Stille Post: Die Übersetzungen von Ricoldus de Monte Crucis‘ „Contra legem Sarracenorum“ in Biblianders Koranausgabe von 1543, in: Ulrike Bechmann/Karl Prenner/Erich Renhart (Hgg.), Der Islam im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes, Graz 2014, 109-132.

September 26, 2017 | Author: Martin M. Bauer | Category: Medieval Literature, Theology, Medieval Studies, Medieval Latin Literature, Byzantine Studies, Islamic Studies, Translation, Islamic Studies, Translation
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Martin Michael Bauer, Graz Stille Post: Die Übersetzungen von Ricoldus de Monte Crucis’ „Contra legem Sarracenorum“ in Biblianders Koranausgabe von 1543 I. Einleitung Unter den zahlreichen polemischen Traktaten gegen den Islam, die Theodor Bibliander im zweiten und dritten Band seiner berühmten Koranausgabe von 1543 versammelt hat,1 findet sich auch die Schrift „Contra legem Sarracenorum“ (~1300) des Dominikanermönchs Ricoldus de Monte Crucis – aber nicht in ihrer originalen lateinischen Textgestalt, sondern nur in zwei späteren Versionen, nämlich in der griechischen Übersetzung des Demetrios Kydones (3. V. 14. Jh.) und einer Rückübersetzung aus dem Griechischen ins Lateinische von Bartholomaeus Picenus (1506). Der beeindruckenden Siegeszug dieser Rückübersetzung, die einige Übersetzungsfehler und bewusste Texteingriffe aufweist, sich aber insbesondere durch Wortwahl und Sprachduktus fundamental vom Original unterscheidet, manifestiert sich in vier Druckausgaben zwischen 1506 und 15142 ebenso wie in der Tatsache, dass Martin Luther den Text des Bartholomaeus als Grundlage seiner freien deutschen Übertragung (1542) genommen hat. Bibliander hat die Vorherrschaft dieser späteren Version aufgrund der weiten Verbreitung seiner Edition endgültig besiegelt. Mit der Ausnahme eines venezianischen Drucks von 1607 unter dem Titel „Propugnaculum Fidei“, der noch einmal das Original des Ricoldus bietet, wurde die Fassung des Bartholomaeus Picenus zum Standardtext von „Contra legem Sarracenorum“ – bis zu Mignes Patrologia Graeca, die sich damit begnügt, den zweisprachigen Text Biblianders nachzudrucken, und weiter bis ins 20. Jh. Dabei verzichten die Herausgeber und Übersetzer, angefangen von Luther bis heute, sogar oftmals auf die Nennung des Bartholomaeus und präsentieren seinen Text unter dem Namen des Ricoldus. Ein gutes Beispiel dafür ist die Edition des Corpus Islamo-Christianum aus dem Jahr 1999, die unter dem irreführenden Titel „Ricoldus de Montecrucis. Confutatio Alcorani (1300). Martin Luther. Verlegung des Alcoran (1542). Kommentierte lateinisch-deutsche Textausgabe“ die Übersetzung des Bartholomaeus Picenus gemeinsam mit ihrer Verdeutschung durch Martin 1

Der vorliegende Beitrag versammelt in gekürzter Form einige wichtige Teilergebnisse meiner Diplomarbeit „Traduttore traditore. Die verschiedenen Versionen von Ricoldus de Monte Crucis‘ Traktat „Contra legem Sarracenorum“ und die Praxis des Übersetzens im ausgehenden Mittelalter und der frühen Neuzeit“ (Graz 2014), die dort ausführlicher und mit umfangreicheren Textbeispielen dargelegt sind. – Zu den Umständen dieser Publikation, zu ihren Gegnern und ihrer Nachwirkung vgl. Bobzin 1995, 159–276. Einen Überblick über die Inhalte und Intentionen von Biblianders Korandruck geben De la Cruz 2004 und Bobzin 1995, 215–221. Siehe auch Burman 2007, 110–117. 103

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Luther abdruckt.3 Diese Kombination ist zwar grundsätzlich sinnvoll und wohlbegründet, weil Luther selbst nur die Version des Bartholomaeus zur Verfügung hatte und aus ihr übersetzt hat, und die komplizierte Textgeschichte wird auch in der Einleitung kurz erläutert und sogar mit einer Tabelle visualisiert.4 Dennoch suggeriert der Titel durch den Autorennamen und die Jahreszahl, dass es sich hier um die Originalfassung von 1300 handle, und die Ungenauigkeit in Bezug auf die verschiedenen Fassungen führt dann im Kommentar auch prompt dazu, dass Ricoldus bei der problematischen Stelle CLS 4, 41–52 Mérigoux (s.u. Abschnitt IV.) zu Unrecht für schwerwiegende Missverständnisse und sinnentstellende Fehler seiner Übersetzer verantwortlich gemacht wird.5 Für dieselbe Passage ist mit ähnlichen Ergebnissen auch schon Hartmut Bobzin bei seinem Vergleich zwischen den Koranübersetzungen bei Ricoldus und der Gesamtübersetzung des Robert von Ketton vom Text des Bartholomaeus Picenus ausgegangen.6 Dagegen hat den originalen Ricoldus erst Jean-Marie Mérigoux mit seiner an verstecktem Ort publizierten kritischen Edition 1986 wieder in die Diskussion eingebracht, wobei ihm sogar ein teilautographes Exemplar von „Contra legem Sarracenorum“ zur Verfügung stand.7 Die einzige Übersetzung dieser originalen Textform in eine moderne Sprache ist bis heute die italienische Version von Giuseppe Rizzardi, die unter dem Titel „I Saraceni“ 1992 erschienen ist.8 2 3 4 5

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Rom 1506, Paris 1509, 1511 und 1514, vgl. Mérigoux 1986, 54f. Ehmann 1999. Ehmann 1999, 15–17. Ehmann 1999, 221: „Die Geschichte zeigt, daß offenbar Ricoldus nicht willens oder in der Lage war, mit muslimischen Gesprächspartnern die offenkundigen Probleme der Überlieferung zu klären.“ Wie Ricoldus mit muslimischen Gesprächspartnern Überlieferungsprobleme, die erst durch die Übersetzungen des Demetrios Kydones und des Bartholomaeus Picenus entstanden sind, klären hätte sollen, verschweigt Ehmann leider. Bobzin 1995, 132–135 mit Anm. 269. Mérigoux 1986. Das Teilautograph von „Contra legem Sarracenorum“ im Ms. Firenze, Bibl. Nazionale, Conv. Sopp. C 8.1173, ff. 185r–218r. Zur Handschrift vgl. Mérigoux 1986, 6–13 und Pomaro 1981, 374–376 und 467. Rizzardi 1992. – Nur am Rande seien als besondere Kuriosa die zwei lieferbaren englischen Übersetzungen von „Contra legem Sarracenorum“ vermerkt, die beide im Eigenverlag erschienen sind und beide keinerlei wissenschaftliche Ansprüche stellen. Eine davon, unter dem Pseudonym „Londini Ensis“ veröffentlicht, hat den Text von Bartholomaeus Picenus zur Grundlage, die andere von Thomas C. Pfotenhauer trägt schon im Titel „Islam in the Crucible: Can it pass the test?“ eine bedenkliche ideologische Schlagseite und übersetzt aus Martin Luthers sehr freier deutscher Übertragung der Bartholomaeus-Version, so dass vom Text des Ricoldus kaum noch etwas übrigbleibt. Es handelt sich dabei also um die englische Übersetzung einer deutschen Übersetzung einer lateinischen Übersetzung einer griechischen Übersetzung des lateinischen Originals, was das Stille-Post-Prinzip wohl auf die Spitze treibt.

„Contra legem Sarracenorum“ in Biblianders Koranausgabe von 1543

Eine so komplexe Serie von Übersetzungen, wie sie bei „Contra legem Sarracenorum“ vorliegt, lässt den Text natürlich nicht unversehrt, sondern bringt zwangsläufig eigene, jeweils auch zeit- und situationsbedingte Konzepte der Übersetzer an ihn heran. Diesen Konzepten nachzuspüren und die wichtigsten Stadien der Transformation – vom Original über die Übersetzungen des Demetrios Kydones bis hin zu Biblianders Edition – näher zu beleuchten, ist das Ziel des vorliegenden Beitrages. Daneben kann die Untersuchung vielleicht auch dazu beitragen, das Bewusstsein für die Existenz der verschiedenen Fassungen und für die Unterschiede zwischen ihnen zu schärfen. II. Ricoldus de Monte Crucis „Contra legem Sarracenorum“ ist im Original das Werk des florentinischen Dominikanermönchs Ricoldus de Monte Crucis. Seine Lebensdaten sind schnell referiert:9 Das erste sicher bezeugte Datum ist das Jahr 1267, in dem Ricoldus in den Dominikanerorden zu Santa Maria Novella in Florenz eingetreten ist.10 Zuvor hat er nach seinen eigenen Angaben im „Liber peregrinationis“ ein Studium der artes liberales in der Fremde absolviert.11 1272 wird Ricoldus vom Provinzialkapitel zu Florenz zum artes-Lehrer in Pisa ernannt und 1287 vom Provinzialkapitel zu Rom mit der interimistischen Leitung des Dominikanerkonvents von Prato betraut. 1288 kehrt Ricoldus nach Santa Maria Novella zurück. Bald darauf muss er zu jener Pilgerreise ins Heilige Land

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Für die folgende Kurzbiographie des Ricoldus vgl. stets die ausführlichen Darstellungen bei Mérigoux 1986, 13–27 und Panella 1988, 5–18, wo auch die nichtliterarischen Quellen wie diverse Akten und der Nekrolog des Klosters, die im Folgenden nicht einzeln zitiert werden, gesammelt und leicht zugänglich sind. Das historische Umfeld des Ricoldus berücksichtigt insbesondere George-Tvrtković 2012, 1–15. Zu errechnen aus den Angaben des Nekrologs, Ricoldus sei 1320 nach 53 Jahren und fünf Monaten Ordensangehörigkeit verstorben, vgl. z.B. Mérigoux 1986, 14. – Die Angabe „geboren um 1243“, die in der Literatur und in den einschlägigen Lexika (siehe z.B. LexMA 7 (1995) 808 s.v. Ric(c)oldo da Monte di Croce; LThK³ 8 (1999) Sp. 1166–1167 s.v. Ric(c) oldo da Monte di Croce) häufig anzutreffen ist, geht auf Mandonnet 1893, 46 zurück, der das ungefähre Geburtsdatum aus der Behauptung bei Fineschi 1790, 305 errechnet hat, Ricoldus sei bei seinem Eintritt in den Orden 25 Jahre alt gewesen. Woher Fineschi dieses Wissen bezogen hat, ist unbekannt, das Geburtsdatum des Ricoldus entsprechend unsicher. LP p. 38 Kappler = praef. p. 105 Laurent: „…maxime cum in mente mea revolverem, quas longas et laboriosas peregrinationes assumpseram adhuc secularis existens, ut addiscerem illas seculares scientias, quas liberales appellant.“ – „…insbesondere, als ich mir in Erinnerung rief, welche langen und beschwerlichen Reisen ich unternommen hatte, als ich noch Laie war, um jene weltlichen Wissenschaften zu erlernen, die man artes liberales nennt.“ 105

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aufgebrochen sein, die er in der Folge in missionarischer Absicht auch in das Reich der mongolischen Ilchane und bis nach Bagdad ausdehnte und die ihm den Erfahrungshintergrund für seine orientalistischen Schriften lieferte. Für eine genauere zeitliche Verortung der Reise stehen uns nur die Aussagen in Ricoldus’ eigenen Werken zur Verfügung: Den terminus ante quem geben seine Beschreibungen von Akkon als einer civitas Christianorum und Castrum Peregrini (Atlit) als nobile castrum Templariorum iuxta mare.12 Ricoldus muss die beiden Orte also noch vor der Eroberung Akkons durch die Mamluken am 18. Mai 1291 bzw. der Aufgabe der Templerfestung am 14. August 1291 besucht haben. Falls Ricoldus auch in den stärker literarisch überformten „Epistolae ad Ecclesiam triumphantem“ authentische persönliche Erlebnisse wiedergibt,13 lässt sich sein Aufenthalt im Orient noch genauer eingrenzen: Demnach hätte sich Ricoldus zur Zeit der Eroberung von Tripolis am 27. April 1289 schon in Sivas in Zentralanatolien, also im Herrschaftsgebiet der Ilchane, befunden und wäre im Sommer 1291 bereits in Bagdad gewesen, wo er von der Eroberung Akkons hört und auf den Basaren Beutestücke aus Akkon feilgeboten sieht.14 In Bagdad ist Ricoldus nach eigenen Angaben „pluribus annis“ verblieben15 und war wahrscheinlich noch Augenzeuge der Thronbesteigung des muslimischen und christenfeindlichen Ilchans Gazan 1295,16 doch seine Spur verliert sich. Wann und auf welchem Wege er wieder zurück nach Florenz gelangt ist, lässt sich nicht eruieren, lediglich ein Grund für seine Rückreise wird im Nekrolog von Santa Maria Novella genannt: Er sei „pro quibusdam dubiis articulis per sedem apostolicam declarandis“ nach Italien zurückgerufen worden, also um von ihm vertretene strittige Lehrmeinungen vor der römischen Kurie zu verteidigen.17 Mit Sicherheit war Ricoldus am 21. März 1301 wieder in Santa Maria Novella, wo er als Zeuge in einem Notariatsakt genannt

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LP p. 46 Kappler = cap. 2 p. 107 Laurent (Akkon) bzw. LP p. 48 Kappler = cap. 3, p. 107 Laurent (Castrum Peregrini), vgl. dazu Panella 1988, 9; Panella 1986, xxxiii. 13 Zum Quellenwert dieser Briefe vgl. besonders Weltecke 2007, bes. 280–282, die einige literarische Fiktionen im Text aufzeigt und fordert, das Werk als „gestaltete[n] Text, Dichtung“ mit „intendierte[m] Publikum“ und „intendierte[r] Aussage“ (281) zu begreifen. Aber schon Panella 1986, xxxv–xxxvi weist einige Widersprüche zwischen der angeblichen Abfassung der Briefe im Orient und ihrem Inhalt nach und mahnt zur Vorsicht. 14 Epistola 2, p. 273 Röhricht und Epistola 4, p. 289 Röhricht, vgl. Panella 1988, 9; Panella 1986, xxxiii. 15 LP p. 166 Kappler = cap. 27 p. 133 Laurent; Ep. 1, 30 p. 75 Panella = p. 270 Röhricht; ADNO f. 243r = 4, 14 Jensen; vgl. Mérigoux 1986, 14. 16 Dies suggerieren zumindest die Briefe, die eine Christenverfolgung in und um Bagdad vorauszusetzen scheinen, vgl. z.B. Ep. 1, 2–3 p. 64f Panella = p. 264 Röhricht; 1, 17–18 p. 70f Panella = p. 268 Röhricht; 1, 29 – 30 p. 74f Panella = p. 270f Röhricht; Ep. 2 p. 272 Röhricht; Ep. 3 p. 280 Röhricht. 17 Vgl. Mérigoux 1986, 14. 106

„Contra legem Sarracenorum“ in Biblianders Koranausgabe von 1543

wird.18 Obwohl er nach der Angabe des Nekrologs ursprünglich die Absicht hatte, wieder in den Orient zurückzukehren, verbrachte er dann „infirmitatibus prepeditus“ den Rest seines Lebens in Italien und war, wiederum laut Angabe des Nekrologs, zu einer nicht näher bestimmten Zeit auch Prior von Santa Maria Novella. 1316 wurde er nach Orvieto strafversetzt, kehrte aber irgendwann in den folgenden Jahren nach Florenz zurück, wo er am 31. Oktober 1320 verstarb. Ricoldus hat vier Werke hinterlassen, die mit Sicherheit von ihm stammen und die sich alle mit dem Orient und seinen Religionen beschäftigen:19 Den „Liber peregrinationis“ (LP), ein Itinerar seiner Reise, in das lange Exkurse über die verschiedenen religiösen Gruppierungen im Orient eingebettet sind; die „Epistolae ad Ecclesiam triumphantem“ (Ep.), fünf literarisch durchgestaltete Klagen über den Fall der Kreuzfahrerstaaten in Briefform; den „Libellus contra legem Sarracenorum“ (CLS), einen polemischen Traktat zur Widerlegung des Korans; und den „Libellus ad nationes Orientales“ (ADNO), eine Art Missionshandbuch für den Nahen Osten. Die relative Chronologie erschließt sich weitgehend aus den Werken selbst: Die beiden frühesten Werke sind der „Liber peregrinationis“ und die „Epistolae ad Ecclesiam triumphantem“, deren zeitliches Verhältnis zueinander nicht näher bestimmt werden kann, dann folgt „Contra legem Sarracenorum“ und schließlich „Ad nationes Orientales“.20 Schwieriger ist es, die relative Abfolge von Ricoldus‘ Orient-Schriften mit absoluten Jahreszahlen zu verbinden. Einen terminus post quem liefert die Thronbesteigung Gazans 1295, die in den „Epistolae“ anscheinend vorausgesetzt wird und auch zur Angabe im „Liber peregrinationis“ passt, Ricoldus sei nach 1291 noch einige Jahre in Bagdad verblieben. Die Benutzung von patristischer und scholastischer Literatur sowie von älteren islamkundlichen (bzw. polemischen) Texten, u.a. aus dem „Corpus Toletanum“,21 zeigt deutlich, dass Ricoldus beim Verfassen seiner Schriften Zugang zu einer umfangreicheren Bibliothek hatte und die orientalistischen Arbeiten somit mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Zeit nach der Rückkehr des Ricoldus nach Italien fallen. Neben anderen Indizien sprechen insbesondere die in allen vier Werken wiederkehrenden Formulierungen, es seien seit Christi Geburt „iam mille trecenti anni“22 sowie seit dem Auftreten Mohammeds „fere“ bzw. „nondum

18 Notarile antecosimiano, Archivio di Stato di Firenze, M 293, II, f. 22r (21.III.1300/1), unediert, der relevante Ausschnitt abgedruckt bei Panella 1988, 11f. 19 Zu den unsicheren und zweifelhaften zugeschriebenen Werken siehe Dondaine 1967, 142–149. 20 Vgl. Panella 1986, xxv–xl. Michelina Di Cesare 2012, 382 hält den „Liber peregrinationis“ fälschlich für später als „Contra legem Sarracenorum“. 21 Zu den Quellen des Ricoldus vgl. Mérigoux 1986, 27–33 und seinen Similienapparat in der Edition. Zur Abhängigkeit von älteren Islampolemiken siehe auch Daniel 1960, 239f; Tolan 2002, 251f. Speziell zur Benutzung früherer lateinischer Koranübersetzungen in „Contra legem Sarracenorum“ vgl. Burman 2011. 22 ADNO f. 229r = 3, 10 Jensen; Ebda. f. 231v = 3, 42 Jensen; Ebda. f. 233r = 3, 58 Jensen. Ähnlich CLS 9, 75f, p. 102 Mérigoux. 107

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septingenti anni“23 verstrichen, für eine Datierung um das Jahr 1300 n. Chr. (= 700 AH nach dem islamischen Mondkalender).24 Bereits im letzten Großabschnitt seines „Liber peregrinationis“ hatte sich Ricoldus eingehend mit dem Islam beschäftigt. Seine Behandlung des Themas zerfällt dort noch in zwei völlig gegensätzliche Teile: Die konkrete Praxis der Muslime, ihre sittlichen Tugenden und ihre Frömmigkeit, erfährt eine positive Würdigung und wird sogar den Christen explizit als eine Art Sittenspiegel vorgehalten.25 Die dahinterstehende Theorie hingegen, die Bestimmungen und die Theologie des Korans, wird in sechs Kapiteln als „larga, confusa, occulta, mendacissima, irrationabilis et violenta“26 herausgestellt und widerlegt. Allein schon die Kapitelüberschriften weisen deutliche Parallelen zu denjenigen von „Contra legem Sarracenorum“ auf und ebenso werden im späteren Traktat Koranstellen und außerkoranische islamische Traditionen als Grundlage für Polemik und Widerspruch herangezogen, die bereits im „Liber peregrinationis“ ähnliche Verwendung fanden. Nachdem Ricoldus seinen Bericht über den Islam zuerst nur als Materialsammlung für „Größere“ deklariert hatte,27 scheint er sich danach doch dazu entschlossen zu haben, das Thema selbst in einem wissenschaftlicheren Rahmen und unter stärkerem Bezug auf Vorgänger und Auctoritates systematisch auszuarbeiten. Obwohl Ricoldus im Vorwort zu „Contra legem 23

Mit „fere“: Ep. 1, 16, p. 70 Panella. Ebenso Ep. 3, p. 277, 12-14 Röhricht; Ebda. p. 280, 10-13 Röhricht; Ebda. p. 280, 20-22 Röhricht; Ebda. p. 282, 25-27 Röhricht; Ebda. p. 283, 11-13 Röhricht; Ebda. p. 285, 2-4 Röhricht. Ähnlich ebda. p. 286, 19-25 Röhricht. Mit „nondum“: CLS 9, 74f, p. 102 Mérigoux; ähnlich ebda. 6, 51f, p. 85 Mérigoux. 24 Vgl. Panella 1986, xxxvi – xl, wobei die Zeitangaben, die stets mit relativierenden Adverbien wie „fere“, „nondum“, „iam“ versehen sind, nicht so wörtlich verstanden werden müssen, dass für die Verfassung der vier Schriften ausschließlich das Jahr 1300 in Frage kommt. 25 Vgl. LP p. 158 Kappler = cap. 22 p. 131 Laurent: „Referemus igitur hic breviter quedam opera perfectionis Sarracenorum magis ad confusionem Christianorum quam ad commendationem Sarracenorum“ – „Ich werde hier also von den Sarazenen kurz einige Werke der Vollkommenheit beschreiben, mehr zur Beschämung der Christen als zur Auszeichnung der Sarazenen.“ Vgl auch ebda. p. 172 Kappler = cap. 29 p. 135 Laurent: „Non supradicta narravimus tam ad commendationem Sarracenorum quam ad confusionem aliquorum Christianorum qui nolunt facere pro lege vite quod dampnati faciunt pro lege mortis.“ – „Das Obenstehende habe ich nicht so sehr zur Auszeichnung der Sarazenen berichtet, als vielmehr zur Beschämung einiger Christen, die für den Bund des Lebens nicht verrichten wollen, was diese Verworfenen für den Bund des Todes tun.“ 26 LP p. 172 Kappler = cap. 30 p. 135 Laurent. 27 LP p. 190 Kappler = cap. 34 p. 139 Laurent: „Hec sub brevitate et quasi preter propositum diximus, ut daremus occasionem maioribus efficacius impugnandi legem tante perfidie.“ – „Dies habe ich in aller Kürze und gewissermaßen vom eigentlichen Thema abschweifend vorgebracht, um Größeren die Gelegenheit zur wirksameren Bekämpfung eines Gesetzes von solcher Unredlichkeit zu geben.“ 108

„Contra legem Sarracenorum“ in Biblianders Koranausgabe von 1543

Sarracenorum“ seine eingehenden Studien des Korans und der arabischen Sprache, denen er sich in Bagdad gewidmet habe, betont und seine Islam-Kenntnisse auf die eigene Anschauung (experientia) zurückführt,28 treten im Werk selbst seine persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse zugunsten von etablierten Topoi der Islampolemik deutlich zurück, gerade auch im Vergleich zum Reisebericht.29 Einige Passagen, die inhaltlich aus dem „Liber peregrinationis“ übernommen sind, wurden sogar unter Einfluss älterer Literatur umgeschrieben. So wird beispielsweise die Geschichte von Zainabs Scheidung von Zaid und Wiederverheiratung mit Mohammed schon im Reisebericht kurz zitiert, um gegen die unsittliche Lebensführung des Propheten zu polemisieren.30 Im selben Kontext taucht die Erzählung auch in „Contra legem Sarracenorum“ wieder auf, jedoch hier viel ausführlicher und in einer neuen Formulierung, die beinahe wörtlich aus der lateinischen Übersetzung des „Liber denudationis“, einer mozarabischen Islampolemik des 11. oder 12. Jh., übernommen ist.31 Auf welche Weise und mit welcher Intention Ricoldus auch sonst die Aussagen des „Liber peregrinationis“ im jüngeren Traktat überarbeitet und mit Zitaten anerkannter Autoritäten unterfüttert, würde eine eigene Studie verdienen. Eine Parallele zu seiner Vorgangsweise in „Contra legem Sarracenorum“ findet sich jedenfalls in seiner Schrift „Ad Nationes Orientales“, wo das Kapitel über Nestorianer und Jakobiner kaum auf die entsprechenden Passagen im Reisebericht rekurriert, sondern fast zur Gänze wörtlich aus Thomas von Aquins „Summa contra gentiles“ genommen ist. Möglicherweise konnte es sich Ricoldus, der ja aufgrund umstrittener Anschauungen aus dem Orient zurückgerufen worden war, damals nicht leisten, in Bezug auf theologische Aussagen ein Risiko einzugehen, oder schrieb sogar in apologetischer Absicht unter Berufung auf seine Vorgänger.32 Wie auch im Falle des „Liber peregrinationis“ und des „Libellus ad nationes Orientales“ ist uns für „Contra legem Sarracenorum“ ebenfalls ein teilautographes Manuskript erhalten, das wohl unter Ricoldus‘ Aufsicht kopiert wurde und Korrekturen, Anmerkungen und Ergänzungen von seiner Hand enthält. Dieser Text muss als Fassung letzter Hand angesehen werden und bildet zu Recht den Ausgangspunkt von Mérigoux‘ kritischer Edition. Daneben sind weitere 28 jüngere Handschriften erhalten, die sich grob in zwei große Gruppen einteilen lassen, je nachdem, ob sie die Änderungen der Letztfassung berücksichtigen oder nicht.33 Wenngleich 28 CLS prol. 57–61, p. 62 Mérigoux. 29 Vgl. Daniel 1960, 239f; Tolan 2002, 251f. 30 LP p. 196 Kappler = cap. 35 p. 140 Laurent. 31 CLS 8, 50–54, p. 92 Mérigoux ~ Liber denudationis f. 246v–247r = 7, 9–10, p. 288–290 Burman. Zum „Liber denudationis“, der in einer einzigen Handschrift überliefert ist, und seinem Einfluss auf „Contra legem Sarracenorum“ siehe Burman 1994, 37–62, 215–239 und 387f. 32 Vgl. Jensen 2014, Introduction. 33 Zu den Handschriften siehe Mérigoux 1986, 35–43 und 6–11 sowie Panella 1988, 19–22 mit einem neu gefundenen Manuskript. Manche Textzeugen übernehmen auch nur einen Teil der Korrekturen. 109

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die meisten der heute bekannten Manuskripte von „Contra legem Sarracenorum“ erst aus dem 15. Jh. stammen, scheint Ricoldus zumindest in der Toskana schon bald als Autorität auf dem Gebiet der Islamkunde gegolten zu haben. Nirgends wird dies deutlicher als im volkssprachlichen Lehrgedicht „Dittamondo“ des Fazio degli Uberti (Mitte 14. Jh.), das sich in Form und Konzeption eng an Dantes „Commedia“ anlehnt. So wie Vergil Dante durch die Jenseitswelt geleitet, führt hier der antike Schriftsteller C. Iulius Solinus, der Kompilator der „Mirabilia mundi“, Fazio durch die gesamte bekannte reale Welt. Im neunten Gesang des fünften Buches befinden sich die beiden an der Levanteküste und begegnen dort einem alten Dominikanermönch. Dabei handelt es sich um niemand anderen als Ricoldus de Monte Crucis, der Fazio und Solinus mehrere Gesänge lang über den Islam, Mohammed und den Koran aufklärt. Emilio Panella hat nachgewiesen, dass Fazio degli Uberti für diese Szene neben anderen Quellen auch „Contra legem Sarracenorum“ benutzt und manche Passagen sogar direkt daraus übersetzt und versifiziert hat.34 In einem anderen volkssprachlichen Gedicht aus dem 14. Jh., das anonym überliefert ist, wird sogar explizit die Lektüre von Ricoldus’ Buch empfohlen, wenn man sich über Mohammed und seine Irrlehren informieren wolle.35 Diese Rezeptionsdokumente in der Volkssprache zeigen, dass „Contra legem Sarracenorum“ zumindest in Italien schon im 14. Jh. eine gewisse Bekanntheit gehabt haben muss.36 Im 15. Jh. vervielfacht sich dann die Zahl der bekannten Handschriften, und sogar Nikolaus von Kues zitiert und lobt das Werk des Ricoldus in der Vorrede zu seiner „Cribratio Alcorani“ und mag damit zu einem weiteren Popularitätsschub verholfen haben. 1500 wird „Contra legem Sarracenorum“ schließlich in Sevilla erstmals gedruckt,37 gerät danach aber in seiner originalen Textgestalt allmählich in Vergessenheit. Die weitere Rezeption hängt vielmehr an der griechischen Übersetzung des Demetrios Kydones.

34 Vgl. Panella 1988, 56–65, dort auch allgemein zum „Dittamondo“. 35 Vgl. Panella 1988, 64 Anm. 79. Mit dem „Buch“ ist am ehesten „Contra legem Sarracenorum“ gemeint. 36 Im Gegensatz zum „Liber peregrinationis“ (vgl. Panella 1988, 65–77 und Kappler 1997, 28f ) und der ersten „Epistola ad Ecclesiam triumphantem“ (vgl. Panella 1989, 28–59) ist allerdings von „Contra legem Sarracenorum“ keine volkssprachliche Übersetzung aus dem 14. Jh. bekannt. 37 Zur Editio princeps Sevilla 1500 und der spanischen Übersetzung Toledo 1502 vgl. Mérigoux 1986, 43–46. 110

„Contra legem Sarracenorum“ in Biblianders Koranausgabe von 1543

III. Demetrios Kydones Demetrios Kydones (~1324–1397/98) ist eine der interessantesten Persönlichkeiten der spätbyzantinischen Zeit, dessen Biographie und Persönlichkeit aufgrund seiner apologetischen Werke und umfangreichen Briefsammlung sehr plastisch nachvollzogen werden kann.38 Unter Kaiser Johannes VI. Kantakouzenos trat Demetrios in den Dienst am byzantinischen Kaiserhof ein und stieg dort sehr schnell zum obersten Beamten des Reiches, dem Mesázon, auf. Um bei Unterredungen mit westeuropäischen Gesandten und Gästen nicht auf Dolmetscher angewiesen zu sein, lernte er neben seiner vollen beruflichen Belastung bei einem Dominikanermönch von Grund auf Latein und kam dadurch mit den Schriften des Thomas von Aquin und des Augustinus von Hippo in Berührung, die ihn so sehr begeisterten, dass er sie ins Griechische übersetzte und schließlich zum Katholizismus konvertierte. Demetrios Kydones setzte sich zeitlebens für die Union zwischen Orthodoxie und römischer Kirche ein, von der er sich eine starke Allianz gegen das expandierende Osmanische Reich erhoffte. Obwohl dieser Plan nie wirklich erfolgreich umgesetzt wurde und ihm einige Feinde in Byzanz einbrachte, wurde er nach der erzwungenen Abdankung von Johannes VI. Kantakouzenos schon bald auch unter Johannes V. Palaiologos und dessen Mitkaiser Manuel II. Palaiologos wieder zum Mesázon bestellt. Der Umstand, dass seine Karriere weder durch die politischen Umstürze der Zeit noch durch seine Konversion zur römischen Kirche dauerhaft beeinträchtigt wurde, erhellt, wie hoch die Meinung der Zeitgenossen über die Fähigkeiten des Demetrios Kydones war. Die Entstehungszeit der Ricoldus-Übersetzung kann durch ihre Rezeption in den vier Traktaten des Johannes Kantakouzenos gegen Mohammed, deren älteste bekannte Handschrift auf Juni 1373 datiert ist, eingegrenzt werden.39 Demetrios muss seine Übertragung also zuvor abgeschlossen haben. Wie aus den entsprechenden Passagen unzweifelhaft hervorgeht, benutzte er bei dieser Arbeit wenn nicht das Autograph, so doch jedenfalls eine Textgrundlage, in der die handschriftlichen Ergänzungen des Ricoldus berücksichtigt und wahrscheinlich sogar in den Haupttext übernommen waren.40 Ein kurzes Nachwort, das in den griechischen Handschriften am Ende des Werkes überliefert ist, zeigt die Wertschätzung, die Demetrios „Contra legem Sarracenorum“ entgegenbrachte.41

38 Zur Biographie des Demetrios Kydones vgl. vor allem die ausführliche Einleitung bei Tinnefeld 1981, 4–52; vgl. auch Todt 1991, 283–305. Die autobiographische erste Apologie ediert bei Mercati 1931, 359–403; in deutscher Übersetzung bei Beck 1952, 209–225, 264– 282. 39 Todt 1991, 135 und 298f. 40 Vgl. z.B. die längeren Einschübe CLS 4, 36 app. crit., p. 78 Mérigoux und CLS 8, 276– 282, p. 99 Mérigoux u.a., vgl. auch Mérigoux 1986, 52. 41 Ediert bei Mercati 1931, 159, deutsche Übersetzung bei Todt 1991, 299. 111

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Seine eigene Leistung hingegen vergleicht Demetrios später, als er die Ricoldus-Übersetzung einem namentlich nicht genannten Freund sendet, im Begleitschreiben mit der Tätigkeit von Kaufleuten, die Waren aus fernen Ländern nach Griechenland bringen, sowie mit der Funktion einer Wasserleitung.42 Er lehnt jede Anerkennung für sich ab und verweist auf den Originalautor, dem allein Lob für das Werk gebühre. Wenn das nicht nur ein Bescheidenheitstopos ist, lässt sich von Demetrios also eine eher zurückhaltende, wörtliche Übertragung erwarten, die, um in seinen eigenen Bildern zu sprechen, das Wasser der Quelle möglichst unverfälscht zum Verbraucher leitet. Tatsächlich versucht Demetrios immer, dem Ausgangstext und der Zielsprache gleichermaßen gerecht zu werden, und legt besonderes Augenmerk auf korrekte philosophische, insbesondere scholastische Terminologie (z. B. essentia = οὐσία).43 Gelegentlich wird der Text durch verdeutlichende Zusätze ergänzt. Oft ist die Wortstellung des lateinischen Originals beibehalten, soweit es das Griechische zulässt. Umständliche oder im Griechischen unübliche Satzkonstruktionen werden allerdings stets durch geläufigere und „griechischere“ Formulierungen ersetzt. Ein kurzes Beispiel vom Beginn des Werkes mag dies verdeutlichen: Ricoldus de Monte Crucis, Demetrios Kydones p. 83, 7–10 Bibliander CLS praef. 6–7 p. 60 Mérigoux Verba sunt ecclesie militantis, que suspirat οὗτοι οἱ λόγοι τῆς στρατευομένης εἰσὶν et ingemiscit gravata diversis afflictionibus, Ἐκκλησίας, πενθούσης τε καὶ στενούσης a quibus divino auxilio liberari confidit. τῷ διαφόροις βαρυνθῆναι ταλαιπωρίαις, ὧν ῥυσθῆναι τῇ θείᾳ πέποιθε συμμαχίᾳ. Demetrios gibt hier den lateinischen Relativsatz „que suspirat et ingemiscit“ durch eine Partizipialkonstruktion wieder und schließt statt dem lateinischen Partizip „gravata“ einen griechischen substantivierten Infinitiv mit kausaler Sinnrichtung (τῷ … βαρυνθῆναι) an. Generell finden sich in seiner Übersetzung zahlreiche substantivierte Infinitive, die im Lateinischen so nicht gebildet werden können, aber typisch für die griechische abstrakte Wissenschaftssprache sind. Auch das Ende eines Kolons akzentuiert Demetrios abweichend von Ricoldus häufig mit einem Hyperbaton, wie es in griechischer Prosa üblich ist.44 Das Ergebnis ist ein flüssiger griechischer Text, dem man die Übersetzung aus dem Lateinischen nicht anmerkt, der sich aber sowohl auf der inhaltlichen Ebene als auch auf der Ebene der Wortsemantik mit wenigen Ausnahmen so eng wie möglich an das Original anschließt. Dasselbe gilt auch für seine vielen anderen Übertragungen wie z.B. die griechische Fassung der „Summa theologica“ des Thomas von Aquin.45 Dementsprechend hat die Übersetzungsleistung des Demetrios – ganz im 42 Demetrios Kydones, Ep. 317 Tinnefeld. 43 Todt 1991, 301. 44 Zur Verwendung des Hyperbatons zur Kolagliederung vgl. Markovic 2006, bes. 131 – 134 und 142–145; siehe auch Denniston 1952, 51f und 57–59. 45 Vgl. Glycofridi-Leontsini 2003, bes. 180–185. 112

„Contra legem Sarracenorum“ in Biblianders Koranausgabe von 1543

Gegensatz zur bescheidenen Haltung seines oben zitierten Briefes – immer wieder hohes Lob und Anerkennung gefunden. Er wurde als „ideal translator of Latin theological texts in his times“46 gerühmt, seine Übersetzungen gelten als „außerordentlich gut“47 und als geradezu modellhafte „accurate and elegant translations of high quality“48. Auch für Bartholomaeus Picenus war nach eigenem Bekunden das hohe Stilniveau der griechischen Version Anreiz für die Rückübersetzung von „Contra legem Sarracenorum“.49 IV. Bartholomaeus Picenus de Monte Arduo Über das Leben von Bartholomaeus Picenus (auch Picernus) de Monte Arduo ist wenig bekannt.50 Er stammte aus Montesardo (Mons Arduus) im südlichen Apulien (Salento), einer Region mit hohem griechischem Bevölkerungsanteil, und mag dementsprechend schon früh Kenntnisse der griechischen Sprache erlangt haben, falls er nicht überhaupt selbst aus einer griechischsprachigen Familie stammte. Wirklich fassbar ist Bartholomaeus nach den derzeit bekannten Quellen nur zu Beginn des 16. Jh. in Rom, wo er sich einer außergewöhnlichen Aufgabe widmete: der Rückübersetzung zweier ursprünglich lateinischer Texte aus ihrer griechischen Übersetzung. Neben seiner Rückübersetzung von „Contra legem Sarracenorum“, die König Ferdinand II. von Aragón zugeeignet ist, publizierte Bartholomaeus in dieser Zeit auch eine neue, Papst Julius II. (1503–1516) gewidmete lateinische Übertragung der gefälschten Konstantinischen Schenkungsurkunde aus einer griechischen Fassung, die er in der päpstlichen Bibliothek gefunden hatte und die mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls auf Demetrios Kydones zurückzuführen ist.51 Beide Veröffentlichungen des Bartholomaeus Picenus bieten lateinische Rückübersetzungen aus dem Griechischen von Werken, deren lateinisches Original jeweils in zahlreichen Abschriften zirkulierte, von führenden Humanisten wie Lorenzo Valla bzw. Nikolaus von Kues zitiert wurde und in beiden Fällen sogar bereits im Druck vorlag: Das „Constitutum Constantini“ wurde erstmals 1494 in Leipzig gedruckt, die editio princeps von „Contra legem Sarracenorum“, unter

46 47 48 49 50

Glycofridi-Leontsini 2003, 185. Todt 1991, 300. Glycofridi-Leontsini 2003, 185. Vgl. Bartholomaeus Picenus, Confutatio Alcorani, praef., s.u. Abschnitt IV. Das Wenige bei Minieri Riccio 1844, 271: „Picerno (Bartolommeo), nacque a Montesardo e vestì abito di chiesa. Si fece ammirare per dottrina a Roma e tradusse dal greco in latino la tanto rinomata falsa donazione di Costantino alla Chiesa. Di lui abbiamo ancora: Improbationem Alcorani.“ 51 Vgl. Petrucci 1962, 56f und 151–153; Mercati 1931, 162–164.; Tinnefeld 1981, 69f. 113

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dem Titel „Improbatio Alcorani“, besorgte Antonio de la Pegna 1500 in Sevilla.52 Unter diesen Umständen könnten die Rückübersetzungen des Bartholomaeus Picenus als bizarres Kuriosum, als überflüssige Arbeit oder wertlose Fingerübung erscheinen. Bartholomaeus Picenus scheint den Erklärungsbedarf selbst erkannt zu haben und gibt in seiner Praefatio zu „Contra legem Sarracenorum“ Gründe und Hintergründe für die Rückübersetzung an: Bartholomaeus Picenus de Monte Arduo Ferdinando Regi Aragoniae et utriusque Siciliae salutem plurimam dicit. Cum Demetrius Cydonius, vir utriusque linguae peritissimus e Latino in Graecum opus Richardi fratris Ordinis Praedicatorum transtulisset, non ab re mihi visum est, serenissime atque catholice Rex, illud rursus e Graeco in Latinum convertere: non quod apud Latinos huiusmodi opus extare non existimem, sed cum vidissem Demetrium Cydonium opusculum illud e Latino in Graecum elegantiori stilo transtulisse: idcirco pro viribus conatus sum libellum illum iterum ea dicendi elegantia quoquomodo in nostram linguam transferre et eum in nitidiorem cultum candidioremque stilum pro viribus redigere et tibi, serenissime atque catholice Rex, illum dedicare debere, qui solus inter Christianorum reges hac nostra tempestate Mahometanam Sectam maximis cladibus affecisti. Nam non minimam laudem tibi comparasti, cum Beticam provinciam, quae per octingentos annos Mahometanam fidem coluerat, in Christianorum potestatem redegisti et nunc universam Aphricam capere intendas, quam facile assequi poteris, cum gentes illae hoc tempore imbelles sint, quoniam cum Christianis diu pugnare non consuevere. […] Prosequere igitur inchoatum bellum et omnes vires tuas in Aphricam transfer, quam facile Deo duce subiugabis, et ea quidem subiacta et in Christianorum potestatem redacta facile deinde Hierosolymam recuperabis, quae tam ampla, tam fertilis, tam sancta terra Sultano Babylonis hoc tempore paret. […] Quod cum ita sit, nemini dubium est, quin facillime ex ea expeditione victoriam cum maximo triumpho sis reportaturus et civitatem sanctam Hierosolymam, in qua salvator noster dominus Jesus Christus evangelium praedicavit et Novum Testamentum nobis constituit, ab immanissima Mahometanorum superstitione liberabis. Quae quam vana sit, quam frivola, quam nullius momenti, in praesentarium nihil attinet dicere, quoniam eam tunc primum intelleges, cum hanc Richardi fratris confutationem diligenter lectitaveris. Vale.

52 Für die außerordentlich zahlreichen Handschriften des „Constitutum Constantini“, die in sechs deutlich unterschiedliche Klassen einzuteilen sind, vgl. die ausführliche Darstellung von Fuhrmann 1968, 8–40. Zum Erstdruck von 1494 vgl. ebda. 43 und Anm. 73. – Für „Contra legem Sarracenorum“ listet Mérigoux 1986, 35–43 vierundzwanzig Manuskripte auf, die sicher vor 1500 zu datieren sind, dazu vier 114

„Contra legem Sarracenorum“ in Biblianders Koranausgabe von 1543

„Bartholomaeus Picenus de Monte Arduo grüßt herzlich König Ferdinand von Aragón und beiderlei Sizilien. Weil Demetrius Kydones, ein Mann, der beide Sprachen in höchstem Maße beherrschte, das Werk des Dominikanerbruders Richardus aus dem Lateinischen ins Griechische übertragen hatte, erschien es mir nicht nachteilig, erhabenster und katholischer König, es wieder aus dem Griechischen ins Lateinische zurückzuübersetzen: nicht weil ich glaubte, dass ein solches Werk bei den Lateinern nicht existiere, sondern weil ich gesehen hatte, dass Demetrios Kydones dieses Bändchen aus dem Lateinischen ins Griechische in einem eleganteren Stil übersetzt hatte: deshalb versuchte ich nach Kräften, dieses Büchlein wiederum mit derselben Eleganz des sprachlichen Ausdrucks in unsere Sprache zu übersetzen und es nach Kräften in einen brillanteren Duktus und einen prächtigeren Stil zu bringen, und dir, erhabenster und katholischer König, die Widmung zu schulden, der du in dieser unserer Zeit als einziger unter den Königen der Christenheit die Sekte der Mohammedaner mit den größten Niederlagen geschlagen hast. Denn du hast dir nicht das geringste Lob bereitet, als du die Provinz Baetica [i.e. Andalusien, das Emirat von Granada], die 800 Jahre lang den mohammedanischen Glauben ausgeübt hatte, in die Herrschaft der Christen zurückgeführt hast und dich nun bereitmachst, ganz Afrika zu erobern, was du leicht ausführen können wirst, da jene Völker derzeit unkriegerisch sind, weil sie es nicht gewohnt sind, mit Christen lange zu kämpfen. […] Verfolge also den begonnenen Krieg weiter und verlege alle deine Streitkräfte nach Afrika, das du unter Gottes Führung leicht unterjochen wirst, und nachdem du es unterworfen hast und in die Herrschaft der Christen zurückgeführt hast, wirst du anschließend leicht Jerusalem zurückgewinnen, ein Land so weitläufig, so fruchtbar, so heilig, das derzeit dem Sultan von Babylon untertan ist. […] Weil die Sache so steht, kann niemand daran zweifeln, dass du ganz einfach aus dieser Unternehmung den Sieg mit dem größten Triumph zurückbringen wirst und die heilige Stadt Jerusalem, in der unser Herr und Heiland Jesus Christus das Evangelium verkündigt hat und uns den Neuen Bund gestiftet hat, von dem monströsen Aberglauben der Mohammedaner befreien wirst. Wie nichtig er ist, wie obszön, wie unbedeutend, dies zu sagen ist gegenwärtig unerheblich, weil du ihn erst dann verstehen wirst, wenn du diese Widerlegung Bruder Richards sorgfältig gelesen hast. Leb wohl.“

weitere aus dem 16. Jh. Ein weiteres Manuskript von „Contra legem Sarracenorum“ aus dem 15. Jh. hat Emilio Panella in Pistoia ausfindig gemacht, vgl. online http://www.smn. it/emiliopanella/riccoldo/ricerc21.htm#Biblioteca (31. 03. 2014). Für die editio princeps Sevilla 1500 vgl. Mérigoux 1986, 43–46; Todt 1991, 264 mit Anm, 48; Bobzin 1995, 27 mit Anm. 65. 115

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Bartholomaeus Picenus stellt es also als sein Hauptanliegen dar, den stilistisch noch ganz dem Mittelalter verhafteten Traktat des Ricoldus durch seine Übersetzung in eine zeitgemäße humanistische Diktion zu bringen. Daneben steht in der Praefatio deutlich die politische Intention, König Ferdinand II. von Aragón zu einer Ausdehnung der Reconquista auf Afrika und das Heilige Land zu bewegen. Wie setzt Bartholomaeus seine Ziele aber tatsächlich um? Im Gegensatz zur eleganten attizistischen Übertragung des Demetrios Kydones, die sich beständig bemüht, dem Ausgangstext und der Zielsprache gleichermaßen gerecht zu werden, übersetzt Bartholomaeus Picenus streng und fast mechanisch Wort für Wort, verbum pro verbo.53 In der Regel entspricht bei ihm also ein griechisches einem lateinischen Wort. Ausnahmen sind nur die griechischen Artikel, die mangels einer Entsprechung im Lateinischen stillschweigend entfallen müssen, und die griechische Partikel μὲν „zwar“, die ebenfalls häufig ohne Äquivalent bleibt. Ansonsten versucht Bartholomaeus sogar, die griechische Wortstellung sklavisch zu imitieren. Von einem eleganten und flüssigen, oder gar ciceronianischen Latein kann dabei nicht die Rede sein, Bartholomaeus verfehlt also das selbst gesteckte Ziel und die Stilvorstellungen seiner eigenen Zeit. Weil die griechische und die lateinische Sprache aber natürlich keineswegs exakt kongruent sind, entstehen darüber hinaus aus dieser schematischen Herangehensweise zwangsläufig auch verschiedene Probleme für den Textsinn, wenn nicht sogar handfeste Übersetzungsfehler. Daneben stehen Versehen, Verwechslungen und Änderungen, bei denen ein bewusst manipulierender Eingriff in den Text zumindest zu vermuten, wenn nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist. Der vorliegende Beitrag muss sich darauf beschränken, zwei Beispiele mit einer außergewöhnlich hohen Dichte an schwerwiegenden Abweichungen vorzustellen. Es handelt sich dabei außerdem um zwei Schlüsselstellen für das Verständnis des historischen Hintergrunds und der Arbeitsweise des Ricoldus, die entsprechend häufig von der bisherigen Forschung behandelt worden sind, freilich nicht immer in ihrer originalen Fassung. Der Vergleich der drei Versionen kann einige Hinweise auf die übersetzungstechnischen Methoden und die Intentionen der Übersetzer liefern. Das erste Beispiel stammt aus der Praefatio des Ricoldus. Er erklärt darin, welche Erlebnisse und Erfahrungen ihn zur Niederschrift von „Contra legem Sarracenorum“ bewogen haben. Besonders wichtig ist aber, dass er mit diesem autobiographischen Einschub dem Leser auch eine Perspektive nahelegt, aus der er seinen Traktat begriffen haben will: als Werk eines Augenzeugen der islamischen Kultur, der sich durch seine Kenntnis des Arabischen, seine wiederholte Lektüre des Korans und seine fachlichen Unterhaltungen mit arabischen Gelehrten eine reiche Erfahrung und ein großes Insiderwissen erworben hat, das die Basis für die Widerlegung dieses „Gesetzes“ bildet.54 53

54 116

Die Gegenüberstellung von wörtlichem und sinngemäßem Übersetzen findet sich erstmals bei Cicero, De optimo genere oratorum 14: „non verbum pro verbo necesse habui reddere, sed genus omne verborum vimque servavi.“ Diesem Anspruch widerspricht freilich die Abhängigkeit von „Contra legem Sarracenorum“ von älteren islamkritischen Werken, vgl. Abschnitt II. mit Anm. 29 und Anm. 31.

„Contra legem Sarracenorum“ in Biblianders Koranausgabe von 1543

Ricoldus de Monte Crucis, CLS praef. 56–65, Unde cum transissem maria et deserta, et pervenissem ad famosissimam civitatem Saracenorum Baldaccum, ubi generale ipsorum solemne habetur studium, ibi pariter linguam et litteram Arabicam didici. Et legem eorum diligentissime relegens, et studiose in scolis et cum magistris ipsorum frequenter conferens, magis ac magis per experientiam apprehendi perversitatem predicte legis. Et cum inceperim eam in Latinum transferre, tot inveni fabulas et falsitates et blasphemias, et eadem per omnia in locis creberrimis repetita, quod tunc attediatus dimisi, et super admiratione de predictis blasphemiis scripsi quasdam epistolas ad ecclesiam triumphantem per modum querele amaricati animi.

Demetrios Kydones p. 85, ll. 14–32 Bibliander ὅθεν πελάγη διαπεράσας πολλά, καὶ ἐρήμους, καὶ τὴν περιώνυμον τῶν Σαρρακηνῶν πόλιν τὴν Βαβυλῶνα καταλαβών, ἔνθα τὰ μέγιστα καὶ καθολικώτατα τῶν παρὰ τούτοις μουσείων εἰσίν, αὐτόθι τε τὰ γράμματα καὶ τὴν Ἀρραβικὴν διάλεκτον ὁμοίως μαθών, ἀκριβέστατά τε τὸν τούτων νόμον ἀναλεξάμενος, σπουδαιότατά τε καὶ συνεχῶς μετὰ τῶν παρ᾿ αὐτοῖς διδασκάλων διαλεγόμενος, μᾶλλον καὶ μᾶλλον διὰ τῆς πείρας κατείληφα τὸ τοῦ προειρημένου νόμου διάστροφον. καὶ δὴ τοῦτον εἰς τὴν τῶν Λατίνων διάλεκτον μεταφέρειν ἀρξάμενος, τοσούτους εὗρον μύθους τε ἅμα καὶ ψεύδη καὶ βλασφημίας, καὶ συνεχῆ διὰ πάντων φλυαρίαν τε καὶ παλλιλογίαν, ὥστ᾿ ἀηδίας με πληρωθῆναι, καὶ θαυμάσαντα γράψαι τινὰς ἐπιστολὰς περὶ τῶν τοσούτων βλασφημιῶν πρὸς τὴν θριαμβεύουσαν Ἐκκλησίαν, ὥσπερ ἐκείνη μεμφόμενον ἐν πικρίᾳ ψυχῆς.

pp. 62–63 Mérigoux Sobald ich von da aus die Meere und Wüsten durchschritten hatte und zur hochberühmten Stadt der Sarazenen, Bagdad, gekommen war, wo sich ihr ehrwürdiges studium generale befindet, habe ich dort gleichermaßen die arabische Sprache und die arabische Schrift gelernt. Und als ich ihr Gesetz mit größter Sorgfalt immer wieder las, und mich eifrig in den Schulen und häufig mit ihren Lehrern austauschte, da erfasste ich durch die Erfahrung mehr und mehr die Widersinnigkeit des genannten Gesetzes. Und als ich begonnen hatte, es ins Lateinische zu übersetzen, fand ich so viele Märchen und Falschheiten und Blasphemien, und diese im ganzen Werk sehr häufig wiederholt, dass ich es dann verdrossen beiseitelegte, und aus Verwunderung über die genannten Blasphemien einige Briefe an die Ecclesia triumphans schrieb, in der Art einer Klage einer bitter gewordenen Seele.

Von da aus viele Meere und Wüsten durchschreitend und die berühmte Stadt der Sarazenen, Babylon, erreichend, wo sich die größten und universellsten ihrer Universitäten befinden, habe ich, nachdem ich dort die Schrift und die arabische Sprache gleichermaßen gelernt hatte, und mit großer Sorgfalt ihr Gesetz gelesen hatte und mich sehr eifrig und beständig mit ihren Lehrern unterhalten hatte, erfasste ich mehr und mehr durch die Erfahrung die Absurdität des genannten Gesetzes. Und als ich begann, dieses in die Sprache der Lateiner zu übertragen, fand ich so viele Märchen gleichzeitig mit Falschheiten und Blasphemien, und insgesamt durch das ganze Werk hindurch Geschwätz und Geschwafel, so dass ich von Verdruss erfüllt wurde, und verwundert einige Briefe über diese Blasphemien an die Ecclesia triumphans schrieb, gleichsam wie sie klagend in der Bitterkeit der Seele.

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Bartholomaeus Picenus p. 85, ll. 15–32 Unde cum transivissem multa maria et loca deserta et inclytam Saracenorum urbem Babylona deprehendens, ubi maxima et universalia studia apud eos existent, illicque litteras et Arabicam linguam similiter discens diligentissime et continue cum magistris apud eos disputans magis magisque deprehendi praedictae legis perversionem. Etiam hanc in Latinam linguam transferre incipiens, tot inveni fabulas simul et mendacia et blasphemias et continuam per omnia fabulationem, ut tristicia plenus essem. Decrevi idcirco scribere quasdam epistolas de tantis blasphemiis ad triumphantem ecclesiam, conquestusque sum tanquam illa in amaritudine animi.

Bibliander = p. 34 Ehmann Nachdem ich von da aus viele Meere und wüste Orte durchschritten hatte und die berühmte Stadt der Sarazenen, Babylon, erreichte, wo sich die größten und universellsten Studiengänge bei ihnen befinden, habe ich, als ich dort die Buchstaben und die arabische Sprache gleichermaßen lernte und sehr sorgfältig und beständig mit ihren Lehrern diskutierte, mehr und mehr die Widersinnigkeit des genannten Gesetzes begriffen. Auch als ich began, dies in die lateinische Sprache zu übertragen, fand ich so viele Märchen und gleichzeitig Lügen und Blasphemien und eine durch alles hindurchgehende Märchenerzählung, dass ich voller Traurigkeit war. Ich habe deshalb beschlossen, einige Briefe über diese Blasphemien an die Ecclesia triumphans zu schreiben, und ich klagte so wie sie in der Bitterkeit der Seele.

Wenn man rein stilistische Veränderungen außer Acht lässt und sich nur auf die inhaltlich gravierendsten Abweichungen konzentriert, fällt zunächst der Wechsel von „Baldaccum“, Bagdad, und „Babylon“ auf. Für den Orientreisenden Ricoldus ist „Baldaccum“ nichts als ein geographischer Begriff, eine Stadt, in der er nach eigenem Bekunden mehrere Jahre verbracht hat. Sobald aber Demetrios Kydones dafür den Namen der etwa 100 km entfernten antiken Stadt Babylon einsetzt, ein antikisierender Rückgriff, wie er im Mittelalter bei geographischen und ethnischen Bezeichnungen keinesfalls unüblich war, wird der Ortsname zusätzlich semantisch aufgeladen: Vor dem Hintergrund der biblischen Tradition und im Kontext der konkreten Islampolemik muss „Babylon“ von jedem gebildeten christlichen Leser über die bloße geographische Angabe hinaus auch als Chiffre für Sünde und Häresie verstanden worden sein.55 Die zentrale Stadt der feindlichen Religion mit dem anachronistischen Namen „Babylon“ zu belegen, schärft also die Polemik und stellt den Islam noch stärker in die zuvor dargestellte Reihe der antiken Häresien. Die Änderung des Demetrios Kydones hat aber auch Auswirkungen auf die Rezeption der Stelle, denn „Babylon“ war im Mittelalter nicht nur Bezeichnung für Bagdad,

55 Dagegen Ehmann 1999, 195, der „negative Konnotationen“ des Namens „Babylon“ im Kontext von „Contra legem Sarracenorum“ für „unwahrscheinlich“ hält. 118

„Contra legem Sarracenorum“ in Biblianders Koranausgabe von 1543

sondern auch für das zweite große Zentrum islamischer Kultur, Kairo.56 Bartholomaeus Picenus meint in seinem einleitenden Kriegsaufruf an Ferdinand II. von Aragón mit „Babylon“ sicherlich Kairo und nicht das zu seiner Zeit relativ unbedeutende Bagdad.57 Wenn er dann auch im autobiographischen Exkurs des Ricoldus mit Demetrios „Babylon“ schreibt, ergibt sich eine feste Verklammerung zwischen seiner Intention, den spanischen König zur Eroberung Nordafrikas zu motivieren, und dem Text des Ricoldus, der nunmehr von einer Reise nach Ägypten zu sprechen scheint. Auch Bibliander hat die Stelle so verstanden und am Rand seiner Druckausgabe mit der Glosse „Babylon Aeg(ypti) quae Baldach“ versehen.58 Eine weitere massive Abweichung findet sich im zweiten Satz der zitierten Stelle, der für die Beglaubigungsstrategie des Ricoldus besonders bedeutsam ist. Bereits Demetrios Kydones hat hier „in scolis“ nicht übersezt. Bartholomaeus Picenus unterschlägt in seiner Übersetzung aber überhaupt die Kernaussage, „legem eorum diligentissime relegens“, in der die intensive Beschäftigung mit dem Koran durch den Superlativ „diligentissime“ und das iterative Präfix „re-“ gleich zwei Mal besonders betont wird. Dass das kein Versehen des Bartholomaeus gewesen sein kann, beweist gleich der nächste Satz, in dem er ebenfalls den Verweis auf persönliche Erfahrung, „per experientiam/ διὰ τῆς πείρας“, entfallen lässt.59 Während sich Ricoldus als Islamexperten darstellt, dem aufgrund seiner intensiven Koranlektüre, seiner zahlreichen Diskussionen mit Korangelehrten und seiner autoptischen Kenntnis des Orients ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit zugestanden werden müsse, versucht Bartholomaeus also in seiner Übersetzung, den unmittelbaren Kontakt des Ricoldus mit islamischen Schriften und islamischem Denken möglichst abzuschwächen. Der Grund dafür mag, wenn man die Diskussionen um den Basler Korandruck 1543 vergleicht,60 in den jeweiligen äußeren Umständen liegen. Der Dominikanermönch Ricoldus schrieb zu einer Zeit, als in seinem Orden die genaue Kenntnis zumindest des lateinischen Korans als wichtige Qualifikation für Prediger galt; gerade um 1300 findet sich bei zahlreichen dominikanischen und franziskanischen Autoren die (polemische) Beschäftigung mit dem Korantext.61 Indem Ricoldus seine Vertrautheit sogar mit dem arabischen Original betont, folgt er also dem Trend seiner Zeit. Sowohl zuvor als auch danach herrschte aber ein ganz anderer Zugang zum Koran vor, geprägt 56

Entsprechend der griechisch-römischen Bezeichnung für die ägyptische Vorgängersiedlung von Kairo, Babylon Aegypti, vgl. RE 2, Sp. 2699f s.v. Babylon 2). 57 Ehmann 1999, 29 Anm. 4 hält das „Babylon“ des Bartholomaeus Picenus für Bagdad, doch trifft die Aussage, der Sultan von Babylon habe die Herrschaft über das Heilige Land inne (quae sancta terra Sultano Babylonis hoc tempore paret), Anfang des 16. Jh. nur auf die in Kairo residierenden mamlukischen Sultane der Burdschi-Zeit zu, die Syrien und Palästina erst 1516 an die Osmanen verloren, vgl. Kessler 2004, 79. 58 Bibliander 1543, tom. 2, p. 85 in marg., entsprechend auch Luther, vgl. Ehmann 1999, 201. 59 Zum Verhältnis des Ricoldus zur experientia vgl. George-Tvrtković 2012, 113–120. 60 Vgl. dazu Bobzin 1995, 181–209. 61 Vgl. Tischler 2012, 52–57. 119

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von der theodosianischen und iustinianischen Gesetzgebung, die streng untersagt, häretische Schriften zu lesen, zu kopieren und zu verbreiten.62 Wohl deshalb fanden die mittelalterlichen Koranübersetzungen des Robert von Ketton (1143) und des Marcus von Toledo (1210) kaum überregionales Echo, ehe das Interesse der Dominikaner sie ihrem „Dornröschenschlaf“ entriss, und vielleicht aus demselben Grund ist die humanistische Koranübersetzung des Juan de Segóvia (Mitte 15. Jh.) verschollen.63 Auch noch im Streit um die Basler Koranausgabe 1543 werden die Bestimmungen des Codex Theodosianus von den Gegnern der Drucklegung zitiert,64 und schon einige Jahre zuvor hat der Arabist Guillaume Postel in seiner arabischen Grammatik angemerkt, wertvolle Zeit mit der Koranlektüre zu vergeuden, sei für einen Christenmenschen eigentlich nur zum Zweck der Widerlegung gerechtfertigt.65 Und schließlich wurde Andrea Arrivabene, der Herausgeber der ersten italienischen Koranübersetzung (1547), deshalb sogar 1570 noch der Häresie verdächtigt.66 Betrachtet man den Grundtenor dieser Zeugnisse, scheint Bartholomaeus Picenus mit seinen Eingriffen in die Autobiographie des Ricoldus das Ziel verfolgt zu haben, die Reputation des Autors zu retten in einer Zeit, als die sorgfältige Lektüre des Korans nicht mehr als wertvoll und wissenschaftlich solide, sondern als unnötig und theologisch bedenklich galt. Dieselbe Stoßrichtung haben auch noch die verbleibenden Änderungen des Bartholomaeus Picenus in diesem Abschnitt, die sämtlich die Gefühlsebene betreffen. Ricoldus ist nach der Koranlektüre nicht mehr „attediatus“, „verdrossen“, sondern „tristitia plenus“, „voller Trauer“, und „deshalb“ („idcirco“), nicht „super admiratione“, „aus Verwunderung“, habe er die Briefe an die Ecclesia triumphans geschrieben. Die starke negative Emotion Trauer hielt der spätere Übersetzer wohl für eine passendere und orthodoxere Reaktion auf den häretischen Text als die ambivalente „admiratio“, die bei Ricoldus zwar ein Befremden über Gottes Untätigkeit in Bezug auf die islamische Lehre ausdrückt, aber auch als positive „Bewunderung“ missverstanden werden könnte.67 Die Veränderungen, die Bartholomaeus Picenus am Ricoldus- bzw. DemetriosText vornimmt, sind umso bemerkenswerter, da er üblicherweise streng wörtlich übersetzt und sogar die griechische Wortstellung nachahmt. Sie müssen daher als bewusste Anpassung der autobiographischen Details an die Erwartungshaltung des 16. Jh. gelten.

62 Z.B. Codex Iustinianus 1, 5, 6 = Codex Theodosianus 16, 5, 66; Codex Iustinianus 1, 1, 3 u.a., vgl. Tischler 2012, 39. 63 Tischler 2012, 40–45. 64 Vgl. Bobzin 1995, 191f. 65 Vgl. Bobzin 1995, 445. 66 Vgl. Bobzin 1995, 267. 67 Was Ricoldus hier mit „admiratio“ meint, zeigt Ep. 3 p. 287 Röhricht: „Sed miror, quomodo permisisti scribi alchoranum, librum tot mendaciis et blasphemiis plenum.“ – „Aber ich wundere mich, dass du erlaubt hast, den Koran zu schreiben, ein Buch voll von so vielen Lügen und Blasphemien.“ – Im Übrigen warnt schon Tertullian, De praescriptione Haereticorum 1, 1 und 2, 3–5 davor, auf Häresien lediglich mit Erstaunen zu reagieren. 120

„Contra legem Sarracenorum“ in Biblianders Koranausgabe von 1543

Als zweites Fallbeispiel möge das schon angesprochene Zitat aus Sure 27 dienen, das Ricoldus als Beleg für die Irrationalität und Fabulierlust des Korans dient. Im selben Maße, wie es sich von Version zu Version immer weiter von seiner ursprünglichen Aussage entfernt, erfüllt es den rhetorisch-polemischen Zweck im Rahmen von „Contra legem Sarracenorum“ immer besser. Das einzige gravierende Missverständnis, das bereits auf Ricoldus zurückgeht, ist das falsche Subjekt bei „et subrisit formica“, während im Koran Salomon lächelt, weil er die Sprache der Tiere verstehen kann. Daneben ist auch Ricoldus‘ „quasi fluvium formicarum“ eine etwas unglückliche Übersetzung für das „Tal der Ameisen“, „wādī n-naml“.68 Alle anderen Entstellungen erscheinen erst in den beiden Übersetzungen. Ricoldus de Monte Crucis, CLS 4, 41–52, p. 78 Mérigoux Dicitur enim in capitulo delnemele, quod interpretatur formica, quod « Salomon congregavit magnum exercitum angelorum et hominum et animalium, et quando ibant invenerunt quasi fluvium formicarum, et tunc dixit formica: „O vos formice, introite in habitacula vestra ne interimat vos Salomon et milites eius“, et subrisit formica. » Et post pauca « quando reassignabantur omnes aves in exercitu, inventum est, quod deerat uppupa. Et dixit Salomon: „Quid est quod non video uppupam? Puniam eam et decollabo eam, vel assignabit rationem quare defuit.“ Et stetit uppupa non multum longe et ait: „Didici que vos nescitis et veni ad vos de Sabea cum veris rumoribus. Inveni siquidem mulierem regnantem inter eos et comperi eam et populum suum colere solem absque Deo“ », etc.

Es wird nämlich gesagt im Kapitel „Delnemele“, was „Ameise“ bedeutet, dass „Salomon ein großes Heer von Engeln und Menschen und Tieren aufstellte, und als sie gingen, fanden sie gleichsam einen Fluss von Ameisen, und da sprach eine Ameise: „Ihr Ameisen, geht in eure Behausungen, damit euch nicht vernichtet Salomon und seine Soldaten!“. Und die Ameise lächelte.“ Und wenig später (heißt es) „Als alle Vögel gemustert wurden im Heer, fand man heraus, dass der Wiedehopf fehlte. Und Salomon sagte: „Was soll das, dass ich den Wiedehopf nicht sehe? Ich werde ihn bestrafen und ihn köpfen lassen, oder er legt mir Rechenschaft ab, weshalb er fehlte.“ Und es blieb der Wiedehopf nicht weit weg und sagte: „Ich habe erfahren, was ihr nicht wisst, und bin zu euch gekommen aus Saba mit wahren Neuigkeiten. Ich habe dort eine Frau gefunden, die unter ihnen herrscht, und ich habe erfahren, dass sie und ihr Volk die Sonne verehren und nicht Gott.““ usw.

68 Vgl. Bobzin 1995, 134 Anm. 269 und Ehmann 1999, 221, die allerdings beide von der stark entstellten Fassung des Bartholomaeus Picenus ausgehen, die sie nicht vom Original des Ricoldus trennen. 121

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Demetrios Kydones p. 99, ll. 28–47 Λέγεται γὰρ ἐν τῷ κεφαλαίῳ τῷ Νεμελὲ, ὃ ἑρμηνεύεται μυῖα, ὡς ὁ Σολομῶν μεγάλην ἀγγέλων συνήγαγε στρατίαν, καὶ ἀνθρώπων, καὶ ἀλόγων ζώων. ἀπερχόμενοι δὲ εὗρον ὥσπερ τινὰ μυιῶν ποταμόν. καὶ τότε δὴ εἶπεν ἡ μυῖα· ὦ μυῖαι, ὑμεῖς εἰσέλθετε εἰς τὰς κατοικίας ὑμῶν, ἵνα μὴ διαφθείρῃ ὑμᾶς ὁ Σολομῶν, καὶ τὸ στράτευμα τούτου. καὶ ἡ μυῖα ὑπεμειδίασε. καὶ μετ᾿ ὀλίγα * * * πάντα τὰ ὄρνεα ἐν τῷ στρατεύματι εὕρηται. ἀποῦσα * * * καὶ εἶπεν ὁ Σολομῶν, τί ἐστιν ὅτι οὐχ ὁρῶ τὴν * * * κολάσω ταύτην, καὶ ἀφελῶ ταύτης τὴν κεφαλήν· ἢ ἀποδώσει μοι τὸν λόγον, δι᾿ ὃν ἄπεστι καὶ ἔστι πόῤῥωθεν. καὶ εἶπεν, „ἔμαθον ὃ ὑμεῖς ἀγνοεῖτε, καὶ ἦλθον πρὸς ὑμᾶς ἐκ Σαβέας μετὰ ἀληθῶν ἀγγελιῶν. εὗρον γὰρ γυναῖκα βασιλεύουσαν ἐν αὐτοῖς, καὶ ἠνάγκασα ταύτην καὶ τὸν λαὸν αὐτῆς σέβεσθαι τὸν ἥλιον ἄνευ τοῦ Θεοῦ, καὶ τὰ λοιπά.

Bibliander Es wird nämlich gesagt im Kapitel „Nemele“, was „Fliege“ bedeutet, dass Solomon ein großes Heer von Engeln aufstellte, und von Menschen, und von vernunftlosen Lebewesen. Als sie aufbrachen, fanden sie gleichsam einen Fluss von Fliegen. Und da freilich sprach eine Fliege: „Ihr Fliegen, geht in eure Behausungen, damit euch nicht vernichtet Solomon und sein Heer.“ Und die Fliege lächelte. Und nach kurzer Zeit * * * wurden alle Vögel im Heer gefunden. * * * fehlte. Und Solomon sprach: „Was soll das, dass ich * * * nicht sehe? Ich werde sie bestrafen, und ihren Kopf abreißen. Oder sie wird mir Rechenschaft ablegen, weshalb sie fehlte und ferne war.“ Und sprach: Ich habe erfahren, was ihr nicht wisst und bin zu euch aus Saba gekommen mit wahren Nachrichten. Denn ich habe eine Frau gefunden, die unter ihnen herrscht, und habe sie und ihr Volk gezwungen, dass sie die Sonne verehren und nicht Gott“, und so weiter.

Bartholomaeus Picenus p. 99, ll. 27–47 Dicitur enim in capitulo Emele, quod interpretatur musca, quod Salomon magnum angelorum congregavit exercitum et hominum, et irrationalium animalium. Recedentes autem invenerunt quasi fluvium quendam muscarum, et tunc iam dixit muscae: „O muscae, vos introite in habitationes vestras, ne corrumpat vos Salomon, et exercitus huius.“ Et musca subrisit. Et paulo post omnes aves in exercitu inventae sunt, musca autem absens. Et dixit Salomon: „Quid est quod non video muscam? Puniam eam, et amputabo caput eius; vel reddet mihi rationem propter quam abest, et longe est.“ Et dixit: „Didici, quod vos ignoratis, et veni ad vos ex Sabaea cum veris nuntiis. inveni enim mulierem imperantem illis, et coegi eam et populum eius colere solem absque Deo. Et reliqua.

Bibliander = p. 34 Ehmann Es wird nämlich gesagt im Kapitel „Emele“, was „Fliege“ bedeutet, dass Salomon ein großes Heer von Engeln aufstellte, und von Menschen, und von vernunftlosen Tieren. Im Zurückgehen aber fanden sie gleichsam einen Fluss von Fliegen, und da sprach er schon zu einer Fliege: „Ihr Fliegen, geht in eure Behausungen, damit euch nicht verdirbt Salomon und sein Heer.“ Und die Fliege lächelte. Und wenig später wurden alle Vögel im Heer gefunden, die Fliege aber fehlte. Und Salomon sprach: Was soll das, dass ich die Fliege nicht sehe? Ich werde sie bestrafen, und ihren Kopf abschneiden; oder sie legt mir Rechenschaft ab, weswegen sie fehlt und weit weg ist.“ Und sprach: „Ich habe erfahren, was ihr nicht wisst, und ich bin zu euch gekommen aus Saba mit wahren Botschaften. Ich habe nämlich eine Frau gefunden, die sie beherrscht, und ich habe sie und ihr Volk gezwungen, dass sie die Sonne verehren und nicht Gott.“ Und so weiter.

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„Contra legem Sarracenorum“ in Biblianders Koranausgabe von 1543

Im Gegensatz zum ersten Beispiel treten hier einige Veränderungen bereits in der griechischen Version auf. Sieht man einmal von der Verwirrung um den Namen der zitierten 27. Sure (arabisch an-Naml) ab, scheinen insbesondere die Tiervokabeln dieses Textes eine unlösbare Herausforderung für Demetrios Kydones gewesen zu sein. Die korrekte lateinische „formica“, „Ameise“, gibt er fälschlich als μυῖα, „Fliege“, wieder, worin ihm Bartholomaeus Picenus bereitwillig folgt. Weit folgenschwerer ist aber, dass Demetrios offenkundig das lateinische Wort für „Wiedehopf“, „upupa“, nicht kennt und daher in der Übersetzung auslässt. Bartholomaeus Picenus oder der Schreiber seiner Vorlage hat dann aus dem vermeintlichen Kontext die „Fliege“ ergänzt und die Abstrusitäten, die sich aus dieser Konjektur ergeben, bereitwillig in Kauf genommen. Schon Ricoldus hat versehentlich aus dem lächelnden Salomo eine lächelnde Ameise gemacht, Bartholomaeus Picenus lässt nun im Gegenzug sogar Salomo die ehemalige Ameisenrede sprechen. Damit kehrt sich die Aussage der Geschichte völlig um: Statt dass die Ameise ihre Artgenossen warnt und Salomo lächelt, weil er ihre Sprache versteht, droht nun Salomo den Fliegen mit seinem durchziehenden Heer, und eine Fliege grinst dazu subversiv. Schließlich erleidet auch noch die Erzählung von der Königin von Saba eine bemerkenswerte Transformation. Vielleicht durch eine Verwechslung von „comperi“, „ich brachte in Erfahrung“, und „compuli“, „ich zwang“, wird bei Demetrios Kydones und in der Folge auch bei Bartholomaeus Picenus die Fliege zur Stifterin des sabäischen Sonnenkultes. Während Ricoldus die Fabulierlust des Korans also noch sehr nahe am arabischen Original argumentierte, haben seine Übersetzer den Kontext des Zitates als Freibrief verstanden, sprachlich schwierige Passagen großzügig umzuschreiben, wobei ihnen für den Koran und seine „fabulae“ nichts zu absurd erschien. V. Theodor Bibliander Welche Beweggründe kann es für Theodor Bibliander gegeben haben, von „Contra legem Sarracenorum“ nicht das Original, aber dafür beide Übersetzungen zu drucken? Bei der Fassung des Bartholomaeus Picenus ist sicherlich das entscheidende Faktum, dass sie Mitte des 16. Jh. bereits die am häufigsten gedruckte und am weitesten verbreitete Version war und daher Bibliander am leichtesten zugänglich. Den griechischen Text zu inkludieren war hingegen gar nicht von Anfang an geplant. Eine kleine Notiz vor der „Cribratio Alcorani“ des Nikolaus von Kues informiert den geneigten Leser, dass an dieser Stelle ursprünglich das Werk des Ricoldus stehen hätte sollen. Weil Bibliander aber zufällig durch Freunde in den Besitz einer griechischen Ausgabe von „Contra legem Sarracenorum“ und der dem Ricoldus zugeschriebenen „Confessio Fidei“ gekommen war („amicorum quorundam ope […] etiam graece scriptum nuper nacti sumus“), entschloss man sich anscheinend relativ kurzfristig zu einem zweisprachigen Abdruck dieser beiden Werke, die dann an das Ende des Bandes rücken mussten, „ut cum aliis quae sequuntur Graecis in Alcoranum disputationibus coniungantur“, „damit sie sich mit den nachfolgenden anderen griechischen Abhandlungen gegen den Koran vereinen“.69 Dass von „Contra 69 Bibliander 1543, tom. II, p. 20. 123

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legem Sarracenorum“ also gerade die Fassung des Demetrios Kydones und die Fassung des Bartholomaeus Picenus Aufnahme in die Koranausgabe gefunden haben, dürfte einerseits auf den Zufall der Verfügbarkeit zurückgehen, andererseits auf den Wunsch, auch griechisch Texte in diesem Kompendium abzudrucken. Bibliander greift zwar – von einigen Druck- bzw. Satzfehlern70 abgesehen – nicht mehr weiter in den Text ein, bietet jedoch in den Marginalien neben kurzen Inhaltsangaben zur leichteren Auffindbarkeit interessanter Stellen bisweilen auch Ergänzungen aus seiner eigenen Koranlektüre. So kommentiert er die falsche und polemische Auslegung von Sure 2, 221, der Koran würde Homosexualität erlauben,71 mit „videntur violentius verba Machometi exposita, zelo quidem pro fide Christiana, sed non secundum scientiam“, „die Worte Mohammeds scheinen übertrieben dargestellt, zwar aus Eifer für den christlichen Glauben, aber nicht nach Kenntnis der Sachlage“,72 und steuert so die Rezeption des Lesers. Außerdem gibt er nicht nur den Großteil der Bibelzitate an, sondern auch Übereinstimmungen mit anderen Islampolemiken sowie heidnische antike Vergleichstexte, z.B. Lukians „Verae Historiae“ zum Nachtflug des Propheten.73 Weitere Marginalien befassen sich mit Textkritik und Sachkommentaren. Bibliander hat mit seiner zweisprachigen annotierten Ausgabe von „Contra legem Sarracenorum“ jene Textgestalt geschaffen, in der das Werk bis ans Ende des 20. Jh. hauptsächlich rezipiert wurde. Seine Version ist aber, wie gezeigt wurde, das Ergebnis einer komplexen Transformationsgeschichte, in deren Lauf sowohl bewusste intentionale Eingriffe als auch unbeabsichtigte Übersetzungsfehler ihre Spuren im Text hinterlassen haben. Literatur Beck, H.-G., Die „Apologia pro vita sua“ des Demetrios Kydones, in: Ostkirchliche Studien 1 (1952), 208–225, 264–282. Bibliander, T., Machumetis Saracenorum principis, eiusque successorum Vitae, ac Doctrina, ipseque Alcoranus, Basel 1543 (3 Bde.). Bobzin, H., Der Koran im Zeitalter der Reformation. Studien zur Frühgeschichte der Arabistik und Islamkunde in Europa (= Beiruter Texte und Studien 42), Beirut / Stuttgart 1995. Burman, T. E., Religious Polemic and the Intellectual History of the Mozarabs, c. 1050 – 1200 (= Brill’s Studies in Intellectual History 52), Leiden / New York / Köln 1994 [inkl. Edition des Liber denudationis]. 70 Z.B. Auslassung aufgrund von aberratio oculorum ῥήματι–ῥήματι bei Bibliander 1543, tom II., p. 112, l. 46. 71 Zur Tradition dieser Interpretation in westlichen Islampolemiken siehe Daniel 1960, 142– 44. Vgl. auch Ehmann 1999, 232. 72 Bibliander 1543, tom. II, p. 89 in marg. 73 Bibliander 1543, tom. II, p. 143 in marg. 124

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