Stüverhoff, Animierkneipen und Anwohner: Rotlicht am Eigelstein1 Arne Dreßler Wer heute das Eigelsteinviertel durchquert, gewinnt nicht sofort den Eindruck, sich inmitten des Einzugsbereichs von Angeboten „käuflicher Liebe“ wiederzufinden. Zwar warten in den Kneipen am bahnhofsseitigen Ende des Eigelsteins noch immer Frauen auf zahlende Gäste. Zwar gibt es zwei kleinere Etablissements und verschiedene Wohnungen, in denen man Termine vereinbaren kann. Aber jene Blicke und Worte, die das Geschäft punktueller Zweisamkeit begründen, beginnen in den meisten Fällen erst hinter den Türschwellen und Mauern des Viertels. Das war nicht immer so. Im Oktober 1963 schlug der SPD‐Stadtverordnete Helmut Braubach Alarm und wies im Rat auf den drohenden „sozialen Abstieg“ der nördlichen Alt‐ und Neustadt hin. Sie sei „zum Sammelpunkt von Straßendirnen, Zuhältern, Pennbrüdern, Straßenräubern und anderem lichtscheuen Volk aus aller Herren Länder“ geworden. Pensionen des Viertels als Stätten der Kuppelei, ein neues „Dirnenzentrum“ vor St. Ursula und Funkmietwagen in diverser Zubringerfunktion für die „Gewerbsunzucht“. Dies alles inmitten italienischer Gastarbeiter, die sich schon zur Mittagszeit am Eigelstein einfanden. Schon erhoben sich Rufe nach einer Bürgerwehr. Dazu kam es nicht, in der Folge aber zur Einrichtung eines Polizeivorpostens am Ursulaplatz, aus dem die spätere Eigelsteinwache hervorging. Ende Mai 1964 wurde der Eigelstein erneut aufgeschreckt. Auf einem Empfang Konrad Adenauers in der Bastei plauschte Braubach mit Polizeipräsident Theodor Hochstein. Dieser liebäugelte mit dem Bau eines Großbordells im Stavenhof. Es sollte als Ersatzquartier für die in der Südstadt zu schließende Nächelsgasse dienen. Die Eigelsteiner waren entsetzt und entschieden sich zum Gang an die Öffentlichkeit. Der Pfarrer von St. Ursula und Erzbischöfliche Rat Paul Fetten warnte: Komme ein solches Haus, werde er von der Stadt Köln verlangen, die heilige Ursula als Stadtpatronin abzusetzen. Die Ratsfraktionen stellten
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Manuskriptfassung. Erschienen unter dem Titel „Stüverhoff: Rotlicht am Eigelstein“ in Mario Kramp und Marcus Trier (Hrsg.): Drunter und Drüber: Der Eigelstein. (Schauplatz Kölner Geschichte 2) Köln: J.P.Bachem, 2014, S. 233‐237. Änderungen an Titel und Text in der Druckfassung von redaktioneller Hand.
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sich gegen den Bordellplan, ebenso Oberstadtdirektor Max Adenauer und die Verwaltung – die Idee wurde fallengelassen. Der Stavenhof, im Volksmund als „Stüverhoff“ bekannt, war bereits seit langem „Dirnenquartier“. Den Frauen, die keinerlei soziale Absicherung hatten, diente die dunkle und gebogene Gasse als Rückzugsraum fürs Alter. Bis zur Schließung der Nächelsgasse im Juli 1964 galt im Stavenhof ein Mindestalter von 30 Jahren, um dort als Prostituierte zu arbeiten. Nachts warteten die Ältesten auf Kundschaft. Anders als die Nächelsgasse oder die Kleine Brinkgasse in der Innenstadt war der Stavenhof jedoch keine reine „Dirnenstraße“. Die Frauen wohnten dort und lebten auch zusammen mit anderen Bewohnern in der Straße. Eine Zeitzeugin: „Hier han doch fröher so vill Privatlück jewonnt, do han de Pänz jespillt, un mir stunde nevven der Kinder. Do hätt sich kei Minsch drann jestört!“ Dies nahmen auch Besucher von auswärts verwundert zur Kenntnis. Doch das Gewerbe musste den Stavenhof verlassen. Als das „Eros Center“ zwischen den Bahndämmen in der Hornstraße kurz vor der Eröffnung stand, kam Anfang 1972 die Schließungsverfügung. Eine Unterschriftensammlung bei Bewohnern des Stavenhofs und den umliegenden Geschäften am Eigelstein, in der sie bestätigten, dass sie sich von den Frauen nicht belästigt fühlten, zählte nicht. Erst Ende der 1970er Jahre duldete die Stadt die Rückkehr einiger älterer Frauen in den Stavenhof. Nicht ins Bild der mit Unsittlichkeit und Jugendschutz beschäftigten 1950er und 1960er Jahre passen auch Züge des Zusammenlebens der Einwohner mit den Frauen, die in den Lokalen anschaffen gingen. Dort schauten nicht nur die Interessenten bezahlter Zärtlichkeiten vorbei. Auf ein paar Kölsch und ein Schwätzchen erschienen ebenfalls die Hausfrau von nebenan oder die Jungs aus dem Viertel. In einer Zeit, als sich das Leben insgesamt noch stärker auf der Straße abspielte, als die vielen kleinen Geschäfte zu ausgedehnten Einkaufswegen durch das Viertel anregten, begegnete man sich ohnehin häufig. Kontakte entstanden. Hinzu kamen Verwandtschaftsbeziehungen. Ein Zeitzeuge fasst die Verhältnisse im Eigelstein der 1970er und 1980er Jahre so zusammen: „Man kannte sich. Fremde waren eigentlich nur die Freier, die hier ankamen.“ Das änderte sich erst mit der Sanierung des Viertels Anfang der 1990er Jahre. Neue Leute zogen in die sanierten Häuser. Diese grüßten nicht mehr, sondern guckten den Aussagen der Frauen zufolge nur „immer so komisch“. Dann nahmen die Beschwerden zu. Auf eine Hebung des „sozialen Niveaus“ setzten auch viele der verbliebenen, von ihren von Inhabern geführten Fachgeschäfte des Eigelsteins. Für sie, die der geballten Konkurrenz in der City 2
immer weniger entgegensetzen konnten, war die eigene Existenz schon seit Ende der 1950er Jahre eng mit dem Ruf des Viertels verbunden. In den eigenen Reihen ausgedünnt und von Kettenläden oder Sex‐Shops umlagert, traten sie den lauten Stimmen gegen den Rotlichtbetrieb bei – ebenso renditeorientierte Hauseigentümer. Dieser geballte Druck rief die Polizei verstärkt auf den Plan. Die Frauen aus dem Gewerbe beschreiben diese Zeit als eine enorm belastende „Hetzjagd“. Bemerkenswert: Trotz anfänglichen Widerstands ging ein Sitz des 1992 gegründeten Sanierungsbeirats an eine Frau aus dem Gewerbe. Allerdings befasste sich das Gremium über das Generalziel des Erhalts von dauerhaft bezahlbarem Mietwohnraum hinaus nicht speziell mit den Problemen dieser ebenso zum Eigelstein gehörenden Gruppe. Um auch ihnen einen Platz in der Vision für die Zukunft des Viertels freizuhalten, dazu hätte es eines Bekenntnisses zur unbedingten Existenzberechtigung für die Frauen des Gewerbes bedurft. Dagegen stand jedoch zunehmend mehr: Mit Öffnung der Grenzen trafen auch am Eigelstein vermehrt ausländische Prostituierte ein, die Szene wurde unübersichtlicher. Die aufkommende Drogenprostitution erschwerte eine positive Haltung zu den Prostituierten insgesamt massiv. Am Ende ist vom Rotlichtcharakter des Eigelsteins kaum etwas geblieben. Der Stavenhof ist reine Wohnstraße. Die Animierlokale am Gereonswall sind geschlossen, nur noch einige Stundenhotels existieren. Mehr als eine Person, die mir als Zeitzeuge oder als Zeitzeugin berichtete, betonte jedoch, dass sie gerne noch einmal „Beim Nettche“ an der Theke stehen würde. Quellen Archivunterlagen IG Eigelstein‐Marzellenstraße Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland, BR 2050, Nr. 5 Niederschriften des Sanierungsbeirates Eigelstein Verhandlungen des Rates der Stadt Köln, 1963 Zeitzeugeninterviews Literatur 3
Alexandra Micha und Angela Weiskopf: Ev Eşyası: Sanierung Eigelstein. Unveröffentlichte Vertiefungsarbeit am Lehrstuhl für Planungstheorie RWTH Aachen, 1990. „Prostitutierte wegsanieren?“ in: Stadtrevue 3/1991, S. 40‐44.