Sterbende, überlebende und auswandernde Götter

June 15, 2017 | Author: Alexandra G. Pesch | Category: Early Medieval Art, Old Nordic/Germanic Religions, Germanic imagery
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Description

Dying Gods – Religious beliefs in northern and eastern Europe in the time of Christianisation herausgegeben von Christiane Ruhmann und Vera Brieske

Umschlaggestaltung: Karl-Heinz Perschall, Werner Pollak Satz und Layout: Deborah Zarnke Redaktion: Beverley Hirschel, Deborah Zarnke, Vera Brieske, Christiane Ruhmann Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese ­Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; ­ detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 Niedersächsisches Landesmuseum Hannover Alle Rechte vorbehalten In Kommission bei Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart Abbildungsnachweise ­liegen in der Verantwortung der Autoren Druck: ­ BWH GmbH – Die Publishing Company, D-30457 Hannover ISBN 978-3-8062-3260-8

Vorwort

Der vorliegende fünfte Band der Reihe „Neue Studien zur Sachsenforschung“ umfasst 26 Beiträge des 64. Internationalen Sachsensymposions, das vom 7.–11. September 2013 in Paderborn stattfand. Er setzt die gemeinsam vom Niedersächsischen Landesmuseum Hannover und dem Internationalen Sachsensymposion herausgegebene Reihe „Neue Studien zur Sachsenforschung“ fort. Das Thema des Symposions, „Dying Gods – Religious beliefs in northern and eastern Europe in the time of Chrisianisation“, behandelte räumlich spezifische wie auch chronologisch divergierende Phänomene des Übergangs von den gentilen Religionen zum Christentum in Nord- und Osteuropa. Die Beiträge gingen der Frage nach, welche Aussagen zu den vorchristlichen Religionen getroffen werden können, zumal viele Quellenzeugnisse – zumindest diejenigen schriftlicher Art – die Ereignisse aus christlicher Sicht und oft auch aus großem zeitlichen Abstand in den Blick nehmen. In- bzw. Akkulturation stand im Mittelpunkt der Betrachtung, besaßen doch viele der gentilen Verbände zu Beginn ihrer Missionierungsgeschichte bereits Kontakt zur antiken, auch christlich geprägten Kultur, was wiederum nicht ohne Einfluss auf die paganen Glaubensvorstellungen blieb. Einen guten Ansatz zur Klärung dieser Fragen bieten die archäologischen Quellen zu den weitreichenden Kontakten und Verbindungen der Eliten und paganen Verbände. Die Vorträge des Symposions widmeten sich auch der Frage, in welchem Umfang sich für die paganen Religionen – denen sowohl jegliche festgefügte Doktrin fremd als auch eine starke regionale Variationsbreite zu eigen war – übergreifende festgeschriebene Glaubensvorstellungen konstatieren lassen. Einen weiteren Schwerpunkt der Betrachtung bildete die Frage, inwieweit das sich ausdehnende Christentum nicht nur auf die Bildwelt der paganen Religionen, sondern möglicherweise auch auf die ihnen innewohnenden religiösen Überzeugungen Einfluss nahm. Wurden durch den zunehmenden Kontakt von paganer auf der einen und mediterran westlicher bzw. östlicher Sphäre auf der anderen Seite nicht nur Bilder, sondern auch Ideen transferiert und transponiert? Sind die in der älteren Forschung konstatierten deutlichen Unterschiede zwischen paganer und christlicher Welt eher der einseitigen Betrachtung der Schriftquellen geschuldet und zeigt sich in der materiellen Überlieferung möglicherweise ein anderes Bild, nämlich dasjenige einer größeren Annäherung bzw. Beeinflussung religiöser Vorstellungen auf beiden Seiten? Die Exkursion führte die Teilnehmer des Sachsensymposions zu archäologisch und historisch bedeutsamen Zen-

tralorten Ostwestfalens und Nordhessens. Zu nennen ist hier das Kloster Helmarshausen, das durch seine mittelalterliche Handschriftenproduktion tief in das neu christianisierte Skandinavien ausstrahlte, oder das karolingische Reichskloster Corvey, Ort der Antikenrezeption und im Hohen Mittelalter einer der Ausgangspunkte der Missionierung Skandinaviens. Letzter Programmpunkt der Exkursion waren die im Lipperland gelegenen Externsteine, bedeutsam durch die vor Ort erhaltene Nachbildung des Heiligen Grabes zu Jerusalem, zu welchem auch ein überlebensgroßes Relief der Kreuzabnahme Christi gehört, und berüchtigt durch die Deutung als germanisches Heiligtum durch Nationalsozialisten und völkische Gruppierungen. Den Druck des Konferenzbandes haben die Altertumskommission für Westfalen und die Ausstellungsgesellschaft Paderborn finanziell getragen. Unser Dank gilt Beverly Hirschel für die redaktionelle Betreuung der englischen Beiträge sowie Deborah Zarnke M.A., die sowohl die Tagung organisatorisch begleitete als auch für Redaktion und Satz des vorliegenden Bandes verantwortlich war. Wir möchten diesen Band dem Angedenken an Torsten Capelle widmen, der im Juli 2014 verstorben ist. Nicht nur den beiden Herausgeberinnen, seinen Schülerinnen Christiane Ruhmann und Vera Brieske, sondern auch den Kolleginnen und Kollegen und der Institution des Sachsensymposions war er stete Stütze und Inspiration. In Dankbarkeit erinnern wir uns an ihn und veröffentlichen in diesem Band die letzte seiner großartigen Sachsensymposions-Zusammenfassungen sowie die Liste seiner wissenschaftichen Publikationen zum Interessengebiet der Arbeitsgemeinschaft, dem 1. Jahrtausend n. Chr. in Nord- und Mitteleuropa. Christiane Ruhmann

Diözesanmuseum Paderborn

Vera Brieske

Altertumskommission für Westfalen

Babette Ludowici

Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, Arbeitsbereich „Sachsenforschung“

Claus von Carnap-Bornheim

Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen, Vorsitzender des Internationalen Sachsensymposions

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Inhalt

Lutz E. von Padberg Von Heidenhunden und Herrscherglaube Zur Darstellung von Heiden und Herrscherkonversionen in frühmittelalterlichen Quellen

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Charlotte Behr How widely were pre-Christian religious ideas shared in northern Europe?

15

Karen Høilund Nielsen Endzeiterwartung – expecting the End of the World

23

Catherine Hills Work boxes or reliquaries? Small copper-alloy containers in seventh-century Anglo-Saxon graves

51

John Hines Burial and Religion in pre-Christian Anglo-Saxon England

63

Christopher Scull Chronology, Burial and Conversion: the Case of England in the 7th Century

73

Alexandra Pesch Sterbende, überlebende und auswandernde Götter

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Sarah Semple The Pre-Christian Landscape in Anglo-Saxon England

101

Clifford M. Sofield Anglo-Saxon Placed Deposits Before and During Christianization (5th–9th c.)

111

Paul Stevens The Early Medieval Church in Ireland and its Impact on Transformations in the Irish Economy

121

Lars Larsson Expressions of cosmology at the central place of Uppåkra, southern Sweden

145

Bertil Helgesson An old ritual landscape and a new god – some Scanian examples

159

Barbara Yorke The fate of otherworldly beings after the conversion of the Anglo-Saxons

167

Margrethe Watt ‘Christian’ gestures and fertility cult (?) reflected in the iconography of 6th century southern Scandinavia

177

6

Sten Tesch A Lost World? Religious identity and burial practices during the introduction of Christianity in the Mälaren region, Sweden

191

Gunilla Larsson The Boat as a Symbol in a Changing Society

211

Michael Neiß A Lost World? A re-evaluation of the boat grave at Årby in Turinge parish, Södermanland, Sweden

223

Anne-Sofie Gräslund Runic monuments as reflections of the conversion of Scandinavia

233

Bartosz Kontny und Magdalena Mączyńska Ein Kriegergrab aus der frühen Völkerwanderungszeit von Juszkowo in Nordpolen

241

Matthias Hardt Gentilreligion und christliche Mission bei den Sorben (10.–12. Jahrhundert)

263

Ulrich Lehmann Wurmbunte Klingen – Studies of pattern-welded swords in early medieval Westphalia using computerised x-ray tomography

269

Christina Peek Textile Botschaften? Zum Informationsgehalt textiler Artefakte und anderer organischer Materialien im frühmittelalterlichen Grabbefund

287

Annette Siegmüller und Christina Peek Geliebt oder gefürchtet? Eine besondere Bestattung des 7. Jahrhunderts aus der Wurt Hessens, Stadt Wilhelmshaven

297

Dieter Bischop Ein Gräberfeld der späten Römischen Kaiserzeit bis frühen Völkerwanderungszeit in Bremerhaven-Lehe

309

Torsten Capelle Final remarks and summary of the Sachsensymposion 2013

327

Prof. Dr. Dr. h.c. Torsten Capelle (1939–2014) Schriften zum 1. Jahrtausend n. Chr.

331

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Sterbende, überlebende und auswandernde Götter Alexandra Pesch

Wenn Religionen durch andere überlagert und verdrängt werden, geht es für die alten Götter ans Sterben. Sie verschwinden aus den Vorstellungen und dem Bewusstsein der Menschen, geraten in Vergessenheit oder werden zu Objekten historisch-religionswissenschaftlicher Forschungen. Doch manche Aspekte ihres Wesens mögen in die neue Religion integriert werden. Beispiele dafür bietet auch das Christentum: Hier konnten sich alte Göttergestalten mit den Vorstellungen bezüglich christlicher Heiliger vermischen (im Norden etwa St. Olaf, bei dem Aspekte von Thorverehrung weitergetragen wurden, Bø 1979), oder es wurden alte Götter dämonisiert, die dann fortan Angst und Schrecken verbreiteten (wie etwa Odin/Wodan mit seinem Wolfsgefolge in der Vorstellung der schrecklichen „Wilden Jagd“ am nächtlichen Himmel, dazu Berger 2007). Doch sterbende Götter gibt es auch innerhalb intakter, lebendiger Religionswelten. Dieses Phänomen mag im ersten Moment stutzig machen, war aber zu allen Zeiten und Religionen verbreitet (Frazer 1890) und findet auch, wenn man so will, mit Christus selbst einen Vertreter. So gibt es in der germanischen Mythologie nach dem Zeugnis altnordischer Textquellen ebenfalls mehrere sterbende Götter, allen voran natürlich Balder: Der strahlende, gute Sohn des höchsten Gottes Odin wird durch die Bösartigkeit und Tücke Lokis und dessen Schuss mit dem Mistelzweig getötet (Abb. 1; allgemein Neckel 1920; Schier 1976). Doch das eddische Gedicht Völuspá berichtet weiter, dass Balder nach der Ragnarök, also dem Untergang der alten Welt, aus dem Totenreich wiederkehren werde als Herrscher über die neu entstehende, paradiesische Erde. Schon die früheste Forschung hat hier Parallelen zu Jesus Christus erkannt und vermutet, dass sich darin wie auch in vielen anderen Mythen und Geschichten des Nordens Einflüsse christlicher Vorstellungen zeigen würden (vgl. Bugge 1881–1889; Frazer 1890 [Balder the Beautiful]; Olsen 1924). Aber wenn dies der Fall wäre, wann hätte sich dieser Einfluss geltend gemacht? Aufgeschrieben wurden die nordischen Mythen ja erst nach der Christianisierung, und zwar zumeist in den Klöstern und von Klerikern, vorher gab es eine solche Schriftkultur im Norden nicht. Die Tatsache aber, dass nach der Konvertierung, und zwar noch mehrere Jahrhunderte danach, im Norden Überlieferungen aus der Zeit vorher getreulich tradiert und praktisch unverändert verschriftlicht worden sind, ist verwirrend. Haben also doch die alten Götter bis ins hohe Mittelalter hinein überlebt, waren der Glaube an sie und die damit verbundenen

Vorstellungen noch lebendig? Das ist, obwohl immer wieder zu hören, bei der Ausschließlichkeit der mittelalterlichen Theologie doch ausgesprochen unwahrscheinlich. Eine andere Erklärungsmöglichkeit besteht darin, dass die schreibenden Kirchenmänner von Anfang an Parallelen zwischen den alten Überlieferungen und der christlichen Lehre sehen wollten und diese identifizierten, entsprechend formulierten und womöglich ausbauten, dass sie also gar keinen Gegensatz zwischen der älteren, paganen Religion und dem etablierten Christentum gesehen haben wollen. Doch es besteht noch eine dritte Möglichkeit, nach der die Parallelen vielleicht bereits so alt sind wie die Mythen selbst und damit weit in die Zeiten vor der Christianisierung zurückgehen. Dass die christlichen Züge alt sind, würden viele Forscher heute verneinen. Das Spannungsfeld zwischen heidnischer und christlicher Kultur ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen gewesen (siehe etwa Capelle 2005a; 2005b). Der Norden des ersten nachchristlichen Jahrtausends gilt generell als rein heidnisches Gebiet, als mehr oder weniger unberühr-

Abb. 1. Goldbrakteat IK 51,1 aus Faxe, Seeland, Dänemark, 5./6. Jahrhundert, mit der Darstellung des vom Mistelzweig tödlich getroffenen Gottes Balder (Mitte) in der Interpretation durch Karl Hauck (siehe etwa 1970, 184ff., 249 –256; 2011, 80 –113). Dm 26,8 mm (nach IK 1985 –1989).

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tes Territorium, in dem sich die uralte germanische Vorstellungswelt praktisch ungestört erhalten und weiterentwickeln konnte. Ganz ähnlich stellen es die Schriftquellen der Römer dar, später auch Gesetze und kirchliche Texte der Franken und Karolinger: Auch hier wird seit der Spätantike der Aspekt des Heidentums bei den Germanen betont und als negatives Element herausgestellt. Es wird also nicht ganz falsch sein, anzunehmen, dass es sich tatsächlich um Menschen und Völker handelte, die eine abweichende religiöse Vorstellung pflegten. Umso erstaunlicher mutet es aber an, wie sehr sich die Germanen bei der Entwicklung ihrer Bildersprache an den Bilderwelten spätantiker beziehungsweise frühmittelalterlicher Zivilisationen angelehnt haben – und umgekehrt. Wieder die Frage: Haben sie den Gegensatz gar nicht so stark empfunden wie wir heute? Um diesem Fragenkomplex zu begegnen, kann neben theologischen bzw. religionswissenschaftlichen Analysen die Bildforschung einen wichtigen Beitrag leisten1. Die Anzahl der möglichen Untersuchungsobjekte ist dabei groß: Im ersten Jahrtausend war die Bildkunst das vorherrschende Ausdrucksmittel der germanischen Völker, sie ist auf zahlreichen Gegenständen als „Gebrauchskunst“ erhalten (vgl. Haseloff 1981, I, 3; Roth 1998, 356) und Ausdruck einer speziellen germanischen Identität (Pesch 2012, 687). Um in den möglichen Beispielen nicht vollständig unterzugehen, sind hier Objekte gewählt, die 2013 in der Paderborner Ausstellung

„CREDO – Christianisierung Europas im Mittelalter“ gezeigt und im dazu erschienenen, zweibändigen Katalog abgebildet worden sind. Manche dieser Objekte gelten als heidnisch, andere als christlich. Doch wird bei vielen von ihnen auch schon in den zugehörigen Katalogtexten eine gewisse Unsicherheit gegenüber der eigentlichen Religionszugehörigkeit deutlich, also auch gegenüber der semantischen Bedeutung und dem Sinngehalt der Bilder allgemein. Paganes Christentum in Bildern? Weit über die Grenzen der Region und der Fachdisziplinen hinaus bekannt sind die norwegischen Stabkirchentüren, insbesondere diejenigen von Hylestad, Vegusdal, Lardal und Mæl, auf denen Motive aus der Sigurdsage angebracht sind (Abb. 2 und 4a; siehe auch Credo 2013, I, 268f., Credo 2013, II, 371). Dieses spezielle Pendant der Nibelungensage wird in altnordischen Texten überliefert. Die Lesung der Darstellungen ist offensichtlich, schwerlich ist eine andere inhaltliche Deutung der Bilder möglich (vgl. Blindheim 1972/73; 1973; Düwel 1986; 2005). Aber was hat diese Sage auf einer Kirchentür des hohen Mittelalters zu suchen? Es wurde erwogen, hier sei der Antitypus Christus im Kampf gegen das Böse abgebildet, und zwar erzählt in einheimischer Bildertradition (Düwel 1986, 270), die sich im Zuge der verbreiteten Verehrung des Erzen-

Abb. 2. Holzportale ehemaliger Stabkirchen des 12. Jahrhunderts aus Norwegen mit Darstellungen der Sigurdsage. a: Vegusdal, Aust Agder; b: Hylestad, Setesdal (a: nach Credo 2013, II, 371; b: nach C apelle 2005b, 74).

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Abb. 3. Flechtbandumränderte Türformen. a: Altarnische mit Frescomalerei in Mals, Südtirol, 8. Jahrhundert); b Gotländischer Bildstein Store Hammars (a: nach Rüber 1992, Abb. 32, hier Ausschnitt; b: nach Nylén und L amm 1991, 63).

gels Michael herausgebildet habe (Düwel 1986, 264ff.). Die ungefähr gleichzeitig aufgeschriebenen altnordischen Texte allerdings wissen von einer solchen Interpretation der althergebrachten Geschichte nichts. Hier werden die Sagen scheinbar unverändert rezipiert, eine Allegorisierung der Personen und Handlungen beziehungsweise eine nachträgliche „Verchristlichung“ älterer Sagen oder Mythen spielt keine Rolle. Die alten Überlieferungen werden als natürliche Vorläufer der christlichen Gestalten angesehen und als selbstverständlicher Bestandteil der nordischen Geschichte und Kultur. Bewusst wird kein Gegensatz zwischen dem älteren Paganismus und dem jüngeren Christentum geschürt. Noch beim Thema Türen bleibend: Die Form vieler alter Holztüren Skandinaviens mit dem leicht nach oben verjüngten Durchgang und dem halbrunden Türsturz findet ihre Vorläufer in karolingischen Türen und Durchgängen, die wir auch als Altarnischen, beispielsweise aus der Kirche von Mals im Vintschgau (Rüber 1992, besonders Abb. 32f.), kennen (Abb. 3a). Dort sind auch die Ränder als umlaufende Flechtbänder ausgearbeitet. Typisch sind gleichartige Flechtbandränder nicht nur an Türen, sondern auch in tür- oder arkadenförmigen Einrah-

mungen in der angelsächsischen, mozarabischen und karolingischen Buchmalerei des 8. und 9. Jahrhunderts (siehe etwa bei Mentré 2006, Taf. 56, 59, 66, 68 f., 89, 139 und Abb. 68 f.; Brown 2007, Pl. 15 u. 53; Mütherich und Gaehde 1976, Abb. 30f.; elaborierteres Beispiel in Credo 2013, I, 230). Auch als Randzier oder Flächenfüllungen auf Reliquienkästchen (siehe etwa bei Quast 2012, Taf. 24, Taf. 26–29) treten sie auf. Ganz identische Flechtbänder sind aber auch an den Rändern der gotländischen Bildsteine zu sehen (Abb. 3b), von denen solche des 8. und 9. Jahrhunderts auch wieder die Türform aufgreifen (Arrhenius 1970; Andrén 1993). Diese Parallelen in Symbolen und Formen würden weniger verwundern, wenn die Bildsteine nicht gerade als reine Zeugen der heidnischen Kultur Altskandinaviens gelten würden (vgl. Nylén und Lamm 1981, 13–16), als einer vom Christentum weitgehend unbeeindruckten Kultur mit ihren ganz eigenen Bilddarstellungen und deren Kontexten. Warum also finden sich die gleichen typischen Ornamente hier wie da? Ähnliche Überlegungen wie zu den Sigurddarstellungen auf Kirchentüren wurden zum Bildprogramm von Franks Casket angestellt, dem berühmten Runenkästchen von Auzon

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(Abb. 4b; allgemein und mit Abbildungen Beck u.a. 1973; Webster 2012). In der Ausstellung CREDO war die rechte der vier aus Walbein geschnitzten Seitentafeln zu sehen (Credo 2013, II, 266ff.) mit einer Bilddarstellung, deren Deutung in der Forschung alles andere als unumstritten ist. Die zweigeteilte Vorderseite des Kästchens ist leichter lesbar: Sie zeigt rechts die Anbetung Christi durch die heiligen drei Könige, welche hier durch die runische Inschrift „magi“ auch eindeutig charakterisiert sind. Links ist eine Schmiede erkennbar. Der Schmied hält etwas mit einer Zange über dem Amboss, rechts

Abb. 4a. Schmiedeszene auf dem Holzportal von Hylestad (siehe Abb. 2) (nach Pesch und Blankenfeldt 2012, 319).

davor steht eine weibliche Gestalt. Vor allem aufgrund einer liegenden Gestalt ohne Kopf unter den Füßen des Schmiedes und dem Amboss ist die Szene als Darstellung der Wielandsage erklärbar: jener halbmythischen Überlieferung über den Meisterschmied Wieland, seine Gefangennahme durch einen fremden König und seine große Rache, für die er den Sohn des Königs köpft, die Tochter aber mit einem Schlaftrunk ruhigstellt und schwängert (Nedoma 1988; Pesch u.a. 2006). Die Vorderseite des Kästchens zeigt also gegenübergestellt rechts ein christliches und links ein heidnisches Motiv. Über den inhaltlichen Sinn der gesamten Platte wie auch des Kästchens insgesamt gibt es heute verschiedene Meinungen, wobei sowohl christliche Interpretationen wie auch solche auf der Grundlage keltischer, germanischer und antiker Traditionen zusammenkommen können (siehe etwa die jüngeren Publikationen von Schwab 2008; Millet 2009; Oehrl 2012, 280–284). Verwirrend sind weiterhin auch die formalen Ähnlichkeiten zwischen dieser Wielanddarstellung (Abb. 4b) und einer Darstellung der Sigurdsage auf dem eben genannten Kirchenportal von Hylestad (Abb. 4a und 2b) in Norwegen, die eine ganz ähnliche Gestalt – hier als Regin gedeutet – in Seitenansicht zeigt, mit Zange, Spitzbart, kurzem Rock und eigentümlicher Beinhaltung, die jedoch durch den Zusammenhang mit den anderen Bildern sicher als Szene aus der Sigurdsage zu deuten ist (beide Abbildungen in Pesch und Blankenfeldt 2012, 318f.). Will man nicht Franks Casket als Vorlage der Stabkirche ansehen, was ja doch mehr als unwahrscheinlich ist, dann liegen den beiden Abbildungen offenbar aber dieselben Bildvorlagen zugrunde. Vielleicht kann man sich Buchillustrationen vorstellen, denn diese sind ja auch immer wieder kopiert worden und konnten so eine gewisse Verbreitung erfahren. Aber heidnische Bilder in christlichen Büchern? Oder ein christliches Buch als Vorbild einer heidnischen Darstellung? Seltsame Zustände!

Abb. 4b. Vorderseite des Kästchens von Auzon (Franks Casket), um 700, L 22,9 cm, heute im British Museum. Links die Schmiedeszene, rechts die Anbetung der Könige (magi) (Foto: aus dem Nachlass Hauck, Schleswig).

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Abb. 5a. Die Zierscheibe von Limons, Dép. Puy-de-Dômes, Frankreich, 7. Jh., Dm 7,5 cm. In der Mitte ein Christusantlitz im Kreuznimbus, am Rand sechs Eberköpfe (nach Credo 2013, II, 141).

Ebenso wie bei den Kirchenportalen mit Motiven der Sigurdsage liegen mit Franks Casket also Denkmäler aus christlicher Zeit vor, auf denen Bilder von Vorstellungen bzw. Sagen aus heidnischer Zeit angebracht worden sind. Viele glauben, es handele sich um eine Gegenüberstellung von alten, heidnischen Sitten bzw. Taten, die negativ gesehen wurden, und den neuen, christlichen Sitten und Taten, die als vorbildlich galten; aber wie gesagt, für eine solche Interpretation bieten die ausführlichen altnordischen Textquellen keine Stütze, und auch in altenglischen Texten wird Wieland vor allem als hervorragender Schmied und Meister seines Faches dargestellt, nicht als schrecklicher Rächer und Sünder. Wie auch immer, die Bilddarstellungen mischen verschiedene Kontexte, sie stellen Unterschiedliches nebeneinander und zeigen so eine gegenseitige Durchdringung von Bildern, von Vorstellungen unterschiedlichen Hintergrunds. Ein ähnliches Phänomen zeigt sich schon in der Merowingerzeit. Nicht umsonst wurde im Laufe der Forschung viel spekuliert über den Bedeutungshintergrund der Tierdarstellungen auf explizit christlichen Objekten des germanischen Kulturraums (Arrhenius 1986; Wamers 1993; 2008). Was etwa bedeuten die Eberköpfe auf der Zierscheibe von Limons (Abb. 5a; Credo 2013, II, 104f.; Wamers 2008, 40–50, 66ff.; 2013, 104f.; Abb. auch in Roth 1986b, 130), die paarweise das zentrale Christusantlitz im Kreuznimbus umgeben? Die gleichen Eberköpfe finden sich auf skandinavischen Objekten, etwa Beschlägen, und werden dort gewöhnlich als Darstellungen aus der paganen Religion gedeutet (Roth in Roth 1986b, 123–127). Im Stil identisch und in der Gesamtkomposition sind sie jedoch durchaus mit denjenigen der Christusdarstel-

Abb. 5b. Schnalle aus Åker, Hedmark, Norwegen, spätes 6. Jh., H 10,8 cm: Odin in Tierverwandlung oder Christusdarstellung mit machtverkörpernden Eberköpfen? (Foto und Herauszeichnung der Figur: Nachlass Hauck, Schleswig).

lungen vergleichbar (vgl. allgemein Pesch 2015, 360–370). Was aber bedeutet dann etwa die seltsame Mischfigur aus menschlicher Gestalt und Eberköpfen als Unterteil (Abb. 5b u. c; siehe auch Credo 2013, I, 105; Abb. auch in Roth 1986b, 125, 140) auf der südnorwegischen Fibel aus Åker? Ist es eine Christusdarstellung, bei der die Eber die Stärke des Heilands betonen (vgl. Beck 1965, 72)? Oder ist sie als heidnischer Gott

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Abb. 6a. Beschlag eines Vortragekreuzes aus Tully Lough, Grafschaft Roscommon, Irland, frühes 9. Jh. (nach Credo 2013, II, 250).

Abb. 6b. Pressblechmodel von unbekanntem Fundort, UK, 7. Jh., Dm 5,45 cm (nach Credo 2013, II, 190).

zu verstehen, etwa Odin, der im Zuge einer Gestaltwandlung dargestellt ist? Immerhin gab es Darstellungen von Schweinen auch schon früher in der germanischen Welt, so z.B. auf den Goldbrakteaten, die ja als wichtige Zeugnisse der Religion um Odin gelten (siehe etwa IK 120, 1 u. 2, IK 122, IK 279 oder IK

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355). Sind also in die Christusdarstellungen des Südens ältere germanische, heidnische Vorstellungen integriert worden? Oder sind viele der älteren Bilddarstellungen des Nordens doch schon unter christlichem Einfluss entstanden? Im CREDO-Katalog (Credo 2013, II, 190) wird ein Bronzemodel des 7. Jahrhunderts abgebildet, der als zentrale Darstellung eine menschliche Gestalt zeigt, die eine große Schlange in beiden Händen hält (Abb. 6b). Beinahe Identisches zeigt ein Pressblechbeschlag auf einem Eimer aus Lovenden Hill (Abb. 7a), und ebenfalls noch sehr ähnlich ist die Darstellung zweier goldener Anhänger aus Risely (Abb. 7b). Zusammengesehen wurden diese drei Objekte bereits von Karl Hauck 1970 (277ff., 282, mit Abb. 61, 63 u. 64), der sie als Darstellungen Odins verstand. Doch weist im CREDOKatalogbeitrag (Credo 2013, II, 138f.) zum Model Charlotte Behr darauf hin (Credo 2013, II, 138f.), dass einer der beiden Anhänger Teil einer Halskette gewesen sei, an der außerdem zwei kreuzförmige Goldanhänger getragen worden sind, womit eine Deutung des Motivs auch im christlichen Zusammenhang möglich wäre. So ließe sich der Model beispielsweise mit jener Darstellung zusammenbringen, die als Applikation auf einem großen, prachtvollen Vortragekreuz aus Irland befestigt ist und von daher ganz sicher christliche Bedeutung hatte; eine Darstellung, die aus heutiger Sicht und mit heutigen Vorstellungen bezüglich des Christentums und seiner Bilder fremd anmutet. So wurde auch bisher der Ursprung dieses Motivs eher in heidnischen Vorstellungen vermutet, von denen man Abbildungen auch bei völkerwanderungszeitlichen Goldbrakteaten oder Bildsteinen wiederzufinden glaubte (Abb. 7c). Diese wiederum lassen sich als Parallele zur bzw. als Echo der antiken Ikonographie des Heilers Äskulap verstehen (vgl. Bernhard 1925, Taf. III:66, IV:77 und IV:73; dazu genauer Pesch, Kap. VI [Wurme], in Pesch 2015, 403–427; allgemein zu Odin als Heilgott siehe Hauck 1970, 174–183; 1980; 2011, 104f.; Heizmann 2012, 712–719). Die CREDO-Ausstellung zeigte mehrere Brakteaten, darunter auch ein Stück aus dem englischen Binham (Abb. 8a; Credo 2013, II, 191; IK 604). Es hat im zentralen Bildfeld eine menschliche Gestalt, die mit dem Schwert gegen zwei Tiere zu kämpfen scheint. Nah verwandte Brakteaten stammen aus Nord- und Ostdeutschland (Pesch 2007, 120–124). Die vordere Hand der Gestalt wird offenbar vom bezahnten Maul eines wolfsartigen Tieres angebissen. Bei der Frage, wen diese Zeugnisse der heidnischen Religion abbilden, wurden sowohl der Gott Tyr vorgeschlagen, als auch Odin, denn beide sind nach den altnordischen Texten als Wolfskämpfer bekannt. Formal ähnlich erscheint auch eine andere Brakteatenbildkonzeption: Der Fund aus Skrydstrup in Süddänemark (Abb.8b) mutet weniger martialisch an, obwohl auch hier die eine Hand der Gestalt vom Maul eines Raubtieres angebissen zu werden scheint. Das Schwert aber fehlt, und das zweite, hier vordere Tier ist kaum ein Angreifer, sondern vielleicht eher ein die Gestalt unterstützendes Tier mit positiven Eigenschaften. Auch dieser Brakteat wird zumeist als Darstellung

Abb. 7a. Eimerpressblech aus Loveden Hill, UK, 7. Jh. (nach Hauck 1970). Abb. 8a. Goldbrakteat IK 604 aus Binham, Norfolk, UK, Dm 4,4 cm (nach IK 1985–1989).

Abb. 7b. Hängeschmuck aus Risely, UK, 6./7. Jh. (nach Hauck 1970). Abb. 8b. Goldbrakteat IK 166 aus Skrydstrup, Südjütland, Dänemark, Dm 2,3 cm (inneres Bildfeld), gesamt ehem. ca. 5,3 cm (nach IK 1985–1989).

Odins gedeutet, der in der Epiphaniehaltung (allgemein Gladigow 1990; Hauck 2011, 124), einem uralten Götterbildtopos

Abb. 7c. Goldbrakteat IK 308 aus Nebenstedt, Niedersachsen, 5./6. Jh., Dm 2,45 cm (nach IK 1985–1989).

mit erhobenen und geöffneten Händen, seine Souveränität erweist (ausführlicher dazu Pesch [Kap. VI], in Pesch 2015, 432–435) und einerseits Böses abwehrt, anderseits Gutes, etwa Heil- und Regenerationskraft, mit sich bringt (Heizmann 2007, 37ff.). Auch das lange Horn von Gallehus zeigt diesen Gestus bei bisher ungedeuteten Gestalten im oberen Randfries (Abb. 9; siehe allgemein Axboe u.a. 1997). Werden einer solchen Abbildung aber christliche Zeugnisse gegenübergestellt, dann verblüfft die Ähnlichkeit wieder: Der Typus von Heiligen in der Epiphaniehaltung findet sich beispielsweise im Apsismosaik einer Kirche in Ravenna und stellt San Apollenaris, den Gründungsbischof Ravennas, zwischen Tieren dar (Abb. 10a). Damit nicht genug, auch für Christusdarstellungen wurde die Haltung mit erhobenen Händen verwendet:

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Abb. 9. Langes Horn von Gallehus, Südjütland, Dänemark. Figuren der obersten Sequenz in der Zeichnung von Ole Worm (nach Moltke und Jacobsen 1941– 1942; herausgezeichnet von P. Haefs).

Abb. 10a. Detail des Apsismosaiks in San Apollenaris, Classe bei Ravenna, mit dem Heiligen in Epiphaniehaltung (nach Volbach und L afontaineDosogne 1984).

Abb. 10b. Tonplatte mit Christusdarstellung aus einem Grab in Rochepinard, Dép. Indre et Loire, 42 x 27 cm (nach Salin 1950–1959 [1959]).

Aus dem 7. oder 8. Jahrhundert ist eine solche Abbildung auf einer Tonplatte aus einem Grabzusammenhang in Rochepinard, Dép. Indre et Loire, Frankreich, erkennbar (Abb. 10b; Lantier 1954, 303, Fig. 112); das große Kreuz über der Figur erinnert ebenfalls an den Ravennatypus. Ein solches Kreuz über dem Kopf charakterisiert noch im 12. Jahrhundert die Gestalt auf dem sogenannten „Gerovitstein“ aus Wolgast als Christus (Credo 2013, II, 632; Abb. 12a). Hier wird er in für uns ungewohnter Weise mit Speer abgebildet. Dies kennen wir aber auch schon aus der Merowingerzeit, etwa von der

bekannten Grabstele aus Niederdollendorf (Abb. 12b), wo Christus im Strahlenkranz ebenfalls einen Speer in seiner rechten Hand trägt (Böhner 1944–50, Taf. 13d), oder auch von einer Grabplatte aus Grésin, Puy-de-Dôme, in Frankreich (Abb. 12c; Lantier 1954, Taf. 21). Sehr kriegerisch erscheint Christus auch auf der Gürtelschnalle aus Ladoix-Serrigny, Dép. Côte-d-´Or, Frankreich (Abb. 13a), wo er nicht nur durch die Kreuze, Chi-Rho-Zeichen und das Alpha und Omega charakterisiert ist, sondern auch durch die „Numen“-Inschrift (Werner 1977, 332–335; Quast 2002, 257f.; allgemein auch

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Abb. 12a. „Gerovitstein“ aus Wolgast, 12. Jh., H ca. 86 cm (nach Credo 2013, II, 632).

Abb. 11. Seiten dreier Reliquienkästchen mit Christusdarstellungen und religiösen Symbolen, aus Saint-Bonnet-d’Avalouze (oben), Saint-Bonnetsur-Loire (Mitte) und Ennabeuren (unten, siehe Giebel und Reitermedaillon) (nach Quast 2012).

Abb. 12b. Grabstele von Niederdollendorf mit Christus als Speerträger (nach Böhner 1944–1950).

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Abb. 13a. Gürtelschnalle aus Ladoix-Serrigny, Dép. Côte-d-´Or, Frankreich, mit Darstellung von Christus als Reiter, identifiziert durch die Beizeichen und die Inschrift (nach Quast 2012).

Abb. 12c. Grabtafel des 7./8. Jhs. aus Grésin, Puy-de-Dôme, Frankreich, mit Christusdarstellung (nach L antier 1954).

Kühn 1970/73). Eine entsprechende Inschrift fehlt leider auf dem norwegischen Brakteaten IK 65 Gudbrandsdalen (Abb. 13b), aber aufgrund der allgemeinen Brakteatendeutung und der angenommenen Vorstellungskontexte ihrer Zeit wird hier wieder von einer Odindarstellung ausgegangen (vgl. Quast 2002, 257f.). Wie auch immer: Ganz offensichtlich pflegte das Christentum des Frühmittelalters bei den germanischen Völkern andere Vorstellungen als wir heute, und es drückte diese in andersartigen Bilddarstellungen aus. Die verwirrenden Parallelen erstrecken sich innerhalb der Bildersprachen nicht nur auf figürliche und szenische Bildmotive, sondern sogar auf verwendete Zeichen und Symbole. Der bekannte Vierpassknoten oder „Museumskringel“ etwa, ein Endlosband mit vier Schlaufen, ist von skandinavischen Objekten gut bekannt. Er findet sich beispielsweise im 5./6. Jahrhundert als Zentralbild auf einem gotländischen Bildstein (Havor II Hablingbo siehe Nylén und Lamm 1981, 38f.) wie auch einem Goldbrakteaten (IK 297 Lyngby, Abb. 14a), kommt aber auch als zentrales Motiv auf Anhängern oder Pressblechfibeln in merowingerzeitlichen Zusammenhängen vor (siehe bei Klein-Pfeuffer 1993, 117ff.). Ganz verbreitet ist er jedoch auch in der frühen christlichen Kunst, dort als „Ösenkreuz“ oder „St. Johannis Wappen“ bezeichnet, beispielsweise an Sarkophagen, Altarschranken und anderen Steinobjekten (siehe etwa Credo 2013, II, 472 Nr. 410; 614 Nr. 562), Reliquienkästchen (Abb. 11 Mitte oben; siehe auch bei Quast 2012, Taf. 18), Großsteinkreuzen (z. B. Kirk Andreas, siehe bei de Vries 1956/57, Taf. XXI) oder als Dekoration in Kirchenbauten (insbesondere im langobardischen Raum), etwa an Taufbecken

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Abb. 13b. Goldbrakteat IK 65 Gudbrandsdalen-C, Norwegen, Dm 2,73 cm (nach IK 1985–1989).

und Säulenkapitellen (siehe etwa bei von Blankenburg 1975, Taf. 79, 95). Noch typischer in der frühchristlichen Bau- und Buchkunst ist das Endlosband mit drei Schlaufen, die Triquetra (Trætteberg u.a. 1982), auch Dreipassknoten genannt. Das zumeist als Symbol der Dreieinigkeit gedeutete Zeichen erscheint bei explizit christlichen Monumenten wie in illuminierten angelsächsischen und fränkischen Handschriften (insbesondere bei Initialen, siehe etwa beim Stuttgarter Bilderpsalter), auf Bischofsstäben (siehe etwa in Credo 2013, II, 228 Nr. 189 [in den dreieckigen Zwickeln]), Messkelchen (vgl. in Credo 2013, II, 539 Nr. 466 [auf Cuppa und Fuß]), Reliquienkästchen (Abb. 11 Mitte oben; Credo 2013, II, 308 Nr. 250 [in den Kreuzarmen auf dem First]; siehe auch Quast 2012, Taf. 4,3, Taf. 18, Taf. 21), Bauschmuck (siehe etwa bei von Blankenburg 1975, Taf. 79, vgl. auch Taf. 95), anderen religiös-liturgischen Objekten (siehe Credo 2013, II, 279 Nr. 234 [zwischen den oberen Tierköpfen]) wie auch Großsteinkreuzen (z. B. Kreuzarmzwickel am Gosforth Cross, GB, 1. Hälfte 10. Jh.) oder auch über der „magi-Szene“/der Darstellung der Geburt Christi auf dem oben genannten Kästchen von Auzon (Abb. 4b, links oben über dem hinteren der drei Gabenbringer) und dem wikingerzeitlichen Jellingstein (Credo 2013, I, 267; Abb. auch in Roth 1986b, 195). Doch kommt dieses Zeichen ebenso schon

Abb. 14a. Doppelbrakteat IK 297 Lyngby, Jütland, Dänemark, Revers, Dm 2,9 cm (nach IK 1985–1989).

Abb. 14b. Hand- und stabkreuzähnliche Zeichen auf dem Brakteat IK 389 Welschingen, Baden-Württemberg, Dm 1,96 cm (nach IK 1985–1989).

auf völkerwanderungszeitlichen Relieffibeln (siehe etwa bei Sjøvold 1993, Pl. 12 N76), gotländischen Bildsteinen (Nylén und Lamm 1981, 64–67) bis hin zu Schmuck (vgl. Klein-Pfeuffer 1993, 129–134) der Merowinger- und Wikingerzeit vor. Dass es sich bei solchen Symbolen nicht nur um dekorative Elemente handelt, sondern um echte Sinnbilder, die also einen bestimmten immanenten Aussagewert tragen, ist wohl nie bestritten worden; wie aber genau dieser jeweils lautet und ob er durch die Zeiten und Kulturen hindurch immer derselbe war, ist natürlich ohne weitere Untersuchungen nicht zu klären. Zu den wandernden Symbolen gehören auch die häufig erscheinenden Wirbelmotive. Von jeher gelten sie als Sonnensymbole, werden gerne mit den höchsten Göttern assoziiert und mit der Hoffnung auf ein glückliches Leben nach dem Tode verbunden (Lindqvist 1941/42, I, 91ff.; Ellis Davidson 1988, 168ff.; Nylén und Lamm 1981, 20f.; Oehrl 2007, 373f.). Sie sind etwa von frühchristlichen Grabsteinen und den ihnen möglicherweise nachempfundenen frühen Bildsteinen Gotlands bekannt (Lindqvist 1941/42, I, 91–94), aber auch von Kerbschnittbronzen (siehe bei Haseloff 1981, 137ff.) und anderen Objekten. Auch hier ist wieder dasselbe Symbol in unterschiedlichen religiösen und kulturellen Kontexten zu finden. Bei allen diesen Symbolen haben sich die verschiedenen Kontexte offenbar gegenseitig befruchtet und durchdrungen. Schließlich tauchen bei den Germanen sogar Kreuzzeichen auf. Schon Brakteaten des 5. und 6. Jahrhunderts zeigen solche Symbole (am besten erkennbar bei den sogenannten Frauenbrakteaten, siehe Pesch 2007, 125–128), offenbar übernommen von römischen Münzbildern, auf denen Angehörige der kaiserlichen Familie, Allegorien oder auch Engel und andere christliche Gestalten Hand- oder Stabkreuze als Zeichen ihrer von Gott verliehenen Macht tragen. Was die Germanen nun in diesen Kreuzen lasen, ob sie sie als religiöse Symbole verstanden oder als reine Machtzeichen der Herrschenden, lässt sich kaum sagen; übernommen aber haben sie sie.

Religiöse Diffusion und Synthese Diese Beispiele mögen genügen um zu zeigen, dass es auffällige Parallelen in den Bildersprachen der germanischen Gruppen und ihrer Nachbarn gibt und dass es einen intensiven und permanenten Austausch zwischen den Bildschaffenden beider Seiten gegeben zu haben scheint. Immer wieder lassen sich Durchdringung und Vermischung von Motiven und Symbolen erkennen. Genau dieses Phänomen macht heute die exakte Deutung einer Bilddarstellung in vielen Fällen schwierig und führt nicht selten zu den wohlbekannten kontroversen Diskussionen. Was bedeutet das nun? Sind vielleicht die Ähnlichkeiten der beiden Kulturkreise viel größer als gedacht? Hat es doch eine frühe Christianisierungswelle im Norden gegeben? Ein Gedankenspiel: Theoretisch kämen als Auslöser einer solchen Christianisierungswelle etwa Goten in Frage. Nach deren arianischer Christianisierung im Laufe des 4. Jahrhunderts wurden sie im Zuge des Hunneneinfalls aus ihren Gebieten vertrieben. Vielleicht suchten ja einige dann bei ihren alten Verwandten im Norden nach neuen Lebensräumen. Mit einem solchen Einfluss aus den gotischen Regionen ließen sich auch der Wissenstransfer im Goldhandwerk und viele Parallelerscheinungen der Ikonografie erklären. Doch dieses Modell hat eine entscheidende Schwierigkeit: Es würde auch bedeuten, die gesamte römisch-fränkisch-karolingische Geschichtsschreibung als unwahr zu bezeichnen: Indem die Germanen darin durchgängig als Heiden geschildert werden, würde sich eine gewaltige Maschinerie der Propaganda offenbaren, natürlich mit dem Ziel, die Gegnerschaft der Römer wie auch später der Missionare und christlichen Staaten zu begründen und Eroberungen zu legalisieren. Eine solch umfassende und ausnahmslose Pseudo-Paganien-Polemik wäre aber in der Geschichte beispiellos. Erschwerend kommt hinzu, dass auch die Germanen selbst im Laufe der Zeit vergessen

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haben müssen, dass zumindest einige von ihnen im 5. Jahrhundert bereits schon einmal christlich gewesen wären und mit ihren Ideen und Bildern die weitere Entwicklung entscheidend geprägt hätten. All dies erscheint wenig glaubwürdig. Zweifellos hat es im Norden Einflüsse aus der christlichen Kultur gegeben. Aber was von diesem Christentum sahen die Germanen? Was bedeutete Christentum überhaupt in der Frühzeit? Sowohl in seinen Texten wie in Bildern unterschied sich dieses Christentum erheblich von unseren heutigen Vorstellungen (allgemein Angenendt 1990; von Padberg 1998). Das Tier etwa spielte in der frühen Ikonografie eine bedeutende Rolle, die ganze Lebensbaum-Flora und -Fauna mit der Idee des Tierfriedens prägte zahllose Objekte bis hinein in die Karolingerzeit und die Romanik (vgl. Buchheit 1986; Eggenberger 1991, 92f.; zur Bilderwelt allgemein siehe auch Roth 1986a; Elbern 1998; 2003; Wamers 2013). Insofern zeigen also die christliche Ikonografie und die germanische Bilderwelt mit ihren „Tierstilen“ grundlegende Parallelen. Außerdem muss immer zwischen den verschiedenen Ebenen einer Religion unterschieden werden: Von Bedeutung sind ja nicht nur Aspekte des persönlichen Glaubens, sondern auch Aspekte von Religion im Sinne von Handlungsanweisungen, von Regeln, von bestimmten privaten oder vor allem auch öffentlichen Ritualen (vgl. allgemein Hultgård 2003). Ganz entscheidend aber ist die allgemeine kulturelle Ausprägung der sich als christlich bezeichnenden Kultur, also die Lebensweise der Menschen, ihre technologischen Fähigkeiten und ihre Sachkultur. All dies kann immer eine starke Wirkung auf Nachbarn ausüben, ohne dass direkte religiöse Aspekte beim Transfer im Vordergrund stehen. Für uns heute heißt das: Die Kategorien „heidnisch“ und „christlich“, die wir als so vordergründig wichtig erachten, mögen hinderlich sein beim Verstehen von Phänomenen des kulturellen Austausches im ersten Jahrtausend. Ein letztes Mal zurück zu den sterbenden Göttern: Zwar ist es relativ unwahrscheinlich, dass der arianische Christus im 5. Jahrhundert mit den Goten nach Skandinavien ausgewandert ist. Aber dennoch haben die alten germanischen Götter nicht völlig unbeeinflusst den zahllosen religiösen wie allgemein kulturellen Einflüssen des Christentums widerstanden. Auf der anderen Seite ist auch Christus bei seiner Ankunft bei den Germanen nicht unbeeindruckt geblieben. Im Laufe der Jahrhunderte von religiösen und kulturellen Kontakten und Durchdringungen haben sich die Werte des Christentums und mit ihnen die Christusvorstellung stetig verändert. Es stimmt, dass dabei gleichzeitig die alten Götter nach und nach zurückgedrängt wurden. Ganz verstorben sind sie aber auch nicht, denn viele der mit ihnen verbundenen Vorstellungen überlebten in neuer Form: Manch ein Heiliger der Kirche trägt noch Züge, die einst alten Göttern zu eigen waren. Auf jeden Fall aber hat die Verschriftlichung heidnischer Überlieferungen im hohen Mittelalter durch Christen die alte Götterwelt vor dem Vergessen gerettet, sprich: vor dem völligen Aussterben bewahrt.

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1 Die Bildforschung hat es allerdings nicht leicht, denn es ist kaum möglich, die entsprechenden Bilder in der nötigen Fülle abzudrucken, geschweige denn eine kostenfreie Druckerlaubnis für viele der bekannteren Denkmäler zu erhalten. Zur Zeit großer Verfügbarkeit aller möglicher Bildvorlagen herrscht ja eine wachsende Unsicherheit darüber, inwieweit es gestattet ist, diese im Rahmen wissenschaftlicher Arbeiten – natürlich mitsamt den Urheberangaben – nachzudrucken. Leider wird wissenschaftliches Interesse oftmals vermeidlichen kommerziellen Forderungen untergeordnet, oftmals muss eine Abbildung nach einer sehr alten oder wenig relevanten Literatur zitiert werden. So kann auch in diesem Beitrag bei weitem nicht das entsprechende Bildmaterial gezeigt werden, die Beispiele wurden auf zugängliche Abbildungen beschränkt. Daher sei hier für die Möglichkeit, einige Abbildungen aus dem CREDO-Katalog nachzudrucken, besonders herzlich gedankt. Dank auch an Elisabeth Rüber-Schütte für die Nachdruckerlaubnis von Abb. 3a.

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Alexandra Pesch Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie Schloss Gottorf DE 24837 Schleswig [email protected]

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