Soukup, Barbara. 2014. Konstruktivismus trifft auf Methodik in der Spracheinstellungsforschung: Theorie, Daten, Fazit. In: Christina Cuonz and Rebekka Studler (eds.), Sprechen über Sprache: Perspektiven und neue Methoden der linguistischen Einstellungsforschung, 143-168. Tübingen: Stauffenburg.
Konstruktivismus trifft auf Methodik in der Spracheinstellungsforschung: Theorie, Daten, Fazit
1.
Einleitung
Das Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, eine ansatzübergreifende theoretischepistemologische Basis zu erarbeiten und auch anzuwenden, die es ermöglicht, Erklärungspotenzial und Ergebnisse verschiedener empirischer Methoden, die auf die Erhebung von Spracheinstellungen abzielen, ‚auf Augenhöhe‘ zu vergleichen. Im Folgenden wird zunächst die Notwendigkeit für solch ein Unterfangen erörtert. Die dargelegte Argumentationslinie wird dann in einem Vergleich von Spracheinstellungsdaten aus einer Methodentriade von Interview, SprecherInnen-Evaluierungsexperiment und natürlichem Sprachgebrauch umgesetzt. Zwei dementsprechende Datenserien werden analysiert – eine aus Österreich (zu Evaluierungen des österreichischen Dialekts und der Hochsprache) und eine aus dem Oman (zu Evaluierungen von Belutschi und Arabisch). Zum Schluss werden die Erkenntnisse aus dem Unterfangen sowie ihre Implikationen für die Spracheinstellungsforschung in einem ‚Fazit‘ noch einmal rekapituliert.
2.
Hintergrund: Spracheinstellungsforschung unter einer konstruktivistischen Epistemologie
Anstoß für die gegenwärtige Unternehmung, eine integrative theoretischepistemologische Basis zum Methodenvergleich in der Spracheinstellungsforschung zu erarbeiten, war die Diagnose, dass in diesem Bereich derzeit mancherorts ein Schisma propagiert wird, das die bereits klassische methodische Trennlinie zwischen quantitativ-psychometrischen und qualitativ-diskursanalytischen Ansätzen auch mit einer Spaltung in divergierende epistemologische Lager junktimiert. Konkret ist dieses Postulat in zwei vielzitierten Artikeln konstatierbar, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, unterschiedliche Zugänge in der Einstellungsforschung kritisch zu rezipieren, nämlich Hyrkstedt/Kalaja (1998) und Tophinke/Ziegler (2006). In beiden Beiträgen wird die quantitative Tradition der Spracheinstellungsforschung anhand von matched guise-Experimenten (nach Lambert et al. 1960) typisiert, in denen SprecherInnenevaluierungen mittels Wertungsskalen (z.B. semantischen Differenzialskalen – Osgood et al. 1957) elizitiert werden. Und in beiden Beiträgen wird davon ausgegangen, dass solche Experimente gleichsam intrinsisch mit einer positivistischen Epistemologie verknüpft seien, die Spracheinstellungen als „statische und kontextunabhängige psychische Einstellungen“ bzw. „Verhaltensdispositive“ begreift
Barbara Soukup
(Tophinke/Ziegler 2006: 216, 221), welche dann experimentell ‚entdeckt‘ werden könnten. Dem gegenüber gestellt wird dann ein konstruktivistischer Ansatz, der Spracheinstellungsäußerungen als situationsbedingt konzipiert: „Einstellungsäußerungen ergeben sich an einer bestimmten Stelle im dynamischen Geschehen der sprachlichen Interaktion, sind in ihrer Genese an diesen Kontext gebunden und selbst konstitutives Element dieses Kontextes“ (Tophinke/Ziegler 2006: 215).1 Sowohl für Tophinke/Ziegler (2006) als auch für Hyrkstedt/Kalaja (1998) folgt aus dieser Gegenüberstellung, dass einzig diskursanalytische (qualitative) Methoden einer konstruktivistischen Auffassung von Spracheinstellungen Rechnung tragen können: „experimentation with the matched-guise technique […] should be giving way to discourse-analytic studies of language attitudes“ (Hyrkstedt/Kalaja 1998: 348). Das Postulat des eben beschriebenen epistemologisch-methodischen Schismas in der Spracheinstellungsforschung (quantitativ-positivistisch vs. qualitativkonstruktivistisch) stellt insofern ein signifikantes Problem dar, als solch eine Entwicklung einem an Einfluss gewinnenden Desiderat nach mixed-methods und interdisziplinärer Forschung in der angewandten Sprachwissenschaft diametral entgegengesetzt ist, welches ein strenges ‚qual-quan‘-Lagerdenken vor allem im Interesse der eklektischen Triangulation von Erkenntnissen eigentlich aufzulösen sucht (siehe Dörnyei 2007; vgl. dazu auch Studler in diesem Band). Tatsächlich scheint es aber schwer, quantitative (experimentelle) und qualitative (diskursanalytische) Methoden der Einstellungsforschung zu vereinbaren, oder auch nur objektiv in ihrem Erkenntnispotenzial zu vergleichen und auf diese Weise Komplementaritäten zu bestimmen, wenn man annimmt, dass sich beide Seiten aus fundamental gegensätzlichen Perspektiven auf einen somit gänzlich unterschiedlich konzipierten Forschungsgegenstand beziehen. An diesem Punkt ist nun allerdings festzuhalten, dass allein die Tatsache, dass die quantitative Spracheinstellungsforschung sich bisher großteils an den Modellen, Theorien und Terminologien des positivistisch ausgerichteten Zweiges der Sozialpsychologie orientiert hat, noch keinen Grund dafür ergibt, dass man sie nicht auch konstruktivistisch konzeptualisieren könnte. Mit anderen Worten (um ein zugegeben abgedroschenes Sprichwort zu bemühen), man muss meines Erachtens nicht das methodologische Kind mit dem epistemologischen Bade ausschütten. Die Notwendigkeit eines insbesondere von Tophinke/Ziegler (2006) verlangten Paradigmenwechsels, „der die Spracheinstellung nicht nur als Explanans für Sprachverhalten betrachtet, sondern als Explanandum sui generis begreift“ (2006: 221) – also nicht (mehr) als statisches Verhaltensdispositiv, sondern als kontextbedingtes, interaktionsgestaltetes/-gestaltendes Konstrukt – sei hier in Anbetracht der generell erfolgten Abwendung vom Positivismus zugunsten des Konstruktivismus in den Sozial- und Geisteswissenschaften (siehe auch Scollon 2003, Mallon 2007) und dem damit einhergegangenen Erkenntnisge-
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Wie von Arendt (2011) diskutiert, unterscheiden Tophinke/Ziegler (2006) dabei terminologisch nicht dezidiert zwischen ‚Einstellungen‘ und ‚Einstellungsäußerungen‘. Dieser Aspekt wird im Folgenden noch speziell aufgegriffen.
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winn über den dialogischen, interaktiven, kontextspezifischen, bricolage-artigen und emergenten Charakter menschlicher Kommunikation (Bakhtin 1986 [1952-53], Garfinkel 1967, Goffman 1959, 1981, Gumperz 1982) unangezweifelt. Und tatsächlich erscheint es auch logisch, auf qualitative Ansätze, speziell auf die (interaktionelle) Diskursanalyse, zu rekurrieren, wenn man annimmt, dass (Sprach)einstellungsäußerungen nicht das Oberflächensymptom von latenten, deterministischen, positivistisch ‚zu entdeckenden‘ mentalen Dispositionen sind, sondern in ihrer lokal-konkreten Ausformung erst zum Zweck der Sinnherstellung in laufender Interaktion (also im Diskurs) konstruiert werden. Gleichzeitig gibt es aber keine zwingende Logik, nach der es die Prärogative einzig von typischerweise in der qualitativen Forschung bevorzugten Daten (z.B. Interviews, ‚natürlichen‘ Diskussionen, Medientexten) ist, Erscheinungsorte der Einstellungskonstruktion zu sein. Geht man nach der Vielseitigkeit und Wichtigkeit der Funktionen, die Einstellungen im sozialen Leben einnehmen,2 stellen Interviews, Diskussionen und Medientexte schließlich nur drei eines wohl offenen Sets möglicher Formen der kommunikativen Interaktion (des Diskurses) dar, in denen ihre Äußerung eine Rolle spielen kann. Gemäß Erving Goffman, dessen soziologische Arbeiten ja eine zentrale Grundlage für konstruktivistische Zugänge zur Diskursanalyse bilden (siehe z.B. Schiffrin 1994; im Kontext der Einstellungsforschung siehe hierzu auch Arendt 2011), kann der Begriff ‚Interaktion‘ umschrieben werden als „the reciprocal influence of individuals upon one another’s actions when in one another’s immediate physical presence” (Goffman 1959: 15).3 Dieser sehr breit gefassten Definition entsprechend ist es möglich, auch quantitative SprecherInnen-Evaluierungsexperimente als eine Form von Interaktion zu betrachten, und zwar eben als eine solche, in der die Einstellungskonstruktion eine zentrale Rolle einnimmt. Demnach werden dort zwar keine tiefsten, innersten Einstellungsgrößen von Gewährspersonen ans Licht gezerrt, sondern es werden, ebenso wie in einem Interview oder anderen Gespräch, InformantInnen dazu veranlasst, im Interesse der kommunikativen Kooperation (nämlich der Teilnahme am Experiment) auswertbare, lokal-kontextuell situierte Sprachevaluierungen zu tätigen. Dies geschieht in Interaktion mit den Aufgabestellenden (ForscherInnen) und den zu evaluierenden SprecherInnen (wenngleich diese normalerweise nur in Form von Tonaufnahmen ‚anwesend‘ sind). Im konkreten Fall einer typischen matched guise-Studie stellen also auch die mittels einer semantischen Differenzialskala abgegebenen Beurteilungen von mehreren SprecherInnen (bzw. Aufnahmen) interaktionelle – in der Kommunikationssituation ‚wissenschaftliches Experiment‘ zum Zweck der aufga2 3
Für einen Überblick siehe z.B. Kruglanski/Stroebe (2005). Wobei die Entlehnung des Konzepts der Interaktion aus der Chemie und sein metaphorischer Gebrauch in der Soziologie ursprünglich Georg Simmel zu verdanken sind (siehe Riley 2010, mit Bezug auf Simmel 1908). Geschriebene Texte können insofern als Interaktionen verstanden werden, als sie, zwar zeitlich und räumlich versetzt, auch einen wechselseitigen, aufeinander bezogenen und einander gegenseitig beeinflussenden Dialog von AutorIn und LeserIn darstellen (siehe Bakhtin 1986 [1952-53], siehe weiterführend auch Scollon 1998, Widdowson 2004).
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benbezogenen Sinnherstellung generierte – Einstellungsäußerungen dar. Die Tatsache an sich, dass diese Äußerungen mittels experimenteller Manipulation evoziert wurden, tut ihrem Erkenntniswert und ihrer Validität noch keinen Abbruch, solange dies in Analyse und Exegese entsprechend berücksichtigt wird. Auf diese Weise lässt sich nun eine gemeinsame epistemologische (konstruktivistische) Basis für qualitative und quantitative Spracheinstellungsstudien argumentieren: Konversationelle (z.B. in einem Interview getätigte) Einstellungsäußerungen und solche, die im Zuge eines SprecherInnen-Evaluierungsexperiments erstellt werden, gleichen einander als Momente der interaktionellen Evaluierungskonstruktion, die dementsprechend in ihrer Ausformung kontextspezifisch und letztlich einer diskursanalytischen Auswertung zugänglich sind. Was in der gegenwärtigen Argumentation bisher allerdings noch umschifft wurde, jedoch im Interesse der Gründlichkeit in Angriff genommen werden muss, ist die Frage, ob und wie eine konstruktivistische Perspektive eigentlich im Rahmen von Evaluierungskonstruktionen zwischen ‚Einstellungsäußerung‘ und ‚Einstellung‘ unterscheidet. Arendt (2011: 137) moniert meines Erachtens zu Recht, dass in der Diskussion um diskursanalytische Einstellungsforschung (z.B. in Hyrkstedt/Kalaja 1998, Tophinke/Ziegler 2006 sowie auch Liebscher/Dailey-O’Cain 2009) „die Relation zwischen der Spracheinstellungsäußerung im jeweiligen Kontext und der Spracheinstellung selbst“ zu wenig ausdifferenziert wird, und es „nicht ausreichend geklärt ist, ob und wie aus den Äußerungen auf die Einstellungen zu schließen ist oder ob die Begriffe synonym gebraucht werden“. Im Hinblick auf theoretische Kohärenz scheint es dabei aber keine zufriedenstellende Lösung zu sein, so wie Arendt (2011: 137) eine terminologische Abgrenzung dahingehend zu ziehen, dass Einstellungsäußerungen als ‚prozessual, interaktiv und kontextsensitiv‘, und somit gemäß einer konstruktivistischen Epistemologie, charakterisiert werden, dann aber wieder auf einen positivistisch reifizierenden Begriff von ‚Einstellungen‘ im Sinne von grundlegenden, statischen, mentalen Verhaltensdispositionen zu rekurrieren, welche im Äußerungsprozess (vielleicht auch nur teilweise) situationsspezifisch aktiviert würden. Vielmehr erscheint es mir notwendig, sowohl die ‚Einstellungsäußerung‘ als auch die ‚Einstellung‘ als Forschungsobjekte konzeptuell unter einen gemeinsamen (konstruktivistischen) ‚Hut‘ zu bringen. Die Crux des Problems besteht wohl darin, dass in der diskursanalytischen Einstellungsforschung einerseits die Einstellungsäußerung als Prozess der evaluative practice konzipiert und somit deren inhärente diskursive, pro-aktive „Handlungsqualität“ (Tophinke/Ziegler 2006: 210) herausgestrichen wird (die Grundlage dafür entstammt der Sichtweise Potters z.B. 1998, ursprünglich auch Potter/Wetherell 1987); andererseits stellen aber auch wiederkehrende Ausformungen der Einstellungsäußerung, welche über einzelne Evaluierungshandlungen gleicher und verschiedener Individuen (auch in verschiedenen Situationen) hinweg identifizierbar und generalisierbar sind, einen zentralen Forschungsfokus dar. Tophinke/Ziegler (2006), zum Beispiel, beschreiben solche wiederkehrenden Einstellungskonstrukte in der Tat eher objekt- als prozesshaft, als „gesellschaftlich präfigurierte Sinnstrukturen“ (2006: 206) oder
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„Elemente sozialer Semantik“ (2006: 207), die, so sie sich „in der Interaktion bewähren“, forthin zum „Bestandteil des sozialen Wissens“ werden (2006: 211). Ähnlich wie in der Quantenphysik scheint sich hier also ein Dualismus herausgebildet zu haben: Einstellungskonstruktionen können gleichzeitig interaktionelle Handlungen und soziokognitive Gebilde sein. Wie ist damit theoretisch und terminologisch kohärent umzugehen? Meines Erachtens kann Scollons (2003) Konzept der Human Epistemological Constructs (HECs) dazu einen hilfreichen Impuls liefern. Das Konzept ergibt sich aus der Logik und Perspektive eines ‚kritischen Realismus‘ (critical realism), welchen Scollon, ausgehend von der Arbeit Bhaskars (z.B. 1989, 1991, 1997), und unter Einbezug Korzybskis berühmten Diktums „The map is not the territory“ (siehe u.a. Korzybski 1994 [1931]), sukzinkt als eine Art wissensphilosophische Kompromissposition beschreibt, die eine realistische Ontologie mit einer konstruktivistischen Epistemologie verknüpft (Scollon 2003: 78). Demnach gibt es sehr wohl eine reale, ‚nichtkonstruierte‘ Welt (ein territory); gleichzeitig erfolgt aber das Erfassen und Beschreiben dieser Welt durch den menschlichen Geist immer auf Basis und in Form einer selektiven Repräsentation (eben in Form eines Orientierungsplans oder map, bzw., in anderen Worten, der genannten HECs). Das Repräsentans ist also nicht mit dem Repräsentandum gleichzusetzen. Zur Illustration sei in Analogie die Straßenkarte angeführt, die zum Zweck der Navigation erstellt wurde und dementsprechend die markanten Punkte (Straßennamen, Verlauf, Kreuzungen, Entfernungen etc.) wiedergibt, aber eben kein getreues und allumfassendes Abbild der territorialen Gegebenheiten darstellt – was auch unmöglich (und letztendlich nicht zweckgemäß) wäre. Nachdem sich die Geistes- und Sozialwissenschaften, darunter die Einstellungsforschung, mit der menschlichen Erfahrung (dem Erleben) beschäftigen, ist es ihre Zielsetzung, diese maps zu beschreiben (im Unterschied zu den Naturwissenschaften, die das territory selbst im Fokus haben). Mit anderen Worten, es werden in den Geistesund Sozialwissenschaften „maps of maps“ erstellt (Scollon 2003: 79) – oder „ways of knowing ways of knowing the world“ (2003: 80). Dies macht eine konstruktivistische Epistemologie notwendig, um die „ontological fallacy – the idea that the world is the same as our description of it“ zu vermeiden (Scollon 2003: 77). (Gleichzeitig wäre es aber auch eine „epistemological fallacy“ anzunehmen „that the world is nothing but our descriptions of it“ – ibid., mit Verweis auf Bhaskar 1989, 1991, 1997). Das Konzept der HECs umfasst nach Scollon „languages, mathematical characterizations, photographs, road maps, cultures, semiotic codes“ (2003: 78), oder in anderen Worten, Diskurse (2003: 79), und zwar im Sinne von Gees (1999) big-D Discourses: that is, different ways in which we humans integrate language with non-language ‚stuff,‘ such as different ways of thinking, acting, interacting, valuing, feeling, believing, and using symbols, tools and objects in the right places and at the right times so as to enact and recognize different identities and activities, give the material world certain meanings, distribute social goods in a certain way, make certain sorts of meaningful connections in our ex-
Barbara Soukup perience, and privilege certain symbol systems and ways of knowing over others (Gee 1999: 13).4
Situations- und individuenübergreifende sprachevaluierende Konstrukte können nun also auch als HECs (maps, big-D-Diskurse) konzipiert werden: als Orientierungshilfen, Bezugspunkte, und Ordnungsstrukturen, die wir Menschen im Laufe der Auffassung und Exegese unserer Umgebung zur Generierung und Vermittlung von Bedeutung (hier konkret: zur Bewertung von Sprache und SprecherInnen) erlernen, erstellen, verwenden, und anpassen. Nach den Erkenntnissen Vygotskys (z.B. 1978) erfolgt dieses Erlernen und Adaptieren im Rahmen sozialer Interaktion, also in direkter Beziehung zu lokal-situierter Einstellungskonstruktion – jetzt im Sinne von evaluative practice (Handlung). Situations- und individuenübergreifend kann sich dann eine inhaltliche und/oder ablaufbezogene Kontinuität, aber auch (Re-)Adaptierung, durch Mechanismen und Prozesse der Intertextualität (nach Bakhtin z.B. 1986 [1952-53])5 ergeben. Becker (1995: 9) beschreibt diesen Prozess unter Gebrauch seines interaktionell-diskursanalytisches Konzepts des languaging als „taking old texts6 from memory and reshaping them into present contexts“, was inhärent „shaping, storing, retrieving, and communicating knowledge“ kombiniert, in einem fortlaufenden Zyklus. Kurz zusammengefasst kann also der Dualismus von Einstellungs(äußerung)en als Handlung und als Gebilde dahingehend aufgelöst werden, dass in lokal-konkreten Momenten der interaktionellen Evaluierungshandlung diskursive, sprachbezogene (z.B. evaluative) maps (HECs) ausgewählt, angewandt, aber auch weiterentwickelt werden. Diese Momente können selbst wiederum als HECs gespeichert (‚sedimentiert‘ – Scollon/Scollon 2004: Kap.2) und zum „Bestandteil des sozialen Wissens“ (Tophinke/Ziegler 2006: 211; siehe auch weiter oben) werden, das in folgenden Interaktionen erneut in den diskursiven Zyklus einfließen kann. Die vorgeschlagene Nutzbarmachung des Konzepts der HECs bewirkt meines Erachtens eine notwendige terminologische und theoretische Schärfung der Argumentationslinie der diskursanalytischen Spracheinstellungsforschung, die zwei zentrale Vorteile mit sich bringt. Erstens hilft sie zu klären, wie sich die Beziehung zwischen Einstellungskonstruktion als prozessuale Handlung und als wiederkehrendes Muster 4
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Gee grenzt dabei „big-D Discourses“ von „little-d discourses“ ab, wobei letztere sich auf konkrete Äußerungen, also „language-in-use“ beziehen (Gee 1999: 6-7). Siehe parallel dazu auch Blommaerts (2005: 3) Definition: „Discourse […] comprises all forms of meaningful semiotic human activity seen in connection with social, cultural, and historical patterns and developments of use“. „[A]ny speaker is a respondent to a greater or lesser degree. He [sic!] is not, after all, the first speaker, the one who disturbs the eternal silence of the universe. And he presupposes not only the existence of the language system he is using, but also the existence of the preceding utterances – his own and others’ – with which his given utterance enters into one kind of relation or another (builds on them, polemicizes with them, or simply presumes that they are already known to the listener). Any utterance is a link in a very complexly organized chain of other utterances” (Bakhtin 1986 [1952-53]: 69). Laut Fairclough (1992) geht der Begriff Intertextualität allerdings erst auf Kristevas Erörterungen zu Bakhtins Werk zurück (siehe z.B. Kristeva 1986 [1966]). Wobei ich hier texts eben durch HECs oder big-D-Diskurse ersetzen würde.
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gestaltet (wie soeben dargelegt). In diesem Zusammenhang bietet sie auch endlich eine Möglichkeit, unter einem umfassenden Dachbegriff (HEC) eine ganze Bandbreite an sprachbezogenen sozialen Wissensmustern zu subsummieren, die in der Forschung als für Einstellungsäußerungen relevant aufgezeigt wurden, aber deren Generalisierungspotenzial bisher aufgegangen ist in einem fast unüberschaubaren Wust an disparat verwendeten Termini, deren Abgrenzung und Definition immer wieder Probleme bereitet haben – nämlich u.a. ‚Einstellungen‘, ‚Stereotype‘, ‚laienlinguistisches Wissen‘, ‚Ideologien‘; auf Englisch auch z.B. (language) prejudices, beliefs, values, opinions (siehe Garrett 2010 zu einer versuchten Auseinanderdeutung mancher dieser Begriffe).7 Mittels der Sammelbezeichnung als HECs lässt sich eine, im wahrsten Sinne des Wortes, wesentliche Gemeinsamkeit dieser Konzepte, nämlich ihr Wesen als ‚sedimentiertes‘ sprachbezogenes soziales Wissen, erfassen. In Folge können dann z.B. sprachbezogene Stereotype, Ideologien und Vorurteile als unterschiedliche Arten oder Kategorien von HECs typisiert werden – was allerdings noch zukünftiger weiterer Erwägungen und Ausführungen, weit über den Rahmen dieser ersten Darlegung hinaus, bedarf. Als zweiter und für den gegenwärtigen Beitrag fortan maßgeblicher Vorteil kann der Ansatz nun eben auch für einen stringenten Methodenvergleich nutzbar gemacht werden. Eine ‚dauerbrennende‘ Fragestellung in der Spracheinstellungsforschung, die dieser Vergleich aufgreifen soll, ist ja, wie es zu den immer wieder festgestellten Inkonsistenzen zwischen in Gesprächsaufzeichnungen versus in SprecherInnenEvaluierungsexperimenten elizitierten Spracheinstellungskonstruktionen kommt. Wie eingangs angeschnitten, wurden die Gründe für diese Inkonsistenzen bisher oftmals dem postulierten epistemologischen Schisma in die Schuhe geschoben. Es ist nun zu prüfen, inwieweit die Auflösung dieses Schismas in meiner Argumentation tatsächlich, wie von mir behauptet, einen Methodenvergleich ‚auf Augenhöhe‘ ermöglicht. Wenn man das, was man zwischen den Methoden vergleicht (nämlich die Evaluierungshandlung und die darin herangezogenen HECs) auf gleicher Basis präzisiert und aneinander ausrichtet (also faktisch die Variablen ‚Art der Evaluierungshandlung‘ und ‚Art des HEC‘ kontrolliert), müsste sich feststellen lassen, ob die Methoden immer noch unterschiedliche Ergebnisse liefern, und somit weitere Unbekannte eine 7
Tatsächlich scheinen sich die positivistische und konstruktivistische Sozialpsychologie immer noch einig zu sein, dass sich die Einstellungsforschung im Grunde mit „evaluation in the sense of the goodness versus badness of entities“ (Eagly/Chaiken 2005: 743) beschäftigt. Hier hat sich allerdings meines Erachtens über die Jahre ein Problem mangelnder Etikettentreue ergeben, weil unter dem Sammelbegriff ‚Einstellungsforschung‘ laufend die genannte Reihe von Konzepten zur Anwendung kommt, von denen aber viele nicht zwingend mit einer bestimmten Valenz (goodness oder badness) verbunden sind. Als Beispiel sei ein augenscheinlich ‚negatives‘, in den USA weit verbreitetes HEC angeführt, das einen Südstaatenakzent mit geringer Bildung und Intelligenz assoziiert (Soukup 2001). Dieser Akzent kann jedoch speziell von Frauen für einen persönlichen Vorteil benützt werden, nämlich dann, wenn er in Verkaufsgesprächen mit KundInnen zu dem positiven Eindruck beiträgt, dass keine trickreiche Überlistung zu erwarten ist (Soukup 2011a). Auch aus diesem Grund plädiere ich hier für Scollons ‚neutralere‘ Terminologie – um auszudrücken, dass nicht alle HECs, die zur Evaluierung herangezogen werden, schon inhärent eine positive/negative Valenz besitzen.
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Rolle spielen, oder ob die Ergebnisse einander ähneln und eine Kompatibilität herauslesbar ist, die hinkünftig eine gegenseitige Befruchtung und interdisziplinäre Triangulation von zu erforschenden Phänomenen ermöglicht. Nach dieser Logik wird im Folgenden meine bisher präsentierte Argumentation einer ersten Anwendungsprobe unterzogen. Dazu werden drei unterschiedliche Methoden der Erhebung von Spracheinstellungskonstruktionen auf einen gemeinsamen Nenner gebracht – einerseits bezüglich ähnlicher Arten von Evaluierungshandlungen, die in den jeweiligen Elizitierungsinteraktionen getätigt wurden, und andererseits bezüglich ähnlich gearteter sprach- bzw. sprecherInnenbezogener HECs, die in den generierten Daten vorkommen. Die Erprobung wird auf Basis von zwei Datenserien erstellt – einer aus Österreich und einer aus dem Oman. Diese bestehen jeweils aus drei verschiedenen Interaktionssituationen, in denen Einstellungsäußerungen eine zentrale Rolle spielen: einem direkten Interview mit ‚Sprechen über Sprache‘ (in der Formulierung des vorliegenden Bandes), einem SprecherInnenEvaluierungsexperiment (unter Verwendung von Varianten der matched guiseTechnik) sowie einer ‚natürlichen‘ Konversation. Die konkrete Evaluierungshandlung, die in den jeweils drei Interaktionssituationen analog beleuchtet werden soll, ist eine evaluierende Form des positioning nach van Langenhove/Harré (1999: 17) – „the assignment of fluid ‘parts’ or ‘roles’ […] that make a person’s actions intelligible and relatively determinate as social acts.“ Eine Positionierung ist demnach „a metaphorical concept through which a person's ‘moral’ and personal attributes as a speaker are compendiously collected” (ibid.). Ein zentrales Heuristikum der Positioning Theory ist die Unterscheidung von self-positioning (Selbstpositionierung) und other-positioning (Fremdpositionierung), wobei es sich hier um einen Fokus und nicht um eine Dichotomie handelt, da die beiden Arten der Positionierung inhärent miteinander verknüpft sind („within a conversation each of the participants always positions the other while simultaneously positioning him or herself“ – van Langenhove/Harré 1999: 22). Positionierung erfolgt nach van Langenhove/Harré (1999) mit Referenz auf storylines, was man meines Erachtens wiederum als ‚HECs‘ oder ‚Diskurse‘ auslegen und dahingehend argumentieren kann, dass diese in der Positionierungshandlung als maps (Orientierungen oder Referenzen) fungieren. Eine konkrete Art oder Kategorie von HECs, die so herangezogen werden können, sind Stereotype – also solche HECs, die „sozial geteiltes Wissen über die charakteristischen Merkmale von Angehörigen sozialer Kategorien“ (Eckes 2008: 97, nach Stangor/Schaller 1996), beziehungsweise, etwas relativierter definiert, „Überzeugungen über Mitglieder einer sozialen Gruppe“ oder „Assoziationen einer Reihe von Merkmalen mit einer Kategorie“ (Petersen/Six 2008: 21) beinhalten. Die Anwendungserprobung im Folgenden fokussiert nun, als einen gemeinsamen Nenner, speziell solche stereotypen HECs, die in Positionierungshandlungen der Sprach- oder SprecherInnenevaluierung in den genannten verschiedenen Interaktions-
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situationen vorkommen.8 Wie bereits erwähnt bezieht sich der erwartete Erkenntnisgewinn darauf, festzustellen, ob sich die elizitierten HECs inhaltlich unterscheiden, wenn sie sowohl in ihrer Art analog sind und auch die Art der Evaluierungshandlung, in der sie herangezogen werden, dieselbe ist; oder ob unterschiedliche Methoden tatsächlich einfach unterschiedliche Ergebnisse bringen, und somit die Strategie, ihnen eine gemeinsame Epistemologie zugrunde zu legen, wider meines Erwartens doch keine neuen Einsichten ermöglicht.
3.
Datenserie 1: Spracheinstellungen zu Dialekt und Hochsprache in Österreich
Das erste Element der österreichischen Datenserie, das direkte Interview (Sprechen über Sprache), umfasst 19 Gruppen- oder Einzel-Interviews mit insgesamt 42 InformantInnen aus dem mittelbairisch-österreichischen Sprachraum (26 aus Oberösterreich, elf aus Niederösterreich, fünf aus Wien). Zum Zeitpunkt der Interviews (2005) waren 27 der InformantInnen zwischen 20 und 35 Jahre alt und 15 zwischen 50 und 70 Jahre alt. Die Interviews waren in Struktur und Ablauf sehr frei gehalten und somit unterschiedlich, fanden jedoch alle im Anschluss an einen speech perception elicitation test (siehe Soukup 2011b) statt, der sich mit der perzeptuellen Unterscheidung von mittelbairisch-österreichischem Dialekt und österreichischer Hochsprache beschäftigte, und beinhalteten als gemeinsamen Ankerpunkt die Frage, welche Assoziationen die InformantInnen mit österreichischem Dialekt und Hochsprache verbinden. Diese Frage zielte also sehr direkt auf die Erhebung von allgemeinen Bewertungen und sozialer Bedeutung der beiden Varietäten beziehungsweise des gesamten Varietätenspektrums im österreichisch-deutschen Sprachgebrauch ab. Das folgende Exzerpt 1 ist nun ein Beispiel für die Anwendung von stereotypen HECs im interaktionellen Kontext der Fremdpositionierung, wie sie im Rahmen der Interviews auftrat. Das Interview fand in Linz (Oberösterreich) statt; die Beteiligten sind alle Oberösterreicherinnen etwa gleichen Alters (damals ca. 30 Jahre).9 Exzerpt 1 (Interview) Barbara: Was fällt dir ein? Was denkst du dir wenn wer Mundart redet? Dialekt redet? Doris: Dann redet er einfach so wie er redet. Dann verstellt er sich nicht irgendwie und ist kein Schauspieler sondern ist der – der meint es meistens ehrlicher als irgendein Mords8
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Die HEC-Art der Stereotype wurde dabei ausgewählt, weil „sozial geteiltes Wissen über die charakteristischen Merkmale von Angehörigen sozialer Kategorien“ (Eckes 2008: 97) ebenso gut und sowohl mittels qualitativen als auch quantitativen Methoden elizitiert werden kann. Tatsächlich stellt es ja einen Vorwurf der qualitativen an die quantitative Einstellungsforschung dar, dass letztere aufgrund der Anwendung statistischer Mittelungsmethoden nur stereotypes soziales Wissen (ohne individuelle Differenzierung) zu eruieren vermag (siehe z.B. Potter/Wetherell 1987, Hyrkstedt/Kalaja 1998). Im Interesse der Anonymisierung wurden die Namen aller Beteiligten (außer der Autorin) geändert. Das Gespräch fand ursprünglich im mittelbairisch-österreichischen Dialekt statt und ist hier annähernd in österreichische Schriftsprache ‚übersetzt‘.
Barbara Soukup gescheiter, der da daher redet und dir eigentlich mitten ins Gesicht lügt. Und dich anlügt dabei. Hanna: Ich glaube ich bin eingebildet. Weil wenn wer recht Rohrbacherisch [ländlichen oberösterreichischen Dialekt] redet, dann denke ich mir: blöder Bauer und ich bin aus der Stadt. Ja das ist so. Ich bin da echt komisch. Doris: Schon? Hanna: Mhm. Wenn da recht ein tiefer – Barbara: Tief denkst du dann oder wie? Hanna: Na, ist ein Bauer. Barbara: Aha. Hanna: Und mit Bauer, das ist fast ein bisschen abwertend. Barbara: Na, so wie du das jetzt gesagt hast ja. Mit dem Gesichtsausdruck und so. [allgemeines Gelächter] Hanna: Und wenn jetzt wer recht extrem das redet, dann denke ich mir das so. Und eigentlich ist das ein bisschen unfair, weil das stimmt ja nicht. Weil weder bin ich was Besseres, noch er als Bauer was Schlechteres. Aber so im ersten Moment denke ich mir das. […] So wenn so die, die jungen Buben da so in die Stadt herunter fahren und fortgehen. Weißt du, was ich meine? Und dann rennen sie durch die Stadt /wəwəwə/ [unbestimmte Laute]. Denk ich, ma, Bauernbuben. Und das ist sicher nicht positiv gemeint. […] Ich weiß nicht. Vielleicht ist das auch weil ich so überhaupt nicht am Land wohnen will? Weil ich glaube ja nicht, dass sie dumm sind.
Die Interviewfrage, die diese Sequenz einleitet, zielt letztlich auf eine Einstellungsäußerung zu DialektsprecherInnen in Form einer Fremdpositionierung ab („Was denkst du dir wenn wer Mundart redet? Dialekt redet?“). Doris positioniert den angesprochenen hypothetischen Dialektsprecher als ‚ehrlicher‘ und ‚unverstellter‘ als ein „Mordsgescheiter“, womit (wie aus dem weiteren Interviewkontext zu schließen ist) ein Hochsprachesprecher gemeint ist. Die Evaluierung (positiv für den Dialektsprecher, negativ für den Hochsprachesprecher) ergibt sich inhaltlich aus dem Gegensatz zwischen ‚Ehrlichkeit‘ und ‚Lüge (mitten ins Gesicht)‘. Im Unterschied dazu konstruiert Hanna in Exzerpt 1 den Sprecher eines dezidiert ländlichen Dialekts als ‚blöden Bauer‘; sie fügt auch selbst die Evaluierung an, dass dies „fast ein bisschen abwertend“ und „sicher nicht positiv“ gemeint sei. Durch die Nachahmung der vermeintlichen ‚Bauernbuben‘ mit unbestimmten ‚Urlauten‘ (/wəwəwə/) suggeriert sie zusätzlich, dass sie diese eigentlich eher als ‚tiefe‘ Primitivlinge positioniert (auch wenn sie später anfügt, „ich glaube ja nicht, dass sie dumm sind“). Zwei konkrete HECs, die in dieser Sequenz im ‚Sprechen über Sprache‘ und den damit einhergehenden Fremdpositionierungen verwendet werden (und die auch in anderen Interviews der Serie wiederkehrten), sind also die des ‚ehrlichen‘ aber auch des ‚bauernhaften‘ (im Sinne von ‚primitiven‘) Dialektsprechers. Dass diese HECs in ihrer Art Stereotype darstellen, ergibt sich aus der Fragestellung insofern, als die zu beurteilende ‚Person‘ ein rein hypothetischer, unbestimmter Dialektsprecher ist, der durch seine soziale Kategorie und nicht seine Individualität bestimmt ist.
Konstruktivismus trifft auf Methodik
Die Testfrage, die sich ergibt, ist nun: liefern auch andere Methoden, wenn sie in vergleichbarem Handlungskontext der Einstellungserhebung (also im evaluativen Fremdpositionieren) auf dieselbe Art von HECs (Stereotype) abzielen, inhaltlich die gleichen Ergebnisse, oder nicht? Zum Vergleich wird jetzt das zweite Element der österreichischen Datenserie angefügt, das, wie bereits eingangs erwähnt, aus einem Experiment zur SprecherInnenevaluierung besteht. Dieses Experiment wurde im Frühjahr 2012 durchgeführt und beruht auf der open guise-Technik (siehe Soukup 2013). Das Besondere des Designs besteht darin, dass den InformantInnen explizit (‚offen‘) mitgeteilt wird, dass sie dieselben SprecherInnen in zwei (allerdings unspezifiziert) verschiedenen Varianten zu hören bekommen werden (im Unterschied zum Original-Protokoll der matched guise-Technik, nach dem die InformantInnen möglichst im Unwissen darüber gehalten werden, dass SprecherInnen im Verlauf wiederkehren). Am besagten Experiment nahmen insgesamt 123 österreichische Universitätsstudierende als InformantInnen teil (76% bzw. n=94 davon weiblich; Altersgruppe 18-30 mit Durchschnitt 21,2). Die InformantInnen stammen mehrheitlich aus dem mittelbairisch-österreichischen Sprachraum (zu rund 75%). Ihre Aufgabe war es, jeweils zwei Aufnahmen von drei SprecherInnen bezüglich in einem Fragebogen vorgegebenen semantischen Differenzialskalen mit fünf Abstufungen einzuschätzen. Die Skalen enthielten die folgenden 22 Eigenschaftspaare: sympathisch gebildet vertrauenswürdig höflich intelligent freundlich ehrlich selbstbewusst kompetent fleißig natürlich viel Sinn für Humor schlau emotional locker ernst aggressiv streng konservativ grob arrogant derb
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unsympathisch ungebildet nicht vertrauenswürdig unhöflich unintelligent unfreundlich unehrlich nicht selbstbewusst nicht kompetent faul gekünstelt kein Sinn für Humor nicht schlau unemotional nicht locker unernst nicht aggressiv nicht streng aufgeschlossen sanftmütig unarrogant vornehm
Die verwendeten Aufnahmen stammen von zwei Frauen und einem Mann aus dem mittelbairisch-österreichischen Sprachraum (im Alter zwischen 30 und 40), die alle
Barbara Soukup
den gleichen Text zu einem gesellschaftsrelevanten Thema (Gentechnik in Lebensmitteln) einmal in einer hochsprachlichen und einmal in einer dialektalen Variante präsentieren. In der Anordnung wurde die hochsprachliche immer unmittelbar vor der Dialektaufnahme der-/desselben Sprechenden vorgespielt. Um etwaigen Reihenfolgeeffekten entgegenzuwirken, wurde das Experiment in zwei Großgruppen zu 74 und 49 Teilnehmenden durchgeführt, wobei die Sequenz der SprecherInnen dazwischen umgekehrt wurde. Der den InformantInnen vorgegebene Kontext im Experiment war, dass diese SprecherInnen Teilnehmende an einem Kommunikationsseminar seien und die Aufgabenstellung dazu diene, ihnen Feedback zu geben, wie sie denn bei einem öffentlichen Publikum ankämen.10 Die Ergebnisse des Experiments wurden mit dem Programm SPSS für Windows (Version 17.0) statistisch ausgewertet.11 Zum Vergleich der durchschnittlichen Beurteilungen, die die SprecherInnen für ihre jeweilige Dialekt- und Hochsprache-Version erhalten hatten, wurde eine Serie von t-Tests für abhängige Stichproben durchgeführt. Das Resultat zeigt, dass alle drei Sprechenden als signifikant gebildeter, aber auch arroganter eingestuft wurden, wenn sie die Hochsprache verwendeten, im Vergleich zum Dialekt. Die Dialektaufnahmen wiederum wurden durchwegs als natürlicher, lockerer, ehrlicher, und als Ausdruck von vermehrtem Sinn für Humor eingeschätzt – aber auch als deutlich derber. Die Evaluierungshandlung, die Teilnehmende an einem SprecherInnenEvaluierungsexperiment durchzuführen angehalten sind, kann, ähnlich wie jene in Exzerpt 1 weiter oben, als eine Form der Fremdpositionierung charakterisiert werden, da der Fokus hier nicht auf der Identität der InformantInnen, sondern auf jener der SprecherInnen liegt. Genauso sind die dabei zur Anwendung kommenden (elizitierten) HECs wieder als Stereotype zu charakterisieren, aus mehreren Gründen. Erstens sind die SprecherInnen den TeilnehmerInnen nicht persönlich bekannt; somit ist keine Grundlage für eine sonderlich ausdifferenzierte, individualisierte Einschätzung gegeben. Zweitens beruht die Evaluierung auf vorgegebenen, standardisierten Parametern (den semantischen Differenzialskalen). Und drittens werden in der Analysephase die Durchschnittsergebnisse eruiert (also das Mittel über die abgegebenen Evaluierungen berechnet), was individuelle Bewertungen und Abweichungen von der Norm letztlich unsichtbar macht und nur den allgemeinen, konsensualen Trend (eben den Stereotyp) ausweist. Inhaltlich kristallisiert sich zwischen den zitierten Interviewdaten und den Ergebnissen des Experiments nun bereits eine gewisse Parallelität heraus: sowohl der Diskurs der ‚Ehrlichkeit‘ als auch der ‚Primitivität‘ (hier: Derbheit, geringe Bildungsnähe) der Dialektsprechenden sind in beiden Datensätzen evident. Es zeichnet sich also
10 11
Zur weiteren Erläuterung der Grundüberlegungen für das Design und Protokoll siehe Soukup (2009). Die Ergebnisse sollen hier nur in Form eines Überblicks und einer Zusammenfassung präsentiert werden. Für quantitative Details und Tabellen siehe Soukup (2013). Es werden hier nur jene besonders ‚robusten‘ Resultate berichtet, die sowohl statistische Signifikanz als auch für alle Sprechenden zumindest mittlere Effektgröße (Cohen’s d) aufweisen.
Konstruktivismus trifft auf Methodik
bereits ein erster Beleg dafür ab, dass ähnliche Evaluierungshandlungen, die auf dieselbe Art von HEC abzielen, auch ähnliche Ergebnisse liefern können. Das dritte und letzte Element der österreichischen Datenserie bildet ein ‚natürliches‘ (also nicht für Studienzwecke elizitiertes) Gespräch, das einer Folge der österreichischen TV-Fernsehdiskussionssendung ‚Offen gesagt‘ entstammt, welche vom öffentlich-rechtlichen Österreichischen Rundfunk (ORF) im Zeitraum 2004-2005 produziert und ausgestrahlt wurde. In dieser Art von einstündiger Sendung (die es in sehr ähnlicher Form schon lange und auch heute immer noch gibt) wurden jeweils vier bis sechs Gäste (ExpertInnen, PolitikerInnen oder sonstwie Betroffene) unter Moderation von TV-JournalistInnen in ein Studio geladen, um ein aktuelles Thema von öffentlichem Interesse (Wahlen, Systemreformen, Sozial- und Umweltprobleme, etc.) unter allen möglichen Aspekten im Live-TV zu diskutieren. In der hier transkribiert wiedergegebenen Sequenz, aus der Sendung vom 18. Jänner 2004 und zum Thema der damals anstehenden österreichischen Präsidentschaftswahlen, ist der politische Aktivist AT gerade dabei, eine kurze Geschichte zu erzählen, deren Protagonistin die damalige Außenministerin und gleichzeitig jene Präsidentschaftskandidatin ist, die AT nicht unterstützt. Ausgangspunkt ist das Jahr 2001, als eine österreichische Theatergruppe bei Demonstrationen rund um den G8-Gipfel in Genua von der italienischen Polizei verhaftet wurde. AT beschreibt das Verhalten der Außenministerin aus seiner Sicht in einem Monolog, den er davor und danach auch noch unmissverständlich mit den Kommentaren „ein echter Megafettnapf“ und „der Megaflopp“ umrahmt: Exzerpt 2 (Offen gesagt, ‚Wer soll in die Hofburg‘, ORF2, 01/18/2004) 1 2 3 4 5 6 7 8
AT: Da geht’s nämlich um nicht mehr um nicht weniger als dass dort ein paar linke Theaterleute im Zuge dieser Veranstaltung festgenommen wurden österreichische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen und dass die Frau Außenminister nichts anderes zu tun hatte als zu sagen najo und zwar öffentlich nachzulesen auf der Homepage des Außenministeriums der Text steht fest najo des san kane Guatn gegen die liegt eh sozus- gegen die liegen eh sozusagen Anzeigen vor im Innenministerium und denen wird scho recht gschehn das war ihre Ant- das war ihre Reaktion zum Schutz österreichischer Staatsbürger die im Ausland verhaftet werden
Auffällig in Exzerpt 2 ist, dass AT genau in jener Passage, in der er angeblich die Außenministerin zitiert, auch einen anderen sprachlichen ‚Gang‘ einlegt, indem er von der österreichischen Hochsprache in den (mittelbairisch-österreichischen) Dialekt wechselt. So finden sich in den entsprechenden Zeilen 4-7 insgesamt zehn Wörter, in denen ein salientes Dialektfeature vorkommt (im Transkript mittels Fettdruck ausgewiesen): In Zeile 4 ist das (in IPA verschriftlicht) [na'jɔ] (vergleiche dazu hochsprachlich [na'ja]); dann, in Zeile 5, wieder [na'jɔ] sowie [de:s] (hspr. [das]); [san] (hspr. [sind]); ['ka:ne] (hspr. ['ka ne]); und ['g dn] (hspr. ['gu:ten]). In Zeile 6 verwendet
Barbara Soukup
der Sprecher außerdem zweimal den dialektalen Diskursmarker eh, und in Zeile 7 wird das Wort schon als [ ɔ:] realisiert sowie geschehen als [k e:n].12 Die Hochsprache stellt den üblichen und erwarteten Sprachgebrauch im österreichischen Fernsehen dar (siehe z.B. Steinegger 1998), und das trifft auch auf die genannte Diskussionssendung zu: Im Durchschnitt über mehrere Episoden liegt die Rate von Wörtern, die ein oder mehrere identifizierbare dialektale Features beinhalten, nur bei circa 8% (siehe Soukup 2009 für Details der Berechnung). Das macht nun ATs Dialektgebrauch in Exzerpt 2 so auffällig: Seine Rate erhöht sich auf zehn von 39 Wörtern, also rund 25%, im sogenannten ‚Zitat‘ der Außenministerin. Auch Exzerpt 2 stellt wieder einen Moment der Fremdpositionierung dar: AT präsentiert ein Bild der Außenministerin, und zwar ein sehr negatives (was sowohl durch den Inhalt der Erzählung als auch durch die Titulierung als „Megafettnapf“ zum Ausdruck kommt). Diese Positionierung kulminiert in dem ‚Zitat‘ (Zeilen 4-7), das AT der Außenministerin in den Mund legt, und zwar im Dialekt. Und auch hier kommen wieder stereotype HECs, die mit dem österreichischen Dialekt assoziiert sind, zum Einsatz – diesmal allerdings in indirekter Form, auf Basis des Prozesses der Kontextualisierung (Gumperz 1982). Nach Gumperz (1982) indiziert ein Sprachwechsel die jeweilige soziale Bedeutung, die den beiden gegenübergestellten Varietäten zukommt – hier also: die HECs, die in Österreich mit Dialekt und Hochsprache assoziiert sind. In der entsprechenden Literatur (z.B. Moosmüller 1988, 1991, Steinegger 1998, Goldgruber 2011) sind diese stereotyperweise so konfiguriert, dass Dialekt mit geringerer Bildung, Intelligenz und Vornehmheit, aber auch mit mehr Natürlichkeit und Emotionalität als der Standard assoziiert ist. Dass es überhaupt Stereotype sind, die in Exzerpt 2 zur Anwendung kommen, erschließt sich unter anderem aus dem Kontext der Fernsehdiskussion, in der generell ein anonymes österreichisches Publikum angesprochen ist, von dem individuelle HECs nicht bekannt sind, aber bei dem das Wissen um gängige Stereotypen vorausgesetzt und deswegen auch interaktiv benützt werden kann. Die Junktimierung von Dialektgebrauch und einem negativen interaktionellen Schachzug (move – nach Goffman 1981) in Exzerpt 2 indiziert auch, dass die HECs in negativer Konnotation gebraucht werden. Gleichzeitig verstärken diese HECs in Wechselwirkung ihrerseits wieder ATs antagonistische Positionierung der Außenministerin, in Form einer ‚internen Evaluierung‘ (Labov/Waletzky 1967): Die negativ belegte ‚Ausdrucksweise‘ der Außenministerin reflektiert auf sie als Person, nachdem ja sie (und nicht AT) das „deiktische Zentrum“ (Schiffrin 2002: 317, meine Übersetzung) des ‚Zitats‘ darstellt. Insgesamt ergibt sich der Effekt, dass die Außenministerin als schlechte (ungebildete, unintelligente, derbe) Person positioniert wird – sowohl in Form als auch Inhalt ihrer ‚Aussage‘.13
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Zur näheren linguistischen Beschreibung und Einordnung der Features siehe unter anderem Moosmüller (1991) und Soukup (2009). Die Tatsache, dass es nahezu unmöglich ist, dass die Außenministerin wirklich eine solche Aussage im Dialekt getätigt hat, weil sie weder als Dialektsprecherin bekannt ist noch auf der Homepage des
Konstruktivismus trifft auf Methodik
Erneut sind inhaltliche Parallelen zwischen diesem und den vorangegangenen Daten im Hinblick auf die in der evaluierenden Fremdpositionierung verwendeten stereotypen HECs bezüglich (mittelbairisch-österreichischen) Dialektgebrauchs sichtbar – hier speziell in Bezug auf Derbheit und geringe Bildung, was sich wohl auch als ‚Primitivität‘ titulieren lässt. Im speziellen Fall von Exzerpt 2 benützt AT die HECs einerseits zur Positionierung und für eine interne Evaluierung, andererseits perpetuiert und verstärkt diese seine Verwendung auch wieder den Link zwischen einer negativen Evaluierungshandlung und dem Gebrauch von (mittelbairisch-österreichischem) Dialekt. Die fortlaufende zyklische Beziehung zwischen Interaktion und sedimentierten Diskursmustern wird in diesem Beispiel besonders deutlich. Zusammenfassend lässt sich nun argumentieren, dass die österreichische Datenserie, wenngleich in selektiver Darstellung, gezeigt hat, dass eine Analyse gleichgearteter Evaluierungshandlungen, in Bezug auf gleichgeartete HECs (sprach- und sprecherInnenbezogene Stereotype) tatsächlich auch ähnliche Ergebnisse bringt. Im Folgenden wird nun die zweite Datenserie, aus dem Oman, angefügt. Diese wurde bewusst dahingehend ausgewählt, dass sich darin bezüglich der identifizierten stereotypen HECs Inkonsistenzen manifestieren. Der zweite Teil der Bewährungsprobe für meine Argumentationslinie zielt nun also darauf ab, ob die dargelegte Logik auch solchen Inkonsistenzen Rechnung tragen kann.
4.
Datenserie 2: Spracheinstellungen zu Belutschi und Arabisch im Oman
Der zweiten Datenserie liegt als wesentliche Basis die Forschung von Al Zidjaly (2008) zugrunde, der die ersten beiden Elemente, nämlich die Interviews und Analyse der natürlichen Sprachverwendung bezüglich Belutschi und Arabisch im Oman, entnommen sind. Auf Basis ihrer Erkenntnisse wurde von mir eine SprecherInnenEvaluierungsstudie dazugestellt, die hier erstmals verschriftlicht ist. Zur Orientierung sei kurz erwähnt, dass das Sultanat Oman ein im Südosten der arabischen Halbinsel gelegenes, „multiethnisches islamisch-arabisches Land“ ist (Al Zidjaly 2005: 86, meine Übersetzung). Das CIA Factbook14 gibt eine aktuelle Bevölkerungszahl von circa 3,2 Millionen EinwohnerInnen an. Davon sind nur knapp drei Viertel arabisch-stämmig; die ethnische Vielfalt des Oman mit signifikanten Gruppen
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österreichischen Außenministeriums je Veröffentlichungen im Dialekt stattfinden, verstärkt diesen Effekt nur zusätzlich. Zur weiterführenden Diskussion von Exzerpt 2 siehe wieder Soukup (2009), wo diese Passage mithilfe von Bakhtins (1984, 1986 [1952-53]) Konzepten der Dialogizität und des vari-directional doublevoicing, Goffmans (1981) Konzept des production format und Tannens (1989) Konzept des constructed dialogue bzw. Faircloughs (1992) Begriff des represented discourse noch zusätzlich ausdifferenziert wird. Dort werden auch weitere ähnliche Beispiele aus der vorliegenden Fernsehdiskussionssendung ausgewertet, die belegen, dass Exzerpt 2 keinen Einzelfall, sondern ein über verschiedene Sprechende hinweg wiederkehrendes Interaktionsmuster darstellt. https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/mu.html (30.04.2014)
Barbara Soukup
zum Beispiel von Iranis, Belutschis und Zanzibaris ist das Erbe einer langen Geschichte als Kolonialmacht mit Reichweite bis in die naheliegenden Küstengebiete Ostafrikas und Asiens (siehe Al Zidjaly 2005: 86ff., Drake 2004). Arabisch ist die offizielle Staatssprache des Oman; daneben fungiert Englisch als „einzige offizielle Fremdsprache“ (Al-Issa 2007: 199, meine Übersetzung). Gemäß der Sprachendatenbank Ethnologue15 werden im Oman insgesamt aber mindestens 16 verschiedene Sprachen gesprochen. Eine davon ist (Süd-)Belutschi, dem im Folgenden eine zentrale Rolle zukommt und das laut Ethnologue von circa 130,000 der 312,000 ethnischen Belutschis im Oman gesprochen wird (die Zahlen stammen allerdings aus dem Jahr 1993). Belutschi ist eine indoeuropäische Sprache mit Wurzeln im heutigen Pakistan und Verwandtschaft zum Persischen (Collett 1986). Al Zidjaly (2008) beschäftigt sich mit den Einstellungen zu Belutschi und Arabisch im Oman in einer kleinen Fallstudie, in der sie direktes ‚Sprechen über Sprache‘ sowie den natürlichen bilingualen Sprachgebrauch einer belutschi-omanischen Familie untersucht. Diese Studie ist laut Al Zidjaly vor dem Hintergrund zu verstehen, dass es in der omanischen Öffentlichkeit bis heute eine sehr ambivalente bis bewusst ignorierende und sogar ablehnende Haltung gegenüber dem indigen-ethnischen Multilingualismus gibt, weil das Projekt der radikalen aber auch höchst erfolgreichen Staatserneuerung und Modernisierung seit dem Jahr 1970 (die Omani Renaissance) ideologisch und politisch stark auf der gesellschaftlichen Vereinigung der Bevölkerung unter einem gemeinsamen Arabismus aufbaut.16 Die Beschäftigung mit und Beforschung von ethnischen Unterschieden ist daher allgemein eher heikel und tendenziell unerwünscht. Die Datenlage zum Status des Belutschi im Oman ist dementsprechend dünn; Al Zidjaly (2008) greift oftmals auf eigene Erfahrungen und Eindrücke als Abstammende dieser Volksgruppe zurück. Diese besagen, dass die Belutschis die seit Jahrzehnten propagierte gesellschaftliche Homogenitätsidee im Oman stark unterstützen; und daraus hat sich ergeben, dass die jüngere Belutschi-Generation (unter 20) kaum noch Belutschi spricht, sondern Arabisch. Unter der Annahme, dass es eine negative Haltung zum Belutschi wäre, die diesen intergenerationellen Sprachverlust bedingt, führte Al Zidjaly nun zunächst Fragebogen-geleitete Interviews mit besagter Familie durch, um deren Spracheinstellungen zu erheben. Zwei Generationen der Familie nahmen aktiv teil. Darunter waren acht Geschwister im Alter von 30 bis 45 Jahren, die alle sowohl einen hohen Bildungsgrad als auch hohe sprachliche Kompetenz in Arabisch und Belutschi aufweisen; deren Kinder (zumeist unter zehn Jahre alt) sind allerdings alle monolinguale ArabischsprecherInnen. Weiters nahmen die beiden Eltern der Geschwister teil, die selbst wenig Bildung aufweisen, BelutschiSprecherInnen sind und Arabisch nur wenig (jedenfalls nicht im gleichen Maß wie Belutschi) beherrschen.
15 16
www.ethnologue.com, sub voce Oman (30.04.2014) Al Zidjaly (2008) verweist hier auf Andersons (1991) Idee der imagined communities.
Konstruktivismus trifft auf Methodik
Die Vorlage zum Interview beinhaltete Fragen nach gängigen stereotypen HECs im Oman bezüglich Belutschi als Sprache und den Belutschis als Volksgruppe. Dies ergab Assoziationen wie, zum Beispiel, dass Belutschis ‚dumm‘ seien, weil sie kein Arabisch sprechen könnten, beziehungsweise nur ein limitiertes Vokabular im Arabischen beherrschten und insbesondere bestimmte arabische Laute, die es im Belutschi nicht gibt, nicht aussprechen könnten. (Laut Al Zidjaly gibt es unzählige populäre Witze, die aus diesem Stereotyp ihre Pointe ziehen.) Daneben würden Belutschis als streitlustig und gangsterhaft charakterisiert, jedoch auch als tapfer und fleißig. Die ihnen nachgesagte typischerweise gute Englischkompetenz lässt sie dann (etwas widersprüchlich) wiederum als durchaus intelligent erscheinen (Al Zidjaly 2008). Gefragt nach ihren persönlichen Einstellungen zum Belutschi gaben die Interviewten an, dass es ein wichtiger, positiver, geliebter Identifikationsfaktor sei. Als Identitätssymbol gehe es dahin, dass man zuerst Belutschi-Omani und dann erst AraberIn sei. Die Familie gab konsensuell an, dass sie Arabisch als Sprache auch gerne hätten, aber Belutschi als Sprache, in der sie aufgewachsen seien, eine besondere Rolle als Ausdruck des eigenen Wesens einnehme (Al Zidjaly 2008). Diese durchwegs positiven HECs setzt Al Zidjaly (2008) allerdings in Kontrast mit der Tatsache, dass die nächste Generation nur mehr aus ArabischsprecherInnen besteht. Sie zitiert zwei Reaktionen aus der Familie, die aus ihrer direkten Rückfrage zu diesem Paradoxon hervorgingen:17 Exzerpt 3 „Ich bin zuallererst Belutschi; die Belutschi-Sprache macht mich zu dem, was ich bin. Sie ist meine Geschichte. Ich habe meinen Kindern nur Arabisch beigebracht wegen des Drucks aus der breiteren Gesellschaft und auch weil ihr Vater, der kein Belutschi spricht, wollte, dass sie nur Arabisch sprechen; Arabisch ist wichtig in der Schule, ebenso wie Englisch. Wenn es nach mir ginge, hätte ich ihnen auch Belutschi zusätzlich zu Arabisch und Chinesisch beigebracht, aber es geht eben nicht nach mir.“ (Fatima, 36) Exzerpt 4 „Natürlich bin ich stolz darauf, Belutschi zu sprechen. Es macht uns zu dem, was wir sind; wie könnten wir uns dafür schämen, was wir sind. Wir sind Belutschi-Omanis. Es ist der Druck der Außenwelt, der es uns schwer gemacht hat, unseren Kindern Belutschi beizubringen, aber wir lieben die Sprache trotzdem.“ (Yahya, 38)
Zusammenfassend und im Hinblick auf solche Aussagen hält Al Zidjaly (2008) nochmals fest, dass ihre Interviewten einstimmig angaben, stolz auf ihre BelutschiHerkunft und Sprache zu sein und diese auch intrinsisch mit ihrer Identität zu verknüpfen; die fehlende Weitergabe an die nächste Generation hänge demnach nur mit dem Außendruck zusammen und nicht mit etwaiger Scham oder Abneigung. Diese Ergebnisse des Interviews (des ‚Sprechens über Sprache‘) divergieren in Al Zidjalys Studie insofern, als einerseits stereotype HECs elizitiert wurden, nach denen 17
Die Texte (auch die Transkripte weiter unten) wurden von Al Zidjaly (2008) ins Englische und von mir selbst aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt; sie sind leider in Originalsprache (hier: Arabisch) nicht erhalten.
Barbara Soukup
Belutschis in mancher Hinsicht ‚dumm‘ sind, und andererseits HECs herangezogen wurden, nach denen die Sprache ein wichtiges persönliches Merkmal der Identitätsstiftung ist, das Stolz hervorruft (der allerdings im Gegensatz zum Druck der breiteren Gesellschaft oder sogar innerhalb der Familie steht). Dies scheint inhaltlich insofern schwer vereinbar, als Dummheit normalerweise keinen Stolz, sondern eher die erwähnte etwas zweifelhafte Belustigung hervorruft. Im Licht meiner vorangegangenen Argumentation ist aber wahrscheinlich bereits auffällig geworden, dass es sich in den beiden Evaluierungshandlungen, die Al Zidjaly in ihrer Studie elizitiert hat, um zwei unterschiedliche Arten handelt: Zuerst liegt der Fokus auf ‚stellvertretender‘ Fremdpositionierung, und zwar mittels der Frage, wie denn eine breite Omanische Öffentlichkeit die Belutschis positioniert, was letztendlich auf weit verbreitete stereotype HECs abzielt, die dann auch herangezogen und präsentiert werden. Im Gegensatz dazu handelt es sich aber bei der zweiten Frage um eine Aufforderung zur Selbstpositionierung. Selbstpositionierung ist nach van Langenhove/Harré (1999: 24) sehr direkt mit dem Ausdruck persönlicher Identität verbunden; dadurch ist eine Individualisierung als inhärent anzusehen. Van Langenhove/Harré (ibid.) argumentieren, dass eine Selbstpositionierung oftmals unter Rekurs auf die persönliche Perspektive, Handlungsweise, oder Biografie erfolgt; es ist demnach nicht anzunehmen, dass die entsprechenden HECs in großem Maße allgemeine soziale Stereotype darstellen. Es zeigt sich also im gegebenen Fall, dass unterschiedliche Evaluierungshandlungen (unterschiedliche Arten der Positionierung) mit unterschiedlichen Arten von HECs einhergehen (können), beziehungsweise, im Umkehrschluss, dass Inkonsistenzen in den elizitierten HECs mit Inkonsistenzen in der Art der Einstellungsäußerung zumindest korrelieren. Die zwei weiteren Elemente der Datenserie aus dem Oman sollen nun herangezogen werden, um diese Erkenntnis noch weiter zu erkunden. Der zweite zentrale Teil von Al Zidjalys (2008) Fallstudie beruht auf einer diskursanalytischen Auswertung einer Serie von Aufnahmen natürlicher Gespräche unter den interviewten Geschwistern, an denen auch Al Zidjaly selbst (als Freundin der Familie) beteiligt war. Diese Aufnahmen wurden im Elternhaus der Geschwister durchgeführt, mittels einer in einem zentralen Zimmer installierten Kamera. Alle Beteiligten sind hochkompetente, zweisprachige SprecherInnen von Belutschi und Arabisch. In den hier relevanten Stellen der Gespräche, die Al Zidjaly (2008) analysiert, wird von ihnen vorwiegend Arabisch gesprochen; allerdings gibt es, ähnlich wie in den bereits präsentierten österreichischen Gesprächsdaten aus der Fernsehsendung, saliente Passagen, in denen ins Belutschi gewechselt wird. Der interessante Punkt dabei ist, dass in diesen Passagen genau wie im österreichischen Beispiel das Belutschi eben dann verwendet wird, wenn eine negative Fremdpositionierung einer anderen Person vorgenommen wird. Die folgenden illustrierenden Beispiele (Exzerpte 5 und 6 in diesem Beitrag) sowie deren Einleitung entstammen wieder Al Zidjaly (2008), in meiner Übersetzung aus dem Englischen (siehe die Fußnote zu Exzerpten 3 und 4). In der Transkription indizieren eckige Klammern Gesprächsüberlappungen; Fettdruck und Unterstreichung
Konstruktivismus trifft auf Methodik
markieren den Gebrauch von Belutschi, in Unterscheidung zum sonstig gebrauchten Arabisch. Exzerpt 5 [Zawan, Yahya und Najma schauen fern, als Fatima mit grimmigem Blick hereinkommt] 1 Fatima: Hallo Leute 2 Alle: Hallo auch dir 3 Zawan: Was ist passiert, Butta [Fatimas Spitzname]? 4 Fatima: Die Arbeit stinkt. 5 Najma: [Ist es der] neue Chef 6 Yahya: [Warum] 7 Fatima: Ja. Der dumme Chef. Er hat mich in sein Büro gerufen, um Sachen 9 durchzugehen, die ich schon lange erledigt hatte. So, als ob er versuchen 10 würde, etwas zu finden, das er gegen mich verwenden kann, oder nur, 11 um meine Zeit zu verschwenden, also habe ich zu ihm gesagt „Warum 12 machen Sie das jetzt?“ und seine Antwort war [in sarkastischem Tonfall] 13 „Hören Sie. Das ist mein Job.“ Mein Job, so ein Quatsch. Welcher Job? 14 Dein Job ist es, deinen Angestellten nachzuspionieren? „Das ist mein 15 Job“, so ein Quatsch. 16 Zawan: So ein dummer Mensch
Ähnlich wie im weiter oben präsentierten Exzerpt 2 aus der österreichischen Fernsehdiskussion wird in dieser Passage ein Sprachwechsel von Arabisch in Belutschi genau dann realisiert, als die Sprecherin, Fatima, ihren Chef mit einer unliebsamen Äußerung ‚zitiert‘ (Zeilen 13-15); dieser Schachzug, der erneut eine negative Fremdpositionierung darstellt, wird in derselben Form dann auch von Zawan reproduziert (Zeile 16). Al Zidjaly (2008) untermauert in dreierlei Hinsicht, dass der Zusammenfall von Belutschi und negativer Fremdpositionierung kein Zufall ist. Erstens gab Fatima im Feedback zur Analyse später an, dass ihr Chef zwar Belutsche sei, aber am Arbeitsplatz nie Belutschi spreche – das ‚Zitat‘ ist also in seiner sprachlichen Form eine Übersetzung und nicht wahrheitsgetreu. Zweitens finden sich in Al Zidjalys Daten noch fünf weitere Momente, in denen sich jemand über seine Vorgesetzten oder die Arbeit beschwert und dabei eine antagonistische Person nach einem Sprachwechsel in Belutschi sprechen lässt. Es zeichnet sich hier also wieder deutlich ein Gebrauchsmuster ab, das durch seine Ähnlichkeit zu jenem in den österreichischen Daten noch an Evidenz gewinnt. Drittens unterstützt auch Fatimas überliefert ‚sarkastischer Tonfall‘ während des ‚Zitats‘ die Auslegung, dass die Sprachwahl nicht zufällig erfolgt ist. Einen ähnlichen interaktionellen Schachzug, für den die GesprächsteilnehmerInnen eine negative Fremdpositionierung mit dem Gebrauch von Belutschi verknüpfen, belegt Al Zidjaly (2008) mit folgendem Beispiel, hier als Exzerpt 6 wiedergegeben: Exzerpt 6 1 Najma: 2 Yahya: 3 Najma:
Yahya ich glaube ich habe einen Fehler gemacht. Du zweifelst immer im Nachhinein an dir Das ist ja nur menschlich
Barbara Soukup 4 5 6 7 9 10 11 12 13 14 15
Yahya: Najma: Yahya: Najla: Najma: Yahya:
Nein, das ist, weil du dumm bist. Yahya, ich erlaube dir nicht, mich zu beleidigen. Du bist dumm. Das kannst du nicht abstreiten. Es ist geschehen. Vorbei. Vergiss es. Was hat sie jetzt schon wieder gemacht? [Nichts] [Sie hat] ein E-Mail an Sakina geschickt, in dem sie sich behauptet, und jetzt zweifelt sie das E-Mail im Nachhinein an, weil Sakina nicht geantwortet hat. Ihre Ausrede ist, das ist ja nur menschlich.
In diesem Beispiel wird, sehr ähnlich wie im vorigen (Exzerpt 5), jemand anderer als ‚dumm‘ positioniert, und gleichzeitig wird ein Wechsel ins Belutschi vollzogen (Zeilen 4 und 6). Am Ende ist auch wieder ein ‚Zitat‘ enthalten (Zeile 15), das sehr offensichtlich keine getreue Reproduktion des Gesagten ist, weil im konkreten Fall Yahya ja Najma in Belutschi ‚zitiert‘, obwohl diese gerade davor (in Zeile 3) die Aussage in arabischer Sprache produziert hatte. Al Zidjaly (2008) berichtet von insgesamt vierzehn Fällen in ihren Gesprächsdaten, in denen eine Person aus verschiedentlichen Gründen (und wie hier in nicht nur ernst gemeinter Weise) ‚dumm‘ geheißen und diese Kritik in Belutschi angebracht wird. Exzerpte 5 und 6 illustrieren generell ein sehr ähnliches Muster, nach dem ein Sprachwechsel von Arabisch in Belutschi immer wieder mit einer antagonistischen Fremdpositionierung von Personen (sogar anderen Interaktionsteilnehmenden) junktimiert wird. Es ist anzunehmen, dass auch hier, ähnlich wie in den österreichischen Daten (siehe Exzerpt 2) auf Basis eines Kontextualisierungsprozesses das Belutschi dazu dient, eine ‚interne Evaluierung‘ zu generieren. Die stereotypen HECs, die in diesem Prozess dienlich sind, entsprechen dabei zumindest in einem zentralen Aspekt jenen, die Al Zidjaly in Einstellungsäußerungen über ‚allgemeines sprachliches Wissen‘ im Oman bezüglich des Belutschi von ihren Interviewten elizitiert hat, nämlich, dass Belutschis in mancherlei Hinsicht ‚unintelligent‘ seien. Dieser Stereotyp steht jedoch wieder in deutlichem Gegensatz zu jenen HECs, die die Familienmitglieder in der Selbstpositionierung (zur Konstruktion ihrer persönlichen Einstellung zum Belutschi) zum Ausdruck gebracht haben. Um die genannte Diskrepanz zwischen sozialen Stereotypen und persönlichen Identitätskonstruktionen weiter auszuloten, wurde von mir im Jahr 2010 im Oman eine SprecherInnen-Evaluierungsstudie bezüglich Belutschi und Arabisch durchgeführt. Diese Studie basiert auf der matched guise-Technik, allerdings in abgeschwächter Form, da in Ermangelung des nötigen Materials entgegen dem üblichen Protokoll (siehe Lambert et al. 1960) keine Dummy-SprecherInnen zwischen den TestAufnahmen eingefügt waren. Überhaupt muss vorweg festgehalten werden, dass es sich hier um ein sehr kleines und limitiertes Experiment – mehr um eine Pilotstudie – handelt, vor allem wegen der sehr schwierigen Rekrutierung von zweisprachigen Arabisch-Belutschi-SprecherInnen (sowohl als Sprechende als auch als InformantIn-
Konstruktivismus trifft auf Methodik
nen) und des knappen Zeitraums von nur drei Wochen, der für Aufnahmen und Durchführung insgesamt zur Verfügung stand.18 Zwei bilinguale Sprechende wurden im Experiment eingesetzt: ein männlicher, der eine Aufnahme in urbanem omanischem Belutschi und eine in Arabisch produzierte, und eine weibliche Sprecherin, die drei Aufnahmen erstellte, darunter nämlich eine zusätzliche in einer konservativeren, weil dem (ruralen) pakistanischen Belutschi näheren, Variante. (Urbanes omanisches Belutschi ist unter anderem durch viele Lehnwörter aus dem Arabischen gekennzeichnet, die in dieser zweiten Version so weit wie möglich vermieden wurden.) Beide Sprechenden präsentierten denselben Text, einen etwa einminütigen Monolog zum Thema ‚Müllwegwerfen in der Öffentlichkeit‘ (der Inhalt wurde bewusst aus dem Alltagsleben entnommen, um orale, kolloquiale Sprechformen in den Aufnahmen zu legitimieren). Im Experiment wurden die Aufnahmen abwechselnd vorgespielt, wegen der ungeraden Anzahl mit der weiblichen Sprecherin beginnend (und immer in der gleichen Reihenfolge: Arabisch weiblich/männlich – urbanes Belutschi weiblich/männlich – pakistanisches Belutschi weiblich). Insgesamt zwölf InformantInnen (sieben weibliche, fünf männliche; alle zweisprachig in Arabisch und Belutschi) nahmen am Experiment teil, in kleinen Gruppen oder einzeln, jeweils bei den InformantInnen zuhause. Sie wurden gebeten, die SprecherInnen mittels eines Fragebogens mit 26 vorgegebenen semantischen Differenzialskalen auf fünf Abstufungen einzuschätzen. Der Fragebogen war auf Arabisch gehalten; die folgenden Items wurden verwendet:
sympathisch gebildet intelligent vertrauenswürdig höflich intellektuell nett ehrlich ehrgeizig selbstbewusst viel Sinn für Humor fleißig hilfsbereit streng
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nicht sympathisch ungebildet dumm nicht vertrauenswürdig unhöflich nicht intellektuell nicht nett unehrlich nicht ehrgeizig nicht selbstbewusst kein Sinn für Humor faul nicht hilfsbereit nicht streng
Ich bedanke mich herzlich bei Najma Al Zidjaly und Hammal Al Belushi von der Sultan Qaboos Universität im Oman für ihre großzügige Hilfe und vielfältige Unterstützung bei der Durchführung dieser Studie, die durch das Vizerektorat für Internationale Beziehungen der Universität Wien finanziert wurde.
Barbara Soukup
عاطفي ناجح منفتح على اآلخرين ذو معرفة متغطرس متحفظ متفتح عصري شجاع فخور محافظ ماهر في التعامل مع الناس
nicht erfolgreich reserviert nicht aufgeschlossen konservativ nicht nicht religiös nicht tapfer nicht traditionell trad nicht gewieft s nicht arrogant nicht sozial kompetent nicht aggressiv nicht neidisch
غير عاطفي غير ناجح منغلق على اآلخرين ليس ذو معرفة غير متغطرس غير متحفظ غير متفتح غير عصري غير شجاع غير فخور غير محافظ غيرماهر في التعامل مع الناس
Die Ergebnisse wurden mit dem Programm SPSS für Windows (Version 17.0) und auf Basis von Varianzanalysen und t-Tests für abhängige Stichproben statistisch ausgewertet. Aufgrund des nur sehr kleinen Samples sind die Ergebnisse allerdings statistisch nicht sehr robust – die Auswertung der Evaluierung des männlichen Sprechers ergibt sogar überhaupt kein statistisch signifikantes Muster. Somit kann hier nur das Ergebnis für die weibliche Sprecherin in Betracht gezogen werden, wo sich immerhin ein markanter (und signifikanter) Punkt ergibt. Demnach wurde die Sprecherin in beiden Belutschi-Varietäten durchschnittlich als deutlich weniger intelligent und weniger modern eingestuft als in ihrer Arabischen guise. Wie bereits weiter oben im Zusammenhang mit dem österreichischen Experiment ausgeführt, handelt es sich hier um eine elizitierte Fremdpositionierung der Sprecherin seitens der InformantInnen; und wiederum repräsentiert das Ergebnis stereotype HECs. Und interessanter Weise entsprechen diese auch im vorliegenden Fall zumindest in dem einen Punkt, der sich als signifikant herauskristallisiert hat (der Einschätzung der Intelligenz), sehr genau dem, was in den Gesprächsdaten und im ‚Sprechen über Sprache‘ beobachtet wurde: dass es im Oman einen salienten sozialen Stereotyp gibt, nach dem Belutschi mit weniger Intelligenz assoziiert wird als Arabisch.
5.
Zusammenfassung, Fazit und Ausblick
Zusammenfassend lässt sich nun konstatieren, dass sich aus meiner Analyse von zwei parallelen Datenserien, die aus zwei sehr disparaten Kulturkreisen (Österreich und dem Oman) stammen und mittels drei verschiedener Methoden kompiliert wurden, Erkenntnisse zweierlei Art ergeben: erstens, dass unter qualitativer (diskursanalytischer) sowie unter quantitativer (experimenteller) Agenda erhobene Daten tatsächlich auf Basis derselben Epistemologie erfolgreich einander gegenübergestellt und zum direkten Vergleich aneinander ausgerichtet werden können. Daraus haben, zweitens,
Konstruktivismus trifft auf Methodik
Belege dafür resultiert, dass Evaluierungshandlungen ähnlicher Art (hier konkret: vom selben Typ der interaktionellen Positionierung), welche auch die selbe Art von HECs (hier konkret: allgemeine soziale Stereotype) elizitieren, inhaltlich analoge Ergebnisse liefern – letztlich unabhängig davon, unter welcher Methode sie elizitiert wurden. Breiter gefasst kann man jetzt also postulieren, dass die unter einer konstruktivistischen Epistemologie notwendiger Weise propagierte Kontextbedingtheit von Einstellungskonstruktionen (sowohl in Form von emergenten als auch in Form von als HECs sedimentierten Evaluierungshandlungen) tatsächlich einen Umkehrschluss zulässt: Unter ähnlichen kontextuellen Parametern werden ähnliche Evaluierungen konstruiert. Das volle Anwendungspotenzial dieses Schlusses ist hinkünftig noch auszuloten – vor allem auch unter dem Gesichtspunkt der notwendigerweise selektiven und limitierten Datenauswahl in diesem Beitrag. Natürlich war die Zahl der hier ‚kontrollierten‘ kontextuellen Parameter der Interaktionen äußerst beschränkt (nämlich auf Handlungsart und diskursives Handlungsinstrument/map). Eine gründlichere und ausführlichere Analyse, die allerdings den Rahmen dieses Beitrags gesprengt hätte, müsste noch eine ganze Liste von weiteren konfigurierenden und konstituierenden Faktoren der Sprechsituation ‚sprach- und sprecherInnenevaluierende Interaktion‘ abarbeiten, wie sie zum Beispiel von Hymes (1972) in seinem SPEAKING-Heuristikum inventarisiert werden:19 also neben den Aktivitäten/Sprachhandlungen und den Handlungsmitteln auch die Parameter Zeit und Ort (physische und imaginierte Umstände), Teilnehmende, Ergebnisse bzw. Ziele der Interaktion, Tonart/Stimmung, Normen der Interaktion bzw. auch Interpretation und Interaktionstyp. Eine vollständige Prüfung hätte somit zur Aufgabe, Methoden der Spracheinstellungsforschung bzw. die entsprechenden Elizitierungsinteraktionen auf Basis all dieser Faktoren zu charakterisieren und zu typifizieren und einen Methodenvergleich dann auf das ganze Spektrum zu beziehen. Der gegenwärtige Beitrag konnte hoffentlich zumindest eine erste Illustration und Erprobung des Ansatzes sowie eine Anregung zur Fortführung bieten.20 Der Zweck und Nutzen des hier nur angerissenen Unterfangens liegt letztlich, wie eingangs besprochen, darin, die Spracheinstellungsforschung im Interesse der Triangulation von Phänomenen interdisziplinärer und eklektischer gestalten zu können. Tatsächlich zeichnet sich in den in diesem Beitrag herangezogenen Daten schon deutlich ab, dass eine Gegenüberstellung von experimentellen und ‚natürlichen‘ Evaluierungshandlungen zum Beispiel speziell für die Erforschung von rhetorischen, interaktionsstrategischen Sprachwechseln (von Speaker Design – Schilling 2013) aus unterschiedlichen Blickrichtungen fruchtbar gemacht werden kann: Wo eine interaktionelle Diskursanalyse solche Wechsel aus SprecherInnenperspektive beleuchtet, kann ein entsprechendes SprecherInnen-Evaluierungsexperiment im Pendant den Prozess aus 19
20
Das SPEAKING-Heuristikum setzt sich im englischen mnemonisch zusammen wie folgt: Settings, Participants, Ends, Act sequences, Keys, Instrumentalities, Norms, Genres. In Ergänzung dazu bietet Soukup (in Vorbereitung) bereits eine gründliche und detaillierte Anwendung der ganzen Bandbreite von Hymes’ SPEAKING-Heuristikum auf die Charakterisierung einer experimentellen SprecherInnen-Evaluierungsstudie.
Barbara Soukup
der interpretativen RezipientInnen-/ HörerInnen-Perspektive nachzeichnen, die für die dialogische Generierung von Bedeutung in der Interaktion ebenso unerlässlich ist.21 Es ist jedenfalls zu erwarten, dass solche und weitere, noch unvorgestellte interdisziplinäre Methodenverschränkungen durch eine epistemologisch durch und durch ‚integrierte‘ Spracheinstellungsforschung, wie sie hier vorgeschlagen wurde, in greifbare Nähe rücken.
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21
Zu diesem Argument siehe ausführlicher Soukup (2011b, in Vorbereitung).
Konstruktivismus trifft auf Methodik
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Barbara Soukup
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Report "Soukup, Barbara. 2014. Konstruktivismus trifft auf Methodik in der Spracheinstellungsforschung: Theorie, Daten, Fazit. In: Christina Cuonz and Rebekka Studler (eds.), Sprechen über Sprache: Perspektiven und neue Methoden der linguistischen Einstellungsforschung, 143-168. Tübingen: Stauffenburg. "