Symbolische Markierungen im Stadtraum. In: Positionen zur Urbanistik : Tl. 1., Stadtkultur und neue Methoden der Stadtforschung / Oliver Frey ;Florian Koch . Wien: Lit Verl., 2011.

July 15, 2017 | Author: Cornelia Luzia | Category: Migration, Urban Sociology, Urban Development, Social Inequality, Public spaces, Global Sociology
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Symbolische Markierungen im Stadtraum Cornelia Dlabaja

Einleitung Die Auseinandersetzung mit Stadträumen und städtischen Lebenswelten auf Quartiersebene hat in der Stadtforschung eine lange Tradition. Urbanisierungsprozesse wurden stets auch auf der Ebene des Stadtquartiers erforscht. Die Chicagoer Schule, die Wiege der modernen Stadtsoziologie, befasste sich ab den 1920er Jahren mit dem Phänomen der Stadtkultur und Lebenswelten in der Stadt (vgl. Atteslander/Hamm 1974; Lindner 1990). „Go into the district“, „get the feeling“ und „become acquainted with people“ sind einige der bekanntesten Anweisungen, welche Park seinen StudentInnen gab (Lindner 1990: 10). Es war die Aufforderung, sich in das städtische Dickicht zu wagen, hinaus in die Quartiere zu gehen und dort das urbane Leben zu erforschen. Ihr folgend begann ich meine Forschungsarbeit im Brunnenviertel, einem Quartier im 16. Wiener Gemeindebezirk. Die theoretischen Überlegungen zu den in diesem Beitrag formulierten Thesen vom urbanen Wohnzimmer und dem beobachteten Prozess der symbolischen und materiellen Umdeutungen des Stadtviertels basieren auf empirischen Befunden aus vorangegangenen Quartiersanalysen im Brunnenviertel sowie in anderen Stadtquartieren. Die Thesen wurden mittels der Methode der „Grounded“-Theorie entwickelt (vgl. Strauss 1998). Das hier vorgestellte Konzept ist also auch dem Kontext der qualitativen Quartiersforschung und der Erforschung des Stadtraums zuzuordnen (Schnur 2008; Krusche/ JDZB 2008). Auf dieser Grundlage erfolgte eine theoretische Rückkoppelung der aus der Empirie entwickelten Thesen mittels raum- und stadtsoziologischer Theorien. Anknüpfend an die theoretischen Überlegungen schließt sich in Folge eine zweite Serie von qualitativen Quartiersanalysen an: In diesen sollten die bislang entwickelten Thesen näher erforscht werden, um das Phänomen besser beschreiben und verstehen zu können. Meine Forschungsfrage lautet dabei: Wie konstituieren sich sog. urbane Wohnzimmer auf symbolischer und auf materieller Ebene? Ich möchte mich in dem vorliegenden Beitrag auf zwei damit verknüpfte Fragestellungen konzentrieren:

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1. Wie wirkt sich der Prozess der kulturellen, materiellen und symbolischen Umdeutung im Quartier auf den Stadtraum aus? 2. Welche Funktion erfüllen die Atmosphäre und Ästhetik von Geschäftslokalen im Prozess der Gentrification? Gliederung des Beitrages Im ersten Teil des Beitrages werden das Konzept vom urbanen Wohnzimmer und der theoretische Rahmen skizziert. Es wird dabei zunächst die raumtheoretische Grundlage dargestellt. Daran anschließend wird der Prozess der Gentrification im Kontext der Ökonomie der Symbole diskutiert, was zur Beschreibung und Erfassung des Konzeptes des urbanen Wohnzimmers notwendig ist. Im zweiten Abschnitt wird dann das Konzept des urbanen Wohnzimmers anhand des Fallbeispiels Brunnenviertel erläutert und eine Begriffsklärung vorgenommen. Es schließt sich die Auseinandersetzung und theoretische Abgrenzung zu dem von Silke Steets formulierten Konzept vom „öffentlichen Wohnzimmer“ (Steets 2008) an. Abschließend wird das Konzept vom urbanen Wohnzimmer in den aktuellen stadtsoziologischen Diskurs eingeordnet. 1. Das Konzept vom urbanen Wohnzimmer Meine These ist, dass urbane Wohnzimmer durch die symbolische Markierung und materielle Aneignung des Stadtraums durch Akteursnetzwerke und Communities entstehen, welche damit den Raum kollektiv einnehmen und ihre Identität zum Ausdruck bringen (vgl. Thabe 1999). Urbane Wohnzimmer werden auf Mikro-, Meso- und Makroebene durch verschiedene Akteure konstituiert, möbliert, angeeignet und bespielt. Das hier diskutierte Fallbeispiel wird auf der Mikroebene durch migrantische und kreative Netzwerke im Quartier konstituiert. Die in Folge näher beschriebenen Handelnden markieren den Stadtraum mit für sie wichtigen primär symbolischen Gütern und verändern so die Atmosphäre des Quartiers (vgl. Löw 2001; Zukin 2006). Urbane Wohnzimmer verorten sich im Spannungsfeld zwischen Öffentlichkeit und Privatheit im Stadtraum, also in öffentlichen und halböffentlichen Räumen, so wie in den „third places“ (Friebe/Lobo 2006). Die Elemente des urbanen Wohnzimmers umfassen, aufbauend auf der Raumsoziologie (Löw 2001), NutzerInnen, welche soziale wie auch symbolische Güter und ebenso sich selbst im Stadtraum anordnen und damit die Ästhetik der Orte verändern. Die Konstitution

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findet im Prozess des „Spacing“ (ebd.: 224) durch die Markierung, Aneignung und Möblierung der Räume mittels signifikanter Zeichen und Symbole durch die Akteure statt. Sie werden auf Mikro-, Meso- und Makroebene konstituiert. Um das Phänomen beschreiben zu können, wurden in Anlehnung an Lefèbvres Konzeption der „Momente des Raumes“ Analysekategorien gebildet (Schmid 2005: 209). Die Handelnden richten es sich in diesen Stadträumen salopp formuliert „gemütlich ein“ und nutzen ihn als eine Art Wohnzimmererweiterung. Die Künstler und Geschäftsleute tapezieren den Straßenraum mit für sie signifikanten Schriftzeichen und Designs, etwa mittels der Umgestaltung von Geschäftsfassaden. Vor allem aber verändern sie auch die Struktur der lokalen Ökonomie nach ihren spezifischen Bedürfnissen. Diese Räume entstehen in Quartieren, in welchen Gentrification oder Aufwertungsprozesse stattfinden, und sind Resultate des kulturellen und symbolischen Umdeutungsprozesses der betroffenen Stadtquartiere. In dem vorliegenden Beitrag wird jedoch weniger vom allgemeinen Vorgang der Gentrification selbst die Rede sein, sondern vor allem von den damit verknüpften Phänomenen der materiellen und symbolischen Umdeutung von Stadtquartieren (vgl. Dangschat 1992), in Verbindung mit den Thesen vom urbanen Wohnzimmer. Ich beziehe mich hierbei auf die Arbeiten der amerikanischen Stadtsoziologin Sharon Zukin zur „commercial gentrification“, in denen sie der Ausgrenzung von sozial Benachteiligten mittels der Ästhetisierung von Stadträumen nachgeht, wie sie auch schon von Dangschat beschrieben worden ist (Zukin 2006: 48; Dangschat 1992: 141). Die theoretische Auseinandersetzung mit der Konstitution urbaner Wohnzimmer auf materieller und symbolischer Ebene lenkt den Blick auch auf die Bedeutung der ethnischen Ökonomie und der „Kreativen“ für die Aufwertung und den Wandel von Stadtquartieren (vgl. Florida 2004; Frey 2009; Yildiz 2009; Gollner 2001). Die Symbole und Zeichen im Stadtraum bilden für die Stadtbewohner ein Leitsystem (vgl. Lefèbvre 1991). Ich bezeichne dieses symbolische Leitsystem auch als Sprache der Stadt. Der von Zukin geprägte Begriff der Ökonomie der Symbole spielt hierbei eine tragende Rolle: Die Ästhetik und Gestaltung von Geschäftslokalen fungiert als Mittel zur kulturellen Abgrenzung und Ausgrenzung von ökonomisch schwächer gestellten Bevölkerungsgruppen (Zukin 1998 und 2009: 47). Urbane Wohnzimmer verorten sich in den Zentren der Stadtquartiere und werden von Seiten des Stadtmarketings und der Medien sowie von Teilen der Stadtbevölkerung als die „Places to be“ beworben.

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1.1. Theoretische Bezugspunkte aus der Raumtheorie Dem Stadtraum werden verschiedene Bedeutungen zugeschrieben, und zwar auf lokaler und globaler Ebene wie auf der Ebene der Akteure. Um sich dem Stadtraum theoretisch annähern zu können, ist es notwendig, Bezüge zur Raumtheorie herzustellen. Stadt kann ohne eine Theorie vom Raum nicht gedacht werden. Ich beziehe mich bei der Beantwortung der Frage, was Raum ist und wie er konstituiert wird, auf die Raumtheorie von Martina Löw: Nach dieser sind es Menschen, welche erstens als Elemente des Raumes begriffen werden und zweitens ihn als Akteure aktiv konstituieren. Löws Raumtheorie wird hier auf den Stadtraum übertragen: „Raum ist eine relationale (An)Ordnung sozialer Güter und Menschen (Lebewesen) an Orten.“ (Löw 2001: 224) Der Stadtraum wird durch die relationale (An)Ordnung von StädterInnen und sozialen Gütern (hier vor allem primär symbolische Güter) an Orten (Plätzen und Straßen) konstituiert und hinsichtlich seiner Funktion sowie seinem äußeren Erscheinungsbild von den Akteuren wahrgenommen und angeeignet. Löw analysiert den Konstitutionsprozess von Raum anhand von zwei miteinander verknüpften Prozessen, der Syntheseleistung und dem „Spacing“. Mittels der Syntheseleistung können Räume in „Wahrnehmungs-, Vorstellungs- oder Erinnerungsprozesse (…) Güter und Menschen zu Räumen zusammengefasst“ werden (Löw 2001: 159). Das Konzept des „Spacing“ beschreibt jenen Prozess, bei welchem soziale Güter und Lebewesen in Relation zu anderen Platzierungen gebracht werden. „Spacing“ und Syntheseleistung finden dabei gleichzeitig statt (Löw 2001: 158). Um die Ebenen der Produktion des gesellschaftlichen Raums fassbar zu machen, beziehe ich mich auf Henri Lefèbvres Werk „The production of space“ (Lefèbvre 1991). Die von ihm ausgemachten „Momente des sozialen Raumes“ (Schmid 2005: 209) werden für die Überprüfung meiner Thesen als Analysekategorien nutzbar gemacht. Nach Lefèbvres Verständnis verfügt der Raum über drei Ebenen: eine physische, eine mentale und eine soziale Ebene. Nützlich ist dabei sein Konzept der Produktion des sozialen Raumes, welcher in drei gleichzeitig wirksamen Momenten hergestellt wird. Auf der analytischen Ebene wird dieser als Wahrnehmungs-, Denk- und gelebter Raum – in einem Prozess räumlicher Praxis – konstituiert (Lefèbvre 2008: 33). Die drei Dimensionen des sozialen Raumes bilden wiederum eine Triade: erstens die räumliche Praxis, also den wahrnehmbaren gesellschaftlichen Raum. Die Repräsentation des Raumes bildet zweitens den Moment des Raumes, der von „der geistigen Elite“, den PlanerInnen und WissenschaftlerInnen konstituiert wird. Die Räume der Repräsentation erzeugen drittens die symbolische Ebene des Raumes. Diese dritte Ebene kann nur mittels des Wissens um die Sprache der Symbolik entschlüsselt und damit gelesen und verstanden werden.

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Mein Forschungsinteresse gilt an dieser Stelle der lebensweltlichen Perspektive der NutzerInnen, also der Ebene der räumlichen Praxis bei der Raumproduktion. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie Raum wahrgenommen und aufgrund der Wahrnehmung wird. Angesichts der eingangs formulierten zentralen Fragestellung des vorliegenden Beitrags, wie sich also das urbane Wohnzimmer auf materieller und symbolischer Ebene konstituiert, lautet meine These, dass der Stadtraum auf Grund der Relationen angeeignet wird, welche die NutzerInnen zum Raum ausgebildet haben. Auf der Basis von Lefèbvres Raumkonzeption kommen dabei die folgenden Analyseebenen in Betracht: die Räume der Identität (Erinnerung), der Symbole und der Zeichen als Sprache der Stadt (symbolische Ebene). Daran anknüpfend ist die Beschaffenheit der Räume, in Bezug zur Öffentlichkeit bzw. zur Privatheit, eine weitere analytische Kategorie. Damit ist gemeint, ob Räume einen eher repräsentativen Charakter haben oder Teil der privaten Sphäre sind. Dies wirkt sich sowohl auf das Verhalten in den Räumen aus als auch auf die verschiedenen Aneignungsformen. Für die Analyse der Ebenen der Raumkonstitution wird – neben der Raumkonzeption Lefèbvres – auch diejenige von Jens Dangschat herangezogen, welche wiederum auf jener von Dieter Läpple ruht (vgl. Läpple 1992; Dangschat 2007). Dangschat versteht Raum als „ökonomisch, rechtlich und machttheoretisch produziert und andererseits als von sozialen Gruppen in ihrer jeweiligen gesellschaftlich-hierarchischen Positionierung und dem konkreten sozial-räumlichen Setting konstruiert“ (Dangschat 2007: 25). Raum kann nach Dangschat nur als Verknüpfung einer relationalen Makro-, Meso- und Mikrotheorie des Raumes gedacht werden. Die zusätzliche Berücksichtigung seines Ansatzes ist deshalb wichtig, weil er die unterschiedlichen Ebenen der Produktion von Raum hervorhebt. Obwohl auch Martina Löw diese verschiedenen Ebenen in ihrer Theorie berücksichtigt, da sie eine relationale Handlungstheorie entwirft, beziehe ich mich hier auf Dangschats Ansatz. Löw verweist zwar am Rande auf die verschiedenen Ebenen, also jene der lokalen und globalen Akteure (Löw 2001: 159). Für die Analyse der vielfältigen Aushandlungsprozesse um den Raum ist aber die Hervorhebung des Herstellungsprozesses auf der Mikro-, Meso-, Makroebenen wichtig.

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1.2. Öffentlicher Raum / Stadtraum Es ist an dieser Stelle notwendig, zwischen dem Begriff des öffentlichen Raums und dem des Stadtraums zu differenzieren. Am Wiener Beispiel zeigt sich, dass der Stadtraum nur zu einem kleinen Teil öffentlicher Raum ist. Der Großteil der städtischen Bevölkerung nutzt den öffentlichen und halböffentlichen Raum vor allem als Konsumraum (Mattl 2006: 106). Teile des Stadtraums (wie Plätze und Straßenräume) werden durch Lokalbetreiber zum halböffentlichen Raum, welcher nur für Konsumenten zugänglich ist. Anders verhält sich dies bei migrantischen Bevölkerungsgruppen, welche differente Raumaneignungsmuster haben, die nicht im Kontext des Konsums stehen. Sie nutzen den öffentlichen Raum als sozialen Treffpunkt, zum Plaudern, Kartenspielen und Picknicken. Speziell jugendliche MigrantInnen eignen sich Plätze und Parks für Sport- und Freizeitaktivitäten an (Dlabaja 2008; Voglmayr 2004). Im Stadtraum finden ständig Aushandlungsprozesse um die Aneignung von Räumen statt. Die Verortung von sozialen Gruppen im Stadtraum sagt etwas über ihre gesellschaftliche Stellung aus und ist keineswegs zufällig. (Bourdieu 1991:26) So haben Akteure die über ein hohes kulturelles oder ökonomisches verfügen mehr Möglichkeiten sich Stadträume anzueignen als andere. (Bourdieu 1987) 1.3. Gentrification und die Ökonomie der Symbole Die Genese urbaner Wohnzimmer geht mit der materiellen und symbolischen Umdeutung von Stadtquartieren einher und ist mit dem Prozess der Gentrifizierung und Aufwertung verknüpft. Dangschat beschreibt den Prozess der Gentrifizierung wie folgt: „Gentrifizierung ist die Verdrängung der ehemaligen Bewohner durch jüngere, besser ausgebildete und in der Regel mit höherem Einkommen versehene Haushalte in innenstadtnahen Wohngebieten. Mit Verdrängungen sind Auszüge aufgrund von Mietsteigerungen oder Umwandlungen ehemaliger Mietwohnungen in Eigentumswohnungen gemeint. Damit einher geht in einem Wechselwirkungsprozess eine Veränderung des Wohnungsbestandes in Richtung überdurchschnittliche Modernisierung, Mietpreissteigerung und der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen resp. eine Veränderung der Infrastruktur, die zunehmend den Bedürfnissen der neu Hinzuziehenden entspricht.“ (Dangschat 1991: 32)

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Der Prozess der Gentrifizierung ist aber auch mit der kulturellen und symbolischen Umdeutung von Stadtquartieren auf verschiedenen Ebenen verknüpft (Dangschat 1992: 143). Zum einen wird die Ästhetik des betroffenen Viertels durch die Gruppe der Pioniere verändert, welche Galerien, Designerläden oder ‚hippe‘ Lokale eröffnen. Der Charakter des Wiener Brunnenviertels wandelt sich auch durch die Etablierung eines Kunstfestivals. Zum anderen spielen die ethnischen Ökonomien in diesem Umdeutungsprozess eine zentrale Rolle, da auch sie dem betroffenen Stadtquartier ein spezielles Flair verleihen. „Die Aufladung räumlicher (An)Ordnung mit kulturellen Werten ist der Kernaspekt der Ökonomie der Symbole. Sie basiert auf der Produktion, Distribution und Konsumption von Symbolen mit dem Ziel der ökonomischen Wertsteigerung von Gütern und Dienstleistungen, aber auch von Orten und Städten.“ (Löw 2008: 128) Damit benennt Löw einen wichtigen Aspekt der städtischen Raumproduktion. Räume sind mit symbolischer Wirkung aufgeladen und ziehen dadurch bestimmte Akteursgruppen an. Die Stadtplanung versucht mittels Stadtmarketing und in Rahmen von Aufwertungsprozessen, etwa bei der Planung von neuen Stadtteilen, NutzerInnengruppen mit einem hohen sozioökonomischen Status anzulocken. Stadträume werden also bewusst so gestaltet, dass sie auf bestimmte Milieus anziehend wirken, wohingegen andere NutzerInnengruppen, welche weniger soziales, kulturelles oder ökonomisches Kapital haben, von der Teilhabe ausgeschlossen werden (vgl. Bourdieu 1987). In urbanen Wohnzimmern finden auch Exklusionsprozesse im (halb-)öffentlichen Raum statt. Durch die Schaffung von Konsumräumen im Stadtraum entstehen halböffentliche Räume, welche von Randgruppen und sozioökonomisch schlechter gestellten Bevölkerungsgruppen nicht oder nur eingeschränkt genutzt werden. Ich beziehe mich an dieser Stelle auf die amerikanische Stadtsoziologin Zukin, die die Etablierung von ‚Szenelokalen‘ als sichtbare Zeichen der Gentrification versteht. Bei der Aufwertung von Stadtquartieren kommt es dabei zu einer Veränderung der lokalen Ökonomie, welche von ihr als „boutiquing“ bezeichnet wird. Hierbei wandelt sich die lokale Ökonomie vom Billigsegment hin zu Geschäften, welche Produkte aus einem höheren Preissegment und Markenwaren anbieten (Zukin 2009: 48): „Diese Gebiete sind so ‚bunt gemischt‘, ‚lebendig‘, ‚kreativ‘, daß sie ein überlokales Interesse finden.“ (Dangschat 1992:143)

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Dieser ‚Hype‘ führt in den betroffenen Quartieren schließlich zu größeren Sanierungsmaßnahmen wie Dachausbauten und Neubauten und damit zu einem sukzessiven Bevölkerungsaustausch. 2. Das urbane Wohnzimmer In dem vorliegenden Beitrag wird der Versuch unternommen, die Ergebnisse meiner bisherigen Feldforschung im Bereich der Stadtsoziologie in systematisierter Form als Raumthesen zu entwickeln. Der Stadtraum bildet den Rahmen für das urbane Wohnzimmer, welches auf der Makro-, Meso- und Mikroebene durch Akteure und NutzerInnen konstituiert wird, wobei ich mich (wie oben bereits geschildert) auf Läpples und Dangschats Ebenen der Raumproduktion beziehe. Die These vom urbanen Wohnzimmer soll nun am Fallbeispiel des Brunnenmarktes erläutert werden. Dazu werde ich im ersten Schritt das Brunnenviertel entlang seiner sozialen, morphologischen und soziokulturellen Strukturen beschreiben und dann das Phänomen des urbanen Wohnzimmers und dem damit verknüpften materiellen und symbolischen Umdeutungsprozess beschreiben. Dies erfolgt auf Basis der Quartiersanalyse aus den Jahren 2007 bis 2008 und der aktuellen Erhebungen aus dem Jahr 2010. Es wurden in diesem Rahmen teilnehmende Beobachtungen, ExpertInneninterviews, Gespräche mit den MarktstandbetreiberInnen, BewohnerInnen, Geschäftsleuten, der Gebietsbetreuung, AkteurInnen aus der Kunstszene und eine qualitative NutzerInnenbefragung durchgeführt. Daran schließt sich ein Fazit an, in welchem der Wandel des Quartiers analysiert wird.

2.1. Fallbeispiel Brunnenviertel In den letzten Jahren hat sich laut lokalen Medien und der Wiener Stadtverwaltung ein regelrechter ‚Run‘ auf das Brunnenviertel im 16. Wiener Gemeindebezirk entwickelt. Das Viertel wird von der Stadtplanung als „Hippviertel“ beworben und steht für die „Vielfalt“ in der Stadt (MA 25 2010: 126). Stadtgazetten wie der „Falter“ oder Tageszeitungen wie der „Standard“ wissen viel über Yuppisierung, Gentrifizierung und „das neue Bobo-Viertel“ und „Kunstquartier“ (wie sie es bezeichnen) zu berichten. Schon bevor die mediale Berichterstattung über das Brunnenviertel begann, beschäftigte ich mich damit. Nach meiner ersten teilnehmenden Beobachtung im Quartier war ich fasziniert von der für mich damals noch so fremden Welt. Ich wollte verstehen, wie die türkische ‚community‘ sich das Quartier nicht nur auf materieller Ebene, sondern auch symbolisch einverleibt und angeeignet hatte. Was ist also das

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Besondere an diesem Quartier? Was unterscheidet es von anderen Stadtquartieren? Da ist zum einen die morphologische Stadtgestalt zu nennen: Im Brunnenviertel besteht diese aus einer spezifischen bauliche Struktur aus der gründerzeitlichen Blockrandbebauung und einigen Gebäuden aus der Biedermeierzeit. Der Charakter des Quartiers wird vom längsten noch erhaltenen Straßenmarkt Mitteleuropas, dem Brunnenmarkt, geprägt. Dieser bildet schon seit über zweihundert Jahren das pulsierende Zentrum des Quartiers und erstreckt sich über 600 Meter entlang des Viertels. Der Straßenmarkt umfasst 197 Marktstände, davon werden rund 79,5 % von Geschäftsleuten mit Migrationshintergrund betrieben (Gollner 2001: 91). Im Quartier leben auf einer Fläche von 0,4 km² ungefähr 7.000 Menschen, wovon 41 % einen Migrationshintergrund haben (Smetana 2010: 1277) (zum Vergleich: in Wien verfügen 20 % der gesamten Stadtbevölkerung über einen solchen). Im Zeitraum von 1991 bis 2001 gab es eine Abwanderung von österreichischen BewohnerInnen und einen Zuzug von 28 % AnwohnerInnen ohne österreichische Staatsbürgerschaft, wodurch insgesamt eine negative Wanderungsbilanz von 2 % entstand (ebd.). Den Daten der Gebietsbetreuung zur Folge, dürfte das Quartier gegenwärtig den Bevölkerungsstand von 1991 wieder erreicht haben. Die neu hinzugezogenen Bevölkerungsgruppen kamen zum Großteil aus Ostanatolien (Türkei) und aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien. Der Leiter der Gebietsbetreuung, Kurt Smetana, geht davon aus, dass der hohe Anteil an sog. Substandardwohnungen und Gasionier-Wohnungen einen nicht unwesentlichen Grund für den Bevölkerungsaustausch darstellte. Im Zeitraum zwischen 2000 und 2008 wurden 68 Gebäudesanierungen geplant, wovon sich 56 Projekte in der Realisierungsphase befinden (Rode 2009: 81). Es wurden bisher vier Neubauten im Gebiet realisiert und eine Reihe von Dachausbauten, welche vor allem im Gebiet um den Yppenplatz verwirklicht wurden.

2.2. Das urbane Wohnzimmer im Brunnenviertel Auf der Mikroebene konstituieren KünstlerInnen, die Akteure der lokalen ethnischen Ökonomie und der „Creative Industries“ urbane Wohnzimmer. Im Falle des Brunnenviertels sind das Geschäftsleute, die zum Großteil einen türkischen Migrationshintergrund haben. Dazu zählen sowohl MarktstandbetreiberInnen und Geschäftsleute als auch Gastronomen. Die türkische Gemeinschaft im Brunnenviertel hat Teile des Stadtquartiers ihrem Geschmack entsprechend umgestaltet. Die Ästhetik erinnert an Stadtteile aus Istanbul, welche von der anatolischen Kultur geprägt sind. Die lokale Infrastruktur im

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Quartier hat sich dadurch in den letzten 30 Jahren stark gewandelt. Die türkischen Juweliergeschäfte, Textilläden, Bäckereien und Supermärkte erzeugen auf der Quartiersebene eine multikulturelle Atmosphäre. Man findet im ‚Grätzl‘ aber auch alteingesessene Betriebe, wie die Altwiener Konditoreien, Fleischereien, Textilgeschäfte und „Wiener Beiseln“. Das Viertel wird von den BesucherInnen aus anderen Stadtquartieren als Melange aus der türkischen Marktstandkultur und der Kreativszene wahrgenommen. Das ‚Grätzl‘ wird auch von anderen sozialen Gruppen genutzt, wie beispielsweise durch die alteingesessene Wohnbevölkerung des Stadtquartiers, die schon vor dem Einsetzen des Aufwertungsprozesses dort lebte. Doch jene Gruppen sind nicht Teil der Akteursgruppe, welche den Stadtraum auf signifikante Weise markieren. Der Stadtraum wird vorrangig in den Sommermonaten von seinen BewohnerInnen als Wohnzimmererweiterung genutzt. So werden von ihnen an einigen Orten etwa Stühle und Tische aufgestellt und Proviant von zuhause mitgebracht. Auch im Rahmen von künstlerischen Interventionen werden die Grenzen zwischen privater und öffentlicher Sphäre immer wieder neu ausgelotet. Im Quartier überlagern sich symbolische Schichten im Stadtraum, die aus verschiedenen Zeiträumen stammen und von den damals je vorherrschenden Akteursgruppen aufgetragen wurden. Dadurch schreibt sich in den Stadt­­raum ein kollektives Gedächtnis ein. Die Gruppe der Kreativen und der Betreiber der Szenelokale hat in diesem Quartier vor allem das Erscheinungsbild der Piazza am Yppenmarkt verändert. Die Ästhetisierung des ehemaligen Marktgebietes und der Szenelokale führen zum Ausschluss sozioökonomisch schlechter gestellter Bevölkerungsgruppen. Die NutzerInnen der lokalen Gastronomie weisen alle einen sozioökonomisch höheren Status als die ortsansässige Bevölkerung auf. Die Geschäfte, Cafés, Restaurants und Plätze sind Teil der Bühnen der Selbstdarstellung entsprechend heiß umkämpftes Terrain (vgl. Dangschat 1992: 140). Der Stadtraum als Bühne erfüllt die Funktion der Bestätigung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ‚community‘, einem Milieu oder einer sozialen Schicht (vgl. Goffman 2008). Eine Sonderform der räumlichen Markierung bildet das Bekleben und Besprühen von Stadtmöbeln und Fassaden. Im Brunnenviertel finden sich beispielsweise im Bereich des Yppenmarktes Graffities mit dem Text: „Warum sind die Mieten nur SoHoch?“ Diese sind Ausdruck einiger BewohnerInnen, welche Angst vor steigenden Mieten im Quartier haben. Tiefgreifende Veränderungen zeigen sich im Untersuchungsgebiet auf der Mesoebene, welche von der KulturInitiative „SoHo“ in Ottakring und dem Quartiersmanagement vorangetrieben wurden. Der Markt war und ist einem

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ständigen Wandel unterzogen. Zum einen hat sich die Marktstandstruktur in den letzten 30 Jahren stark gewandelt, wie aus den Gesprächen mit den Marktstandbetreibern, Geschäftsleuten, BewohnerInnen und der Gebietsbetreuung hervorgeht. Früher gab es viele österreichische Marktstandbetreiber, ebenso wie polnische, tschechische und ungarische. Diese verließen den Markt nach und nach, und immer mehr türkische Marktstandbetreiber traten an ihre Stelle. Diese Entwicklung hat verschiedene Ursachen. Ein Ergebnis der qualitativen Erhebungen im Marktgebiet lautete, dass der beschwerliche Arbeitsalltag dazu führte, dass immer mehr österreichische Marktstandbetreiber den Markt verließen. Auch der Leiter der Gebietsbetreuung des 16. Bezirks, Kurt Smetana, hält dies für einen der zentralen Gründe des Wandels (wie aus dem Interview mit ihm hervorging). Der Arbeitsalltag am Markt beginnt für die Betreiber der Gemüsestände meist um 4 Uhr am Morgen, da sie ihre Ware erst vom Großmarkt zu den Marktständen transportieren müssen, und endet in der Regel erst um 18 oder 19 Uhr. Eine weitere Ursache war die Stagnation des Brunnenmarkts in den 90er Jahren in Folge schwindender Besucherzahlen. Die Stadtplanung griff ab den späten 1990er Jahren in die Abwärtsspirale im Brunnenviertel ein, indem sie im Rahmen der Stadterneuerungsprogramme „Urban“, „Urban+“ und „Zielgebiet Gürtel“ mehrstufige Aufwertungsprojekte im Rahmen von Beteiligungsverfahren initiierte (Rode/Brodner 2004). Diese Verfahren umfassten sowohl die Sockelsanierung des Marktgebietes wie auch ein Umgestaltungskonzept für die Marktstände. Im Rahmen eines Bürgerbeteiligungsverfahrens wurde dann zwischen 2002 und 2010 Schritt für Schritt das Quartier saniert. Ungefähr zur selben Zeit wurde im Jahr 1999 ein Kunstfestival ins Leben gerufen, das den prägnanten Namen „SoHo in Ottakring“ trägt. Das Ziel des Projektes, so die Initiatorin Ulla Schneider, war es, die leer stehenden Geschäftslokale im Viertel zu bespielen und Impulse für die Nutzung des öffentlichen Raumes zu geben. Das Festival findet nun jedes Jahr zwei Wochen lang statt. Es werden (halb-)öffentliche Räume, leer stehende Geschäftslokale und vermehrt Lokale der Geschäftsleute aus dem Quartier mit den verschiedenen Kunstprojekten bespielt. Das Festival zog nicht nur eine große Besucherschar an, sondern auch viele Künstler in das Gebiet, welche dort nach und nach ihre Ateliers und Geschäftslokale eröffneten. Auf der Makroebene trugen die Stadtplanung, die Immobilienwirtschaft und nicht zuletzt die Medien das Ihrige zum Imagewandel des Quartiers bei. Er zog im Brunnenviertel eine Reihe von weiteren Sanierungsmaßnahmen, in Form von Dachausbauten und Neubauten, nach sich. Vor allem im Bereich um den Yppenplatz und die Piazza am Yppenmarkt wurden einige Dachausbauten realisiert. Das Viertel wird als angesagtes Kunstviertel von der Stadtpla-

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nung beworben. Die Gebietsbetreuung Ottakring und die IG Interessenvereinigung der Geschäftsleute sowie eine Reihe anderer Sponsoren unterstützen das Kunstfestival seit Jahren. Die Stadtplanung betrachtet „SoHo“ und das Brunnenviertel als Modellbezirk für gelungene Stadtentwicklung, und die lokale Ökonomie freut sich über den Aufwärtstrend und wachsende Umsatzzahlen.

2.3. Die Dynamik des Wandels Man spricht in der Wiener Stadtplanung und den Gebietsbetreuungen nur ungern über Gentrification. Geht es um Erneuerungsprozesse in Stadtquartieren und dem damit verknüpften Wandel, dann wird von Aufwertung und der sog. „sanfter Stadterneuerung“ gesprochen (Best Practices Hub – Wien 2004: 15; MA 25 2010: 7). Es wird in diesem Zusammenhang, dann gerne über den Erfolg der spezifischen partizipativen Planungskultur in Wien berichtet. Die lokale Presse sieht dies allerdings anders. Seit Jahren wird in Stadtmagazinen wie dem „Falter“ oder in Tageszeitungen wie dem „Standard“ getitelt, dass im Brunnenviertel der Prozess der Gentrification um sich greift. Zahlreiche Diplomarbeiten beschäftigen sich mit Gentrification und dem Aufwertungsprozess im Brunnenviertel, kommen aber diesbezüglich zu keinem eindeutigen Ergebnis (Schmidt 2008; Suitner 2009). Die Frage, die sich an dieser Stelle aufdrängt, lautet warum es nicht zum Bevölkerungsaustausch im Quartier kommt? Die Stadtverwaltung würde an dieser Stelle auf das erfolgreiche Konzept der „sanften Stadterneuerung“ und den Erfolg der Bürgerbeteiligungsverfahren verweisen, doch wäre dies viel zu kurz gegriffen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die ethnische Ökonomie, die eine lange Tradition hat, und die migrantische Wohnbevölkerung eine sehr enge Bindung an das Viertel haben und darüber hinaus die Mietpreisregulation eine Vertreibung der ansässigen Wohnbevölkerung verhindert. Ein weiterer Aspekt ist die vor allem türkische Infrastruktur im Brunnenviertel. Natürlich hat die langsame Inwertsetzung dazu beigetragen, dass das Quartier nicht durch einen radikalen Schnitt sein städtebauliches Gesicht verloren hat. Die Sanierung des Marktgebietes wurde ab 2005 in vier Abschnitten realisiert. Doch im Jahr 2010 wurde nicht nur der letzte Bauabschnitt fertig gestellt, sondern bereits im Jahr davor waren gleich zwei Neubauten und eine Vielzahl an Dachausbauten verwirklicht worden. Die Anzahl der im Rahmen des Aufwertungsverfahrens konzipierten neuen, sogenannten fixen Marktstände hat sich innerhalb eines Jahres am Brunnenmarkt verdoppelt. Von den 24 geplanten neuen Marktständen wurde bisher über die Hälfte realisiert. Bis vor ein paar Monaten bestand der

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Großteil der 197 Stände aus einer losen Holz-Metall-Konstruktion, sodass die Marktstandbetreiber gezwungen waren, ihre Ware täglich in externen Lagern unterzubringen (Smetana 2010: 1277). Die neuen Marktstände erleichtern den Arbeitsalltag für die Geschäftsleute sehr, da die Ware in den Ständen gelagert werden kann. Aber es ist damit nicht nur der Wandel des Erscheinungsbilds des Markts verbunden, sondern auch des Produktsortiments. Bei den losen Ständen wurden günstiges Obst und Gemüse sowie Textilien verkauft. Die neuen Fixstände sind ähnlich wie am Naschmarkt Feinkoststände, an denen Käse, Wurst, Antipasti, Trockenfrüchte und Fleisch angeboten wird. Dieses neue Sortiment richtet sich aufgrund der höheren Preise an eine andere Klientel als bisher. Den Großteil der Kundschaft bildet die migrantische Wohnbevölkerung, die neu hinzugezogenen kaufkräftigen BewohnerInnen und am Wochenende auch vermehrt Kunden aus anderen Bezirken. Ein Ergebnis der Leitfaden gestützten Interviews mit dem Leiter der Gebietsbetreuung und der Initiatorin von SoHo in Ottakring Ulla Schneider ist, dass sich sowohl die Gebietsbetreuung als auch SoHo in Ottakring auf Grund der „Eigendynamik die sich im Quartier entwickelt hat“ in ihren zukünftigen Projekten auf andere Stadtteile fokussieren werden. Im Gespräch meinten beide AkteurInnen, dass sie nun ihre Arbeit in Vierteln fortsetzten werden wo es Sanierungsbedarf, bzw. noch vorhandene Leerstände gibt. Es gilt also abzuwarten wie sich das Quartier in den nächsten Jahren entwickeln wird. Das Bild des Quartiers hat sich im Bereich des Yppenmarkts durch die Zunahme an Szenelokalen und Restaurants sowie von Designerläden rund um den Yppenplatz in den letzten Jahren rasant gewandelt. Eine unüberschaubare „Schanigartenlandschaft“ hat sich über die Piazza am Yppenplatz gelegt. Der öffentliche Raum wurde zum Teil durch den dadurch entstandenen Konsumraum verdrängt, womit auch die ökonomisch schwächer gestellte Wohnbevölkerung zunehmend vom Platz verschwindet. Der Yppenplatz selbst wurde im Rahmen eines Beteiligungsverfahrens umgestaltet und im Sommer 2010 neu eröffnet. Aufgrund dieser Entwicklungen kann man ausschließlich im Bereich des Yppenmarkts vom Prozess der Gentrification ausgehen, welcher vorrangig mit der kommerziellen Erdgeschossnutzung verknüpft ist und deshalb als „commercial gentrification“ eingeordnet werden kann (Zukin 2006: 48). In den anderen Bereichen des Brunnenviertels lässt sich von einem Aufwertungsprozess sprechen, nicht aber von Gentrifizierung. Die untenstehende schematische Abbildung soll einen Überblick über das Konzept vom urbanen Wohnzimmer geben. Dem raumtheoretischen Konzept werden hier die in der Empire vorgefundenen Kategorien gegenübergestellt.

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Abbildung 10.  Grafische Darstellung des urbanen Wohnzimmers

2.4. Warum wird der Begriff „Urbanes Wohnzimmer“ verwendet? Das hier präsentierte Konzept des urbanen Wohnzimmers ist ein Großstadtphänomen, weshalb der Begriff „urban“ verwendet wird. Der Begriff „Wohnzimmer“ wird benutzt, weil es sich um Stadträume handelt, die von Akteuren und ‚communities‘ in Besitz genommen, mit den für sie signifikanten Symbolen markiert und als erweitertes (halb-)öffentliches Wohnzimmer verwendet werden. Sie schaffen ihre eigene Infrastruktur, indem sie wie im Fall des Brunnenviertels türkische Supermärkte, Einrichtungsgeschäfte, Juweliere und sogar eine Filiale einer türkischen Bank eröffnen. Das kreative Milieu, welches sich in diesem Viertel ebenfalls eingerichtet hat, betreibt Ateliers, nutzt leer stehende Geschäftslokale für Ausstellungen und wohnt ebenso wie die türkische Gemeinschaft in dem Viertel. Ein weiterer Aspekt ist das Spannungsfeld ‚öffentlich‘ versus ‚privat‘, welches vom Begriff des ‚urbanen Wohnzimmers‘ aufgespannt wird. Durch die Genese neuer Lebensstile hat sich das räumliche Verhalten der StädterInnen gewandelt, wodurch die Verortung des Wohnzimmers nicht mehr ausschließlich im privaten, sondern auch im halböffentlichen Raum erfolgt. Man trifft sich nicht nur mit Freunden im Café, sondern auch zu Besprechungen von Projekten oder um am Laptop seiner Arbeit nachzugehen. Holm Friebe und Sascha Lobo verweisen in ihrem einschlägigen Werk

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„Wir nennen es Arbeit“ mit dem Konzept des „dritten Orts“ auf die Wiederentdeckung des Kaffeehauses als Arbeitsplatz und die Vermischung von Öffentlichkeit und Privatheit (vgl. Friebe/Lobo 2006: 147). Das Café wird neben dem Zuhause und dem Büro als „third place“ zum Arbeitsplatz. Ursprünglich wurde das Konzept der „third places“ vom amerikanischen Stadtsoziologen Ray Oldenburg in den 1990er Jahren entwickelt. Es entstand im Zuge der Diskussion um den Bedeutungsverlust der öffentlichen Sphäre in den amerikanischen Städten (vgl. Merkel 2008: 80). Er sieht „third places“ als essenziell für den Erhalt des öffentlichen Lebens an. Ein Beispiel für dieses Phänomen ist im 7. Wiener Gemeindebezirk das Lokal „Espresso“. Dort treffen sich sowohl „die Kreativen“ wie ArchitektInnen, ‚Cultural Workers‘, DesignerInnen und Modeschöpfer als auch Hausfrauen und Bauarbeiter. Die Kreativen nutzen das Lokal als Teil des urbanen Wohnzimmers. Es finden dort Besprechungen statt, andere arbeiten an ihren Laptops und trinken dabei Kaffee. Die Lokal- und AtelierbetreiberInnen bringen für die kreative ‚community‘ signifikante Symbole und Zeichen an. Mit der Markierung des Raumes locken sie Menschen herbei, welche ihren sozialen Milieus angehören oder sich durch diese angezogen fühlen.

2.5. Theoretische Abgrenzung Ein weiterer theoretischer Bezugspunkt des vorliegenden Beitrags ist die Dissertation der Stadtsoziologin Silke Steets unter dem Titel „Wir sind Stadt“, die sich darin ebenfalls mit dem Phänomen des öffentlichen Wohnzimmers, im Kontext der „Räume Dazwischen“, befasst (Steets 2008). Ich werde an dieser Stelle Bezugspunkte zu ihrem Konzept herstellen und auch eine Differenzierung zwischen den Ansätzen vornehmen. Steets setzt sich in ihrer Arbeit mit den „Räumen Dazwischen“ (ebd.: 246) auseinander, welche den „Ausgangspunkt heterogener Kulturszenen“ bilden (ebd.: 252). Zum Phänomen der öffentlichen Wohnzimmer hält sie fest: „Die (An)Ordnung des öffentlichen Wohnzimmers bietet den Akteuren einen räumlichen Rahmen für die Aufführung des eigenen Geschmacks. Im Gegensatz zum privaten Wohnzimmer wird auf der Clubcouch das Spannungsverhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit neu ausgehandelt. Das Resultat ist die hybride Form eines Raums, der Kennzeichen des Öffentlichen ebenso trägt wie des Privaten.“ (ebd.: 251)

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Hier kann ein Bezug zu ihrem Konzept hergestellt werden, da urbane Wohnzimmer als Räume der Repräsentation genutzt werden. Doch gibt es in der Konzeption des Forschungsgegenstandes einige Unterschiede. Erstens die Verortung im Stadtraum: Urbane Wohnzimmer spannen sich im Gegensatz zu den öffentlichen Wohnzimmern nicht ausschließlich in Lokalen, Clubs oder Bars (also Konsumräumen), sondern im Stadtraum (also in öffentlichen, halböffentlichen Räumen und in Konsumräumen) auf. Sie konstituieren sich dazu auf der Ebene des Stadtquartiers auf Plätzen, im Straßenraum und an sogenannten „third places“ in Cafés, Lokalen und Geschäftsräumen (Friebe/ Lobo 2006). Sie werden von Kreativen und migrantischen ‚communities‘ im Quartier produziert, welche zur Verdrängung von ökonomisch schwächer gestellten Bevölkerungsgruppen führen können. Es muss also eine Abgrenzung zu dem Konzept des öffentlichen Wohnzimmers, und zwar wegen der unterschiedlichen Verortung im Stadtraum, vorgenommen werden.

2.6. Kontext zur aktuellen Stadtforschung Das Konzept des urbanen Wohnzimmers knüpft an unterschiedliche Diskursstränge in der aktuellen Stadtforschung an. Es beschreibt Phänomene der Ökonomisierung des öffentlichen Raums, welche durch die Mechanismen des Stadtmarketings und der lokalen Ökonomie, vorangetrieben werden. Urbane Wohnzimmer sind Räume an denen symbolische Umdeutungen des Stadtraums und damit verbundene Verdrängungsprozesse von ökonomisch schwächer gestellten sozialen Gruppen stattfinden und sind somit mit dem Phänomen der Gentrification verknüpft (Dangschat 1992; Zukin 2006). Sie werden durch kreative und ethnische Netzwerke konstituiert und ziehen höher gebildete und ökonomisch besser gestellte Bevölkerungsgruppen an. Da sie auf der Makroebene von der Stadtplanung im Zuge von Aufwertungsprozessen konstituiert werden, nivellieren sie so „den Verfall der öffentlichen Sphäre“ (vgl. Sennett 2008). Die derart entstandenen aufpolierten ‚Erlebniswelten‘ lenken von jenen Stadtquartieren ab, welche von großen Bevölkerungsgruppen mit einer schwächeren ökonomischen Basis bewohnt und genutzt und die nicht als Repräsentationsfläche ‚aufgemöbelt‘ werden. Dies zeigt sich am Phänomen der Festivalisierung der Stadt (vgl. Häußermann/Siebel 1993) nicht nur in den Stadtzentren (wie im Wiener Fall am Rathausplatz, dem Karlsplatz oder dem Museumsquartier), sondern auch auf der Ebene der Stadtquartiere. So findet beispielsweise im 7. und 16. Bezirk eine Reihe von Stadtteilfesten und Festivals statt, welche von den BetreiberInnen der lokalen Ökonomie, den Kulturschaffenden und der Stadt Wien unterstützt

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werden. Die Position der Stadtplanung und des Stadtmarketings ist in diesem Zusammenhang eine zentrale. Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor für die Aufwertung von Stadtquartieren und die Genese von urbanen Wohnzimmern sind die ethnischen Ökonomien. Durch die materielle und symbolische Aneignung von Stadtteilen konstituieren sie einen Teil des Stadtbildes mit und deuten diesen auf symbolischer Ebene um. Die Repräsentation der migrantischen Kultur wird im Falle des Brunnenmarktes von Seiten der Stadtplanung für das Stadtmarketing genutzt. Es findet dabei – zumindest ansatzweise – eine Disneyfizierung (vgl. Roost 2000) der migrantischen Kultur statt, was zur sog. Mainstreamisierung dieser Subkultur führt. „Migrantische Entrepreneurs“ schaffen neue Arbeitsplätze und ermöglichen in einigen Stadtquartieren die Grundversorgung mit Lebensmitteln und anderen Gebrauchsgegenständen (Yildiz/Mattausch 2009: 56). Literatur Atteslander, Peter/ Hamm, Bernd (Hrsg.) (1974): Materialien zur Siedlungssoziologie. Köln: Kiepenheuer & Witsch Bourdieu, Pierre (1987): Die feinen Unterschiede. Frankfurt am Main: Suhrkamp Bourdieu, Pierre (1991): Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum. In: Wentz et al. (1991): 25 – 34 Dangschat, Jens S. (1991): Gentrification – Indikator und Folge globaler ökonomischer Umgestaltung, des sozialen Wandels, politischer Handlungen und von Verschiebungen auf dem Wohnungsmarkt in innenstadtnahen Wohngebieten. Univ. Hamburg: unveröffentlichte Habilitationsschrift Wentz, Martin (Hrsg.) (1991): Stadt-Räume. Frankfurt am Main & New York: Campus Ebert, Ralf (Hrsg.) (1992): Partnerschaften für die Kultur: Chancen und Gefahren für die Stadt: neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft bei kulturellen. Dortmund: IRPUD. 127 – 149 Dangschat, Jens S. (1992): Vertreibung aus der Stadt durch Kultur? Ursachen der Instrumentalisierung von Kultur und ihre Folgen. In: Ebert et al. (1992): 127 – 149 Dangschat, Jens S. (2007): Raumkonzept zwischen struktureller Produktion und individueller Konstruktion. In: Ethnologie und Raum 9. 1. 24 – 45 Dlabaja, Cornelia (2008): Der Brunnenmarkt, ein Viertel im Aufbruch. ��������������� Univ. Wien: unveröffentlichter Forschungspraktikumsbericht Florida, Richard L. (2004): The rise of the creative class and how it‘s transforming work, leisure, community and everyday life. New York: Basic Books Frey, Oliver (2009): Die amalgame Stadt: Orte. Netzwerke. Milieus. Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften

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