Spurensuche: Warum es die deutsche Quality-TV-Serie so schwer hat
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ie unter anderem als „letztes großes Innovationsformat“ 1 gepriesene Quality-TV-Serie ist im deutschen Free-TV inzwischen immerhin als ‚Import‘ vorhanden. Lange Zeit liefen die als ‚QualityTV‘ etikettierten Serien aus dem Ausland nicht im deutschen Fernsehen oder sie wurden aufgrund geringer Einschaltquoten nach Kurzem wieder abgesetzt. Bezeichnend dafür ist, dass beispielsweise The Sopranos, Wegbereiter und erste sehr erfolgreiche Serie der häufig auch als „third golden age of television“ bezeichneten Produktionswelle von Serien,2 zunächst beim ZDF ausgestrahlt, dort aber abgesetzt wurde und dann einige Jahre später zu Kabel 1 wechselte, wo ihr bald dasselbe Schicksal widerfuhr — bis heute wurde die Serie nicht vollständig im deutschen Free-TV gesendet.3 Der kürzlich verstorbene Hauptdarsteller James Gandolfini wurde vielfach auch in den deutschen Zeitungen und Zeitschriften — von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über den Spiegel bis zur epd-film4 — mit erstaunlich langen Nachrufen bedacht, wenn man bedenkt, dass es sich um einen vornehmlich über das US-amerikanische Fernsehen be-
rühmt gewordenen Darsteller einer Serie handelt, die nur teilweise und zudem zuletzt vor sechs Jahren im deutschen Fernsehen lief. In allen Nachrufen wurde Gandolfini vor allem für seine Verkörperung des Tony Soprano gepriesen. Die deutschen Journalisten wie Zuschauer können Gandolfinis Darstellung des Mafia-Bosses vornehmlich nur über DVD oder andere Rezeptionsformen kennen, was erneut beweist, dass lange Zeit Quality-TV in Deutschland zwar rezipiert wurde, aber dies hauptsächlich nicht über das Fernsehen geschehen sein kann. Ungefähr seit 2012 hat sich der schwere Stand der ausländischen Quality-TV-Serien im deutschen Free-TV allmählich verbessert: Arte, schon seit 2010 mit Tudors und Breaking Bad eine Art Vorreiter, zeigte mit The No. 1 Ladies’ Detective Agency, Real Humans, East West 101, Borgen und Hatufim verstärkt Quality-TV; seit 2009 ist der Sparten- und Digitalkanalsender ZDFneo eine Alternative für das jüngere, ‚qualitätsbewusste‘ Publikum und strahlt seit 2012 vermehrt Quality-TVSerien aus wie The Big C, Mad Men, 30 Rock, Six Feet Under (zusätzlich zu den Wiederholungen von Qualitätsserien, die im ZDF lau-
Kelleter, Frank: „Serien als Stresstest“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (04.02.2012), S. 31. Siehe zum Beispiel: Schabacher, Gabriele: „Serienzeit. Zur Ökonomie und Ästhetik der Zeitlichkeit neuerer US-amerikanischer TVSerien.“ In: Previously on… Zur Ästhetik der Zeitlichkeit neuerer TV-Serien. Hrsg. von Arno Meteling. München 2010, S. 20. 3 Die Schelte, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Bezug auf Quality-TV häufig bezieht, muss bereits im Bereich ‚Früherkennung‘ abgemildert werden. Das ZDF sendete ab dem 12. März 2000, nur ein Jahr nach dem Start in den USA, die wegweisende Serie The Sopranos. Nur waren und blieben die Einschaltquoten sehr schlecht und führten dazu, dass nach Staffel 3 die Sopranos abgesetzt wurden. 4 Siehe: Seidl, Claudius: „Die Narben auf der Seele des Paten“. Frankfurter Allgemeine Zeitung (20.06.2013). [vom 05.08.213], Stöcker, Christina: „Zum Tode James Gandolfinis: Er spielte das Monster, das man lieben musste“. [vom 05.08.2013], Glavinic, Thomas: „Thomas Glavinic über Tony Soprano: Ein Killer wie du und ich“. [vom 05.08.2013]. Busche, Andreas: „No more Mr. Nice Guy“. In: epd Film, 08/2013, S. 13. 1 2
Journal of Serial Narration on Television, Number 2, Summer 2013
fen wie GSI, Luther etc.). Und die Privaten hatten relativen Erfolg mit der Ausstrahlung von Game of Thrones, Walking Dead (beide auf RTL 2) und Homeland (Sat 1). Unverändert ist, dass es sehr wenige deutsche Quality-TV-Produktionen gibt, die zudem auch noch alle (bis auf Weissensee) schlechte Einschaltquoten hatten. In den Feuilletons und im Internet wird seit einiger Zeit über die Gründe für die geringe Anzahl und den relativen Misserfolg spekuliert; besonders die öffentlich-rechtlichen Sender werden abgestraft, weil sie nach der Meinung einiger Journalisten und Blogger durch die erhobenen Rundfunkgebühren den Anspruch und den nötigen finanziellen Freiund Experimentierraum für die Produktion von Quality-TV-Serien haben müssten.5 Gleichzeitig wird aber auch immer wieder auf die vom Ausland sehr verschiedenen Distributions- und Produktionsbedingungen in Deutschland hingewiesen, die die Herstellung heimischer Quality-TV-Serien erheblich erschweren.6 Aus wissenschaftlicher Perspektive begibt man sich bei einer Beschäftigung mit dem deutschen Quality-TV auf Neuland, denn bisher ist kein Sekundärwerk über deutsche Qualitätsserien erschienen. Auch bei der Forschungsliteratur bleibt Deutschland somit „Tatort-Land“,7 was insofern verwundert, als dass in letzter Zeit eine ganze Reihe von deutschsprachigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema „Quality-TV“ er-
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schienen ist; in keinem der Sammelbände findet sich aber ein Aufsatz zur deutschen Quality-TV-Serie.8 Der folgende Aufsatz kann sich daher auf keine wissenschaftliche Literatur speziell zum deutschen Quality-TV beziehen, sondern er geht einigen bereits im Feuilleton und im Internet genannten Hinweisen nach und formuliert daran anknüpfende Überlegungen, warum es deutsche Quality-TVSerien ‚so schwer haben‘. Um diese Gedanken mit konkreten Beispielen zu verknüpfen, beschäftigt sich der Aufsatz mit den wenigen deutschen Quality-TVSerien, allerdings mit einer Konzentration auf der Serie KDD, weil sie bisher die einzige deutsche Quality-TV-Serie ist, von der immerhin drei Staffeln produziert wurden.9 1. Der Begriff ‚Quality-TV’ in Bezug auf deutsche Serien Von deutschen Fernsehsendern wurden auch Serien produziert, die man ohne Einschränkungen als Quality-TV-Serien bezeichnen kann. KDD, Im Angesicht des Verbrechens und Weissensee sind die drei Serien, die sich am besten unter dem Begriff ‚Quality TV‘ subsumieren lassen.10 Alle drei Serien wurden vielfach ausgezeichnet, erzielten aber mit Ausnahme von Weissensee relativ geringe Einschaltquoten. Die genannten Serien könnte man allein aufgrund ihrer vielen Preise im weitesten Sinne als Quality-TV bezeichnen.11 Allerdings ge-
5 Zum Beispiel: Peitz, Dirk: „Bei ARD und ZDF sitzen Sie in der letzten Reihe“. Hamburger Abendblatt. (28.05.2013) [vom 04.08.2013]. Auch dem Spiegel war dieses Thema ein längerer Artikel wert: Dietz, Georg; Hüetlin, Thomas: „Im Zauderland“. Spiegel (05/2013), [vom 04.08.2013]. 6 Siehe zum Beispiel den Vergleich zwischen US-amerikanischen, dänischen und deutschen Serien von Drehbuchautor Thilo Röscheisen: „Breaking Bad, die Dänen und wir“. [vom 04.08.2013]. 7 Seeßlen, Georg: „Deutschland einig Tatort-Land“. [vom 04.08.2013]. 8 Siehe: Seiler, Sascha (Hrsg): Was bisher geschah. Serielles Erzählen im zeitgenössischen amerikanischen Fernsehen. Köln 2008. Meteling, Arno (Hrsg): Previously on… Zur Ästhetik der Zeitlichkeit neuerer TV-Serien. München 2010. Blanchet, Robert (Hrsg): Serielle Formen: Von den frühen Film-Serials zu aktuellen Quality-TV- und Onlineserien. Marburg 2010. Dreher, Christoph u. Kim Akass (Hrsg): Autorenserien. Die Neuerfindung des Fernsehens. Stuttgart 2010. Kelleter, Frank (Hrsg): Populäre Serialität: Narration - Evolution - Distinktion. Zum seriellen Erzählen seit dem 19. Jahrhundert. Bielefeld 2012. 9 „[A]ls neueres originäres wie innovatives Format fällt einem nur die – nach drei Staffeln bereits wieder eingestellte – ZDFProduktion KDD ein.“ Dreher, Christoph: „Autorenserien – Die Neuerfindung des Fernsehens“. In: Autorenserien. Die Neuerfindung des Fernsehens. Hrsg. von Christoph Dreher u. Kim Akass. Stuttgart 2010, S. 39. 10 Zu den deutschen Quality-TV-Serien könnte man außerdem die in diesem Kontext selten genannten Serien Abschnitt 40 und Das Kanzleramt nennen, sowie die sehr erfolgreiche Comedy-Serie Berlin Berlin (erste deutsche Serie, die 2004 den internationalen Emmy in der Kategorie „Comedy/Sitcom“ gewann) und die mit durchschnittlich zwei Millionen Zuschauern wesentlich weniger erfolgreiche Serie Türkisch für Anfänger. 11 Punkt 12 der von Robert Thompson eingeführten Kriterien für Quality-TV lautet: „12. Series which exhibit the eleven characteristics listed above are usually enthusiastically showered with awards and critical acclaim.“ Thompson, Robert J.: Television’s Second Golden Age. From Hill Street blues to ER. Syracuse, N.Y 1997, S. 15.
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hört bereits die Tatsache, dass die deutschen Preise bei den deutschen Quality-TV-Serien nie zu höheren Einschaltquoten geführt haben, zu den nationalen Unterschieden in der Fernsehkultur. Auch einige US-amerikanische Quality-TVProgramme hatten anfangs Schwierigkeiten ihr Publikum zu finden; eine oder mehrere gewonnene Emmy-Awards, die die Serie somit als ‚Qualität auszeichnen‘, haben aber bisher immer dazu geführt, dass die entsprechende Serie anschließend wesentlich mehr Zuschauer erhielt. Die häufig als erste Quality-TV-Serie bezeichnete Cop-Serie Hill Street Blues schaffte es vor allem aufgrund der zahlreichen mit Emmy-Awards ausgezeichneten Staffeln auf letztendlich sechs Serien-Verlängerungen: „Hill Street Blues reached the top twenty-five only after it won a record-breaking batch of Emmy Awards […].“12 Warum lassen sich die meisten deutschen Serien und Filme nicht als Quality-TV bezeichnen? Ist der Tatort oder Unsere Mütter, unsere Väter nicht qualitätsvoll? ‚Quality-TV‘ ist ein Begriff, der ab den 1970er Jahren vorwiegend in den US-amerikanischen und britischen Feuilletons auftauchte, um anspruchsvollere Serien wie Hill Street Blues zu beschreiben, vor allem aber diese Art Serien vom Rest der Fernsehprogramme abzusetzen.13 Es handelt sich bei ‚Quality-TV‘ also nicht um einen von der Wissenschaft geprägten Begriff — dort wurde er erst 1996 in Robert J. Thompsons Standardwerk Television’s Second Golden Age eingeführt. Thompsons 12 Punkte, was Quality-TV-
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Serien auszeichnet — eine Art nachträgliche wissenschaftliche Beschreibung und Definition des Begriffs — macht deutlich, was deutschen Fernsehserien fehlt, damit sie als Quality-TV bezeichnet werden könnten. Eines der wichtigsten Kriterien ist: „Quality TV has a memory. […] Characters develop and change as the series goes on.“14 Quality-TV-Serien zeichnet ein zumindest in Teilen fortgesetztes, häufig auch als „horizontal“ bezeichnetes Erzählen aus.15 Deutsche Serien sind meistens Status Quo-Serien (Episodenserien) und keine Progressive Serien (Fortsetzungsserien).16 Das heißt, dass in deutschen Serien (außer in Seifenopern und Telenovelas) nicht fortgesetzt erzählt wird, sondern die Serienfolgen können praktisch in beinahe willkürlicher Reihenfolge ausgestrahlt werden und verlangen vom Rezipienten keinerlei Vorwissen über Figuren, Handlungsstränge oder Inhalte der Serie. Obwohl der Begriff ‚Quality-TV‘ inzwischen vollkommen etabliert ist, zeichnet er sich durch eine wissenschaftliche Unschärfe aus und bezieht sich nur auf Fernsehserien. Bereits Thompson hält fest: „Yet even today, no one can say exactly what ‚quality television‘means. […] Though it may have originally been used to describe unusually good shows, the ‚quality TV‘ has come to refer more to a generic style than to an aesthetic judgment.“17 Auch wenn wir in Deutschland beinahe keine Quality-TV-Programme haben, bedeutet das nicht unbedingt, dass das deutsche Fernsehen ‚schlechteres, nicht qualitatives Fernsehen‘ ist, wie es in einigen der Zeitungsarti-
Thompson, Robert J.: Television’s Second Golden Age. From Hill Street blues to ER. Syracuse, N.Y 1997, S. 14. „Quality TV is best defined by what it is not. It is not ‚regular‘ TV.“ Ebd., S. 13. 14 Ebd., S. 13. 15 Der überwiegenden Mehrheit der deutschen Serien fehlt es an einer ganzen Reihe von Thompsons Kriterien für eine Etikettierung als Quality TV. Die wesentlichsten Abweichungs-Punkte sind: Das Brechen von Regeln (1), „Quality-pedigree“ (2), eine jüngere, gebildete Zuschauerschaft (3) und die Vermischung von Genres (7). 16 Ich benutze hier die im Journal of Serial Narration on Television gebräuchlichen Begriffe der „Status Quo“-Series, „Progessive“Series und „Progressive Complete“-Series. Für eine Erklärung der Begriffe siehe: [vom 08.08.2013]. Der Begriff „Status Quo“-Series (der Serien mit inhaltlich geschlossenen Folgen beschreibt,) ist in der englischen Wissenschaftssprache auch als „series“ und in der deutschen Wissenschaftssprache als „Episodenserie“ bekannt. Die „Progressive“-Series (die für Serien mit inhaltlich fortgesetzten Handlungsstränge steht,) kann auch als „serial“ oder „Fortsetzungsserie“ bezeichnet werden. (Siehe v.a.: Weber, Tanja; Junklewitz, Christina: „Das Gesetz der Serie – Ansätze zur Definition und Analyse“. In: Medienwissenschaft, 1/2008. S. 13–31.) Die ‚Mischung‘ beider Erzählprinzipien, fortgesetztes und episodisches Erzählen, wird von der „Progressive Complete“-Serie beschrieben — ein englischsprachiges Synonym ist am ehesten der Begriff des „flexi-narrative“, der von Robin Nelson eingeführt wurde. (Siehe v.a.: Nelson, Robin: „Flexi-narrative Form“. In: Mediated Drama, Dramatized Media. Hrsg. von Eckart Voigts-Virchow. Trier 2000, S. 111– 118.) 17 Thompson, Robert J.: Television’s Second Golden Age. From Hill Street blues to ER. Syracuse, N.Y 1997, S. 12–13. 12 13
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kel scheint;18 wir haben nur vorwiegend Fernsehserien, die nicht den Kriterien für als ‚Quality-TV‘ bezeichnetes Fernsehen entsprechen. 2. Was die Serie KDD als Beispiel einer Quality-TV-Serie auszeichnet KDD ist eine deutsche Polizeiserie, die von 2007 bis 2010 über drei Staffeln (insgesamt 27 Folgen) auf Arte und ZDF ausgestrahlt wurde. Sie gehört zur Kategorie Progressive Complete: Jede Folge beinhaltet zwei oder drei Fälle, die spätestens mit dem Ende der Folge abgeschlossen sind, darüber hinaus gibt es aber auch mehrere fortgesetzt erzählte Handlungsstränge. Die Serie handelt von der Tagesschicht des Kriminaldauerdienstes in Berlin mit der Konzentration auf sieben, sehr unterschiedlichen Mitgliedern, die sich grob wie folgt charakterisieren lassen: Eine Lesbe, ein Alkoholiker, ein überforderter Chef, ein Türke, eine gefühlsmäßig unterkühlte Frau, eine Streifenpolizistin und ein junger Mann aus reichem Haus, der auch bei der Polizei ist, um gegen seinen Vater zu rebellieren. Vor allem die fortgesetzt erzählte Geschichte dieser sieben Figuren bildet den Kern der Serie. Dabei werden viele ‚deutsche Themen‘ sowohl in der Episodenhandlung als auch in den fortgesetzten Handlungssträngen dargestellt: Berlin als Großstadt, Integration und Ausländer, Fußball und Wettbetrug, Parteienpolitik, Genderfragen, Adoption, Hartz IV usw. Für die Konzeption sind Orkun Ertener (vorwiegend Drehbuch) und Kathrin Breininger (vorwiegend Produktion) verantwortlich. Die Serie hatte also so etwas wie zwei Creators, die bei US-amerikanischen Serien so wichtig sind.19
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Auch bei den Regisseuren folgte die Produktion amerikanischen Mustern,20 wo häufig die Pilotfolge in die Hände von versierten, häufig sogar berühmten Filmregisseuren gegeben wird, die somit den narrativen Ton und visuellen Stil der Serie bestimmen.21 Die Pilotfolge sowie zwei weitere Folgen wurden von Matthias Glasner inszeniert. Glasners Kinofilme sind eigenwillig und oft sehr umstritten, vor allem seine Werke Der freie Wille (2006), This is Love (2009) und Gnade (2012). Im Fernsehen aber zeigt er sein handwerkliches Können mit einem in Deutschland recht seltenen Gespür für Genre und Action, ohne wie in seinen Kinofilmen von seinem Hang für kontroverse Themen bestimmt zu werden. Die zwei Folgen für die ebenfalls außergewöhnliche, kurzlebige und mehrfach ausgezeichnete Reihe Eva Blond (2004 u. 2006), die Schimanski-Episode „Schimanski muss leiden“ (2000), sowie die Tatorte „Die Ballade von Cenk und Valerie“22 (2012) und „Flashback“ (2002) zeigen allesamt, dass Glasner auch ein sehr guter RegieHandwerker sein kann. Bereits in den ersten Minuten der Pilotfolge von KDD jagt die Streifenpolizistin Maria Hernandez (Jördis Triebel) einem Verdächtigen durch die Straßen von Berlin hinterher — die Handkamera ist nah genug, um die Spannung und Turbulenz der Situation zu vermitteln, aber nicht zu nah, dass der Rezipient den Überblick verliert. Überhaupt wird die Serie von Handkameraaufnahmen dominiert, die das Geschehen nah und der Großstadtthematik entsprechend zeigen; die (wenn auch seltene) Action ist gut inszeniert, ohne aber dass die Figuren vernachlässigt werden. Die Aufnahmen passen zur dunklen Atmosphäre der Serie und sind, außer in den Sequenzen im Polizeire-
18 Siehe vor allem: Dietz, Georg und Hüetlin, Thomas: „Im Zauderland“. Spiegel (05/2013), [vom 04.08.2013]. Und: „Ich will endlich raus aus der SoKo“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (29.12.2012), S. Z1. 19 Vgl.: Dreher, Christoph: „Vorwort“. In: Autorenserien. Die Neuerfindung des Fernsehens. Hrsg. von Christoph Dreher u. Kim Akass. Stuttgart 2010. S. 9–21. 20 „Quality-TV usually has a quality pedigree. Shows made by artists whose reputations were made in other, classier media, like film, are prime candidates.“ Thompson, Robert J.: Television’s Second Golden Age. From Hill Street blues to ER. Syracuse, N.Y 1997, S. 14. 21 Ein paar Beispiele für berühmte Filmregisseure, die Pilotfolgen gedreht haben, sind: Walter Hill (Deadwood), Michael Apted (Rome), Michael Mann (Luck), Martin Scorsese (Boardwalk Empire). Ebenso gibt es die Regisseure, die gekonnt zwischen der Regie bei Spielfilmen und der bei Serien wechseln wie Clark Johnson (The Wire, The Shield) und Allen Coulter (Nurse Jackie, Sons of Anarchy) und sich in beiden Formen einen Namen gemacht haben. 22 Besonders Glasners „Die Ballade von Cenk und Valerie“, der letzte Hamburger Tatort mit Cenk Batu (Mehmet Kurtulus), ist, was die Action angeht, die wesentlich mehr und besser gefilmt ist als im darauf folgenden ersten Hamburger Tatort mit Til Schweiger, bemerkenswert.
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vier, bestimmt von einer ‚zwielichtigen‘ Beleuchtung — viel Schatten beherrscht vor allem die Einstellungen der Gesichter. Auch die anderen Regisseure von KDD sind versiert, sie besitzen alle Tatort und/oder Polizeiruf 110-Erfahrung. Unter den weiteren Regisseuren ist vor allem Lars Kraume hervorzuheben, der 2010 Die kommenden Tage nach seinem eigenen Drehbuch verwirklichte — ein überzeugender deutscher ScienceFiction-Film mit zahlreichen Stars — und das Drehbuch zu vier Folgen von KDD, schrieb sowie bei wiederum anderen vier Folgen Regie führte. Zu den typischen Bestandteilen von QualityTV kommt auch bei KDD der Ensemblecast bestehend aus relativ bekannten Darstellern und Darstellerinnen.23 Auch wenn die Besetzung nicht ganz so berühmte Namen vorzuweisen hat wie die der anderen Quality-TVSerien Weissensee und Im Angesicht des Verbrechens, handelt es sich um ein starkes Ensemble an Charakterschauspielern und -schauspielerinnen.24 KDD geht an dieser Stelle ein Wagnis ein, weil es sich tatsächlich um ein beinahe gleichberechtigtes Ensemble handelt und KDD somit eine Serie ohne Hauptfigur ist. Ein Merkmal der Qualitätsserie ist zwar der Ensemblecast, aber trotzdem konzentriert sich das Ensemble bei genauerem Hinsehen bei allen Quality-TV-Serien um eine Hauptfigur, um einen McNulty (The Wire), einen Vic Mackey (The Shield), einen Nucky Thompson (Boardwalk Empire) oder einen Walter White (Breaking Bad). Die Hauptfigur steht dementsprechend auch paratextuell auf den Plakaten, DVD-Hüllen etc. im Vordergrund bzw. ist häufig sogar einzig abgebildete Figur (siehe Sons of Anarchy, The Shield und Breaking Bad). Auf den Covern der DVD-Hüllen von KDD stehen sieben Hauptfiguren. Das von den Autoren genannte Konzept einer Kreuzung aus Krimi- und Krankenhausserie ist nach
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wie vor ungewöhnlich25 — außer KDD und einigen Krankenhausserien haben höchstens die ersten zwei Staffeln der Cop-Serie Southland und die ersten vier Staffeln von Third Watch ein ähnlich großes und gleichberechtigtes Ensemble. Aber auch bei Southland und Third Watch wurden in den späteren Staffeln einige der Figuren fallen gelassen und es wurde sich stattdessen auf vier Hauptfiguren konzentriert. Gedreht wurde KDD kostspielig on Location. Berlin wird filmisch eingefangen und die Aufnahmen werden stets mit einer melancholisch-tragischen Patina überzogen, an der vor allem der atmosphärische Soundtrack von Julian Maas und Christoph Kaiser — bestehend aus elektronischen Klängen, Klavier und die Großstadt symbolisierenden leicht pulsierenden Rhythmen — großen Anteil hat. Trotz des Aufwandes bemerkt man hier und da Einstellungen, die nur auf die Grenzen des Budgets zurück zu führen sind, wie der Finale-Cliffhanger der ersten Staffel: Da geht ein Großteil der KDD-Ermittler über den Pariser Platz, um einen Kronzeugen zu beschützen, als der hinzustoßende alkoholisierte Kollege Scharfschützen auf den Dächern erspäht — die der Zuschauer aber nicht zu sehen bekommt — und die daraufhin den Kronzeugen erschießen und einen Teil der Einheit verletzen; die kaum hörbaren Schüsse und nicht zu sehenden Scharfschützen verlangen der Vorstellungskraft des Zuschauer viel ab. Auch wenn ab und zu geringe, aufs Budget zurückzuführende Schwächen vorhanden sind — den Vergleich mit ausländischen Serien müssen die wenigen deutschen QualityTV-Serien nicht scheuen. Es sind gut geschriebene, gefilmte und gespielte Serien. KDD, Im Angesicht des Verbrechens und Weissensee — alle haben ein mit Charakterdarstellern besetzten Ensemblecast, gute Regisseure und handeln von deutschen Themen. Die ‚Qualität‘ wird im Fall von KDD unter
23 „5. Quality TV tends to have a large ensemble cast. The variety of characters allows for a variety of viewpoints since multiple plots must usually be employed to accommodate all of the characters.“ Thompson, Robert J.: Television's Second Golden Age. From Hill Street blues to ER. Syracuse, N.Y 1997, S.14. 24 Die sieben Hauptrollen werden gespielt von Barnaby Metschurat, Manfred Zapatka, Jördis Triebel, Götz Schubert, Saskia Vester, Billey Demirtas und Melika Foroutan. 25 Orkun Ertener sagte in einem Interview mit www.fernsehlexikon.de: „Ich wollte gerne ein Medical Drama mit einem Police Drama kombinieren, so etwas wie E.R. auf der Polizeiwache. Und dann haben wir lange daran entwickelt.“ [vom 04.08.2113].
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anderem dadurch bewiesen, dass die Serie ins Ausland verkauft wurde. Der Pay-TVSender Eurochannel erwarb die Rechte an der Serie und strahlte sie auf den englisch-, spanisch-, portugiesisch-, polnisch- und französischsprachigen Kanälen des Senders (mit jeweiligen landessprachlichen Untertiteln) aus26 — was für die selten ins Ausland verkauften deutschen Serien ein relativ großer Erfolg ist. Wenn es also nicht an der Qualität des Produktes liegt, welche Gründe mag es dann geben, dass so wenige deutsche Quality-TVSerien produziert werden und diese dann so geringen Erfolg haben? 3. Weniger Geld und andere Finanzierungsmodelle Sicherlich waren die Einschaltquoten von KDD und Im Angesicht des Verbrechens im Vergleich zu anderen Programmen zur selben Sendezeit schlecht. Aber wie sieht ein Vergleich der Einschaltquoten zwischen deutschen und bspw. langlebigen USamerikanischen Quality-TV-Serien aus? Brechen Breaking Bad, Borgen und Downton Abbey in ihren Ländern Zuschauerrekorde? Nich t unbedingt. Zahl reich e der U Samerikanischen Quality-TV-Serien haben nicht besonders hohe Einschaltquoten — sie sind aber wichtig für den Marktwert, die Exklusivität und die Attraktivität des produzierenden Senders, der sie häufig wie ein prestigeträchtiges Aushängeschild vor sich her trägt. Bei Pay-TV-Sendern wie HBO, Starz und Showtime ist dieses Verfahren, die Marke des Senders vor allem durch anspruchsvolle eigene Produktionen zu prägen, ein inzwischen gängiges und häufig erklärtes Geschäftsmodell.27 Die Bezahl-Sender machen sich durch die eigenproduzierten Serien für Abonnenten begehrenswert. Dabei geht es nicht darum,
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dass die selbst hergestellten Serien viele Zuschauer rezipieren — auch wenn dies natürlich immer noch wünschenswert ist. Ziel ist es vornehmlich, dass der Zuschauer das PayTV-Programm dieses Senders für so einzigartig und wertvoll hält, dass er ein Abonnement abschließt oder verlängert.28 Bei den US-amerikanischen Kabelsendern wie AMC funktioniert das Geschäftsmodell nur geringfügig anders. Die Kabelsender werden von Kabel- und Satelliten-Providern als Pakete angeboten. Wenn ein Sender wie AMC sich durch eigene Produktionen wie Mad Men und Breaking Bad attraktiv macht, also Serien produziert, die man nur auf AMC zu sehen bekommt, erhöht er gleichzeitig die Attraktivität der Abonnementpakete, in denen der Sender enthalten ist. Der Sender kann aufgrund seines Alleinoder zumindest Ausstellungsmerkmals der selbst hergestellten Quality-TV-Serien vom Provider mehr Geld verlangen. Auch wenn letztendlich wenige Leute die entsprechenden Serien schauen, hat der Kabel-Sender mit den Quality-TV-Serien ein begehrenswertes und exklusives Produkt anzubieten. Adam Davidson erläutert das Geschäftsmodell in einem Artikel des New York Time Magazine über Quality-TV am Bespiel von AMC: Starting with “Mad Men” in 2007, the network landed hit shows that developed small but obsessive followings. Soon after, it began making larger financial demands of the cable and satellite providers, like Comcast and DirectTV, that carry the network. AMC now charges these providers about 40 cents a month for each subscriber, including the millions who will never watch “Mad Men” or “Breaking Bad.” These providers can refuse to pay up, but doing so would infuriate legions of vocal viewers. (Last summer, the Dish Network played chicken with AMC and lost.) AMC collects $30 million a month in fees alone on a base of 80 million subscribers, which is pretty good considering that the last episode of “Breaking Bad” had fewer
Junklewitz, Christian auf [vom 04.08.2013]. Kelso, Tony: „And now no word from our sponsor. How HBO puts the risk back into television.“ In: It’s not TV. Watching HBO in the Post-Television Era. Hrsg. von Marc Leverette, Brian L. Ott u. Cara Louise Buckley. New York 2008, S. 46–64. 28 Michael Lombardo, einer der Chefs von HBO, wird bspw. zitiert: „‚The consumer makes a purchase decision on our brand every single month, so we need to convince the consumer that our brand is different and it is worth paying for.‘“ Santo, Avi: „Paratelevision and Discourses of Distinction. The Culture of Production at HBO.“ In: It’s not TV. Watching HBO in the Post-Television Era. Hrsg. von Marc Leverette, Brian L. Ott u. Cara Louise Buckley. New York 2008, S. 31. Siehe auch: „Subscription is key.“ McCabe, Janet u. Jim Abkass: „It’s not TV, it’s HBO’s Original Programming. Producing Quality TV“. In: It’s not TV. Watching HBO in the Post-Television Era. Hrsg. von Marc Leverette, Brian L. Ott u. Cara Louise Buckley. New York 2008, S. 84. 26 27
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than three million viewers.29
Zum Vergleich: Selbst die von den Einschaltquoten her schlechteste Staffel von KDD hatte mit durchschnittlich 2,26 Millionen Zuschauern vergleichsweise kaum weniger Rezipienten in Deutschland als die genannte Episode der Serie Breaking Bad in den USA.30 In Deutschland gibt es natürlich viel weniger Haushalte als in den USA. Die Kabelsender können wesentlich weniger Geld von Providern verlangen und mit weniger Geld ist es dementsprechend schwieriger und vor allem riskanter, eigene Serien zu produzieren. Auch Sky hat als deutsches Pay-TVEquivalent zu HBO und Co. viel weniger Kapital, um sich auf das Wagnis einer eigenen Serienproduktion einzulassen und darüber hinaus auch keinerlei Erfahrung in der Eigenproduktion (im Gegensatz zu HBO, das ja bereits seit den 1990er Jahren eigene Filme produziert).31 Dadurch, dass Sky, Unitymedia und Co. erheblich weniger Geld als die USamerikanischen Pay-TV-Sender haben und sich nachvollziehbarer Weise nicht an eigene Produktionen heranwagen, fällt historisch betrachtet damit ein wichtiger Impulsgeber für Quality-TV in Deutschland weg, der in den USA zunächst von den Pay-TV-Sendern ausging.32
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In den europäischen Nachbarländern produziert unter den Pay-TV-Sendern der französische Canal+ eigene Serien. Erstaunlich ist darüber hinaus, dass Canal+ seine Serien bisher kaum ins Ausland verkaufen konnte,33 aber weiterhin auf Quality-TV-Serien setzt — die Finanzierungsstrategie muss also ansatzweise funktionieren.34 Allerdings ist Canal+ seit 1984 auf Sendung und ist damit einer der ältesten Bezahlfernsehsender Europas, der bereits von Anfang an zahlreiche Kinofilme mitfinanziert hat (auch unter dem Namen StudioCanal) und dadurch wesentlich mehr Erfahrung in der Finanzierung hat als Premiere bzw. Sky oder andere europäische Pay-TV-Sender.35 In anderen europäischen Nachbarländern werden vergleichbare Serien wie in den USA von öffentlich-rechtlichen Sendern hergestellt, die einige ähnliche WettbewerbsVorteile in der Serien-Produktion haben wie die US-amerikanischen Pay-TV-Sender. Wie die Pay-TV-Sender sind die öffentlichrechtlichen Sender in Deutschland zumindest in den späteren Stunden von Werbung befreit bzw. sie dürfen keine Werbung senden und genießen somit eine größere Erzählfreiheit, da das narrative Produkt nicht zu den Produkten in den Werbeblöcken passen muss.36
29 Davidson, Adam: „The ‘Mad Men’ Economic Miracle“, in: The New York Times Magazine, 04.12.2012. [vom 04.08.2013]. 30 [vom 02.08.2013]. 31 Das 2009 in Sky umbenannte Premiere stellte zumindest einige kleinere und sehr preiswerte Formate her wie Kalkofes Mattscheibe und koproduzierte mit ARD und ZDF einige Filme und sogar die US-Serie Over There. Sky und Unitymedia verzichten bisher auf eigene Produktionen, abgesehen von Sportsendungen (die teilweise ebenfalls fremdproduziert werden) und stellen nur hauptsächlich US-amerikanische Sender in den Abonnementpaketen zur Verfügung. Fox Serien und TNT-Serie sind dabei die Sender, die sich ganz auf die Ausstrahlung von Serien im deutschsprachigen Raum konzentrieren und ein umfangreiches Angebot auch an bisher in Deutschland nicht ausgestrahlten Quality-TV-Serien bieten. 32 Dass ausgerechnet Sky mit HBO die Produktion einer Serie plant, wie auf DWDL.de und anderen Webseiten der Medienbranche behauptet wird, ist nahe liegend, da sich somit das deutsche Pay-TV mit dem amerikanischen Pay-TV zusammenschließen würde. Dass eine derartige Koproduktion jedoch einen gewaltigen Umschwung in der deutschen Serienlandschaft herbeiführen kann, ist mehr als fraglich. [vom 09.01. 2012]. 33 Nur Engrenages wird unter dem Titel Spiral auf BBC mit Untertiteln gezeigt. 34 Besonders die Original Programming Serien von Canal+ sind sehr gefragt: „25.000 abonnés à Canal Infinity. En novembre, Canal Plus a lancé Canal Play Infinity, une offre de location de vidéos illimitée à 9,99 euros. ‚Nous avons déjà 25.000 abonnés. En moyenne, chaque usager regarde 30 vidéos par mois. Les plus consommées sont Braquo et Mafiosa‘, a indiqué le PDG [d.i. der Présidentdirecteur général, also der Firmenchef von Canal+ Bertrand Meheut].“ Cassini, Sandrine: „Canal Plus mise sur ses chaînes en clair et la télévision à la demande.“ In: La Tribune (01.03.2012). [vom 08.01.2012]. 35 Darüber hinaus hatte Canal+ 2012 9,76 Millionen Abonnenten, während Sky sich damit brüstete vom ersten Quartal 2011 von 2,86 Millionen seinen Anteil ein Jahre später auf 3,2 Million Abonnenten erhöht zu haben. Siehe: Cassini, Sandrine: „Canal Plus mise sur ses chaînes en clair et la télévision à la demande.“ In : La Tribune (01.03.2012). [vom 08.01.2012]. 36 „Operating within a profit-driven environment, commercial television executives are not only pressured to generate high ratings to secure more dollars from advertisers, but to provide an ‚advertising friendly‘ context that does not alienate their corporate sponsors as well.“ Kelso, Tony: „And now no word from our sponsor. How HBO puts the risk back into television.“ In: It’s not TV. Watching HBO in the Post-Television Era. Hrsg. von Marc Leverette, Brian L. Ott u. Cara Louise Buckley. New York 2008, S. 47.
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Außerdem sind theoretisch die Serien der öffentlich-rechtlichen Sender von einem sich sofort einzustellenden Erfolg unabhängig — da sie den Großteil des Geldes über die Rundfunkgebühren erhalten. Wie bei US-amerikanischen Pay-TV-Sendern hätten die Quality-TV-Serien im öffentlichrechtlichen Fernsehen eigentlich Zeit sich zu etablieren und müssten nicht sofort Quote und damit Werbekunden liefern. Beide Punkte sind gerade bei Quality-TV-Serien wichtig, da sie häufig mehr Zeit benötigen, um ihr Publikum zu finden.37 Dass dieser Vergleich zwischen US-amerikanischem Pay-TV und den deutschen öffentlich-rechtlichen Sendern auch in der Medienbranche gezogen wird, zeigt eine Aussage von HBO-Chef Simon Sutton anlässlich eines Vortrags in Deutschland: Auf die Frage, ob er sich ein Enga-gement [sic] von HBO in Deutschland vorstellen könne, erklärte Sutton: ‚Deutschland hat schon zwei PayTV-Programme: ARD und ZDF.‘ Premiere produziere ja keine eigenen Filme und sei deshalb nicht mit HBO vergleichbar. ‚Ich bin froh, dass ich mir über Pay-TV in Deutsch-land [sic] keine Sorgen machen muss‘, schmunzelte Simon Sutton.38
Auch Christian Junklewitz erwähnte diese Aussage in einem Interview der Zeitschrift Spex und fügte hinzu: „Und er hat Recht: HBO hat etwa 40 Millionen Abonnenten, das statistische Bundesamt zählt bei uns 39 Millionen Privathaushalte mit Fernsehgeräten — alles zumindest potenzielle GEZ-Zahler.“39 Insofern ist die Frage, warum das öffentlichrechtliche Fernsehen keine derartigen Qualitäts-Bestrebungen hat, wie auch von Sandra Kegel in der FAZ moniert wird,40 zum Teil nachvollziehbar.
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Andererseits muss eingewendet werden, dass das ZDF bei KDD diesen Vorteil ausgenutzt hat und der Serie zwei weitere Chancen gab: Bereits die Quote der ersten Staffel war schlecht, trotzdem wurden noch zwei weitere Staffeln produziert. Die Rolle der öffentlich-rechtlichen Sender im Themenbereich des Quality-TV ist wesentlich vielschichtiger als häufig dargestellt: Zum einen, weil das ZDF mit den Sopranos anscheinend sehr schnell die Bedeutung dieser Serie erkannte — ganz im Gegensatz zum deutschen Zuschauer. Zum zweiten, weil alle drei genannten Quality-TV-Serien von öffentlich-rechtlichen Sendern mitproduziert wurden. Zum dritten, weil sich mit Arte und ZDFneo zwei öffentlich-rechtliche Sender auf Quality-TV konzentrieren. Und zum vierten, weil das öffentlich-rechtliche Fernsehen zahlreiche Quality-TV-Serien mit Fernsehsendern des europäischen Auslands koproduziert — vor allem einige skandinavische Serien, allen voran Kommissarin Lund (ZDF), die sogar von AMC mit The Killing ein USamerikanisches Remake erhielt. Aber auch Der Adler – Die Spur des Verbrechens (2004– 2006) (ZDF), die neuen BBC Wallander-Verfilmungen mit Kenneth Brannagh (ARD Degeto), die italienische Koproduktion Aurelio Zen mit Rufus Sewell (ZDF), Protectors (ZDF) sowie die Arne Dahl-Reihe usw. wurden vom deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen koproduziert.41 Unter anderem weil sich die öffentlichrechtlichen Fernsehsender an Koproduktionen des europäischen Auslandes beteiligen, ist die Rolle des öffentlich-rechtlichen Fernsehens im Bereich Quality-TV sehr vielschichtig.42
„Because it depends on subscribers rather than ratings, HBO can allow its series to slowly accumulate a large audience.“ Ebd., S. 52. Pressemeldung vom 23.06.2009. [vom 11.01.2012]. 39 Krämer, Ralf: „Ich hol’ mir erstmal einen Kaffee. Deutschland und seine Serien“. In: Spex (Mai/Juni 2012), Heft 326, S. 63. 40 „Es geht mir an die Substanz und auf die Nerven. Im nächsten Jahr will ich mehr Relevanz und weniger Leichen. Wer mit der Quote kontert, der blicke nach Dänemark. Das staatliche Fernsehen dort bringt eine grandiose Serie wie „Borgen“ hervor — ohne Leichen, und alle Dänen gucken zu. Hoffentlich geht mein Wunsch in Erfüllung. Sonst wandert unser Fernseher in den Keller.“ Kegel, Sandra: „Ich will endlich raus aus der SoKo“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (29.12.2012), S. Z1. 41 Siehe zu den fiktionalen Koproduktionen vom ZDF auch: [vom 17.01.2012]. Sat 1 koproduzierte in den letzten Jahren vor allem die Verfilmungen der Ken Follett Mittelalter-Romane: Die Säulen der Erde / The Pillars of the Earth (2010) und Die Tore der Welt / World without End (2012) zusammen mit dem Produktionsstudio der Brüder Ridley und Tony Scott und brachte als deutsche Schauspielerin Natalia Wörner im Cast unter. Zur deutsch-schwedischen Produktion Die Brücke – Transit in den Tod, vgl. den Artikel von Kai Mittelstädt in dieser Ausgabe des Journals. 42 Auch abgesehen von Serien haben gerade erst von der ARD Degeto koproduzierte Filme zahlreiche Preise gewonnen, wie Michael Hanekes Amour (F/D/Ö 2012) und Roman Polanskis Carnage (dt. Der Gott des Gemetzels) (D/F/P/Sp 2011). 37 38
Vincent Fröhlich: Spurensuche: Warum es die deutsche Quality-TV-Serie so schwer hat
Dabei ist jedoch auch klar erkennbar, dass die Gelder dann für eigene Quality-TVProduktionen fehlen. Fast scheint es, als habe man sich bei den öffentlich-rechtlichen Sendern damit abgefunden, dass koproduzierte Quality-TV-Serien aus dem europäischen Ausland in Deutschland bessere Einschaltquoten erzielen als eigene Serien-Produktionen.43 4. Eine andere Produktionsaufteilung: Kein Schöpfer, geringe kreative Arbeitsteilung In Deutschland ist die Arbeitsteilung in der Produktion von Serien anders konzipiert als in den USA; dort ist es üblich einen Creator zu haben, um den sich ein Team aus Autoren gruppiert. Der Writer’s Room (auch Writer’s Pool oder Writer’s Lab) ist in Deutschland genauso selten wie der Creator. Der Fernsehwissenschaftlicher Lothar Mikos sieht darin einen großen Schwachpunkt in der deutschen Produktion von Serien. „Das andere strukturelle Problem liegt auf der Autorenseite, weil das System in Deutschland noch immer von dem individuellen Autor ausgeht, der genial ist und alles schreiben kann.“44 Während bei den Drehbüchern womöglich zu wenig Arbeitsteilung stattfindet, ist die Vision eines Creators — wie der gottgleiche Terminus lautet — bei deutschen Serien nicht vorgesehen. In den Serien von HBO ist der Creator mit das wichtigste Aushängeschild der Serie. David Simon steht für The Wire, David Chase für die Sopranos, Vince Gilligan für Breaking Bad und David Milch für Deadwood — sie sind die eigentlichen Superstars der Serien. Ausländische Produktionen kopieren dieses Erfolgsprinzip: Der ehemalige Polizist Olivier Marchall, inzwischen Drehbuchautor und Regisseur der erfolgreichen Polizistenfilme mit Daniel Auteuil M73 und 36 Quai des Or-
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fèvres, konzipierte nach seinen KinofilmErfolgen für Canal+ die Cop-Serie Braquo: Natürlich steht auf den Plakaten, im Vorspann und auf den DVDs deutlich: „Une série créée par Olivier Marchal“. (Außerdem ist die Serie wie in den US-amerikanischen Quality-TV-Serien üblich mit einem Star in der Hauptrolle, Jean Hugues Anglade, besetzt — anders als bei KDD, wo solch eine Hauptfigur und solch ein Star fehlen.) Die Schöpfer werden vom Sender und vom Publikum mit dem Nimbus des Auteurs mit eigener Handschrift, ja eigener Vision versehen. In Deutschland ergibt sich ein völlig konträres Bild: Orkun Ertener, der Schöpfer von KDD, musste seiner Aussage nach ein Dreivierteljahr juristisch erstreiten, dass im Vorspann steht: „Eine Serie von Orkun Ertener.“45 Während sich US-amerikanische Quality-TV-Serien über den Creator profilieren, muss der Hinweis auf die Handschrift des Creators in Deutschland juristisch erkämpft werden. Dementsprechend sträflich scheinen die öffentlich-rechtlichen Sender auch mit den wenigen halbwegs prominenten Namen dieser Produktionssparte umzugehen. Während in den USA die Creators stets HBO, Showtime und Co bejubeln und betonen,46 wie viel kreative Freiheit die Sender ihnen lassen, klagen Ertener und Dominik Graf (Im Angesicht des Verbrechens) über ZDF und ARD. Anstatt nach KDD für den nächsten Versuch einer Qualitätsserie auf Erteners Bekanntheit unter der Zielgruppe zu bauen, scheint das ZDF ihn lieber schnell wieder in der Menge der dem Zuschauer meist unbekannten Autoren der öffentlich-rechtlichen Produktionen verschwinden zu lassen: Bei Die Chefin sowie Die letzte Spur ist Ertener nur noch „Chef-Autor“. Die Vision und kreative Freiheit über das Serienprodukt scheint sich gerade bei den
43 Wolfgang Feindt, der mitverantwortlich ist für die ZDF-Koproduktionen von Serien mit den skandinavischen Ländern, behauptet, es liege auch dem Know-how, es gäbe nicht viele Autoren, die lange Fortsetzungserzählungen für ein Serienformat schreiben könnten. Kundic, Denis u. Feindt, Wolfgang: „So etwas muss man erst mal schreiben können“. In: torrent, (1/2013), S.46–47. 44 Lothar Mikos zitiert nach: Mayer, Jens: „Serien aus Deutschland? – Wo ist das Problem?“ In: torrent, (02/2012), S. 31. 45 „Ich habe gerade eine neue Serie entwickelt und mein Anwalt musste den Vertrag dafür ein dreiviertel Jahr lang verhandeln, weil es mir aus standes- und berufspolitischen Gründen wichtig war, dass ‚Eine Serie von Orkun Ertener‘ in den Titeln auftaucht. Aber diese Ich-Bezogenheit vertrete ich eher als Creator, sprich als derjenige, der bei US-Produktionen die kreative Kontrolle hat. So ein Status ist in Deutschland überhaupt nicht vorgesehen und lässt sich innerhalb der bürokratischen Sendestrukturen auch nicht durchsetzen.“ Krämer, Ralf: „Ich hol’ mir erstmal einen Kaffee. Deutschland und seine Serien“. Orkun Ertener in: Spex (Mai/Juni 2012) Heft 326. S. 62. 46 Vgl.: Schmidt, Marco: „Verbrechen zahlt sich selbstverständlich aus“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, (21.10.2010), S. 31.
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öffentlich-rechtlichen Sendern in zu vielen Mitspracheinstanzen zu zerfasern. US-amerikanische Quality-TV-Serien werden häufig mit aus dem Film bekannten Stars wie Kiefer Sutherland (24), Claire Danes (Homeland), Steve Buscemi (Boardwalk Empire) etc. besetzt. KDD und Weissensee haben eine durchaus ähnliche Besetzungsstrategie. Strategisch fragwürdig ist sicherlich, dass KDD die prominenteren Namen in Nebenrollen einsetzt. Jürgen Vogel und Tom Schilling spielen ein homosexuelles Gangsterpaar, André Hennicke, Devid Striesow und Wotan Wilke Möhring tauchen in kleinen Nebenrollen auf. Beworben wurden die Auftritte dieser Gaststars in keinster Weise — sie hätten, was die Publikums-Zugkraft angeht, also genauso gut auch nicht auftreten brauchen. Auch wenn diese Frage vollkommen hypothetisch ist: Wäre KDD vielleicht erfolgreicher gewesen, wenn die Hauptrollen mit prominenteren Namen besetzt worden wären, anstatt dass diese in den Nebenrollen kaum zur Geltung kommen? Würde eine Quality-TV-Serie mit beispielsweise Til Schweiger in der Hauptrolle, der angeblich Fan von Six Feet Under ist,47 auch so schlechte Einschaltquoten bekommen? 5. Unerfahrenheit in der Distribution Die Distribution der deutschen Qualitätsserien besticht vor allem durch Uneinheitlichkeit und Inkonsequenz. Nach wie vor werden die deutschen QualityTV-Serien in der kürzeren Erzählzeit von 45 statt wie bei HBO und Co. 60 Minuten gezeigt.48 Bei der Fernsehausstrahlung erhalten die Serien wenig Werbung und meist keinen passenden Sendeplatz. Der Sendeplatz von Im Angesicht des Verbrechens sah bspw. wie folgt aus: Zunächst auf dem Nischensender Arte dienstags und freitags um 22:00 Uhr — eine Zeit, zu der kein anderes Programm
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endet und damit keine Umschaltwelle zu erwarten war.49 Sechs Monate später lief dann die Wiederholung auf ARD am Freitagabend um 21:45 Uhr, dem Wiederholungstermin des Tatorts — ebenfalls kein beliebter Sendeplatz, zudem meist freitags um 20:15 auf der ARD eine Sendung für ein älteres Publikum läuft wie zum Beispiel die Rentnerkomödie Alles Chefsache (D 2012). Nachdem die Zuschauerquote in der ARD — wie zu erwarten war — bei der geringen Zahl von zwei Millionen Zuschauern lag, wurden die letzten drei Folgen gebündelt an einem Abend bis tief in die Nacht ausgestrahlt. Die für Folgen-Einzelausstrahlung konzipierte Serie wurde so zu einem ‚Mammutfilm‘ zusammengefügt. Nur die Zuschauer, die bereits über die Serie informiert waren und von dem Sendetermin wussten, konnten überhaupt darauf stoßen. Der bei Serien so wichtige Ausstrahlungsund damit auch Rezeptionsrhythmus wurde plötzlich durchbrochen. Die Stuttgarter Zeitung schrieb: „Merke: selbst, wenn man — selten genug — Qualität produziert, heißt das noch lange nicht, dass man Qualität auch qualitätsbewusst versendet.“50 Ähnliche Probleme hatte die nach KDD von Ertener entworfene Nachfolgeserie Die Chefin. Konzipiert war „Die Chefin“ ursprünglich als sechsteilige Serie für einen neuen Sendeplatz nach dem Samstagskrimi. Geworden sind es vier Folgen für den Schwiegermutterkrimisendeplatz freitags um 20.15 Uhr, wo unter anderem knapp 20 Jahre lang „Derrick“ ermittelte (und „KDD“ im direkten Anschluss baden ging).51
Eine große Schwierigkeit ist nach wie vor der geeignete Sendeplatz: Wo gäbe es überhaupt noch den geeigneten Platz für eine neue Serie, die sich an ein jüngeres Publikum richtet? KDD erhielt zwar mehrere Staffeln, aber
Vgl.: Festenberg, Nikolaus von und Wilton, Jennifer: „Politik-Nachhilfe ist super“. In: Der Spiegel 04/2005, 24.01.2005, S.63. Im Angesicht des Verbrechens war ursprünglich ebenfalls mit 60minütigen Folgen geplant, wofür sich auch der Produzent Marc Conrad verstärkt eingesetzt hat – das WDR beharrte aber auf 45minütigen Folgen, die dann geblockt gezeigt wurden. Siehe auch: Jungen, Oliver: „Die Helfer in der Not wurden alle ausgebremst.“ [vom 30.01.2013]. 49 Vgl. auch Krämer, Ralf: „Ich hol’ mir erstmal einen Kaffee. Deutschland und seine Serien“. In: Spex (Mai/Juni 2012) Heft 326, S.64. 50 Kriest, Ullrich: „Fernsehen gegen das Fernsehen“, 05.12.2011. [vom 05.08.2013]. 51 Denk, David: „Der Fluch der Schwiegermütter. In der neuen Krimiserie ‚Die Chefin’ trifft ein mutiger Autor auf ein ängstliches ZDF. Schrecken horizontale Erzählebenen wirklich die Zuschauer ab?“ [vom 24.2.2012]. 47 48
Vincent Fröhlich: Spurensuche: Warum es die deutsche Quality-TV-Serie so schwer hat
dem Zuschauer war kaum vergönnt mit alten Folgen in den komplexen Handlungsstrang der fortlaufenden Geschichte einzusteigen. Wiederholungen sind aber bei fortgesetzt erzählten Serien wichtig, damit der Zuschauer, wenn er eine Folge verpasst hat, die Rezeption nachholen kann und somit nicht den Anschluss verliert. Dementsprechend häufig zeigt HBO während der Woche auf den unterschiedlichen HBO-Kanälen, zusätzlich zu einigen älteren, vor allem die aktuellsten Folgen der eigenen Serien. Die DVD-Auswertung von KDD wirkt innerhalb des Quality-TV-Bereichs ebenfalls unerfahren. Ein Vergleich mit US-amerikanischen DVDBoxen zeigt die Defizite: Die Hülle der KDDBoxen ist komplett in dem veralteten Grün, das die deutsche Polizei bis vor einigen Jahren kennzeichnete; die Schriftzüge wirken altbacken, dazu sieht man immer ein sehr dunkles, bei der DVD-Box von Staffel 3 sogar leicht unscharfes und unaussagekräftiges Foto des Ensemblecasts, über dem das Brandenburger Tor als schwarzer Schatten schwebt — Spontankäufe der DVD-Boxen von KDD wird es kaum geben. Die DVD-Boxen der ersten und dritten Staffel haben keinerlei Extras, alle DVDs haben keine inzwischen als Standard anzusehende Untertitelung für Hörgeschädigte. Warum die Serie eingestellt wurde, was die Neuerungen der dritten Staffel sind, ein häufig auf den DVDs der letzten Staffel zu findender Rückblick — all das wird den Fans nicht gewährt und darum kann um die Serie auch nur schwer ein Fankult entstehen. Eine elegante Sammel-Box der drei vereinten Staffeln — wie es bei britischen und USamerikanischen Serien, die auslaufen, üblich ist — wird ebenfalls nicht angeboten. Obwohl eine deutsche Quality-TV-Serie eher eine Rarität ist, die mancher Sammler vielleicht gerne in seinem Regal hätte, machen die DVDs sich diesen Umstand durch die lieblose Aufmachung nicht zunutze. Die inkonsequenteste Distribution hat Abschnitt 40 (RTL) erhalten. Die Serie wurde drei Mal mit dem deutschen Fernsehpreis als beste Serie sowie zahlreichen weiteren Prei52 53
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sen ausgezeichnet. Ausgestrahlt wurden aber nur die ersten drei Staffeln, dann — nach anderthalbjähriger Pause — fünf Folgen der vierten Staffel. Staffel fünf, produziert 2006, besteht nur noch aus fünf Folgen und wurde bisher gar nicht gesendet. Besonders kurios ist, dass nur die dritte Staffel als DVD-Box veröffentlicht wurde, womit natürlich auch nicht mit Neueinsteigern in die Serienrezeption und DVD-Verkäufen zu rechnen war. Welcher DVD-Käufer will ausschließlich die mittlere Staffel einer Serie besitzen?52 Die ARD-Serie Weissensee ist insofern eine Ausnahme, als dass die erste Staffel erfolgreich war. Besonders die ersten drei Folgen schauten jeweils mehr als fünf Millionen Zuschauer und auch wenn danach die Quote leicht einbrach, wurde die letzte Folge der ersten Staffel immer noch von 4,75 Millionen Zuschauern gesehen.53 Die Serie hat vielleicht alles, was eine deutsche Qualitätsserie zum Erfolg haben muss. Mit Mauerflucht, Stasi, DDR etc. ein deutsches Thema, dazu eine hervorragende Besetzung mit Hannah Herzsprung, Florian Lukas, Katrin Sass, Anna Loos und Uwe Kokisch und mit der Drehbuchautorin Annette Hess einen erfahrenen Creator; gleichzeitig ist die Serie aber auch ein wenig untypisch für Quality-TV und kommt damit der deutschen Rezeptionsgewohnheit entgegen: Mit sechs Folgen à 45 Minuten ähnelt die Serie von der Länge her mehr den erfolgreichen deutschen Miniserien, dazu hat sie zahlreiche Elemente der Seifenoper, angefangen bei dem unsäglich kitschigen Vorspann. Der Programmplatz war gut gewählt: Die Serie lief zwischen dem 14. September und 19. Oktober 2010 jeweils dienstags um 20:15 Uhr. Obwohl jedoch direkt eine zweite Staffel in Auftrag gegeben wurde, dauert es drei Jahre bis diese im Herbst 2013 ausgestrahlt werden wird (obwohl die Staffel bereits im Herbst 2011 abgedreht wurde). Um die Konfusion für den Zuschauer zu erhöhen, wurde die DVD der zweiten Staffel bereits im März 2013 veröffentlicht. Die Produzentin Regina Ziegler wurde so sehr durch die Produktionskosten und die dadurch entstandenen Zinsen belastet, dass sie auf die späte und
Immerhin sind alle Folgen von Abschnitt 40 inzwischen über RTLs Video-on-Demand-Service „RTL Now“ und itunes abrufbar. [vom 17.01.2012].
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wiederholt verschobene ARD-Ausstrahlung nicht warten wollte. Sie ist der nicht ganz abwegigen Meinung, dass sich dadurch noch mehr Zuschauer gewinnen lassen, weil die meisten Interessierten die Serie ohnehin auf DVD schauen — zu einer Verwirrung des Zuschauers trägt diese Distributionsreihenfolge aber sicherlich bei. Der bei Quality-TV übliche Distributionsrhythmus ist bei Weissensee vollkommen außer Kraft gesetzt: Die vielleicht einzige erfolgreiche deutsche Qualitätsserie erhält erst drei Jahre später eine zweite Staffel — ob die Zuschauer sich da noch an die Geschichte erinnern werden oder überhaupt daran erinnern wollen, kann bezweifelt werden.54 Erneut scheint es Schwierigkeiten in der Aufteilung der Produktionsbereiche gegeben zu haben, denn die Schöpferin Annette Hess wird nur noch als eine der Autorinnen genannt, im Vorspann der zweiten Staffel steht: „Nach einer Idee von Annette Hess“.55 Erneut scheint die Bedeutung des Creators nicht verstanden worden zu sein. Zieglers Finanzierungsschwierigkeiten erinnern an das Debakel um Im Angesicht des Verbrechens, das häufig als Grund angeführt wird, dass von der Finanzierungsseite nicht das Wagnis einer deutschen Quality-TVSerien-Produktion eingegangen wird. Die Im Angesicht des Verbrechens mitproduzierende Typhoon AG musste aufgrund der Budgetüberziehung in Kombination mit verspäteten WDR-Zahlungen Konkurs anmelden.56 Gerade die Typhoon AG unter der Riege von Ex-RTL-Chef Marc Conrad war zudem eine Produktionsfirma, die sich immer wieder an anspruchsvollen TV-Serien versuchte (GSG 9, Abschnitt 40, Im Angesicht des Verbrechens, Blackout). Dass ihre Produkte wenig Erfolg hatten und die Firma letztendlich Konkurs anmelden musste, wird sicherlich in der Branche abschreckende Wirkung haben —
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was sich auch im Umgang mit Ertener und KDD offenbart. In einem Interview mit der Online-Zeitschrift Culturmag wird Ertener gefragt, was das Besondere an KDD sei und er antwortet: Das fortlaufende, das horizontale Erzählen; sich zu trauen, über 11 oder 12 Folgen durchgängig zu erzählen; sich zu trauen, den Zuschauer mit losen Enden stehen zu lassen; vor allem sogar die erste Staffel mit so einem riesigen Cliffhanger stehen zu lassen — das alles ist, glaube ich, sehr ungewöhnlich.57
Das fortgesetzte Erzählen von KDD scheint der Redaktion vom ZDF aber viel zu weit gegangen zu sein. In einem Artikel der Zeitung „taz“ anlässlich des Ausstrahlungsbeginns der Serie Die Chefin wurden sowohl der Autor Orkun Ertener befragt als auch Reinhold Elschot, der Leiter der Hauptredaktion Fernsehspiel beim ZDF. Elschot offenbarte die absolute Abkehr von fortgesetzten Erzählsträngen. Nach dem bitteren Ende von KDD hat Orkun Ertener sich ‚sehr über den dezidierten Wunsch des Senders gefreut, wieder eine durchgehend erzählte Serie zu schreiben‘, und konnte zunächst auch mit den Einschränkungen gut leben: ‚Der Arbeitsauftrag war ganz klar: kein KDD, komplexe Figuren gerne, aber die Handlung bitte so, dass jeder mitkommt, jede Folge aus sich heraus verständlich ist. Das fand ich dramaturgisch reizvoll. […] Während der Arbeit an den ersten vier Folgen hat sich herausgestellt, dass dem Sender der Kriminalfall und die einzelne Episode wichtiger sind als die staffelübergreifende Horizontale.‘ […] Die horizontale Erzählebene sei ein ‚Mehrwert für regelmäßige Zuschauer‘, sagt Elschot, ‚aber ein Großteil des Publikums ist nicht mehr bereit, alle vier Folgen einer Serie zu gucken. Deswegen haben auch die Amerikaner das durchgehende Erzählen zurückgefahren.‘ Und außerdem müsse er immer auch ans Geld denken. ‚Unsere Serien müssen wiederholbar sein‘, sagt Elschot, ‚auch nur einzelne Folgen oder in anderer Reihenfolge.‘ Orkun Ertener hat seine Konsequenzen gezogen: ‚An der nächsten Staffel wirke ich nicht mehr
54 Ein weiteres Beispiel für eine ‚verquere‘ Distributionspolitik ist die Serie Der Tatortreiniger. Die Erstausstrahlung der sehr preiswerten kammerspielartigen Serie, die starke Anleihen zu Dittsche hat, fand im Nachtprogramm des NDR statt. Erst nachdem sich im Netz eine rege Fangemeinde gebildet hatte, wurden die Folgen im Abendprogramm wiederholt — inzwischen hat die Serie den Grimme-Preis gewonnen. Vgl.: Mayer, Jens: „Serien aus Deutschland? – Wo ist das Problem?“ In: torrent, (02/2012), S. 32. 55 Siehe dazu auch den Bericht über vermutete Ungereimtheiten bei der Produktion der zweiten Staffel von Weissensee auf [vom 05.08.2013]. 56 Siehe: Graf, Dominik u. Johannes Sievert (Hrsg): Im Angesicht des Verbrechens. Die Entstehung einer deutschen Fernsehserie. Berlin 2010. 57 Noller, Ullrich: „Die Serie als Roman unserer Zeit“. [vom 22.01.2012]
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mit.‘ Der Verzicht auf die durcherzählte Geschichte, den Producerin Susanne Flor für die sechs neuen Folgen bestätigt – ‚ein komplex erzählter horizontaler Strang‘ sei ‚ein Risiko für den Erfolg der Serie‘ -, dürfte den Ausschlag gegeben haben.58
6. Eine andere Rezeptionskultur: Andere Länder, andere Erzähltraditionen Die zwei Fakten, dass es wenige deutsche Quality-TV-Serien gibt, die zudem kaum erfolgreich sind, lassen sich zum Teil auch historisch begründen. Der deutsche Fernsehzuschauer ist nicht mit Hill Street Blues aufgewachsen — die Serie, die mit als wichtigster Vorläufer des Quality-TV angesehen wird, wurde nach kurzer Zeit im deutschen Fernsehen abgesetzt und hat bisher keine DVD-Auswertung erhalten. 59 Die Sopranos wurden ebenfalls abgesetzt. Die noch vor The Sopranos von HBO produzierte Serie Oz wurde nie gesendet und ist bis jetzt noch nicht in Deutschland auf DVD erschienen; The Wire hat erst acht Jahre nach der TV-Ausstrahlung eine deutsche DVDVeröffentlichung erhalten — da wirkten die in der Serie gezeigte Überwachungstechnik, die Mode und teilweise sogar die dargestellten Probleme zum Teil schon sehr überholt. Auch der mittelmäßige Erfolg der Ausstrahlung von Quality-TV im Privatfernsehen unterstützt die These einer anderen deutschen Erzähltradition, denn die Serien laufen nicht wie im Original, sondern als ‚Mammutfilm‘: zwei (Homeland), drei (Walking Dead) oder sogar vier Folgen (Game of Thrones) werden aneinandergereiht an einem Abend ausgestrahlt — RTL2 sendet in einer Nacht eine komplette Staffel der Serie Californication. Auch die deutschen Koproduktionen wie Kommissarin Lund und Luther laufen als Doppelfolgen, zu deren Zwitterdasein sie aufgrund der deutschen Involvierung in die
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Produktion teilweise schon von Beginn an hin konzipiert sind.60 In Deutschland gibt es auch eine QualitätsSerien-Tradition — das ist aber vor allem eine Tradition der anspruchsvollen Mehrteiler und Mini-Serien wie Berlin Alexanderplatz (14 Teile, 1980), Kir Royal (6 Teile, 1986), Der große Bellheim (4 Teile, 1992), Der Schattenmann (5 Teile, 1996), Die Flucht (2 Teile, 2007), Gier (2 Teile, 2010), Der Turm (2 Teile, 2012) und Unsere Mütter, unsere Väter (3 Teile, 2013). — Das sind sehr ‚qualitative‘ (Mini-)Serien. Die anders oder nur gering vorhandene Erzähltradition des seriell-fortgesetzten Erzählens in Deutschland ließe sich sogar noch nachweisen, wenn man weiter in der Geschichte zurück geht: In Frankreich gibt es mit dem Feuilletonroman, mit Dumas, Sue, Balzac und später mit Fantômas, den Kinoserien und Comics eine lange Erzähltradition der Fortsetzungsserie. In England und den USA lassen sich ähnliche Beispiele nennen: die Fortsetzungsromane von Dickens, Wilkie Collins und Conan Doyle; die Kinoserien der 1930-1950er Jahre; die Figuren, die in unterschiedlichen Medien hauptsächlich fortgesetzte Abenteuer bestanden wie Dick Tracy, Lone Ranger, Flash Gordon; die Seifenopern und die fortgesetzt erzählten Comics. In Deutschland ist diese Erzähltradition wesentlich bruchstückhafter: Schiller und Goethe haben ihre seriellen Veröffentlichungen nicht vollendet, weder Der Geisterseher noch Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. Es gibt keinen deutschen Dickens, keinen deutschen Dumas — es gibt keinen berühmten Autor, der serielle Fortsetzungsnarration in Deutschland populär und als Unterhaltungsform zu Ansehen verholfen hat. Eigene Kinoserien sind eher die Ausnahme — ausländische wurden aufgrund der Kriege nur vereinzelt und häufig in anderer Länge importiert.61 Auch das Fortsetzungs-Comic, der Gro-
58 Denk, David: „Der Fluch der Schwiegermütter. In der neuen Krimiserie „Die Chefin“ trifft ein mutiger Autor auf ein ängstliches ZDF. Schrecken horizontale Erzählebenen wirklich die Zuschauer ab?“ [vom 24.2.2012]. 59 Auch einige andere Serien wie St. Elsewhere und L.A. Law, die Thompson als Beispiele für Quality-TV nennt und analysiert, wurden in Deutschland abgesetzt und nicht auf DVD veröffentlicht. 60 Wolfgang Feindt, mitverantwortlich für die ZDF-Koproduktionen, verrät im Interview mit der Zeitschrift torrent: „Wenn man etwas Fertiges einkaufen würde, würde man eben einen komischen Schnitt machen, um die 90 Minuten des Sendeplatzes zu füllen, aber hier ist es so, dass die Partner unsere Bedürfnisse kennen und im Vorfeld berücksichtigen.“ Kundic, Denis u. Feindt, Wolfgang: „So etwas muss man erst mal schreiben können“. In: torrent, 1/2013, S.46–47. 61 Siehe: Canjels, Rudmer: Distributing Silent Film Serials: Local Practices, Changing Forms, Cultural Transformation. New York 2011.
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schenroman und die Seifenoper62 haben in Deutschland eher eine Existenz im Untergrund geführt. Auch wenn diese Argumentation hier nur sehr verkürzt wiedergegeben werden kann, lässt sich zumindest aus den genannten Eckpunkten folgern: Wir haben in Deutschland keine so breite und populäre Erzähltradition des fortgesetzten seriellen Erzählens wie in England, Frankreich und den USA. Und wir werden sie auch nicht von heute auf morgen bekommen. 7. Fazit Der deutsche Zuschauer von Quality-TVSerien ist seit mehr als einem Jahrzehnt daran gewöhnt, seine Serien auf DVD zu schauen oder übers Internet zu beziehen. Daran wird eine eigenwillige Serie wie KDD mit drei kurzen Staffeln, die versteckt im Abendprogramm ausgestrahlt wurde, mit nur mäßig bekannten Charakterdarstellern besetzt ist und eine miserable DVD-Auswertung erhalten hat, nichts ändern. Quality-TV-Serien müssen sich auch im Ausland häufig erst ihr Publikum erkämpfen. Thompson führt als vierten Punkt seiner Kriterien für Quality-TV auf: 4. Desirable demographics notwithstanding, quality shows must often undergo a noble struggle against profit-mongering networks and nonappreciative audiences. […] Their futures often hang in the balance between network noblesse oblige (the renewing and promoting of a low-rated show) and network stupidity (scheduling it in a deadly time slot).63
Wenn sich schon US-amerikanische QualityTV-Serien häufig erst ihr Publikum suchen müssen, wie viel schwieriger ist es mit all den genannten Hindernissen für eine deutsche Quality-TV-Serie, wie viel länger muss dann eigentlich der Atem sein, um das Format im deutschen Fernsehen zu etablieren? Anscheinend sind zu wenige bei den deutschen Fernsehsendern bereit, einen „noble struggle“ für die deutsche Quality-TV-Serie durchzuhalten. Und wenn nach wie vor einige Quality-TV-
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Serien aus dem Ausland geringe Einschaltquoten erreichen, wieso sollten dann die Sender das Wagnis eingehen, auch noch eigene Quality-TV-Serien zu produzieren? Letztendlich hat der Zuschauer einen Teil der Macht — und bei zahlreichen QualityTV-Serien hat er sich nun mal gegen eine Rezeption im deutschen Free-TV entschieden. Vielleicht ist es schon zu spät und der Rezipient hat sich bereits zu sehr daran gewöhnt, vollständige Staffeln auf DVD zu schauen oder übers Internet zu beziehen. Immer wieder gibt es zahlreiche Meldungen über angedachte Quality-TV-Produktionen. Besonders die in Deutschland ansässige Produktionsfirma Beta Film koproduziert in letzter Zeit einige internationale Qualitätsserien wie Borgia und Copper (in die sich mit Franka Potente tatsächlich auch mal eine deutscher Star verirrt hat). Seit ungefähr zwei Jahren gibt es Gerüchte, dass HBO gerne mit einem deutschen Sender eine Serien-Koproduktion starten will und zwischendurch verdichteten sich die Hinweise, der deutsche Pay-TV-Sender Sky habe nun den Zuschlag bekommen.64 Auch von einer Art deutschem Breaking Bad,65 einem deutschen Homeland war die Rede66 – aber bisher ist es bei Plänen geblieben. Die Begründung für die wenigen QualityTV-Serien und den geringen Erfolg dieser Vertreter ist wie so häufig multikausal. Die wichtigsten acht Punkte für die deutsche ‚Quality-TV-Armut‘ lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Während die Emmys in den USA eine regelrechte ‚Währung‘ für Serien sind, scheint die Verleihung der deutschen Film- und Fernsehpreise für die Öffentlichkeit keine oder nur wenig Bedeutung zu haben. Den Preisen fehlt damit die Funktion, auf innovative Formate aufmerksam zu machen und dadurch ein größeres Publikum für die ausgezeichneten Serien zu generieren. 2. Insgesamt haben die Sender geringere Ein-
Vgl. Mielke, Christine: Zyklisch-serielle Narration: „Erzählten Erzählens“ von ‚1001 Nacht’ bis zur TV-Serie: Berlin 2006, S. 481–491. Thompson, Robert J.: Television's Second Golden Age. From Hill Street blues to ER. Syracuse, N.Y 1997, S. 14. 64 [vom 05.08.213]. 65 Hanfeld, Michael: „Wir machen Breaking Bad auf Deutsch“. Frankfurter Allgemeine Zeitung, (03.07.2013). [vom 05.08.2013]. 66 [vom 05.08.2013]. 62 63
Vincent Fröhlich: Spurensuche: Warum es die deutsche Quality-TV-Serie so schwer hat
nahmen als in den USA; die Produktionskosten sind jedoch vergleichbar hoch, wodurch die Herstellung von Quality-TV letztendlich ein größeres Risiko als in den USA bedeutet. 3. Es fehlt der Impetus von Kabel- und PayTV-Sendern für die Produktion eigener Serien, wie er in den USA zunächst von HBO ausging. 4. Im Vergleich mit ausländischen Produktionspraktiken gibt es zahlreiche Unterschiede. Vor allem das Fehlen eines Creators und eines Writer’s Lab erschweren eine ähnlich funktionierende, kreative und effiziente Serienproduktion. 5. Die Distributionspraktiken von deutschen Quality-TV-Serien sind bisher geprägt von Inkonsequenz und Unerfahrenheit – sowohl bei der Ausstrahlung als auch bei der DVDAuswertung. 6. Es gibt wenige geeignete Sendeplätze für Quality-TV-Serien, da zumindest von den öffentlich-rechtlichen Sendern seit Jahren vorwiegend ein älteres Publikum angesprochen wird. 7. Bisher gestaltet sich die Ausstrahlung von Quality-TV-Serien als unflexibel in Bezug auf das Sendeformat: Statt den häufig bei Quality-TV genutzten 60 Minuten Erzähl-
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zeit, wird selbst den deutschen Quality-TVSerien nur eine Erzählzeit von 45 Minuten eingeräumt. 8. Deutschland besitzt keine breite Erzähltradition der seriellen Fortsetzungsnarration; der Rezipient ist daher nicht so stark an über mehrere Folgen fortgesetzte Erzählstränge gewöhnt. Trotz der häufigen Klagen67 über die wenigen deutschen Quality-TV-Serien darf nicht vergessen werden, dass KDD immerhin aus drei Staffeln besteht. Im Grunde genommen stellt sich die Situation von Serien im Ausland wenig anders dar: Besonders anspruchsvolle Werke wie Carnivalé, Deadwood, Rome, Luck, die gewagteren Konzepte wie Hit and Miss, Sleeper Cell und Jericho werden genauso nach Kurzem abgesetzt wie der innovative Kriminaldauerdienst. Wir befinden uns also trotz allem in guter Gesellschaft. Vincent Fröhlich Der Autor studierte Komparatistik, Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Islamwissenschaft in Bonn und Bayreuth und promoviert zum Thema „Der Cliffhanger. Formen und Funktionen einer kultur- und medienübergreifenden Erzähltechnik“. Er ist Lehrbeauftragter an der Justus-Liebig-Universität in Gießen und dort Mitglied am GCSC (International Graduate Center for the Study of Culture).
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