Stil und Textsinn. Beiträge zur Stilistik

June 4, 2017 | Author: József Pethő | Category: Stylistics, Literary Theory, Linguistics, Hungarian Literature, Magyar nyelv és irodalom
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József Pethő STIL UND TEXTSINN

JÓZSEF PETHŐ

Stil Und Textsinn Beiträge zur Stilistik

Nyíregyházi Főiskola • Nyíregyháza, 2014

© József Pethő Gutachter Nándor Csiky

Die vorliegende Beitragsreihe wurde mit der freundlichen Unterstützung des Ungarischen Förderungsfonds Wissenschaftlicher Forschung (OTKA, Nr. 81315, Titel: Kognitive Stilorschung) angefertigt.

ISBN 978-615-5097-97-3

Dieses Werk ist einschließlich seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung und Vervielfältigung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig.

Kiadja a Nyíregyházi Főiskola Kiadója Nyíregyháza, Sóstói út 31/B www.nyfjegyzetbolt.hu Kiadóvezető: Száraz Zoltán Nyomda: IMI Print Kft. Nyíregyháza

INHALT

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INHALT VORWORT ................................................................... 7 LINGUISTISCHE STILANALYSE. STILANALYTISCHE PRINZIPIEN UND METHODEN IN DER HEUTIGEN UNGARISCHEN STILISTIK ................................... 9 FIGUREN UND TEXTSORTEN...........................25 METAPHERN DER PÄDAGOGIK. DIE KOGNITIVE METAPHERNTHEORIE UND DIE ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT......49 ASPEKTE DES TEXTLINGUISTISCHEN UND SEMANTISCHEN HERANGEHENS AN DIE HÄUFUNG .................................................................67

VORWORT In der Linguistik wird der Terminus Bedeutung oft synonym zum Terminus Sinn gebraucht. Beaugrande und Dressler z.B. differenzieren jedoch klar: Sie grenzen Sinn und Bedeutung wie folgt voneinander ab: „Wenn wir mit Bedeutung (engl. ‚meaning’) die Fähigkeit oder das Potential eines sprachlichen Ausdrucks (oder eines anderen Zeichens) bezeichnen, Wissen (d.h. mögliche = virtuelle Bedeutung) darzustellen oder zu übermitteln, dann können wir mit Sinn (engl. ‚sense’, oft ‚ aktuelle Bedeutung’ genannt) das Wissen bezeichnen, das tatsächlich durch die Ausdrücke innerhalb eines Textes übermittelt wird.“ (Beaugrande – Dressler: Einführung in die Textlinguistik. Max Neimeyer, Tübingen. 1981: 88). In der Herstellung und Interpretation des Sinnes von Text hat der Stil – wie es neulich die kognitive Stilistik ausführlich analysiert und demonstriert hat – eine entscheidende

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Rolle. Die folgenden Beiträge versuchen dies an Hand einiger Beispiele und in einigen Sprachdomänen darzustellen. Es wird der Frage nachgegangen, wie dieser Zusammenhang im Sprachgebrauch funktioniert und was für Methoden der Stilistik von heute für Analysezwecke zur Verfügung stehen. Ich bedanke mich bei all jenen, die mich bei der Arbeit an diesem Buch hilfreich unterstützt und beraten haben. Besonders bedanke ich mich bei Herrn Prof. Dr. István Szathmári, Prof. Dr. Gábor Tolcsvai Nagy und Dr. habil. Szilárd Tátrai für die Ermutigung und Unterstützung sowie bei Herrn Dr. Nándor Csiky für die hilfreichen und konstruktiven Hinweise. Nyíregyháza im Dezember 2014 József Pethő

LINGUISTISCHE STILANALYSE. STILANALYTISCHE PRINZIPIEN UND METHODEN IN DER HEUTIGEN UNGARISCHEN STILISTIK

1. Zielsetzung Der vorliegende Beitrag versucht die kurze Darstellung der wichtigsten gängigen Methoden, die in der ungarischen Stilistik bei der Analyse belletristischer Texte verwendet werden, zu geben. Es werden die Prinzipien und Praxis der Stilanalyse von István Szathmári, Gábor Kemény und Gábor Tolcsvai Nagy behandelt, als charakteristische, gut ausgearbeitete und wirksame, also von zahlreichen Linguisten teilweise oder vollständig angewandte Methode. Bei der Demonstration und Vergleich der wichtigsten Thesen der funktionalen und kognitiven Stilistik bezüglich der Stilanalyse fokussiere ich v.a. auf belletristische Texte.

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2. Grundpinzipien und Methoden 2.1. Mit der in der zweiten Hälfte der Zielsetzung formulierten Beschränkung sind wir bereits mitten im Thema, denn diese Bestimmung des Untersuchungsthemas und des Korpus der Stilanalyse regt nicht nur die Frage der Stilanalyse an, sondern im Allgemeinen auch die Frage des Kompetenzbereiches der Stilistik. Ich habe keine Möglichkeit, mich in der Behandlung dieser weitreichenden Frage zu vertiefen, deshalb merke ich nur an, dass ich mit der Auffassung des „Mittelweges“ von Gábor Kemény (2002: 23) einverstanden bin: Die „Stilistik ist eine Interdisziplin, die sich an der Grenze, zwischen der Sprach- und Literaturwissenschaft befindet.“ Folglich muss sie die Untersuchung sowohl von Alltags- als auch von belletristischen Texten als Thema berücksichtigen. 2.2. István Szathmári beschäftigt sich in seiner Stiltheorie eigens mit dem Verhältnis von Stilanalyse zu der literarischen, anders: Werkanalyse. Nach seiner Meinung ist Letztere in erster Linie ein Bereich der Literaturwissenschaft, und ist mehr als die Erstere. Im Rahmen der literarischen Analyse muss man

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sich nämlich unbedingt und ausführlich mit der Vorgeschichte des Werkes beschäftigen (wann, durch welche Einwirkung es entstanden ist usw.); mit seiner inhaltlichen Aussage; mit den Eigentümlichkeiten der inneren Form (Thema, Struktur, Charakterisierung, Handlung usw.), innerhalb der Untersuchung der äußeren Form mit der „Bedeutung“ der stilistischen Mittel (dieser Teil der Werkanalyse ist die eigentliche Stilanalyse – sagt Szathmári); mit der ästhetisch-literarischen Bewertung des Werkes; schließlich mit der Rezipienz und mit der Wirkung (inklusive z.B., in welche Sprachen es übersetzt wurde, ob es musikalische oder andere Bearbeitungen davon gibt usw.). Szathmári betont auch, dass die Stilanalyse ein organischer und nicht zu vernachlässigender Teil der literarischen Analyse oder Werkanalyse ist, ohne die es kaum ein vollwertiges Verstehen der belletristischen Arbeiten geben kann. Der Verlauf der komplexen Stilanalyse aufgrund der Funktionalstilistik ist seiner Meinung nach kurz. Schematisch handelt es sich um Folgendes: (i) Zuerst formulieren wir die Botschaft des zu analysierenden Werkes (seine Hauptaussage, seine Suggestionen), seine charakteris-

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tischsten Stilbezüge und wichtigsten textologischen, v.a. strukturellen und kohäsiven Eigenschaften. (ii) Dann stellen wir in deren Licht die Stilwerte der zu den sechs Teilen des Werkes gehörigen Elemente, Phänomene fest. Diese Teile sind:  Phonetische Phänomene und Musikalität  Wortbestand und Wortschatz  Morphologische und syntaktische Phänomene  Sprachliche Bilder  Textstilistische Phänomene  Extralinguale Mittel Szathmári erklärt den komplexen Charakter so: A) Während der Analyse muss immer auf Folgendes geachtet werden: a) man muss vom Ganzen des Werkes ausgehen und nach der Untersuchung der einzelnen Teile ebendahin zurückkehren; b) das Werk ist ein organisches Ganzes, eine Struktur, auch die einzelnen Teile sind dementsprechend zu untersuchen;

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die ästhetische Bewertung kann nicht unterbleiben; d) wir können die Analyse nur mit Hilfe der näher und weiter verwandten Wissenschaften erfolgreich vollenden (wir müssen also außer der einzelnen Disziplinen der Sprach- und Literaturwissenschaft auch die neuesten Erkenntnisse der Ästhetik, Philosophie, Geschichte, Soziologie, Kultur- und Kunstgeschichte usw. anwenden). B) Anderseits bedeutet der komplexe Charakter auch, dass die Analyse aus sämtlichen älteren und neueren, eventuell gerade heutzutage entstehenden Methoden schöpft (explication de Texte, genetische, psychologische, dem New Criticism folgende, „subjektive“, strukturalistische, werkzentrische, mathematisch-statistische, vergleichende, hermeneutische u.a. Analyse, bzw. die semiotische, textologische Interpretation der Texte).

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2.3. Gábor Kemény fragt in einer seiner, die Theorie der Stilanalyse behandelnden wichtigen Studie (1991: 6) nach der Möglichkeit der Stilanalyse, „ob man die Schönheit erklären darf? Und wenn man es darf, kann man es?“ Nach Kemény muss die moderne Stilistik, wenn sie ihr eigenes Existenzrecht nicht mit einem Fragezeichen versehen will, unbedingt eine positive Antwort auf diese Fragen geben. Kemény hält jene Dualität der Stilanalyse für einen „paradoxen“ Zug, dass wir als letztes Ziel nach der Wahrnehmung des komplexen Ganzen streben, aber bei der praktischen Arbeit nahezu bis zum Ende gezwungen sind, uns mit der Untersuchung „der aus ihrem Kontext herausgerissenen Teile“ zu begnügen. Nach seiner Meinung ist der Grund des hartnäckigen Weiterlebens dieser viel verpönten Methode, dass wir vorläufig über keinerlei anderes oder besseres Arbeitsmittel verfügen. Folglich beschränkt sich die Stilanalyse – in gleichwelchem modernen Gewand sie auch erscheint – im Grunde genommen auch heute noch auf die Segmentierung des Textes, auf die eingehende Auslegung und Qualifizierung der isolierten Textsegmente und schließlich auf die möglichst genaue Aufdeckung der Verhältnisse zwischen ihnen.

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Kemény schreibt im Wesentlichen im Einverständnis mit Szathmári (wie wir sehen werden, stimmt sogar auch die Auffassung von Tolcsvai Nagy damit überein!), dass „es keine vom Inhalt konsequent abstrahierende, ‚sterile‘ Stilanalyse gibt; wenn es sie gibt, dann ist sie eine schlechte Stilanalyse!“ Eine bedenkenswerte Einsicht von Kemény ist, dass die stilanalysierenden Verfahren, Prinzipien und Methoden fast ohne Ausnahme in der Praxis der Gedichtanalyse entstanden sind und deren Merkmal auch heute noch an sich tragen. Die Frage ist also berechigt: inwiefern diese Methoden für die stilistische Interpretation der Kunstprosa-Werke geeignet sind? Die linguistisch-stilistische Bearbeitung der Werke großen Umfangs, zB. die Bearbeitung der Romane, enthält außerdem viele Schwierigkeiten technischen Charakters. Es gibt die Auffassung, dass man bei der Beschreibung des Prosastiles das Werk vom ersten bis zum letzten Satz prüfen müsse. Nach einer anderen Auffassung ist die Analyse aller Sätze des Romanes aber nicht nur undurchführbar, sondern auch überflüssig, denn nicht alle Sätze des Werkes sind für den Autor charakteristisch: Die typisch „eigenen“ Sätze werden durch stilistisch „gleichgültige“ Teile verbunden. Der Analyti-

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ker muss nicht alle Teile untersuchen, nur die Charakteristika. Aber um die „typischen“ Sätze aus dem Text hervorheben zu können, muss er eigentlich das Ganze zu Ende lesen und analysieren – stellt Kemény mit Recht fest. Kemény geht in seinem Vortrag „Von der stilistischen Textanalyse bis zur komplexen Werkanalyse“ anlässlich der MuttersprachenUnterrichtstage in Eger (Erlau) davon aus, dass das literarische Kunstwerk wie jeder andere Text ein von aufeinander basieren Sprachebenen und Strukturschichten gebildetes komplexes Ganzes ist. Der Inhalt, das Medium und der Stil bilden zusammen den Text (das Werk). Folglich kann man diejenige Analyse als komplexe Werkanalyse betrachten und bezeichnen, sie sich auf alle drei Medien, auf ihren Zusammenhang und auf die Funktion der ganzen Struktur erstreckt. Von diesen drei Medien betrifft wirklich nur das dritte, das äußere, der Stil den Forscher der Stilistik. Aber es ist unmöglich, diese „Selbstbeschränkung“ in der Praxis konsequent zu verwirklichen.

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Hinsichtlich des Verlaufs der Analyse unterscheidet Kemény zwei Verfahren:  Die deduktive Methode, die vom Inneren der sprachlichen Form ausgeht, also in der Reihenfolge: 1. Inhalt, 2. Medium, 3. Stil.  Nach der induktiven (nach Kemény ist sie für den Forscher des sprachlichen Stils die selbstverständlichste) Methode ist aber die äußere Form der Ausgangspunkt, der Analytiker folgert aus ihr auf die tiefer liegenden Schichten: auf die Komposition, die poetische Organisation und die philosophische, ästhetische Botschaft des Werkes. Kemény macht nachdrücklich auch darauf aufmerksam, dass wenn wir glauben, den Kern des Textes, die sog. Aussage erreicht zu haben, sollen wir nicht unterlassen, den Weg auch rückwärts zu durchlaufen! Die Funktionalstilistik ist eben dadurch funktional, dass sie die Stilphänomene nicht in sich selbst und nicht für selbst bewertet, sondern im Vergleich zur Lage der Mitteilung und zum auszudrückenden Inhalt.

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2.4. Das in den kognitiven Rahmen gestellte kognitive (und pragmatische) stiltheoretische System von Gábor Tolcsvai Nagy interpretiert die Stilanalyse folgenderweise: Die Stilanalyse ist meistens die in begrifflichem Rahmen geschehene Darlegung der spontanen Stilzueignung und der Stilwirkung. Im Gegensatz zu dem Teil der früheren Stilistiken, in dem die Analyse zwar auf irgendeine Weise, aber dennoch dichotomisch mit der Erklärung in Kontakt kommt, betont die Auffassung von Tolcsvai Nagy die Einheit beider. Ein großer Teil der früheren Systeme setzt voraus, dass im Bereich der Literatur die Absicht des Autors nachzuvollziehen und von der Interpretation des Hörers oder Lesers zu trennen ist, was der von Tolcsvai Nagy verwendete hermeneutische Rahmen als nicht so unproblematisch betrachtet. (i) Er stellt fest, dass sich die von ihm dargelegte Analyseart allgemein auf Texte bezieht, also nicht nur für die Literatur gilt. (ii) Er verwendet die Unterscheidung von Jauss, die ein erstes und ein zweites Lesen berücksichtigt. Das erste Lesen ist immer die Operation der spontanen Aufnahme: Wir wissen über den Text selbst noch nicht viel, wir haben ja nicht gelesen, wir haben aber Erwar-

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tungen (wir können Erwartungen haben). Das erste Lesen lässt im Empfänger irgendeine Operation der „Stilzueignung vor sich gehen“ und löst irgendeine Stilwirkung aus. Diese zwei Vorgänge, bzw. das durch sie eingetretene Ergebnis ist Teil des ersten (holistischen) Verständnisses des Textes. Das Verstehen erfolgt im Modell der Hermeneutik durch das praktische Wissen, vermag sich also nicht unbedingt selbst in einem gewissen begrifflichen Rahmen zu bestätigen. Die begriffliche Darlegung des Textverständnisses ist die Interpretation. Die Interpretation erfordert immer das zweite Lesen, das in zwei Richtungen verläuft:  es bezieht sich auf das Verständnis des ersten Lesens, auf die dort erworbene Kenntnis und das erfahrene Erlebnis,  andererseits bezieht es sich noch einmal auf den Text, auf den jetzt schon irgendwie bekannten Text. (Also ermöglicht das erste Lesen noch keine Analyse, aber es führt zum Verständnis, als Grund der Interpretation, als hypothetische Interpretation, die die Interpretation nach dem zweiten Lesen entweder bestätigt oder eventuell ablehnt.)

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(iii) Im Laufe der Stilanalyse bringt der Analytiker sein eigenes praktisches und gelerntes sprachliches Wissen in Verhältnis mit dem zu analysierenden Text. Also ist der Ausgangspunkt der individuelle sprachliche Horizont des Analytikers, aber der theoretische Rahmen und das Kategoriensystem (wenn es auch eigenen Ursprungs ist) richtet sich auf das Gemeinschaftswissen, denn die Analyse ist eine ebensolche auf das Verstehen gerichtete sprachliche Mitteilung wie irgendeine andere Äußerung. Der Anspruch des sensus communis kommt also auch im analysierenden Dialog zur Geltung. (iv) Die Ausarbeitung der Analyse kann ein veränderliches Maß haben: Dieses hängt vom Thema der Analyse und von den Absichten des Analytikers ab. (v) Der Verlauf der Analyse kann nach der Angabe der beim ersten Lesen sich bietenden hypothetischen Auslegung mannigfaltig sein, er kann von der soziokulturellen Schichtung, von den sprachlichen „Bereichen” (Bereich des Lautes, des Wortes, des Satzes und der Bedeutung) und auch von den strukturellen Möglichkeiten ausgehen. (Von diesen bekam heutzutage innerhalb der letzten Möglichkeit

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die Untersuchung der rhetorischen Figuren besonders großen Nachdruck.) Der Analytiker kann seine Aufmerksamkeit zum Beispiel auf je eine Komponente konzentrieren (eventuell auf irgendwelche Komponente auf Mikro- oder Makroebene) und dann im Wissen um das latente Vorhandensein der übrigen Gesichtspunkte die gewählte Erscheinung detailliert untersuchen, oder er kann eine zusammenfassende Analyse machen, die die wichtigsten Phänomene und deren Zusammenhänge demonstriert, oder er kann als Verknüpfung dieser zwei eine monographische, komplexe Analyse vornehmen. An diesem Punkt spielen über den sprachlichen Horizont des Analytikers, sein praktisches und theoretisches Wissen, seine Ziele (und seine Empfindlichkeit) hinaus die erkennbaren sprachlichen Eigentümlichkeiten des jeweiligen Textes eine große Rolle, die überhaupt die Möglichkeit geben, einen Stil festzustellen. Infolge des pragmatischen, interaktionellen und hermeneutischen Prinzips ist es zweifelhaft, eine vollständige, endgültige und ausführliche Analyse durchführen zu können.

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3. Zusammenhänge und Anwendung Schließlich möchte ich auf folgende zwei Fragen antworten:  Kann man eine Synthese der demonstrierten stilanalytischen Prinzipen und Methoden in der Praxis gewissermaßen zustande bringen?  Wie können die behandelten wissenschaftlichen Auffassungen und Systeme in den verschiedenen Stufen des schulischen Unterrichts angewendet werden? Unsere Antwort auf die erste Frage ist aufgrund des Vergleichs der oben zusammengefassten drei Theorien ein vorsichtiges Ja; das heißt, man kann eine Synthese gewissen Maßes auf (auf „gewissen Maßes“ liegt ein starker Nachdruck!) der demonstrierten stilanalytischen Prinzipien und Methoden zustande bringen. Diese Antwort ist besonders mit folgenden gemeinsamen Zügen zu begründen:  das Bestreben nach Komplexität,  die Betonung der Funktionalität,  das Betrachten des Textes als organisches Ganzes,  das Infragestellen von „vollständigen, endgültigen“ Interpretationen usw.

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Die zweite Frage kurz so beantwortet werden, dass man unter Beachtung der entsprechenden fachmethodischen Prinzipien und mit den für die Altersstufe erforderlichen pädagogischen Verfahren die obigen Theorien reibungslos und erfolgreich anwenden kann, und zwar im Grund- und Mittelschulunterricht und natürlich auch in der Hochschulbildung. Diese Antwort basiert v.a. auf der Eindeutigkeit und der inneren Logik der demonstrierten analytischen Auffassungen und der sich daraus ergebenden Übersichtlichkeit.

Literatur Kemény, Gábor 1991. Szindbád nyomában. (Auf den Spuren Szindbáds. Linguistica. Series A. Studia et Dissertationes, 7. Budapest: MTA Nyelvtudományi Intézete. Kemény, Gábor 1999. A stilisztikai szövegelemzéstől a komplex műelemzésig (Von stilistische Textanalyse bis komplexe Werkanalyse). In: V. Raisz, Rózsa – H. Varga, Gyula (szerk.): Nyelvi és kommunikációs kultúra az iskolában (Sprachliche und Kommunikationskultur in der Schule). MNyTK. 212. Budapest. 74–82.

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Kemény, Gábor 2002. Bevezetés a nyelvi kép stilisztikájába (Einführung in die Stilistik des sprachlichen Bildes). Budapest: Tinta Könyvkiadó. Szathmári, István 1999. Van-e szükség stíluselemzésre? (Brauchen wir Stilanalyse?) In: V. Raisz, Rózsa – H. Varga, Gyula (szerk.): Nyelvi és kommunikációs kultúra az iskolában (Sprachliche und Kommunikationskultur in der Schule). MNyTK. 212. Budapest. 57– 66. Szathmári, István 1994. Stílusról, stilisztikáról napjainkban (Stil und Stilistik unserer Tage). Budapest: Nemzeti Tankönyvkiadó. Szathmári, István 2001. A magyar irodalmi nyelv és stílus kérdései (Fragen der ungarischen Standardsprache und des Stils). Székesfehérvár: Kodolányi János Főiskola. Szathmári, István 2002. A stíluselemzés elmélete és gyakorlata (Theorie und Praxis der Stilanalyse). Székesfehérvár: Kodolányi János Főiskola. Tolcsvai Nagy, Gábor 1996. A magyar nyelv stilisztikája (Stilistik der ungarischen Sprache). Budapest: Nemzeti Tankönyvkiadó.

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1. Einleitung Mein Beitrag besteht aus drei Hauptteilen: Zuerst möchte ich in der Einleitung die Zielsetzung, die Methode, das Korpus und den theoretischen Hintergrund meines Beitrages vorstellen bzw. erläutern. Zweitens gebe ich eine Übersicht über die Relationen von Figuren und Textsorten. Und zuletzt werde ich in einer kurzen Zusammenfassung die Konklusionen ziehen. Der Beitrag setzt sich zum Ziel, in verschiedenen Bereichen und Textsorten der sprachlichen Kommunikation von heute die wichtigsten Funktionen von rhetorisch- stilistischen Figuren darzustellen. (Es ist hier zu bemerken, dass rhetorisch-stilistische Figuren in der Sachliteratur oft als Stilfiguren oder rhetorische Figuren oder einfach Figuren bezeichnet werden; vgl. Ueding 1992–2009; Szathmári

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2008) Entsprechend meiner Zielsetzung stütze ich mich in erster Linie auf Beispiele und Analysen. Mein Korpus, also die Texte bzw. die zu analysierenden Beispiele entstammen der Gegenwartssprache, genauer gesagt dem ungarischen und deutschen Sprachgebrauch der letzten zwei Jahrzehnte. Den theoretischen Hintergrund meines Beitrages bildet die funktionale Linguistik. Der Begriff funktionale Linguistik wird heute weitgehend vieldeutig interpretiert, also die Bezeichnung funktionale Linguistik wird häufig für sehr verschiedene linguistische Theorien verwendet. Ich habe mich v.a. auf die Grundthesen des holistischen Ansatzes der kognitiven Linguistik gestützt. Dieses Modell kann man hauptsächlich mit den Namen von Leonard Talmy, George Lakoff und Ronald Langacker verbinden (vgl. Lakoff–Johnson 1980; Langacker 1987, 1988; Talmy 2000, Geeraerts–Cuyckens 2007). Die Grundthesen der funktional-kognitiven Linguistik sind die folgenden:  nach dem holistischen Ansatz der kognitiven Linguistik ist die Sprache Teil des kognitiven Systems. Mit der Sprache können wir die grundlegendsten kognitiven

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Aufgaben erfüllen: Informationen aufnehmen, verarbeiten, speichern und abrufen;  die Kognitive Linguistik stellt die Bedeutung (den Sinn) in den Vordergrund;  dieser Ansatz ist betonterweise eine gebrauchsbasierte Sprachtheorie, deswegen ist der pragmatische Aspekt essentiell;  die Vorstellung der Strukturen und Funktionen sprachlicher Einheiten, anders gesagt: Die Vorstellung der formalen und die der funktionalen Eigenschaften ist von gleichem Rang;  die Anwendung der Prototypentheorie (vgl. Tolcsvai Nagy 2005, 2006; Geeraerts– Cuyckens 2007; Wildgen 2008).

2. Figuren in verschiedenen Textsorten 2.1. Figuren und Metaphern Am Anfang der Diskussion des Themas im engeren Sinne, das heißt: Bei der Diskussion der Zusammenhänge zwischen Figuren und Textsorten, ist es nützlich, auf die kognitive Metaphernforschung als Ausgangspunkt zu verweisen. Wie es Lakoff, Johnson (1980), Kövecses (2005, 2010) und andere kognitiven Metaphernforscher bewiesen haben, „leben wir

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in Metaphern“ (wie es im Titel des berühmten und grundlegenden Werkes von Lakoff und Johnson heißt: „Metaphors we live by“). Also die Metaphern sind nicht als oberflächlicher Schmuck, nicht nur als rhetorische oder poetische Mittel zu betrachten. Im Gegenteil: Metaphern sind wichtige, integrale Bestandteile der ganzen Sprache, also einschließlich der Alltagssprache. In meinem Beitrag verfolge ich die Absicht, diese die Metaphern betreffende These mit den entsprechenden Änderungen für rhetorisch-stilistische Figuren zu verwenden. Also: In meinem Beitrag argumentiere ich dafür, dass die enger aufgefassten, anders gesagt die „eigentlichen“ Figuren, also die rhetorischstilistischen Figuren – genauso wie die andere Kategorie der breit verstandenen Figuren: also die Metaphern – nicht nur zur rhetorischen oder poetischen Sprachebene gehören. Sie können in der Alltagssprache in allen Textsorten vorkommen und dort verschiedene wichtige, bedeutungsstiftende Rollen spielen. Es ist notwendig hier auch zu klären, was in meinem Beitrag unter Textsorte verstanden wird. Ich verwende die Begriffsbestimmung von Brinker. Ich zitiere:

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„Textsorten (wir sprechen gleichbedeutend auch von Textklassen oder Texttypen) sollen zunächst ganz allgemein als komplexe Muster sprachlicher Kommunikation verstanden werden, die innerhalb der Sprachgemeinschaft im Laufe der historisch-gesellschaftlichen Entwicklung aufgrund kommunikativer Bedürfnisse entstanden sind.“ (Brinker 1985/2001: 118).

2.2. Rhetorische Figuren in öffentlichen Reden der Gegenwartssprache Untersuchen wir öffentliche Reden der Gegenwart unter unserem Gesichtspunkt, können die folgenden Aussagen getroffen werden: Reden, die vor großem Publikum und/oder zu bedeutenden gesellschaftlichen, feierlichen Anlässen gehalten werden, sind mit Erwartungen bzw. Stilabsichten nach einem gehobenen, „wertzuschreibenden“ Stil verbunden (vgl. Tolcsvai Nagy 1996: 133–166, Tolcsvai Nagy 2005, Sandig 2006). Solche Erwartungen erfüllt der Redner nicht zuletzt durch Verwendung rhetorischer Figuren. Eine vor kleinerem Publikum zu haltende Rede ist mit ganz verschiedenen stilistischen Erwartungen

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und Stilabsichten verknüpft. Das bedeutet für den Redner, dass er auch einer ganz anderen Textstrategie hinsichtlich der Figuren folgen soll (vgl. Pethő 2011). Als Beispiel schauen wir uns jetzt mal zwei Reden an. Beide Reden gehören zur selben Textsorte: Beide sind Festreden. Die erste wurde von László Sólyom, dem ehemaligen Präsidenten der Republik Ungarn anlässlich der 50. Jubiläumsfeier der Revolution von 1956 in der Frankfurter Paulskirche gehalten (im Jahre 2006). Die zweite wurde anlässlich des 20. Jahrestages der Deutschen Einheit vom damaligen Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland Christian Wulff gehalten (im Jahre 2010). Bei Zitaten kennzeichnet das „S“ die Sólyom-Rede, das „W“ die von Wulff. In beiden Reden sind zahlreiche Figuren anzutreffen. Zum Beispiel Häufungen, mit einem anderen Terminus: Aufzählungen: „Es ist Vertrauen erweckend und erhebend, dass es ein solches Gedenken gibt, womit sich jeder identifizieren kann, wo es keine Gegenmeinungen und Bedenken gibt.“ (S) („Biztató és felemelő érzés, hogy van egy megemlékezés, amellyel mindenki azonosulni

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tud, amellyel szemben nincsenek ellenvélemények és fenntartások.”) „Wir feiern heute, was wir vor 20 Jahren erreicht haben: Einigkeit und Recht und Freiheit für unser deutsches Vaterland.” (W) Die rhythmusstiftenden und strukturierenden Anaphern spielen auch eine relevante Rolle, z. B. „Ich denke an die Bilder aus Berlin, in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober. An die Menschen, die vor dem Reichstagsgebäude standen. An die gespannte Erwartung in den Momenten vor Mitternacht. An den Klang der Freiheitsglocke. An das Glücksgefühl. An die Tränen…“ (W) Auch Antithesen kommen häufig vor, schauen wir uns jetzt einige Beispiele an, z.B. „…er gezwungen wird, eine Auswahl aus der Vergangenheit zu treffen: Es gibt Dinge, für die er einsteht, und andere, die er leugnet.” (S) (…válogatni kényszerül a múltból: van, amit vállal, van amit tagad.)

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„Lebenswelten driften auseinander: die von Alten und Jungen; Spitzenverdienern und denen, die vom Existenzminimum leben; von Menschen mit und ohne sicherem Arbeitsverhältnis; von Volk und Volksvertretern…“ (W) „Gewiss ist auch Erhaltenswertes verloren gegangen. Unendlich Wertvolles wurde jedoch gewonnen…“ (W) Rhetorische Fragen: „…Was hält uns zusammen? Sind wir zusammengewachsen, trotz aller Unterschiede?“ (W)

2.3. Rhetorische Figuren in der zeitgenössischen Literatur In den Gattungen bzw. Textsorten (zur Relation der Kategorien literarischen Gattung und Textsorte siehe z.B. Kocsány 2002) also in den Textsorten der zeitgenössischen (sehr vielfältigen) Literatur kommen die rhetorischen Figuren fast in unüberschaubarer Fülle und in sehr unterschiedlichen Rollen vor. Diese Rollen können teilweise aus dem traditionellen Literturkonzept, aus dem traditionellen Liter-

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turideal abgeleitet werden. Das ist also das Befolgen der vieltausendjährigen literarischen Tradition – aus welchen Gründen auch immer. Sehr aufschlussreich aus unserer Sicht ist ein vor kurzem publizierter Beitrag von Ágnes Domonkosi. Domonkosi (2008) hat in diesem Beitrag die text- und stilkonstituierende Rolle der rhetorischen Figuren in der Lyrik von Lajos Parti Nagy, einem der bedeutendsten zeitgenössischen ungarischen Dichter analysiert. Von Domonkosi wurden die folgenden Funktionen bzw. Bedeutungen vorgestellt:  die Rolle der rhetorischen Figuren bei der Lenkung der Aufmerksamkeit auf das Funktionieren des Textes;  Eröffnung der Bedeutungsmöglichkeiten;  Rolle bei der Herstellung der Textkohärenz;  Imitation der dilettantischen Versifikation;  (und) Mittel der Ironie. Als Ordnungsprinzip gilt in der Postmoderne die „Difusität“ (Szabó 1999), die den Aufbau des Textes folgendermaßen organisiert: „spezifisch darin [d.h. im Text] der Unterbruch, die Zerbröckeltheit, die vielfältige Abzweigung, die ständige Tendenz zu kommentieren und

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verstärken“ (Szabó 1999: 264). Die Difusität tritt meistens in Wiederholungen, besonders in Häufungen vor. Nehmen wir als Beispiel eine Passage aus dem „Buch Hrabals“ von Péter Esterházy: „Ich habe einmal in irgendeiner Gesellschaft gehört, dass jeder Mensch ein gesondertes Wort sei und die gesamte Menschheit die Sprache beziehungsweise jenes Buch, das der Herrgott liest; das eine Wort versteht das andere Wort nicht, das Verstehen liegt in der Sprache, und wer das begreift, ist nicht der Schriftsteller, nein, der Leser ist das; er schaut sich die Wörter an, kostet sie, krault sie, stilisiert die Wörter, klopft sie ab, er ist ein aktiver Leser, er streicht, ordnet um, schreibt etwas neu, blättert zurück, überspringt. Und was für ein Leser ist wohl der Herr?, das ist eine verständliche Frage. […] (Und was für ein Schriftsteller wäre der Herr, wenn wir schon soweit sind? Aus dem Stegreif gesagt: gar keiner. Der Herr schreibt: nicht! Wer sich an alles erinnert, ist ein Ungeheuer, oder er ist Gott, un der schreibt nicht, gegebenfalls ist auch Gott ein Ungeheuer, letzteres schliesse ich aus Erbarmen aus [es ist meine persönliche Meinung],

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ohne Vergesssen ist ausschliesslich Gott in der Lage erbarmen.“ (Péter Esterházy: Das Buch Hrabals. Residenz Verlag. 1991: 171. Übersetzt von Zsuzsanna Gahse) Ähnlicherweise spielen die rhetorisch-stilistischen Figuren eine wichtige, sogar kompositionsorganiesierende Rolle in einem berühmten Gedicht von Durs Grünbein, einem der wichtigsten Vertreter der zeitgenössischen deutschen Lyrik. Durch die Häufungen, Parallelismen und anderen Wiederholungsfiguren erscheinenden freien Assoziationen bilden so eine eigenartige Struktur, die zugleich abgeschlossen und offen, geordnet und ungeordnet ist. „Oder Dichtung, was war das noch? Entführung in alte Gefühle... Stimmenfang, Silbenzauber, ars magna im elaboriertesten Stil. Die Kälte der Selbstbegegnung, ein Tanz zwischen sämtlichen Stühlen. Nichts Halbes, nichts Ganzes also, doch das gewisse Etwas zuviel. Dem einen Gebet ohne Gott, dem andern das „Echt Absolut Reelle.“

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[…] Der Vers ist ein Taucher, er zieht in die Tiefe, sucht nach den Schätzen Am Meeresgrund, draußen im Hirn. Er konspiriert mit den Sternen. Metaphern sind diese flachen Steine, die man aufs offene Meer Schleudert vom Ufer aus. Die trippelnd die Wasserfläche berühren, Drei, vier, fünf, sechs Mal im Glücksfall, bevor sie bleischwer Den Spiegel durchbrechen als Lot. Risse, die durch die Zeiten führen. Philosophie in Metren, Musik der Freudesprünge von Wort zu Ding. Geschenkt, sagt der eine, der andre: vom Scharfsinn gemacht. Was bleibt, sind Gedichte. Lieder, wie sie die Sterblichkeit singt. Ein Reiseführer, der beste, beim Exodus aus der menschlichen Nacht.“ (Durs Grünbein: Erklärte Nacht)

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2.4. Rhetorische Figuren in der Mediensprache Aus unserer Sicht gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Textsorten der Mediensprache. In ganz anderer Häufigkeit und in ganz anderen Formen kommen die Figuren in verschiedenen Mediengattungen vor. Anders in den tatsachenbetonten (referierenden) Textsorten z.B. in Nachrichten, Reportagen, etc., und in meinungsbetonten Textsorten, z. B. in Leitartikeln, Glossen, Essays usw. Es gilt aber für viele Mediengattungen im Allgemeinen, dass die Schlagzeilen oft rhetorische Figuren sind. Ich zitiere jetzt nur ein paar Beispiele: Alliteration Tödlicher Terror im Reich des Rauschs (Schlagzeile eines „Spiegel“-Berichtes über den Drogenkrieg in Mexiko) Dominanz der Dauerdirigenten (Schlagzeile eines Kommentars des „Spiegel“ ) Vasárnap választás Vasváriban (Wahl am Sonntag in Tiszavasvári, ein Nachrichtentitel von Tageszeitung Kelet-Magyarország)

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Alliteration und Häufung Wein, Weib und wilde Stiere (Schlagzeile eines „Spiegel“-Berichtes, Thema: Festival San Fermin in Pamplona) Schwatzen, Schrillen, Schreien (Der Spiegel, Thema: Internet) Bekannte Begriffe, gemischte Gefühle (Die Zeit) Anspielung oder Allusion Der Besuch der kleinen, alten Dame (Titel eines Zeitungsartikels in der österreichischen Tageszeitung, „Der Standard“, über die Venus von Willendorf. Der Journalist spielt auf das Theaterstück von Friedrich Dürrenmatt „Der Besuch der alten Dame“ an.) Brüsszeli muzsikusok („Brüsseler Musiker“, Schlagzeile der Wochenzeitung „Heti Világgazdaság“, Anspielung auf das berühmte deutsche Märchen, Die Bremer Stadtmusikanten.) Wer bremst, gewinnt (Handelsblatt; eine Anspielung auf das Sprichwort Wer wagt, gewinnt!)

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Antithese Weniger Leistung, mehr Geld (Die Zeit) Limmroth: Große Sprüche, kleine Brötchen (Die Zeit) Vorreiter? Nachzügler? (Der Spiegel; anttihese und rhetorische Frage) Rhetorische Frage Gerät die Republik in Gefahr? (Die Zeit) Wie gut kehrt der neue Besen? (Die Zeit) Was Manager vom Schach-Weltmeister lernen können? (Der Spiegel) In großem Teil der oben zitierten Beispiele fungieren die rhetorischen Figuren in irgendeiner Weise als Mittel der Ironie. Besonders beliebt sind solche Schlagzeilen in der Regenbogenpresse (Boulevardpresse), einige Alliteration-Beispiele aus der Tageszeitung „Bild“: Halloween-Hurrikan zeigt seine hässliche Fratze Berliner Babyleiche bereits bestattet Multimillionär mit Mini-Steuersatz Baggern, busseln und bechern in Kroatien Heiss, heisser, Helene

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2.5. Rhetorische Figuren in der Werbung Eine sehr umfangreiche Sachliteratur beschäftigt sich mit rhetorischen Figuren in der Werbung. Die Ergebnissse der früheren Untersuchungen (siehe zB. Sowinski 1998, Forgács 2005, Janich 2001, Szikszainé Nagy 2008) zeigen überzeugend, dass die rhetorischen Figuren in Werbungen sehr häufig und wirksam eingesetzt werden. Nach Manuela Baumgart (1992: 58–67) sind 32 rhetorische Figuren typisch für Slogans, unter anderem: Alliteration, Anspielung, Antithese, Paradoxon, Rhetorische Frage, Steigerung (Klimax), Übertreibung (Hyperbel), Wortspiel usw. Ich führe hier nur einige Beispiele an (vgl. Janich 2001: 202–209): Alliteration Wissen, was wichtig wird (Slogan von „Financial Times“) Wenn Winzer Wunder wirken (Schlagzeile für kalifornischen Wein von Ernest und Julio Gallo) Freude am Fahren (BMW)

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Wortspiel Gut. Besser. Gösser. Man muss nicht gross sein um gross zu sein. (Slogan von VW-Lupo) Wir lieben Fliegen (Slogan von Condor Airlines) Wortspiel mit Oxymoron A legnagyobb legkisebb (Der größte Kleinste; Toyota Yaris) Traditionell innovativ (Slogan von Becker Autoradio) Nicht nur sauber, sondern rein (Slogan von Ariel) Hyperbole A legtöbb, mi adható. (Wörtlich übersetzt: Das Meiste, das man geben kann, aber die originale deutsche Version des Tchibo-Slogans lautet so: Das Beste geben.) Nichts ist unmöglich! (Toyota-Slogan) Haare wie Neugeboren. (imsalon.de)

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2.6. Die rhetorische Figuren in der gesprochenen Alltagssprache In der gesprochenen Alltagssprache spielen verschiedene Typen der rhetorischen Figuren auch eine große Rolle. Hier erwähne ich nur ein paar dazugehörende typische Figuren: z.B. Euphemismus (Untertreibung), Hyperbel, Klimax, Ironie, Rhetorische Frage, Wortspiel usw. werden oft gebraucht. Als Beispiel diskutiere ich jetzt nur eine in der Alltagssprache verwendete Figur und zwar die rhetorische Frage. In ihrem Buch, „A kérdésalakzatok retorikája és stilisztikája“ („Rhetorik und Stilistik der rhetorischen Fragen“), zitiert Irma Szikszainé Nagy (2008) eine Reihe von Beispielen, zB. die folgenden: Was? Dieser Schrott kostet hundert forint? (Hogyan, száz forintba kerül ez a vacak?) Wollten Sie doch nicht mitkommen, Herr Ingenieur? (Nem jönne el mégiscsak, mérnök úr?) Aus vielen rhetorischen Fragen wurden Gemeinplätze (vgl. Szikszainé Nagy 2008: 164– 165):

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Habt ihr das in der Schule gelernt? (Wenn jemand etwas Schlechtes tut.) (Ezt tanultátok az iskolában?) Soll das ein Kompliment sein? (Beleidigung) (Ez bók akar lenni?) Warum denn einfach, wenn‘s auch kompliziert geht? Machen wir nicht alle Fehler? Die rhetorischen Fragen sind im alltäglichen Diskurs, wie Szikszainé Nagy Irma (op. cit. 55) sagt mit Langacker’s bekannten Terminus „Routine-Strukturen“. Dass heißt, der Sprecher erstellt und benutzt sie intuitiv, ohne es zu wissen, dass er einen rhetorische Trick, d.h. eine rhetorische Figur benutzt. Das gilt natürlich auch für andere Figuren des alltäglichen Diskurses.

3. Zusammenfassung Obwohl es mir in diesem Rahmen nicht möglich war, eine breiter angelegte Untersuchung durchzuführen, hoffe ich doch demonstriert zu haben, dass die rhetorischen Figuren die

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verschiedenen Texsorten mit vielfältigen stilund bedeutungsbildenden Funktionen durchsetzen. Es ist eine grundsätzlich wichtige Frage, in welchen Funktionen die rhetorischen Figuren in den verschiedenen Kommunikationssituationen verwendet werden. Nach Plett (2000: 163) kann man die Figurenfunktionen im allgemeinen wie folgt beschreiben: Kommunikationssituation Zweck Alltagssprachlich Mitteilung Rhetorisch Persuasion Poetisch

Autotelie (Selbstwertigkeit)

Einerseits kann man ohne Zweifel zugeben, dass es Gründe für eine derartige, obzwar vereinfachende Systematisierung geben mag, andererseits – wenn auch auf den relativ wenigen hier zitierten Beispielen basierend – erscheint es notwendig, diese Annäherung von Plett zu nuancieren. Die Zwecke der Figuren sind Mitteilung, Überzeugung (Persuasion) und Poetisierung. Diese sind theoretisch immer absonderbar, aber im gesamten Text treten diese Funktionen zusammengeflochten auf. So durchweben die rhetorischen Figuren

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den Sprachgebrauch mit vielfältigen bedeutungsbildenden Funktionen – sie stellen oftmals eine Komponente dar, die im Text im Vordergrund steht und die Stilwirkung sowie den Textsinn entscheidend mitgestaltet.

Literatur Baumgart, Manuela 1992. Die Sprache der Anzeigenwerbung. Heidelberg: Physica. Brinker, Klaus 2001. Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden. 5., durchgesehene und ergänzte Auflage. Berlin: Erich Schmidt Verlag. Domonkosi, Ágnes 2008. Az alakzatok szöveg- és stílusteremtő szerepe Parti Nagy Lajos költészetében (Die text- und stilkonstituierende Rolle der rhetorischen Figuren in der Lyrik von Lajos Parti Nagy). Budapest: Tinta Könyvkiadó. Forgács, Erzsébet 2005. Nyelvi játékok. Kreativitás a viccekben, a reklámnyelvben, a sajtónyelvben és irodalmi szövegekben (Sprachspiele. Kreativität in den Witzen, in der Werbesprache, in der Pressesprache und in den literarischen Texten). Szeged: SZEK Juhász Gyula Felsőoktatási Kiadó.

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Geeraerts, Dirk – Cuyckens, Herbert (eds.) 2007. The Oxford handbook of cognitive linguistics. Oxford: University Press. 264–293. Janich, Nina 20012. Werbesprache. Tübingen: Gunter Narr Verlag. Kocsány, Piroska 2002. Szöveg, szövegtípus, jelentés: a mondás mint szövegtípus (Text, Textsorte, Bedeutung: der Spruch als Textsorte). NytudÉrt. 151. sz. Budapest: Akadémiai Kiadó. Kövecses, Zoltán 2005. A metafora. Gyakorlati bevezetés a kognitív metaforaelméletbe (Die Metapher: eine praktische Einführung in die kognitive Metapherntheorie). Budapest: Typotex. Kövecses, Zoltán 2010. Metaphor. A Practical Introduction. Second Edition. Oxford, New York etc.: Oxford University Press. Lakoff, George – Johnson, Mark 1980. Metaphors we live by. Chicago: The University of Chicago Press. Langacker, Ronald W. 1987. Foundations of cognitive grammar. Vol. 1. Stanford: Stanford University Press. Langacker, Ronald W. 1988. A view of linguistic semantics. In: Brygida Rudzka-Ostyn (Hg.): Topics in cognitive linguistics. Amsterdam, Philadelphia: John Benjamins. 49–90.

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Pethő, József 2011. Alakzat és jelentés. Az alakzatok stílus- és jelentésképző szerepe a szövegben (Figur und Bedeutung. Stil- und Bedeutungskonstituierende Rolle der rhetorischen Figuren im Text). Budapest: Tinta Könyvkiadó. Plett, Heinrich F. 2000. Systematische Rhetorik. München: Wilhelm Fink Verlag. Sandig, Barbara 2006. Textstilistik des Deutschen. Berlin, New York: Mouton de Gruyter. Sowinski, Bernhard 1998. Werbung. Tübingen: Niemeyer. Szabó, Zoltán 1999. A stílustörténet egy belső összefüggéséről (Über einen inneren Zusammenhang der Stilgeschichten). MNy. 257−266. Szikszainé Nagy, Irma 2008. A kérdésalakzatok retorikája és stilisztikája (Die Rhetorik und Stilistik der Fragefiguren). Debrecen: DE Kossuth Egyetemi Kiadó. Szathmári, István (Hg.) 2008. Alakzatlexikon (Figurenlexikon). Budapest: Tinta Könyvkiadó. Talmy, Leonard 2000. Toward a cognitive semantics. Volume I. Cambridge, MA: MIT Press.

Tolcsvai Nagy, Gábor 1996. A magyar nyelv stilisztikája (Stilistik der ungarischen Sprache). Budapest: Nemzeti Tankönyvkiadó. Tolcsvai Nagy, Gábor 2005. A cognitive theory of style. Frankfurt am Main: Peter Lang. Tolcsvai Nagy, Gábor 2006. Stilisztika (Stilistik). In: Kiefer Ferenc (Hg.): Magyar nyelv (Die ungarische Sprache). Budapest: Akadémiai Kiadó. 628–652. Ueding, Gert (Hg.) 1992–2009. Historisches Wörterbuch der Rhetorik. 1–9. Tübingen: Max Niemeyer Verlag. Wildgen, Wolfgang 2008. Kognitive Grammatik: klassische Paradigmen und neue Perspektiven. Berlin: De Gruyter.

METAPHERN DER PÄDAGOGIK. DIE KOGNITIVE METAPHERNTHEORIE UND DIE ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT

1. Einführung Bis Ende des 20. Jahrhunderts wurden Metaphern von Rhetorikern und Literaturwissenschaftlern erforscht. Heute jedoch gilt die Metaphernforschung als ein grundlegendes Gebiet der Psychologie, Kognitionswissenschaft und kognitiven Linguistik. Denn in der kognitiven Theorie wurde eindeutig, dass Metaphern eine entscheidende Rolle im menschlichen Verständnis, Denken und Handeln spielen (vgl. Lakoff–Johnson 1980, Kövecses 2005). Also Metaphern umfassen die gesamte Kommunikation: Sie kommen nicht nur in literarischen und rhetorischen Texten vor, sondern auch in fachlich-wissenschaftlichen Texten, in der Mediensprache, in der Alltagsprache, usw.

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Hier geht es um einen bestimmten Bereich der Metaphern: um konzeptuelle Metaphern1 der Schule, d.h. ich diskutiere die Metaphorisierung als den Prozess des Unterrichts und der Erziehung, der Lehkräfte und SchülerInnen. In meiner Zusammenfassung stütze ich mich vor allem auf die ungarische und deutsche Literatur (z.B. Vámos 2001, 2003, Geffert 2006, Guski 2007 etc.). Ich bin der Hoffnung, dass die hier verwendeten sprachlichen Angaben und deren Analysen, für die, die sich mit Pädagogik in der Theorie ode in der Praxis beschäftigen, neue Gesichtspunkte über die Konzeptualisierung von Schule, Erziehung, Lernen und Lehren bieten können.

1 Die kognitive Linguistik unterscheidet zwischen „konzeptuellen Metaphern“ und „metaphorischen Ausdrücken“ (s. z.B. Lakoff und Johnson 1980, Kövecses 2005). Der konzeptuellen Metaphern liegen kognitive Prozesse zugrunde, die die Art und Weise bestimmen, wie Informationen über die Welt konzeptualisiert werden. Metaphorische Ausdrücke sind lexikalische Realisierungen der konzeptuellen Metaphern.

METAPHERN DER PÄDAGOGIK

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2. Metaphern des pädagogischen Prozessess und der Teilnehmer 2.1. Für die bildliche (metaphorische) Darstellung des pädagogischen Prozesses können wir der Alltagsprache und der Sachliteratur2 viele Beispiele entnehmen. Nach Gombocz– Trencsényi (2007) erwähne ich jetzt nur einige: ERZIEHUNG IST DIE LENKUNG EINES KINDES AUF DEN RICHTIGEN WEG3 ERZIEHUNG IST DIE PFLEGE EINER SICH ENTWICKLENDEN PFLANZE

Der Rolle der Lehrer wird auch oft meta2 In der pädagogischen Literatur wird der Metapher-Begriff oft anders verwendet als in der Linguistik. Es bedeutet, dass zwischen Gleichnis und Metapher nicht unterschieden wird. Vámos (2001: 11) nimmt z.B. dieses Gleichnis für Metaphern: „unsere Lehrerin, Tante Vali kleidet sich wie eine Haushälterin“ (weitere „Gleichnisse-Metaphern“: 11, 37 und passim). Bemerkenswert ist es, dass es in der Linguistik ähnliche Auffassungen gibt, die die grundlegende Einigung der beiden Tropen betonen. Und zwar, dass wir sowohl in der Metapher und als auch im Gleichnis zwei verschiedene Objekte, Attribute, Aktionen usw. nebeneinander stellen, und so Ähnlichkeiten wahrgenommen und festgestellt werden (vgl. Kocsány 2008: 267). 3 Das Kapitälchen bezeichnet in der kognitiven Linguistik das Konzept, hier wird es auch in diesem Sinne verwendet.

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phorisch ausgedrückt, einige bekannte Beispiele: DER LEHRER IST EIN SÄER DER LEHRER IST EIN FACKEL

In seiner oft zitierten Aufteilung verwendet Adelson (1981) für die Bennenung bzw. Beschreibung der drei grundlegenden Lehrertyps auch metaphorische Charakterisierungen. Er spricht von dem Schamanen-, Priester- und den „mystiker Heiler”-Typen. Der „Schamane-Lehrer” kann man folgendermaßen charakterisieren: Er ist narzistisch, oft hat er eine charismatische Macht. Sein Primärziel sind Wissensvermittlung und Demonstration seiner fachlichen Fähigkeiten. Er verfügt über eine außergewöhnliche spirituelle Kraft, Energie und Originalität. Der „Pastor-Lehrer” dient einer Idee, einer Gemeinschaft, etc. Er betrachtet sich als Teil einer Hierarchie, und er hat Sendungsbewußtsein. Der „mystische Heiler” konzentriert sich nicht auf sich selbst, nicht auf das Lehrfach, sondern auf den Schüler. Er bemüht sich, die Probleme zu lösen, das Beste aus den Schülern herauszuholen. János Gombocz und László Trencsényi (2007) diskutieren in ihrem Buch mit dem Ti-

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tel Változatok a pedagógiára („Variationen auf Pädagogik“) die metaphorischen Benennungen der zwei klassischen Versionen der Erziehungskonzeptionen: A) Nach der technizistischer Auffasung: DIE SCHULE IST EINE WISSENSFABRIK, DIE LEHRER SIND TECHNIKER , DAS KIND IST GRUNDSTOFF. Laut den Autoren, die eine Parallele zwischen Erziehung und Produktionsprozess ziehen, ist Metaphorisierung eine technizistische Auffassung. Diese Auffassung interpretiert die pädagogische Arbeit als ein Modell der industriellen Produktion. Das Kind (der Rohstoff) geht durch die Taktstraßen der Erziehungseffekten, wird mit Kenntnissen aufmontiert, sein Charakter bekommt eine Form und Haltung, sich verfeinert sein Denken und Geschmack. B)

DIE ERZIEHER SIND GÄRTNER , DIE KINDER SIND PFLANZEN

in der naturalistischen Auffas-

sung. In diesem Ansatz sind Kinder zu pflegende Pflanzen, die Lehrer sind die GÄRTNER, DIE DIE Pflanzen pflegen, deren Aufgabe es ist, den

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bestmöglichen Zustand zur Selbstentwicklung sicherzustellen: also Bewässerung, Beschneidung, Schutz vor Sonne und Kälte usw.

2.2. Für die metaphorische Benennung der Schüler können wir nach Vámos (2003) die folgenden Beispiele hervorheben: SCHÜLER SIND PFLANZEN (BÄUME)

Einige dazugehörige Beispiele für metaphorische Ausdrücke, für die sprachliche Darstellung dieser konzeptuellen Metapher: Jacopo Sadoleto (1477–1547) betont in seinem 1533 veröffentlichten Arbeit mit dem Titel De liberis recte instituendis („Über die richtige Erziehung der Kinder“), dass man mit der Erziehung so früh wie möglich anfangen muss, weil jedes Objekt in weicher Form am meisten formbar ist: Solange ein Baum jung und biegbar ist, kann man ihn in jede beliebige Form biegen (Pukánszky–Németh 1996). Comenius schreibt in seinem Didactica magna: „Jedes Lebewesen hat in jungem Alter die Eigenschaft, leicht zu biegen und zu formen zu sein, aber sobald sie verknöchert sind, weigern sie sich, zu gehorchen. [...] Die Setzlinge kannst du ein-

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pflanzen, umpflanzen, hin und her biegen, aber mit dem entwickelten Baum kannst du es keineswegs tun“ (Pukánszky–Németh 1996b, teilweise zitiert von Vámos 2003: 36). SCHÜLER SIND UNBELEBTE MATERIALIEN (WACHS ETC .)

Comenius bennennt die Tätigkeit des Pädagogen über die oben zitierte Metapher hinaus auch mit einer anderen Metapher: „Das weiche Wachs kann man leicht formen und zurückformen, aber wenn es wieder steif wird, zerbröckelt’s leicht“ (vgl. Pukánszky–Németh 1996). Locke schreibt darüber ähnlicherweise: „Nach ihm ist der menschliche Geist bei der Geburt wie ein unbeschriebenes Blatt, also er ist tabula rasa. Ich betrachte einen jungen Herrn als ein weißes Blatt Papier oder Wachs, das man nach Belieben formen und bilden kann“. Danach schauen wir uns einige Beispiele für metaphorische Beschreibung der Lehrer an. Vámos (2003: 45) führt die folgenden Metaphern in einer Forschung an: DER LEHRER IST DRESSEUR , RICHTER , TRAINER , VERKÄUFER , HAUSHÄLTERIN, FREMDENFÜHRER , KAPELLMEIS -

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TER , KAUFMANN, GÄRTNER , KÜNSTLER , WACHTMEISTER , FLIEGER , SKLAVE , REGISSEUR , SCHAUSPIELER , BILDHAUER , DIENER , ELTERNTEIL , GASTGEBER

Einige Beispiele für die metaphorische Benennung der Schule nach Vámos (2003: 52): DIE SCHULE IST EIN(E) GESCHÄFT, RESTAURANT, KRANKENHAUS, HEIM, SPORTPLATZ , THEATER , HEILIGE MESSE , ACKERERDE

Diesen Metaphern sind folgende kanonische Funktionen zuzuordnen: E N T L E H N U N G S B E - FUNKTION REICH GESCHÄFT RESTAURANT DIENSTLEISTUNG KRANKENHAUS THEATER ACKERERDE (KÖRPERLICHE BZW. HEIM SEELISCH - GEISTIGE) ERNÄH RUNG HEILIGE MESSE SPORTPLATZ TRAINING

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Die Bedutungsstruktur einer der interessantesten konzeptionellen Metaphern DIE SCHULE THEATER (vgl. Vámos 2003: 54), ist wie folgt zu dekomponieren: ENTLEHNUNGSBEREICH (SOURCE DOMAIN) THEATER

ZIELBEREICH (TARGET DOMAIN) SCHULE

AGENS: REGISSEUR, SCHAUSPIELER, STATIST, DRAMATURG, REQUISITEUR, SOUFFLEUR, GARDEROBIER, ZUSCHAUER ETC.

AGENS: LEHRER, SCHÜLER, SCHULDIREKTOR, SCHULSEKRETÄRIN, SCHULHAUSMEIS TER ETC.

TÄTIGKEIT: REGIE, PROBE, VORSTELLUNG, REZEPTION: ANALYSE, BEWERTUNG ETC.

TÄTIGKEIT: UNTERRICHT, LERNEN, BERATUNG, „CUS TODIO” (BEWACHUNG, BEWAHRUNG), SPORT ETC.

ORT: THEATERGEBÄUDE

ORT: SCHULGEBÄUDE

ZIEL: DEN ZUSCHAUER ZU GESELLSCHAFTLICHKÜNSTLERISCHER ERFAHRUNG, ERLEBNIS UND WISSEN ZU BRINGEN

ZIEL: SOZIALISATION DES SCHÜLERS, DEN SCHÜLER ZU ERLEBNIS UND WISSEN ZU BRINGEN

Vámos (2001) präsentiert eine Umfrage, in der ungefähr die Hälfte der Informanten die Regisseur- oder Schauspieler-Rolle für den Lehrer für typisch halten. Diejenigen, die die Regisseur-Metaphern wählten, hielten offenbar die Leitung, die Or-

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ganisierung und das Instruieren für die ausgeprägtere Rolle.

2.3. Ähnliche Tendenzen sind in den deutschen Metapheruntersuchungen zu sehen. Geffert (2006) präsentiert z.B. die folgenden Schule-Metaphorisierungen: SCHULE IST EINE VERSORGUNGSANSTALT SCHULE UND LERNEN SIND ARBEIT SCHULE UND UNTERRICHT SIND EINE SCHWERE LAST UNTERRICHT UND LERNEN SIND STRESS UND DRUCK SCHULE UND LERNEN SIND EIN WEG, DEN MAN GEHEN MUSS SCHULE IST REGELN UND ORDNUNG SCHULE IST KONTAKT UND BEZIEHUNG ZU FREUNDEN

(KAMPF) SCHULE IST DIE WELT/DER RAUM DER LEHRER UND PAUSE IST EINE ANDERE WELT

Diese Metaphern bieten eine Reihe von Lehren für Analysezwecke. Nach Bojanowski – Eckert – Rützel (2008: 68) soll man die SCHULE IST EINE VERSORGUNGSANSTALT-Metapher mit Blick auf die Attitüde von Schülern so interpretieren: „In der Schule zu sein heißt, dass andere für mich sorgen müssen, sich für mich einsetzen und mir alles beibringen und geben“. Die

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Schule und der Unterricht bedeutet für Schüler, dass sie vom Lehrer „Sachen“ bekommen. In der Versorgungsanstalt-Schule bekommt man vom Lehrer gute oder negative „Sachen“. Diese Metaphorik betont die schülerische Passivität im schulischen Erleben. Alexandra Guski (2007) präsentiert in ihrem Buch, mit dem Titel Metaphern der Pädagogik unter anderem die folgenden Metaphern: SCHULE ALS WERKSTATT SCHULE ALS UHR DER SCHÜLER ALS WACHS SCHULISCHES LERNEN IST FORTBEWEGUNG AUF EINEM WEG SCHULISCHES LERNEN IST KRAFTÜBUNG UND GYMNASTIK SCHULISCHES LERNEN IST SEHEN SCHULISCHES LEHREN IST ZEIGEN SCHULWISSEN IST LICHT SCHULWISSEN ALS GEBÄUDE

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Sehen wir uns die letzte Metapher etwas näher an. Hier lässt sich die Verbindung zwischen den konzeptuellen Domänen kurz und schematisch wie folgt zusammenfassen: ENTLEHNUNGSBEREICH (SOURCE DOMAIN)

ZIELBEREICH (TARGET DOMAIN)

GEBÄUDE

SCHULWISSEN

- ERGEBNIS EINER GEPLANTEN - ERGEBNIS EINER GEPLANTEN TÄTIGKEIT, ORGANISIERTEN TÄTIGKEIT, ORGANISIERTEN ARBEIT

ARBEIT

- BRAUCHT FESTEN GRUND FÜR DAS BESTEHEN, FÜR DIE

- BRAUCHT FESTE KENTNISSE FÜR DAS BESTEHEN, FÜR DIE

EXISTENZ

EXISTENZ

- GEORDNETES, GUT STRUK-

- GEORDNETES, GUT STRUK-

TURIERTES GANZES

TURIERTES GANZES

- ETC.

- ETC.

Diese konzeptuelle Metapher erscheint z.B. in den folgenden metaphorischen Ausdrücken: die Grundlagen sind gegeben/nicht gegeben, das Basiswissen fehlt, die Lehreinheiten bauen aufeinander auf, usw. Wie es Böhme und Hermann (2011: 21) demonstrieren, ist es auch möglich, eine Typologie pädagogischer Metaphernfelder empirisch begründet herauszuarbeiten:

Menschenbild

Samenkorn Blume Baum

Handwerker Material Wachs

Spiegel Speicher

Tabula rasa

Flamme Docht

Metaphernfeld

Organischbotanisches

Technischmechanisches

Visuellrepräsentatives

Künstlerischschöpferisches

Aufklärerischmeteorologisches Aufklärung Erleuchtung Irritation

Schöpfung Beschreibung Bildung

Abbildung Aufnahme Anschauung

Prägen Formung Unterrichten

Entwicklung Erziehung Pflege

Werden durch

Aufklärer Erleuchter Erwecker

Künstler Schreiber Architekt

Vorbild Zeigender Darsteller

Handwerker Stanzer Buchdrucker

Gärtner

Pädagoge

Nebel Finsternis Scheinwelt

Atelier Künstlerwerkstatt

Höhle Spiegelkabinett

Werkstatt Fabrik Kaserne

Garten

Raum

METAPHERN DER PÄDAGOGIK 61

Menschenbild

Schiff Gefolgschaft Orientierungsloser

Vögel

Mönch Workaholic

Schauspieler Darsteller

Ressource Rekrut Markt

Metaphernfeld

Perspektivischtopologisches

Emotionalfürsorgliches

Fokussiertasketisches

Expressivinszenatorisches

Strategischmilitärisches

Taktieren Gut-aufgestellt-sein

Inszenierung Präsentation

Selbstschulung Verzicht Übung

Ernährung Versorgung Schutz

(Ein-)Führung Begleitung Suche

Werden durch

Ökonom Kämpfer

Regisseur Zuschauer

Wächter Aufseher

Vaterfreund Berater Freund

(Fremden-) Führer Wegbegleiter

Pädagoge

Arena Kampfplatz

Bühne Theater Stadt

Klosterzelle Cocoon Gefängnis(Zelle)

Heim(at) Haus Nest

(Lauf-)Bahn Weg Labyrinth

Raum

62 STIL UND TEXTSINN

METAPHERN DER PÄDAGOGIK

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3. Neue Chancen… George Lakoff und Mark Johnson (1980) analysieren in ihrem berühmten Buch, „Metaphors we live by“ (Wir leben in Metaphern) u.a. die ARGUMENTIEREN IST KRIEG -Metapher. Diese Metapher lässt sich in den folgenden Ausdrücken beobachten: Seine Kritik traf ins Schwarze. Ich habe noch nie eine Auseinandersetzung mit ihm gewonnen. Ich fühle mich dir in jeder Diskussion unterlegen. Du bist anderer Meinung? Okay, schieß los. Wenn du nach dieser Strategie vorgehst, wird er dich vernichten. Die ARGUMENTIEREN IST KRIEG konzeptuelle Metapher bestimmt unser Verhältnis zur Diskussion und unseres argumentative Handeln, also wir empfinden Diskussionen tatsächlich oft als Kampf. Lakoff und Johnson (op. cit. 4–5) werfen auf, daß wir auch andere Kulturen vorstellen können, in denen eine andere Metapher für die Diskussion funktioniert, z.B. ARGUMENTIEREN IST TANZEN. Das heißt, dass die Diskussion nicht als „Krieg“, sondern als „Tanz“ aufgefaßt wird. Die Teilnehmer sind keine Krieger, keine Gegner, sondern Partner mit einem gemeinsamen Ziel und sie handelten demnach. – Offensichtlich ist die Frage auch von großer Wichtigkeit in Hinsicht der Theo-

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rie und Praxis von Bildung und Erziehung, mit was für Metaphern wir über die Schule denken und reden. Die weitere Verarbeitung der gesammelten empirischen Daten und die Anwendung der Konsequenzen der neuen Metapheranalysen in der Bildungspraxis können in der Zukunft aller Wahrscheinlichkeit nach bedeutende Ergebnisse erbringen.

Literatur Adelson, Joseph 1981. A tanár mint modell (Der Lehrer als Modell). In: Dr. Domján, Károly – Dr. Szatori, Ferenc – Nagy, Ferenc (szerk.): Pszichológiai szöveggyűjtemény II. Fejlődés- és pedagógiai pszichológia (Psychologie: Textsammlung II. Entwicklungsund pädagogische Psychologie). Budapest: Tankönyvkiadó Vállalat. 5–16. Bojanowski, Arnulf – Eckert, Manfred – Rützel, Josef 2008. Qualität beruflicher Förderpädagogik: Aktuelle Debatten, Analysen und Herausforderungen. zur beruflichen Benachteiligtenförderung. In: Bals, Thomas – Hegmann, Kai – Wilbers, Karl (Hrsg.) Qualität in Schule und Betrieb Forschungs-

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ergebnisse und gute Praxis. Köln: Qualitus GmbH Publications. 64–73. Böhme, Jeanette – Herrmann, Ina 2011. Schule als pädagogischer Machtraum. Typologie schulischer Raumentwürfe. Wiesbaden: VS Verlag. Geffert, Bruno 2006. Metaphern von Schule: welche Metaphern und metaphorischen Konzepte generieren Benachteiligte von Schule. Hamburg: Verlag Kovac. Guski, Alexandra 2007. Metaphern der Pädagogik. Metaphorische Konzepte von Schule, schulischem Lernen und Lehren in pädagogischen Texten von Comenius bis zur Gegenwart. Bern, Berlin, Bruxelles etc.: Peter Lang. Kövecses, Zoltán 2005. A metafora (Die Metapher). Typotex. Budapest. Lakoff, George – Johnson, Mark 1980. Metaphors We Live By. Chicago – London: The University of Chicago Press. Pukánszky, Béla – Németh, András 1996. Neveléstörténet (Erziehungsgeschichte). Nemzeti Tankönyvkiadó Rt. Elektronikus verzió: http://mek.oszk.hu/01800/01893/html/index.htm (letöltés: 2010. 12. 10.). Vámos, Ágnes 2001. A metafora felhasználása a pedagógiai fogalmak tartalmának vizsgála-

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tában (Verwendung der Metapher in der Untersuchung des Inhalts der pädagogischen Konzepten). Magyar Pedagógia 1: 85–108. Vámos, Ágnes 2003. Metafora a pedagógiában (Die Metapher in der Erziehungswissenschaft). Budapest: Gondolat Kiadói Kör, ELTE BTK Neveléstudományi Intézet.

ASPEKTE DES TEXTLINGUISTISCHEN UND SEMANTISCHEN HERANGEHENS AN DIE HÄUFUNG

1. Zielsetzung Der Aufsatz setzt sich zum Ziel, ein stilistischrhetorisches Phänomen, die Häufung als Figur der adiectio (s. Lausberg 1960: 336–344, 19765: 80–102) unter Anwendung der neueren Gesichtspunkte genauer zu charakterisieren. Dazu wird Beispielmaterial aus dem Band Sindbad ifjúsága (Sindbads Jugendzeit) von Gyula Krúdy herangezogen. Definition, Typologie und die Beurteilung der Funktion der Häufung selbst weichen in den verschiedenen stilistischen Facharbeiten ziemlich voneinander ab. Einerseits wird diese Tatsache durch die Themenwahl begründet, andererseits durch die sich in der Stilistik neuerlich immer mehr verbreitenden Ansicht,

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nach der nur die Interdisziplinarität zu neueren Ergebnissen führen kann.

2. Die textlinguistische Herangehensweise 2.1. Die Rolle der Häufung als Form der Rekurrenz in der Entstehung der Textkohäsion, d.h. in der Entstehung der Textualität Der erste Schritt bei der Behandlung dieser Beziehung ist eine Stellungnahme, die mit gewissen textologischen Definitionen wie zum Beispiel Text, Textualität, Kohäsion, Kohärenz usw. in Zusammenhang steht. In dieser Hinsicht betrachte ich die Auffassung von Halliday und Hasan (1976) als einen Ausgangspunkt, nach dem man den Text als semantische Einheit des Sprachgebrauchs betrachten muss. Etwas näher betrachtet: Aufgrund Tolcsvai Nagy (2001: 325) soll „man […] von dieser Feststellung ausgehen, dass der Text nicht einfach eine nach bestimmten Regeln neben- und zueinander schließende Kette der sprachlichen Einheiten ist, sondern eine Bedeutungseinheit, die sich in einer kommunikativen Form in irgendeiner Situation, im Lauf und als Teil

HÄUFUNG

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irgendeiner Handlung repräsentiert“. Textualität. Die zur Zeit wahrscheinlich eine der authentischsten und anerkanntesten textlinguistischen Synthesen, die Arbeit von Beaugrande und Dressler (1981/2000: 24–36, vgl. z. B. Vater 19942: 31–73), zählt sieben Kriterien der Textualität auf: a) Kohäsion b) Kohärenz c) Intentionalität d) Akzeptabilität e) Informativität f) Situationalität g) Intertextualität In unserer Betrachtung wird den ersten zwei Kriterien besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Ein Teil der textlinguistischen Fachliteratur differenziert stark zwischen den Begriffen Kohärenz, Kohäsion und Konnexität. Diese begriffliche Dreiheit erscheint ab Mitte der 1980er Jahre, „als sich die die Kohärenz des Textes aus neuerem Gesichtpunkt betrachtenden kommunikativ-pragmatischen Forschungen von den semantischen Forschungen, die den kohäsiven Text als eine Ineinanderpas-

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sung der Bedeutungen annehmen, trennen. Einerseits ruft man den »pragmatisch« motivierten Begriff Kohärenz, andererseits den »grammatisch« motivierten Begriff Konnexität ins Leben, der von der »semantisch« wirksamen Erklärung der Kohäsion gefördert wird.” (Kocsány 1996: 156). Im auch heute aktuellen und oft zitierten Werk von Halliday und Hasan (1976) wird aber kein Unterschied zwischen der Kohäsion und Kohärenz gemacht. In einem der meistzitierten Werke der neueren textlinguistischen Fachliteratur, in der Synthese von Vater (19942: 32) kann man lesen: „Ich fasse die Kohäsion als ein grammatisches Verhältnis unter den Texteinheiten auf“ (vgl. Halliday-Hasan [1976: vii]: „Cohesive relations are relations between two or more elements in a text that are independent of the structure”.). Nachfolgend interpretiere ich den Begriff der Kohäsion v.a. als eine semantische, und den der Kohärenz als eine pragmatische Texteigenschaft. Man muss allerdings betonen, dass es praktisch unmöglich ist, zwischen der Pragmatik und Semantik eine starke Grenzlinie zu ziehen, das gilt gleichzeitig natürlich auch für die Definition Kohärenz und Kohäsion. (vgl. z. B. Kiefer 1984, Vater 19942: 32–49).

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In der Entstehung der Kohäsion spielt die Rekurrenz eine besonders wichtige Rolle. Als einen Untertyp dieser Erscheinung betrachtet man die Häufung, wenigstens nach Beaugrande-Dressler (1981/2000: 86), die unter dem Kasus der Rekurrenz („recurrence“) aufzählen a) neben der ganzen und teilweisen Wiederholung der Wörter b) die Rückkehr der Formen mit einem geänderten Inhalt, c) die Rückkehr der Inhaltselemente in veränderten Formen. Die zwei letzteren Typen beziehen sich auf die Häufung: b) = die Rückkehr der syntaktischen Formen c) = der Parallelismus: Der Parallelismus hat zwei Grundtypen: „1. Die Variation mit der Bewahrung der Konstruktion ändert den Inhalt in mehr oder weniger beträchtlichem Maße; oder im Gegenteil 2. Sie bemüht sich, indem sie den Inhalt im wesentlichen beibehält, sich von der Ausdrucksform immer wieder zu entfernen“ (Fónagy 1999: 44). Die b) Definition von Beaugrande-Dressler bezieht sich auf den 2. Kasus des Parallelismus.

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Vater (19942: 35–36) interpretiert den Begriff Rekurrenz in engerem Sinne, denn er wendet den Begriff Rekurrenz nur auf die ganze oder teilweise Wiederholung von Wörtern und Suffixen an. Interessanterweise nimmt er auch den Parallelismus in die Typen der Rekurrenz auf.

2.2. Die Rolle der Häufung bei der Schaffung der Stileinheit Andererseits wird die Häufung auch als ein transphrastisches Phänomen zum Stilmerkmal, und als ein Faktor der Stileinheit wird sie auch auf der Ebene des Textganzen zum „Mittel der Textualität“, der Stil ist ja je nach Auffassung eine textbildende Kraft (vgl. Gáspári, László 19942). Ein Beweis für die duale – stil- und zugleich textformende, „-schöpferische“ – Funktion der Häufung ist auch, dass diese Figur als differentia specifica bestimmter Stile in der wissenschaftlichen Beschreibung vorkommen kann: „die Hauptkompositionseigentümlichkeit, zugleich ein eigenartiges Verfahren… des Stils der Kodexliteratur ist die Häufung und die ihr untergeordnete oder wenigstens ver-

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wandte Partitio, die Zerlegung eines Ganzen in Bestandteile und dessen Aufzählung. In den mit der Häufung und Partitio geformten größeren oder kleineren Einheiten funktionieren die Stiltugenden, die dieses Textfeld braucht. Die sind Ausdrucksformen der Emotionalität, Pomphaftigkeit und der Bildersprache, die die semantischen Komponenten der Häufungen sind“ (Szabó 1998: 48). Aufschlussreich ist die neuartige und scharfe Beobachtung von Szabó: Die Häufung bringt ein Textfeld hervor.

3. Semantische Herangehensweise Die semantische Herangehensweise wirft von zwei Seiten wichtige Fragen auf und verspricht wesentliche Ergebnisse: 3.1. Einige Fragen kann man auf effiziente Weise nur mit der Theorie und den Methoden der kognitiven Semantik erklären. Z.B. die Frage, was, wenn es überhaupt solche Phänomene gibt, in den Typen des Erscheinens der Häufung in verschiedenen Textsorten und Kontexten gemeinsam ist? Von der Seite des Textherstellers: Was ist gemeinsam in den kognitiven Gründen ihrer Verwendung? Von der

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Seite des Rezipienten: Was ist gemeinsam in der Wirkung? Weitere diesbezügliche relevante Fragen sind, was bei der Häufung spezifisch textgebunden ist und wo die Zone beginnt, ab der man von einer ästhetischen Wirkung sprechen kann?

3.2. Die Gesichtspunkte der traditionellen und strukturellen Semantik können in der Typisierung eine wichtige Rolle bekommen. Die Klassifizierung nach den zwischen den Bedeutungen stehenden Relationen und der ontologischen Qualität der Denotate kann besonders dienlich sein. A) Nach Relationen zwischen den Bedeutungen von Gliedern der Häufung 1) Der präklusive Gegensatz (Kontradiktion): Kann sowohl zwischen zwei lexikalischen Elementen als auch zwischen zwei Aussagen vorkommen. „Genauer: X und Y sind nur dann zwei Kontradiktion ausdrückende lexikalische Elemente, wenn die X beinhaltende K Proposition und die mit dem Ersatz des Elements X durch das Element Y gewonnene K’ Pro-

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position miteinander im logischen Widerspruch stehen, das bedeutet, wenn K richtig ist, dann ist K’ notwendigerweise falsch, und wenn K’ richtig ist, dann ist K notwendigerweise falsch“ (Kiefer 1999: 27–8) Die im Widerspruch stehenden Elemente decken also völlig das betreffende konzeptuelle Feld ab, z.B. „Er war gewinnend gesund, und war krank und traurig“ (SZI. 25) In dieser Häufung sind gesund und krank in einer semantischen Relation der Kontradiktion. Das kann man folgenderweise darstellen: Konzeptuelles Feld: Gesundheit

gesund

krank

nicht krank

nicht gesund

2) Kein präklusiver Gegensatz: „Und die Häuschen ähnelten weissen und schwarzen Lämmern“ (SZI. 27.) „Er war reich und war arm. Er liebte Jungfrauen und reife Weiber. Er trank den besten Wein und streifte auch ohne Groschen müßig

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herum.“ (SZI. 25) Wie auch diese Beispiele zeigen, kann dieser Typ des Gegensatzes auf der Ebene der Wörter, der Syntagmen und der Sätze zustande kommen. Im ersten Fall sprechen wir über Antonymie, in den zwei letztgenannten Fällen über Antithese. Bei Antonymie decken die vorliegenden zwei Begriffe das betreffende konzeptuelle Feld nicht ab, z.B.: Konzeptuelles Feld: finanzielle Lage

reich

nicht arm

arm

nicht reich

(Zur ausführlicheren Beschreibung der Abbildungen bzw. von Kontradiktion und Antonymie s. Kiefer 1999: 27–9.)

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3) Synonymie d.h. congeries: „Es wäre aber damals leichter gewesen, aus dem stählernen Wasser des am Staubach des Mühlendammes abflutenden Poprades die Wassertropfen nach ihrem Stamm auszuwählen, als Sindbad seine Erinnerungen, die ihm nach fünfundzwanzig Jahren auf einmal erschienen sind, zu klassifizieren und ordnen.“ (SZI. 9) Die Sinnverwandtschaft der zwei kursiv gedruckten Wörter zeigt einerseits, dass sie Elemente e i n e s Vergleiches sind, andererseits bestätigt es die Zusammenstellung der Bedeutungen: klassifizieren: ’nach Charakter, Qualität usw. zu Klassen zählen’, ordnen: ’etwas nach entsprechendem Gesichtspunkt gruppieren’ „Die Tore, die meistens in Wände gehauen worden sind, die Türen, die sich leise und still auf dunkle Flure öffnen, sind geschlossen.“ (SZI. 47) Die denotative Bedeutung stimmt hier auch überein, denn das Wort leise ’schwach oder kaum hörbar’, still kann man ebenso bzw. mit dem Wort leise selbst ’leise, kaum hörbar’ deuten. Ich gebrauche für diese Stilfigur den Terminus congeries, und für die aus zwei Wörtern bestehenden

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congeries, die in den Werken von Krúdy besonders häufig sind, anhand Fónagy (1999: 35) die Benennung arthávrtti. 4) Steigerung. Der Name der Steigerung in positiver Richtung ist climax (gradatio): „...Er ließ sich nach Buda bringen, wo er in einem kleinen Gasthaus mit auch andermal herumgekommenen Frauen im geheimen zu Abend essend, flirtend und liebelnd...“ (SZI. 110) Die Steigerung in negative Richtung heißt anticlimax: „Pápai, der Souffleur der Truppe, war einst mein Sekretär, Freund, Hund und mein alter Stiefel“ (SZI. 70) 5) Hyponymie: kann explizit oder implizit sein. Explizit: „... die Flöte tönt im Jenseits und Onkel Mányoki begleitet abends nicht mehr nach Hause die Jugendlichen, die Mädchen und die Jungen“ (SZI. 167). Die Häufung besteht in diesem Beispiel natürlicherweise nur aus den zwei beigeordneten Appositionen, das Akkusativobjekt als Grundteil ist kein Glied der Figur der Häufung, steht aber damit als syntaktisch übergeordneter Satzteil in einem logisch-se-

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mantischen Zusammenhang. Hier fehlt hingegen der übergeordnete Begriff: „Hochzeitsfeste und Taufen, Ehrenschmäuse oder Installationen durften Herrn Portobányi nicht entbehren“ (SZI. 61). Die in der Häufung genannten Denotate werden dadurch verbunden, dass sie Ereignisse und Anlässe sind, wo man die Gelehrtheit Portobányis in der Verskunst benötigte. B) Nach der ontologischen Qualität der Denotate (Zeichenobjekte) Soweit ich weiß, hat die Klassifizierung nach der denotativen Bedeutung, genauer nach der ontologischen Qualität der Denotate (Zeichenobjekte) in der rhetorischstilistischen Fachliteratur keine Tradition. Ich denke dagegen, dass wir mit der Verwendung dieses Gesichtspunkts und bestimmten Ergebnissen der kognitiven Semantik – v.a. den Begriffen Wissensrahmen ( frame) bzw. Drehbuch (script) – zum Verständnis der Organisierungen der Häufungen wesentlich näher kommen könnten.

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1) Substanzbedeutung. z.B.: „Kennen Sie Krakau? Jene wunderschönen Türme, Brücken, Paläste sehe ich manchmal im Traume.“ (SZI. 99) Aus semantischem Gesichtspunkt ist dieses Beispiel auf folgende Weise zu charakterisieren: Der Begriff von Krakau ruft als Wissensrahmen jene Kenntnisse hervor, die er als Mittelpunkt beinhaltet (vgl. Kiefer 1999: 164: die deskriptive Interpretation der Eigennamen erfolgt auf konzeptueller Ebene, wo unsere mit dem Träger der Eigennamen assoziierten gewöhnlichen Kenntnisse eine entscheidende Rolle bekommen). Anhand des Rahmens kann man wissen, welche Sachen im Prinzip zusammengehören, aber nicht, in welcher Reihenfolge diese Sachen stehen und ob sie alle erwähnt werden. (Beaugrande-Dressler 1981/2000: 127). 2) Akzidenzbedeutung α) Eigenschaftsbedeutung i) Qualitätsbedeutung „Er wähnte die gering gebogene, feine, sinnliche Nase zu sehen...“ (SZI. 91). Neben

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den Adjektiven können auch Substantive hierher gehören: „...in der Zecherei die Verschwiegenheit, im Trunk die Nüchternheit, im Spiel und in der Liebe die Zügellosigkeit schmückt den Mann.“ (SZI. 81) ii) Quantitätsbedeutung Prototypische Beispiele habe ich für dieses Häufungstyp nicht gefunden. „Nach zehn Monaten bekam Sindbad brieflich geheime, krause, stahlblaue Haare aus der weit liegenden Provinzstadt, nach zwei Monaten vereinbarten sie sich genau, dass Sindbad auf die Nacht mit dem Zug in das unbekannte Städtchen ankommt“ (SZI. 28). Die Relation der ersten zwei Gliedsätze bzw. besonders hervorgehoben die darin enthaltenen Temporaladverbien können wir als Häufung betrachten. Dabei bekommen die zwei kursiv gedruckten Wörter eine Rolle. β) Handlungsbedeutung z. B.: „Was er gelernt, gelesen hat oder gefahren ist, hat er getan, um den Frauen lügen, fabeln zu können.“ (SZI.53)

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Die obigen Gedanken gehören zum Beginn einer mit der Häufung zusammenhängenden Diskussion, die auf komplizierte Fragen der Semantik, Grammatik, Textlinguistik usw. eine Antwort sucht. Sie findet heute noch nicht statt, ist aber meiner Meinung nach notwendig. Daraus folgernd erwähne ich zum Schluss statt zusammenfassender Feststellungen nur zwei Tatsachen und Aufgaben: a) Wenn man die neueren Ergebnisse der Linguistik, besonders der Textlinguistik und Semantik in Betracht zieht, scheint es erforderlich und vorteilhaft zu sein, die Stilfiguren, darunter die Häufung erneut und die Ergebnisse integrierend zu beschreiben (vgl. Szathmári 1999, Szathmári [Hg.] 2008). b) Die eingehende Untersuchung einzelner Texte, Textsorten soll aus dem Gesichtspunkt der Häufung einerseits eine Basis, andererseits eine Folge des theoretischen Denkansatzes sein.

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Literatur Beaugrande, Robert – Dressler, Wolfgang 1981/2000. Bevezetés a szövegnyelvészetbe (Einführung in die Textlinguistik). Corvina. Budapest. Fónagy, Iván 1999. A költői nyelvről (Über die dichterische Sprache). Corvina. Budapest. Gáspári, László 19942. A mű stílusötvözete mint szövegszervező erő (Der Stil des Werkes als textbildende Kraft). In: Rácz, Endre–Szathmári, István (Hrsg.): Tanulmányok a mai magyar nyelv szövegtana köréből (Studien aus dem Bereich der Textologie der ungarischen Gegenwartssprache). Nemzeti Tankönyvkiadó. Budapest. 112–23. Halliday, Michael A. K. –, Hasan, Ruqaiya 1976. Cohesion in English. Longman. London. Kiefer, Ferenc 1984. Szemantika vagy pragmatika? (Semantik oder Pragmatik?) Nyelvtudományi Közlemények. Band 86. Heft 1. 5–22. Kiefer, Ferenc 1999. Jelentéselmélet (Bedeutungstheorie). Corvina. Budapest. Kocsány, Piroska 1996. Szövegnyelvészet és szövegtan (Textgrammatik und Textlinguistik). In: Szathmári, István (Hrsg.): Hol tart ma a stilisztika? (Wie ist die Stilistik von

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heute?) Nemzeti Tankönyvkiadó. Budapest. 152–63. Lausberg, Heinrich 1960. Handbuch der literarischen Rhetorik. I-II. Max Hueber Verlag. München. Lausberg, Heinrich 19765. Elemente der literarischen Rhetorik. Max Hueber Verlag. München. Szabó, Zoltán 1998. A magyar szépírói stílus történetének fő irányai (Haupttendenzen der Geschichte des ungarischen belletristischen Stils). Corvina. Budapest. Szathmári, István 1999. Az alakzatkutatásról – egy pályázat ürügyén (Forschung der rhetorischen-stilistischen Figuren – im Zusammenhang mit einer wissenschaftlichen Förderung) Nyr. 123: 303–9. Szathmári, István (Hg.) 2008. Alakzatlexikon (Figurenlexikon). Budapest: Tinta Könyvkiadó. Tolcsvai Nagy, Gábor 2001. A magyar nyelv szövegtana (Textologie der ungarischen Sprache). Nemzeti Tankönyvkiadó. Budapest. Vater, Heinz 19942. Einführung in die Textlinguistik. Wilhelm Fink Verlag. München.

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