Stüverhoff: Rotlicht am Eigelstein.

June 1, 2017 | Author: Arne Dressler | Category: Public Sociology, Prostitution, Stadtsoziologie, Geschichte Kölns
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Stüverhoff, Animierkneipen und Anwohner: Rotlicht am Eigelstein1    Arne Dreßler      Wer heute das Eigelsteinviertel durchquert, gewinnt nicht sofort den Eindruck, sich inmitten  des Einzugsbereichs von Angeboten „käuflicher Liebe“ wiederzufinden. Zwar warten in den  Kneipen am bahnhofsseitigen Ende des Eigelsteins noch immer Frauen auf zahlende Gäste.  Zwar  gibt  es  zwei  kleinere  Etablissements  und  verschiedene  Wohnungen,  in  denen  man  Termine  vereinbaren  kann.  Aber  jene  Blicke  und  Worte,  die  das  Geschäft  punktueller  Zweisamkeit  begründen,  beginnen  in  den  meisten  Fällen  erst  hinter  den  Türschwellen  und  Mauern des Viertels.  Das war nicht immer so. Im Oktober 1963 schlug der SPD‐Stadtverordnete Helmut Braubach  Alarm  und  wies  im  Rat  auf  den  drohenden  „sozialen  Abstieg“  der  nördlichen  Alt‐  und  Neustadt  hin.  Sie  sei  „zum  Sammelpunkt  von  Straßendirnen,  Zuhältern,  Pennbrüdern,  Straßenräubern  und  anderem  lichtscheuen  Volk  aus  aller  Herren  Länder“  geworden.  Pensionen  des  Viertels  als  Stätten  der  Kuppelei,  ein  neues  „Dirnenzentrum“  vor  St.  Ursula  und  Funkmietwagen  in  diverser  Zubringerfunktion  für  die  „Gewerbsunzucht“.  Dies  alles  inmitten  italienischer  Gastarbeiter,  die  sich  schon  zur  Mittagszeit  am  Eigelstein  einfanden.  Schon  erhoben  sich  Rufe  nach  einer  Bürgerwehr.  Dazu  kam  es  nicht,  in  der  Folge  aber  zur  Einrichtung  eines  Polizeivorpostens  am  Ursulaplatz,  aus  dem  die  spätere  Eigelsteinwache  hervorging.  Ende  Mai  1964  wurde  der  Eigelstein  erneut  aufgeschreckt.  Auf  einem  Empfang  Konrad  Adenauers in der Bastei plauschte Braubach mit Polizeipräsident Theodor Hochstein. Dieser  liebäugelte mit dem Bau eines Großbordells im Stavenhof. Es sollte als Ersatzquartier für die  in  der  Südstadt  zu  schließende  Nächelsgasse  dienen.  Die  Eigelsteiner  waren  entsetzt  und  entschieden  sich  zum  Gang  an  die  Öffentlichkeit.  Der  Pfarrer  von  St.  Ursula  und  Erzbischöfliche  Rat  Paul  Fetten  warnte:  Komme  ein  solches  Haus,  werde  er  von  der  Stadt  Köln verlangen, die heilige Ursula als Stadtpatronin abzusetzen. Die Ratsfraktionen stellten 

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  Manuskriptfassung.  Erschienen  unter  dem  Titel  „Stüverhoff:  Rotlicht  am  Eigelstein“  in  Mario  Kramp  und  Marcus  Trier  (Hrsg.):  Drunter  und  Drüber:  Der  Eigelstein.  (Schauplatz  Kölner  Geschichte  2)  Köln:  J.P.Bachem,  2014, S. 233‐237. Änderungen an Titel und Text in der Druckfassung von redaktioneller Hand. 

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sich gegen den Bordellplan, ebenso Oberstadtdirektor Max Adenauer und die Verwaltung –  die Idee wurde fallengelassen.  Der  Stavenhof,  im  Volksmund  als  „Stüverhoff“  bekannt,  war  bereits  seit  langem  „Dirnenquartier“.  Den  Frauen,  die  keinerlei  soziale  Absicherung  hatten,  diente  die  dunkle  und gebogene Gasse als Rückzugsraum fürs Alter. Bis zur Schließung der Nächelsgasse im Juli  1964 galt im Stavenhof ein Mindestalter von 30 Jahren, um dort als Prostituierte zu arbeiten.  Nachts  warteten  die  Ältesten  auf  Kundschaft.  Anders  als  die  Nächelsgasse  oder  die  Kleine  Brinkgasse  in  der  Innenstadt  war  der  Stavenhof  jedoch  keine  reine  „Dirnenstraße“.  Die  Frauen  wohnten  dort  und  lebten  auch  zusammen  mit  anderen  Bewohnern  in  der  Straße.  Eine Zeitzeugin: „Hier han doch fröher so vill Privatlück jewonnt, do han de Pänz jespillt, un  mir  stunde  nevven  der  Kinder.  Do  hätt  sich  kei  Minsch  drann  jestört!“  Dies  nahmen  auch  Besucher von auswärts verwundert zur Kenntnis. Doch das Gewerbe musste den Stavenhof  verlassen. Als das „Eros Center“ zwischen den Bahndämmen in der Hornstraße kurz vor der  Eröffnung stand, kam Anfang 1972 die Schließungsverfügung. Eine Unterschriftensammlung  bei  Bewohnern  des  Stavenhofs  und  den  umliegenden  Geschäften  am  Eigelstein,  in  der  sie  bestätigten, dass sie sich von den Frauen nicht belästigt fühlten, zählte nicht. Erst Ende der  1970er Jahre duldete die Stadt die Rückkehr einiger älterer Frauen in den Stavenhof.  Nicht ins Bild der mit Unsittlichkeit und Jugendschutz beschäftigten 1950er und 1960er Jahre  passen auch Züge des Zusammenlebens der Einwohner mit den Frauen, die in den Lokalen  anschaffen gingen. Dort schauten nicht nur die Interessenten bezahlter Zärtlichkeiten vorbei.  Auf  ein  paar  Kölsch  und  ein  Schwätzchen  erschienen  ebenfalls  die  Hausfrau  von  nebenan  oder die Jungs aus dem Viertel. In einer Zeit, als sich das Leben insgesamt noch stärker auf  der Straße abspielte, als die vielen kleinen Geschäfte zu ausgedehnten Einkaufswegen durch  das  Viertel  anregten,  begegnete  man  sich  ohnehin  häufig.  Kontakte  entstanden.  Hinzu  kamen  Verwandtschaftsbeziehungen.  Ein  Zeitzeuge  fasst  die  Verhältnisse  im  Eigelstein  der  1970er und 1980er Jahre so zusammen: „Man kannte sich. Fremde waren eigentlich nur die  Freier, die hier ankamen.“  Das  änderte  sich  erst  mit  der  Sanierung  des  Viertels  Anfang  der  1990er  Jahre.  Neue  Leute  zogen in die sanierten Häuser. Diese grüßten nicht mehr, sondern guckten den Aussagen der  Frauen  zufolge  nur  „immer  so  komisch“.  Dann  nahmen  die  Beschwerden  zu.  Auf  eine  Hebung des „sozialen Niveaus“ setzten auch viele der verbliebenen, von ihren von Inhabern  geführten  Fachgeschäfte  des  Eigelsteins.  Für  sie,  die  der  geballten  Konkurrenz  in  der  City  2

immer weniger entgegensetzen konnten, war die eigene Existenz schon seit Ende der 1950er  Jahre eng mit dem Ruf des Viertels verbunden. In den eigenen Reihen ausgedünnt und von  Kettenläden  oder  Sex‐Shops  umlagert,  traten  sie  den  lauten  Stimmen  gegen  den  Rotlichtbetrieb  bei  –  ebenso  renditeorientierte  Hauseigentümer.  Dieser  geballte  Druck  rief  die Polizei verstärkt auf den Plan. Die Frauen aus dem Gewerbe beschreiben diese Zeit als  eine enorm belastende „Hetzjagd“.  Bemerkenswert:  Trotz  anfänglichen  Widerstands  ging  ein  Sitz  des  1992  gegründeten  Sanierungsbeirats  an  eine  Frau  aus  dem  Gewerbe.  Allerdings  befasste  sich  das  Gremium  über  das  Generalziel  des  Erhalts  von  dauerhaft  bezahlbarem  Mietwohnraum  hinaus  nicht  speziell  mit  den  Problemen  dieser  ebenso  zum  Eigelstein  gehörenden  Gruppe.  Um  auch  ihnen einen Platz in der Vision für die Zukunft des Viertels freizuhalten, dazu hätte es eines  Bekenntnisses zur unbedingten Existenzberechtigung für die Frauen des Gewerbes bedurft.  Dagegen stand jedoch zunehmend mehr: Mit Öffnung der Grenzen trafen auch am Eigelstein  vermehrt  ausländische  Prostituierte  ein,  die  Szene  wurde  unübersichtlicher.  Die  aufkommende  Drogenprostitution  erschwerte  eine  positive  Haltung  zu  den  Prostituierten  insgesamt massiv.   Am Ende ist vom Rotlichtcharakter des Eigelsteins kaum etwas geblieben. Der Stavenhof ist  reine  Wohnstraße.  Die  Animierlokale  am  Gereonswall  sind  geschlossen,  nur  noch  einige  Stundenhotels  existieren.  Mehr  als  eine  Person,  die  mir  als  Zeitzeuge  oder  als  Zeitzeugin  berichtete, betonte jedoch, dass sie gerne noch einmal „Beim Nettche“ an der Theke stehen  würde.    Quellen    Archivunterlagen IG Eigelstein‐Marzellenstraße  Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland, BR 2050, Nr. 5  Niederschriften des Sanierungsbeirates Eigelstein  Verhandlungen des Rates der Stadt Köln, 1963  Zeitzeugeninterviews    Literatur    3

Alexandra  Micha  und  Angela  Weiskopf:  Ev  Eşyası:  Sanierung  Eigelstein.  Unveröffentlichte  Vertiefungsarbeit am Lehrstuhl für Planungstheorie RWTH Aachen, 1990.   „Prostitutierte wegsanieren?“ in: Stadtrevue 3/1991, S. 40‐44. 

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