherratt 2009, 629). Das Aufkommen der „Minoer“ als eine frühe „europäische Seeherrschaft“ in der Presse der Zwischenkriegszeit, in direktem Anschluss an das SykesPicet-Abkommen, ist daher vielleicht nicht als Zufall zu werten (dazu allgemein: Starr 1955, 291; Hamilakis 2002b, 3). Diese politischen Umstände mögen vielleicht auch die Inspiration für die Interpretation archäologischer Funde im östlichen Mittelmeerraum als minoische Präsenz gewesen sein. Trotz der noch dünnen Befundlage in diesen frühen Jahren wurde den ‚Minoern‘ eine Dominanz im Handel und ein Beherrschung des Meeres zum Teil bis an die levantinische Küste zugeschrieben. Während Evans und Childe lediglich die kretische Initiative im Handel betonten (Evans 1928, 571; 626; 757; dargelegt von A. Sherratt 2006, 115), wollte Woolley in den ägäischen Scherben aus Uga-

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rit ein konkretes Anzeichen einer möglichen Ostexpansion minoischer Kultur erkennen (Woolley 1942, 10). Von einer minoischen Kontrolle des Seehandels ging auch Schaeffer aus, der Ugarits geographische Lage im Jahre 1942 folgendermaßen beschreibt: Ugarit „could not fail to attract the attention of the Cretans, who, as you know, then controlled the sea trade of the Eastern Mediterranean“ (Schaeffer 1942, 189). Und nur vier Jahre später verknüpft Woolley die These einer minoischen Seeherrschaft mit der Mentalität der „Minoer“, „who had none of that fear of the open sea which kept the Phoenician hugging a friendly coast“ (Woolley 1946, 187). Auch hier findet man wieder die Dichotomie, die Said als Kennzeichen des Orientalismus anspricht: auf der einen Seite die furchtsamen Einwohner Ugarits, die „passiven Orientalen“, auf der anderen die aktiven, furchtlosen „Minoer“, die Beherrscher des Meeres. Im Weltbild der Kolonialmächte liegt eine Identifikation der „westlichen“ Mächte mit den das Meer beherrschenden „Minoern“ (McEnroe 2002, 68–70) ebenso nahe wie eine Identifikation der unterworfenen Bevölkerung Syriens und der Levante mit den „furchtsamen Phönikern“. Um die Mitte des 20. Jahrhunderts wurde jedoch immer deutlicher, dass die Keramik, die in vergleichsweise großen Mengen an der Levante und im Nildelta zu finden war, weniger der so genannten ‚minoischen Kultur‘ oder Kreta als Produktionsort zugeordnet werden konnte, sondern in erster Linie mit der so genannten ‚mykenischen Kultur‘ des 14. und 13. Jh. v. Chr. assoziiert werden musste. Hingegen halten sich bis heute die ‚minoischen‘ Importe an der Levante, auf Zypern und in Ägypten in Grenzen (z. B. Merrillees / Kemp / Edel 1980, 278–279). Auch wenn man noch vereinzelt liest, dass die in den ägyptischen Beamtengräbern abgebildeten Keftiu als Anzeichen einer „minoischen Thalasso-

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kratie“ gedeutet werden (E. und Y. Sakellarakis 1984, 202), geht man heute zumeist von einer bescheideneren Rolle der Einwohner_innen Kretas im östlichen Mittelmeerraum aus. Ein direkterer Einfluss der materiellen Kultur Kretas kann in der Ägäis, vorwiegend auf den Kykladen, der Dodekanes und der kleinasiatischen Küste, verzeichnet werden. In wie weit auf dieser Basis von einer Seeherrschaft gesprochen werden kann, sei dahingestellt. Auch wenn die ‚minoische Thalassokratie‘ nur noch selten in direktem Bezug zu Westasien und Ägypten gesetzt wird, so ist sie immer noch ein wichtiger Topos, der anhand von Keith Branigans Modell zu den „Minoischen Kolonien“ (Branigan 1984) immer noch rege diskutiert wird (z. B. Hägg / Marinatos 1984) und auf diese Weise weiterhin das Bild des überlegenen ‚minoischen‘ Seefahrers und Händlers perpetuiert. Eine Dominanz, die deshalb so erstaunlich ist, da im Gegenzug nur vergleichsweise wenige Stimmen für eine ‚kanaanäische‘ oder explizit ugaritische Seeherrschaft plädieren, obwohl zahlreiche schriftliche Quellen zur Seefahrt und zum Bootsbau eine solche Annahme für das 14. und 13. Jh. v. Chr. nicht weniger abwegig erscheinen lassen (Ausnahmen: Sasson 1966; Knapp 1983).

Fazit und Ausblick: auf dem Weg zur Globalisierung Es ist wohl kaum zu übersehen, dass einige der dominanten Diskurse der Archäologie des östlichen Mittelmeerraums in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entsprechend des damaligen Zeitgeistes stark von kolonialem Gedankengut und von Orientalismen geprägt gewesen waren. Trotz diffusionistischer Paradigmen wurde das ‚Minoische‘ als das Eigene konstruiert und vom Anderen des ‚Alten Orients‘ abgehoben. Versehen mit einer modernen Zeitlichkeit, mit ihrer ‚up-to-dateness‘ in

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Kunst und Kultur, sowie einer der britischen Seeherrschaft entsprechenden Thalassokratie dienten ‚die Minoer‘ als ideale Identifikationsfläche der ‚westlichen‘ Moderne. Gerade hinsichtlich ihrer Dominanz über das Meer scheint sich aber sukzessive ein Wandel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts abzuzeichnen. Auch wenn die kolonialen Vorstellungen des Eigenen und Anderen, von europäischer Moderne und Orientalismus weiterhin bewusst oder unbewusst die wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurse prägten, scheinen sie langsam in den Hintergrund zu treten, während in den Köpfen der Wissenschaftler_innen die Bedeutung des Welthandel, des freien Marktes und der Globalisierung zunahmen. Spätestens mit Colin Renfrews Arbeiten beginnt sich der Gedanke des Privathandels als zentraler Antrieb des kulturellen Fortschritts immer mehr durchzusetzen (Renfrew 1972 / 2011, 440–475; zur Kritik z. B. Bintliff 1984, 34).4 Ein politisch agierendes Empire und militärische Dominanz treten im Kontext der ägäischen Archäologie allmählich in den Hintergrund. Nun scheinen in erster Linie Händler das östliche Mittelmeer zu bevölkern, die auf Grundlage marktwirtschaftlicher ‚Mechanismen‘ Kultur und Fortschritt in die entlegensten Regionen bringen. Diese neoliberalen Konstruktionen finden ihre dankbaren Abnehmer auch in der gegenwärtigen politischen Agitation. Mit einem direkten Bezug auf die Arbeiten von Renfrew publiziert das CATO Institut, einer der einflussreichsten liberalen Think-Tanks der USA, einen Kommentar mit dem Titel No President Obama, It Was Private Business That Made Our Roads and Bridges Possible, in dem ihre Argumente mit

Hilfe Renfrews Thesen mit historischer Autorität versehen werden: „Europe‘s first great civilizations arose from private trade. Starting perhaps around 7000 B. C. E., a resourceful maritime people who became known as Minoans established themselves in Crete. They were ancient history to Homer. They brought copper from Cyprus, tin from Asia Minor, elephant Tusks from Syria and diorite from the Nile Valley – and Minoan pottery made its way to Egypt“.5 Der Kommentar erschien am 29. Juli 2012 in Forbes.com, einer der erfolgreichsten Wirtschaftsmagazine, während die Finanzkrise noch immer die Welt in Atem hielt. Erschreckenderweise stilisiert er den privaten Händler der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als Heilsbringer unserer Schwierigkeiten – sicherlich ein gutes Argument, die Verstrickungen von Politik, Zeitgeist und archäologischer Forschung auch in Bezug auf rezentere Forschungen immer wieder zu beleuchten. Bibliographie Appadurai 1986 A. Appadurai (Hrsg.), The Social Life of Things: commodities in cultural perspective. Cambridge: Cambridge University Press 1986. Aruz / Benzel / Evans 2008 J. Aruz / K. Benzel / J. M. Evans (Hrsg.), Beyond Babylon. Art,Trade, and Diplomacy in the Second Millennium B. C. Katalog Metropolitan Museum of Art, New York. New Haven, London:Yale University Press 2008. Benjamin 1992 W. Benjamin, Über den Begriff der Geschichte. In:

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Erste Vorstellung eines kultur- und fortschrittsbringenden Handels sind natürlich, wie oben angedeutet, schon bei Evans und Childe, aber gerade auch bei Kantor (1947) zu beobachten.

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Minoische Moderne, Thalassokratie und orientalische Despoten

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Tobias L. Kienlin

All Heroes in Their Armour Bright and Shining? Comments on the Bronze Age ‘Other’

He cased his limbs in brass; and first around His manly legs, with silver buckles bound The clasping greaves; then to his breast applies The flaming cuirass of a thousand dyes; Emblazed with studs of gold his falchion shone In the rich belt, as in a starry zone: Achilles’ shield his ample shoulders spread, Achilles’ helmet nodded o‘er his head: Adorn’d in all his terrible array, He flash’d around intolerable day. Alone untouch’d, Pelides’ javelin stands, Not to be poised but by Pelides’ hands: From Pelion’s shady brow the plant entire Old Chiron rent, and shaped it for his sire; Whose son’s great arm alone the weapon wields, The death of heroes, and the dread of fields. (The Iliad, Book XVI; translated by Alexander Pope) In memory of Manfred O. Korfmann

Introduction In their widely read synthesis The Rise of Bronze Age Society Kristian Kristiansen and Thomas B. Larsson argue “... that the study of later European prehistory, and especially the Bronze Age, has failed to make convincing progress because among other things it is dominated by a farming or peasant ideology of immobility which is derived from a more

recent European past. By implicitly assuming that prehistoric farmers were as immobile as their historic counterparts, archaeologists have failed to grasp the specific historic character of the Bronze Age: they have failed to recognise its ‘otherness’” (Kristiansen / Larsson 2005, 32, see also 367–368). Instead, the authors go on to argue that the Bronze Age is characterised by a high degree of mobility and travelling to distant places,

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Tobias L. Kienlin

especially on the part of newly emergent warriors or ‘chiefly’ elites, and the transmission of foreign esoteric knowledge that these people were able to draw upon back home in order to enhance their social standing. Consequently, the Bronze Age is thought to have seen a farranging alignment of socio-political and ideological ‘institutions’ alongside the more conventional intensification of trade and exchange and the general economic upturn expected in the wake of bronze metallurgy (e. g. Kristiansen / Larsson 2005, 32–61). In a way this is a particularly eloquent phrasing of a widely held view in Bronze Age research which has it that the Bronze Age was qualitatively different from the preceding Neolithic and historically unique on a pan-European scale. We are led to expect the emergence of (proto-) urban settlements that more or less successfully drew upon agricultural and other resources from their surroundings and controlled the exchange in valuable objects and raw materials from abroad. Such sites were home, supposedly, to some kind of functionally and politically differentiated population with peasants and craft or other specialists. And there were some in charge of all this – a warrior elite that developed new forms of male habitual expression amongst others by their command of shining bronze weaponry; aggrandisers whose competitiveness propelled Bronze Age society onto a new stage of social evolution. Thus, although European communities and elites never quite reached the core area’s scale and splendour, prehistoric Europe is seen to develop along broadly the same lines previously taken by the ancient Near East or the Aegean Bronze Age. However, the work of Kristiansen and Larsson goes beyond most of this ‘traditional’ archaeological reasoning, for it is more consistently argued, and it features a powerful narrative and construction of a Bronze Age ‘other’. This is why their study is so enormously attractive for some, and has attracted fierce criticism

by others right from the start.1 Among several other points it has been noted that regional variability is systematically subdued up to the point that evidence to the contrary seems to have been deliberately ignored. The same certainly holds true for opposing theoretical approaches. Such problems are closely related to the specific narrative style of their presentation that in some places borders on epic writing instead of scientific prose. It is well worthwhile, therefore, in a volume concerned with ‘alterity’ and our representations of the archaeological, historical or contemporary ‘other’ to have a closer look at the strategies involved in the presentation of this particular ‘Bronze Age’ and to draw attention to some alternative views. There are different avenues such an attempt at deconstructing The Rise of Bronze Age Society may take, not least the heavy reliance of Kristiansen and Larsson’s study on the ethnographic work of Mary Helms (e. g. 1979; 1988) to support their notion of Bronze Age ‘travellers’ and their impact on Bronze Age society (e. g. Kristiansen / Larsson 2005, 2; 17; 39–41; 45–47; 51–57). Instead, we will focus here, firstly, on a specific reading of the Homeric poems throughout the volume. This has much the same effect of drawing attention to the agency of a specific type of ‘alpha’ male to the neglect of a historically contextualised understanding of social action in Bronze Age and Early Iron Age societies respectively. Secondly, Kristiansen and Larsson’s argument heavily depends upon some kind of core and periphery model with prehistoric Europe situated on the margin of Mediterra-

1

For a critical review and assessment of this work, the problems it poses both on the empirical side and on the theoretical one see, for example, Harding (2006) and Nordquist / Whittaker (2007). For a more balanced overview of Bronze Age Europe see, for example, Harding (2000), Primas (2008) and Fokkens / Harding (2013).

All Heroes in Their Armour Bright and Shining?

nean urban or palatial centres that developed from the earlier work of one of the authors (e. g. Kristiansen 1987; 1998). In The Rise of Bronze Age Society such elements derived from World System Theory are still present, but there is a shift towards ritual and a Bronze Age elite ethos which supposedly held the ‘system’ together (cf. Harding 2013, 383–384). Very much like before, however, ‘institutional’ similarity, ‘systemic’ interrelation and the effect of contact on ‘peripheral’ society are still taken for granted rather than being demonstrated. Interaction studies and postcolonial studies imply that such an approach is problematic because the meaning of exotic objects in peripheral or marginal groups is taken to be identical with their origins instead of being understood as renegotiated in local contexts. In a more general sense, we are led to believe in ‘passive’ peripheries opposite overwhelming outside influence. Instead, we may choose to direct our attention to the different ways in which foreign ‘prestigious’ objects were actually recontextualised and to the active appropriation of foreign cultural traits into specific social and cultural contexts of ‘Barbarian’ Europe.

The Great Divide I: Homer, Heroes and the Bronze Age Homer and Archaeology: Different Logics and False Expectations

It has been noted before, that “[m]ost of what Kristiansen and Larsson have to say on the Homeric poems is nonsense” (Nordquist / Whittaker 2007, 81). However applicable such a statement may seem, it cuts short a more complex issue. Kristiansen and Larsson are by no means the only archaeologists still to believe in the historicity of what Homer has to tell us about a ‘Bronze Age’ world that had long passed by when the Iliad and Odyssey

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were written down in the way we know them. Quite to the contrary, theirs is still the mainstream position, and this is how Early Iron Age ‘heroes’ and their specifically Early Iron Age aspirations and concerns enter the archaeological literature on the Bronze Age.2 The present author cannot lay claim to any particular expertise in ancient Greek history or philology nor is he specialising in Aegean Bronze Age archaeology. Even so it is immediately apparent that the issue of Homer and the Bronze Age is highly controversial among those specialising in this field.3 It is no good for academic discourse to wipe away such competing paradigms in the nonchalant manner apparent in The Rise of Bronze Age Society. For Kristiansen and Larsson, this debate, which has been going on at least since the groundbreaking work of Moses I. Finley in 1954 (Finley 1977 / 2002), clearly boils down to the usual ups and downs of theoretical fashions in philology and ancient history that will eventually be settled with archaeological support in favour of historical ‘truth’ – meaning in this case acceptance of the Mycenaean origins of the epics by all the overly critical disbelievers (e. g. Kristiansen / Larsson 2005, 229; 257). This entirely misses the true issue at stake. Archaeologists and others involved in the broad field of material culture studies have long worked hard to establish a notion of material culture as being meaningfully constituted and of its significance for the construction of social ‘reality’ (e. g. Tilley et al. 2006 with further references). Material culture conveys cultural meanings, it shapes our habitus and it is drawn upon in a specific discourse with a logic of

2

cf. Treherne 1995; Demakopoulou et al. 1999a; 1999b; Karlsruhe 2008; Hansen 2013. 3 Compare, for example, the different approaches represented in the volumes by I. Morris / Powell (1997 / 2011), Latacz (2001), Cairns (2001), Ulf (2003a), S. Morris / Laffineur (2007) and Ulf / Rollinger (2011).

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Tobias L. Kienlin

its own. Things are ‘potent’ precisely because other than linguistic statements their communicative potential is seldom consciously deliberated. Things cannot be ‘read’ like texts while still disclosing meaning etc. Now, for Kristiansen and Larsson, the same obviously does not apply to language and text. For their understanding of the Homeric poems is one of historical documents composed and written down at some stage to fix and to convey true historical ‘facts’ (Kristiansen / Larsson 2005, 20–24; 60–61; 227–229; 254–257). In spite of all distortions that may have occurred through time, the epics are expected still to retain most of their original ‘true’ meaning after many centuries. Somehow contrary to our readings from the linguistic turn and from subsequent post-structuralism, this would seem to be a common misconception shared by many archaeologists, who tend to be fascinated by the superior ‘quality’ of written sources compared to the somewhat ‘defective’ material remains of past human activity at their own disposal only. If archaeologists thus tend to deny a logic of their own to language and text and to ignore intentionality in their use, quite contrary to their growing readiness to allow for it in material culture studies, the opposite is certainly true in ancient history and philology. To make this point quite clear right from the start: It is not claimed that an agreement has been achieved on the historicity of the Homeric poems. Obviously, the opposite is true. However, there is a strong tradition of research into the shifts of meaning that invariably take place through time in oral traditions and into the narrative strategies further distorting any original meaning which possibly remained

4

See, for example, papers in I. Morris / Powell (1997 / 2011), Ulf (2003a) and Ulf / Rollinger (2011); see also, in particular, Scodel (2002) and Montanari / Rengakos / Tsagalis (2012).

when such narratives are eventually cast into epic poetry and script.4 To the adherents of this approach the concerns of Homer when writing down the Iliad and the Odyssey were thoroughly Early Iron Age and so was in large part his knowledge of the ‘Bronze Age’ world which he chose as a setting for his poems. It is argued he was drawing on myths and on what Bronze Age ruins may still have been visible at his time, rather than on historical ‘facts’ that were continuously handed down to him. Also it is shown that in composing the Iliad and Odyssey he was guided by a specific perception of the shortcomings of his own Early Iron Age society and the perceived necessity to establish moral standards of political leadership in the early Greek world. It will be further discussed below why it is no good for archaeology to ignore such approaches. In the meantime, however, let us first turn shortly to what Kristiansen and Larsson have to tell us about the Homeric poems. At the very heart of their argument is the assumed continuity from Mycenaean times until the age of Homer of a specific social and political world depicted in the Iliad and Odyssey.5 This is established by reference to the supposed stability of proper names (people / gods and places) from Linear B times onwards and oral traditions in general: “... oral tradition was persistent and able to transmit songs and myths over half a millennium or more without major changes ...” (Kristiansen / Larsson

5

See, for example, Kristiansen / Larsson (2005, 61): “This new heroic cosmology is echoed in the first appearance of heroic texts, such as Gilgamesh, the Iliad and the Odyssey, and the Celtic myths and sagas. Although sometimes written down at a much later time, they maintain the cultural ethos of the Bronze Age, through the continued tradition of bards and religious specialists. These people maintained the mythological heritage of Bronze Age societies, an accumulating mythological time-space continuum ... over centuries and even millennia ...”.

All Heroes in Their Armour Bright and Shining?

2005, 22 see also 28).6 Here, as throughout The Rise of Bronze Age Society, what is actually highly controversial, i. e. the origins and the permanence of the Greek hexameter (e. g. Wiener 2007, 9–12; Grethlein 2014, 57–58 with further references), is depicted as a fact with only the slightest and / or distorting mention of contrary opinion. And if in doubt, archaeological evidence – in itself controversial, but apparently felt more within the reach of authoritative statements by the authors – prevails over linguistic or historical considerations: “The Iliad and the Odyssey on the other hand transmit a genuine Bronze Age ethos, supported archaeologically and textually. Thus, while we accept the historical context of their writing (Morris 1986), we do not accept the far-reaching implications drawn from this about their age and origin, as it goes against the archaeology” (Kristiansen / Larsson 2005, 24). At least certain quarters of archaeology and ancient history would strongly disagree7 – but such is the attempt to immunise one’s argument against critique that is characteristic of meta-narratives like The Rise of Bronze Age Society. If on the whole of society there is continuity, of course, this also should apply to the parts, and here appear the Homeric ‘heroes’ – in their threefold incarnation as a) an archetype of the Bronze Age ‘warrior’, ‘chief ’ or ‘traveller’, b) as a link to bridge the gap between the Early Iron Age and the Bronze Age, and c) in an illustrative use to throw light on various aspects of Bronze Age life and lend credibility

6

On a slightly different matter, Nordquist / Whittaker (2007, 82) point out that such passages indicate a problematic and outdated understanding of ‘culture as a package’ (see also, for example, Kristiansen / Larsson 2005, 28). 7 e. g. Bennet 1997 / 2011, 511–514; 531–533; I. Morris 1997 / 2011, 538–539; 2001, 68–76; Raaflaub 1997 / 2011, 625; S. Sherratt 2010; Maran 2011b, 171; 2014, 176.

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to the overall narrative (e. g. Kristiansen / Larsson 2005, 23–24; 61; 257). The latter point, of course, also concerns the occasional reference by Homer to certain groups of objects such as weapons of Bronze Age date. These are accepted throughout The Rise of Bronze Age Society as evidence of the antiquity and overall continuity of the Homeric poems in the above sense (e. g. Kristiansen / Larsson 2005, 227; 247), rather than considering alternative options discussed in the relevant literature: Is it possible that we see a conscious attempt by the author ‘Homer’ to give his poem the appearance of antiquity by reference to ancient objects (and places etc.)? Or, in a more general sense, has the reference made to individual objects of great antiquity anything to say at all about the antiquity or the integrity of the whole story or poem? However, another aspect is more important, namely the attempt to bridge the temporal, social and cultural gap between the Early Iron Age and the Bronze Age by reference to episodes from the Homeric poems. Take as an example a passage referring to Late Bronze Age seaborne trade, the famous Uluburun shipwreck off the coast of modern Turkey, and the journey of king Menelaos back home from Troy mentioned in the Odyssey, which is explicitly thought to reflect Bronze Age trade routes and palatial exchange (Kristiansen / Larsson 2005, 101–105). This is all very nicely told, but in its catchiness it conceals that two different sociopolitical systems are bracketed and their characteristic forms of interaction, trade and exchange are mixed up. Uluburun is firmly set in a specific Late Bronze Age eastern Mediterranean system of exchange, where gift exchange among (palatial) elites and rulers established the conditions for more commercial forms of bulk exchange and trade (e. g. Yalçın / Pulak / Slotta 2005; Pulak 2008). By contrast, what Homeric heroes do in order to acquire wealth is actually more akin to raiding parties and piracy

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Tobias L. Kienlin

(e. g. Ulf 2009, 86–87; 2011b, 265–269; 276). Advocates of this approach see a qualitative difference between the gift exchange taking place among Homeric ‘big men’ and the ‘diplomatic’ exchange of gifts circulating among the institutionalised political centres of the Late Bronze Age eastern Mediterranean. Kristiansen and Larsson, on the other hand, as may be expected, set the two in one and inflate the whole system ultimately to the Baltic Sea (Kristiansen / Larsson 2005, 100; 104). On a related matter, it has been shown that Homer actually lacks a notion of large-scale warfare such as may have occurred between Bronze Age Near Eastern kingdoms and urban centres. His ten year struggle for Troy is in fact composed by drawing on elements from small-scale aristocratic revenge or raiding parties and territorial conflicts between emergent poleis of the 8th to 7th centuries BC (Raaflaub 2003, 316–323; 2011, 352–363; cf. van Wees 2004, 153–165). Homer: Alternative Readings

This list could easily be continued,8 but let us turn instead to alternative readings of Homer, which seek to understand his epic poetry in its own right, and to the implications of this

8

For example, the Homeric horses of the Argolid as evidence of Bronze Age ‘horse breeders and charioteers’ from the Carpathian Basin to Sintashta and Hattusha (Kristiansen / Larsson 2005, 170), or the Bronze Age warrior’s death as a ‘trauma’ illustrated by Patroklos and Hektor (Kristiansen / Larsson 2005, 240). Such is part of a narrative strategy found throughout The Rise of Bronze Age Society that generalises from illustrative but contingent events described by Homer or individual archaeological findings to the ‘nature’ of Bronze Age society. An archaeological example of this procedure would be the reference to occasional multiple burials as evidence of the ‘careless’ disposal of these dead and consequently Bronze Age ‘slavery’ (Kristiansen / Larsson 2005, 133–135, fig. 48; for further discussion see also below).

approach for Bronze Age research. In a general sense, what authors adhering to ‘Neoanalysis’ and ‘Narratology’ do is to draw attention to the complexity of the Iliad in terms of its content and its narrative structure that go much beyond ‘simple’ heroic songs.9 In contrast to such older predominantly oral traditions, it is argued that true epics like the Iliad and the Odyssey were deliberately composed in writing, and that this took place in a specific historical context. Such epics have a true author, even if we are not able to pinpoint him, and his way of creatively handling whatever older myths or songs and contemporaneous written sources were at his disposal was guided by his intention to comment upon, for example, specific ethic or moral issues of his own time.10 Among such possible concerns of Homer, the avoidance or the handling of internal conflict, the ethical foundations of legitimate leadership and the limitations of mortal man’s aspiration to honour, fame and memory have been identified.11 Such issues may have become of widespread concern when social hierarchies started to consolidate after the Dark Ages and aristocratic ideals were formulated and negotiated. They are to be understood, for example, in the context of Greek ethnogenesis and the construction of ancient Greek identity (Gehrke 2003, 70–77; Ulf 2011a, 21–22) and the confrontation of the ‘Greeks’ with the older and culturally more advanced civilisations of the ‘Orient’ – such as the expanding neo-Assyrian empire that may have added a sense of immediate political or military threat to this cultural encounter at more or less the

9

e. g. de Jong 1997 / 2011; Patzek 2003; Ulf 2003b; 2008; 2010; 2011a; Willcock 1997 / 2011; Kofler 2011; Montanari / Rengakos / Tsagalis 2012; Grethlein 2014, 57–62. 10 e. g. Scodel 2002, 13–16; 48–53; 88–89; Ulf 2003b, 279–283; 2009, 82; 2010, 297–301; 2011a, 17–20. 11 Raaflaub 2009, 565–568; Ulf 2009, 84–85; 2010, 288–297; Haubold 2011, 376; 385.

All Heroes in Their Armour Bright and Shining?

assumed time of Homer (ca. late 8th / 7th century B. C.) (Lanfranchi 2011, 230–233). If this is the case, Homer’s Iliad is neither a historical document nor is it, however distorted, the result of a continuous tradition of oral poetry. Rather, it was newly created, and in doing so the author had at his disposal a number of different oral and textual sources. Additionally, he was in command of specific narrative strategies to confer meaning to or to claim authority for his epic poem, and he was ‘interacting’ with his audience and its specific expectations and prior knowledge of the story material used (Scodel 2002, 1–41). Unlike what is implied by Kristiansen and Larsson (e. g. 2005, 60–61, 256–257), there is some agreement that the society of the Iliad is broadly that of Homer’s own times or somewhat earlier only.12 Indeed, such would have been the precondition for the general acceptance and the widespread interest taken in the poem (Raaflaub 2011, 342–344; 348–350). Agamemnon wrongly claiming first Chryseis and thereafter Briseis, and Achilles refusing to fight and almost bringing disaster upon the Greeks were thus acting out and negotiating broadly Early Iron Age concerns of rightful leadership, elite conduct and elite obligations to their followers. This was expressed by drawing upon and reformulating older Greek songs as well as eastern sources and epics, such as potentially the Gilgamesh (S. Morris 1997 / 2011; Patzek 2011, 396–404), in a creative way that renders it both impossible and inappropriate to determine the historical ‘truth’ either of Homer’s text itself or indeed of the various traditions or templates he was using (Ulf 2010, 284–288). There may have been a war waged by Mycenaean Greeks on Troy. Such may have taken place in today’s Troad and in front of

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the Bronze Age walls of Hisarlik tepe. Some of those involved may have been called Achilles and Hector or Agamemnon and Priamos. However, we would not be able to establish this from the epic poetry (nor indeed from the archaeological remains and ruins as well). First and foremost, this is an Early Iron Age creation loosely drawing on an unspecified ‘Bronze Age’ past or rather different Bronze Age ‘pasts’. It features an impressive personnel of at times more than life-size ‘heroes’ and employing a specific style of artificial or ‘secondary’ orality to lay claim to antiquity and to lend authority to the text and its argument.13 If this seems too aloof, one may also ask what Homer has to tell us on the Bronze Age? Does this, in fact, constitute ‘true’ historical knowledge which can be confirmed by other sources? ‘Neoanalysis’ and ‘Narratology’ imply that the choice of a setting and the dramatis personae are largely fictitious in the sense of being subject to relocation and recombination governed by narrative requirements. This is also precisely what emerges from recent debates on the importance of Bronze Age Troy, the historicity of the Trojan war and lastly the controversial attempt at relocating Homer and his Iliad to Cilicia (Ulf 2003a; Ulf / Rollinger 2011): It is possible that Homer had in mind a specific landscape and Bronze Age ruins in Asia Minor, with the Troad still ahead of other options. However, this ‘original’ landscape is superimposed by symbolic features corresponding to the internal logic of the poem and to the necessities of its plot. In effect any specific landscape that Homer may have borne in mind may be entirely unrecognisable in his Iliad. Or, the other way round, features mentioned in the text may find their match in reality in a number of different locations.

12

e. g. Finley 1977 / 2002; Ulf 1990; 2009; 2011b; I. Morris 1997 / 2011; 2000; 2001; Bennet 1997 / 2011; Raaflaub 1997 / 2011; Grethlein 2014, 59–62.

13

Ulf 2003b, 281–282; 2010, 299–300; 2011a, 20; see also Scodel 2002.

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Much the same applies to the famous ‘Catalogue of Ships’ and the Mycenaean homeland of the Greek heroes and leaders such as Nestor and Agamemnon fighting in front of Troy. With regard to Messenia and the palace of Nestor at Pylos, it has been shown that there is little match between the territory assigned to it by Homer and the territory of the Mycenaean palace at Pylos and its subdivision known from Linear B tablets (Eder 2003, 297–301 fig. 1; Dickinson 2007, 236). Rather it seems that the mention of Pylos in the Iliad is only vaguely reminiscent of the great importance of this polity during the Bronze Age, while the actual territory assigned to it reflects the historical setting from the 8th century onwards. Similarly, in the Argolid Homer’s description of the political landscape is a complex mixture of references to Bronze Age ruins still visible in the landscape at his time, vague reminiscences of an earlier ‘Bronze Age’ heroic period, presumably later Greek myths and the political reality developing from Homer’s times onward (Eder 2003, 304–306; Wiener 2007, 18–19; Dickinson 2007, 235): Argos features prominently in the ‘Catalogue of Ships’, despite the fact that it only expanded its rule over the Argolid during the Archaic period, while important Mycenaean centres like Midea are missing. On the other hand, the remaining part of the Argolid, which is assigned to Mycenae that according to archaeological sources most likely dominated this landscape at least during certain periods of the Late Bronze Age, is so small that it was apparently felt necessary to add to it further territories in Corinthia and Achaia to match the central role of Agamemnon in both the myth and the plot of the Iliad. Quite clearly, it was important for the message meant to be conveyed that the Iliad be located in ancient ‘heroic’ times and settings, but the actual knowledge that was still available of that ‘Bronze Age’ period and landscape was limited. It was mixed up with younger myths and the importance of specific places

in broadly (early) historical times more familiar to Homer himself. Much the same applies to material culture in general, with certain objects mentioned clearly being reminiscent of the Bronze Age, while the overall material setting was Iron Age and would have been broadly familiar to Homer and his contemporaries (Sinn 2003, 54–55 with further references such as the Archaeologia Homerica series). Again, the Iliad is not a historical document. Homer did not aspire to greatest possible precision in his description of ancient times but to a ‘heroic’ background that would have been plausible and in accordance of the expectations of his audience. Implications for Archaeology

Even if some of this is still controversial, many of the arguments shortly outlined above are widely accepted in ancient Greek history and philology. Archaeology is ill-advised following Kristiansen and Larsson (2005) in their decision to ignore any more complex picture than suggested by their overly simplistic reading of Homer as directly referring to a Bronze Age past. Importantly, this is not just a question of our readiness to follow debates in neighbouring disciplines and to accept a logic of their own for narratives, poems and epics. Rather, neglecting to do so also impoverishes our understanding of genuinely archaeological data. In particular, by equating Homer’s depiction of Early Iron Age ‘heroic’ society with the Late Bronze Age, we deny historical change and set in one what would otherwise appear to be fundamentally different societies. Interestingly, this can be shown by reference to both textual evidence and material culture from both periods. For contrary to the assertion by Kristiansen and Larsson (2005, 61 annotation 2; 229 annotation 18), Linear B texts not only throw light on different aspects of Late Bronze Age social reality than the Homeric poems are supposed to do, namely

All Heroes in Their Armour Bright and Shining?

aristocratic life and deeds. Instead, their mere existence is among the strongest evidence of fundamental differences in culture and society that one could think of. For these are administrative texts concerned with the management of a palatial economy and the upholding of palatial control over political territories (e. g. Galaty / Parkinson 2007; Shelmerdine / Bennet 2008) – whereas Homeric heroes generally seem unaware of script as such and certainly of its administrative potential. Theirs is by and large a pre-literate society, from which poetwriters like Homer were only just about to emerge, and with script initially put to quite different usages than during the Late Bronze Age, i. e. the foundation of a common Greek identity, the negotiation of moral standards or just the commemoration of past heroes – choose whatever you prefer. One may continue then and ask what the ‘heroes’ of both periods actually did and how this was mediated through material culture. At first glance, then, we see a similar interest in the bodily and material expression of warlike ‘alpha’ male identity and a focus on the remembrance of past heroes and heroic deeds. Still, the notoriously rich burials in the Mycenaean grave circles and the interest taken by Homer in heroes fighting to attain eternal fame opposite certain death, getting killed and elaborately buried honourably (most prominent in the Iliad, of course, Patroklos) are rooted in quite different cultural traditions and social contexts. Surely, the elites we encounter in the Mycenaean grave circles had also developed from modest beginnings and from a Middle Helladic social background which for a long time had discouraged any such aggrandising behaviour and elaborate individualising burial ritual (Wright 2008; Maran 2011a, 285–286). However, eventually there clearly was a tradition and a genealogy of leadership and elite families. Grave circle A at Mycenae was continuously drawn upon in order to legitimise claims to tradition and ancestral power. At

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some later stage it was monumentally framed and enclosed within the Cyclopic Late Helladic IIIB wall of Mycenae. The shaft graves as such were followed by generations of lavish tholos tombs. However this system worked in detail, and whatever the duties and rights of the wanax and lawagetas on top of the Mycenaean political hierarchy actually were, we see nothing of this kind among the Homeric elites. For these heroes, be they referred to as kings or basileis, more like ‘big men’ are caught up in a constant negotiation of their standing visà-vis their peers and followers,14 and they are engaged in activities such as raiding and piracy that would not seem entirely appropriate in a system of orderly taxation, palatial control and economy (Dickinson 1994, 81; see also Wiener 2007, 8–9). In the end, Agamemnon has to give in to Achilles’ claims, and it becomes increasingly clear that he is in no way superior to his fellow leaders – rather to the contrary (Ulf 2011b, 273). So among Homer’s Iron Age heroes the overall impression is one of the fragility of political leadership and social eminence.15 This stands in marked contrast to the development of Mycenaean palaces and their gradual elaboration which eventually resulted in a sophisticated architectural framing of political power (fig. 1; e. g. Maran 2006; 2011b; 2012a; Siennicka 2010). The palaces at Mycenae, Tiryns and Pylos etc. all have evidence of different economic and political practices than those suggested by Homer for Early Iron Age society. The political and parts of the economic domain were set apart. The palatial control of production, goods and redistribution was well established.16 Access or partici-

14

e. g. Raaflaub 1997 / 2011, 633–636; 643–646; Ulf 1990, 85–98; 2003b, 274; 2009; 2011b. 15 Ulf 2009, 83–86; 88–92; 2011b, 260–261; 263–264; 269–274; Grethlein 2014, 60. 16 e. g. Bennet 1997 / 2011, 520–523; Galaty / Parkinson 2007; Shelmerdine / Bennet 2008; Nakassis / Galaty / Parkinson 2010.

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Fig. 1: The Upper Citadel of the Mycenaean palace at Tiryns in the Argolid. Circles indicating ‘liminal’ points used to control access and increase exclusivity as one moves towards the central megaron (after Maran 2012a, 151 fig. 1).

All Heroes in Their Armour Bright and Shining?

pation was denied to large groups of people, mind the unequal access to Mycenaean court yards or the central megaron and the restricted participation in institutionalised feasting going on there. Political hierarchies were stable and inscribed into administrative texts as well as into architecture and material culture, all of which would in turn have reinforced related practices and the perception of inequality.17 Against this Bronze Age background, it does not really matter how one wishes to refer to positions of social and political leadership during the Dark Ages and in Homeric times – be they ‘big men’ or simple chiefs. It is the structural difference from the preceding Late Bronze Age that matters, and that is apparent in all aspects of material culture including architecture and textual evidence. Assuredly, attention has been drawn to the possibility of an earlier beginning, already in LH IIIB, than previously expected of the problems encountered by the Mycenaean palatial system (e. g. Deger-Jalkotzy 2008, 387–392; 396–398; 403–406).There are debates as to the causes of the disaster that eventually struck the palatial centres and brought an end to their political and economic system at the turn to LH IIIC (e. g. Dickinson 2006, 24–57; 2010). There are also clear indications of an afterlife of Mycenaean society from a number of sites, in particular from the Argolid itself with Mycenae and Tiryns (e. g. Morgan 2009; Maran 2012a). Also it is disputed when precisely discontinuity occurred, traditions were lost and the Bronze Age world became a foreign ‘other’ to new (Early Iron Age) elites and population in general: already during LH IIIC or sometime later during the Dark Ages.18 However,

17 For an overview see, for example, the handbooks by Dickinson (1994), Shelmerdine (2008) and Cline (2010). 18 e. g. I. Morris 1997 / 2011, 543; 558–559; 2000, 77–106; 195–256; Maran 2011b, 171–175; 2014, 176– 177.

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beyond all this there is broad agreement that there actually was discontinuity, and that we see a historical break and decline. This must not be concealed by projecting backwards in time Homer-style ‘heroes’ and Homeric society in general to the Mycenaean period. Joseph Maran (2011a, 284–287; 2014, 172– 175) has recently argued that the specific ‘bellicose’ character of Mycenaean warrior elites was actually an intercultural ‘misunderstanding’ in consequence of their knowledge of a more militaristic attire of Minoans abroad than we tend to recognise with our focus put on the remains of the ‘peaceful’ inward side of Minoan culture on Crete itself. In any case, the development of Mycenaean palatial society and the specific habitus of the Mycenaean warrior or ‘hero’ was contingent upon specific historical conditions, such as for example their early interaction with the more sophisticated Minoan palaces on Crete. The same, of course, applies to the Iron Age ‘heroes’ described by Homer, who were living in a different historical setting, who potentially held different values and notions of the world, and who were drawing upon different networks of exchange and knowledges of an outside world than their predecessors (cf. I. Morris 1997 / 2011, 543; 2000, 195–256). There is neither linear social evolution nor does history repeat itself. And there is no archetype ‘hero’ irrespective of social and cultural context. Even if male aspirations to heroic grandeur were universal, human agency is firmly tied to historical context. There is no immutable outcome to any such aspirations and social strategies. The Toumba building at Lefkandi (fig. 2; Popham / Calligas / Sackett 1990; 1993) or the Late Helladic IIIC building T on the acropolis at Tiryns (fig. 3) may be taken to exemplify what had remained and what newly emerged from the ruins of Late Bronze Age Mycenaean Greece. Building T, in particular, shows that tradition and claim laid to the ruins of the Bronze Age palace at Tiryns were still impor-

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Fig. 2: Plan of the Toumba building with the ‘hero’ burial and the adjacent later cemetery at Lefkandi on Euboea; reconstruction of the Toumba apsidial building (after Morris 2000, 220 fig. 6.5 and 223 fig. 6.8).

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Fig. 3: Plan and reconstruction of the Late Helladic IIIC building T in place of the previous central megaron on the acropolis at Tiryns (after Maran 2000, 2 fig. 1; 2012a,160 fig. 6).

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tant for what elites remained and had to negotiate their social standing. However, in terms of visibility, accessibility and its lack of monumentality this architecture offered entirely different options to be drawn upon in social and political discourse than previously was the case.19 This is the proper context for a discussion of the origins of Homeric social order, the context from which Homeric heroes emerge and against which their actions and specific concerns evident in the Iliad have to be understood. They are thoroughly Iron Age, not Bronze Age. Any meta-narratives that try to bridge the cultural and social gap between the two epochs lead us astray.

The Great Divide II: Bronze Age Centres and Peripheries If Kristiansen and Larsson’s (2005) account of the Bronze Age ‘other’ heavily relies on bridging the gap between the Early Iron Age Homeric heroes and the Mycenaean Bronze Age, it depends just as much on overcoming another divide, namely that between the Late Bronze Age Mycenaean palaces and wider Bronze Age ‘Barbarian’ Europe. This fits in nicely with a traditional ex oriente lux paradigm in prehistoric archaeology and widespread diffusionist notions of foreign influence and Mediterranean impact on European societies of prehistory. The result is much the same as in the above example of Mycenaean and Homeric society, for groups are linked which are widely different in social and cultural terms: Mycenaean and beyond that, of course, Minoan palatial society firmly rooted in the tradition of eastern Mediterranean Bronze Age civilisation and peasant or ‘proto-urban’ communities of the wider southeastern and

central European hinterland that never quite reached the core areas scale and splendour. For this reason, The Rise of Bronze Age Society has been rightly classified “neo-diffusionist” (Chapman 2013, 331). Its authors certainly take sides with all those scholars specialising in the European Bronze and Iron Ages who are spellbound by the impressive palatial or urban centres of the Mediterranean and the Near East that coexisted with their own less ‘impressive’ objects of study. However, while for many adherents of this approach it is simply a matter of fact that evidence of contemporaneity and contact with the superior societies of the eastern Mediterranean equals eastern influence on the less sophisticated but receptive groups of ‘Barbarian’ Europe, for Kristiansen and Larsson things are somewhat more complex. They subscribe to some kind of a core and periphery model that seeks to account in explicitly systemic terms for the effect of interregional interaction and asymmetric exchange on European Bronze Age societies. This kind of thinking goes back to World System Theory as proposed by Immanuel Wallerstein (1974 / 2011), and basic assumptions central to the original model are still perceptible in the various modifications that seek to adapt this approach to pre-capitalist societies. In order to understand the second narrative strategy in The Rise of Bronze Age Society under discussion here, it is necessary, therefore, to review some central tenets of World System Theory, its adaptations and its current applications.20 It will become clear that often ‘systemic’ interdependence is not adequately demonstrated. Our understanding of specific local trajectories requires an approach that encompasses the internal logics of culture

20

19

Maran 2011b, 173–174; 2012a, 158–160; 2012b, 126–130; 2014, 176–183.

See Kümmel (2001) and Harding (2013) for an indepth discussion of some of the aspects and problems of World System Theory in archaeology only touched upon here superficially.

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systems and the agency of individual people or social groups. It cannot be replaced by the outside view or the supposed logic – be it economic or other – of the structural components of an overarching abstract interregional system. Instead, an emphasis on local agency vis-à-vis foreign contact or foreign goods is required, and a focus on local re-contextualisations and re-valuations of material culture as well as externally derived immaterial concepts. World Systems in Archaeology

‘World System Theory’ after Wallerstein (e. g. 1974 / 2011, xvii–xxx; 3–17; 347–357) represents an attempt to account for the emergence of underdevelopment in the wake of European colonisation and imperialism in terms of structured interaction, systemic (economic) dependency, geographical division of labour and unequal exchange. It is supposed, that all of these were to the disadvantage of peripheral societies which were confronted with an industrialised, politically ‘superior’ European core area represented by colonial powers such as Spain, Portugal, France and, in particular, Great Britain. This was an advance over previous accounts for the ‘rise of the West’ in essentialising terms of an inherent superiority of European culture and society as well as over earlier ‘Dependency Theory’ (cf. Rowlands 1987, 1–3; Champion 1989, 2–9). Yet, Wallerstein himself was accused of morally ‘wellmeant’ Orientalism (Washbrook 1990, 492), because his periphery is assigned the role of a passive victim to European expansion. It is denied internal social or cultural dynamics and agency opposite outside invaders, foreign material culture or immaterial concepts such as imperial rule, ideology or religious beliefs (Sahlins 1994, 412–413; Stein 1999a, 16–23; 1999b, 154–157). Setting aside the criticism aimed at the adequacy of World System Theory to understand the structure and development of mod-

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ern core and periphery relations themselves (e. g. Wolf 1982 / 2010, 22–23; 297–298; Sahlins 1994, 412–416; Kümmel 2001, 23–24), it is somewhat surprising that this approach was so readily accepted into archaeological discourse. Wallerstein (1974 / 2011, 15–129; 162; 301–344) himself had made it quite clear that he regarded his World System as the consequence of a historically specific constellation, i. e. industrialisation and the development of capitalism in the modern West. With regard to earlier, pre-modern periods his position was akin to substantivism in that he thought such economies and their potential interaction qualitatively different from modern times (cf. Rowlands 1987, 3; Kohl 1987, 13–14; Champion 1989, 5–8). He claimed that at best political structures or ‘world empires’ may have evolved in pre-modern times.These were lacking, however, the technological and organisational potential to establish stable structures of economic domination that extended over wider areas for any extended period of time (Wallerstein 1974 / 2011, 15–17; 348–351; cf. Champion 1989, 6). In view of these limitations, the impact of Wallerstein’s World System Theory on archaeological thought can only be understood as a response to the then prevalent Processual Archaeology with its heavy emphasis on local trajectories.World System Theory was adopted to shift back focus to the importance of longdistance interaction, interregional exchange and the effect this may have had on local systems (e. g. Rowlands 1987, 3–11; Champion 1989, 1–2). Given Wallerstein’s own reluctance in these matters, an important strand of this debate is concerned to establish the applicability of his model to pre-modern groups. Most of this ultimately refers back to Jane Schneider’s (1977 / 1991) influential review, where it was claimed Wallerstein had unduly limited the range of his own model by denying the exchange of luxury goods a similar impact on local economy and society as postulated for

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bulk exchange of raw materials and industrial goods in the modern World System. Subsequently, there was a pervasive use of various brands of ethnographically derived ‘prestige good economies’ to account for the emergence of inequality in prehistoric European groups. Not every such attempt to identify a ‘prestige good system’ in operation is linked to wider notions of the society in question being situated on the ‘periphery’ of a Mediterranean or Near Eastern civilisation or ‘core’ area. However, both debates are close in their joint interest in the structuring potential of foreign derived (prestige) goods on social relations (cf. Rowlands 1987, 4–8; Champion 1989, 8; 11–13; Kümmel 2001, 26–33; 73–76). The spread of World System terminology was favoured by the ready-made mechanism that this model provided to account for the nature and the perceived effect of structured interregional interaction by reference to elite exchange of valuables. Thus, more and more constellations of prehistoric European groups and beyond are discussed in terms of ‘core’ and ‘periphery’ or ‘margin’ (cf. Chase-Dunn / Hall 1991; Hall / Chase-Dunn 1993), although they would seem widely different in terms of their internal organisation as well as with regard to the mechanisms and the intensity of their interaction.21 Among the authors of The Rise of Bronze Age Society it is K. Kristiansen, in particular, who is known for his long-standing interest in the application of such core and periphery models in archaeology. It is necessary, therefore, to have a look at some of his various relevant studies over the last decades in order to highlight the difficulties with this approach in an European context. Since central tenets of

21

e. g. Kristiansen 1987; 1994; 1998; Frank 1993 (including the comments to Frank’s paper); A. Sherratt 1993a; 1993b; 1994; 1997; Parkinson / Galaty 2009a; 2009b.

World System Theory have become increasingly blurred, this discussion will revolve around two slightly different aspects – namely problems with the notion of ‘systemic’ interdependence and passive peripheries related to more ‘orthodox’ applications of World System Theory, and the supposed convergence on a pan-European scale of a distinctly Bronze Age elite ethos and ideology characteristic of more recent works which transcends World System Theory proper. Kristiansen’s use of World System Theory has been rightly classified as ‘macrohistorical’ (Kümmel 2001, 90; 94–97), since in his work elements of World System Theory are incorporated into ever wider syntheses of the evolution of European Societies of the Bronze and Iron Ages (see also Kienlin 1999, 109– 123). Starting on a relatively modest scale, in his paper on Center and Periphery in Bronze Age Scandinavia, Kristiansen (1987, 81–84) drew on Ekholm and Friedman’s (1985, 114–115) concept of dependent and independent structures to allow for regional variability in prehistoric Europe. Unsurprisingly, Scandinavia was declared dependent on central Europe. Both areas were thought to have been linked by an unbalanced exchange of bronze objects that peripheral Scandinavian elites were claimed to have drawn upon to attain their status. This is, of course, the classic prestige good exchange modification to Wallerstein’s original model that is widely used in archaeology, although Kristiansen (1987, 77–79) from the beginning added a distinctly ritual ‘flavour’ by reference to the work of M. Helms (1979; plus, of course, in Kristiansen’s subsequent work, reference to Helms 1988; 1993; 1998). Thus, economically derived power, social preeminence derived from control over (foreign) prestigious objects and ‘mythical’ power related to outside contacts, control of wondrous foreign objects and esoteric knowledge attached to them all tend to be set in one (Kristiansen 1987, 77). From Wallerstein this takes the interest in sys-

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temic dependency and unbalanced exchange (although of a different kind than in the original) – elements, that also feature prominent in Kristiansen’s subsequent papers and in his major work Europe Before History (Kristiansen 1998). Here, the logic of the system and the mechanisms involved are the same as before, namely asymmetric elite exchange networks (e. g. Kristiansen 1998, 249–252). However, the scope of the study is widened to comprise a Bronze Age and (Early) Iron Age World System that is thought to have incorporated entire Europe and the Mediterranean (Kristiansen 1998, 359–419). In addition, there is an explicit interest taken in cyclical evolutionary patterns that is also derived from World System Theory (e. g. Kristiansen 1998, 50–53, 407–417). Finally, in the 2005 synthesis The Rise of Bronze Age Society (Kristiansen / Larsson 2005), all of these elements are still present, yet there is a distinct shift towards the “intangible” (Harding 2013, 383–384; see also Galaty / Tomas / Parkinson in press), since what links centres and outer peripheries is not predominantly economy or politics any more, but rather ritual and cosmological power that travelling elites derived from esoteric knowledge and foreign objects (e. g. Kristiansen / Larsson 2005, 4–7; 10–13; 20–31; see also Kristiansen 2011). Much of this reasoning leaves World System Theory behind, most clearly in that concern is not so much with dependency any more, but rather with convergence, since in the end it is fundamentally the same Bronze Age ideology with its accompanying symbols and institutions that is detected all over the Old World during the Bronze Age (e. g. Kristiansen / Larsson 2005, 142–250). Critique and Alternative Perspectives on Prehistoric ‘Peripheries’

It is certainly true that prehistoric groups must not be studied in isolation, if we want to come up with a realistic understanding of their deve-

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lopment. It is also true, that evidence for trade or exchange and the presence of foreign (prestigious) objects need to be accounted for, and their significance for local people and economy has to be evaluated. Yet, if World System Theory may theoretically hold promise to explain at least some such constellations, in practice its explanatory power is severely hampered by the common failure to demonstrate the presence of systemic interlinkage and the operation of specific intra-system mechanisms central to the applicability of this approach. Such problems have, of course, been noted for some time now, both by adherents of World System Theory themselves and by their opponents.22 They refer to key assumptions of World System Theory and may be roughly summarised as follows: a) problems of definition and delimiting perceived ‘core’ area(s) and ‘peripheries’ including problems of demonstrating structural difference between the two in aspects relevant to the operation of the system;23 b) failure to demonstrate structured interaction and systemic (economic) dependency between perceived core and periphery (instead of mere contemporaneity, general contact and exchange); c) partly related to points a) and b) failure to demonstrate asymmetry in structured interaction to the disadvantage of the periphery (e. g. division of labour and terms of trade favouring the core) and consequent dominance of core polities and elites over peripheral groups;24 and d) failure to establish why (and how) ‘asymmetric’ exchange – as defined by the contemporary archaeological observer – should always

22

e. g. Rowlands 1987, 3; 11; Kohl 1987; 2011; Champion 1989, 14–15; 18; Sahlins 1994; Stein 1999a; 1999b 2002; Kümmel 2001; van Dommelen 2006; Harding 2013; Ulf 2014; Galaty / Tomas / Parkinson in press. 23 For example, geographical division of labour or the existence of a ‘technological gap’ between the two; see e. g. Kohl (1987, 16–18; 2011, 81–85). 24 e. g. Kohl 1987, 16; Stein 1999a, 23–24; 1999b, 155– 159; 2002, 904–905.

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translate into growing disparity between core and periphery (Kümmel 2001, 86–88). This latter point, of course, refers to the unproven assumption that peripheral ‘prestige good systems’ will politically end up in competition and ‘spiraling asymmetries’, while economically specialisation to serve unequal exchange will in the long-run have a devastating effect on peripheral society and cause decline relative to the core of the system. Before turning back to the European situation, it is interesting to note that much of this criticism of World System Theory was launched early on in Near Eastern archaeology – i. e. in an area where the outside observer would have expected comparatively little difficulties in the application of World System Theory (e. g. Algaze 1993 / 2005; Beaujard 2011). If anywhere in prehistory, should not the emergent urban centres of Mesopotamia or the Egyptian civilisation qualify as core areas? Should they not have dominated their respective peripheries, such as Anatolia or the Zagros mountains, in economic terms by supplying elaborately crafted goods and textiles in return for raw materials such as metal, stone or wood that were not available on the floodplains? And should not this constellation bear the greatest potential to resemble a modern colonial encounter with its systemic interdependence and exchange to the disadvantage of less developed peripheral groups? Yet, it is here that some of the more prominent critiques of World System Theory took their onset. For example, Philip Kohl (1987; 2011) has repeatedly demonstrated that World System Theory does not adequately describe structured interaction in the ancient Near East. In particular, he has drawn attention to the presence of multiple cores and the absence of a marked ‘technological gap’ between core areas and peripheries. The presence of multiple cores, instead of just one in Wallerstein’s modern World System, and their inherent instability would have allowed peripheral polities an

unpredicted degree of ‘freedom’ and options in negotiating terms of trade with core areas that is not matched by the original model (Kohl 1987, 16). Given that in addition most technologies involved were still easily transferable, or even originated from the periphery, Kohl suggests it is unlikely that there was a structural disadvantage to peripheral groups. It is hard to see then why interaction, that certainly took place between various groups on different levels of complexity, should have been on unequal terms and favoured peripheral ‘underdevelopment’ (Kohl 1987, 16–24; 2011, 81–82; see also Kümmel 2001, 70–73). With its emphasis on exchange and technology, this may still be thinking in the same broad economic categories that were also employed by Wallerstein.Yet, the important point is certainly valid, that the efficacy and the asymmetry of an exploitative modern World System should not be transferred to (pre-)historic groups all too readily. A related criticism was formulated in various studies by Gil Stein (1999a; 1999b; 2002), who concluded that applications of Wallerstein’s World System Theory (and its various modifications) tend to exaggerate the power of the core and the effect of unequal exchange on peripheral economy and society. Importantly, this critique goes beyond mere demonstration of the different structural logics of prehistoric interregional interaction and modern core and periphery relations, a point that is also acknowledged by the advocates of archaeological World System models. Rather, the important objection is raised, that foreign symbols of power and prestige may be employed in peripheral groups without consequent economic and political modifications (Stein 1999a, 36–37; 44–46; 2002, 905–908). This runs counter to the commonly supposed logic of such prestige good systems and World System Theory but Stein (1999b, 155) makes it quite clear that “... the specific effects of external forces from the core vary widely because

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they are mediated differentially through local ideologies.” Prestige goods, too, are socially constructed and subject to continuous renegotiation rather than being “immutable social facts” (Stein 1999a, 36) that will always prompt the same mechanism of social dynamics and modifications to economic structure. In each case, therefore, it has to be demonstrated rather than assumed that elite demand for exotic symbols of power and prestige in fact led to an increased dependency on a more ‘civilised’ core area (Stein 2002, 907–908). In essence, Stein suggests that a) the ability of ‘core’ states to exert power – both direct coercive power and indirect economic power derived from the successful manipulation of rates of exchange – was strictly limited by distance under prehistoric conditions; and that b) our emphasis on asymmetric exchange (be it bulk trade or exchange of valuables) prevents us from recognising internal difference and dynamics of peripheral societies (Stein 1999a, 44–64; 1999b, 159–165; 2002, 905–908). In fact, peripheral needs and local understandings have an important role to play in the acceptance and adaptation of foreign goods or ideologies. For this reason, an approach to the study of interaction is called for that sees interaction “... as the observed outcome of short-term decision making by multiple individuals and institutions with different, overlapping, and often conflicting goals” (Stein 1999b, 160). This would be an approach that, instead of essentialising ‘peripheral’ groups into a uniform ‘periphery’ that falls victim to core expansion, “... allows for the roles of individual agency and multiple forms of social identity as key factors affecting political economy and developmental trajectories ...” (Stein 1999b, 160; see also Stein 2002, 905–908). A corresponding critique of World System Theory is advanced by a growing number of authors from the field of Mediterranean or Near Eastern Archaeology, who seek to integrate interaction studies with a broader post-

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processual concern with agency and the negotiation of local identities via material culture in specific historical contexts.25 The outcome of this line of thought can be observed in recent volumes such as Interweaving Worlds. Systemic Interactions in Eurasia, 7th to 1st Millennia BC (Wilkinson / Sherratt / Bennet 2011) or Materiality and Social Practice. Transformative Capacities of Intercultural Encounters (Maran / Stockhammer 2012). Although this turn is often phrased without explicit leave from earlier World System approaches, it is only a minority of authors that still adhere to simple notions of systemic dependency, core dominance and external causation to account for economic and cultural change in ‘peripheral’ groups (e. g. Beaujard 2011). More often, central tenets of World System Theory and its applications in archaeology are critically reviewed. In numerous case studies a much more complex picture of ‘core’ and ‘periphery’ relations emerges than just dependency, subordination of the latter and “the development of underdevelopment” (Frank 1966; see also Frank 1993; contra, for example, Kohl 2011, 80–81). Drawing on the earlier finding, that in prehistory even politically centralised and economically strong ‘core’ states lacked the technological and infrastructural ability to project their power over large distances (Stein 1999a, 55–64; 1999b, 160–165), there is a growing awareness that culture, too, in the form of local traditions, local values, systems of knowledge or notions of the world and society may delay or forestall core dominance over peripheral groups (e. g. Wengrow 2011, 136–137; 141; Bachhuber 2011, 164–171). Without denying

25

Prominent, of course, is the work of M. Dietler (e. g. 1989; 1998; 2006) who has repeatedly shown that the potential of Mediterranean influence and imports to bring about social and economic change in Early Iron Age Hallstatt Europe is overemphasised by the advocates of core and periphery models.

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contact and interaction, these authors find it difficult to demonstrate systemic dependency as previously postulated and turn away from the study of interaction in mere economic terms. Instead, attention is drawn to the differential outcomes of contact and exchange depending on local valuations, specific historical trajectories and peripheral choice or agency opposite outside ‘influence’.26 On different levels of study this may range from employing the concept of heterarchy to characterise asymmetric, but non-hierarchical relations between core and peripheral polities (e. g. Flammini 2011, 210–212) to an explicit concern with the agency of individuals or social groups in the adaptation of foreign ideologies or objects (e. g. Legarra Herrero 2011, 271–273; Maran 2011a, 284–289). It is increasingly agreed upon, that neither comprehensive concepts such as an ideology of legitimate political power, social strategies and practices, nor symbolically charged objects such as valuables or prestige goods are likely to remain unaffected in their specific meaning and potential to be drawn upon in local discourse when transferred from ‘core’ to ‘periphery’.27 Rather, there is, in the first place, on the receiving side an active choice for selecting concepts or objects that ‘fit’ into existing notions of the world or social strategies.28 And, second, any foreign element that makes its way is likely to undergo an act of ‘translation’, i. e. an active reinterpretation of its meaning and an effective recontextualisa-

26

e. g. Dietler 1989, 127–128; 134–136; 1998, 297– 301; 2006, 224–227; Broodbank 2011, 28–29; cf. Sahlins 1994, 414–416. 27 e. g. Dietler 2006, 228–229; Legarra Herrero 2011, 268–269; 276–277; Maran 2011a, 282–284. 28 See, for example, Dietler (1989, 134–136; 1998, 303–307; 2006, 232–235) on the selective acceptance of Mediterranean imports – wine and high-status drinking gear – into the Hallstatt area and their incorporation in local political strategies and feasting practices.

tion to establish its specific positioning and role in local practice and discourse.29 For sure, this is not an easy matter to study archaeologically, and the appropriation of foreign elements may turn out to be highly variable depending on local cultural and social context as well as on the group(s) of person(s) involved. However, such reinterpretation did occur, and divergent valuations as well as the specific use made of foreign objects in new fields of social discourse clearly have to be taken into consideration. Hence, for example, it cannot be taken for granted that some foreign ‘prestigious’ or ‘sacral’ objects automatically received the same appreciation in peripheral groups and were drawn upon to support elite claims to exotic foreign knowledge.30 This is all the more true, when such objects had ‘dripped’ down some contingent line of exchange rather than being handed over directly with an accompanying narrative to support their significance (Bachhuber 2011, 166; Legarra Herrero 2011, 274). Both ‘import’ by whatever means and local emulation involve a transformation of meaning (e. g. Stein 1999a, 66), and neither systemic interdependence nor asymmetry of exchange is an indispensable consequence of contact.31

29

Dietler (2006, 225): “... cross-cultural consumption is a continual process of selective appropriation and creative assimilation according to local logics that is also a way of continually (re)constructing culture.” See also Greenberg (2011, 232–233), Bachhuber (2011, 164–171), Legarra Herrero (2011, 269–273), van Dommelen / Rowlands (2012, 21–27) and Knapp (2012, 43–46). 30 See Bachhuber (2011, 160): “We are ... at risk of imposing archaeological knowledge of the origins of exotic objects and materials onto the knowledge of the ancient consumers of exotic objects and materials ...”. In a similar vein, see also Panagiotopoulos (2012) showing that the exotic ‘otherness’ of foreign objects may have worn off rather quickly, and they actually were held in esteem for quite different reasons in their new local context. 31 e. g. Dietler 1989, 135–136; Stein 1999b, 157; 2002, 907–908; Kohl 2011, 80–81.

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The effect of contact and exchange, that is to say, must not be taken for granted. The occurrence of foreign derived immaterial notions and material culture has to be studied by reference to their actual use in a new context. Foreign elements have to be understood in terms of their specific reworking by local communities and individuals. Their potential to destabilise local traditions and social order must not be unduly emphasized. With few exceptions such as the work of Michael Dietler (1989; 1998; 2006) referred to above, little of this theoretical development has so far been applied to the European ‘periphery’ of a postulated prehistoric World System. This is particularly true for Bronze Age research, which in the wake of spectacular finds like the Nebra sky disc rather sees a return to the old ex oriente lux paradigm in recent years.32 To many, of course, who never subscribed to the processual paradigm of autochthonous development (e. g. Schauer 1984 or papers in Kolloquium Mainz 1990), this is simply the return to what they have known all along,33 and The Rise of Bronze Age Society is hailed from this side for its elegant and comprehensive review of our perceived state of knowledge.34 It can also be

32

See, for example, papers in Meller (2004) and Meller / Bertemes (2010). 33 This group can also be characterised by their attempts to reconcile traditional chronological links between Europe and the Mediterranean with the long radiocarbon chronology – most prominent perhaps in the meticulous studies by S. Gerloff (1993; 2007; 2010). 34 Interestingly, in archaeometallurgy there is a similar reaction to processual claims for an autochthonous development of metallurgy, for example, on the Balkans (e. g. Renfrew 1969), with a younger generation arguing in favour of diffusion and single core development on the basis of a review of relevant finds that accumulated throughout Eurasia since Renfrew’s original studies (e. g. Roberts / Thornton / Pigott 2009). On the other hand, there are also still those using new excavation data and scientific analyses to argue against diffusion and for multiple core development (e. g. Radivojevic´ et al. 2010).

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taken, however, to exemplify the pitfalls resulting from such a widespread ignorance of more recent interaction studies. But, let us turn first to World System ‘orthodoxy’ and its impact on the earlier work of K. Kristiansen, since this is where the problems start. In fact, most of the general criticism applies here that was directed against archaeological reasoning inspired by World System Theory during the last decades (see also Harding 2013). For example, systemic dependency between Europe and the Mediterranean or between different parts of Europe is not demonstrated anywhere. Instead, the existence of a system is proclaimed, and its development through time and its specific regional expressions are discussed in terms of the internal logic of the system and the approach taken (e. g. Kristiansen 1998, 13–14; 52; 56; 359–394). The same applies to ‘world economy’ and asymmetric exchange. Referring to Kristiansen (1998, 56–62), one may ask, which Bronze Age polities in Europe beyond the Mycenaean palaces themselves had ever obtained territorial control and did exert military and economic power beyond that territory, thus constituting an early economic system? And why should exchange between such ‘cores’ and ‘peripheries’, if any, have been asymmetric (e. g. Kristiansen 1998, 252)? Already in the debate following Wallerstein’s (1974 / 2011) original publication it was noted that he had failed to demonstrate why exchange between core and periphery should always be asymmetric and to the disadvantage of the periphery, and why the whole capitalist World System should be doomed to expand (cf. Kümmel 2001, 23). The same criticism applies to its archaeological variant with prestige good exchange supposedly drawing peripheries into a spiral of elite competition and growing dependency on core valuables (cf. Dietler 1989, 130, 135; Kümmel 2001, 87–88).35 This is an approach that systematically fails to acknowledge local agency in the appropriation of foreign ele-

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ments (see above). And it is certainly unclear, why mere ‘contact’ should bring about culture change in the margin. For example, peripheral elites in the Carpathian Basin may well have been drawing on Mycenaean ornaments and armour. Yet, (early) Mycenaean elites themselves had come to depend for their social reproduction, for instance, on amber from the north and in part elaborately crafted exotic objects from Minoan Crete (e. g. Maran 2011a, 284–289; Rutter 2012, 79–82). It is entirely unclear, if in such exchange any side would have been in a stronger position, or if this is the right question to ask at all. For Mycenae it has been shown that amber objects which ultimately derived from Wessex were put to different uses other than just jewellery like in their country of origin. The meanings ascribed to them where different, possibly magic or apotropaic. We see evidence of a complex process of ‘translation’, which also affected Minoan derived objects, rather than just simple transmission of foreign objects and their associated meanings (Maran 2011a, 289; 2013, 147–151; 157–159; 161). The same certainly applies to ‘Barbarian’ Europe. The movement of goods and objects is the result of the negotiation of specific needs and interests on both sides that are involved in exchange.These interests may be economically, socially and / or culturally motivated. We do not know how these motivations are distributed on the ‘core’ and ‘periphery’ sides respectively. We cannot be sure that our perception

35

See Dietler (1998, 298) on the Iron Age situation: “... it is a serious analytical error to assume that asymmetrical relations or structures of power that ultimately appeared in later periods were necessarily a feature of the first stages of the encounter rather than a product of a subsequent complex history of interaction and entanglement.” For sure, this also applies to earlier Bronze Age Europe, when evidence of contact and exchange with the Mediterranean is much weaker and even less likely to have been ‘systemic’ than during the Iron Ages.

of ‘asymmetry’ in such systems adequately reflects emic notions that both ‘partners’ held of the relative ‘success’ of exchange, and their respective ‘gain’ drawn from contact and the objects, knowledge etc. they had obtained. We see relatively few groups of exotic objects and materials moving to and fro in Europe. It has been called into question, whether social reproduction is likely to have come to depend on such exchange (Dietler 1998, 297; Kümmel 2001, 87–88). Under prehistoric conditions interaction is contingent upon innumerable imponderabilities, and the consumption of foreign objects may have unintended consequences beyond the foresight of social actors (Dietler 2006, 229–230). Hence, there has to be positive evidence that it was possible to rely on outside contacts – be it bulk trade or exchange in valuables – for the social reproduction of local systems. In prehistoric Europe, at least, this would seem a risky business (cf. Dietler 1989, 132). It is unlikely for practical reasons (distance, transportation etc.) that peripheral status in the sense of World System Theory was achieved. For precisely this reason, in more recent work, the systemic status of ‘Barbarian’ Europe is reduced to that of a ‘margin’ (e. g. A. Sherratt 1993a; 1994), and Europe is understood to have remained largely unaffected by direct dependency from an eastern Mediterranean core in a prehistoric World System (cf. Harding 2013, 383). Here, once again, a line can be drawn from the beginnings of World System Theory to the present if one considers the notions of what a ‘periphery’ (or a ‘margin’) actually is: It was Eric R. Wolf (1982 / 2010, 23) who drew attention to the fact that ‘periphery’ to Wallerstein is a catch-all term for traditional groups that no real interest is taken in (cf. Kümmel 2001, 24). Much the same applies to ‘margin’. The vagueness of this term makes application of core, periphery and margin terminology attractive. However, it also marks the almost complete deflation of World System Theory in

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(European) archaeology of most of its original content (cf. Harding 2013, 384–385).36 For what else than loose unspecified ‘contact’ remains when marginal society does not experience structured interaction, systemic (economic) dependency, geographical division of labour and unequal exchange? This is the state of the art that Anthony Harding has in mind when he describes the approach taken by many current applications of World System Theory: “... identify trade networks, place them within a WST framework, but ignore the need to demonstrate that there was a system of any sort in operation, let alone a ‘world system’, with the specific conceptual baggage that the term brings with it.” (Harding 2013, 384). Irrespective of our theoretical approach, be it derived from World System Theory or other, in order to produce meaningful statements on past culture contact and interaction the impact of foreign derived material culture, if any, on local systems needs to be carefully considered. The presence of exotic objects as such does not prove that exchange of whatever kind was asymmetrical and to the disadvantage of a presumed periphery or margin. Beyond Neo-Diffusionism: Implications for Bronze Age ‘Barbarian’ Europe

It would seem that little harm is done by such an application of ‘World System Theory’ if it did not carry forward from both older diffusionism and World System Theory the conviction that somehow ‘contact’ makes a difference and will affect culture and society on the margin. In doing so, it invites us to neglect local variability. We fail to consider the different groups

36 A related point is made by Stein (1999a, 24–25) and Kohl (2011, 80) with reference to the modifications to World System Theory for archaeological use suggested by Hall and Chase-Dunn (e. g. 1993). See also, for example, Kardulias (2009) and S. Sherratt (2009).

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of people involved in interregional interaction and the importance of cultural traditions which affect the readiness and the way foreign ‘influence’ is integrated in local discourse. Hence, it can still be said that the presence of a Mycenaean sword or spiral motif in the Carpathian Basin equals the adoption of Mycenaean warrior ideology, while, for example, in Minoan studies Egyptian scarabs etc. in Cretan tombs are understood to be drawn upon in a specifically Minoan way to express local identities and negotiate social power.37 On a higher level, therefore, studies like The Rise of Bronze Age Society (Kristiansen / Larsson 2005) are a brilliant example of the dangers and the rhetorical strategies involved in neo-diffusionism and World System Theory inspired reasoning. The grand scale of the narrative and its distance from the evidence on the ground tend to immunise underlying theoretical assumptions against critical assessment. Regional variability in both the core and the periphery is ignored. At no point an attempt is made to study the actual strategies of their use and the recontextualisation of foreign elements – material and immaterial – in the periphery. Instead, by and large the meaning of foreign objects and goods is taken for granted (e. g. Kristiansen / Larsson 2005, 29; 142–150). With regard to the above mentioned findings of Mediterranean and Near Eastern Archaeology, such convergence and largely identical meanings on both sides should come as a surprise. In any case, this assumption would require careful demonstration. The same holds true for Kristiansen and Larsson’s claim that they are able to identify social ‘institutions’ from their (symbolic) material remains (e. g. Kristiansen / Larsson 2005, 10–31), and for their conviction that the intact transmission of such symbolic

37

e. g. Wengrow (2009, 147–150) and Legarra Herrero (2011, 269–271); see also above Maran (2013) on the Mycenaean appropriation of amber.

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structures or institutions is easier the more complex the package of related knowledge and skills actually is (e. g. Kristiansen / Larsson 2005, 21–22; 28–29). Rather the opposite seems likely with regard to current approaches, that stress the renegotiation and the transformation of identities, of meaning and practice in contact situations. Kristiansen and Larsson’s is an invitation to believe in identical meanings and institutions throughout Bronze Age centre and periphery. Postcolonial studies, on the other hand, would stress the ‘fuzziness’ of social life and the hybridity or hybridisation of material culture and social practices as a result of contact and interaction.38 Either way, this has to be demonstrated by reference to specific situations of contact, to the local consumption of foreign material culture and the social context in which such interaction takes place. It is here that Kristansen and Larsson take refuge in empathy and authoritative statement rather than provide a careful examination of the archaeological evidence: “... Bronze Age society was obsessed with travel and esoteric knowledge brought home from outside. ... The city-states of the third and second millennia BC shared with less developed prestate societies a developed mythical cosmology to describe and have direct contacts with the outer world.” (Kristiansen / Larsson 2005, 43). It is possible or even likely that Bronze Age space was “... loaded with dangers, monsters, myths and powers ...” (Kristiansen / Larsson 2005, 43). Yet, it is certainly not demonstrated which dangers, monsters, myths and powers and whether they were the same throughout Europe and the Mediterranean. The resulting kind of narrative is catchy, while at the same time suspending basic rules of archaeological procedure. A narrative strat-

38

Compare, for example, van Dommelen (2006, 118– 119), van Dommelen / Rowlands (2012, 25; 27–28) and Knapp (2012, 33).

egy is employed that uses specific pieces of evidence (e. g. some multiple burials and victims of aggression in an otherwise highly standardised Early Bronze Age burial tradition) to illustrate ‘institutions’ that thereby attain the status of confirmed historical ‘fact’ (i. e. Bronze Age slave labour and warfare; both examples taken from: Kristiansen / Larsson 2005, 133–135). Rather, one could argue that the examples chosen are contingent upon specific historical circumstances and run counter to the findings of a broader contextual analysis of the Bronze Age groups under discussion.39 A fairly typical example of this procedure and the decontextualisation of foreign elements, the meaning of which is taken for granted, is provided by the following passage on the Bronze Age ‘tell cultures’ of the Carpathian Basin: “Visitors to the chiefly courts in the northwestern Carpathians during the seventeenth and sixteenth centuries BC would have met a shining world of painted / decorated houses in east Mediterranean imitation, chariots, new weapons and new exotic rituals of drinking and feasting ... The chiefly courts of the tell cultures combined a strong innovative local tradition in pottery and metalwork with exotic cultural traits from the Minoans and Mycenaeans, whom they met regularly at some of the trading points. Even script – the mysterious powerful script – did they want to adopt. Not for recording their possessions or tribute payments ... but as a powerful, esoteric ritual.” (Kristiansen / Larsson 2005, 167).

39 See, for example, Kienlin (1999; 2010; 2012). Kristiansen and Larsson (2005, 132–138) themselves are, of course, aware of evidence to the contrary (for example: “Somewhat against this picture we have the local settlement evidence around the mines. It suggests working camps with little or no evidence of hierarchy ...”

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This is itself epical writing, not scientific prose, but more importantly it follows the general pattern of argument criticised above. Script, we learn, was adopted in the chiefly courts of Bronze Age tell communities of the Carpathian Basin. What chiefly courts, one may ask then, and what evidence of script?40 However, let us dwell instead on the supposed implications of this ‘finding’: Bronze Age communities in the Carpathian Basin are thought to have adopted fundamental institutions of Minoan / Mycenaean civilisation, such as ‘exotic rituals of drinking and feasting’. Other elements, such as writing and script are thought to have been adapted to local context and somehow transformed to a ‘powerful, esoteric ritual’ (Kristiansen / Larsson 2005, 167). Yet, in total, it is suggested we see a process of adoption and convergence, and this ‘shining world’ in ‘Mediterranean imitation’ is clearly thought to have seen the direct transmission of religious and social institutions (e. g. Kristiansen / Larsson 2005, 150–167). Now, one might argue, that even if the tell communities under discussion had in fact used Mediterranean script, this use as ‘mysterious signs of powerful and esoteric ritual’ would point to the exact opposite of what Kristiansen and Larsson suggest: namely recontextualisation and appropriation into a local context and local practices different from the Mediterranean rather than the transmission of institutions (e. g. palace administration; see above on the economy of Mycenaean palaces). Finally, a related point can be made regarding the notion of cyclical patterns in the broad tradition of World System Theory, that supposedly linked the Mediterranean and European

development (e. g. Kristiansen 1998, 359–391; 412–419; Kristiansen / Larsson 2005, 105–107; 211–212). Apart from essentialising groups like the ‘Minoans’ and the ‘Mycenaeans’ and overt simplification in the presentation of Mediterranean and European sequences,41 there is no demonstration other than broad contemporaneity why and by what mechanism change in one part of the ‘system’ should have affected society in another. Again, it is the narrative strategies involved that require deconstruction: We are used to accept a phrase like “... the three phases [of Minoan / Mycenaean development and contact; TLK] outlined above also correspond to important changes in European Bronze Age societies” (Kristiansen 1998, 364) as a meaningful statement that implies systemic integration and parallel cycles of social evolution. It is not. Instead, we are faced with a narrative structure that masks the failure to establish meaningful links between ‘core’ and ‘periphery’ and to explicate the mechanisms of systemic interaction thought crucial for cyclical change. It is not argued here that the impact of interregional exchange on local systems is irrelevant. Yet, surely, it has to be demonstrated rather than just assumed, and it is only one facet of a more complex ancient reality. Whether in a more traditional sense the economic impact of long-distance trade in metal and other commodities is stressed or instead the social dynamics of prestige good systems drawing on exotic objects, advocates of neodiffusionism have us believe in social and cultural dynamics and ultimately in convergence in consequence of contact and exchange.

[Kristiansen / Larsson 2005, 133]), but it is usually subordinated to the great historical narrative, i. e. in this particular case the rise of Bronze Age metallurgy and social differentiation. 40 For a more detailed discussion see also Kienlin (2012).

41 e. g. notions like the “Mycenaeans” taking over the “Minoan” trade empire (Kristiansen / Larsson 2005, 88) or the rise of the Mycenaeans being linked to “their conquest of the Minoans” (Kristiansen 1998, 363), fortified Minoan towns and palaces, purposive Minoan “colonisation” or a Minoan maritime “thalassocracy” etc. (Kristiansen / Larsson 2005, 96–97).

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That is to say, they use the evidence of personal mobility and / or objects moving to and fro to bridge the gap between structurally different communities and societies, in our case between the Bronze Age Aegean or the wider eastern Mediterranean and the ‘Barbarian’ hinterland of prehistoric Europe. In the preceding paragraphs it has been argued that this approach has to be counterbalanced by an awareness of the complex processes involved in the recontextualisation of exotic foreign objects. Particular attention must be paid to the ways these were actually drawn upon by social actors in local discourse. Beyond local meanings and uses of foreign objects, however, the more important implication of this critique is that we are clearly entitled to consider that long-term stability of structural difference between groups coexisting in time and space is indeed a possibility; and that mere proof of contact does not equal demonstration of ‘core’ impact on the less developed ‘periphery’. A comparable narrative strategy disguising structural difference was identified above with regard to the use of Homeric heroes as a blueprint for Bronze Age Mycenaean society. The inherent contradictions of this approach were illustrated by reference to the stark contrast in the organisation of social and political space in Mycenaean palaces such as Tiryns and the quite different architectural setting and options to negotiate claims to social preeminence during subsequent post-palatial (e. g. the LH IIIC building T at Tiryns) or Early Iron Age times (e. g. the Protogeometric Toumba building at Lefkandi). Now this line of thought can be taken up and developed further. We should leave behind essentialising concepts of ‘core’ and ‘periphery’, and allow for the variability and historicity of potentially interacting local groups – both from the Bronze Age Mediterranean and from ‘Barbarian’ Europe. Instead of glossing over variability and / or forcing different traditions of living and ‘working’ onto the Procrustean bed of supposedly universal

‘political economies’ (e. g. Earle / Kristiansen 2010), one may opt for an impartial, structured comparison of divergent local trajectories. Particular emphasis may be placed then on the social use of space, for surely it was rather the built environment of Bronze Age communities that reflected and shaped commonly accepted values and perceptions than the occasional prestigious (foreign) metal or amber item etc. Social space and architecture framed daily activities as well as ritual and social action. They were drawn upon in social discourse, and by their specific quality they encouraged some notions held and strategies pursued while discouraging others, just by their mundane presence and by withdrawing attention from alternative options. It can be shown then, that both areas, the Mediterranean and ‘Barbarian’ Europe, expose cultural complexity, but it was only in the Mediterranean that this translated into the development of explicitly politically differentiated societies, i. e. the Late Helladic Mycenaean palaces already referred to above. Even in the Mediterranean, however, this development did not take the form of linear social or cultural evolution from simple to most complex and hierarchically structured societies. Rather, starting with the Early Bronze Age (Early Helladic II) corridor houses (cf. Hägg / Konsola 1986), for example the ‘House of the Tiles’ at Lerna in the Argolid (fig. 4), we see the emergence and the possibility of quite different forms of complexity, variable notions of the individual and society and a different ethos of political leadership. It does not really matter for the argument developed here, if one considers the House of the Tiles the seat of a simple chief in charge of redistribution or if one envisions a group of lineage heads feasting (e. g. Renfrew 1972, 108–109; 389–390; Pullen 1994, 43–46; Maran 1998, 193–197). Rather, it is the sophisticated differentiation of social space into broadly ‘public’ and more ‘private’ sections (e. g. Shaw 1987,

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Fig. 4: Plan of the ‘House of the Tiles’ at Lerna in the Argolid (after Peperaki 2004, 217 fig. 12.2; 220 fig. 12.3).

61–65; 75–79;Wiencke 1989, 503–505; Pullen 2008, 32–35), which is noteworthy, and even more so the manifold options this architecture offered for involvement and action of individuals or groups of people (Peperaki 2004; 2010). As in the above discussion on Mycenaean and Homeric society, it is the irrefutable difference that matters: the inherent openness of the corridor houses to be drawn upon on

different occasions in response to individual or collective aspirations,42 as opposed the ultimate focus of Late Helladic palatial architecture on

42

See, for example, Peperaki (2004, 226): “A sense of complexity ‘in the making’ is evoked, that is contingent on expedient and strategic action. Such complexity arises not simply from the drawing of lines between

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just one person, the wanax, and his ‘court’; the utterly different ways people were supposed to or were able to move in and around the House of the Tiles than on the citadel of Tiryns; the different perceptions of social ‘reality’ and one’s options to act upon it which a corridor house would have encouraged than the central megaron at Pylos etc. The sequence from the Early Helladic corridor houses, via the Late Bronze Age Mycenaean palaces to the Toumba building at Lefkandi is important precisely because the internal logic of the architectural remains and of social space is so entirely different. Archaeology is called upon to study such historically specific constellations, not to reduce them to a cyclical pattern of albeit unsuccessful onsets towards the same ‘type’ of hierarchical society. It is certainly important to know, who was in charge of the Early Helladic corridor houses or Mycenaean megaron buildings respectively, which kind of authority and / or power he, she or they were in command of, and if it was derived from control over agricultural surplus, craft production and / or control of prestige goods etc. Yet, the application of such supposedly timeless or universal categories falls short of an appropriate understanding of the historically specific quality of social space and architecture; an understanding of this specific architecture as a medium of social action by past human beings and their social and cultural ‘reality’ thus created (cf. Barrett 1994). Finally, for the same reason, we must be wary not to model the Bronze Age commu-

social categories, but more essentially from the provision of ways in which some of those boundaries could at times be crossed or even blurred. It is achieved by establishing a co-operative atmosphere (‘outbursts of togetherness’ to paraphrase Bauman 1992: xix), while also leaving room for skillful and timely demonstrations of authority, and by allowing competing interpretations and constructions of social reality.”

nities of the Carpathian Basin inhabiting the tell sites mentioned above in likeness of Mediterranean civilisation. Not every occasional import find of Mycenaean origin which may come to light in Bronze Age communities to the north must be used to overcome the fundamental divide that sets apart palatial society of the Aegean Bronze Age from such segmentary ‘tribal’ groups (figs. 5 and 6). Rather than being a weak reflection of palatial society, it can be shown that Bronze Age settlement in the Carpathian Basin is a complex and variable phenomenon – in chronological and regional terms as well as in socio-political and cultural ones. This tends to be ignored when likeness with Mediterranean developments is expected and in the words of M. Dietler (1998, 297) “... otherwise sensible scholars [start] to see things that are not there and to ignore crucial developments ... in an effort to impose [foreign; TLK] structures...”. Our perception, which is derived from Mediterranean palatial prototypes, of such long-lived settlement mounds of prehistoric peasant communities as dominating the landscape in economic and / or political terms is partly misleading. This is not to say that the Bronze Age communities of the Carpathian Basin and beyond were egalitarian. However, the way they organised their social space is informative of concerns other than competition among individuals or corporate groups and attempts to establish or to reproduce political hierarchies. We do not know when and where decisions were made in Bronze Age tell-‘building’ communities and what groups of people precisely were involved on various levels of decisionmaking (see also Kienlin 2012). Yet, surely the ‘feel’ of it and the general outlook on the world was different from the sophisticated interplay of people and architecture unfolding in and around the (earlier) corridor houses, with the numerous possibilities for individuals or groups to assemble, to show and to withdraw from sight etc. And it was fundamentally

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Fig. 5: The Bronze Age site of Emo˝d-Nagyhalom (Hatvan to Füzesabony period) on the Borsod Plain of northern Hungary. Greyscale plot (+/- 10 nT) and interpretation of the magnetometer data of the central part of the site and part of the outer settlement (after Fischl / Kienlin / Seres 2012, 34 fig. 12; Fischl / Kienlin 2013, 15 fig. 6).

different as well from the deliberate architectural framing of political power evident in the (later) Mycenaean palaces. By contrast, apart from obviously not featuring palaces etc. the Bronze Age tells of Carpathian Basin seem to include as well as to set apart people or regulate access to their central multi-layer tell part. Their demarcation by massive ditches is often beyond mere functional necessity for defence and indicative of social signalling that

may have communicated the ‘strength’ of corporate groups such as an economically successful, well-ordered “village” community (cf. Roscoe 2009, 72; 89–90). There is no difference between on-tell and off-tell households. And the ever increasing height of the mound itself would have added to a sense of community and shared tradition vis-à-vis the outside world. Clearly, the widely visible ancestry of such places may also have provided the oppor-

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Fig. 6: Aerial photograph of the Bronze Age site of Tard-Tatárdomb (Hatvan to Füzesabony period) in the foothill zone of the Bükk Mountains of northern Hungary (after Fischl / Kienlin 2013, 19 fig. 8).

tunity to draw on the symbolic capital accumulated. However, there were limits to such individual aggrandisement. Communal values were sanctioned and protected opposite passing ambitions which were negotiated every now and then in the off-tell burial grounds of these communities. For this is precisely what we see: the long-term stability of a traditional way of life.There was continuity of the norms and values structuring these communities and their social space opposite both foreign (Mediterranean) models of hierarchical society, if such were indeed known, and the ever present individual ambition to become more equal than the others.

While the Aegean sequence is characterised by the rise and decline of the corridor houses and the Mycenaean palaces respectively, each showing quite distinct features of social (and political) complexity, the European sequence exposes more of a continuous development. Far into to Iron Age ‘Barbarian’ Europe may have seen ‘tribal cycling’ rather than upward bound ‘social evolution’.There is no overarching pattern or logic of development that binds both regions together – Bronze Age ‘Barbarian’ Europe and the Bronze Age Mediterranean. Approaches that have us believe so impoverish our understanding of prehistoric Europe and the Mediterranean respectively.

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An ‘Other’ Bronze Age? This paper took its start from the claim by K. Kristiansen and Th. B. Larsson that we may fail to adequately consider the fundamental ‘otherness’ of Bronze Age society. Their own ‘Bronze Age’, as we have seen, carries forward notions from a traditional archaeological paradigm such as technological progress, socio-political evolution and the dependency of European Bronze Age society ultimately on the Near East. However, this is condensed into a particularly powerful narrative that prominently features Bronze Age warrior elites or ‘heroes’ and a specific Bronze Age elite ethos and cosmologically derived power, which are thought to link a Mediterranean urban or palatial ‘core’ area and the outer ‘peripheries’ of Barbarian Europe. What is most striking about the resulting picture is its neglect of variability in Bronze Age groups widely set apart in space and time. That is to say, Kristiansen and Larsson’s approach is reductionist and essentialising (cf. Nordquist / Whittaker 2007, 82) in that the authors want us to believe in convergence on a pan-European scale of Bronze Age social ‘institutions’ and elite ideology. It has been shown above that this requires specific narrative strategies most fundamental among them, of course, a running text with numerous illustrations that largely avoids controversial discussion of data or divergent theoretical approaches in favour of a continuous narration of what is perceived as historical ‘truth’. More than any other period of prehistory, it seems, the Bronze Age invites such historical imagination. In the Near East it saw the rise of urban civilisation, in the eastern Mediterranean and in the Aegean palatial centres like Knossos or Mycenae emerged – and beyond that many see a general upturn in the wake of metallurgy and trade for metals. In AngloAmerican archaeology, of course, such notions can be traced back in particular to the influ-

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ential work of Gordon Childe and his Urban Revolution, whereas in parts of Continental academia there is a tendency to see the European Bronze Age as historically unique simply due to its impressive record of bronze artefacts and the largely unchallenged notion of a significant impact of metallurgy on society. Such notions of the rise of Bronze Age society, of course, are deeply rooted in an evolutionist tradition of Western thought which expects to see change for the better, inevitable technological progress and increasing socio-political differentiation etc. The Bronze Age past, then, is represented in teleological terms and in coherent narratives which make ‘sense’ of the available material remains of that period. Such narratives may also be found in neighbouring disciplines, for sure, and they are important heuristic devices to explore the past and to find meaning in it for the present. However, in spite of the well-established postprocessual critique in prehistoric archaeology, it would seem that Bronze Age research is still particularly prone to mistake such narratives for objective representations of the past and a prehistoric ‘other’. It tends to be ignored, therefore, that a work like The Rise of Bronze Age Society as well as others like it is not just drawing on the evidence or data available at any given time to provide us with a ‘true’ picture of the Bronze Age. Rather, the perception and the use made of the data at hand is governed at least in part by the world-view of the author(s). Here is where the problems start, when all the same claims are made to historical ‘truth’ and deconstruction is discouraged. This involves specific narrative strategies that are not normally reflected upon when archaeological texts are considered as ‘scientific’ rather than the historical narratives which in fact they are. The Rise of Bronze Age Society is notorious in this respect. We are entitled, therefore, to ask not only what evidence is ignored, but also how this blends into a broader narrative

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structure that invites us to neglect variability in the archaeological record and to think in essentialising terms of ‘cores’, ‘peripheries’, ‘institutions’ or ‘esoteric knowledge’, instead of allowing for the agency of prehistoric people and the historicity of all the different social and cultural constellations subsumed to one governing model. It has been shown above that in The Rise of Bronze Age Society this ‘aim’ is achieved by ignoring both archaeological evidence to the contrary and current debates in ancient Greek history (i. e. the critique of equating ‘Homeric’ society with the Bronze Age) and recent interaction studies (i. e. the critique of World System Theory). The result is a rectified past, instead of looking into historically specific constellations, the variable role of material culture in the social discourse of different Bronze Age groups and the changing motivations and perceptions of the social agents involved. The decision to do so and to lend credibility to the overall narrative by an illustrative use of some finds while ignoring others constitutes a powerful narrative strategy. It is not a chance product. As such, the narrative rests on two pillars, in particular, that were discussed at length above: Namely, on the one hand, the author’s denial of discontinuity between the Late Bronze Age Mycenaean period and the Early Iron Age ‘Homeric’ one; and, on the other hand, their bridging the gap between the Mycenaean palaces and wider Bronze Age Barbarian Europe. It is this attempt to immunise one’s argument against controversial discussion and critical assessment that justifies classifying The Rise of Bronze Age Society as a highly problematic meta-narrative. As a result, we have seen Homer-style heroes projected back in time against the Cyclopic walls of Mycenaean palaces with their fundamentally different political and administrative organisation; and we have seen the modelling of broadly tribal societies of the Bronze Age European hinterland

in likeness of far-off Mycenaean palatial society. In two instances we are thus invited to set in one phenomena that are widely set apart in space (the Mycenaean palaces and the Bronze Age groups of their European hinterland) or in time (‘Homeric’ society and the Bronze Age). More importantly, we are invited to ignore structural difference in culture and society of the regions and periods involved. This is how archetype ‘heroes’ emerge, when in fact Mycenaean and Early Iron Age ‘Homeric’ warriors were living in quite distinct historical settings and potentially were aspiring to different riches and different kinds of fame. This is also how the villages or hamlets of tribal groups come to be compared with the administrative centres of Mycenaean polities. This, it was argued here, is a problematic (mis-)representation of the Bronze Age ‘other’. It is so, not because the present author disagrees and would prefer a different narrative, but because it lays claim to historical ‘truth’, because of the narrative strategies involved in doing so, and because alternative readings are concealed. It is so, not because some finds are ignored while others are given greater weight than they deserve, but because we are led to believe in a rectified Bronze Age with knowledgeable agents reduced to dummies acting out a preformulated ‘ideology’ where archaeology should aim at a contextual understanding of the structuring of social relations and cultural knowlegde under specific material and historical conditions.

Acknowledgements I am deeply grateful to Anthony Harding, Brigitte Röder and Christoph Ulf for their comments on an earlier version of this paper. The errors remain my own, and they would not, of course, agree with all the views expressed here.

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Erich Kistler

Zwischen Lokalität und Kolonialität – alternative Konzepte und Thesen zur Archäologie eines indigenen Kultplatzes auf dem Monte Iato (Westsizilien: 7. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.)* Das Scheitern ethni(zisti)scher Analysekategorien auf dem spätarchaischen Monte Iato Mitten im gebirgigen Binnenland Westsiziliens haben jüngste archäologische Untersuchungen auf dem Monte Iato ein überraschendes Paradoxon zutage befördert (Abb. 1 und 2): Im spätarchaischen Haus (ca. 510–470 / 60 v. Chr.), in dessen repräsentativ hergerichteten Banketträumen Eliten von Nah und Fern

zusammenkamen, konsumierte man bei festlichen Anlässen feinste Schlemmereien und keramische Raritäten aus Athen, lag dabei auf Klinen und trank aus griechischen Schalen. In diesem rein griechisch anmutenden Ambiente kam es aber auch zur Konsumption ‚uralter‘ indigener Keramiken, die der rituellen Welt der Ahnen und Vorfahren zu entstammen scheinen. In demselben Raum also, in dem die Welt des Kolonialen präsenter war als sonst irgendwo auf dem spätarchaischen Iato, wurde

Abb. 1: Die Bauten im Heiligtum um den Aphrodite-Tempel auf dem Monte Iato, 500–470 / 60 v. Chr. (Institut für Archäologien der Universität Innsbruck).

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Abb. 2: Rekonstruierter Querschnitt durch den zweigeschossigen Osttrakt des spätarchaischen Hauses, kurz vor 500–470 / 60 v. Chr. (Institut für Archäologien der Universität Innsbruck).

zugleich an ein (imaginiertes) Zeitalter präkolonialer einheimischer Authentizität rückerinnert.1 Dieser paradox anmutende Befund verspricht zweifellos wichtige neue Einsichten in das lokale Funktionieren einer kolonialen Kontaktzone. Nur lässt sich der historische Prozess in seinem Zustandekommen nicht mehr mit den Mitteln einer ethni(zisti)schen Kulturanalyse erschließen, die bei der Verortung von Kultur allein zwischen den Optionen des ‚Eigenen‘ oder ‚Fremden‘ respektive des ‚Indigenen‘ oder ‚Kolonialen‘ hin- und herpendelt.

Im Zuge der postcolonial studies wurde schon seit den 1990er Jahren eine Dekolonisierung der Archäologie gefordert.2 Diese führte gerade auch in Hinblick auf die archäologische Erforschung der indigenen Bevölkerungsgruppen im vorrömischen Mittelmeerraum zu einer Reihe neuer Ansätze und Arbeiten, die dem ehemals imperialistischen und später dann neo-kolonialen3 Konzept „Von den Griechen als Meistern der Colonisation“ (Curtius 1883) sehr kritisch gegenüberstanden (etwa Leighton 1999, bes. 8–9; 220–221). Der Prozess der

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* Für die Diskussion des Manuskripts und anregende Kritiken sei hier Christian Heitz, Martin Mohr, Birgit Öhlinger und Christoph Ulf herzlich gedankt. 1 Zu diesem Befund ausführlicher auf S. 202–209.

van Dommelen / Rowlands 2012, bes. 20–21; van Dommelen 2011; Dietler 2010, 3–4; Gosden 1999, 15–116. 3 Etwa John Boardman in seinem epochalen Werk zu den Griechen in Übersee: „Im Westen hatten die Griechen nichts zu lernen und viel zu lehren“ (Boardman 1981, 223).

Zwischen Lokalität und Kolonialität

Kolonialisierung wurde nicht mehr eingleisig als eine mission civilisatrice begriffen, sondern zweigleisig, als ein Aushandeln zwischen den Griechen als Neuankömmlingen und den Indigenen als Alteingesessenen (van Dommelen / Rowlands 2012, 21; Dietler 2010, 10). Diese fremdkulturellen Aushandlungsprozesse finden nach Iraq Malkin in symmetrischen Begegnungs- und Machtzonen statt, in sogenannten middle grounds (Malkin 2011, 143170).4 Dies führte dann laut Carla Antonaccio schon auf dem archaischen Sizilien zu kulturellen Überlappungen und zu daraus resultierenden mischkulturellen Neuschöpfungen, die sie in Anlehnung an Homi Bhabha (1984) als Materialisierungsformen von hybridity begreift (Antonaccio 2010; 2013).5 Tamar Hodos umschreibt diese dagegen als ein Globalizing the Local, oder umgekehrt – sozusagen aus der Sicht des Dorfes als ein Localizing the Global. Damit erhebt sie das Konzept der glocalization

4

Dreh- und Angelpunkt zur Adaption des middleground-Konzepts von Richard White (1991), der dieses zur Beschreibung und Analyse der kulturellen Kontakte zwischen den Franzosen und den Algonkins in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts entwickelt hat, ist bei Malkin bezeichnenderweise das archaische Westsizilien. Dementsprechend definiert er dieses „as a place of mutual negotiation within the Mediterranean network“ (Malkin 2004, 360). Allerdings macht Christoph Ulf (2014, 470) auf den zu berücksichtigenden Aspekt einer Fehlübersetzung des middle ground durch Malkin aufmerksam. Denn dieser stellt kein machtsymmetrisches Feld zwischen den kolonialen Kontaktpartnern dar. Vielmehr signalisiere „der aus der Ethnologie stammende Begriff middle ground … eine Kontaktzone, in der der potentiell mögliche Einsatz von Machtmitteln wegen der dann auftretenden Kosten nicht opportun erscheint. Eine solche Situation versetzt die schwächere Seite in die Lage, Elemente des kulturellen Codes der stärkeren Seite aufzunehmen, aber diese in ihrer Bedeutung zu variieren. Der nur vorgeblich missverstandene Code wird dann so verwendet, als ob er der tatsächliche Code der stärkeren Seite wäre; er wird dieser gegenüber in die eigene Argumentation eingebaut, um so die stärkere Seite mit ihrem gleichsam eigenen Code zu überzeugen.“

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von Roland Robertson (1998) zum adäquaten Analyseinstrumentarium, um die archaische Mittelmeerwelt als eine vorglobale Interaktionswelt untersuchen zu können. Zu diesem Zweck begreift Hodos die ‚Große Kolonisation‘ der Griechen als eine (kulturelle) Bewegung vorglobaler Bedeutungsdimension, die bei den indigenen Lokalgruppen rund ums Mittelmeer unterschiedliche local responses provoziert habe (Hodos 2010a und b; 2009; 2006). Trotz dieser methodisch-theoretischen Neuausrichtung scheinen jedoch die Einheimischen oder Lokalen auf dem Feld der archäologischen Untersuchung nach wie vor als (misch)ethnische Kollektive auf. Nur sind sie jetzt nicht mehr rein passiv reagierende, adaptive Bevölkerungsgruppen, sondern selbstbewusste Ethnien, die nur selektiv und nur insoweit die Welt des Kolonialen aneignen, wie dadurch ihre Kernidentität als Einheimische nicht gefährdet wird. Kulturmateriell bleibt es damit aber noch immer bei ethnischen Blöcken, die sich im einen Fall dem Kolonialen gegenüber bewusst öffnen, sich diesem im anderen Fall aber gezielt entgegenstellen. Letzteres wird in der Forschung zuweilen zu einem regelrechten Widerstand der Einheimischen gegenüber der kulturellen Dominanz der kolonialen Herren hochstilisiert, was mitunter – wie etwa in Hinblick auf den ‚Sikulerführer‘ Duketios – als Keim zum politischen oder gar militärischen Widerstandskampf angesehen wird.6

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Zur Vorsicht bei der Adaption solcher biologistischer Metaphern aus den postcolonial studies auf die materiellen Befunde gerade in kolonialen Kontexten warnen P. van Dommelen und P. Rowlands (2012, 27–29) sowie Michael Dietler (2010, 50–53 bes. 52): „For one thing, if … métissage is originary and an omnipresent process in all cultures, then one has to explain what is distinctive about it in colonial contexts and how it helps us to explain the history of specific colonial situations. Simply labeling something as hybridity does not, in and of itself, perform any analytical work.”

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Letztlich entsprechen all diese anti- oder postkolonialen Konzepte im Grunde noch immer dem colonialist paradigm, wie jüngst wieder Jonathan Hall betont hat: „in fact, notions such as ‘hybridity’ or ‘in-betweenness’ implicitly accept the prior existence of distinct, bounded cultures – that of the colonizer and that of the colonized …” (Hall 2012, 21; so auch Dietler 2010, 51–53; 55–56). Folglich bleiben trotz oder gerade wegen des postcolonial turn einheimische Akteure, die das Koloniale teilweise befürworten und zur Festigung ihres sozialen Vorsprungs im indigenen Umfeld nutzen, mehr oder weniger unsichtbar.7 Wohl gerade deshalb versucht Ian Morris den Blick auch auf Asymmetrien zu refokussieren, den koloniale Kontaktnahmen besonders im archaischen Westsizilien nach sich gezogen haben. Zu diesem Zweck führt er als Alternative zur hellenization das Konzept der mediterraneanization ein. Diese definiert er in Anlehnung an die heutige Globalisierungsforschung als ein „speeding-up of connectivity that increased competition, creating new winners and losers“ (Morris 2009, 80; 2003).8 Um hier noch eine stärkere binnendifferenzierende Trennschärfe zwischen ‚Gewinnern‘ und ‚Verlierern‘ im (post)kolonialen Ambiente der Einheimischen zu erzielen, haben jedoch Denker des lateinamerikanischen Postkolonialismus schon in den mittleren 90er Jahren des letzten Jahrhunderts das Konzept der Kolonialität entwickelt.

Kolonialität und Lokalität als janusartige Figurationen9 der Bildung und Zerschlagung von Macht in kolonialen Kontaktzonen In den Latin Subaltern Studies wird im Gegensatz zu den Altertumswissenschaften oder Mittelmeerraum-Studien schon seit längerem strikt zwischen Kolonialismus und Kolonialität unterschieden: „Colonialism denotes a political and economic relation in which the sovereignty of a nation or a people rests on the power of another nation, which makes such nation an empire. Coloniality, instead, refers to long-standing patterns of power that emerged as a result of colonialism, but that define culture, labor, intersubjective relations, and knowledge production well beyond the strict limits of colonial administrations“ (Maldonado-Torres 2007, 243). Diese Faktoren und Prozesse der Machtbildung, die zwar erst durch koloniale Kontakte ausgelöst werden, aber auch noch nach dem Wegbrechen kolonialer Verwaltung in postkolonialer Zeit wirksam sind, können und sollen den Latin Subaltern Studies zufolge aus der Sicht der davon betroffenen Einheimischen und nach Möglichkeit in deren dekolonialisierten Kategorien des Denkens beschrieben werden.10 Durch die Vorgabe einer solchen „Epistemologie des Südens“ (de Sousa Santos 2009) wird selbst die (südamerikanische) Archäolo-

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6

So noch Hodos (2000, 53): „By this time we are left only with tales of Ducetius, endeavouring to preserve Sikel continuity in reaction to the ‘frustrations of cultural contact’ with Greek society in Sicily.“ 7 Macht als zentraler Faktor bei der Figuration von Kontaktzonen hat bereits Ulf (2014, 476–478; 2009, 95–102) wiederholt herausgestellt. 8 Dazu siehe auch De Angelis (2013, bes. 4).

„Die jeweils gruppenspezifische Kombination aus Regeln, Akteuren und Raum lässt sich mit dem von Norbert Elias entlehnten Begriff der Figuration eigens erfassen. Mit Figuration wird aber nicht nur der Sachverhalt bezeichnet, dass sich eine bestimmte Gruppenkonstellation aus den gemeinsamen Ziel- und Verhaltensvorgaben der Gruppe entwickelt, sondern auch eine gemeinsame Gruppenkultur, die sich in der Eigenwahrnehmung als ein spezifischer Selbstwert auszeichnet“ (Kistler / Ulf 2012, 39). 10 Grosfoguel 2010, bes. 319; Grosfoguel 2011; CastroGómez 2008, bes. 280–283; Mignolo 2000; Quijano 2000.

Zwischen Lokalität und Kolonialität

gie zur postkolonialen Kritik „and explores the role of local processes in the constitution of colonial societies“ (Villelli 2011, 86). Tatsächlich hat das Konzept der Kolonialität den Vorteil, dass es keinen kulturellen Zustand, sondern eine soziale Situation, eben die Koloniale Situation und damit primär Asymmetrien in indigenen Sozialgefügen im Fokus hat. Und aus diesem Blickwinkel bleibt die Situation solange kolonial, wie solche Asymmetrien in der lokalen Lebenswelt Bestand haben – selbst dann noch, wenn die Herrschafts- und Verwaltungsstrukturen der Kolonialmacht weggebrochen sind (Maldonado-Torres 2007, 243). Folglich behält das Konzept der Kolonialität vor allem die Wirkungsmacht der kolonialen Machtmatrix in dekolonisierten Bevölkerungsgruppen im Auge (Mignolo 2000, 43). Doch welchen Nutzen soll nun dieses postkoloniale Konzept für die Erforschung kolonialer Prozesse im antiken Mittelmeerraum und insbesondere im westsizilischen Binnenland haben? Dazu sechs Thesen als mögliche Antworten darauf: 1. These

Wenn die postkoloniale Situation trotz Dekolonialisierung ‚(post)kolonial ‘ geblieben ist, dann stellt auch das ‚(prä)koloniale ‘ Zeitalter Siziliens eine ‚(post)koloniale ‘ Situation dar. Denn Kolonialität erreicht Sizilien nicht erst mit der ‚Großen Kolonisation‘ der Griechen!11 Vielmehr setzt sie mit den ersten überseeischen Kontakten und Importen ein, die auf der Insel sozialen Vorsprung und lokales Ansehen akkumulierbar machten (Dominguez 2010, 30–33; Ulf 2009, 94; Gosden 2004, 39). Dies ist spätestens mit der Westexpansion der Mykener der Fall, auch wenn sich beim Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit die nachfolgende

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Dietler 2010, 47; Albanese Procelli 2008; Dominguez 2008.

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‚(post)koloniale Situation‘ auf Westsizilien wieder fast bis zur archäologischen Unsichtbarkeit ausgedünnt hat.12 2. These

Die Asymmetrien, die durch diese ‚(post / prä) koloniale Situation‘ geschaffen werden, beziehen sich weniger auf das Fernverhältnis zu den fremden Kontaktpartnern (De Angelis 2010, 34–40) als vielmehr auf das Entstehen sozialer Ungleichheit im eigenen binnenländischen Umfeld. Das macht Kolonialität auch für indigene Machtaspiranten überaus attraktiv (Dominguez 2012, 213–15; Hodos 2010b, 98): Denn sie verhilft ihnen zur Macht, darüber zu verfügen, wer an der sozialen Exklusivität des (Prä / Post)Kolonialen dauerhaft, wer nur sporadisch und wer daran gar nicht teilhaben darf. (Prä / Post)Kolonialität ist daher ein zentrales Instrument der Machtbildung und Machterhaltung, sowohl in big men societies als auch in chiefdoms.13 3. These

Die janusartige Kehrseite der (Prä / Post)Kolonialität ist die forcierte Rückbesinnung auf eine (imaginierte) Zeit vor den ersten kolonialen Kontakten. Anhand ‚uralter‘ Erbstücke, Gräber und altgemachter Requisiten, die als archäologische Evidenzen in die mündliche Lokalüberlieferung eingebettet werden, kommt es gerade bei Festen zum regelrechten Re-enactment einer vorkolonialen Authentizität und Identität.14 Aus der ‚Totalen‘ der Globalisierungsforschung gesehen, handelt es sich dabei um Re-Konstruktionen von

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Chapman 2013, bes. 35; 39; De Angelis 2012, 130; De Angelis 2010, 22–27; 31–32; Blake 2008; Leighton 1999, 6–8; 223–225. 13 Mullins 2011, 136–139; Dietler 2010, 63–64; 218; 220; Ulf 2009, 92–94. 14 Mühlenbock 2013, 401–403; Dietler 2010, 70: „revitalization movements“; Morris / Tusa 2004, 77; Hall 2002, 23: „ancestralizing strategies“.

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Lokalitäten als originär indigenen Lebensräumen, die koloniale Orte wieder zu den ihren machen sollen, zu Orten indigener Selbstverortung (Hodos 2010b, 91–92; Appadurai 1996, 178–199). Lokalität ist folglich ebensowenig wie Kolonialität ein räumlich fixierter Ort, sondern ein identitärer Locus, an dem die Sehnsucht nach einer authentischen Welt der Einheimischen ohne koloniale Asymmetrien geweckt und genährt wird. Insofern ist diese ritualisierte Rückbesinnung auf den (imaginierten) lokalen Urzustand immer wieder auch gekoppelt an den Impuls, in diese egalitäre Vorzeit zurückzukehren und deshalb Hierarchien zu heterarchisieren und Kapital zu dezentralisieren, was hier als Ausgleichen von Machtasymmetrien begriffen werden soll.15 4. These

Lokalität beginnt mit Kolonialität – respektive: Die Sehnsucht nach der ‚Alten Welt‘ setzt ein mit dem Umbruch zur ‚Neuen Welt‘, der durch die ‚ersten‘ überseeischen Kontakte eingeleitet wird (Mühlenbock 2013, bes. 408; Hodos 2010b, 92). Lokalität und Kolonialität sind demnach zwei kontrakulturelle Situationen und Strategien des Machtdiskurses innerhalb indigener Lokalgruppen in (prä / post)kolonialen Kontaktzonen. Die Intensität dieses Diskurses sowie das Dominieren der einen oder anderen Situation (bzw. Strategie) sind dabei ganz von der jeweiligen historischen Figuration des kolonialen Prozesses abhängig. Das heißt zum einen, dass gerade im Fall Westsiziliens das wechselwirksame Verhältnis zwischen Kolonialität und Lokalität durch den Stummen Handel mit den Phöniziern, durch die ‚Griechische Kolonisation‘, karthagische Epikratie

15

siehe etwa González-Ruibal (2012, 67; 80): „egalitarian ethoi“; Sigrist 2005, 176–178: „Teilzwang“. 16 Kistler 2014a, 72–99; Prag 2013; Spatafora 2013, 43; Blasetti Fantauzzi / De Vincenzo 2012; Helas 2011; Dietler 2010, 57; Spatafora / Vasallo 2007.

oder durch die römische Okkupation ganz unterschiedliche lokale Ausprägungsformen erfahren hat.16 Zum anderen können Kolonialmächte sich einer direkten oder indirekten Herrschaftsform bedienen, wodurch das interdependente Paar Kolonialität / Lokalität weniger historisch als vielmehr machtsoziologisch und so regional völlig unterschiedlich figuriert werden kann (Kistler 2014a, 72–90). 5. These

Als identitäre Situationen definieren Kolonialität und Lokalität zwei konträre Konsumlandschaften (consumptionscapes: Ger / Belk 1996).17 Im ersteren Fall dominiert der Gebrauch des ‚neuen‘ Kolonialen, in letzterem jener des ‚alten‘ (und / oder auf Alt gemachten) Lokalen. Dies führt an binnenländischen Siedlungsplätzen – und dort insbesondere an den Kultstätten18 – zu divergierenden materiellen Niederschlägen im archäologischen Befund. Ist die Funddichte von Importen und von lokalen Adaptionen kolonialer Technologie, Architektur, Küche etc. am größten, dann ist von einer consumptionscape auszugehen, die auf Kolonialität und empowerment ausgelegt war (Kistler / Mohr im Druck). Ist das Koloniale hingegen nahezu absent, ist von einem konsumeristischen Schauplatz von Lokalität und Machtzerschlagung auszugehen (van Dommelen / Rowlands 2012, 24). Je nach der historischen Figuration der kolonialen Machtmatrix können die beiden consumptionscapes – jene der machtgenerierenden Kolonialität und jene der

17

Zur Anwendung des Konzepts der Konsumption und der consumptionscape auf den antiken Mittelmeerraum siehe Dietler (2010, 56–64) und Kistler (2012, 229). Zur consumptionscape als einem sozialen Feld des „kulturellen Akteurs“ siehe Kistler und Ulf (2012, bes. 22–24; 45–49). Der consumptionscape nächst verwandt ist auch das Konzept der local / situated agency von Dietler (2010, 56). 18 Öhlinger im Druck; Ferrer Martin 2013, Öhlinger 2012; Urquhart 2010.

Zwischen Lokalität und Kolonialität

machtnivellierenden Lokalität – an ein und demselben Ort im absoluten Sinne eines Entweder-Oder wirkungsmächtig sein. Wie aber der Schutt aus den Banketträumen des spätarchaischen Hauses vom Monte Iato belegt, kann es zuweilen auch zum Durchbruch eines Sowohl-als-Auch kommen, das zum Machterhalt als Brückenschlag zwischen der Konsumlandschaft der Kolonialität und jener der Lokalität unumgänglich geworden ist. Ein Paradebeispiel für eine derartige Politik des Sowohl-als-Auch scheint schließlich die Figur des Duketios abzugeben. Dieser stellt nämlich zumindest in der Überlieferung Diodors so etwas wie einen Archetypen des indigenen Herrschers dar, der sich beiderorts – sowohl in der binnenländischen Welt der sikulischen Clans als auch in der Welt der griechischen Aristokraten – mit Erfolg zu bewegen wusste (Diodor 11, 76–12, 30).19 6. These

Grundsätzlich lässt sich den materiellen Spuren der consumptionscape der Kolonialität leichter als den Materialisierungen von Lokalität nachspüren, da erstere aufgrund der Objektivierung und Verdauerung von Macht in aller Regel an Monumentalität gekoppelt ist, was im Allgemeinen bessere Auffindungs- und Erhaltungsbedingungen im archäologischen Befund schafft. Letztere hingegen, die Figuration der Lokalität, tendiert infolge der mit ihr verbundenen Machtzerschlagung zu eher temporären Bauten, welche archäologisch oftmals kaum sichtbar sind (De Angelis 2010, 27; Renfrew / Bahn 2009, 131–136, bes. 132). Gerade der Nachweis solcher rückstandsarmer Konsumgüter und -gewohnheiten bedarf folglich einer Art ‚Tatort-Archäologie‘ unter Einsatz aller analytischen Möglichkeiten archäo-

metrischer Forschung. Erst dann besteht die Chance, den materiellen Niederschlägen beider consumptionscapes, jener der Kolonialität oder der Lokalität, an ein und demselben Kultplatz systematisch nachzuspüren.

Zwischen Aphrodite-Tempel und spätarchaischem Haus: die sechs Thesen getestet am Monte Iato Unter Anwendung der Thesen 1 bis 6 wird die binnenländische Kult- und Siedlungsstätte zwischen Aphrodite-Tempel und spätarchaischem Haus (Abb. 1) zu einem archäologischen Untersuchungsfeld, auf dem der lokale Machtdiskurs zwischen machtgenerierender Kolonialität und machtnivellierender Lokalität unter den unterschiedlichen historischen Figurationen ‚(prä / post)kolonialer Situationen‘ zu ganz verschiedenen Prozessen archäologischer Befundbildung geführt hat. Damit ist die einmalige Chance gegeben, diesem kontrakulturellen Wechselspiel zwischen lokaler Identitäts- und Machtbildung in einer Langzeitperspektive (7. Jh. v. Chr.–1. Jh. n. Chr.) nachzugehen, die divergente Figurationen der kolonialen Kontaktzone ‚Westsizilien‘ durch Phönizier, Griechen und Römer beinhaltet.20 Leider erlaubt der Stand der Forschung erst eine ausführlichere Behandlung des zweiten figurativen Settings von Kolonialität auf dem Monte Iato, nämlich jenes während des späten 6. und frühen 5. Jhs. v. Chr. (Kistler / Öhlinger im Druck). Noch wenig erforscht sind dagegen das 7. / 6. und 3. / 2. Jh. v. Chr., also die Zeiten vor und nach diesem kolonialen Kulminationspunkt. Folglich können sie nur kurz gestreift werden, um wenigstens ihr künftiges

20

19

Fragoulaki 2013, 295; Giangiulio 2010, 18–19; Jackman 2006, bes. 39–42.

201

Dietler (2010, 9) benennt dies als die „vertikale Strategie“, die neben der „horizontalen“ bei der Analyse von kolonialen Kontaktzonen immer mit zu berücksichtigen sei.

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Abb. 3: Der Monte Iato und die Topographie Westsiziliens (Institut für Archäologien der Universität Innsbruck).

Potential zur Erforschung der Interpendenz zwischen kolonialer Machtmatrix und lokaler Rückwendung herauszustreichen. Kolonialität / Lokalität zwischen 500 und 460 v. Chr.

Der Monte Iato liegt rund 30 Kilometer südwestlich von Palermo und erhebt sich mit den steilen Felsklippen an seiner Nordseite bis auf 852 m über dem Meeresspiegel (Abb. 3). Mit seiner markanten Nasenspitze im Westen überragt er majestätisch das 400 m unter ihm liegende Tal. Dieses besaß im ca. 35 km langen Fluss Iato einen natürlichen Zugang zur Nordwestküste Siziliens am Golf von Castellamare. Und über den Fluss Belice gelangte man zu den Häfen des rund 77 km entfernten Selinunt an der südwestlichen Küste. Wohl nicht zuletzt aufgrund dieser verkehrsstrategisch zentralen Lage wurde das Hochplateau auf dem Rücken des Monte Iato schon im frühen 1. Jt. v. Chr. besiedelt. Bereits im späten 6. und frühen 5. Jh. v. Chr. erlebte diese

Höhensiedlung ihre erste Blütezeit von interregionaler Bedeutung und Reichweite (Isler 2009, 148–151; 153–210). Dies bezeugt insbesondere der Kultbezirk um den sogenannten Aphrodite-Tempel im Westquartier der späteren hellenistischen Stadt Iaitas (Abb. 1). Dieser wurde im dritten Viertel des 6. Jhs. v. Chr. von einer griechischen Bauhütte errichtet (Isler 2009, 167–169). In der Folgezeit entstanden östlich und westlich von ihm weitere archaische Sakralbauten im griechischen Typus des Oikos, einem repräsentativen Langbau mit zwei hypotaktisch gegliederten Innenräumen und tönerner Ziegelbedachung (Perifanakis 2014; 2013, 74; Isler 2009, 169–174). Kurz vor 500 v. Chr. wurde westlich des Aphrodite-Tempels eine gewaltige Rampe errichtet. Diese bestand aus einer mehr als 90 cm breiten Stützmauer im Trockenmauerverband und mächtigen Hinterfüllungen über den anstehenden älterarchaischen Kulturschichten, die von einer steinernen Schüttung abgedeckt waren. Insgesamt wies die Rampe eine Länge von 19,7 m auf und verband den Altarplatz

Zwischen Lokalität und Kolonialität

vor dem Aphrodite-Tempel mit dem knapp 3 m höher anstehenden Außenniveau nördlich eines sehr großen, mehrräumigen Gebäudekomplexes (Kistler / Öhlinger / Steger 2014, 233–237). Dieser monumentale Bau wurde zusammen mit der Rampe kurz vor 500 v. Chr. errichtet. Er besitzt einen L-förmigen Grundriss, der von Norden nach Süden 17,1 m und von Osten nach Westen 27,3 m misst. Die ungewöhnliche Grundrissdisposition resultiert aus einem zweigeschossigen Haupttrakt mit einem 20,8 m langen Korridor, der drei parataktisch angeordneten Rückräumen von 5 m Breite und 6 bis 8 m Länge vorgelagert ist. An diesen Kernbau schließt im Westen ein eingeschossiger Nebentrakt mit drei Räumen und im Norden ein Lichthof an, die beide gleichfalls über den Korridor 1 erschlossen waren. Insgesamt wies dieser mächtige Gebäudekomplex mit seinem zweigeschossigen Haupttrakt eine bedachte Nutzungsfläche von mehr als 600 m2 auf, was ihn zu einem der größten Bauten seiner Zeit macht, der kein Tempel war. Das zweite Geschoss über dem Osttrakt bestand, wie das durch die Grundrissdisposition im Erdgeschoss angezeigt wird, aus einem langen Querraum, der drei dahinter liegende Räume erschloss. Dieser Querraum war von Norden her direkt über das planierte Außenniveau betretbar, das 2,4 m höher ansteht als das Gehniveau im Korridor des Erdgeschosses (Abb. 1 und 2). Als Festplatz war dieses Außenniveau über die rund 20 m lange Rampe direkt mit dem Altarplatz verbunden, welcher der Ostfassade des Aphrodite-Tempels vorgelagert war. Dadurch waren die Räumlichkeiten des Obergeschosses unmittelbar in den Kult- und Festbetrieb um den Aphrodite-Tempel eingebunden, auch wenn die Räume des Erdgeschosses einerseits dem Bereich des repräsentativen Wohnens und andererseits jenem des Lagerns zuzuordnen sind. Erstaunlicherweise besitzt nun das in den Kult integrierte Obergeschoss des spätar-

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chaischen Hauses seine engsten architekturtypologischen Parallelen in den Gräbern im sogenannten Dreizellen-Typus in den Nekropolen der Etruskerstadt Caere (Prayon 1975, 70–74). Dabei erschöpft sich die Parallelität keineswegs allein in der übereinstimmenden Grundriss-Typologie, die durch den korridorartigen Querraum zur Erschließung der drei dahinterliegenden Räume definiert wird. Es ist vor allem auch die darüber hinausgehende Nutzung aller Räume – einschließlich des korridorartigen Querraums – als Klinenräume, welche die Dreizellen-Gräber in Caere zum Banketthaus-Trakt auf dem Monte Iato nächst verwandt macht. Für den Querraum des iaitinischen Obergeschosses bezeugen dies Reste des roteingefärbten Fußbodens im Korridor des Erdgeschosses, die jeweils eine unterschiedliche Dicke von entweder 6 oder 10 cm besitzen sowie einzelne wulstartige Übergangsstücke, die es offenbar als Abschlussfragmente eines Klinensockelrandes anzusprechen gilt. Im Fall der caeretanischen DreizellenGräber im Typus D sind es primär die Nachgestaltung von Klinen und Klinenbändern, die dort eine symposiale Verwendung des korridorartigen Querraumes indizieren (Kistler im Druck; Isler 2009, 176–182; Kistler 1997). Mit seinen repräsentativ ausgestatteten Banketträumen, der Zweigeschossigkeit, Ziegelbedachung und den großzügig bemessenen Dimensionen verkörpert das spätarchaische Haus eine High-Tech-Architektur, wie sie ansonsten nur in den Metropolen und zentralen Heiligtümern der damaligenWelt vertreten war. Ein Vergleich mit dem Wohnkomplex einer indigenen Führungsfamilie auf dem benachbarten Monte Maranfusa (Spatafora 2003), macht diese Kluft zwischen mondäner, westmediterraner Repräsentativarchitektur und lokaler Lebens- und Subsistenzweise überaus deutlich (Abb. 4). Passend zur neuen kolonialen Welt wurde im spätarchaischen Haus im Gegensatz zum Maranfusa beim Bankett auch nicht mehr nach altem Brauch gesessen. Son-

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Abb. 4: Rekonstruktion des archaischen Einheimischensitzes im Campo A auf dem Monte Maranfusa, 550–480 v. Chr. (Spatafora 2003, 70 Abb. 93).

dern man lag im Habitus des eleganten Symposiasten auf einer kunstvollen Kline, wie es um 500 v. Chr. der haut culture der Eliten rund um die Küsten des Mittelmeers entsprach. Hinzu kommt eine überraschend raffinierte Küche. Dies indizieren zum einen Reibeisen, die nicht nur im iaitinischen ObergeschossSchutt, sondern überall entlang den Küsten des Mittemeers in Elitegräbern und sakralen Machtzentren zutage traten (Kistler 2014b, 191–192; 2009). Zum anderen kamen im Kanal des Korridors Zubereitungsabfälle wie Eierschalen, Austernschalen, Seeigelstachel und Schuppen von Meeresfischen zum Vorschein (Forstenpointner / Weißengruber im Druck). Ob diesen Zubereitungsarbeiten auch die auffallend vielen Oliven- und Traubenkerne zuzurechnen oder allein auf den Genuss importierter Oliven und Trauben zurückzuführen sind, lässt sich aufgrund ihrer Ablagerung in den Sedimenten des Kanals nicht mehr feststellen (Thanheiser im Druck). Auf alle Fälle erinnern aber diese archäobotanischen und -zoologischen Kanalfunde in Kombination mit dem Reibeisen an eine Dip-Sauce, deren Genuss Anianus zu Fischen anempfiehlt.

Diese heißt „myttotós“ und enthält Knoblauch, Lauch, Käse, Honig, Olivenöl und Eier.21 Zu solchen teuren und höchst prestigeträchtigen Gaumenfreuden, wofür die sizilische Küche in Athen schon im 5. Jh. v. Chr. berühmt war (Dalby 1996, 16–124), passt in den Banketträumen des spätarchaischen Hauses auch die Konsumption von schwarz- und rotfigurigen Spitzenstücken aus Athen. Dazu zählen insbesondere der rotfigurige Kantharos des Syriskos, der Deckel der Pyxis des Taliarchos, die Schale des Chaireas-SchaleMalers22 und das Wandfragment einer rotfigurigen nikosthenischen Pyxis (Abb. 5; Kistler et al. im Druck).23 Dass dies nicht allein

21

Dalby 1996, 107; 244 mit Anm. 48 mit Hinweisen auf die antiken Quellen. 22 K 26121, K 22753, 17058; zu diesen drei attisch frührotfigurigen Gefäßen auch in Hinblick auf ihre Malerbestimmung siehe ausführlich Trenkwalder (im Druck) und Isler (2009, 197–202). 23 Im Übrigen sind auch Augenschalen des Charterhouse-Malers wie K 17113 und Werke des TheseusMalers, wie der Skyphos I-K 666, exklusive Gefäße und stellen bisher im Westen des Mittelmeerraums absolute

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Abb. 5 a–c: Attisch frührotfigurige Importe aus dem Zerstörungsschutt des spätarchaischen Hauses. d: Wandfragment einer attisch-rotfigurigen Nikosthenischen Pyxis aus dem Depot auf dem Außenniveau (Institut für Archäologien der Universität Innsbruck).

dem Fundzufall zuzuschreiben ist, lehrt auch die Absenz des frühen Attisch-Rotfigurigen auf dem Monte Maranfusa (Spatafora 2009, 741–742) und im Kriegergrab von Montagna di Marzo (Albanese Procelli 2006, 111–115). Inwieweit sich hinter diesen auffälligen Absenzen respektive Präsenzen von einheimisch

spätschwarzfigurige Raritäten dar (Kistler / Öhlinger / Steger 2014, 250–251; Isler 2009, 187–197). 24 Siehe hierzu die einschlägigen Beiträge von E. De Miro, A. Calderone / E.Tramontana, N. Allegro / M. Chiovoro / M. C. Parello, M. de Cesare, C. Greco / V.Tardo, R. Panvini und F. Spatafora in Fortunelli / Masseria 2009.

ritzverzierten und attisch rotfigurigen Gefäßen divergierende Vernetzungspolitiken und Reichweiten der binnenländischen Kult- und Festplätze verbergen, gilt es nun noch etwas genauer auszuloten. Bereits der Blick auf eine Karte mit den Fundorten früher attisch-rotfiguriger Keramik zeigt, dass es sich bei ihr um ein äußerst rares Gut handelt (Abb. 6). Denn nur gerade an zwölf von 76 bekannten Siedlungsplätzen des west- und mittelsizilischen Binnenlandes sind rotfigurig verzierte Scherben spätarchaischer und frühklassischer Zeit ans Tageslicht gekommen.24 Selbst im Fall einer bedeutenden Kolonie wie Agrigent gibt es Kultbezirke

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Abb. 6: Fundplätze von attisch-rotfigurigen Importen der frühen Produktionszeit (510–480 v. Chr.) (grau) und bezeugte einheimische Siedlungsplätze in West- und Mittelsizilien (schwarz) (Institut für Archäologien der Universität Innsbruck).

wie etwa die area sacra an der Rupe Atenea oder das santuario extra-urbano di Sant’Anna, in denen ebenfalls keine frühe attisch rotfigurige Keramik zu liegen kam. Im Gegensatz dazu steht die beachtliche Präsenz des frühen Rotfigurigen, darunter eine Schale des Erzgießerei-Malers, im Temenos für die sogenannten Chthonischen Gottheiten westlich jenes Stadttores von Agrigent, das zur Küste hinabführt (Trombi 2009). Mit seinen 15 Altären und drei megaronartigen Sakralbauten erinnert dieser ummauerte Kultbezirk unmittelbar an die herodoteische Schilderung des emporion in Naukratis (Herodot 2.178; zum Chthonischen Heiligtum siehe Hinz 1998, 79–90). Einen solchen Eindruck erweckt mit seinen Altären, Bothroi und Megaronbauten auch das Demeter-Malophoros-Heiligtum in Selinunt, in dem Reisende sich unter dem Schutz der Altäre treffen, austauschen und gemeinsame Gastmähler abhalten konnten. Wohl kaum zufällig kamen auch in diesem Kultbezirk

21 Fragmente vom raren Früh-Rotfigurigen ans Tageslicht (Müller / Rösch 2012, 212; Greco / Tardo 2009; Paoletti 1996). Die Gestalt eines solchen interregionalen Heiligtums mit möglichem Emporion-Charakter weist letztlich auch der Kultbezirk um den Aphrodite-Tempel auf dem Monte Iato auf (Abb. 1). Denn um 480 v. Chr. waren dort die drei Oikos-Bauten K, M25 und N lose um den Altar vor dem Aphrodite-Tempel gruppiert (Isler 2009, 170). Die insgesamt vier repräsentativen Sakralbauten attestieren der iaitinischen Kultstätte zweifellos eine überregionale Bedeutungsdimension.Wie in den griechischen Küstenstädten geht daher der Konsum des frühen attisch-rotfigurigen Geschirrs auch an diesem binnenländischen Kultbezirk mit der Funktion

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Neueste Nachuntersuchungen stellen allerdings die Interpretation dieser breiten und mächtigen Mauerzüge als Oikosbau wieder in Frage (Perifanakis 2014).

Zwischen Lokalität und Kolonialität

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Abb. 7: Ritzverzierter Trichterbecher des späten 6. bzw. frühen 5. Jhs. v. Chr. aus dem Zerstörungsschutt des Obergeschosses des spätarchaischen Hauses (Institut für Archäologien der Universität Innsbruck).

eines interelitären Begegnungs- und Kommunikationszentrums einher. Diese interregionalen Zentren sind schließlich die Knotenpunkte im transmediterranen Netzwerk der Eliten in der archaischen Mittelmeerwelt. Über sie werden Gastfreundschaften, politische Koalitionen, Güter, Moden und Ideen immer wieder neu ausgehandelt und transferiert. Die janusartige Kehrseite des frühen Rotfigurigen bildet im Fall des spätarchaischen Hauses der Gebrauch von ritz- und stempelverzierter Keramik, die eigentlich dem kulturellen Horizont des späten 7. Jhs. v. Chr. entspricht und so im frühen 5. Jh. einen ausgeprägten Traditionalismus ausstrahlt. Dies gilt insbesondere für die Fragmente eines trichterförmigen Incisa-Bechers, dessen Fragmente (K 26018 und I-K 418) im Obergeschoss-Schutt mit den Scherben des Skyphos des TheseusMalers fundvergesellschaftet waren. Einerseits weisen Form und Dekor dieses indigenen Trinkgefäßes zweifellos auf das lokalkulturelle Gesicht des 7. Jhs. zurück. Andererseits bezeugen die feine Magerung des Tones, der überaus harte und gleichmäßige Brand sowie die tektonisch wirkende Formgebung ein

handwerkliches Können, das ohne die Töpfertechnologie des frühen 5. Jh. v. Chr. mit schnell drehender Töpferscheibe und Brennofen undenkbar ist. Insofern dokumentiert also der auf Alt gemachte Incisa-Trinkbecher einen ganz bewussten Rückgriff auf die Welt der Ahnen und Vorfahren aus einer vorkolonialen Zeit (Hoernes im Druck; Kistler / Öhlinger / Steger 2014, 253–254). Dies aber tut er bei seinem Gebrauch in einem architektonischen und sozialen Umfeld, wo die Dichte der Kontakte und des Kulturtransfers mit Griechen so groß ist, wie sonst nirgendwo auf dem spätarchaischen Iato. Dieses scheinbare Paradoxon, das die materielle Manifestation indigenen Traditionalismus und das Ambiente höchsten Hellenisierungsgrades im gleichen architektonischen Raum verortet, lässt sich am ehesten als ein Sowohl-als-Auch begreifen: Gerade dort, wo die kulturelle Beeinflussung durch das Griechische am größten ist, ist die Rückbesinnung auf die eigene Herkunft als Indigener offenbar am stärksten. Dieser Umstand identitärer Resistenz gegenüber dem Griechischen, den die lokalen Eli-

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Erich Kistler

Abb. 8: Sammelscherbenaufnahmen des Depotfundes (Institut für Archäologien der Universität Innsbruck).

ten Westsiziliens bei der Bildung ihrer binnenländischen Machtbasis zweifellos mitzuberücksichtigen hatten, gibt schließlich auch ein Depotfund zu erkennen, der auf dem Festplatz unmittelbar vor der Eingangsfront zu den Banketträumen des spätarchaischen Hauses gemacht werden konnte (Abb. 1 und 8). Konkreter geht es um die darin zutage getretenen Scherbenfunde. Bei ihnen handelt es sich nämlich um Auslesestücke von ritzverziertem Zeremonialgeschirr, das bekanntlich der mattbemalten Keramik vorausging und eben ins späte 7. und frühe 6. Jh. v. Chr. datiert.Wie aber durch die Scherbe einer rotfigurigen nikosthenischen Pyxis aus Athen (Abb. 5d) angezeigt wird, die mitten in der Schicht unmittelbar unter dem Depot lag, erfolgte die intentionelle Zerscherbung dieser jahrhundertealten Ritzkeramik erst im frühen 5. Jh. anlässlich eines Opferfestes. In ausgewählten Einzelstücken wurde dieses Ahnengeschirr dann zusammen mit Überresten und Auslesen von Opfer-

mählern nach offenbar traditionellem Ritus (Opferfleisch von Hirschen, Rindern, Schafen und Ziegen zusammen mit Weizenbrot und Gerstenkuchen; dazu Forstenpointner / Weissengruber im Druck; Thanheiser im Druck) sowie einem tönernenVotivhorn in der Opfergrube auf dem Festplatz vor dem Banketthaus rituell bestattet. Bezeichnenderweise fand sich unter diesen keramischen Opferrückständen kein einziges Fragment eines griechischen Gefäßes. Im offenbar religiös übersteigerten Ethnizitätsgefühl der lokalen Bevölkerung hatte das Griechische gar keinen Platz (Kistler et al. im Druck). Abschließend lässt sich für die Figuration des kontrakulturellen Wechselspiels zwischen Kolonialität und Lokalität während des späten 6. und frühen 5. Jhs. v. Chr. folgende Bilanz ziehen: Die Inszenierung archaisch-indigener Riten und die Manifestation kolonialer (Belohnungs-)Macht im Innern des spätarchaischen Hauses bildet offenkundig eine

Zwischen Lokalität und Kolonialität

kulturelle Strategie sozialer Distinktion: sie grenzt die neue koloniale Elite drinnen von den ‚alten‘ Autoritäten draußen auf dem Festplatz ab. Dies gibt sich primär im archäologischen Befund des Benutzungshorizontes des Festplatzes vor den Banketträumen des Obergeschosses zu erkennen. Erstens sind dort Importkeramiken, die in den Banketträumen gleich zu Hunderten zum Vorschein gekommen sind, praktisch absent;26 zweitens fand sich ein präkolonial anmutendes Depot, das frühestens um 500 v. Chr. auf dem Festplatz angelegt worden war, aber anstelle von üblichen Importen nur ‚vorkoloniale‘ Keramik des 7. und frühen 6. Jhs. v. Chr. beinhaltete. In diesem Depot konnten bezeichnenderweise auch nur Rückstände traditioneller Gerichte diagnostiziert werden, wohingegen im Innern des spätarchaischen Hauses Küchenabfälle von kolonialen, jedenfalls mit logistischem Beschaffungsaufwand verbundenen Spezialitäten wie Oliven, Trauben, Eier, Meeresfische, Seeigel und DipSaucen zu beobachten waren (Forstenpointner / Weissengruber im Druck; Thanheiser im Druck). Im Gegensatz zur kolonialen Welt, welche das Innere der Banketträume prägte, war der identitäre Habitus auf dem Festplatz auf traditionelle Autorität und Lokalität ausgelegt. Auf diese lokal-autoritative consumptionscape, an die eine Absenz des Kolonialen als Impuls der Machtzerschlagung gekoppelt ist, antworten im Innern der Banketträume archaisierende Riten und Keramiken. Diese sollten offenbar dazu dienen, über das Reenactment der Kultherrschaft der ‚Alten‘ einen unmittelbaren Bezug der ‚ jungen‘ Machtaspiranten im kolonialen Drinnen zur Gefolgschaft der ‚alten‘ Clans auf dem Festplatz draußen herund sicherzustellen (vgl. auch Kistler 2014a, 97–99; Kistler 2010, 79–86).

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Mit dem Kollaps der kolonialen Machtmatrix um 470 / 60 v. Chr.27 kam es auf dem Monte Iato zu einer nachhaltigen Rückwendung zu lokaler Authentizität und traditioneller Autorität. Dabei wurden das spätarchaische Haus und mit ihm zusammen wohl auch der Aphrodite-Tempel sowie die umliegenden oikoi rituell zerstört (Kistler im Druck). Noch später zog dieses Zerschlagen der kolonialen Machtstrukturen offenbar eine so drastische Heterarchisierung, Dezentralisierung und AntiMonumentalisierung nach sich, dass die klassische Siedlungsphase auf dem Iato weitgehend materiell unsichtbar geblieben ist (Russenberger 2010). Erst im Zuge der karthagischen Epikratie kam es während des späten 4. und vor allem in der 1. Hälfte des 3. Jhs. v. Chr. zum erneuten kolonialen empowerment, das den Wiederaufbau der alten archaischen Tempel zur Folge hatte (Isler 2012; 2011). Kolonialität / Lokalität zwischen 300 und 100 v. Chr.

Die Wiedererrichtung und erneute Benutzung der alten Tempel belegen die Kontinuität eines lokalen Kult-Gedächtnisses von der Archaik bis in den Hellenismus (Isler 2009, 169; 175; Isler 1984, 59–60). Wie die Träger dieses Lokalgedächtnisses während der iaitinischen dark ages von 460 bis 300 v. Chr. siedelten (Käch 1997, 50–51), lässt sich bisher nur anhand des Wohnkomplexes südwestlich des Peristylhauses II aufzeigen (Abb. 9). Dessen Anfänge liegen in den Kulturhorizonten des 6. Jhs. v. Chr. begründet, auf die aber bis spätestens im frühen 3. Jh. v. Chr. verschiedene Umbau- und Überbauungsphasen folgten (Russenberger 2014; 2012). Diese Hausstelle wurde unter Anwendung derselben Opfer-

26

Abbildungen und Auflistung der entsprechenden Fragmente mit Inventarnummern siehe Kistler et al. (im Druck).

27

Zur Krise Westsiziliens in der zweiten Hälfte des 5. Jhs. v. Chr. umfassend S.Vasallo (2000).

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Erich Kistler

Abb. 9: Archaisch / frühhellenistischer Wohnkomplex westlich des Peristylhauses II (Institut für Archäologie der Universität Zürich).

rituale wie bei der rituellen Zerstörung des spätarchaischen Hauses um 250 v. Chr. aufgelassen (Russenberger 2011, 89–91). Dadurch wurde in seinem Auflassungsschutt die lokale Lebensart mit ihrer traditionellen Keramik und Küche rituell ‚eingefroren‘ (Russenberger 2010) und zwar zu einem Zeitpunkt, als Kolonialität und empowerment auf dem Iato erneut zu dominieren begannen, wie der Bau imposanter Peristylhäuser, das Anlegen der Agora mit ihren Hallen und Ratshäusern sowie die Errichtung des Theaters bestens bezeugen (Abb. 10; Isler 2012; 2011). Es ist wohl sogar von einer neugegründeten Stadt auszugehen, die nach dem Vorbild der hellenistischen Polis organisiert war und deren Elite der griechischen Sprache mächtig war (Taeuber 2003; Isler 1994; Müller 1976). Doch wie war diese Hellenisierung unter der historischen Figuration der karthagischen Epikratie überhaupt möglich? Wie wirkte sich dieser erneute koloniale Prozess auf Kult und Leben zwischen

Aphrodite-Tempel und spätarchaischem Haus aus? Traten dabei die beiden Peristylhäuser I und II das koloniale Erbe des spätarchaischen Hauses an, indem sie in ihrem Innern die koloniale Welt und die lokalelitäre Anteilhabe daran mit ihren Säulenhöfen und im 1. Stil stuckierten Banketträumen prunkvoll zur Schau stellten? Welche Rolle spielte dabei das hellenistische Banketthaus westlich des Aphrodite-Tempels (Kistler / Öhlinger / Steger 2014, 238–240)? Und last but not least: wie verhält sich zu all dem die Wiederbenutzung und der Umbau des spätarchaischen Hauses um 270 v. Chr. zu einem eher ärmlicher ausgestatteten Hofhaus (Kistler 2014b)? Wie dicht oder eher ausgedünnt war in diesem Hofhaus die Welt des Kolonialen im Vergleich zum benachbarten Peristylhaus I? Wohnten darin gewöhnliche Einheimische, die noch kurz zuvor wie jene im hüttenartigen Wohnkomplex westlich des Peristylhauses II siedelten? Und sind dann nur die Kernfamilien der neuen chiefs in die

Zwischen Lokalität und Kolonialität

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Abb. 10: Zentrum und Westquartier der hellenistischen Polis auf dem Monte Iato, 300 v. Chr.–50 n. Chr. (Institut für Archäologie der Universität Zürich).

Peristylhäuser eingezogen? Weshalb wurde der gesamte Bereich zwischen Aphrodite-Tempel und spätarchaischem Haus kurz nach dem Zweiten Punischen Krieg ohne Rücksicht auf ältere Hausstellen neu parzelliert? Wird damit eine neue Figuration von Kolonialität angezeigt, nämlich die römische Okkupation? All diesen Fragen gilt es in künftigen Forschungen systematisch nachzugehen. Kolonialität / Lokalität zwischen 700 und 500 v. Chr.

Die Figuration der janusköpfigen Kolonialität / Lokalität ist für die Zeit vor dem ersten kolonialen Kulminationspunkt auf dem Iato, also für die Zeit vor 500 v. Chr., nahezu unerforscht. Umso mehr Bedeutung kommt daher dem FWF-Projekt „Zwischen Aphrodite-Tempel und spätarchaischem Haus II“ in den kommenden Jahren zu.28 In dessen Fokus stehen Fragen wie: Welche Rolle spielte das sozio-religiöse Feld zwischen Aphrodite-Tempel und spätarchaischem Haus, bevor es das spätarchaische Haus, ja bevor es überhaupt den

Aphrodite-Tempel gab, der zwischen 550 und 525 v. Chr. errichtet worden war? Denn überregionale Kult- und Festaktivitäten können in diesem Bereich bis ins 7. Jh. oder vielleicht gar 8. Jh. v. Chr. nachgewiesen werden (Isler 2009, 141–144). Doch wie verhält und gestaltet sich im Vergleich zu diesem kultischen Zentrum, in welchem überregionale Vernetzung und externe Einflüsse schon früh wirkungsmächtig sind, die Konsumption des Lokalen und Traditionellen in den umliegenden kontemporären Kultur- und Siedlungsschichten? Und wie konnte es gerade in diesem kultischen Bereich auf dem an sich konservativen Feld der Religion mit dem Bau des AphroditeTempels zum monumentalen Durchbruch des Kolonialen kommen? War dazu vorher bereits ‚Glas und Tand‘ der Phönizier notwendig, das bereits ab dem späten 8. Jh. v. Chr., also noch in ‚präkolonialer‘ Zeit, eine ortskonstante Siedlungsweise der Indigenen auf dem Hoch-

28

http: // www.uibk.ac.at / zentrum-alte-kulturen / fwf-p22642-g19 / (29.9.2014).

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plateau des Monte Iato ermöglicht hat (Kistler 2014a, 72–80)?

Conclusio Auch wenn viele Fragen aufgrund des derzeitigen Forschungsstandes noch offenbleiben müssen, so zeigen die ergrabenen Befunde zwischen Aphrodite-Tempel und spätarchaischem Haus schon jetzt, dass Jonathan Hall völlig zu Recht ein neues Erklärungsmodell einfordert, „that takes adequate account of both active agency and historical contingency and offers a more dynamic characterization of culture as continuously and situationally constructed“ (Hall 2012, 34). Die Erprobung und Weiterentwicklung eines solchen Modells wird und soll auch künftig auf dem Iato über die Annahme einer janusartigen Figuration von Kolonialität und Lokalität vorangetrieben werden. Dabei sollen Kolonialität und Lokalität als zwei kontrakulturelle Strategien ein- und desselben lokalen Machtdiskurses in kolonialen Kontaktzonen begriffen werden. Dadurch kann an einem binnenländischen Siedlungsplatz wie dem Iato auf die Fundansprache ‚indigen‘ genauso verzichtet werden wie auf das schon länger umstrittene Label des ‚Griechischen‘.29 Als Alternativen zu den Termini und Etiketten ‚griechisch‘ und ‚indigen‘ fungieren die Kategorien ‚Kolonialität‘ und ‚Lokalität‘. Diese richten den Fokus primär auf den Gebrauch von Importen und Lokalprodukten aus der emischen Perspektive binnenländischer Fundvergesellschaftung. Im Vordergrund steht also eine Sozialarchäologie zur innergesellschaftlichen Konfliktdynamik zwischen Machtbildung und Machtnivellierung – was in kolonialen Kontaktzonen bedeutet: zwischen Kolonialität und Lokalität. Den Ausgangspunkt zu diesem Analysekonzept

29

Kistler 2012, 221–225; Giangiulio 2010; Antonaccio 2010, 31–34; Hodos 2009, 224–228.

bildete weniger ein Kulturkontaktmodell, das derzeit in akademischen Debatten oder politischen Diskursen besonders virulent wäre.Vielmehr war und ist es der archäologische Befund beziehungsweise das zu Beginn beschriebene kulturmaterielle Paradoxon. Dieses führte uns zur (post)kolonialen Archäologie Lateinamerikas und der „Epistemologie des Südens“, um daraus für die koloniale Kontaktzone ‚Westsizilien‘ eine konsumarchäologische Alternative abzuleiten, welche in Kombination mit der Perspektive des „kulturellen Akteurs“ (Kistler / Ulf 2012) die Komplexität der materiellen Befunde auf dem Monte Iato in ihrem Zustandekommen besser zu erklären vermag als bisherige Modelle. Inwieweit diese Alternative auch wirklich neue beziehungsweise andere Einsichten hinsichtlich einer Anthropologie des Kolonialismus30 zu eröffnen vermag, soll die künftige Forschung auf dem Monte Iato zeigen. Bibliographie Albanese Procelli 2006 R. M. Albanese Procelli, Sepolture di guerrieri della prima metà del V secolo a. C. nella Sicilia interna: l’evidenza di Montagna di Marzo. In: C. Micciché / S. Modeo / L. Santagati (Hrsg.), Diodoro Siculo e la Sicilia indigena. Atti del Convegno di Studi, Caltanissetta 21-22 maggio 2005. Palermo: Regione Siciliana, Assessorato dei beni culturali, ambientali e della pubblica istruzione 2006, 109–120. Albanese Procelli 2008 R. M. Albanese Procelli, La Sicilia tra Oriente e

30

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Sebastian Brather

Alteritäten und Identitäten. Perspektivenwechsel in der Frühmittelalterarchäologie

„Perspektiven auf das Andere“ zu eröffnen, ist das Anliegen kulturgeschichtlicher Forschung. Das ‚Andere‘ dient dabei zugleich der Selbstreflexion, die wie in einem Spiegel das ‚Eigene‘ deutlicher werden lässt. Die mitteleuropäische Frühmittelalterarchäologie nimmt traditionell sowohl das Eigene als auch das Fremde in den Blick. Wie dies ein großer Teil von ihr tut, ist methodisch und wissenschaftsgeschichtlich aufschlussreich. Zum einen wird die Merowingerzeit oft nicht als kulturell ‚fremd‘ wahrgenommen, sondern werden in ihr die ‚eigenen‘, d. h. die modernen politischen Verhältnisse gespiegelt. Stellvertretend lässt sich auf die Mannheimer, Pariser und Berliner Ausstellung über die Franken als „Wegbereiter Europas“ 1996 / 1997 verweisen, die ein „multikulturelles“ Merowingerreich verschiedener „Völker“ präsentierte. Dieses Reich ähnelte erkennbar der Europäischen Union, die sich als Europa der Regionen versteht. Zum anderen interpretiert man häufig Unterschiede in der Sachkultur – v. a. Kleidungsbestandteile und Grabformen, aber auch Waffen und Gefäße – als Beleg für jeweils ‚Andere‘ in der Merowingerzeit. Darauf beruht letztlich die ethnische Deutung in der Archäologie – z. B. die Unter-

scheidung zwischen Franken und Alemannen. Es gilt, ‚Stämme‘ und ‚Völker‘ anhand ihrer Sachkultur voneinander zu unterscheiden. Alteritäten werden auf diese Weise also im frühen Mittelalter ausgemacht und zwar zwischen damaligen politischen Gruppierungen und kulturellen Räumen. Identität scheint man dagegen in der Gegenwart zu empfinden, wenn es um wissenschaftliche Untersuchungen zur Merowingerzeit geht. Bevor auf diese Perspektiven einzugehen ist, müssen erstens der Begriff der ‚Identität‘ und ihr Pendant, die ‚Alterität‘, umrissen werden. Nach einem Überblick über die erwähnten, hier aushilfsweise ‚kulturhistorisch‘ genannten Ansätze zweitens, folgt drittens eine Skizze zu alternativen Konzepten, die in den letzten beiden Jahrzehnten etabliert worden sind. Diese kehren den Blick gewissermaßen um und betrachten das Frühmittelalter insgesamt zunächst als prinzipiell ‚fremd‘ und analysieren dann Identitätsgruppen in der Vergangenheit. In einem abschließenden Vergleich seien viertens moderne ebenso wie antike Außenund Innenperspektiven gegenübergestellt, um die Gegensätzlichkeit beider Perspektiven zu betonen.

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Sebastian Brather

Identität als komplexe Balance: zwischen Fragmentierung und Totalität Aufsätze und Bücher zu „Identität“ sind heute nicht mehr zu überblicken. Zu viel ist publiziert, zu viele Überlegungen sind angestellt worden. Mit Lutz Niethammers voluminöser Studie zur kollektiven Identität ist außerdem offenbar geworden, auf welche „heimlichen Quellen“ die „unheimliche Konjunktur“ des Begriffs zurückgeht (Niethammer 2000). Er sollte weder zu ‚hart‘ (essentialistisch) noch zu ‚schwach‘ (konstruktivistisch) verwendet werden, so dass sich analytisch auch die genauere Untersuchung von „Identifikation und Kategorisierung, Selbstverständnis und soziale[m] Standort, Gemeinsamkeit und Verbundenheit“ empfiehlt (Brubaker 2007, 13). Dennoch dürfte der Begriff bei reflektiertem Gebrauch manchen analytischen Gewinn versprechen können. Seine Bedeutung liegt gerade darin, dass er die Behauptung von Identität betont. Der Anschein verdeckt und soll verdecken, dass dahinter nicht unerhebliche Differenzen existieren, die aus bestimmten Gründen in spezifischen Situationen und nach außen negiert werden (sollen). Identitäten stellen Zuschreibungen und damit „soziale Konstruktionen“ dar, die nichtsdestotrotz von einiger Bedeutung und Brisanz sind. Ohne sie gibt es keinen sozialen Zusammenhalt (vgl. zum Folgenden Brather 2004, 97–117; 2012a; 2012b). Zunächst sind es Individuen, die eine Identität besitzen. Das gilt in ganz direkter Weise, indem Jede und Jeder einzigartig – mit sich identisch – ist. Jenseits dieses wörtlichen Wortgebrauchs nehmen Einzelne Rollen in spezifischen sozialen Kontexten ein. Sie entstammen einer Familie, über die sich Verwandtschaft definiert. Damit können Prestige oder Status verbunden sein; des Weiteren sind Geschlecht und Alter wichtige Bezüge, die über Identitäten mitentscheiden. Einbindungen religiö-

ser Natur gehören ebenso dazu wie ethnische oder regionale Netzwerke. Deren Vielfalt lässt erkennen, wie komplex Identität(en) Einzelner nicht nur sein können, sondern tatsächlich sind. Damit sind soziale Gruppen angesprochen. Sie können nur existieren, wenn sie auch eine Identität ausbilden. Das hat seinen Grund darin, dass die tatsächliche Unterschiedlichkeit der Gruppenangehörigen überdeckt werden muss, um Zusammenhalt zu erreichen. In vielfacher Hinsicht – lässt man die herausgestellte Zuschreibung einmal beiseite – bestehen Unterschiede, seien sie durch Geschlecht, Alter, Familie, Besitz oder ähnliches bestimmt. Je nach Kontext werden sie jedoch zielgerichtet ausgeblendet, weil eine andere Zuordnung im Vordergrund steht und sie als zweit- oder drittranging erscheinen lässt. Komplexe Überlagerungen sind typisch. Individuen gehören ja nicht nur zu einer Gruppe, sondern gleichzeitig zu verschiedenen. Daraus ergeben sich Probleme, aber Widersprüche müssen ‚ausgehalten‘ werden, weil sich Identitätsüberlagerungen nicht vermeiden lassen.Welche Identität jeweils betont wird, hängt von der aktuellen Situation ab. Andere Zuordnungen werden dann zeitweise nachrangig, können aber rasch aktualisiert und vorgebracht werden. Identität kann sich nur entwickeln, wenn es Andere gibt, zu denen Unterschiede betont werden. Sie braucht den Spiegel, in dem man sich erkennt. Analytisch nennt man diese Eigenschaft des Gegenübers Alterität. Erst durch sie lässt sich eine Vorstellung von den eigenen Kennzeichen gewinnen, die wiederum der Gruppe nach innen Festigkeit und Dauer verleihen sollen. Die klassischen Griechen etwa wurden sich jenseits ihrer zahlreichen Poleis, auf die sie sich zuvor besonnen hatten, erst in der Konfrontation mit den Persern um 500 v. Chr. ihres ‚Griechentums‘ bewusst. Das dabei entwickelte Perserbild – die von den Griechen konstruierte Alterität – entsprach kaum einer nuancierten Betrachtung, sondern einem schwarz-weiß gefärbten Feindbild oder

Alteritäten und Identitäten

einer ‚Gegenwelt‘. Auch in anderen Fällen wie z. B. der römischen Barbarenethnographie verrät die Außenperspektive mehr über die Beobachter als über die tatsächlichen Verhältnisse bei den Beobachteten (Dauge 1981). Damit sind Innenansichten und Außenwahrnehmung eng verknüpft, jedoch in einem ‚reziproken‘ Verhältnis. Beide bedingen einander, wobei eine Fremdzuordnung wenig über das tatsächliche Selbstbild der Beschriebenen aussagt. Denn sie stützt sich nicht auf deren Maßstäbe, sondern auf diejenigen der Beobachter. Sie kann deren Identität über kurz oder lang beeinflussen, wenn es sich um ungleiche Machtverhältnisse oder um langfristige Kontaktsituationen handelt. Identität wiederum nutzt die Fremdwahrnehmung, um das Eigene herauszustellen. Diese Wahrnehmung stützt sich auf Kategorisierungen, Ordnungsmuster und Stereotype (Brubaker 2007, 107–115). Identitätskonstruktionen sind stets von der Situation bestimmt, in der sie entstehen bzw. aufgegriffen werden. Individuen agieren je nach Kontext verschieden, denn es kommt jeweils darauf an, sich ‚richtig‘ zu verhalten. ‚Richtig‘ bedeutet, dass in der spezifischen Situation Abgrenzung und Zuordnung funktionieren müssen. Im familiären Zusammenhang gelingt dies auf andere Weise als in der Öffentlichkeit, die wiederum anderen Regeln und Erwartungen als im beruflichen Kontext oder bei kulturellen Ereignissen folgen. Situativität betrifft aber ebenso das Agieren von Gruppen. Sie können Sprache oder Habitus, kulturelle Merkmale, soziale oder religiöse Unterschiede zum Anlass nehmen, Differenz oder Zusammengehörigkeit herauszustellen. Dabei werden die Einen in die Gruppe eingeschlossen, und das bedeutet zugleich den Ausschluss von Anderen. Das Ziehen von Grenzen besitzt zwangsläufig diesen Doppelcharakter. Ähnlich wie Identität und Alterität gehen Inklusion und Exklusion Hand in Hand und sind nur in der Kombination denkbar. Primär dürfte es die integrative Wirkung

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von Identität sein, die sozialen Zusammenhalt ermöglicht und damit zentrale Bedürfnisse gesellschaftlicher Gruppen erfüllt. Zuordnungen und Abgrenzungen folgen auch Interessen. Sie sind nicht einfach vorhanden oder haben sich unbewusst entwickelt. Dann besäßen sie nicht die Bedeutung, die sie für soziale Gruppen und Gesellschaften haben. Sie sind interessengeleitet; man verfolgt Ziele, und um diese zu erreichen, sind Zuschreibungen von Nutzen. Einer je nach Kontext stärkeren Gruppe anzugehören, verschafft Vorteile – Ressourcenzugang, Status, Besitz. Deshalb werden Identitäten zielgerichtet eingesetzt, und sie können sich mit sich wandelnden Interessen ebenfalls verändern. Das lässt sich verallgemeinern. Bedeutung gewinnen Identitäten erst, wenn sie ausgedrückt und vorgeführt werden. Man kann sie nicht für sich behalten, wenn sie Relevanz erlangen sollen. Dann muss man sich – und das heißt wiederum angemessen und situationsabhängig – so verhalten, dass Zugehörigkeiten und Abgrenzungen sichtbar werden (können). Ihre Wahrnehmung und Anerkennung entscheiden dann über den Erfolg. Man könnte das als Performanz charakterisieren – als auf Wirkung bedachte Vorführung. Zugleich ist damit gesagt, dass spezifische Handlungen, Habitus oder Symbole den Ausschlag geben, wo Grenzen gezogen und welche Zuordnungen betont werden. Zur Unterscheidung geeignete Kennzeichen steigert man in ihrer unterscheidenden Bedeutung bzw. Wirkung – sie werden instrumentalisiert und ‚ideologisch‘ überhöht. Sie dienen einer klaren Grenzziehung, wo tatsächliche Unterschiede durch Nachbarschaft und Kontakt oft recht gering sind, und sie marginalisieren Binnendifferenzen, die in anderen Kontexten eine große Rolle spielen können. Ethnizität „wirkt nicht nur, ja nicht einmal besonders, in und durch abgegrenzte Gruppen, sondern in und durch Kategorien, Schemata, Begegnungen, Identifikationen, Sprachen, Geschichten, Ins-

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Sebastian Brather

Abb. 1: Identität als Einheit von Differenzen. Beide Skalenenden sind lediglich hypothetisch denkbar, um die flexible Mittelposition von Identität zu verdeutlichen, aber in der sozialen Wirklichkeit unmöglich.

titutionen, Organisationen, Netzwerke und Ereignisse“ (Brubaker 2007, 12).Vielmehr lässt sich analytisch „Ethnizität als Form des Verstehens, Interpretierens und Einordnens von Erfahrung“ analytisch verstehen (ebd. 127). Sie bedeutet die politische Mobilisierung kultureller Differenz(en), und in dieser Grundsätzlichkeit gerät sie zur nicht zu hintergehenden Absolutheit oder Unveränderlichkeit – im Konfliktfall mit fatalen gewaltsamen Auswirkungen. Dass ethnische Zugehörigkeiten – und damit Ethnizität als Ausdruck ethnischer Identität (wenn man nicht beide Begriffe verwechselt) – besonderes Interesse erfahren, hängt mit dem Ideal des modernen Nationalstaats zusammen. Dieses zielt auf Homogenität in sprachlicher und kultureller Hinsicht. Differenzen werden ihm genau deshalb zum Problem, weil sie seinen Zielen widersprechen, und daraus resultieren auch ‚Minderheitenprobleme‘ und ‚Überfremdungsängste‘. Kann man diese modernen, wenngleich nun langlebigen Vorstellungen ohne weiteres als überall und jederzeit existierende Verhältnisse voraussetzen? Die Antwort muss differenzieren. Fraglos dürfte es häufig lokale und regionale Zuschreibungen geben und gegeben haben, doch waren diese meist weniger absolut und ausschlaggebend, als sie es unter nationalstaatlichen Bedingungen sind.

Die eigene Gesellschaft stand im Mittelpunkt, war aber weitaus überschaubarer und ‚natürlich‘ im Zentrum angesiedelt; das entsprach den eigenen Maßstäben. Dem Bochumer Sozialpsychologen Jürgen Straub verdanke ich neue Einsichten dazu, wie Identität sozialwissenschaftlich einzuordnen ist und welche Bedeutung sie für Gesellschaften, Gruppen und Einzelne besitzt. Straub (2004) zufolge kann man sich Identität, wenn sie die Einheit von Differenzen bewerkstelligen soll, auf einer weiten Skala vorstellen (Abb. 1). Deren Enden bilden Extreme, die nur theoretisch denkbar, aber in der sozialen Praxis unmöglich sind. Ein Skalenende wäre durch vollständige Fragmentierung charakterisiert, so dass kulturelle und soziale Differenzen jeder Art nicht überbrückt würden – eine derart zersplitterte Gesellschaft könnte nicht existieren. Ebenso unrealistisch erscheint das andere Extrem, bei dem die Differenzen nivelliert und totale Gleichheit erreicht wäre; auch dies ist ‚praktisch‘ und historisch unmöglich. Dennoch ist Identität nicht statisch, stabil und fest – ihr Ort auf der abstrakten Skala ist mobil. Straub macht auch deutlich, dass die beiden Skalenenden zugleich modernen gesellschaftspolitischen Modellvorstellungen nahekommen. Totalität – oder anders gesagt: Homogenität – weist Übereinstimmungen mit

Alteritäten und Identitäten

totalitären Konzepten auf, indem sie die unmögliche Gleichheit (Identität im strengen Sinn des Wortes) Aller zugrundelegt. Fragmentierung auf der anderen Seite wäre ein Zustand, der durch Laissez-faire zustande käme und mangels auch nur marginaler Gemeinsamkeiten den sozialen Zusammenhalt verhinderte. Straubs Konzept macht deutlich, dass beides nicht funktionieren kann – Identität bedarf stets einer mittleren Position, wenngleich dieser ‚Ort‘ beweglich und Identität veränderlich ist. Er entscheidet darüber, wer dazugehört und wer die Anderen sind.

Kulturhistorische Sicht: Alteritäten und Totalitäten Die Archäologie der Merowingerzeit – zwischen 450 und 750 n. Chr. – stützt sich überwiegend auf Grabfunde, und das macht das breite Interesse an ihr aus. Inzwischen sind Zigtausende von Reihengräbern ausgegraben worden. Sie bilden aufgrund der umfangreichen Grabbeigaben eine hervorragende Grundlage, um zeitliche und räumliche Entwicklungen zu erfassen. Typologie, Chronologie und Fundverbreitung sind deshalb bevorzugte Gegenstände der mitteleuropäischen Frühmittelalterarchäologie (Siegmund 1998; Koch 2001). Als Reihengräberfelder bezeichnet man die typischen merowingerzeitlichen Bestattungsplätze; sie besitzen aus analytischer Sicht sechs Kennzeichen, vier primäre und zwei sekundäre (Fehr 2008, 77 Abb. 1): es handelt sich um Körperbestattungen (1) in West-Ost-Ausrichtung (2), wobei Frauen oft mit Kleidungsbestandteilen bzw. Schmuck (3) und Männer oft mit Waffen (4) beigesetzt wurden. Eine mehr oder weniger reihenförmige Anordnung der Gräber (5) ist dabei – entgegen der etablierten Bezeichnung – nicht zwingend vorauszusetzen, und allein bei längerfristiger Belegung ergeben sich große Friedhöfe mit Hunder-

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ten von Bestattungen (6).Verbreitet sind diese Friedhöfe von Britannien über Nordgallien bis nach Pannonien und die Iberische Halbinsel (Abb. 2). Die häufig anzutreffende Vorstellung, es handle sich bei den in den Reihengräbern Bestatteten um Germanen, geht bereits auf das 19. Jahrhundert zurück (Fehr 2010, 177– 254; Effros 2012). Sie bezieht ihr Argument im Wesentlichen aus der Vorstellung, dass solche Gräber bei den Römern unüblich gewesen seien. Unter dieser Prämisse lassen sich Germanen von Römern unterscheiden. Die zweite Unterscheidung betrifft verschiedene Germanengruppen, die sich an Kleidung und Habitus erkennen lassen soll. Auf diese Weise trennt man ‚Stämme‘ und ihre Siedlungsgebiete voneinander. Ältere Studien stützten sich oft auf typologische Unterschiede von Fibelformen, deren geographische Verbreitung sie unmittelbar ethnisch erklärten (Koch 1998; Bierbrauer 2008). Jeweils ein Beispiel mag diese Ansätze verdeutlichen: 1. Zunächst zur Trennung von Germanen und Römern, wobei in der deutschsprachigen Forschung für letztere die Bezeichnung „Romanen“ bevorzugt wird. So macht V. Bierbrauer (1996) „Romanen im fränkischen Siedelgebiet“ aus. Grundlage dafür ist die Definition zweier „Kulturmodelle“, die mit ihren „unverfälschten Merkmalen“ als Idealtypen vorgeführt und von jenen Regionen abgeleitet werden, in denen etwa Romanen „völlig unberührt von Akkulturationserscheinungen durch die Überschichtung germanischer Bevölkerungsgruppen blieben“ (Bierbrauer 1996, 111). „Wichtigstes Kennzeichen [für Romanen – S. B.] ist die regelhafte, das heißt als Regel eingeführte Beigabenlosigkeit [;] als Folge der Christianisierung“ (ebd.). Im 6. und 7. Jahrhundert wurde „die regelhafte Beigabenlosigkeit nun öfters durchbrochen“,

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Sebastian Brather

Abb. 2: Reihengräberfelder als kulturelle Neuorientierung an der Peripherie des spätrömischen Imperiums nach der Mitte des 5. Jahrhunderts.

ohne dass man darin eine „zeitlich befristete und partielle Frankisierung der Romanen“ erblicken müsse (ebd.). Demgegenüber hätten Germanen ihre Toten mit umfangreichen Grabbeigaben bestattet. Veränderungen der beiden „unverfälschten Kulturmodelle“ betrachtet Bierbrauer als „Akkulturation“, als ausschließliche Angleichung einer Seite an die andere – als wesentliche Veränderung, wenn nicht Aufgabe ethnischer Identität. Akkulturationsprozesse führten demnach „im Endergebnis im Westen des fränkischen aufgesiedelten Gebietes letztlich zu einer dauerhaften Romanisierung der Franken und im Osten zu einer dauerhaften Frankisierung der Romanen“ (Bierbrauer 1996, 113). Tatsächlich geht es

Bierbrauer aber wohl um religiöse Differenzen. Denn nicht nur die „romanische Beigabenlosigkeit“ wird mit christlichen Glaubensvorstellungen erklärt, sondern auch die Grabausstattungen bei Germanen werden „mit alten heidnischen Jenseitsvorstellungen“ verbunden (Bierbrauer 1996, 120; 2012). Damit gelten die Gräber als Ausdruck religiöser Zugehörigkeit, was nicht recht zur politischen Situation der Zeit passt: das Merowingerreich war ein christliches Reich, und die Franken waren christlich – Chlodwig hatte sich um 500 taufen lassen. Die Grabausstattungen hatten andere als religiöse Gründe, wie spätantike Texte verdeutlichen (entgegen Bierbrauer 2012; vgl. Brather im Druck).

Alteritäten und Identitäten

2. Eine lokale Perspektive mag den Befund noch deutlicher werden lassen. Beim lothringischen Audun-le-Tiche wurde ein Reihengräberfeld des 7. Jahrhunderts ausgegraben, für das F. Stein (2004) eine kulturgeschichtliche Interpretation aufgrund der Ausgrabungspublikation vorgelegt hat. Stein zufolge wurde die lokale fränkische Bevölkerung in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts „romanisiert“. Diese These stützt sich im Wesentlichen auf den deutlichen Rückgang der Grabbeigaben nach 650, die zuvor noch viele Kleidungsbestandteile und Waffen umfassten. Der Befund ist offensichtlich und eindeutig – doch was soll „Romanisierung“ eigentlich erklären? Stein geht davon aus, dass umfangreiche Grabbeigaben „typisch“ germanisch und in diesem Fall typisch fränkisch sind; wenn die Bevölkerung auf sie zunehmend verzichtet, müsse dies einen ethnischen Wandel bedeuten – eben hin zu den Romanen und damit gewissermaßen zurück zur Antike. Parallel sieht sie ebenso wie andere darin eine durchgreifende „Christianisierung“, denn Grabbeigaben seien prinzipiell heidnisch. Für beides gibt es keine Stütze in zeitgenössischen Texten; vielmehr handelt es sich um Rückprojektionen moderner Konzepte. Am einfachsten lässt sich der Rückgang der Grabbeigaben durch eine sich wandelnde, aktive Repräsentation während der Bestattung erklären. War es im frühen 7. Jahrhundert noch von Bedeutung, sozialen Status durch aufwendige Grabausstattungen vor der Lokalgesellschaft zu demonstrieren, so änderte sich das in den folgenden Jahrzehnten. Nun stiftete man eher an die Kirche, um für das eigene Seelenheil vorzusorgen: das liturgische Totengedenken begann sich durchzusetzen, und damit stieg der Einfluss der Kirche auf die Bestattung. Die Veränderungen hatten also nichts mit Romanen oder Romanisierungs- und „Ausgleichsprozessen“ zu tun und auch nicht mit der

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Verbreitung christlicher Glaubensvorstellungen, sondern gingen auf einen Wandel im Bestattungsritual zurück. 3. Beim dritten Beispiel handelt es sich um F. Siegmunds „Kulturmodelle“. Sie unterscheiden nicht zwischen Germanen und Romanen, sondern zwischen verschiedenen „Stämmen“ – hauptsächlich Franken und Alemannen. Siegmunds (2000; 2009) Ausgangspunkt ist die Häufigkeit bestimmter Grabausstattungen. Im Wesentlichen untersucht er statistisch die Anteile von Gefäßbeigaben aus Keramik und Glas einerseits sowie Waffenausstattungen andererseits. Als Prämisse gilt, dass die Unterschiede wiederum nicht allein geographisch bedingt, sondern auf die Identität der Beteiligten zu beziehen sind. Das Argument dafür bleibt jedoch letztlich ein geographisches, denn es lässt sich entgegen Siegmunds Auffassung nicht erkennen, dass an den „Grenzen“ die Unterschiede besonders deutlich würden.Vielmehr bleibt es dort bei diffusen Übergängen, während in ihrem jeweiligen „Zentrum“ die „Kulturmodelle“ besonders typisch erscheinen (Brather / Wotzka 2006). Diese Beobachtung führt zu einer anderen, wiederum einfacheren Erklärung. Kommunikation und Austausch dürften die entscheidenden Faktoren gewesen sein, die zu einer regional unterschiedlichen Häufigkeit beitrugen. Für Glasgefäße und Drehscheibenkeramik dürfte das Vorkommen im Rheinland und Nordgallien deshalb größer gewesen sein, weil dort Produktionsstätten lagen, die Knowhow seit der Antike besaßen. Fernab der Herstellungszentren – in der Alamannia – war es deutlich schwieriger und teurer, an diese Produkte zu gelangen. Bei den Waffen muss anders argumentiert werden. Bei ihnen zeigt sich jedoch jenseits regional unterschiedlicher Häufigkeiten, dass im Zeitverlauf dieselben Entwicklungen zu beobachten sind: gleich bleibende Rolle von Spatha und Lanze, Verschwinden

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der Äxte und Zunahme der Saxe. Dahinter stehen wohl Repräsentation und Waffengebrauch. Wonach fragen diese Untersuchungen primär? Es geht ihnen prinzipiell und vorranging um die Identifizierung unterschiedlicher ‚ethnischer‘ Gruppen im Frühmittelalter. Sie zielen also auf die Bestimmung merowingerzeitlicher Alteritäten, die sie aufgrund regionaler Unterschiede von archäologischen Funden und Befunden rekonstruieren. Während V. Bierbrauer die schriftliche Überlieferung einer solchen Gruppe zur Voraussetzung macht (Bierbrauer 2008, 5), sieht F. Siegmund auch „archäologische Ethnien“ als gegeben an (Siegmund 2000, 307). Obwohl in Anlehnung an andere Arbeiten mitunter mit dem Identitätsbegriff operiert wird, geht es zentral um die Bestimmung von Fremdheit. Nicht die Vergangenheit wird als ‚fremd‘ angesehen, sondern die kulturellen Differenzen werden als Fremdheit verschiedener Gruppen verstanden, als bewusst gesetzte Differenz zwischen Ethnien. Identität liegt tatsächlich jedoch auf einer anderen Ebene vor. Die skizzierten ethnischen Interpretationen setzen nämlich nach innen homogene, nach außen distinkte Gruppierungen voraus. Sie im frühen Mittelalter zu postulieren, heißt nicht allein den politischen (und nicht kulturellen) Charakter ethnischer Zuschreibungen zu missverstehen, sondern ebenso die kulturelle Homogenisierungskraft des politisch bestimmten Merowingerreichs zu überschätzen. Vielmehr steckt eine Erwartung dahinter, die sich aus modernden Verhältnissen ergibt: das Ideal des Nationalstaats zielt auf sprachliche, kulturelle und ethnische Homogenität. Und es wird auf das Frühmittelalter zurückprojiziert, das damit als ähnlich – man könnte auch sagen, identisch – mit der Gegenwart konzeptualisiert wird. Vergangenheit ist damit nicht fremd, sondern vertraut, und wird mit den eigenen Maßstäben gemessen.

Dies ist auch der Grundlage aller ethnischen Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie (Brather 2004; Niculescu 2012). Sie setzen letztlich Homogenität und Kongruenz von Kultur, Sprache, politischer Organisation und physischer Konstitution voraus. Ist dieser Ausgangspunkt festgelegt, lassen sich Kontinuitäten bis zu einem vermeintlichen ‚Ursprung‘ verfolgen und umgekehrt Wanderungen bis zu Fremden in der Fremde rekonstruieren.Veranschaulichen lässt sich das einerseits mit einem Zeitstrahl (Brather 2004, 161 Abb. 21); andererseits liegt ein zweifacher Zirkel vor (Abb. 3): Ausgehend von Texten wird ein mutmaßliches „Territorium“ ermittelt und dieses mit archäologischen Verbreitungskarten verglichen; bei Übereinstimmungen werden daraus „ethnische Symbole“ abgeleitet und wird bei entferntem, sporadischen Vorkommen auf „Fremde“ in der Fremde geschlossen (Hakenbeck 2011, 39 Abb. 1). Die zentrale Prämisse aber ist das entscheidende Problem: diese Homogenität und Kongruenz gibt es nicht. Ähnlich wie Identitätskonstruktionen von Beteiligten blendet auch diese analytische Sicht die tatsächliche Komplexität der Verhältnisse aus; Differenzen werden sofort als ethnische betrachtet, die man zugleich für die wichtigsten hält. Denn zu allen ethnischen gibt es alternative (kulturelle, wirtschaftliche oder soziale) Interpretationen, die im Einzelfall gegeneinander abzuwägen sind. Das räumliche Argument, das die Archäologie gern bemüht, ist keines. Alle Funde und Befunde besitzen Verbreitungsgebiete, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen. Letztere zu ermitteln, ist die Herausforderung – nicht, sie zu konstatieren. Dazu bedarf es der Kontextualisierung, denn nur über zusätzliche Informationen lässt sich überlegen, ob das Vorhandensein einiger, analytisch ausgewählter Kennzeichen mit dem subjektiven und situationsabhängigen Zusammengehörigkeitsgefühl (groupness) der Zeitgenossen in Verbindung gebracht werden kann.

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Abb. 3: Zwei ineinandergreifende Zirkel der ethnischen Interpretation. Aus Textquellen abgeleitet, werden einerseits „Siedlungsgebiete“ eines „Stammes“ lokalisiert und diese mit archäologischen Verbreitungskarten verglichen. Daraus leitet man andererseits „ethnische Symbole“ ab und identifiziert „Fremde“ in der Fremde (erweitert nach Hakenbeck 2011, 39 Abb. 1).

Perspektivenwechsel: komplexe Identitäten und Kontexte Betrachtet man das regionale Vorkommen der Reihengräberfelder, so fällt auf, dass sie fast ausschließlich innerhalb des früheren spätantiken Imperiums vorkommen: von Britannien über Nordgallien und das Rheinland bis nach Raetien, Noricum und Pannonien, ebenso auf der Iberischen Halbinsel, in Norditalien und auch im Osten. Zwei Ausnahmen – das Maingebiet und Thüringen – dürften das Bild bestätigen, waren sie doch zur Kaiserzeit durch intensive Kontakte zu Rom gekennzeichnet. Dabei sind es stets periphere Regionen und nicht die politischen Zentren, in denen lokale Gesellschaften ihre Toten mit umfänglichen Grabbeigaben begruben. Bislang sind alle Versuche ergebnislos geblieben, eindeutige Vorbilder in der Germania jenseits der antiken Reichsgrenzen auszumachen (Fehr 2008; Halsall 1997). Alle drei Beobachtungen (Verbreitung, Lage, Vorbildlosigkeit) weisen darauf hin, dass es sich beim Aufkommen der Reihengräberfelder tatsächlich um etwas Neues handelte, für das es weder inner-

halb noch außerhalb des Imperiums Vorbilder gab. An der Peripherie des spätrömischen Reichs sah sich die Bevölkerung veranlasst, angesichts zunehmender Unsicherheit soziale Zugehörigkeiten und Differenzen zu betonen, und dazu bot sich wohl die während der Bestattung sichtbare Grabausstattung an. Diese Überlegungen führten zu einer entgegengesetzten Perspektive. Sie betrachten frühmittelalterliche Gesellschaften primär nicht von außen, sondern bemühen sich um den Blick in ihr Inneres, um ihre Strukturen und Funktionieren zu verstehen. Da auch die Überzeugung ins Wanken geraten ist, Gräber seien „Spiegel des Lebens“ und reflektierten Sozialstrukturen unmittelbar, scheint zunächst ein analytisches Problem aufzutauchen. Die Performativität von Bestattungen bedingt, dass Grabausstattungen den untersuchenden Archäologen etwas über die Vorstellungen der seinerzeit Beteiligten ‚mitteilen‘; eher als soziale Verhältnisse wird man etwas über ihre Zurschaustellung erfahren können. So gesehen verwandelt sich der beklagte Nachteil in einen analytischen Gewinn – einen Zugang zu Identitäten frühmittelalterlicher Lokalgesell-

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Abb. 4: Identitäten in lokalen Gesellschaften. Da jedermann verschiedenen Gruppen angehört, überlagern sich mehrere Zuschreibungen auf komplexe Weise. Sie zu entwirren, ist Ziel der Analyse.

schaften zu gewinnen. Dann ist es auch nachrangig, wer welche Grabbeigaben deponierte und aus wessen Besitz sie stammten (Brather 2008; 2009; Barbiera 2012). Hilfreich ist es zunächst, nach den Adressaten zu fragen, an die sich die Präsentation sozialer Zugehörigkeiten und Abgrenzungen richtete. Wer waren die Zuschauer, vor denen sich Bestattungen abspielten und die den betriebenen Aufwand wahrnehmen konnten? Es waren nicht ethnisch Fremde, sondern die Nachbarn und damit die lokale Gesellschaft, vor deren Augen Angehörige zu Grabe getragen wurden. Situationsspezifik von Identitäten bedeutet in diesem Fall nicht, dass wesentliche Zuschreibungen fehlten; vielmehr dürfte die Bestattung eine Gelegenheit geboten haben, ein möglichst umfassendes ‚Bild‘ vom Verstor-

benen und seiner Familie vorzuführen. Wenn das zutrifft, dann verlangt die Rekonstruktion von Identitätsgruppen eine sorgfältige Untersuchung, um die komplexen Überlagerungen zu entwirren und damit zu plausiblen Ergebnissen zu gelangen (Abb. 4). Einige Identitätsgruppen lassen sich m. E. mithilfe zusätzlicher Anhaltspunkte unterscheiden: 1. Religion: Oben war bereits die Rede von vermeintlich christlicher Beigabenlosigkeit und heidnischen Grabbeigaben. Antike Textzeugnisse belegen zwar, dass für Christen aufwendige Begräbnisse überflüssig waren; dennoch bestatteten auch Christen ihre Toten prunkvoll, weil sie darin keine religiöse Aussage, sondern eine Betonung sozialer Zugehörigkeit erblickten. Christen konnten mitunter Totenkleidung als für sie

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wichtige Jenseitsausstattung begreifen. Die von M. Müller-Wille (1998) als „zwei religiöse Welten“ gegenübergestellten Gräber Childerichs in Tournai und seines Sohnes Chlodwig in Paris unterscheiden sich primär durch den Ort: auf einem Gräberfeld bzw. in einer (von Chlodwig selbst gestifteten Apostel-) Kirche. Ob sie unterschiedlich reich ausgestattet waren, lässt sich nicht feststellen, da das Chlodwiggrab (noch) nicht gefunden worden ist. Wahrscheinlich war der Aufwand bei Chlodwig jedoch nicht geringer, galt es doch, einen König angemessen zu beerdigen. Die Unterschiede dürften im Bestattungsritual gelegen haben, das vor und in der Kirche wohl anders als 30 Jahre zuvor in Tournai veranstaltet wurde. Jedenfalls sind es primär die rituellen Handlungen, die Bestattungen religiös prägen (Brather-Walter / Brather 2012), auch wenn sie archäologisch nur schwer zu fassen sind (vgl. Gärtner 2009). 2. Person: Jedes Grab enthält – von Mehrfachbestattungen einmal abgesehen – ein Individuum; es reflektiert daher auch dessen individuelle Anerkennung und Tüchtigkeit. Selten lässt sich durch Inschrift der Name ermitteln und damit eine historische Persönlichkeit identifizieren, sofern sie aus zeitgenössischen Texten bekannt ist. Meist sind es Siegel- oder Namensringe, wofür etwa das Childerichgrab in Tournai stehen mag. Zufälligkeiten schließt man meist aus und nimmt an, der Besitzer sei mit seinem Ring bestattet worden. Manchmal ist die Identifizierung problematisch, etwa bei Arnegunde aus St.-Denis. Ihr Namensring (mit seitenrichtiger Inschrift) hat die Diskussion darüber ausgelöst, ob es sich bei der Toten um die Frau König Chlothars I. (511–561) handelt. Auch wenn die Mehrheit der Archäologen für die Identifizierung plädiert (Périn 2012), bleiben Zweifel: archäologisch gesehen wäre das Grab später zu datieren als die Lebenszeit der Arnegunde (Roth 1986). Und das

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Monogramm im Ring lässt sich nicht allein als REGINE lesen, was ungewöhnlich wäre, da sonst nur Namen und nicht Titel abgekürzt wurden, sondern auch als Wiederholung des Namens selbst (Meier 2002, 153). 3. Geschlechter / gender: Auch wenn in der Frühmittelalterarchäologie immer wieder archäologische Geschlechtsbestimmungen vorgenommen werden, ist eine biologischanthropologische Analyse unerlässlich. Erst auf dieser Basis lässt sich beurteilen, wie Geschlechterrollen kulturell markiert wurden. Für mitteleuropäische Erwartungen ist es wohl überraschend, dass Zopfspangen und Ohrringe bei awarischen Männern vorkommen. Im merowingerzeitlichen Westen lässt sich eine ganze Reihe geschlechtsspezifischer Grabbeigaben feststellen: Kleidungsbestandteile und Schmuck bei Mädchen und Frauen, Waffen und Gürtel bei Jungen und Männern (vgl. Barbiera 2005). An ihnen kann man ermitteln, welche Aspekte für die Lokalgesellschaften von Bedeutung waren. Neben den auf jeweils ein Geschlecht (weitgehend) begrenzten Grabausstattungen gab es Beigaben, die sowohl Frauen als auch Männern ins Grab gestellt wurden. Sie werden daher auch als ‚neutrale‘ Grabbeigaben bezeichnet. Dazu gehören etwa Gefäße oder Mobiliar, und sie dürften primär soziale Zugehörigkeiten demonstriert haben. 4. Alter: Unterschiedliche soziale Rollen lassen sich daran erkennen, dass Grabausstattungen deutlich vom Sterbealter abhängen. Das trifft längst nicht für alle Gesellschaften zu, aber für die Merowingerzeit in besonderer Weise (Brather et al. 2009). Bei beiden Geschlechtern steigt der Umfang der Grabbeigaben beginnend mit der Kindheit an, erreicht bei adulten und maturen Erwachsenen sein Maximum, bevor die Zahl der Grabbeigaben im höheren Alter wieder abnimmt. Als Grund darf man annehmen, dass eher altersspezifische Rollen als individuelle Wertschätzung dafür verantwort-

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lich sind. Verweise auf Kinder, Eltern und Hofbesitzer sowie Großeltern mögen hier genügen, um das weite Feld zu skizzieren. Da diese ‚Funktionen‘ nicht streng an ein kalendarisches oder biologisches Alter gebunden sein können – bereits das individuelle Heiratsalter hängt von vielen Bedingungen ab –, bleiben die zu erkennenden Abhängigkeiten von Ausstattungsumfang und Sterbealter etwas undeutlich, in ihrer Tendenz aber überaus klar. Sie zu untersuchen, setzt biologisch-anthropologische Altersbestimmungen voraus, die für jüngere Individuen präziser als für erwachsene und alte ausfallen. 5. Verwandtschaft: Auf Reihengräberfeldern erkennbare Gruppen von Gräbern lassen danach fragen, ob sie mit Verwandtschaftsbeziehungen zu erklären sind. Da auch andere Gruppierungen denkbar sind, bedarf es zusätzlicher Indizien. Sie können nur teilweise durch anthropologische Analysen zur Verfügung gestellt werden, denn diese liefern ausschließlich Daten zur Deszendenz. Wichtiger ist aus archäologischer Sicht die Affiliation – die Etablierung von Heiratsallianzen. So müssen weitere Anhaltspunkte gewonnen werden, die aus der Struktur der Grabgruppen abzuleiten sind: wenn es sich nicht um Areale handelt, die einem Geschlecht, einer Altersgruppe oder einem sozialen Verband zugerechnet werden können, dann dürfte es sich um verwandtschaftlich organisierte Gruppen gehandelt haben. Dass sich Familien anhand bestimmter Fibel- oder Gefäßtypen unterscheiden lassen (so Koch 2001, 374–389), ist eher unwahrscheinlich; sie reflektieren wohl Modephasen, wie F. Siegmund (2004) für das mittlere 6. Jahrhundert plausibel anhand „thüringischer“ Funde argumentiert. 6. Rang: Dass sich Umfang und Qualität von Grabausstattungen auf sozialen Rang beziehen lassen, ist eine naheliegende Vermutung (Steuer 1982, 309–416; 2011). Zu

verlässlichen Schlüssen lässt sich aber erst gelangen, wenn zuvor Geschlecht und Alter berücksichtigt sind. Angesichts geschlechtsspezifischer Ausstattungen fällt ein direkter Vergleich zwischen Frauen und Männern schwer, denn Kleidung und Waffen sind nur schwer in ihrem ‚Wert‘ gegenüberzustellen. Hinsichtlich des Alters kann man allein innerhalb derselben Altersgruppe vergleichen, denn Kinder und Alte werden in den meisten Fällen anders ausgestattet als Erwachsene mittleren Alters. Unter diesen Voraussetzungen lassen sich „Qualitätsgruppen“ unterscheiden, wie sie R. Christlein vor 40 Jahren vorschlug (Christlein 1975). Für den großräumigen Vergleich bieten sie ein noch immer herangezogenes Hilfsmittel, auch wenn zeitliche und geographische Einschränkungen offensichtlich sind. Für die Rekonstruktion lokaler Gesellschaften und ihres Vergleichs muss man jedoch detaillierter ansetzen. 7. Tätigkeit: Wenngleich es ‚Berufe‘ erst in sehr viel späterer Zeit gab, finden sich unter den Grabbeigaben Geräte und Werkzeuge, die auf bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten verweisen. Beachtung haben vor allem ‚Schmiedegräber‘ gefunden, in denen etwa Hammer, Amboss und Zangen vorkommen. Die damit Bestatteten gelten allgemein als Schmiede (Henning 1991; Tobias 2009). Landwirtschaftliche Geräte sind noch weitaus seltener als Schmiedewerkzeuge, und das überrascht. Den Großteil der Bevölkerung stellten Bauern, die mit Ackerbau und Viehhaltung vertraut waren. Es muss deshalb überlegt werden, ob eine Pflugschar oder ein Sech mehr bedeutet – etwa Verfügung über Grund und Boden (Fingerlin 1998). Jüngst hat J. Henning vermutet, Pflugschare wiesen auf eine bestandene Wahrheitsprobe hin – mit glühenden Scharen (Henning 2007); allerdings setzt die Textüberlieferung erst deutlich später ein (Bartlett 1986, 10). Insgesamt ist der

Alteritäten und Identitäten

Zusammenhang von Geräten und damit ausgeübten Tätigkeiten nicht so eindeutig wie oft gedacht, wenn es darum geht, ob der damit Bestattete tatsächlich selbst mit ihnen gearbeitet hatte. 8. Region: Schwierig bleibt die Interpretation regionaler Häufungen und Unterschiede. Denn welche Ursachen hinter den Kartierungen stecken, ließe sich wiederum nur durch Zusatzargumente begründen – diese können aber kaum beigebracht werden. Ob regional begrenzte Vorkommen bestimmter Gegenstandstypen identitätsrelevant waren oder aber sich durch Kommunikation und Austausch ergaben, ist selten zu entscheiden. Darüber hinaus spiegeln archäologische Verbreitungskarten meist weiträumige Vorkommen wider, die wohl viel weiter reichen, als es regionale oder ethnische Identitäten normalerweise können (sieht man von Eliten ab). Sie wären in Kleinregionen zu erwarten, doch fallen dann die archäologisch erfassbaren Unterschiede zu gering aus, um noch sichtbar sein zu können. Deshalb dürfte es in den meisten Fällen dabei bleiben, dass sich Gegenstandsverbreitungen zunächst als Kommunikationsphänomene beschreiben lassen. Sofern bislang Isotopenuntersuchungen unternommen worden sind, zeigen auch sie ein komplexes Bild (Pollard 2011), das gut zu den in die gleiche Richtung weisenden archäologischen Überlegungen passt. Insgesamt sei betont, dass Rückschlüsse auf Identitäten nicht aus den Grabbeigaben und ihren Kombinationen direkt gezogen werden können, sondern allein indirekt über verfügbare Zusatzinformationen. Erst wenn sie den Kontext klarer werden lassen, ist methodisch weiterzukommen. Für manche Aspekte gelingt die Kontextualisierung besser (Geschlecht, Alter), für andere Zuordnungen weniger gut (Verwandtschaft, Tätigkeit, Region), und für manche womöglich gar nicht (Religion, Ethnie). Komplexe Grabausstattungen können auf

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diese Weise komplexe Bezüge und Netzwerke erhellen. Diese Einsichten gilt es zu erweitern. So dürften weitere Vergleiche verschiedener Bestattungsplätze miteinander klarer erkennen lassen, was lokale Besonderheiten darstellte und was im Trend der Zeit lag. Allerdings gilt es bei allen Analysen zu bedenken, dass meist unklar bleibt, ob mit einem Bestattungsplatz auch die gesamte lokale Gesellschaft erfasst ist: so können mehrere Gräberfelder zu einer Siedlung und ebenso umgekehrt gehört haben, und ab dem 7. Jahrhundert gab es mit dem Reihengräberfeld oder Gräbern an separater Stelle, in der Siedlung oder bei der Kirche mehrere „komplementäre“ Bestattungsplätze (Theuws 1999, 345 Abb. 6), die erst zusammen die Lokalgesellschaft repräsentieren, aber selten gleichzeitig entdeckt und untersucht sind. Darüber hinaus kommt es auf eine detailliertere chronologische Unterscheidung an, um dynamischere Rekonstruktionen als bislang zu erreichen.

Fazit: frühmittelalterliche und moderne Außen- und Innenperspektiven Im Vergleich beider Perspektiven wird ihre entgegengesetzte Ausrichtung deutlich. In jüngerer Zeit mehren sich Untersuchungen, die nach vielfältigen Identitäten und Gruppen in frühmittelalterlichen Gesellschaften fragen. Damit interessieren sie sich für Wahrnehmungshorizonte und Handlungsmöglichkeiten der Zeitgenossen, und das bedeutet einen Blick nach innen. Das Konzept von ‚Identität‘ besitzt dafür heuristischen und analytischen Wert, indem es Konstitution und Handeln sozialer Gruppen erklärt. Alterität ist dabei inbegriffen, wenn ohne sie Identität nicht zu denken ist – beide sind miteinander verschränkt. Allerdings lassen sich Identitätsgruppen innerhalb von Lokalgesellschaften leichter rekonstruieren, weil die Adressaten

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greifbar werden: das andere Geschlecht, andere Altersgruppen, andere Familien innerhalb der Nachbarschaft. Dort lässt sich beobachten, wie die lokale Balance zwischen Fragmentierung und Totalität (Straub 2004) erreicht wurde. Vergleicht man Regionen miteinander, wird es schwierig: es fehlen Bezugspunkte, auf die Unterschiede in den Grabbeigaben zurückgeführt werden können. Und je größer die berücksichtigten Regionen sind, desto unwahrscheinlicher wird eine tatsächliche Verknüpfung mit Identitäten und Alteritäten. Kommunikation und Mobilität waren zwar auch im frühen Mittelalter erstaunlich weiträumig und intensiv, doch gerade deshalb sind viele Verbreitungsmuster der Sachkultur zunächst damit und nicht primär mit Identitäten zu erklären (Brather / Wotzka 2006). Identitäten hielten politische Verbände zusammen, die ethnische Bezeichnungen trugen; kulturell waren sie heterogen, heterogener jedenfalls, als es moderne Vorstellungen (bis hin zu „Nationalindustrien“ der Völkerwanderungszeit; Effros 2012, 145–187; Fehr 2010, 201–204) lange suggerierten. Das belegen die Textzeugnisse, und das politisch zusammengehaltene Frankenreich war kulturell vielfältig. ‚Identität‘ ist für die genannten Ansätze der Leitbegriff, doch er wird neuerdings auch in anderen Studien verwendet (Bierbrauer 2008, 63). Dort dient er dazu, die Trennung frühmittelalterlicher Ethnien anhand der Grabausstattungen zu begründen. Ein solches Vorgehen scheint mir die Begriffe ‚Identität‘ und ‚Alterität‘ bzw. ihre Bedeutung zu vertauschen. Die Welt des frühen Mittelalters ist heute zunächst das kulturell Fremde – bevor man ein historisches Verständnis dieser Zeit erreichen kann, muss sie eingehend analysiert werden. Agieren und Habitus der Zeitgenossen lassen sich erst erklären, wenn man ihre eigene soziale und kulturelle Wahrnehmung rekonstruieren kann; damit geht es um die Charakterisierung von Identitäten, d. h. die Gruppenzuschreibungen und das Gruppenverständnis sowie

ihre Bedeutung für soziales und politisches Handeln. In dieser Perspektive gerät mehr in den Blick als die politische Unterscheidung von Franken, Alemannen, Goten oder Langobarden – nämlich die zahlreichen, situativen Gruppenidentitäten innerhalb von Lokal- und Regionalgesellschaften. Das kulturelle Bild der Vergangenheit wird damit komplexer und nuancierter, was zugleich den einstigen Realitäten näher kommen dürfte. In gewisser Weise gleicht der kulturhistorische archäologische Blick antiken Ethnographien. Wie diese trifft er von außen auf diejenigen Regionen und Gruppen, um deren Kategorisierung und Ordnung, Beschreibung und Erklärung er sich bemüht. Einer solchen ‚totalen‘ Außenperspektive fällt es schwer, ihren Gegenstand zu verstehen, d. h. in die Binnenperspektive einzudringen. Darum ging es den Beobachtern auch nicht; sie wollten eine prinzipielle Grenze zwischen Zivilisation und Barbarei ziehen (Abb. 5). Dabei ergab sich zwangsläufig eine weitgehend dichotome Unterscheidung – etwa zwischen griechischer Demokratie und persischer Despotie oder zwischen Römern und Barbaren (Dauge 1981). Anders als antike Ethnographien konzipieren kulturgeschichtlich orientierte Archäologen ihren Gegenstand jedoch nicht als fremd oder als Gegenentwurf zu ihrer eigenen Welt. Ihre Interpretation neigt dazu, kulturell homogene und geschlossene Gruppen vorauszusetzen und diese damit dem vertrauten Ideal moderner Staaten anzunähern. Fremdheit bzw. Alteritäten werden dann zwischen den gentes vorausgesetzt, die ihre Differenzen untereinander in Kleidung und Habitus ausgedrückt haben sollen, woran sich die einzelnen Siedlungsräume unterscheiden ließen. Abgrenzung von ‚den Anderen‘ wird damit zu einem zentralen Handlungsmotiv des frühen Mittelalters – sie habe das Leben der Menschen mehr bestimmt als alles andere.Wenn man wie jüngst Ch. Eger (2012, 280) ethnische Deutung und Suche nach ethnischer Identität voneinander

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Abb. 5: Idealtypische Zivilisations- und Fortschrittsvorstellungen der Römer. Die hier systematisch zusammengestellten Konzepte sahen die Römer in einer Mittelposition – zwischen den auf einer niedrigeren zivilisatorischen Stufe befindlichen Barbaren und der erhabenen Götterwelt (verändert nach Dauge 1981, nach 676).

unterscheiden will, beschränkt man sich auf kulturelle Beziehungen jenseits der Ethnizität; tatsächlich bleibt es jedoch beim ethnischen Blickwinkel, wie die gewählten Bezeichnungen für Kleidungszubehör oder Grabformen verraten. Das Ergebnis ist eine contradictio in adiecto. Diese Sicht stützt sie sich weitgehend auf ein geographisches Argument – das räumliche Vorkommen bestimmter Grabbeigaben. Identitäten sind jedoch durch soziale Bedingungen und Wahrnehmungen bestimmt, ethnische Symbole daher ‚willkürlich‘ – und Raum ist eine soziale Konstruktion (Löw 2001; vgl. Brather 2014). Daraus ergeben sich drei Schlüsse: 1. der Raum kann nur dann eine Rolle als Erklärungsmuster spielen, wenn er als sozial bestimmt betrachtet wird; 2. es bedarf zumindest der Abwägung ethnischer gegen andere Interpretationsvarianten; 3. weit mehr als Ethnizität – die wohl für politische Eliten eine Rolle spielte – bestimmten alltägliche Identitäten und Zuordnungen das Leben der Zeitgenossen. Für die Frühmittelalterarchäologie scheinen mir lokale und kleinregionale Identitäten vielversprechender als ethnische Alteritäten zu sein.

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Alteritäten und Identitäten

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Brigitte Röder

Jäger sind anders – Sammlerinnen auch. Zur Deutungsmacht des bürgerlichen Geschlechterund Familienmodells in der Prähistorischen Archäologie

So fern und doch so nah: mit Urmenschen auf du und du Zwischen unserem heutigen Leben und der rund 2,6 Millionen Jahre umfassenden Urgeschichte liegt eine enorme zeitliche und kulturelle Distanz. Deshalb wäre eigentlich zu erwarten, dass uns die urgeschichtlichen Lebensverhältnisse ‚fremd‘ erscheinen. Möglicherweise gab es in dieser langen Zeit sogar Formen des Zusammenlebens, die weder aus der jüngeren Geschichte noch von zeitgenössischen Gesellschaften bekannt sind, und die wir uns folglich gar nicht vorstellen können. Aus dieser Perspektive wäre anzunehmen, dass wir allergrößte Mühe hätten, uns in das urgeschichtliche Alltagsleben sowie in die Gefühlsund Gedankenwelt der damaligen Menschen hineinzuversetzen und uns mit ihnen zu identifizieren. In der Regel ist jedoch das Gegenteil der Fall: Obwohl wir die Alltagserfahrungen urgeschichtlicher Menschen höchstens in geringem Maß teilen, erscheinen sie uns letztlich als ‚Menschen wie du und ich‘. Dieses Gefühl fast schon unerschütterlicher Vertrautheit ist verblüffend. Aufgrund bildlicher Darstellungen von ‚Urmenschen‘ ist anzunehmen, dass es sich dabei um ein jüngeres Phänomen handelt: Der im 19. bis ins 20. Jahrhundert hinein vorherrschende Topos

des ‚tierischen‘, ‚primitiven‘ und ‚brutalen‘ Urmenschen mit Keule1 ist aus (populär-)wissenschaftlichen Kontexten mittlerweile gänzlich verschwunden. In den letzten Jahren hat sich die Kluft zwischen den ‚Urmenschen‘ und ‚uns‘ weitgehend geschlossen: Gezeichnet oder als lebensechte Figuren lächeln Neandertaler freundlich ihr Gegenüber an (Abb. 1). Fürsorglichkeit signalisieren Szenen, in denen eine Homo erectus-Frau einen alten Mann füttert bzw. ein schlafendes Baby hält, das sich vertrauensvoll an ihren Körper schmiegt. Ein Neandertaler in der Pose des Denkers von Auguste Rodin suggeriert Intelligenz, und schöne junge Frauen mit halb geöffneten Lippen oder Schmollmund könnten Aspirantinnen für das Schaulaufen bei Germany’s next Topmodel sein. Schließlich transportiert auch das beliebte Sujet des Neandertalers, der auf der Rolltreppe oder in anderen Kontexten inmitten heutiger Menschen kaum auffällt, die Botschaft, dass die urgeschichtlichen Vorfahren Menschen sind wie du und ich. Die Identifikation geht mittlerweile so weit, dass die Neandertaler in den Medien als „Die ersten

1

Boëtsch / Gagnepain 2008; Ducros / Ducros 2000; Vénus et Caïn 2003; Weltersbach 2007.

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Brigitte Röder

Abb. 1: Vom ‚tierischen‘, ‚primitiven‘ und ‚brutalen‘ Urmenschen zum freundlichen Gegenüber – das Bild der Urmenschen hat sich gewandelt (Photo: H. Neumann, Neanderthal Museum).

Deutschen“ oder als „Die ersten Europäer“ figurieren – sie also zu einem Medium nationaler und europäischer Identitätspolitik avanciert sind (Röder 2010a, 88–89). Die biologische Differenz zwischen den Neandertalern und den modernen Menschen scheint seit der Analyse des Neandertaler-Genoms (Green et al. 2010) immer mehr an Bedeutung zu verlieren. Stattdessen wird darauf abgehoben, dass bis zu vier Prozent der DNA heute lebender Menschen vom Neandertaler stammen können. Und so hat das Neanderthal Museum den lebensgroßen Neandertaler im BusinessAnzug, den es zu seinem 75-jährigen Bestehen herstellen ließ, „Mister 4 %“ – bzw. wegen seines schicken Aussehens auch „Steinzeit-Clooney“ – genannt (Abb. 2). Abb. 2: „Mister 4 %“ bzw. „Steinzeit-Clooney“: lebensgroßer Neandertaler im Business-Anzug, den das Neanderthal Museum zu seinem 75-jährigen Bestehen herstellen ließ. Sein Name spielt darauf an, dass bis zu vier Prozent der DNA heute lebender Menschen vom Neandertaler stammen können (Photo: H. Neumann, Neanderthal Museum).

Jäger sind anders – Sammlerinnen auch

Gemäß dieser kurzen Einstimmung werde ich das Thema dieses Bandes gewissermaßen gegen den Strich bürsten und mich statt mit ‚Fremdheit‘ mit ‚Vertrautheit‘ beschäftigen. Ich werde dem Phänomen nachgehen, dass uns urgeschichtliche Menschen trotz der zeitlichen, kulturellen und biologischen Distanz, die uns von ihnen trennt, erstaunlicherweise gerade nicht fremd, sondern vielmehr höchst vertraut erscheinen. In Umkehrung des Titels dieses Bandes, der „Fremdheit“ als „Perspektiven auf das Andere“ fasst, wird im Folgenden die These entwickelt, dass die konstatierte Vertrautheit mit den ‚Urmenschen‘ als ‚Perspektive auf das Eigene‘, konkret als eine Form der Selbstbespiegelung und Selbstvergewisserung, zu deuten ist. Kristallisationspunkt der Betrachtung werden Vorstellungen von den urgeschichtlichen Geschlechter- und Familienverhältnissen sein, die sowohl in gesellschaftlichen Kontexten als auch in der archäologischen Fachliteratur verbreitet sind. Ich werde darlegen, dass es sich dabei um kulturelle Konzepte handelt, die sich als Geschlechter- und Familienmodell der Bürgerlichen Gesellschaft identifizieren lassen. Diese kulturellen Konzepte entfalten ihre Deutungsmacht nicht nur in der Prähistorischen Archäologie, sondern stellen nach wie vor gesellschaftliche Leitbilder dar. Deshalb wird für die gesellschaftliche Ebene zu fragen sein, welche Bedeutung die Urgeschichte bzw. die ‚Anfänge der Menschheitsgeschichte‘ für das identifizierte Geschlechter- und Familienmodell haben, und welche Schlussfolgerungen sich daraus für die Wechselwirkungen zwischen Prähistorischer Archäologie und Gesellschaft ableiten lassen. Letztlich werde ich der Frage nachgehen, weshalb die kulturellen Konzepte der Bürgerlichen Gesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts im doppelten Sinne ur-menschlich erscheinen, sodass sie trotz der aktuell stattfindenden Pluralisierung von Beziehungs- und familialen Lebensformen noch heute Leitbildcharakter haben und sie

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häufig – ganz selbstverständlich und ohne wissenschaftliche Bedenken – in die Vergangenheit projiziert werden und die Urgeschichte zu einer Art ‚Themenpark zur Bürgerlichen Gesellschaft‘ machen. Der Beitrag wird zwischen diesen Themenbereichen hin- und herpendeln. Um die Verflechtung von kulturellen Konzepten und wissenschaftlicher Wissensproduktion zu beleuchten, werden in die Betrachtung auch Rückgriffe einbezogen, die im gesellschaftlichen Kontext auf die Urgeschichte gemacht werden.

Verliebt, verlobt, verheiratet? Im Sommer 2007 führte das Schweizer Fernsehen ein als „Living-Science-Projekt“ angekündigtes Experiment durch: Vor laufenden Fernsehkameras lebten zwei Schweizer Familien vier Wochen lang in zwei eigens dafür errichteten Pfahlbauten an einem abgelegenen Weiher im Kanton Thurgau. Während dieser Zeit wurde das Fernsehpublikum allabendlich über die Herausforderungen informiert, die das ‚Steinzeitleben‘ an unsere Zeitgenossen stellte.2 Wissenschaftlich begleitet wurde das Projekt von Urs Leuzinger, einem ausgewiesenen Experten für Seeuferarchäologie vom Amt für Archäologie des Kantons Thurgau. Er sorgte dafür, dass die Pfahlbauten mitsamt ihrer Ausstattung so originalgetreu wie irgend möglich waren. Die materielle Kultur war also perfekt ‚steinzeitlich‘. Doch wie sollten die beiden Familien 5700 Jahre zurück in die Vergangenheit versetzt werden? Das Konzept des Schweizer Fernsehens sah dafür eine Zeitreise vor. Der Weiher diente dabei zur symbolischen Überbrückung der Kluft zwischen Gegenwart und Vergangenheit: Vom ‚gegenwärtigen‘ Ufer aus, wo sich

2

Die folgende Beschreibung stützt sich auf die DVD „Pfahlbauer von Pfyn. Steinzeit live“, die vom Schweizer Fernsehen 2007 zur Serie produziert wurde.

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Brigitte Röder

der Beobachterposten des Fernsehteams und eine Couch für Experten-Interviews befanden, starteten die beiden Familien mit einem Einbaum zu ihrer Zeitreise. Die Fahrt zum anderen Ufer sollte sie bildlich 5700 Jahre zurück in die Steinzeit, konkret in die Pfyner Kultur, versetzen. Bevor die künftigen „Pfahlbauer von Pfyn“ ihre Zeitreise antreten konnten, mussten sie jedoch ihre Kleidung und ihre Accessoires abgeben und stattdessen in Lederhemden und Leinentuniken schlüpfen. Die äußere Verwandlung war perfekt: Als die Pfahlbauer ihr Domizil bezogen, gaben sie zusammen mit der urgeschichtlichen Kulisse ein stimmiges und höchst authentisch wirkendes Bild ab. Das Ziel, auch die sozialen Verhältnisse möglichst authentisch zu gestalten, sah das Drehbuch bei diesem vierwöchigen Projekt nicht vor: So mussten die Ehepaare vor der Zeitreise mit ihren Uhren zwar ebenfalls die anachronistischen Eheringe abgeben – die sozialgeschichtlich wichtige Frage, ob in jedem Pfahlbauhäuschen vor 5700 Jahren wirklich ein monogames Elternpaar mit den gemeinsamen Kindern gewohnt und gewirtschaftet hat, wurde aber nicht gestellt. Stattdessen wurden mit allergrößter Selbstverständlichkeit heutige Formen des Zusammenlebens in die inszenierte Vergangenheit transferiert. Im Gegensatz zur materiellen Kultur, bei der peinlich genau auf Authentizität geachtet wurde, wurde den sozialen Verhältnissen bei der Konzeption dieses Experiments dagegen keine Aufmerksamkeit geschenkt: Diese scheinen außerhalb von Raum und Zeit zu stehen, also universal zu sein. Nun könnte man kritisch einwenden, dass die „Pfahlbauer von Pfyn“, die vier Wochen lang täglich über die Fernsehschirme flimmerten, mit Archäologie als wissenschaftlicher Disziplin nichts zu tun hätten. Schließlich handelte es sich nicht um ein wissenschaftliches Experiment, sondern um eine populärwissenschaftliche Fernsehserie bzw. um eine „Doku-Soap“, wie eine Fernsehzeitschrift die Serie betitelte. Dem lässt sich entgegen-

halten, dass die stillschweigende Annahme, in jedem urgeschichtlichen Pfahlbauhäuschen hätte eine Kernfamilie westlich-bürgerlichen Zuschnitts gewohnt, keineswegs nur bei Fernsehmachern, sondern auch in der Archäologie verbreitet ist.3 Überhaupt scheinen die sozialen Verhältnisse in der Urgeschichte, wie sie in Fachpublikationen, in populärwissenschaftlichen Büchern, in den Medien oder auch in den Schulbüchern gezeichnet werden, unglaublich vertraut zu sein. Ein eingängiges Beispiel dafür sind die verschiedenen Rekonstruktionszeichnungen zu den Fußspuren von Australopithecinen, die Mary Leakey 1978 bei Laetoli in Tansania entdeckte. Vor rund 3,6 Millionen Jahren gingen hier zwei oder drei Individuen und hinterließen ihre Fußabdrücke in einer Ascheschicht, die bei einem Vulkanausbruch abgelagert worden war und die Spuren konservierte. Ob es zwei oder drei Individuen waren, wird kontrovers diskutiert (Karlisch 1998, 145–146). Welche Hypothese aufgrund des Befundes wahrscheinlicher ist, spielt für unser Thema keine entscheidende Rolle, denn letztlich kreisen nahezu alle Interpretationen dieser Spuren um dasselbe Sujet – d. h., es wird fast immer ein Paar mit oder ohne Kind rekonstruiert. Stellt man sich die beiden ordentlich bekleidet vor, gingen sie als Pärchen beim Sonntagnachmittagsspaziergang durch. Teils legt er zärtlichbeschützend bzw. patriarchal-besitzergreifend den Arm um sie, teils geht er in der Rolle des Führers und Beschützers voraus. Auf manchen Bildern ist sie schwanger, auf anderen hat sie ein Kleinkind auf dem Arm oder hält es an der Hand. In einem Szenario balanciert ein Kind in den von den Erwachsenen eingetieften Spuren hinterher.4

3

Für eine Analyse zur Schweizer Seeuferarchäologie s. Lutz (2010; 2013). 4 Für eine Auswahl der existierenden Rekonstruktionszeichnungen s. Karlisch (1998, Abb. 3–8).

Jäger sind anders – Sammlerinnen auch

Die Prähistorikerin und Soziologin Sigrun Karlisch hat sich intensiv mit den wissenschaftlichen Grundlagen der verschiedenen Szenarien befasst und dargelegt, dass letztlich nicht zu entscheiden ist, ob es sich um zwei oder drei Individuen handelte, welches Geschlecht die einzelnen Individuen hatten, ob eine Schwangerschaft vorlag, ob potentielle Kinder auf dem Arm getragen wurden oder an der Hand gingen, ob es sich bei ihnen um leibliche Kinder handelte – ganz zu schweigen davon, ob hier ein heterosexuelles Paar in trauter Eintracht nebeneinander ging und das männliche Individuum die Rolle des Führers und Beschützers hatte. Sigrun Karlisch hat darauf hingewiesen, dass auch alternative Szenarien möglich wären (Karlisch 1998, 146; 154) – so z. B. zwei männliche Australopithecinen, die mit einigem Abstand aufeinanderfolgten. Als Fazit lässt sich ziehen, dass auf Basis des Befundes, d. h. der erhaltenen Fußspuren, grundsätzlich ein weites Spektrum unterschiedlichster Interpretationen in Betracht kommt. Das Frappierende ist, dass dieses Spektrum nicht ausgelotet wird, sondern dass die Interpretationen auf heterosexuelle Paarbeziehung und Kernfamilie fokussieren. Sigrun Karlisch hat dieses Phänomen als „Mama-Papa-Kind-Syndrom“ bezeichnet. Sie kommt zum Schluss, dass auf die 3,6 Millionen Jahre alten Fußspuren von Laetoli aktuelle Geschlechterrollen und das Konzept der Kernfamilie projiziert werden (Karlisch 1998, 156–157). Man könnte auch sagen, dass ein bestimmtes Geschlechter- und Familienmodell stillschweigend für Australopithecus afarensis vorausgesetzt wird. Insofern suggerieren diese rekonstruierten Paar- und Familienszenen, dass die Kernfamilie, basierend auf einer heterosexuellen Liebesbeziehung, schon bei den stammesgeschichtlichen Vorläufern der Menschen gang und gäbe gewesen sei. Damit scheint sie zu den biologischen Grundlagen des Menschen zu gehören und folglich seine ‚normale‘ Lebensform im ‚Naturzustand‘ zu

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repräsentieren. Um es für das Fallbeispiel auf den Punkt zu bringen: Die Rekonstruktionszeichnungen zum Befund von Laetoli bilden einen vermeintlichen ‚Naturzustand‘ ab und schreiben somit die Idee von einer als unveränderlich angenommenen ‚Natur‘ des Menschen fest (Karlisch 1998, 158). ‚Urmenschen‘ wären demnach ‚Menschen wie du und ich‘ – mit derselben ‚biologischen Grundausstattung‘ und mit denselben Wünschen, Nöten und Sorgen, die – genau wie wir heute – sich verliebten, einen gemeinsamen Haushalt und eine Familie gründeten, zusammen lebten und gemeinsam wirtschafteten, um schließlich gemeinsam alt zu werden.

Lesefunde zu einem Traumpaar Ob diese Einschätzung korrekt ist, oder ob es sich dabei – wie von Sigrun Karlisch postuliert – lediglich um eine Projektion heutiger Vorstellungen auf die Frühzeit der Menschheit handelt, ist nicht nur gesellschaftspolitisch, sondern auch für individuelle Lebensentwürfe und für das eigene Selbstverständnis als Frau oder Mann relevant. Diesen Eindruck gewinnt man zumindest, wenn man verfolgt, in welchen gesellschaftlichen Kontexten auf Urmenschen Bezug genommen wird – und vor allem auch, bei welchen Themen das der Fall ist und wie mit den ‚urgeschichtlichen Vorfahren‘ jeweils argumentiert wird. Die mit Abstand häufigsten Rückgriffe auf die ‚Steinzeit‘5 finden im Rahmen von Auseinandersetzungen mit Geschlechter- und Familienverhältnissen statt. Im Folgenden werde

5

Die ‚Steinzeit‘ erscheint dabei als eine fiktive, statische Epoche und fungiert als eine Chiffre für einen ‚Natur- und Urzustand‘, der wiederum als Referenz und Orientierung in aktuellen Debatten über Geschlechter- und Familienverhältnisse dient (Röder 2014b).

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Brigitte Röder

ich einige ‚Lesefunde‘ aus den letzten Jahren präsentieren, die stellvertretend aufzeigen sollen, dass diese Rückgriffe hochgradig stereotyp sind und in der Regel mit dem Topos des ‚Jägers‘ und der ‚Sammlerin‘ erfolgen, die meist als Paar auftauchen. Und weil sie sich in ihrem Wesen, mit ihrer Arbeitsteilung und den aus ihr resultierenden Rollen so wunderbar harmonisch ergänzen, sind sie ein perfektes Traumpaar (Röder 2014b). Wenn es bei heutigen Paaren kriselt, ist diese harmonische Ergänzung aus der Balance geraten. Diese Erfahrung macht auch der Protagonist des Ein-Mann-Stücks Caveman – Du sammeln. Ich jagen! Konkret geht es um Folgendes: „Von seiner Frau vor die Tür gesetzt, philosophiert Tom über den kleinen Unterschied und seine großen alltäglichen Folgen. Als männliche Logik und begrenzte Phantasie ihn schnell an seine Grenzen stoßen lassen, erfährt Tom von unerwarteter Seite Hilfe. Im ‚magischen Unterwäschekreis‘ erscheint ihm sein Urahn aus der Steinzeit und lässt ihn an Jahrtausende alter Weisheit teilhaben: Männer sind Jäger und Frauen sind Sammlerinnen. Eine Tatsache, die die menschliche Evolution bis heute nicht hat ändern können.“6 Eine griffige Botschaft, die das Theaterpublikum da mit nach Hause nehmen kann! Nicht weniger griffig ist die Meldung, dass Männer schon seit der Steinzeit auf Blondinen stehen. In Variationen verbreitete sie sich 2006 innerhalb weniger Tage von Brasilien bis Südkorea in der ganzen Medienwelt. Fotos prominenter Blondinen, die Sex-Appeal verkörpern, unter anderem Heidi Klum, Brigitte Bardot und Marilyn Monroe, suggerieren passend zum Text, dass Blondinen ‚zeitlos begehrenswert‘ sind.7 Anlass für die Meldungen war ein Fachartikel, der unter anderem die Frage

behandelte, seit wann es Menschen mit blauen Augen und blonden Haaren gibt (Frost 2006). Neben Antworten auf diese Frage transportieren die Medientexte explizit und implizit eine Reihe weiterer Inhalte. Sie vermitteln, dass die Nahrungsgrundlage die Jagd war. Da sie von den Männern ausgeübt wurde, sind diese ursprünglich Jäger und haben seit jeher die Rolle, Frau und Kind zu versorgen. Frauen sind von Männern existentiell abhängig, weil sie nicht in der Lage sind, sich selbst und ihre Kinder zu ernähren. Deshalb geht die Partnerwahl stets von den Männern aus. Blonde Frauen waren dabei im Vorteil, da Männer Blondinen schon seit Urzeiten sexuell attraktiver finden. Weiter erfährt man implizit, dass die sexuelle Orientierung des Menschen grundsätzlich heterosexuell und monogam ist, und dass die übliche Familienform die Kernfamilie aus einem monogamen Paar mit den gemeinsamen Kindern darstellt. „Ganz natürliche Erklärungen“ und einfache Lösungen für große Probleme versprechen diverse Bestseller, die um die angeblich ‚biologisch vorgegebenen‘ Unterschiede zwischen Männern und Frauen kreisen. Mit über 20 Millionen verkauften Exemplaren besonders erfolgreich ist das Buch von Allan und Barbara Pease, die erklären, „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“. Die Kernbotschaften wurden in einer handlichen Ausgabe für Handtasche oder Hemdtasche konzentriert (Pease / Pease 2005), und schließlich wurde das Buch sogar verfilmt und kam 2007 in die deutschen Kinos. Auf dem Cover der DVD8 ist ein behaartes Urmenschenpaar zu sehen, das als Referenz für die ‚natürlichen‘ Geschlechterverhält-

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Aus dem Ankündigungstext des Stückes s. u. a. http: // www.regio-info.ch / kultur / theater / musikkabarett-mit-lass-durr.html (25.9.2014).

Ausführlicher zu den Inhalten der Artikel s. Röder (2010a, 86–87). 8 Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken. Regie: Leander Haußmann; Drehbuch: Rochus Hahn, Allan Pease. Constantin Film 2008.

Jäger sind anders – Sammlerinnen auch

nisse dient. Wie wir uns diese vorzustellen haben, können wir im Kapitel „Wie wir das geworden sind, was wir sind“ nachlesen. Hier erfahren wir Folgendes: „Es war einmal vor langer, langer Zeit, da lebten Frauen und Männer noch glücklich zusammen und gingen in Harmonie ihrer Arbeit nach. Der Mann wagte sich Tag für Tag in eine feindliche und gefährliche Welt hinaus, wo er als Jäger sein Leben riskierte, um seiner Frau und seinen Kindern Nahrung zu beschaffen, und zu Hause verteidigte er sie gegen wilde Tiere und andere Feinde. … Es war ziemlich einfach: Er war der Beutejäger, sie die Nesthüterin. … Diese herkömmlichen Regeln wurden jedoch in unserer modernen, zivilisierten Welt abgeschafft, und die Folgen sind Chaos, Verwirrung und Unzufriedenheit“ (Pease / Pease 2005, 16–17; 19). Wie sich durch die sogenannte Zivilisation die Geschlechterrollen verändert haben, beschäftigt auch den Philosophen Peter Sloterdijk. Er hat sich zu diesem Thema in einem Interview geäußert, dass er dem Magazin DER SPIEGEL anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006 gegeben hat. Darin kommt er auch auf den Jäger und die Sammlerin zu sprechen: „Von unserem anthropologischen Design her sind Männer so gebaut, dass sie an Jagdpartien teilnehmen.“ Während der „innere Jäger im Mann“ heute nutzlos sei, seien die Frauen als „herkunftsmäßig[e] Sammlerinnen“ viel kapitalismuskompatibler, denn „aus der Sammlerin wird auf dem kürzesten Weg die Konsumentin. … In der Konsumentin zeigt sich noch immer diese stille, triumphale Genugtuung der Sammlerin, die in ihrem Korb etwas heimbringt. Daraus ist dieses mysteriöse weibliche Universal der Handtasche entstanden. Ein Mann ohne Speer oder ohne Ball, das geht ja noch, aber eine Frau ohne Handtasche, das ist wider die Natur“ (Sloterdijk 2006, 70). Ob Arbeitsteilung, Geschlechterhierarchie, Beziehungsund Familienform, sexuelle Präferenzen von

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Männern, Kapitalismuskompatibilität etc. – es scheint nichts zu geben, was sich nicht aus den postulierten steinzeitlichen Geschlechterrollen herleiten oder mit ihnen erklären lässt. Das gilt auch für geschlechtsspezifische Farbvorlieben: Frauen seien in der Steinzeit auf das Sammeln reifer Beeren und damit auf die Unterscheidung verschiedener Rottöne geeicht worden, während Männer am liebsten bei schönem Wetter, also bei blauem Himmel, jagen gingen und folglich eine Präferenz für Blautöne entwickelt hätten (kritisch dazu Grisard 2014). Die Beispiele aus dem gesellschaftlichen Umfeld ließen sich beliebig fortsetzen, doch die Inhalte beginnen sehr schnell, sich zu wiederholen. Kurz zusammengefasst sind der Jäger und die Sammlerin deshalb ein vorbildliches Traumpaar, weil es das vermeintlich ‚ursprüngliche‘ und ‚natürliche‘ Geschlechterverhältnis verkörpert, es einen Bezugsund Orientierungspunkt in der aktuellen Geschlechterdebatte bietet und weil es zeigt, wie Männer und Frauen ‚von Natur aus‘, ihrem ‚anthropologischen Design‘ und ihrem ‚tiefsten Wesen‘ nach scheinbar sind – bzw. sein sollen. Außerdem bietet es auch eine Erklärung für die angeblichen Unterschiede und heutigen Turbulenzen zwischen den Geschlechtern. Letztere träten dann auf, wenn die ‚natürlichen‘, ‚ursprünglichen‘ oder ‚schöpfungsgewollten‘ Geschlechterrollen ‚missachtet‘ würden. Für die Urgeschichte lassen sich vor diesem Hintergrund folgende gesellschaftliche Funktionen ableiten: Durch den Blick zurück auf die vermeintlichen Anfänge bietet sie die Möglichkeit zur Selbstvergewisserung und Orientierung. Nach dem Motto Back to the roots! dient sie denjenigen, die am traditionellen Rollenmodell festhalten möchten, als Kulisse und Argumentationsplattform. Die Wurzeln denkt man sich dabei wohl als eine Art Pfahlwurzel, die zu einem absoluten, historischen Nullpunkt führt, in dem alles bereits angelegt war, und auf den man sich bei Bedarf

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Brigitte Röder

beziehen kann.9 Das Urmenschenpaar steht für diesen Anfang – es mutet wie eine säkulare Variante von Adam und Eva an. Wie mit Letzteren scheint uns auch mit dem urgeschichtlichen Jäger und der Sammlerin eine direkte Entwicklungslinie zu verbinden. Deshalb sind sie Menschen wie du und ich, die heute immer wieder zur Selbstvergewisserung und als Referenz dienen können. Der enorme historische Zeitraum des Vergleichs wird dabei nicht reflektiert – ein Zeitraum, in dem sich die Lebensbedingungen vielfach tiefgreifend verändert haben, und dasselbe auch für die sozialen Verhältnisse angenommen werden muss.

Das Geschlechtermodell in der Urgeschichtsforschung Angesichts der gesellschaftlichen Omnipräsenz des Topos des ‚Jägers‘ und der ‚Sammlerin‘ und der verbreiteten Überzeugung, dass sie die ‚natürlichen‘ Geschlechterrollen und das ‚ursprüngliche‘ Geschlechterverhältnis repräsentieren, stellt sich die Frage, wie sich die Prähistorische Archäologie zu diesem Geschlechtermodell stellt. Schließlich findet Wissenschaft nicht im luftleeren Raum statt, sondern ist immer gesellschaftlich situiert (u. a. Haraway 1988; Nowotny / Scott / Gibbons 2005) – anders gesagt: Wie geht die Disziplin mit diesen im Alltagswissen fest verankerten Vorstellungen um? Solche Ideen und Konzepte haben auch Archäologinnen und Archäologen in ihrem ‚kulturellen Gepäck‘. Und weil sie so ‚unglaublich selbstverständlich‘, so ‚gänzlich unbestritten‘, so ‚ungemein plausibel‘ und überhaupt als ‚allgemein menschlich‘ und folglich als ‚universal‘ erscheinen, kommen sie bei wissenschaftlichen Interpretationen häufig

auch nicht auf den Prüfstand, sondern fließen als kulturell vermitteltes Vorwissen unbemerkt in die Forschung ein. Deshalb scheinen die Grundzüge des Zusammenlebens – d. h. die Geschlechter-, Familien- und Generationenverhältnisse – in urgeschichtlichen Gesellschaften bereits bekannt zu sein. Das mag mit ein wichtiger Grund dafür sein, weshalb in der Sozialarchäologie zu diesen Themen bisher weitaus weniger geforscht wird als zur Rekonstruktion sozialer und politischer Hierarchien. Mir selbst wurde das eigene kulturelle Vorwissen erstmals bewusst, als ich analysiert habe, wie Alters- und Geschlechterrollen auf archäologischen Rekonstruktionszeichnungen (Paläolithikum bis Eisenzeit) dargestellt werden, die in Fachpublikationen und populärwissenschaftlichen Büchern, in Museen, Schulbüchern etc. Einblick in das urgeschichtliche Alltagsleben geben sollen (Röder 2004; 2010b). Vorauszuschicken ist, dass auf den Darstellungen Frauen und in noch weitaus höherem Maß Kinder, Jugendliche und alte Menschen unterrepräsentiert sind. Hätten die abgebildeten Zahlenverhältnisse nur annähernd den realen demographischen Verhältnissen entsprochen, wären die betreffenden Gesellschaften innerhalb kürzester Zeit ausgestorben. Die Rollen von Frauen, Männern, Kindern, Jugendlichen und alten Menschen sind ausgesprochen stereotyp: Männer erscheinen als ‚Ernährer‘, ‚Versorger‘ und ‚Zivilisationsbringer‘, während Frauen in erster Linie als ‚Mütter‘ und ‚Hausfrauen‘ figurieren. Kinder haben lediglich eine Statistenrolle, während Jugendliche bei Tätigkeiten gezeigt werden, die ihre Integration in die geschlechtsspezifisch organisierte Arbeitswelt der Erwachsenen anzeigen.10 Im Hinblick auf das Thema Paarbeziehung ist festzuhalten, dass die Lebensbilder durch

9

Zur metaphysischen Funktion der ‚Anfänge‘ und ‚Ursprünge‘ s. Röder (2014b) mit weiterführender Literatur.

10

Für Details s. Röder (2004; 2010b).

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alle Zeiten – angefangen bei Australopithecus afarensis bis zu den Helvetiern – stereotyp die monogame, heterosexuelle Paarbeziehung zeigen, die wiederum als Basis biologischer Kernfamilien dient, welche die Grundeinheit der Gesellschaft bilden. Vor diesem Hintergrund versteht es sich von selbst, dass die Feuerstelle bzw. Höhle, das Zelt oder das Haus als Aufenthalts- und Wohnort einer Kernfamilie gilt. In einem Aufsatz des französischen Prähistorikers und Anthropologen Claude Masset (2005, 105) über die „Vorgeschichte der Familie“ wird das folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Das Feuer wiederum machte sich vor 500’000 oder 600’000 Jahren ebenfalls der Homo erectus zu eigen. Seine Gefährtin, die wegen der Kinder nicht so mobil war wie der Mann, konnte sich nicht gleichweit vom Feuer entfernen; bestimmt mußte sie dafür sorgen, daß es nicht ausging. Die Frau bei der Feuerstelle ist wahrscheinlich eines der ältesten Bilder des Familienlebens. Bei heutigen Jägern und Sammlern ist überall der uralte Gegensatz zwischen den Tätigkeiten der beiden Geschlechter zu beobachten: Jagd auf der einen Seite, Herdfeuerpflege und Sammeln auf der anderen.“ Diese wenigen Worte vermitteln hochkompakt sehr viel an expliziten und impliziten Inhalten – Inhalte, die repräsentativ für zahlreiche Fachtexte sind und die im Folgenden deshalb ausbuchstabiert werden: ‚Mensch‘ und ‚Mann‘ sind hier gleichgesetzt – die Frau ist lediglich „Gefährtin“ des Mannes. Damit wird der Mann zur Hauptperson, und es wird eine hierarchische Beziehung zwischen ihm und seiner „Gefährtin“ suggeriert. Er ist Jäger, Ernährer, Macher und Erfinder, und so hat er sich das Feuer zu eigen gemacht. Sie ist primär Mutter, sekundär auch Hausfrau und Sammlerin, da diese Tätigkeiten mit der Mutterrolle vereinbar sind. Führt man sich vor Augen, dass in unserer heutigen Gesellschaft die männlich konnotierte Ernährerrolle bzw. die Erwerbsarbeit weitaus mehr gesellschaftliche Wertschätzung genießt als die weiblich konnotierte

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Hausarbeit und Kinderbetreuung, kann man diesen bekannten Baustein der patriarchalen Geschlechterordnung auch in diesem Text erkennen. Außer zu den Geschlechterrollen und zur Geschlechterhierarchie beinhaltet er Aussagen zur Beziehungs- und Familienform. Wir erfahren, dass Homo erectus und seine Gefährtin in einer monogamen Paarbeziehung leben und mit ihren Kindern eine ‚Familie‘ bilden. Das „Familienleben“ mit der Frau im Zentrum findet an der ‚heimischen Feuerstelle‘ statt. Ergänzend sei hier angemerkt, dass sich die Botschaft, die heterosexuelle, monogame Dauerehe sei die einzige Form der Paarbeziehung des Menschen, in nahezu allen Fachpublikationen findet, in denen etwas zu Beziehungsformen ausgesagt wird. Lediglich vereinzelt wird auch Polygamie in Betracht gezogen; Beispiele für die Erwähnung von Polyandrie oder gleichgeschlechtlichen Beziehungen sind mir keine bekannt. Implizit vermitteln die Texte außerdem, dass die Paarbeziehung stets mit Reproduktion verbunden ist und somit den ersten Schritt zur Gründung einer ‚Familie‘ darstellt, die wiederum die Grundeinheit prähistorischer Gesellschaften bildet. Doch zurück zum Text Massets – und zwar zum Dreh- und Angelpunkt der Argumentation. Dieser besteht in der biologischen Geschlechterdifferenz, speziell in der vorhandenen respektive nicht vorhandenen Gebärfähigkeit. Aus ihr wird abgeleitet, dass es beim Menschen zwei, sich dichotom gegenüberstehende Geschlechter gibt. Aus der Mutterschaft, konkret aus der „lange[n] Abhängigkeit des Kleinkinds von seiner Mutter“, wie Masset an anderer Stelle ausführt (Masset 2005, 105), resultiert denn auch die beschriebene geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, deren bipolare Organisation „uralt“, also urmenschlich ist. Aus der biologischen Differenz der Geschlechter folgt eine spezifische Form der Arbeits- und Rollenteilung. Es wird der Eindruck erweckt, dass sie sich

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zwangsläufig und unausweichlich aus der biologischen Geschlechterdifferenz ergibt und folglich eine anthropologische Konstante darstellt. Mit dem Verweis auf heutige Wildbeutergesellschaften, in denen „überall der uralte Gegensatz zwischen den Tätigkeiten der beiden Geschlechter zu beobachten“ sei (Masset 2005, 105), wird die Behauptung, dass die von Masset beschriebenen Geschlechterverhältnisse historische Invarianten und universal seien, weiter untermauert. Diese Behauptung steht im Widerspruch zu unzähligen Studien der geschichts- und sozialwissenschaftlichen Geschlechterforschung, die zeigen, dass Geschlechterordnungen gerade nicht biologisch vorgegeben sind, sondern soziale Konstruktionen darstellen und sich folglich in höchstem Maße als historisch kontingent erweisen. Wie später noch ausgeführt wird, gilt das auch für das dichotome Geschlechterkonzept. Als Fazit ist festzuhalten, dass die Inhalte dieses Fachtextes sich nicht auf konkrete Forschungsergebnisse beziehen, sondern mit dem Gestus des Selbstverständlichen und des Altbekannten kulturell vermitteltes Vorwissen reproduzieren, indem sie ein ganz spezifisches Geschlechter- und Familienmodell – nämlich das der Bürgerlichen Gesellschaft (siehe unten) – stillschweigend für die Urgeschichte voraussetzen.

Die Bürgerliche Gesellschaft als Analogiemodell und Sinnhorizont in der Prähistorischen Archäologie Diese vermeintlichen Gewissheiten über die Geschlechter- und Familienverhältnisse in urgeschichtlichen Gesellschaften sind in der prähistorischen Forschung verbreitet und noch weitgehend akzeptiert. Und so wird in Analogie zur Bürgerlichen Gesellschaft die biologische Kernfamilie stillschweigend auch

als wirtschaftliche Grundeinheit, d. h. als ein Haushalt betrachtet, dessen Mitglieder unter demselben Dach gemeinsam lebten und wirtschafteten. Die jeweiligen epochenspezifischen architektonischen Grundeinheiten – sei es die Höhle, das Zelt bzw. das Haus – werden so zum Ort der biologischen, sozialen und kulturellen Reproduktion. Besonders offensichtlich sind diese Vorstellungen in der Seeuferarchäologie, wie Sabina Lutz in einer Arbeit zum „Begriff der ‚Familie‘ in der Fachliteratur und populären Publikationen zu neolithischen Seeufersiedlungen auf dem Gebiet der heutigen Schweiz“ (Lutz 2010; 2013) eindrücklich gezeigt hat. Vor dem Hintergrund ihrer Ergebnisse erscheinen die ‚Pfahlbauhäuschen‘ als ‚Einfamilienhäuschen‘, die von ‚gutbürgerlichen‘ Kleinfamilien bewohnt wurden.11 Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei diesen ‚gutbürgerlichen Kleinfamilien‘ in der Urgeschichtsforschung um ein verbreitetes Phänomen, das nicht auf die Seeuferarchäologie beschränkt ist. Die Bürgerliche Gesellschaft mit ihrem spezifischen Geschlechterund Familienmodell stellt in den meisten Publikationen den Sinnhorizont und folglich das implizite Analogiemodell für die sozialen Verhältnisse in der Urgeschichte dar. Um zu erläutern, weshalb das so ist, muss etwas ausgeholt werden: Als sich die Bürgerliche Gesellschaft im 18. und 19. Jahrhundert konstituierte, fand in diesem Rahmen auch eine Neukonzeption von zwei grundlegenden sozialen Institutionen, nämlich des Geschlechterverhältnisses und der Familie, statt. Von zentraler Bedeutung dafür war ein völlig neues Geschlechterkonzept. Bis dahin war in Eu-

11 Neuerdings wird dieses Konzept kritisch hinterfragt, was auf der Tagung „Culture, Climate and Environment. Interactions at Prehistoric Wetland sites“ deutlich wurde, die vom 11. bis 14. Juni 2014 in Bern stattfand (s. auch Gross / Röder in Vorb.).

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ropa das sogenannte Ein-Geschlecht-Modell (Laqueur 1992) verbreitet, welches beinhaltet, dass es nur ein Geschlecht gibt, und die Unterschiede zwischen Männern und Frauen nicht prinzipieller, sondern gradueller Art und damit in gewissem Maß veränderbar sind.12 So ging man davon aus, dass die Geschlechtsorgane von Frauen und Männern grundsätzlich identisch sind, sie bei Männern infolge ihrer ‚Hitze‘ nach außen gestülpt werden, während sie bei Frauen, die weniger ‚Hitze‘ haben, im Körperinnern liegen. Wie stark dieses auf die antike Medizin und Säftelehre zurückgehende Konzept die Wahrnehmung prägte, zeigt eindrücklich eine Zeichnung, die der Anatom Andreas Vesalius 1543 von den weiblichen Geschlechtsorganen anfertigte, die er aufgrund der von ihm durchgeführten Sektionen aus eigener Anschauung kannte: Scheide und Gebärmutterhals sehen wie ein Penis aus, die Schamlippen wie eine Eichel (Schulte-Dornberg 1998, Abb. 2). Im 18. Jahrhundert setzte sich mehr und mehr das sogenannte Zwei-GeschlechterModell durch, das von der ‚natürlichen‘ bzw. biologisch vorgegebenen Existenz von zwei qualitativ verschiedenen Geschlechtern ausgeht. Wie die Geschlechterforscherin Andrea Maihofer ausführt, ist „Zentrales Kennzeichen dieses Geschlechterdiskurses …, dass nun behauptet wird, es gäbe zwei biologisch qualitativ verschiedene Geschlechtskörper, deren Unterschiede … den männlichen und weiblichen Körper im Ganzen betreffen“ (Maihofer 2009, 29). In diesem Konzept sind die Geschlechterunterschiede prinzipiell und folglich unhintergehbar. Aus der biologischen Differenz der Geschlechter werden nun „verschiedene … Fähigkeiten und Eigenschaften von Männern und Frauen sowie ihre unter-

12

Die folgenden Ausführungen stützen sich v. a. auf Schulte-Dornberg 1998, 66–72.

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schiedlichen gesellschaftlichen Rollen und Handlungsmöglichkeiten“ abgeleitet (Maihofer 2009, 29). Für die Geschlechterrolle der Frau wird die Gebärfähigkeit zur Determinante: Diese prädestiniere sie für eine ‚natürliche‘ bzw. ‚biologisch vorgegebene‘ Rolle als Mutter und Gattin (Maihofer 2009, 29–30). Ein weiteres zentrales Element des bürgerlichen Geschlechtermodells ist die Geschlechterhierarchie, die dadurch entsteht, dass der (bürgerliche) Mann mit ‚Mensch‘ schlechthin gleichgesetzt und somit Maßstab und Norm wird. Die Frau wird demgegenüber als das – defizitäre – ‚Andere‘ konzipiert. Die Geschlechterunterschiede werden durchweg komplementär konstruiert und hierarchisch gedeutet. Festgeschrieben wurden die neu definierten Unterschiede mit dem sogenannten Geschlechtscharakter, den die Historikerin Karin Hausen sehr treffend als „ein Gemisch aus Biologie, Bestimmung und Wesen“ beschreibt (Hausen 1976, 367). Ein wichtiges Popularisierungsmedium in der damaligen Zeit waren die in den bürgerlichen Haushalten verbreiteten Lexika. So ist im Brockhaus, dem „Conversationslexikon oder Handwörterbuch für die gebildeten Stände“, von 1815 unter dem Stichwort „Geschlechtscharakter“ zu lesen: „Daher offenbart sich in der Form des Mannes mehr die Idee der Kraft, in der Form des Weibes mehr die Idee der Schönheit. ... Der Geist des Mannes ist mehr schaffend ..., zu Anstrengungen, zur Verarbeitung abstracter Gegenstände, zu weitaussehenden Plänen geneigter; ... Das Weib ist auf einen kleineren Kreis beschränkt, den es aber klarer überschaut; es hat mehr Geduld und Ausdauer in kleinen Arbeiten. Der Mann muss erwerben, das Weib sucht zu erhalten; der Mann mit Gewalt, das Weib mit Güte und List. Jener gehört dem geräuschvollen öffentlichen Leben, diese dem stillen häuslichen Cirkel“ (zitiert nach Hausen 1976). Um es auf den Punkt zu bringen: Das bürgerliche Geschlechtermodell entstand im

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Rahmen der Bürgerlichen Gesellschaft und ist folglich erst rund 250 Jahre alt. Es beinhaltet eine bipolare Konzeption von ‚Geschlecht‘, die mit biologischer Geschlechterdifferenz begründet und als ‚natürlich‘ und ‚ursprünglich‘ präsentiert wird. Damit wird diese soziale Konstruktion naturalisiert und archaisiert, d. h. als ‚natürlich‘, ‚normal‘ und ‚allgemein menschlich‘ bzw. ‚universal‘ dargestellt. Naturalisierung, Archaisierung und Universalisierung sind entscheidende Mechanismen, die – noch heute – zur Legitimation und Reproduktion des bürgerlichen Geschlechtermodells beitragen. Darüber hinaus ist das Modell patriarchal. Es setzt Heterosexualität und Monogamie als Norm und legt ‚Männlichkeit‘ und ‚Weiblichkeit‘ sowie ‚Frauen-‘ und ‚Männerrollen‘ fest. Konstitutiv mit ihm verknüpft ist das bürgerliche Familienmodell, das wie folgt charakterisiert ist: Es umfasst eine biologische Kernfamilie, die auf einer heterosexuellen Dauerehe beruht und nach dem bürgerlichen Geschlechtermodell ausgestaltet ist. Der Mann hat die Rolle des Familienoberhaupts und des Ernährers, die Frau ist Gattin, Hausfrau und Mutter. Aus diesen Rollen ergibt sich eine familiale Arbeitsteilung, bei der der Mann einer Erwerbsarbeit nachgeht, und die Frau sich um die Hausarbeit und Kinderbetreuung kümmert. Die Familie lebt in einem gemeinsamen Haushalt zusammen und bildet eine Wirtschaftseinheit. Die Kinder wachsen ‚beschützt‘ auf, sie werden ‚versorgt‘ – sie sind aber zugleich untergeordnet und abhängig. Bereits im 19. Jahrhundert begann das Bürgertum damit, „sein Ehe- und Familienleitbild als universal … zu postulieren“ (Kaufmann 1995, 23). Und so erstaunt es nicht, dass diese maximal 250 Jahre alten sozialen Konstruktionen – zumindest in westlichen Gesellschaften – noch heute als vermeintliche Grundelemente des menschlichen Zusammenlebens gelten. Als scheinbare ‚Grundstruktur‘ aller Gesellschaften werden das bürgerliche Geschlechter- und

Familienmodell auch in der Prähistorischen Archäologie für die Urgeschichte meist stillschweigend vorausgesetzt. Aus dieser Perspektive werden urgeschichtliche Gesellschaften implizit in einen statischen und vermeintlich ‚weitgehend bekannten‘ und in einen dynamischen, historisch wandelbaren Bereich aufgeteilt: Die Geschlechter- und Familienverhältnisse werden als weitgehend bekannt und statisch wahrgenommen. Als dem historischen Wandel unterworfen und folglich dynamisch gelten hingegen soziale Stratifizierung und politische Organisation. Dies könnte mit eine Erklärung für das bereits erwähnte Phänomen sein, dass sich die Prähistorische Archäologie intensiv um die Rekonstruktion sozialer und politischer Hierarchien bemüht, während sich mit der Frage nach den Geschlechter- und Familienverhältnissen vergleichsweise wenige Kolleginnen und Kollegen befassen. Das ist auch deshalb erstaunlich, weil Geschlechter- und Altershierarchien nicht nur das tagtägliche Zusammenleben strukturieren, sondern zugleich für soziale und politische Hierarchien von grundlegender Bedeutung sind.

Zwischen Reaktualisierung und produktiver Irritation: Geschlechter- und Familienverhältnisse auf archäologischen Lebensbildern Wenn die Geschlechter- und Familienverhältnisse ebenfalls als historisch veränderlich betrachtet und mit der gleichenVerve erforscht würden wie soziale und politische Hierarchien, würden sich vermutlich ganz neue Sichtweisen auf prähistorische Gesellschaften ergeben. In wissenschaftlicher Hinsicht wäre das ein großer Gewinn. Doch abgesehen davon gibt es auch eine gesellschaftspolitische Ebene – und damit eine gesellschaftliche Verantwortung –, mit der wir uns in der Archäologie konfrontieren und zu der wir uns positionieren sollten:

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Wenn die Archäologie auf den meisten ihrer Lebensbilder weiterhin bürgerliche Verhältnisse in urgeschichtlichen Kulissen in Szene setzt, reaktualisiert und reproduziert sie das bürgerliche Geschlechter- und Familienmodell immer wieder aufs Neue als vorgeblich ursprüngliche und universale Lebensform des Menschen. Damit trägt sie zur Persistenz dieser Leitbilder bei. In diesem Zusammenhang könnte man auch die Frage stellen und eine öffentliche Debatte darüber lancieren, ob es nicht absurd ist, sich bei der aktuellen Gestaltung der sozialen Verhältnisse auf scheinbar ‚ursprüngliche‘ und ‚allgemein menschliche‘ Beziehungs- und Familienformen in der Urgeschichte zu beziehen. Meines Erachtens müssen wir das hier und heute aushandeln – und dabei Formen finden, die uns hier und heute entsprechen. Wie – wenn wir es denn überhaupt wüssten! – paläolithische Wildbeutergruppen oder eisenzeitliche bäuerliche Gemeinschaften ihr soziales Leben gestalteten, kann angesichts der gänzlich anderen Lebensbedingungen heute nicht mehr als Referenz und Leitbild dienen. Die Entflechtung von ‚ur-menschlichen Bürgern‘ und ‚bürgerlichen Urmenschen‘ sowie der aus ihr resultierende Rückverweis auf die eigene Gegenwart (Röder 2013; 2014b) könnte auf dem gesellschaftspolitischen Parkett neue Blickwinkel für die aktuellen Diskussionen eröffnen. Umgekehrt scheint es, dass die in der Gesellschaft gerade stattfindende Pluralisierung und Neugestaltung von Geschlechterrollen sowie von Beziehungs- und familialen Lebensformen auch vor der Wissenschaft nicht haltmacht und in der Archäologie neue Dynamiken freisetzt. So fällt auf, dass in den letzten Jahren vereinzelt archäologische Lebensbilder entstehen, die mit den altbekannten Geschlechterstereotypen brechen und dadurch irritieren – beispielsweise ein Sammler (Hodder 1999, Abb. 8_38), ein nähender Mann (Owen 2005, Abb. 26), eine Frau, die Silex schlägt, und eine andere,

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die eine Frauenstatuette schnitzt (Owen 2005, Abb. 35 und 36), eine exotisch-geheimnisvolle Schamanin oder eine durchtrainierte, muskulöse Jägerin (beide Landesmuseum Halle). Ein interessantes Phänomen sind zudem die ‚neuen (Groß-)Väter‘: ein Großvater, der mit seinen drei Enkeln spielt (Owen 2005, Abb. 26), ein ‚Dorfchef ‘ mit einem Kind auf dem Arm13 sowie ein Mann, der einem Kleinkind den Hintern abwischt (Abb. 3). Neben aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen, die sich hier möglicherweise bemerkbar machen, schlägt bei diesen neuen Szenen vermutlich auch der Reflexionsprozess zu Buche, der in den letzten Jahren zu Lebensbildern in Gang gekommen ist. Außer Arbeiten einzelner AutorInnen (u. a. Mainka-Mehling 2008; Sénécheau 2007) haben sich diesem Thema bereits wissenschaftliche Kolloquien (Kaenel / Jud 2002; Fries / Rambuscheck / Schulte-Dornberg 2005) und eine Ausstellung im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen gewidmet14. Jüngstes Beispiel für die Reflexion von Geschlechterrollen auf Lebensbildern und in der Prähistorischen Archäologie allgemein ist die Ausstellung „Ich Mann. Du Frau. Feste Rollen seit Urzeiten?“ im Archäologiemuseum Colombischlössle in Freiburg im Breisgau.15 Wie ist diese neue Entwicklung bei den Lebensbildern zu bewerten? Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass mit Stereotypen gebrochen wird und stattdessen vielfältigere Rollen abgebildet werden. Aber gab es diese ‚neuen Väter‘ auch schon in der Urgeschichte? Und die muskulösen Jägerinnen, die gleich einem Model über den Laufsteg durch die Landschaft

13 Ausstellung „Lebensbilder. Immaginarsi la Preistoria. Überlegungen zum Alltag in der Urgeschichte“ im Südtiroler Archäologiemuseum Bozen 2006. 14 s. Anm. 13. 15 Zur Ausstellung erschien ein gleichnamiges Begleitbuch (Röder 2014a) mit einem Beitrag zu Lebensbildern (Federer 2014).

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Abb. 3: Die ‚neuen Väter‘ sind mittlerweile auch auf Lebensbildern und in Modellen in Museen angekommen. Modell zur neolithischen Siedlung Pfyn-Breitenloo im Museum für Archäologie in Frauenfeld, Kanton Thurgau, Schweiz (D. Steiner, Amt für Archäologie des Kantons Thurgau, www.archaeologie.tg.ch).

schreiten – sind sie vielleicht nur die Projektion eines gerade aktuellen weiblichen Körperideals auf die Urgeschichte? Lebensbilder sind stets eine Gratwanderung zwischen dem Eigenen und dem Vertrauten auf der einen und dem Fremden und Unbekannten auf der anderen Seite. Diesen Aspekt von archäologischen Rekonstruktionszeichnungen hat Tim Kerig sehr plastisch in seinem Aufsatz „Mammuts, !Kung und Hairstylisten – Fremdheit und Nähe in archäologischen Lebensbildern“ (2005) geschildert. Trotz aller Reflexion, die in den letzten Jahren eingesetzt hat, entrinnen wir unserem eigenen Erfahrungshintergrund nicht: Wir spiegeln uns zwangsläufig immer in den Lebensbildern, die wir produzieren. Deshalb repräsentieren sie zu einem großen Teil stets ‚Perspektiven auf das Eigene‘ und schaffen so vermeintliche Vertrautheit mit Menschen, die in der Urgeschichte gelebt haben. Doch selbst wenn die ‚neuen Bilder‘ zunächst nicht mehr als aktualistische Projektionen dar-

stellen sollten, sind sie wichtig und produktiv: Durch die Irritationen, die sie auslösen, wird scheinbar Selbstverständliches plötzlich fragwürdig, und es werden sowohl im Fach als auch in der Öffentlichkeit neue Fragen aufgeworfen. Insofern ist zu hoffen, dass die Irritationen neue Forschungsfragen generieren und neue sozialgeschichtliche Analysen auslösen, die sich den Geschlechter- und Familienverhältnissen widmen. Damit würde ein zentraler Bereich urgeschichtlicher Lebensverhältnisse in den Fokus der Forschung gelangen, der bisher noch wenig Gegenstand empirischer Untersuchungen ist.

Plädoyer für (mehr) Fremdheit Eine wichtige Voraussetzung für die Realisierung dieser Visionen ist, dass sich „Die Archäologen“ aus der – wie auf dem gleichnamigen Gemälde von Giorgio de Chirico themati-

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sierten – selbstvergessenen Betrachtung der eigenen inneren Welt lösen und die Perspektive vom ‚Eigenen‘ auf das ‚Andere‘, auf das ‚Fremde‘, lenken. Dadurch könnte ein neuer, unbefangenerer Blick auf die sozialen Verhältnisse in der Urgeschichte möglich werden.Vor diesem Hintergrund plädiere ich entschieden für (mehr) Fremdheit: Wenn wir uns urgeschichtlichen Lebensverhältnissen annähern möchten, müssen wir die Deutungsmacht des bürgerlichen Geschlechter- und Familienmodells in der Prähistorischen Archäologie reflektieren. Sonst werden wir in der Urgeschichte stets die ‚intakten‘ bürgerlichen Verhältnisse finden, die selbst in der bürgerlichen Gesellschaft in dieser idealisierten Reinform höchstens für einen kleinen Teil der Bevölkerung die Lebensrealität gewesen sein dürften. Stattdessen müssen wir uns auf die Fremdheit der urgeschichtlichen Menschen einlassen und versuchen, diese wahrzunehmen: Es waren keine Menschen wie du und ich. JägerInnen waren garantiert anders – SammlerInnen auch! Bibliographie Boëtsch / Gagnepain 2008 G. Boëtsch / J. Gagnepain (Hrsg.), Du Bigfoot au Yeti, anthropologie de l’imaginaire. Catalogue de l’exposition / Actes du colloque „L’Humain entre réalité et imaginaire“, Quinson le 1er juillet 2007. Quinson: Musée de Préhistoire des Gorges du Verdon 2008. Ducros / Ducros 2000 A. Ducros / J. Ducros (Hrsg.), L’homme préhistorique. Images et imaginaire. Paris: L’Harmattan 2000. Federer 2014 M. Federer, Wer lag in Nebenkammer VI? Fakt und Hypothese im Lebensbild. In: Röder 2014a, 196-199. Fries / Rambuscheck / Schulte-Dornberg 2007 J. E. Fries / U. Rambuscheck / G. Schulte-Dornberg (Hrsg.), Science oder Fiction? Geschlechterrollen in archäologischen Lebensbildern. Bericht der 2. Sitzung der AG Geschlechterforschung wäh-

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Schulbüchern. In: Fries / Rambuscheck / SchulteDornberg 2007, 123–162. Sloterdijk 2006 P. Sloterdijk, Ein Team von Hermaphroditen. Interview. Der Spiegel 2006 / 23, 70–73. Vénus et Caïn 2003 Vénus et Caïn. Figures de la préhistoire 1830– 1930. Catalogue de l’exposition, Bordeaux, musée d’Aquitaine 13 mars–15 juin 2003; Altamira, Museo Nacional y Centro de Investigación 1er juillet–7 septembre 2003; Québec, Musée du Québec, 8 octobre 2003–4 janvier 2004. Coordination éditorale Josette Grandazzi et al. Paris: Editions de la Réunion des musées nationaux 2003. Weltersbach 2007 K. Weltersbach, Homo neanderthalensis und Urmensch: Rekonstruktionen und Lebensbilder. Verhandlungen zu Geschichte und Theorie der Biologie 13, 2007, 55–69.

Manfred K. H. Eggert

Das Rituelle als erkenntnistheoretisches Problem der Archäologie*

„Religion hat es mit dem Nicht-Evidenten zu tun. ... Für Fremde scheint religiöses Handeln darum in der Regel unverständlich, verwirrlich, absurd – was dazu führt, daß man in Prähistorie und Archäologie geneigt ist, Unverstandenes rasch als ‚religiös‘ zu qualifizieren.“ Walter Burkert (1998, 18)

Einleitung: Fremdartiges im Neuen Testament Bereits ein flüchtiger Blick in die vier Evangelien des Neuen Testaments konfrontiert den Leser – Christ oder nicht – mit zahlreichen Phänomenen, die seiner Welterfahrung widersprechen: Es werden darin viele Ereignisse berichtet, die nicht nachvollzogen, sondern nur geglaubt werden können. Eine kleine persönliche Reminiszenz an das Jahr 1976 mag als Beispiel dienen. Damals wollte ich einen Aufsatz mit dem Titel „Jesus Christ and Double Descent“ schreiben. In der sozialethnologischen Terminologie bezeichnet der Begriff double descent oder ‚doppelte Abstammung‘ Gesellschaften, die sowohl durch patrilineare als auch matrilineare Gruppen charakterisiert sind. In erweitertem Verständnis trifft das

auch für Individuen zu, sofern es ihnen – in bestimmten Gesellschaften – freisteht, sich entweder der Abstammungsgruppe der Vateroder der Mutterseite anzuschließen. Seinerzeit ging es mir darum, dass Jesus nach dem Neuen Testament sowohl „des Menschen Sohn“ als auch „Gottes Sohn“ war. Vor allem im Matthäus-Evangelium bezeichnete er sich viele Male selbst auf diese oder jene Weise. Sein sozialer Vater war Joseph, der Zimmermann, aber sein ‚Genitor‘ oder – wenn man es so formulieren will – sein ‚himmlischer Vater‘ war der Heilige Geist. Denn Maria, seine Mutter, war nicht von Joseph, sondern vom Heiligen Geist schwanger geworden, und Joseph „berührte“ sie erst – wie Matthäus 1,25 berichtet –, nachdem sie ihren Sohn geboren hatte. Diesem Sohn gab Joseph auf Geheiß eines Engels des Herrn den Namen ‚Jesus‘.

* Dieser Text basiert auf einem Vortrag, den ich auf Einladung von Tobias L. Kienlin am 16. Mai 2013 in Köln im Rahmen der „Kölner Interdisziplinären Vorlesung Archäologie und Kulturwissenschaften“ gehalten habe. Er wurde für die Veröffentlichung unter weitgehender Wahrung des Redestils überarbeitet und in einigen Teilen gekürzt, in anderen erweitert. Stefanie Samida (Potsdam) danke ich sehr für ihre hilfreiche Kritik einer früheren Version und Dirk Seidensticker (Tübingen / Köln) für die Anfertigung der Abbildungen.

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Manfred K. H. Eggert

Damals erschien es mir sinnvoll, diese im Neuen Testament überlieferte ‚zweiwertige‘ Version der Abstammung Jesu Christi im Lichte sozialethnologischer Kategorien zu beleuchten. Zudem hoffte ich damals, dass sich sodann aus einer vergleichenden religionsethnologischen Perspektive Einsichten ergeben würden, die geeignet wären, das Fremdartige dieser Überlieferung nachvollziehbarer zu machen. Ich erwähne diese Episode aus der Phase meiner wissenschaftlichen ‚Unschuld‘ – der Aufsatz wurde niemals geschrieben – lediglich, um die Dimension der zu erörternden Thematik anzudeuten. Welchen Begriff man auch für bestimmte Phänomene oder einen bestimmten Handlungskontext im Universum der Sinngebungen wählt – ‚Religion‘, ‚Kult‘, ‚Ritus‘ oder ‚Ritual‘ –, es bleibt bei näherem Hinsehen dabei: Das, worüber wir dabei reden oder was uns an konkreten Handlungen gegenübertritt, erscheint uns häufig fremdartig, wenn nicht gar unverständlich. Dazu bedarf es, wie etwa in unserem eigenen religiösen Umfeld das Neue Testament zeigt, nicht einmal des Unvertrauten. Dieser Tatbestand kommt sehr schön in einem Bonmot von Walter Burkert zum Ausdruck, auf das Svend Hansen (2003, 113) verweist. Demzufolge sei es bereits fraglich, ob man seine eigene Religion verstehe, und Hansen fügt in Klammern Burkerts Antwort hinzu: „Ich würde sagen, in der Regel nein“.

Zielsetzung In diesem Beitrag soll es vor allem um ‚Rituelles‘ in der Archäologie gehen. Es ist dafür weder zweckmäßig noch möglich, die Fülle der ‚kultverdächtigen‘ Erscheinungen in irgendeiner Weise zusammenfassend zu charakterisieren. Über die Mannigfaltigkeit der einschlägigen Funde und Befunde unterrichtet eine sehr

große Zahl von Veröffentlichungen; einige von ihnen werden unten zitiert. Die folgenden Ausführungen sind – gemäß dem Rahmenthema der Ringvorlesung – einerseits dem im Motto und in der Einleitung angesprochenen ‚Fremdartigen‘ gewidmet, das jedweder Ritualpraxis eigentümlich ist. Dieses Fremdartige des Rituellen resultiert letztlich immer aus der besonderen Situation des gar nicht oder nur teilweise Initiierten. Es ist für jene, die nicht initiiert sind, in aller Regel unverständlich. Das gilt demgemäß auch für die Archäologie, die ur- und frühgeschichtlichen Kultpraktiken a priori ignorant gegenübersteht und sie zudem meist nur über materielle Quellen zu erfassen vermag. Somit stellt sich in diesem Beitrag andererseits die Frage, ob, anhand welcher Kriterien und inwieweit die Archäologie in der Lage ist, urgeschichtliches Kultverhalten zu erkennen und zu deuten. Es erscheint angebracht, in diesem Kontext auch einen Überblick über den Stand der Diskussion der Ritualthematik in der Archäologie zu geben. Dies wiederum macht einige darüber hinausführende Bemerkungen zur Gesamtproblematik notwendig. Allerdings sollen sich die Überlegungen nicht auf die Charakterisierung der bisherigen archäologischen Bemühungen und auf das Methodologische beschränken. Vielmehr richtet sich der Blick auch auf jüngste ethnoarchäologische und ethnologische Untersuchungen in Westafrika. Ihre Präsentation zielt darauf, wesentliche erkenntnistheoretische Schwierigkeiten im Bereich des Rituellen mit konkreten Beispielen zu illustrieren. Abschließende Darlegungen sollen die verschiedenen Fäden dieses Beitrags zusammenzuführen. Dabei ist angestrebt, die in den Ausführungen unterstellte Fremdartigkeit des Rituellen als erkenntnistheoretisches Problem der Archäologie noch einmal klar zu benennen und zu bewerten.

Das Rituelle als erkenntnistheoretisches Problem

Zum archäologischen Umgang mit Religionszeugnissen Von archäologischer Seite ist über ‚Religion‘ – um das in weiten Teilen recht diffuse Feld einmal mit diesem Schlagwort zu benennen – in den letzten Jahren ungewöhnlich viel geschrieben worden. Das gilt – wie viele Monographien und Sammelbände zeigen – besonders für die anglophone Archäologie.1 Aber auch in der deutschsprachigen Archäologie ist dieser Trend nachweisbar. Hier kann man einerseits auf die seit Jahrzehnten andauernde Interpretation von Deponierungen im Allgemeinen und von speziellen Klassen von Gegenständen im Besonderen verweisen (z. B. Hänsel / Hänsel 1997; Hansen / Neumann / Vachta 2012). Aber auch ‚Opferfunde‘ und ‚Opferkulte‘ sowie ‚Kultstätten‘ oder ‚Heiligtümer‘ verschiedenster Art sind schon lange ein intensiv bearbeitetes Thema. Dies trifft auch für das Phänomen der Flussfunde und die sogenannten ‚Brandopferplätze‘ zu.2 Seit rund zehn Jahren fallen außerdem zunehmend Arbeiten auf, die astronomisch-religionswissenschaftlich orientiert sind. Dabei besteht ein offenkundiger Zusammenhang mit der öffentlichkeitswirksamen Präsention der 1999 von Raubgräbern entdeckten sogenannten ‚Himmelsscheibe von Nebra‘ (hierzu im Einzelnen Samida / Eggert 2013, 58–96). Nur wenige deutschsprachige Arbeiten haben einen systematisch-theoretischen Anspruch.3 So werden etwa die Begriffe ‚Kult‘ und ‚Ritual‘ meist als austauschbar betrach-

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tet, wobei sowohl der eine wie der andere undefiniert bleibt. Gelegentlich lässt sich eine gewisse Bevorzugung von ‚Kult‘ und ‚kultisch‘ feststellen, ohne dass dadurch jedoch auf ‚Ritual‘ und ‚rituell‘ verzichtet würde. Wo immer diese Parallelität praktiziert wird, erwartet man kaum präzise Begriffsbestimmungen. Dies gilt beispielsweise für die Ausführungen von Alfred Haffner (1995b) zum Problemkreis ‚Heiligtümer und Opferkulte der Kelten‘, für die eben diese Begriffsverwendung kennzeichnend ist. Vor allem die Termini ‚Opferkulte‘, ‚Opferbräuche‘, ‚Kultplätze‘, ‚Heiligtümer‘ und ‚Opferplätze‘ kehren in vielen Veröffentlichungen wieder, ohne dass eine systematische Bestimmung versucht würde. Hier könnte man etwa Michael Müller-Willes Opferkulte der Germanen und Slawen von 1999 oder seine Heidnischen Opferplätze im frühgeschichtlichen Europa nördlich der Alpen von 1989 anführen. Bei den meisten dieser Veröffentlichungen handelt es sich – um einen Begriff von Hansen (2003, 115) zu verwenden – um „materialgebundene Untersuchungen“. Auch ein Beitrag von Felix Müller über „Kultplätze und Opferbräuche“ (1993) im sogenannten ‚keltischen Jahrtausend‘ schöpft vor allem aus der Fülle der Phänomene. Entgegen der Regel spricht er aber auch durchaus – wenngleich notwendigerweise sehr knapp – erkenntnistheoretische Grundfragen an, die sich auf die Vielfalt des Begriffsvokabulars im Zusammenhang mit ‚Religion und Kult‘ beziehen. Mit seiner Frage „Wie läßt sich die Spur von etwas auffinden, das man selber gar nicht kennt?“ (ebd. 177) benennt er das Kernproblem. Er meint,

1

Hierzu u. a. Garwood et al. 1991; Bradley 2000; 2005; Insoll 2001; 2004a; 2004b; 2011; Hayden 2003; Barrowclough / Malone 2007; Steadman 2009; Rountree / Morris / Peatfield 2012. 2 Siehe etwa das Standardwerk Jankuhn 1970; ferner Stjernquist 1963; Kirchner 1968; Torbrügge 1970/71; 1996; Opfer-Kolloquium 1983; Müller-Wille 1989; 1999; Haffner 1995a; Kolloquium Kultgeschehen 1996; Weiss 1997; zusammenfassend Eggert 2012, 83–87.

3

Dies steht in einem gewissen Gegensatz zu einem Teil der entsprechenden anglophonen Literatur, insbesondere jener, die nach der Jahrtausendwende erschienen ist; siehe hier vor allem das monumentale, von T. Insoll (2011) herausgegebene Oxford Handbook of the Archaeology of Ritual and Religion.

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Manfred K. H. Eggert

dass für die „theoretische Durchdringung“ dieses Bereichs „die Erarbeitung einer systematischen ‚Phänomenologie des Sakralen‘ von archäologischen Funden und Befunden“ von besonderem Interesse wäre – sie müsse versuchen, durch genaue Analyse von „eindeutig sakralen“ Örtlichkeiten und Fundobjekten Regelmäßigkeiten zu formulieren (ebd.). In seiner Monographie von 2002 über Götter, Gaben, Rituale: Religion in der Frühgeschichte Europas hat Müller erfolgreich versucht, die Grundlage einer solchen Phänomenologie anhand von ausgewählten Entdeckungen und Grabungsbefunden zu entwerfen. Er möchte mit der weitverbreiteten Praxis vor allem intuitiver Ansprache und Deutung brechen, indem er anstrebt, sich potentiellen Erscheinungen ur- und frühgeschichtlicher Religion möglichst argumentativ zu nähern (ebd. 1). Bevor er sich mit der Älteren und Jüngeren Eisenzeit sowie der Bronzezeit Mitteleuropas beschäftigt, widmet er sich daher den Kulturen Griechenlands und Roms: Ihre Ritualpraxis sei mehr oder weniger gut durch schriftliche Zeugnisse erläutert und im Idealfall könne der archäologische Befund direkt mit den historischen Informationen über Sakralorte und die dort vollzogenen Handlungen verglichen werden (ebd. 1–2). In diesem Sinne ist Müllers Argumentation von vornherein und uneingeschränkt retrospektiv ausgerichtet: Er schreitet vom Jüngeren zum Älteren und vom Bekannten zum Unbekannten (ebd. 3). Der griechisch-römische Ausgangspunkt für das von ihm gewählte Verfahren des Analogischen Deutens basiert auf der relativen geographischzeitlichen Nähe zu den ihn interessierenden eisen- und bronzezeitlichen Religionsphänomenen Mitteleuropas (ebd. 12). Wie Titel und Untertitel seines Buches deutlich machen, verwendet auch Müller ‚Ritual‘ und ‚Religion‘ letztlich als austauschbar; daneben spricht er auch häufig von ‚Kult‘ – eine begriffliche Differenzierung lag ihm offenkundig fern. Wie schon andere Autoren

vor ihm, wertet er drei Phänomene als archäologische Indikatoren von Ritualen: Gegenstände treten erstens in ähnlichem Kontext, zweitens in übereinstimmender Kombination und drittens mit gleichen Manipulationen auf. Diese Phänomene prägten – so Müller (ebd.) – „die Form der Überführung der Gaben von dem profanen Lebensbereich in eine sakrale Sphäre“. Wir werden darauf zurückkommen. Im Prinzip ähnlich wie Müller geht Georg Kossack (1996) vor, wenn er Religiöses Denken in Alteuropa vom 8. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr. Geb. untersucht: Er beginnt mit seiner Argumentation in Griechenland, verweilt dann in Italien, um sich schließlich mit einigen wenigen mitteleuropäischen Funden und Befunden zu beschäftigen. Das Licht, das auf die archäologische Überlieferung falle – so stellt er fest (ebd. 32) – werde „um so diffuser, je weiter man nordwärts“ gehe. Die Chance, „Analogien für die Interpretation sakral determinierter Befunde auszunutzen“, vermindere sich „mit wachsender geographischer Entfernung von schriftführenden Kulturen“ (ebd.). Die gleiche Ausgangsbasis findet sich in einer drei Jahre später erschienenen Monographie von Kossack (1999), wobei er sein Netz allerdings sowohl zeitlich als auch inhaltlich und geographisch entschieden weiter ausgeworfen hat. Dennoch, systematisch entwickelte konzeptuelle Darlegungen fehlen vollständig, und theoretische Reflexionen des religionswissenschaftlichen Hintergrundes sind rar. Irritierend ist vor allem die Bedeutung, die er der sogenannten ‚genetischen Erkenntnistheorie‘ des Schweizer Entwicklungspsychologen Jean Piaget beimisst. Präziser gesagt, er hat Piaget vor allem über den britisch-kanadischen Ethnologen Christopher R. Hallpike (1990) rezipiert. Hallpike wiederum hat sich eingehend mit den Piaget’schen Thesen über die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten bei Kindern auseinandergesetzt und Piagets Stadium der Präoperationalen Intelligenz – es soll für Kinder von zwei bis sieben Jahren gelten – auf

Das Rituelle als erkenntnistheoretisches Problem

das sogenannte „primitive Denken“ und „primitive Gesellschaften“ übertragen (zu diesen Begriffen ebd. 9–14).4 Es irritiert, dass Kossack (1999, 7; 189–190) ein so fragwürdiges Konstrukt – die Umwandlung einer universal intendierten Theorie über kognitive Individualentwicklung in eine Theorie über kognitive Phylogenese – ohne jedwede kritische Diskussion übernimmt. Dieses angebliche „naturvölkisch-elementare Denken“ – so behauptet er – sei in der urgeschichtlichen „mediterranen Randzone fortfahrend Grundlage religiöser Schau, vornehmlich im mitteleuropäischen Kulturbereich“ geblieben (ebd. 189).

Aspekte einer Religionsarchäologie Die vorstehenden Ausführungen sollten als skizzenhafter Einblick in den archäologischen Umgang mit Religionszeugnissen dienen. Die folgenden Bemerkungen sind Versuchen gewidmet, die die Thematik ‚Religionsarchäologie‘ aus einer grundsätzlichen Perspektive angehen. Für den deutschen Sprachraum sind hier zunächst einmal bestimmte Beiträge in dem klassischen, von Herbert Jankuhn herausgegebenen Kolloquiumsband Vorgeschichtliche Heiligtümer und Opferplätze in Mittel- und Nordeuropa zu nennen, besonders ein Aufsatz des Religionswissenschaftlers Carsten Colpe (1970). Wenngleich entsprechende Arbeiten von Archäologen verhältnismäßig rar sind, fehlen sie in der deutschsprachigen Literatur doch keineswegs vollständig.5 4

Hallpike schreibt auf seiner Homepage: „Hallpike also made an intensive study of Piaget’s work on how the thinking of children develops, and could see that many of the ideas common in primitive society had close parallels in the thought of children at Piaget’s ‘preoperational’ level of cognitive development.“ (http: // hallpike.com / author.htm [24.01.2014]). 5 Bereits in den frühen 1960er Jahren hat die schwedische Archäologin B. Stjernquist (1963) in einer auf

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In diesem Zusammenhang muss man sich ein Vorhaben in Erinnerung rufen, das 1979 bei der Gründung der in Bonn beheimateten Kommission für Allgemeine und Vergleichende Archäologie des Deutschen Archäologischen Instituts unter ihrem damaligen Ersten Direktor Hermann Müller-Karpe (bis 1986) verfolgt wurde. Er wollte in diesem Rahmen auch eine systematische „Allgemeine und Vergleichende Religionsarchäologie“ ins Leben rufen (Müller-Karpe 1981b).6 Müller-Karpe (ebd. 154) verstand sie als „religionskundlichen Sonderzweig“ der von ihm propagierten „Allgemeinen und Vergleichenden Archäologie“, und er kündigte seinerzeit sogar eine Editionsreihe an, in der systematisch „religionsarchäologische Fundgruppen“ erfasst werden sollten (ebd. 155). Geplant war offenbar ein Korpuswerk wie die Prähistorischen Bronzefunde (PBF), mit dem Müller-Karpe 1964 eine aus dem 19. Jahrhundert stammende Konzeption in die zeitgenössische Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie einführte. Zu einer solchen systematisch angelegten Editionsreihe religionsarchäologischer Funde und Befunde – die wohl allerdings ebenso wie die PBFUnternehmung kaum über den Status der oben genannten materialgebundenen Untersuchungen hinausgewachsen wäre – kam es jedoch nicht; stattdessen wurden in den Jahren 1982 bis 2001 knapp 60 Bände der Reihe Materialien zur Allgemeinen und Vergleichenden Archäologie ediert. Sieht man von Gräbern und

Deutsch geschriebenen Abhandlung die skandinavische Opferfundforschung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts kritisch gewürdigt und versucht, grundlegende Aspekte der Begriffsbestimmung und ‚Theoriebildung‘ herauszuarbeiten. Nur fünf Jahre später legte H. Kirchner (1968) Überlegungen zur selben Thematik vor. Da sie für unseren Zweck unergiebig und zudem weitgehend überholt sind, soll auf eine nähere Betrachtung dieser beiden Beiträge verzichtet werden. 6 Aus offenkundig programmatischen Gründen wurde diese Kommission 2005 in Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen umbenannt.

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Manfred K. H. Eggert

Gräberfeldern ab, ist davon jedoch nur ein einziger Band einer religionsarchäologischen Quellengattung im engeren Sinne – Heiligtümer – gewidmet (Pizchelauri 1984).7 Im Rahmen der Kolloquiumsreihe der Kommission legte Hans-Georg Hüttel (1981) einen programmatischen Beitrag über „Religionsarchäologische Kategorien“ vor. Darin erörtert er differenziert die Spannweite einer Religionsarchäologie vom Begriff ‚Religion‘ (ebd. 162–163) und ihrer „zentralen Kategorie“ des ‚Heiligen‘ (ebd. 164–165) bis hin zu ‚Magie‘ (ebd. 165–166) und dem „Analogieproblem“ (ebd. 167–171). Man wird Hüttel (ebd. 171) zustimmen, wenn er Religionsarchäologie als „Archäologie der religiösen Praxis“ bestimmt.Andererseits ist es irritierend, wenn er „die Religionen der archäologischen Kulturen“, also – wie er auch formuliert – „die Erscheinungsformen religiöser Praxis in den archäologischen Kulturen“ zum religionsarchäologischen Forschungsgegenstand erklärt (ebd. 158). Dabei war es doch auch 1981 eine bekannte Tatsache, wie wenig die sogenannten ‚Archäologischen Kulturen‘ mit der einstigen Lebenswelt zu tun haben.8 Im Übrigen hat Svend Hansen (2003, 134 passim) mit guten Gründen dargelegt, dass Hüttels religionsarchäologischer Ansatz fragwürdig ist, da er mit einem aprioristischen Verständnis dessen operiere, was in archäologischem Kontext religionswissenschaftlich relevant erscheine. Wie Hansen zu Recht betont, dürfen geeignete Kategorien nicht vorausgesetzt, sondern sie müssen entwickelt werden. Müller-Karpes (1981b) Auffassung entsprach

7

H. Müller-Karpe hat sein persönliches Verhältnis zum Glauben und zur Religion in seinem Spätwerk behandelt (zusammenfassend: Müller-Karpe 2006; speziell zu seinem gleichzeitigen Verständnis von Religionsarchäologie: Müller-Karpe 2009). 8 Siehe etwa Eggert 1978 / 2011; zum Problem ‚Kultur‘ und ‚Materielle Kultur‘ zusammenfassend Eggert 2013 und Eggert 2014.

offenkundig der von Hüttel – oder umgekehrt. Darauf deuten jedenfalls seine knappen Bemerkungen hin: In der seinerzeit geplanten Editionsreihe sollten zunächst „religionsarchäologische Fundgruppen“ möglichst „in einheitlicher Form behandelt und dargestellt werden“. Erst danach hätten ihr „religiöser Charakter“ und der Versuch, ihn zu verstehen, zur Diskussion gestanden (ebd. 155–156). Insgesamt findet sich bei Hüttel (1981, 169) eine zurückhaltende Einschätzung des Potentials religionsarchäologischer Deutung; er meint, das sie „in vielem“ nicht über „begründete Vermutungen“ hinauskommen werde. Ähnlich argumentiert Müller-Karpe (1981b, 153), wenn er auf die Schwierigkeit hinweist, aus „gegenständlichen Kulturzeugnissen“ auf „konkret-historische Ausprägungen“ des Religiösen zu schließen. Oft müssten wir uns dabei mit „ganz allgemeinen Bestimmungen“ begnügen, könnten zwar wahrscheinlich machen, dass bei einem bestimmten Befund „ein kultisch-religiöser Aspekt“ beteiligt war, ohne jedoch in der Lage zu sein, letzteren „näherhin zu erhellen“. Hansen (2003, 134, 139) schließlich macht zu Recht auf die Funktionspolyvalenz der meisten Arte- und Topofakte aufmerksam. Daher müsse es häufig offenbleiben, „ob ein Phänomen ‚kultisch‘ oder ‚kulturell‘“ zu deuten sei (ebd. 139–140). Hansens Beitrag über Archäologie zwischen Himmel und Hölle stellt forschungsgeschichtlich und systematisch die bei weitem umfassendste und am besten belegte Auseinandersetzung mit der Thematik ‚Religionsarchäologie‘ dar. Obwohl bereits vor einem Jahrzehnt veröffentlicht, wird er seinen Referenzcharakter voraussichtlich noch für geraume Zeit behalten. Von besonderer Bedeutung erscheint Hansens nachdrücklicher Appell, religionsarchäologisch relevante Quellen könnten nur durch Reflexion religionswissenschaftlicher Forschungsansätze, nicht aber „entlang der Alltagserfahrung der Wissenschaftler“ erschlossen werden (ebd. 140). Religionsarchäologie bewege sich

Das Rituelle als erkenntnistheoretisches Problem

nicht im theoriefreien Raum, sondern besitze mehr oder minder klar herausgearbeitete Anknüpfungspunkte sowohl in Theologie und Philosophie als auch in Soziologie und Ethnologie – all dies müsse bei der Begriffsund Theoriebildung berücksichtigt werden (ebd. 132).

Konzeptuelles zur Religionsthematik aus Sicht der Archäologie Colin Renfrew (1985, 4) hat sich bereits vor rund 30 Jahren kritisch mit unserer Thematik auseinandergesetzt. Er bedauerte seinerzeit das „Fehlen eines konsistenten theoretischen Bezugsrahmens für die Analyse und Interpretation religiöser Phänomene“ in der Archäologie und wählte für seine Monographie über das Heiligtum von Phylakopi auf Melos den Titel The Archaeology of Cult.9 Gut zehn Jahre später fragte Georg Kossack (1996, 32) nach dem „gedanklichen System“ hinter kultverdächtigen Befunden. Ihn interessierte, welche Motivation hinter dem stand, was uns „ins dinglich Faßbare transponiert“ gegenübertritt – eine Frage, die „in den meisten Fällen ohne Antwort“ bleiben müsse. Dennoch meint er, dass „gewisse Grundzüge religiösen Denkens“ durch „kontrastive Untersuchung in Kulturarealen mit abweichendem Sachbesitz“ sichtbar gemacht werden könnten. Hier mag man heute etwa an die Untersuchungen von David Fontijn (2001 / 2002) zu sogenannten „Opferlandschaften“ während der Bronzezeit in den südlichen Niederlanden denken. Allerdings – so betont Kossack (1996, 32) zu Recht –

9

Die Übersetzung aller fremdsprachlichen Zitate stammt von mir. – Später bedauerte Renfrew (2007, 9), diesen Titel gewählt zu haben. Da er nunmehr zwischen ‚Kult‘ und ‚Ritual‘ differenzierte (siehe unten Anm. 13) hielt er jetzt ‚Ritual‘ für angemessener – eine Ansicht, die nur schwer nachzuvollziehen ist.

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beruhten unsere Hypothesen dabei stets auf Axiomen. Der Befund ist offenbar eindeutig: Wir bewegen uns in weitgehend unausgelotetem Gewässer, wenn es um prähistorische Religion geht – hier im weitesten Sinn verstanden. Aus meiner Sicht sind dafür mindestens zwei Gründe entscheidend. Zum einen geht es dabei um grundlegende klassifikatorische Fragen, in die zugleich vitale inhaltliche Aspekte hineinspielen. Zum anderen aber sind unserer Erkenntnis hier jene Grenzen gesetzt, die sich aus der Natur urgeschichtlicher Quellen ergeben: Nur was dem Zahn der Zeit widerstanden und in dieser oder jener materiellen Form überlebt hat, ist unserer Analyse zugänglich. Mit anderen Worten: Alles Nichtmaterielle, das einst für religiöse Glaubenssysteme und religiöse Praktiken besonders relevant war, ist unwiederbringlich dahin. Doch wenden wir uns dem zentralen Problem der Kategorisierung des Religiösen und seiner verschiedenen Facetten zu. Was meinen wir, wenn wir Begriffe wie ‚Religion‘, ‚Kult‘, ‚Ritual‘, ‚Ritus‘ und so weiter verwenden? Selbstverständlich soll es hier nicht über rein definitorische Fragen gehen – das wäre eine unendliche Geschichte. Aber einige allgemeine Bemerkungen, die den Bereich der Archäologie transzendieren, sind notwendig; sie sollen so knapp und pragmatisch wie möglich gehalten werden.

Jenseits der Archäologie Gehen wir zur allgemeinen Orientierung von der Einsicht aus, dass es in der Archäologie an grundlegenden theoretischen Konzepten und Forschungsansätzen zu Fragen urgeschichtlicher Religion mangelt. Aus diesem Dilemma heraus erscheint es vernünftig, die Fachgrenzen zu überschreiten und sich in Nachbarfächern umzusehen, die sich mit den uns interessierenden Konzepten und Forschungsansätzen seit

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Manfred K. H. Eggert

Kult Ritus Ritual

Regelhaftes Verhalten =

t standardisiert tOPSNHFCVOEFO tSFQFUJUJW

=

Praxis

Abb. 1: Kult, Ritus, Ritual (Entwurf Verfasser).

über einhundert Jahren beschäftigen. Hierbei ist vor allem an die Ethnologie, die Soziologie und die Religionswissenschaft zu denken. Die Auseinandersetzung mit dieser Thematik wurde bis auf den heutigen Tag wesentlich von Émile Durkheim mit seinem berühmten, vor gut einhundert Jahren erstmals erschienenen Buch Les formes élémentaires de la vie religieuse (1912) beeinflusst. Als besonders langlebig erwies sich seine Dichotomie ‚heilig – profan‘; sie wird noch heute gern in archäologischem Kontext verwendet. Dichotomien sind zweifellos nützlich als analytische Instrumente, da man mit ihrer Hilfe einen guten Zugang zur empirischen Realität findet. Auf der anderen Seite ist die Realität jedoch entschieden zu komplex, um sie auf der Grundlage von ‚entweder / oder‘-Kategorien verstehen zu können. Vor allem in der Ethnologie ist deutlich geworden, dass dichotomes Denken der gelebten Wirklichkeit nur sehr selten gerecht wird. Dessen ungeachtet benötigen wir Kategorien, wenn sie auch nicht notwendigerweise polar oder binär sein sollten oder gar müssten. Als erstes möchte ich das Konzept von Religion ansprechen. Auch hier sind Durkheims Überlegungen bis heute grundlegend. Seine Definition lautet: „Eine Religion ist ein solidarisches System von Überzeugungen und Praktiken, die sich auf heilige Dinge, d. h.

abgesonderte, verbotene Dinge, Überzeugungen und Praktiken beziehen, die in ein und derselben moralischen Gemeinschaft, die man Kirche nennt, all jene vereint, die ihnen anhängen“ (Durkheim 1912 / 1960, 65).10 Die zentralen Begriffe dieser Definition sind ‚heilig‘ und ‘Kirche‘ – beide haben zu intensiven Diskussionen geführt. Darauf möchte ich jedoch nicht näher eingehen, sondern stattdessen eine knappe Definition von Melford E. Spiro (1968, 96) zitieren. Sie lautet: „Ich definiere ‚Religion‘ als ‚eine Institution, die aus einer kulturgesteuerten Interaktion mit kulturell postulierten übermenschlichen Wesen besteht‘.“11 Im Folgenden sehe ich ‚Kult‘ und ‚Ritual‘12 beziehungsweise ‚Ritus‘ oder ‚das Rituelle‘ als austauschbar an.13 Die Kategorie ‚Kult‘

10 Übersetzung von mir; die Übersetzung der Durkheim’schen Definition in der deutschen Ausgabe (Durkheim 1981, 75) ist – wie manches andere darin – unpräzis. Sehr gut hingegen ist die der englischen Ausgabe (Durkheim 1947, 47). 11 Ohne dass Spiro darauf Bezug nimmt, scheint hier deutlich die „minimale“ Religionsdefinition von E. B.Tylor (1871, 383) durch: „It seems best [...] simply to claim, as a minimum definition of Religion, the belief in Spiritual Beings.“ 12 Für Einführungen in die Thematik ‚Ritual, Ritualdynamik, Ritualtheorien‘ siehe Belliger / Krieger 2013; Brosius / Michaels / Schrode 2013.

Das Rituelle als erkenntnistheoretisches Problem

Religiöse Rituale

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Weltliche Rituale, z. B.

t Verehrung/Anbetung übermenschlicher Wesen



t Bürgerliche/Staatliche Zeremonien (Einweihungsfeiern, Schul- u. Universitätsfeiern, staatliche Gedenkveranstaltungen)

Abb. 2: Religiöse und weltliche Rituale (Entwurf Verfasser).

– und damit eben auch ‚Ritual‘, ‚Ritus‘ und das ‚Rituelle‘ – betrachte ich als regelhaftes Verhalten (beziehungsweise Handlung oder Praktik), das in hohem Maß standardisiert, normengebunden und repetitiv ist (siehe Goody 1961, 158–160; 1977, 27). Daraus folgt, dass dieses Verhalten zunächst und wesentlich in die Sphäre der Praxis, nicht in die des Glaubens fällt. Der Glaube mag eine zusätzliche Dimension der Praxis sein – das hängt davon ab, in welchen Kontext das ritualisierte Verhalten gehört (Abb. 1). Das beträchtliche Spektrum ritualisierter Handlungen lässt sich am ehesten in zwei große Klassen unterteilen, die man mit den Bezeichnungen ‚religiös‘ und ‚weltlich‘ beziehungsweise ‚säkular‘ belegen könnte.14 Paradigmatisch für ein religiöses Ritual wäre in christlichem Zusammenhang etwa der Gottesdienst. Zu den säkularen Ritualen hingegen würde man bürgerliche Zere-

monien privater wie öffentlicher Art zählen. Ich denke dabei unter anderem an Geburtstage, Eheschließungen, Begräbnisse, Einweihungsfeiern, Schul- und Universitätsfeiern, Firmenjubiläen, staatliche Gedenkveranstaltungen und so weiter (Abb. 2). Jedoch zeigt eine nähere Betrachtung auch hier, dass es dabei durchaus zu Unschärfen kommen kann: Kirchliche Heiraten etwa sind im Gegensatz zu solchen, die vor dem Standesamt geschlossen werden, jedenfalls von ihrem Wesen her entscheidend religiös bestimmt; andererseits sind staatliche Jubiläen und Gedenktage bisweilen so stark ideologisch aufgeladen, dass das Adjektiv ‚säkular‘ den wesentlichen Grundzug des Anlasses nicht hinreichend zu bezeichnen scheint. Ein besonders gutes Beispiel hierfür sind die jährlichen Gedenkfeiern anlässlich der sogenannten ‚Großen Sozialistischen Oktoberrevolution‘. Aber auch die ‚Jugendweihe‘ in der frühereren DDR könnte man hier nen-

13

Entsprechend lehne ich auch die einst relevante Polarität von ‚Religion‘ und ‚Magie‘ (oder ‚Aberglauben‘) ab. Zur Problematik des Konzepts ‚Religion‘ siehe etwa Spiro (1968) sowie die knappen Ausführungen bei Schmidt (2008, bes. 9–12). – Eine andere Auffassung von ‚Kult‘ und ‚Ritual‘ vertritt Renfrew (2007, 8–9), für den ‚Kult‘ immer einen religiösen Kontext hat, während er ‚Ritual‘ umfassender als „Wiederholung konventioneller expressiver Handlung“ definiert, die

eben nicht von vornherein eine religiöse Motivation impliziere. Um sein Fazit wörtlich zu zitieren: „It does seem to be a safe generalisation ... that all cult involves ritual. All religious performance certainly involves ritual. But, conversely, not all ritual involves cult“ (ebd. 9). 14 Siehe in diesem Zusammenhang auch die hier von mir nicht thematisierten Begriffe ‚Ritualdinge‘ und ‚Religiöse Dinge‘: Bräunlein 2014; Cress 2014.

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nen. Sie sollte ja die ‚Firmung‘ der römischkatholischen und die ‚Konfirmation‘ der protestantischen Kirche ersetzen und verkörpert in dieser Genese gleichsam ihren ‚transsäkularen‘ Charakter.15 Sicher liegt in solchen Fällen kein Glaube an übermenschliche Wesen vor, so dass im Sinne unserer Definition – die der von Spiro folgt – nicht von ‚religiös‘ die Rede sein kann.16 Das Religiöse stellt die Archäologie vor ein Problem besonderer Art. Es liegt darin, ihr zentrales Kriterium in den materiellen Hinterlassenschaften der ur- und frühgeschichtlichen Vergangenheit zu erkennen. Denn die von Spiro und anderen Autoren als conditio sine qua non geforderten superhuman beings oder – mit Renfrew (2007, 9) – trancendental or supernatural forces – werden in ihnen jedenfalls nicht gespiegelt. Einige interessante Rituale hat Horace Miner in seinem klassischen Bericht aus dem Jahre 1956 über Body Ritual among the Nacirema beschrieben. Miners erkenntnistheoretisches Anliegen lebt von der Ironie, in die er es gekleidet hat. Denn ‚Nacirema‘ ist ein Anagramm oder, genauer, ein Palindrom, das – von hinten gelesen – ‚Amerika‘ ergibt. Und bei dem „body“ oder „bath room ritual“ handelt es sich um hygienische Allerweltsprozeduren in U.S.-amerikanischen Badezimmern der 1950er Jahre. Miners Aufsatz ist also sowohl eine Parodie als auch eine Art Vexierspiegel, der die Doppel- beziehungsweise Mehrdeutigkeit von Kategorien illustriert: Das, was von einem Standpunkt als weltlich erscheint, mag

von einem anderen als religiös wahrgenommen werden.17 Gleichzeitig verweist der Aufsatz auf das grundlegende epistemologische Problem, mit dem jeder Ethnograph konfrontiert ist, wenn er von einer bestimmten Praxis auf das dahinterstehende Glaubenssystems schließen möchte. Miners „Body Ritual“ soll daher dazu dienen, eine wichtige Differenzierung zwischen zwei Blickwinkeln oder Referenzrahmen vorzunehmen: dem des Handelnden und dem des Beobachters.18 In der ethnologischen Fachterminologie spricht man dabei bekanntlich von der ‚emischen‘ und der ‚etischen‘ Perspektive (Abb. 3). Jeder erfahrene Ethnograph ist sich über die kleineren und größeren Probleme im Klaren, die sich in einer Situation negativ auswirken können, in der er – wenn ich mich einmal so ausdrücken darf – ‚seinen Akteuren‘19 von Angesicht zu Angesicht gegenübertritt: Es ist selbst in einer ethnographischen Feldforschungssituation offenkundig schwierig, adäquat nachzuvollziehen, was das ‚handelnde‘ Gegenüber tut, denkt, glaubt und so weiter. Die ethnographisch-ethnologische Literatur ist voll von Missverständnissen, die diese Thematik illustrieren.

Archäologie und rituelle Praxis Bei der Übertragung der Differenzierung zwischen Handelnden und Beobachter auf die Archäologie ergibt sich die Schwierigkeit, dass unsere Akteure schon sehr lange tot sind. Dem Beobachter, also dem Archäologen, bleiben nur die materiellen Hinterlassenschaften

15

Das Beispiel der Jugendweihe verdanke ich S. Samida. 16 Spiro (1968, 95–96) hingegen würde hier den Begriff ‚heilig‘ wählen, da er ihn nicht notwendigerweise mit Religion verknüpft, sondern auch auf Phänomene anwendet, die für die betreffende Gemeinschaft von höchster Bedeutung (of ultimate concern) sind. Solche Rituale wären demzufolge zwar nicht ‚profan‘, gehörten aber nicht in den Bereich der Religion.

17 Zu säkularen Ritualen siehe den Sammelband von Moore / Myerhoff 1977. 18 Hierzu im Kontext von Religion und Ritual Goody 1961, 148–149; 152–156; 159–160. 19 Dass er in einer solchen Situation selbst Akteur ist, versteht sich von selbst.

Das Rituelle als erkenntnistheoretisches Problem

Universum des Handelnden = Referenzrahmen des Handelnden = Emische Dimension

Interaktionssphäre

265

Universum des Beobachters = Referenzrahmen des Beobachters = Etische Dimension

Abb. 3: Empirische Kulturwissenschaften: Handelnder versus Beobachtender (Entwurf Verfasser).

Universum des Handelnden = Referenzrahmen des Handelnden = Emische Dimension

Materieller Niederschlag & Archäologische Interpretation

Universum des Archäologen = Referenzrahmen des Archäologen = Etische Dimension

Abb. 4: Archäologie:Vergangene Handlung versus gegenwärtige Analyse / Deutung (Entwurf Verfasser).

und Spuren, die intentionell und – weit häufiger – nicht-intentionell von jenen Menschen überliefert sind, die die betreffenden Artefakte und Strukturen einst hergestellt und genutzt haben (Abb. 4). Wenn es also für den Ethnologen schon schwierig ist, das emische Universum der Leute herauszuarbeiten, mit denen er sich befasst, gilt dies in einem weit größeren Maß für den Archäologen. Andererseits gibt es in der Archäologie einige Kriterien und Verfahren, die sich bei der Herausarbeitung von säkular-rituellen und religiös-rituellen Befunden und Objekten als nützlich erwiesen haben. Allerdings wird es selbst bei jenen Befunden, die am ehesten

in den religiös-rituellen Bereich zu gehören scheinen, in den meisten Fällen nicht möglich sein, herauszufinden, worum es bei der konkreten Kultpraxis im Einzelnen ging, geschweige denn, welches Glaubenssystem dahinterstand. Wie bereits gesagt, ist es im Allgemeinen sogar problematisch, Durkheims Dichotomie des Sakralen und Profanen – diese „universelle ‚Dualität der zwei Königreiche‘“, wie der britische Soziologe Jack Goody (1961, 149) sie einmal nannte – wiederfinden zu wollen. Das gilt durchaus auch für unsere Differenzierung, die ja etisch und nicht emisch ist. In der Archäologie haben wir es bekanntlich meist mit ‚Oberflächen‘-Phänomenen zu tun, und

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nur selten gelingt es uns, einen Blick auf das zu erhaschen, was hinter der fragmentierten äußeren Erscheinung einer längst entschwundenen Vergangenheit liegt. Als Archäologen geht es uns also um Kriterien, die uns möglicherweise in die Lage versetzen, überhaupt eine urgeschichtliche rituelle Sphäre zu erkennen und damit auch religiöse Riten oder Kulte. Von besonderer Bedeutung sind hierbei einerseits der gesamte Habitus einer bestimmten, möglicherweise mit kultischen Praktiken in Verbindung zu bringenden Lokalität und andererseits die Art und eventuelle Charakteristika der Befunde. 20 So stehen etwa entlegene Bergregionen, Höhe und Pässe, Felstürme sowie Felsspalten, Höhlen, Moore, Seen, Flüsse und Quellen unter – sit venia verbo – ‚Ritualverdacht‘, wenn sie denn ein charakteristisches Spektrum archäologischen Materials aufweisen. Hier mag man etwa an Schichten von zerscherbter Keramik, von zerbrochenen und verbrannten Tier- oder vielleicht auch Menschenknochen sowie an zerbrochene oder verbogene Metallobjekte denken. Eine gegebene Örtlichkeit mag also durch ihre bemerkenswerte Topographie einen Hinweis auf ihre potentielle rituelle Funktion liefern, vorausgesetzt, dass sich dafür dann unterstützende archäologische Indizien finden. Damit ist jedoch nicht die Gefahr gebannt, einen an sich unspektakulären und unspezifischen archäologischen Befund aufgrund der topographischen Situation als rituell determiniert zu interpretieren. Der Gesamtrahmen, in dem wir uns hier bewegen, ist von dem Religionswissenschaft-

20 Hierzu im Einzelnen Eggert 2012, 83–85; 2011 / 2003; ferner Renfrew 1985, 14–16; 18–21; 24–26. 21 Eliade (1976, 34 –35) spricht von einer „Dialektik der Hierophanien“ und der „Ambivalenz des Sakralen“ (ebd. 37, 40–41; 435–436).

ler Carsten Colpe (1970, 29) unter Bezug auf Mircea Eliade als „Dialektik des Heiligen“ bezeichnet worden: alles, sogar ein Felsen oder ein Baum, könne eine „Chiffre des Heiligen“ sein.21 Über die Analyse von Mythen, die mit ‚heiligen Stätten‘ verknüpft sind, destillierte Colpe jedoch drei Indizien heraus, die er als „rituelles Urgerüst“ bezeichnete. Dabei handelt es sich erstens um die Kategorie der Wiederholung, zweitens um die Kategorie der Entdeckung und drittens um die Kategorie der Außergewöhnlichkeit (Colpe 1970, 31–36; hierzu Eggert 2012, 85–87). Zwei davon, die Kategorie der Wiederholung und die der Außergewöhnlichkeit, sind relevant für die Archäologie. Die Außergewöhnlichkeit von ritualverdächtigen Stätten wurde bereits knapp kommentiert.Was die Kategorie der Wiederholung angeht, hängt sie offensichtlich mit dem archäologischen Befund, konkret der Deponierungssituation im Bereich des ungewöhnlichen oder auffälligen Platzes zusammen. Michael Müller-Wille (1989, 7; 14) hat im Rahmen der Opferplatzdiskussion auf einen Aspekt aufmerksam gemacht, der bereits beiläufig im Zusammenhang mit Deponierungen an potentiellen rituellen Stätten erwähnt worden ist. Dabei geht es um das absichtliche Zerbrechen, Verbiegen, Verdrehen und Zusammenfalten, kurz das gezielte Unbrauchbarmachen von Gegenständen, vorzüglich von Metallobjekten, vor ihrer Deponierung. Solche Beobachtungen ließen sich unter der Bezeichnung Kriterium der Intentionalität zusammenfassen. Damit hätten wir ein weiteres Kriterium gewonnen, das bei der Identifizierung ritueller Plätze und Aktivitäten in Verbindung mit den anderen Kriterien Erfolg verspricht (Abb. 5).22

22

Hier sei noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir dazu tendieren, die aufgelisteten Kriterien als Indikatoren für religiöse Rituale zu interpretieren. Tatsächlich lassen sich auf dieser Basis jedoch säkulare Ritualhandlungen – etwa sozialpolitisch motivierte

Das Rituelle als erkenntnistheoretisches Problem

Gesamthabitus

Lokalität

267

Archäologischer Kontext

Kriterium des archäologischen Materials Kriterium der Topographie/ Außergewöhnlichkeit, z. B. t Abgelegene Berggegenden t Höhen, Pässe, Felstürme, Höhlen t Moore, Seen, Flüsse, Quellen t Kleine Inseln

t z. B. Scherbenpackungen, Knochenschichten, Metallobjekte

Kriterium der Intentionalität t z. B. Indikatoren für intentionelle Beschädigung oder Zerstörung deponierter Objekte

Kriterium der Wiederholung

Abb. 5: Kriterien zur Ansprache potentieller Ritualplätze und Ritualaktivitäten (Entwurf Verfasser).

Liegt somit ein ganzes Bündel von Kriterien zur Ansprache von potentiellen Ritualplätzen vor, bedeutet dies doch nicht, dass in jenen Fällen, in denen diese Kriterien versagen, keine Kulttätigkeit stattgefunden hat. Vielmehr folgt aus der Eliade’schen „Ambivalenz des Sakralen“, dass Kulthandlungen an jeder – aus unserer Sicht – beliebigen Lokalität praktiziert worden sein können. Unsere Kriterien – gegebenenfalls einschließlich das eines etwaigen materiellen Niederschlags, der ja von der Art solcher Handlungen abhängt – würden dann einfach versagen.

schen Kolonie Gold Coast – von 1934 bis 1937 rund zweieinhalb Jahre lang unter den Tallensi gelebt und geforscht. Dabei setzte er sich auch mit einer Grabstätte an einem Gehöft in Tongo in der Nähe der Tong-Berge (Abb. 6) auseinander, die einem gewissen Mosuor, dem Gründungsahnen eines bestimmten Klans der Tallensi, zugeschrieben wurde.23 Es handelte sich dabei um einen unregelmäßigen flachen Haufen großer Steine unter einem enormen Affenbrotbaum (Adansonia digitata), der für die Leute von Tongo Mosuor repräsentierte. Die dem Grab zugewandte Seite des mächtigen Stammes zeigte schmutzige Schlieren getrock-

Schreine in Westafrika Im Anschluss an diese methodologischen Bemerkungen möchte ich nunmehr einige Beispiele aus Westafrika anführen. Der britischsüdafrikanische Sozialanthropologe Meyer Fortes (1945 / 1969) hat in Ghana – und zwar in den damaligen Northern Territories der briti-

Zusammentreffen mit entsprechenden Gelagen und dergleichen – häufig nicht ausschließen. 23 Auf diese Schilderung von Fortes bin ich bereits in einem ähnlichen Zusammenhang eingegangen (Eggert 2003 / 2011). – Zur Lokalisierung der Feldarbeit von Fortes siehe Insoll / MacLean / Kankpeyeng 2013b, 22 mit Abb. 1.1 auf S. 14. Im Gegensatz zu Fortes bezeichnen diese Autoren die Bevölkerung als „Talensi“.

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Weißer Vol t

Schwarzer Volta

BURKINA FASO

a

Tongo

TOGO ELFENBEINKÜSTE

GHANA

Accra 0

100

200 km

Abb. 6: Lokalisierung von Tongo und Arbeitsgebiet von C. Lentz am Schwarzen Volta (Rechteck) (Entwurf D. Seidensticker nach Insoll / MacLean / Kankpeyeng 2013b, 14 Abb. 1.1, und Lentz 2009, 123 Abb.).

Das Rituelle als erkenntnistheoretisches Problem

Schreine Schreine für das persönl. Schicksal andere Schreine für die väterl. Vorfahren Schreine für die mütterl. Vorfahren Schreine für die Geister der Wildnis Summe

269

Anzahl

%

454 373 335 204 263 1629

27,9 % 22,9 % 20,6 % 12,5 % 16,1 % 100,0 %

Tab. 1: Schreine in Nordostghana (korrigiert nach Mather 2009, 101 Tab. 1).

neten Blutes und mehlhaltigen Wassers – Spuren der regelmäßig vollzogenen Opferungen für Mosuor und für andere Gründungsahnen. Fortes (ebd. 219) betonte, dass dieser als Landmarke weithin sichtbare Affenbrotbaum für die Leute von Tonga heilig, ein Schrein – ein b ghar – sei. Und doch handele es sich für sie gleichzeitig auch nur um einen ganz gewöhnlichen Baum, der als Schattenspender für alte Männer und Kleinkinder diene, während ältere Kinder darunter spielten oder in seinem Astwerk herumkletterten und schaukelten. Die rituelle Bedeutung dieses Baumes spiele nur bei einem entsprechenden Anlass eine Rolle. Alte Baobab-Bäume sind in Westafrika allgegenwärtig. Dieser bestimmte Baum in Tongo verkörperte einen in der mündlichen Überlieferung in den 1930er Jahren immer noch sehr präsenten Klangründer, dem an dieser Stelle regelmäßig geopfert wurde. Dieser Baobab illustriert aufs beste Colpes (1970) Wort, dass das ‚Heilige‘ keiner besonderen Erscheinungsform bedürfe – es konstitutiert sich allein aus dem sozialen Kontext. Anschaulicher hätte die ethnographische Grunderfahrung von Religion kaum zum Ausdruck gebracht werden können. In Westafrika und im nordwestlichen Zentralafrika – und nicht nur dort – sind Schreine und die mit ihnen verbundenen Kultaktivitäten für die Bevölkerung bis heute ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebens. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass ihre Bedeutung – wie

Judith Sterner und Nicholas David (2009, 2, 4) am Beispiel der Mandara-Berge im nördlichen Kamerun und angrenzenden nordöstlichen Nigeria feststellen – durch den Einfluss des Islams und des Christentums verstärkt seit dem späten 20. Jahrhundert erheblich zurückgegangen ist. Die Schreine sind vielfältigster Art. In Nordostghana etwa reicht das zeitgenössische Spektrum von Erd- über Ahnenund Gemeindeschreinen bis zu Schreinen für einzelne Haushalte, Individuen und Naturgeister. Die Funktionen überlappen sich teilweise und sind zudem häufig nicht klar auseinanderzuhalten. Über Schreine und damit verbundene Kultpraktiken im nördlichen Ghana sind wir durch ethnoarchäologisch ausgerichtete Arbeiten von Charles Mather (2003; 2009) und besonders von Timothy Insoll (Insoll /Kankpeyeng / MacLean 2009;umfassend Insoll /MacLean / Kankpeyeng 2013a) vorzüglich unterrichtet. Mather (2009, 100) hat während der ethnoarchäologischen Feldarbeit für seine Dissertation rund 1600 Schreine erfasst und ursprünglich in mehr als 100 Typen untergliedert; daraus bildete er dann fünf Gruppen (Tab. 1).24

24 Mather (2009) hat diese Gruppen knapp charakterisiert (ebd. 101–104). Die ursprüngliche Untergliederung führte er 1999 in seiner unveröffentlichten Dissertation an der University of Calgary aus. Daran haben sich Sterner und David (2009, 6) in ihrer eigenen Klassifikation von Schreinen in den Mandara-Bergen orientiert.

c

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Im Folgenden möchte ich mich auf einige Bemerkungen zu Schreinen – besonders zu Ahnen- und Erdschreinen – in Nordghana und dem angrenzenden Burkina Faso beschränken. Ahnen und damit ihre Verehrung spielen im gesamten subsaharischen Raum eine wichtige Rolle. Hingegen ist die Erde im Sinne des Bodens, auf dem und von dem man lebt, vor allem im sogenannten ‚Sudangürtel‘ von Bedeutung. Dies gilt daher auch für die mit ihr verbundenen Rituale. ‚Sudan‘ bezeichnet dabei nicht den heutigen Staat, sondern das Gebiet zwischen Senegal im Westen und Äthiopien im Osten, wobei bantu-sprechende Bevölkerungen die südliche Grenze bilden (Zwernemann 1968, 1). Unter einem ‚Schrein‘ verstehe ich einerseits etwas Gegenständliches – ein oder mehrere wie auch immer geformte Objekte oder auch etwas Naturgegebenes – und andererseits auch den Ort, an dem sich diese Objekte befinden. Für das „Voltagebiet“ – im Wesentlichen Burkina Faso und Guinea – nennt Jürgen Zwernemann (ebd. 189) als Erdheiligtümer „markante Berge oder Hügel, Gewässer, Haine, Felsgruppen, Baumgruppen und Bäume, außerdem Steinhaufen“, wobei „heilige Haine“ zu den „auffälligsten Kultplätzen“ zählten. Zu einem Erdschrein gehört als Priester der sogenannte ‚Eigner der Erde‘ oder ‚Erdherr‘. Mather (2009, 101) beschreibt Schreine der Kusasi in Nordostghana als ein oder mehrere Objekte, gewöhnlich Steine (darunter bisweilen auch Mahlsteine), Bäume und keramische Gefäße. Häufig gehören auch Paraphernalia dazu, vor allem Tierhörner, Tierschwänze, Kalebassen und eiserne Gegenstände wie etwa Armringe. Man bringt an ihnen Tieropfer und Trankspenden für übernatürliche Wesen dar (ebd.). Diese Wesen können Ahnen, Erd- und Naturgeister oder andere Mächte sein, die zu pflegen oder zu besänftigen zweckmäßig erscheint. Ahnen- und Erdschreine in Westafrika weisen eine große topographische Vielfalt auf. Es

ist unmöglich, Kriterien zu benennen, mit deren Hilfe die einen von den anderen klar abzugrenzen wären. Sehr häufig fehlen dabei jene Charakteristika, die oben gleichsam idealtypisch als topographischer Habitus von potentiellen Kultlokalitäten aufgelistet worden sind. Dies gilt im Übrigen auch für jene Schreine, die weder den Geistern der Ahnen noch der Erde, sondern anderen übernatürlichenWesen gewidmet sind. Auch die Objekte, die dort nach dem Kultvollzug zurückbleiben beziehungsweise deponiert werden, unterliegen keiner bestimmten Regel. Federn, Köpfe und gelegentlich auch andere Körperteile von geopfertem Federvieh finden sich zwar ebenso häufig wie Knochen von geopferten Vierbeinern und meist mehr oder weniger stark zerscherbte Keramik, aber auch hier lässt sich kein System ausmachen (siehe Insoll / Kankpeyeng / MacLean 2013; Mather 1999; 2009). Je nach den allgemeinen und besonderen taphonomischen Besonderheiten ist die archäologische ‚Sichtbarkeit‘ der damit verknüpften Ritualpraxis sehr stark eingeschränkt, sofern überhaupt vorhanden. Wie gering die Chancen archäologischer Erkennbarkeit und Überlieferung sind, haben Insoll, Benjamin Kankpeyeng und Rachel MacLean (2013, 88–91) am Beispiel des Boardaam-Festes, einem der beiden zentralen Feste des Ritualjahres der Tallensi, aufgezeigt. Es handelt sich dabei um ein Erntedankfest, das vom Ahnenkult dominiert wird (Insoll / MacLean / Kankpeyeng 2013b, 21). Wie die Autoren einräumen, wird von der mit diesem Fest verknüpften komplexen Ritualpraxis, die sie Ende Oktober 2008 beobachteten, keinerlei archäologische Spur bleiben (Insoll / Kankpeyeng / MacLean 2013, 91). Dies trifft nicht nur für dieses Erntefest, sondern auch für andere rituelle Kontexte zu, in denen das Fleisch geopferter Tiere nach der Opferung verteilt und verzehrt wird, so dass auch heutzutage nur wenig Tierknochen übrigbleiben (Insoll 2013, 186–187). Die Konsequenzen aus

Das Rituelle als erkenntnistheoretisches Problem

einer entsprechenden Ritualpraxis in ur- und frühgeschichtlicher Zeit liegen auf der Hand.25 Mehr noch, Insoll, Kankpeyeng und MacLean (2013, 91) fügen ihrer ethnoarchäologisch inspirierten Feldforschung eine wichtige Aussage zur Tragfähigkeit ihrer ethnographischen Beobachtungen hinzu: Es sei wahrscheinlich, dass ihnen hinsichtlich der Tallensi-Schreine „nur die Oberfläche der Bedeutung ritueller Praktiken“ zugänglich gewesen sei (ebd.). Ähnlich wie bei den Schreinen der Kusasi lässt sich auch die Komplexität der TallensiSchreine nicht in einer hieb- und stichfesten Klassifikation abbilden. Insoll, Kankpeyeng und MacLean (ebd. 54) zufolge wäre es sinnlos, alle Schreinformen der Tallensi erfassen und in Typen gliedern zu wollen – damit würde man lediglich eine Momentaufnahme wiedergeben und dem so gewonnenen Bild den Status eines zeitlosen Befundes zuordnen. Tatsächlich aber sei festzustellen, dass sich die Funktion und Bedeutung von Schreinen im Laufe der Zeit ändern könne. Ein Schrein – so die drei Autoren (ebd. 55) – mag nicht nur aus sich wandelnden Funktionen und Komponenten bestehen, sondern zugleich mehrere Funktionen besitzen.

Zur soziopolitischen Funktion von Schreinen in Westafrika In Westafrika kommt Schreinen und den mit ihnen verbundenen Ritualpraktiken nicht nur eine religiöse Funktion im engeren Sinne zu. Vielmehr haben sie auch – wie Insoll, Kankpeyeng und MacLean (2013, 54) betonen – eine historische, politische und wirtschaftliche

25

In den Worten von Insoll (2013, 186) mit Bezug auf das Boardaam-Fest: „Hence the archaeology of animal sacrifice could potentially be materially negative, even if the practice was both frequent and significant, as here.“

271

Bedeutung. Da diese Dimensionen einem steten, wenngleich unterschiedlich schnellem Wandel unterliegen, repräsentieren Schreine nicht nur auf kultischem Gebiet, sondern auch hier dynamische Größen. Dies soll abschließend am Beispiel von Erdschreinen im Bereich des Schwarzen Volta im südwestlichen Burkina Faso und nordwestlichen Ghana erörtert werden (Abb. 6). Wird eine ethnische Gruppe in einem bestimmten Gebiet mit den Erstankömmlingen gleichgesetzt oder versteht sie es, diese Auffassung im Laufe der Zeit durch Umdeutung entgegenstehender Traditionen zu etablieren, leitet sie daraus den Anspruch auf Landrechte ab. Man unterstellt, wie Carola Lentz (2009, 122) formuliert, dass diese Gruppe eine besondere Beziehung zu den Geistern des Landes hergestellt und dadurch eine entscheidende Rolle bei der Erschließung von zuvor ‚wildem‘ Land für Siedlungen und Feldbau gespielt habe. Um die Fruchtbarkeit des Bodens und die Wohlfahrt der Gruppe sicherzustellen, errichten Erstsiedler Schreine für den Erdgott und andere übernatürliche Wesen. Andererseits wird der Anspruch auf die Zuständigkeit für einen Erdschrein mit dem Anspruch gleichgesetzt, die entsprechende Gruppe repräsentiere die Erstankömmlinge. Aus diesem Grunde pflegen der Ursprung und die Entwicklung eines Schreins sowie die daraus abgeleiteten Rechte Gegenstand intensiver Debatten zu sein (ebd.). Lentz (2009) hat sich unter anderem mit den Dagara26 auseinandergesetzt. Diese Gruppe gehört im Gebiet des Schwarzen Volta des südwest-burkinischen und nordwest-ghanaischen Raums im Gegensatz zu den Sisala und Phuo

26 Zum Problem der linguistisch-ethnischen Bestimmung des Begriffs ‚Dagara‘ siehe Lentz (2009, 147 Anm. 1). Ich verwende ihn hier als Kurzformel im Sinne einer ethnischen Einheit. Das Gleiche gilt für die Bezeichnung ‚Sisala‘ und ‚Phuo‘.

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nicht zu den Erstsiedlern. Dennoch hat sie es – urteilt man auf der Grundlage der mündlichen Überlieferung – in den vergangenen rund zweihundert Jahren verstanden, nicht nur in zuvor unbesiedeltes Gebiet, sondern auch in das anderer Gruppen, vor allem eben der Sisala und Phuo27, zu expandieren und sich dort zu etablieren (ebd. 122–129). Lentz (ebd.) hat in ihrem Forschungsgebiet zahlreiche mündliche Überlieferungen aufgenommen, die den üblichen Einschränkungen dieser Quellengattung unterliegen: Sowohl die Interessenlage der Befragten als auch Prozesse wie etwa das ‚Teleskopieren‘ von Vorfahren, Stationen des Wanderwegs und Ereignissen führen zu Aussagen, die oft nicht nur widersprüchlich sind, sondern auch mannigfach verzerrt erscheinen. Es handelt sich bei oralen Traditionen eben – wie Lentz und Hans-Jürgen Sturm (2004, 405) treffend formulieren – um „ein hochgradig interessebesetztes Feld“. Lentz (2009) geht es besonders um die politisch-rituelle Rolle von Erdschreinen bei den Dagara und Sisala. Im Gegensatz zu Letzteren sind die Dagara bis heute relativ mobil. Sie verfügen über ein hierarchisches Verständnis ihrer Erdschreine, dass es ihnen erlaubt, aus einem ‚Mutterschrein‘ gleichsam ‚Kinder‘ oder ‚Ableger‘ entstehen zu lassen. Ein Erdschrein besteht bei ihnen meist aus einem Baum und einem darunter vergrabenen Stein. Dieser Stein kann nicht nur in einem Beutel zur Gründung eines neuen Erdschreins an einen anderen Ort verbracht werden, sondern man glaubt zudem, dass jeder beliebige Stein im unmittelbaren Umfeld des Schreins dessen rituelle Kraft aufnimmt und damit die Gründung eines neuen Schreins an einer neuen Lokalität ermöglicht (ebd. 126). Auf der anderen Seite räumen die Dagara aber ein, Erd-

27

Die Phuo lasse ich – da sie auch in den Darlegungen von Lentz nur eine nachgeordnete Rolle spielen – im Folgenden unberücksichtigt.

schreine auch von den Sisala erworben und sich damit dann jeweils – zumindest für eine bestimmte Zeit – unter die rituelle Jurisdiktion der Sisala begeben zu haben (ebd. 124, 134) – ganz im Gegensatz zu den Sisala, die niemals in Erwägung ziehen würden, Erdschreine von einer anderen Gruppe bekommen oder gar erworben zu haben (ebd. 132). Erdschreine – so unscheinbar sie sich in der ‚phänomenalen Sicht‘ der Archäologie ausnehmen – sind im Gebiet des Schwarzen Volta und darüber hinaus in ritueller Hinsicht der Garant für das Wohlergehen der Erde und der Bevölkerung. Zugleich begründen sie einen Rechtsanspruch auf den Boden; die sich in der oralen Tradition in mannigfachen Brechungen spiegelnde Regional- und Lokalgeschichte weist darauf hin, dass dieser Rechtsanspruch bisweilen gewaltsam, immer aber konfliktreich ausgetragen worden ist. Wir haben es hier – wie ausnahmslos bei oralen Traditionen – offenkundig mit einem bis heute andauernden Prozess von Behauptungen und Gegenbehauptungen, von Ansprüchen und Gegenansprüchen zu tun, und es wäre müßig, in diesen widersprüchlichen Aussagen nach der ‚Wahrheit‘ zu suchen. Lentz (ebd. 136) hat die Schwierigkeiten, die Siedlungsgeschichte im Gebiet des Schwarzen Volta im Kontext der Teilnehmenden Beobachtung ethnohistorisch – also durch die systematische Erfassung und Analyse der mündlichen Überlieferung – herauszuarbeiten, eindrucksvoll resümiert: Die Ergebnisse seien ebenso enttäuschend wie jene, die die britische Kolonialverwaltung in den 1930er Jahren erzielt habe.

Schlussfolgerungen und Ausblick Wirft man von den westafrikanischen Schreinen einen Blick auf die methodologischen Kriterien zur Identifizierung von Ritualplätzen und Ritualpraktiken in der Archäologie, wird deutlich, wie groß die Zahl von entspre-

Das Rituelle als erkenntnistheoretisches Problem

chenden Lokalitäten ur- und frühgeschichtlicher Zeit sein muss,die aufgrund unzureichender materiell-taphonomischer Ausprägung nicht erkannt werden. Dass es solche Plätze und Praktiken nicht nur in Westafrika, sondern überall auf der von Menschen bewohnten Erde gibt und gegeben hat, ist eine Binsenweisheit. Ein anderes, aber nicht minder gravierendes Problem ist das – um G. Kossack (1996, 32) zu zitieren – „gedankliche System“, das hinter ur- und frühgeschichtlichem Kultverhalten gestanden hat. Für seine Entschlüsselung bieten die materiellen Hinterlassenschaften keinerlei eindeutige Hinweise. Die westafrikanischen Beispiele haben deutlich gemacht, welche Gefahren unsere gängige Verfahrensweise birgt, historische Phänomene zu typisieren, wenn wir uns dabei nicht ständig darüber im Klaren sind, dass wir sie mit ihrer Typisierung zugleich als statisch begreifen. Ritualplätze und Ritualpraktiken etwa sind jedoch weder wandlungsresistent noch eindimensional und monofunktional. Sie sind vielmehr ein Resonanzraum stetiger gruppendynamischer Abläufe, deren Ergebnis in ihrem Vollzug weder voraussagbar waren noch sich in ihrer Dynamik retrospektiv erschließen lassen. In der ethnographisch-ethnohistorischen Annäherung zeichnen sich bestenfalls gewisse für die Gruppe essentielle Grundprinzipien der Sicherung der eigenen Wohlfahrt, der Fruchtbarkeit der Frauen und des Landes und dergleichen ab – Grundprinzipien, die in sich selbst jedoch wiederum keiner statischen Vorgabe gehorchen. Legt man diese Sicht zugrunde, erscheint die Retrospektive Methode, wie sie etwa von F. Müller und G. Kossack praktiziert wurde, nur vordergründig hilfreich. Sie basiert darauf, dass ein oft ‚punktuelles‘, durch Schriftquellen mehr oder weniger gut ausgeleuchtetes Kultverhalten als Wegweiser in die schriftlose Zeit benutzt werden kann. Dabei gilt eine einfache Regel als Indikator für die Zuverlässigkeit der Deutung: Je größer die zeitliche Nähe des zur

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Diskussion stehenden rituellen Phänomens zum schriftlich dokumentierten Bezugspunkt, desto wahrscheinlicher sei eine inhaltliche Überstimmung des dahinterstehenden Glaubenssystems. Offenkundig handelt es sich hierbei in letzter Konsequenz um eine Auffassung, die auf einem ausgesprochen statischen Konzept des Rituellen beruht. Die Projektion eines textlich mehr oder minder gut dokumentierten rituellen Befundes – gleichgültig, ob es sich um Kultplätze, Kultaktivitäten oder umfassende Kultsysteme handelt – in die Vergangenheit impliziert von vornherein eine weitgehende Konstanz dieses Befundes. Die knappe Erörterung der westafrikanischen Schreine dürfte zudem gezeigt haben, wie begrenzt letztlich die Möglichkeiten sind, mit ethnographisch-ethnohistorischen Mitteln in das kulturspezifische Verständnis des Rituellen einzudringen. Dies ist Ethnologinnen und Ethnologen in aller Regel wohlbekannt; in der Archäologie hingegen überschätzt man diese Möglichkeiten nur allzu häufig. Für die Archäologie ergeben sich aus den Ausführungen zu den Schreinen daher auch generelle Folgerungen über das in diesem Beitrag behandelte komplexe Feld des Rituellen: Es ist deutlich geworden, wie eng die Grenzen des Analogischen Deutens hier gezogen sind. Für die Zukunft ist nicht zu erwarten, dass die erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten geringer werden oder sich gar überwinden lassen könnten. Somit bleibt nur, sich ihrer bei der Archäologie des Rituellen – und das gilt eo ipso für die Archäologie der Religion – bewusst zu sein. Das ist für die Deutung der archäologisch erfassten Phänomene wenig befriedigend, mag aber vor allzeit üblichen interpretatorischen Kurzschlüssen schützen. Es gehört zum Wesen des Rituellen, dass es dem Nichteingeweihten fremd ist. Als emische Dimension ist es immer kulturell – wenngleich in durchaus unterschiedlichem Maße – enkodiert. Erkenntnis und Verstehen resultiert aus der Analyse der Schnittstelle des Univer-

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sums des Handelnden und des Universums des Beobachters (Abb. 4). Diese Schnittstelle schließt sowohl den materiellen Niederschlag ritueller Praxis als auch die darauf beruhende archäologische Deutung ein. Die Deutung geht notwendigerweise von etischen Voraussetzungen aus. Sie vermag einstiges Ritualverhalten bei günstiger Befundlage durchaus zu erkennen – dies wird dann oft auch den Rückschluss auf Religion zulassen. Weitergehende Erkenntnisse wie etwa die Frage nach Art und Struktur dieser Religion, nach ihrer Bedeutung und Wirksamkeit, nach den zentralen handelnden Personen und nach den mit ihr verbundenen Vorstellungen über Diesseits und Jenseits sind kaum zu erwarten. Bibliographie Barrowclough / Malone 2007 D. A. Barrowclough / C. Malone (Hrsg.), Cult in Context: Reconsidering Ritual in Archaeology. Oxford: Oxbow Books 2007. Belliger / Krieger 2013 A. Belliger / D. J. Krieger (Hrsg.), Ritualtheorien: Ein einführendes Handbuch. Wiesbaden: Springer VS 52013. Bradley 2000 R. Bradley, An Archaeology of Natural Places. London, New York: Routledge 2000. Bradley 2005 R. Bradley, Ritual and Domestic Life in Prehistoric Europe. London, New York: Routledge 2005.

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Prof. Dr. Tobias L. Kienlin Universität zu Köln Institut für Ur- und Frühgeschichte Weyertal 125 D-50923 Köln [email protected] Prof. Dr. Erich Kistler Universität Innsbruck Zentrum für Alte Kulturen Institut für Archäologien Fachbereich Klassische Archäologie Langer Weg 11 A-6020 Innsbruck [email protected] Prof. Dr. Brigitte Röder Universität Basel Departement Altertumswissenschaften Ur- und Frühgeschichtliche und Provinzialrömische Archäologie Petersgraben 51 Ch-4051 Basel [email protected] Prof. Dr. Paul Roscoe University of Maine Department of Anthropology 5773 S. Stevens Hall USA-Orono, Maine 04469-5773 [email protected]

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Autorenverzeichnis

Jun.-Prof. Dr. Constance von Rüden Ruhr-Universität Bochum Institut für Archäologische Wissenschaften Am Bergbaumuseum 31 D-44791 Bochum [email protected]

Prof. Dr. Herbert Uerlings Universität Trier FB II – Germanistik Neuere deutsche Literaturwissenschaft D-54286 Trier [email protected]

Dr. Beat Schweizer Eberhard Karls Universität Tübingen SFB 1070 RessourcenKulturen Gartenstraße 29 D-72074Tübingen [email protected]

Prof. Dr. Christoph Ulf Universität Innsbruck Zentrum für Alte Kulturen Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik Langer Weg 11 A-6020 Innsbruck [email protected]

Prof. Dr. Dietmar Till Eberhard Karls Universität Tübingen Seminar für Allgemeine Rhetorik Wilhelmstraße 50 D-72074 Tübingen [email protected]

Prof. Dr. Thomas Widlok Universität zu Köln Kulturwissenschaften Afrikas Institut für Afrikanistik Albertus-Magnus-Platz D-50923 Köln [email protected]



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