Sklaverei, Sklavenhandel und Abolition auf Curaçao Der Fokus des vorliegenden Beitrags ist aufgrund der historischen Bedeutung der Insel als ehemaliges Hauptsklavendepot der niederländischen Westindien Kompanie auf das Beispiel der zirkumkaribischen Insel Curaçao gerichtet. Die Geschichte der Insel ist im Kontext von Sklaverei und Sklavenhandel mit keiner anderen Region im karibischen Raum vergleichbar. Der Beitrag möchte die Besonderheiten der Entwicklung der Sklaverei auf Curaçao rekonstruieren, wobei hierbei der Schwerpunkt auf die Entwicklung einer speziellen „Kultur der Sklaverei“ ohne klassischem Plantagensystem1 beschrieben werden soll. Als Umschlagplatz für Sklaven, die in der Regel nur wenige Wochen bzw. Monate auf der Insel verweilten, entwickelte sich über die Jahrhunderte eine besondere Beziehung zur „Ware Sklave“. Abschliessend behandelt der Beitrag, sowohl die Situation der Sklaven auf Curaçao kurz vor der Abolition, als auch die Faktoren die zur Verzögerung des Abolitionsprozesses führten. Auch 150 Jahre nach dem offiziellen Ende der Sklaverei am 1. Juli 1863 brachte es der neugekrönte niederländische König Willem-Alexander am 1. Juli 2013 nicht über die Lippen sich bei den Nachkommen der durch niederländische Unternehmen (tw. mit königlicher Beteiligung) verursachten Versklavung von Menschen meist afrikanischen Usprungs zu entschuldigen. Es war Amsterdams gewähltem Bürgermeister Eberhard van der Laan vorbehalten an diesem Gedenktag den Nachfahren zumindest sein tiefes Bedauern für „diese dunklen Kapitel in der niederländischen Geschichte“2 auszusprechen. Das königliche Schweigen veranlasste sogar die sonst weniger kritische niederländische Presse ihren König zu tadeln. Einige Medien brachten jedoch auch ein verstecktes Verständnis für das Verhalten des Königs auf, insofern seine königliche Majestät ja nur aus Angst vor Kompensationszahlungen3 als Folge eines geleisteten Schuldeingeständnisses so handeln musste.4 Seit der United Nations World Conference against Racism (WCAR), die im September 2001 im südafrikanischen 1 Alberto ABELLO VIVES: Alberto (Hg.), Un Caribe sin Plantación. San Andrés 2006. 2 http://emanzipieren.wordpress.com/2013/07/05/hollands-konig-entschuldigt-sich-nicht-fur-dieversklavung-von-afrikanern-die-nachfahren-der-von-den-niederlanden-in-die-karibik-verschlepptenafrikaner-warten-vergeblich-auf-die-anerkennung-des-unre/ (Stand 23.9.13). 3 Am 26.7.2013 brachte die Regierung Surinams eine Anfrage zum Thema Kompensationszahlungen den Sklavenhandel betreffen bei der CARICOM ein. http://www.dutchnews.nl/news/archives/2013/07/suriname_wants_dutch_compensat.php (Stand 23.9.13). 4 Stephen KERSHNAR: Are the Descendants of Slaves Owed Compensation for Slavery? in: Journal of Applied Philosophy, 16, 1, 1999, S. 95-101.
Durban stattfand, fürchten alle ehemaligen Sklaverei-Mächte hohe Kompensationzahlungen. Die UNO erklärte 2001 erstmals, dass die historische Sklaverei der Kolonialzeit ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ war.5 Obwohl das monetäre Damoklesschwert über den Finanzhaushalten der ehemaligen und rezenten Kolonialmächte kreist und dadurch der schwierige Umgang der politisch verantwortlichen Akteure mit den Nachfahren der Sklaven nachvollziehbar wird, ist das schwierige Verhältnis zwischen offizieller Politik auf der einen, und Sklaverei und Abolition auf der anderen Seite nicht ausschließlich auf die wirtschaftliche Dimension allfälliger Restitutionen zu beschränken. Gerade die Insel Curaçao als rezentes Beispiel einer niederländischen Kolonie im 21. Jahrhundert zeigt, dass der postemanzipatorische Prozess auf Curaçao bis dato keinesfalls abgeschlossen ist. Während ein Groβteil der Politiker und Wirtschaftstreibenden im Mutterland den Koloniestatus der verbliebenen sechs Kolonien im karibischen Raum (Aruba, Bonaire, Curaçao, St. Eustatius, St. Martin und Saba) beibehalten möchte, die Gründe hierfür sind vielfältiger Natur und die Schuldfrage und die damit verbundene Vergangenheitsbewältigung ist nur ein Thema, fürchtet sich die „weiβe“ Kolonialbevölkerung geradezu vor der Unabhängigkeit. Diese Stimmen sind oft rassistisch motiviert und erinnern an die groβe Furcht vor der haitianischen Revolution (1791-1804) in der Karibik. 6 Aber es ist nicht nur der koloniale Status, der die Vergangenheitsbewältigung erschwert oder teilweise auch verzerrt, wie beispielsweise in Schulbüchern dargestellt. Im Fall von Curaçao kommt noch hinzu, dass sich das Papiamento, die Sprache der Sklaven und Sklavenhändler, als Verkehrssprache weitgehend durchgesetzt hat. Mit ihr stark verbunden fühlt sich die traditionelle Inselkultur, die zwar den öffentlichen Raum stark prägt, deren Protagonisten jedoch kaum realpolitischen Einfluss ausüben. Trotzdem hat sich zweifellos eine eigene nationale curazalenische Identität transkulturiert, die sich stark mit der „Papiamento-Kultur“ identifiziert.7 Dieser Transkulturalisationsprozess8 setzte in 5 Marvin HOKSTAM: Demand for slavery reparations delivered to Dutch embassy in Suriname, in: News 360 around the Caribbean, (Stand 28.6.13). http://www.caribbean360.com/index.php/news/803877.html#axzz2fmPaFBiY (Stand 24.9.13). 6 Der Autor führte anlässlich des Unabhängigkeits- versus Autonomiereferendums am Tag der Abstimmung am 15. Mai 2009 ein Interview mit einer curazalenischen Frau aus der Tourismusbranche, die sich sehr stark vor dem „Terror der Neger“ fürchtete . Wir (die Weißen) würden dann „auf offener Straße mit einfachen Latten und Stöcken erschlagen“, insofern sie (“die Neger“) das Referendum gewinnen sollten. (Interview mit dem Autor, Landhuis Daniel, Curacao 15.5.2009). Zur groβen Furcht in der Karibik siehe: Michael ZEUSKE, Clarence J. MUNFORD: Die „groβe Furcht“ in der Karibik. SaintDomingue und Kuba, 1789-1795, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 39, 1, 1991, S. 41-60. 7 Möchte an dieser Stelle auf die sehr gute Arbeit von Frau Jeanne Henriquez im Tula Museum verweisen: triunfodisablika.wordpress.com tag eanne-henri uez (Stand 25.9.13). 8 Zum Begriff der Transkulturation siehe: Fernando ORTIZ: El fenómeno social de la transculturación y su importancia en Cuba”, in: Revista Bimestre Cubana, XLVI, 1940, S. 273–278.
den niederländischen Kolonien, vor allem im Vergleich zu den britischen Kolonien in unmittelbarer regionaler Nachbarschaft, erst sehr spät ein. Die Ursachen hierfür sind vor allem im Abolitionsprozess zu suchen, wie das späte Ende der Sklaverei (1863) und die lange apprenticeship (1863-1873) beweisen. Obwohl die Sklaverei am 1. Juli 1863 offizielle in den Niederlande und ihren Kolonien abgeschafft wurde, änderte sich für die Sklaven auf Curaçao in ihrem Verhältnis zu den Arbeitgebern lange Zeit nur sehr wenig. Ähnlich wie fast dreißig Jahre zuvor in den britischen Kolonien, vereinbarte die niederländische Regierung mit ihren Sklavenbesitzern eine zehnjährige Übergangszeit, die sogenannte apprenticeship. Doch im Gegensatz zu Großbritannien, das bereits nach vier Jahren diese Übergangszeit für beendet erklärte, zogen die Niederländer die apprenticeship bis ins Jahr 1873 durch. Mit der Verzögerung des ökonomischen Transitionsprozesses um zehn Jahre, riskierte die niederländische Regierung eine weitere Verhärtung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fronten. Dieser Prozess hat vor allem auch aufgrund des Festhaltens der Niederlande an ihren Kolonien in der Karibik tiefe Spuren im kollektiven Gedächtnis der Nachfahren hinterlassen.9 Da heute 40% aller Curazalenos in den Niederlanden leben, hat sich diese Auseinandersetzung auch nach Europa verlagert. Warum sich gerade in den niederländischen Kolonien die Sklaverei so lange halten konnte und die geistige Verarbeitung dieses auf Unrecht basierenden Unterdrückungssystems nur langsam in das „nationale Gedächnis“ übergeht, ist auf verschiedene innere und äußere Faktoren, sowohl im Mutterland als auch in den Kolonien, zurückzuführen. Obwohl in den letzten Jahren einige Arbeiten über die Geschichte von Sklaverei, Abolition und Postemanzipation auf Curaçao (und Aruba) publiziert wurden10, fehlt noch immer eine Arbeit die epochenübergreifend die Sklaverei auf Curaçao behandelt. Diesem Anspruch nahe kommen Cornelius Goslinga (1956) und Johan Hartog (1968)11, wobei letzterer sich dem Thema der Sklaverei aus seiner eigenen kolonialer Perspektive näherte. Über das Phänomen Curaçao im karibischen Kontext sowohl aus globalgeschichtlicher als auch aus atlantischer Perspektive hat 9 Gert OOSTINDIE: History brought home: Post-colonial migrations and the Dutch rediscovery of slavery. In: U. Bosma (Hg.): Postcolonialism in the Netherlands, Amsterdam 2012, S. 155-173. 10 Rose Mary ALLEN, Heijes COEN, Valdemar MARCHA: Emancipatie & acceptatie: Curaçao en Curacaoenaars, Beeldvorming en identiteit hondertveertig jaar na de slavernij, Amsterdam 2003; Rose Mary ALLEN: Beyond Slavery: The study of enslavement through post-abolition memory. The Study of Caribbean Studies Annual Conference Papers. 10, 2009; Jay B. HAVISER: Identifying a PostEmancipation (1863-1940) African-Curaçaoan Material Culture Assemblage’, in: Jay Haviser (Hg.): African Sites Archaeology in the Caribbean, Princeton u. Kingston, S. 221-263; Luc ALOFS, Slaven zonder plantage: Slavernij en emancipatie op Aruba 1750-1963. Charuba. Aruba 1996. 11 Cornelius GOSLINGA, Emancipatie en emancipator: De geschiedenis van de slavernij op de Benedenwindse eilanden en het werk der bevrijding, Assen 1956; Johan Hartog: Curaçao. From Colonial Dependence to Autonomy, Aruba 1968.
vor allem Gert Oostindie hervorragende Arbeit geleistet.12 In einem breiten Kontext von Sklaverei und Blackness innerhalb der niederländischen Kolonialgeschichte sind Allison Blakely, Ernst van den Boogart und Pieter Emmer zu erwähnen.13 Quellen aus der Epoche der Sklaverei in den niederländischen Kolonien im karibischen Raum sind zwar reichlich vorhanden, die meisten Dokumente jedoch nur über niederländische Archive zugänglich. 14 Berichte von Zeitzeugen, wie die des portugiesisch-jüdischen Autors Benjamin Elie Colaco Belmonte aus dem Jahr 1855, oder von Gerardus Johannes M. Dallhaus (1860), beschreiben die Situation kurz vor der Abolition in Niederländisch-Westindien.15 Curaçao als Umschlagplatz für Sklaven vor der Eroberung durch die WIC Die Insel Curaçao ist mit ihren etwa 442km2 (mit Nebeninseln 444 km2) die zweitgrößte einer langgestreckten Inselkette, die sich von der Guajirahalbinsel im Westen bis zur Halbinsel Araya im extremen Nordosten Südamerikas erstreckt. Zu dieser Inselkette, die im Abstand von fünf bis 170km vor der Küste Venezuelas verläuft, zählen neben der niederländischen Insel Curaçao noch weitere Inseln und Inselchen. In relativer Nachbarschaft ist Curaçao mit Aruba (68km) und Bonaire (48km) vor der Küste der venezolanischen Halbinsel Paranguana gruppiert. Beide
12 Gert OOSTINDIE: Paradise Overseas. The Dutch Caribbean: Colonialism and its Transatlantic Legacies, Oxford 2005; DERS. (Hg.): Facing up to the past; Perspectives on the commemoration of slavery from Africa, the Americas and Europe, Kingston u. The Hague 2001; DERS.: Fifty Years later; Antislavery, capitalism and modernity in the Dutch orbit, Leiden 1995; DERS.: Decolonising the Caribbean: Dutch policies in a comparative perspective, Amsterdam 2003; Wim KLOOSTER, GERT OOSTINDIE: Curaçao in the Age of Revolutions, 1795-1800, Leiden 2011; Peter BOOMGAARD, Gert OOSTINDIE: Changing sugar technology and the labour nexus; The Caribbean 1750-1900, in: Nieuwe West-Indische Gids/New West Indian Guide, 63, 1989, S. 3-22. 13 Allison BLAKELY: Blacks in the Dutch World: The evolution of racial imagery in a modern society, Bloomington 1993: Ernst van den BOOGART: Colour prejudice and the yardstick of civility; The initial Dutch confrontation with Black Africans 1590-1635, in: Robert Ross (Hg.): Racism and colonialism; Essays in ideology and social structure, Nijhoff u. Den Haag 1982, S.33-54: Pieter EMMER: Anti-Slavery and the Dutch: Abolition without reform? in: Christine Bolad, Seymour Drescher (Hg.): Anti-Slavery, religion, and reform: Essays in memory of Roger Anstey, Folkestone 1980, S. 80-98. 14 Diese Archive wären u. a.: Nationaal Archief, Stadsarchief Amsterdam, Noord-Hollands Archief, Zeeuws Archief, siehe auch die Koninklijnke Bibliotheek Nationale Bibliotheek van Nederland. 15 B.E.C. BELMONTE: Neerlands West-Indie in zijne belangen en Dr. W. R. van Hoevell in zijne `Slaven en vrijen´; Slavernij – emancipatie – kolonisatie, Leiden 1855. Auch die Lebensgeschichte des ersten apostolischen Vikars auf Cuaraçao: Monsigneur Martinus Joannes Niewindt, 27.Aug. 1824-12. Jan. 1860 vermittelt ein interessantes Bild. Siehe: Gerardus Johannes M. DALLHAUS: Monseigneur Martinus Joannes Niewindt, eerste Apostolisch Vicaris van Cura ao: een levensschets, 27 Aug. 1824 an. opgedragen aan het oomsch katholieke volk van Cura ao, Baasrode 1924.
Nachbarinseln sind wie Curaçao niederländische Kolonialkonstrukte.16 Östlich von Bonaire folgen die Islas Aves, der Archipel Los Roques, La Orchila, La Tortuga, La Blanquilla bis die etwa 700km lange Inselkette mit dem vor der Halbinsel Araya vorgelagerten Dreigestirn bestehend aus den Inseln Cubagua, Coche und Margarita, mit etwa 1.000km2 Fläche die größte der Inseln, abschließt. 250km nordöstlich von Margarita beginnen mit der Insel Grenada die Windward Inseln, die zu den Kleinen Antillen zählen. Über ein starkes Strömungssystem, die sogenannte Caribbean Current ist Curaçao sowohl mit der Atlantikküste Südamerikas (von Trinidad südwärts) als auch mit dem Golf von Mexiko verbunden. 17 Bereits vor der Eroberung des karibischen Raumes durch die Europäer nutzten die verschiedenen amerikanischen Küstenkulturen Strömungen und Windsystemen für ihre maritimen Zwecke. 18 Als zirkumkaribische Insel gegenüber der nahen südamerikanischen Küste gelegen, erfüllt Curaçao eine wichtige ökonomische und geopolitische Funktion. Die zur Zeit der ersten europäischen Entdeckungs- und Eroberungsfahrten 14991526 auf Curaçao lebenden Caquetios, die linguistisch gesehen zur Gruppe der Arawak sprachigen Kulturen zählen, lebten von der Fischerei, der Perlenfischerei, dem Schildkrötenfang, dem Salzabbau sowie der Nutzung des Dividivibaumes. Archäologische Arbeiten wie die von Haviser, Rupert und Arellano belegen die Existenz eines weitreichenden Handelsnetzwerkes zur Zeit der Ankunft der Europäer.19 Der erste Kontakt der Caquetios von Curaçao mit Europäern fand im Herbst 1499 statt. Der kastilische Kapitän Alonso de Ojeda nutzte die caribbean current auf der Suche nach Perlen und Sklaven für seine beiden Auftraggeber: die kastilische Krone und den Medici-Konzern in Florenz. Mit dem Engagement der Medicis begann der professionelle Sklavenhandel mit indigenen Sklaven im transatlantischen aber auch im innerkaribischen Kontext. 20 Inwieweit die Caquetios mit den Europäern Sklavenhandel betrieben oder nur Opfer waren, ist umstritten. 1513 jedenfalls erklärte der Vizekönig Diego Kolumbus die drei Giganten-Inseln 16 Siehe Autonomiestatus der ABC Inseln sowie die koloniale Eingemeindungspolitik der Niederlande gegenüber Curacao und Bonaire nach dem Referendum vom 15. Mai 2009: http://www.sudd.ch/event.php?lang=en&id=an012009 (Stand 27.9.13). 17 Joanna GYORY, Arthur J. MARIANO, Edward H. RYAN: The Caribbean Current. http://oceancurrents.rsmas.miami.edu/caribbean/caribbean.html (Stand 28.9.13). 18 Carlos Felice CARDOT: Curazao hisp nico antagonismo flamenco-espa ol, Caracas 1973. 19 Jay B. HAVISER: Amerindian Cultural Geography, Utrecht 1987; Linda M. RUPERT: Roots of our Future. http://books.caribseek.com/Curacao/Commercial_History_of_Curacao/from-cattle-ranch-tonaval-base.shtml (Stand 15.10.13); Fernando ARELLANO: Una Introducción a la Venezuela Prehispánica: Culturas de las Naciones Indígenas Venezolanas, Caracas 1987. 20 Zur Rolle Amerigo Vespucci´s siehe Clements Robert MARKHAM: Introduction, in: DERS.: The Letters of Amerigo Vespucci and other documents illustrative of his career, Cambridge (Digitale Neuauflage) 2010, S. I-IXII.
Aruba, Bonaire und Cura ao zu nutzlosen Inseln „islas inútiles“, da sich auf den Inseln keine Bodenschätze befanden. Ob die ca. 2.000 Caquetios 21 die 1515 durch Diego Salazar von Curaçao nach Santo Domingo deportiert wurden von den ABC Insel stammten oder nur vom Festland über Curaçao transportiert wurden, ist bislang noch nicht erforscht worden. In der ersten Phase der Conquista benötigten die Europäer indigene Sklaven, nicht nur für die Ausbeutung der Gold- und Silberminen in ihren ersten Kolonien auf den großen Antilleninseln, sondern auch für die Ausbeutung der Perlenbänke auf den Inseln Cubagua, Coche und Margarita, sondern auch als Soldaten.22 Flucht und Widerstand der Sklaven, aber auch schwere Zerwürfnisse mit den indigenen Sklavenhändlern, gefährdeten zunehmend die wirtschaftlichen Erträge, sodass bereits ab 1512 afrikanische Sklaven in den südkaribischen Raum importiert werden mussten. Auch niederländische, französische und englische Sklavenhändler nutzten Curaçao für ihre Geschäfte. Die beiden vielleicht berühmtesten englischen Seefahrer waren John Hawkins und sein Cousin Francis Drake, die in den Jahren 1565, 1568 und 1598 den Naturhafen von Santa Ana auf Curaçao für ihren Fernhandel nutzten. Der Hafen galt bei Händlern aller Nationen als idealer Umschlagsplatz für ihre Waren. Darüber hinaus bot er ihnen Möglichkeiten zur Reparatur ihrer Schiffe und war ein nahezu perfekter Ausgangspunkt für Angriffe auf die kastilischen Hafenstädte an der Küste. Hawkins beschrieb Curaçao wie folgend “In this place we had traffique for hides, and found great refreshing both of beef, mutton and lambes, where of there were such plenty, that saving the skinnes, we had the flesh given us for nothing…”23 Mittlerweile war der ausufernden Versklavung der “indianischen” Bevölkerung von Seiten der kastilischen Krone ein Riegel vorgeschoben worden. In den Leyes Nuevos24, wurden die Versklavung von “Indios” sowie das Encomienda-System am 20. November 1542 offiziell verboten (erste Abolition). Obwohl die neue Gesetzgebung Curaçao auch miteinschloss, änderte sich an der Situation auf der Insel bis zur Eroberung durch die niederländische West Indien Kompagnie 1634 nichts. Curaçao blieb ein wichtiger Handelsplatz für den zirkumkaribischen Schmuggel mit der venezolanischen Küste, von dem alle Anrainer profitierten. 21 HARTOG, Curaçao, S. 17. 22 Enrique OTTE: Las perlas del Caribe: Nueva Cádiz de Cubagua,Caracas 1977; James LOCKHART, Enrique OTTE: Letters and people of the Spanish Indies, sixteenth century, New York 1976. 23 Erwin GIBBES, Nolda C. RÖMER-KENEPAN, M. A. SCRIWANEK: De Bewoners van Curacao, vijf eeuwen lief en leed 1499-1999, Willemstad 1999, S. 32-33. 24 Leyes y ordenanças nuevamente hechas por su Magestad para la gobernación de las Indias y buen tratamiento y conservación de los Indios
1619 zählte der von der Diozöse in Coro, die ebenfalls in den Schmuggelhandel zwischen Curaçao und der Küste involviert war, beauftragte Licenciado Martín Gómez insgesamt nur 160 „hispanisierte und christianisierte“ Einwohner auf Curaçao. Nachdem die niederländischen Eroberer darüber berichteten, dass auf der Insel noch immer weit verbreitet Caquetio gesprochen wurde, ist davon auszugehen, dass sich unter den von Gomez gezählten Einwohnern auch Caquetios befunden haben sollten, da die Niederländer 1634 nur 32 Kastilier, aber über 400 „Indios“ auf der Insel zählten. Zu dieser Zeit existierten drei von Caquetios bewohnte Städte auf Curaçao, Santa Cruz, Santa Ana und La Madre de Díos de Asunción.25 Ob der doch deutliche Überhang an indigenen Einwohnern schlicht und einfach nur dadurch entstand, dass die Mehrheit der Caquetios noch immer nicht hispanisiert und christianisiert waren, oder von Gómez nicht gezählt werden konnten, weil die von Indigenen beherrschten Gebiete auf der Insel nicht zugänglich waren, bleibt offen. Nachweisbar hingegen ist das Engagement des Bistums von Coro im Ankauf von indigenen und afrikanischen (und afrokaribischen) Sklaven auf Curaçao.26 Johan Hartog vermutet, dass Curacao in kastilischer Zeit als clearing house (Verrechnungsstelle) für indigene Sklaven diente, wodurch seine spätere Funktion unter niederländische Herrschaft nur als Forstsetzung bereits bekannter Praktiken zu betrachten ist.27 Auch nach der Eroberung durch die WIC blieb die Diozöse von Coro Curaçao verbunden und versuchte ihre Verbindungen weiter aufrecht zu erhalten. Die ökonomischen Beziehungen zwischen Küste und Inseln waren für alle Bewohner der Region überlebensnotwendig. Curacao als Drehscheibe des karibisch-niederländischen Sklavenhandels Unter „ihrem König“ Carlos I operierten einigen Seefahrern und Fernhändlern aus den Niederen Rheinlanden (Niederlande) ganz offiziell in den Amerikas, wodurch die niederländischen Hafenstädte (allen voran Antwerpen) schon früh mit Informationen über die neuen im Westatlantik entdeckten Inseln und Küsten versorgt wurden. Mit den Welsern kamen Kolonisten aus verschiedenen Teilen des Heiligen Römischen Reich in das vermeintliche Goldland (El Dorado). Auch nachdem sich die sieben nördlichen Provinzen des burgundischen Erbes vom katholischen Spanien unter König Philipp II (reg. 1556-1598) im Jahre 1568 25 CARDOT: Curazao hisp nico, S. 217. 26 CARDOT: Curazao hisp nico S. 392; AGI: Indiferente. Legajo 2569. Declaración rendida en Caracas el 1 de noviembre de 34 por uan Matheos, usticia Mayor y Mayordomo “que era de la Isla de Curazao, Ante el Gobernador y Capitán General de Venezuela Francisco Núñez Meleán”. 27 HARTOG: Curaçao, S. 40.
losgesagt hatten (und ein 80 Jahre adauernder Krieg die Folge war), blieben die transatlantischen-niederländischen Netzwerke weitgehend bestehen. Vor allem der immense „Salzhunger“ der niederländischen Fischindustrie veranlasste allen voran holländische und zeeländische Salzhändler in den trockenen und salzreichen Regionen des karibischen Meeres Salz zu kaufen. Als Verkäufer traten je nach Eigentümer der verschiedenen Salzpfannen abwechselnd Spanier oder Indigene auf. Die hohen Preise veranlassten jedoch, den sich 1581 als Vereinigte sieben Republiken der Niederlande konstituierten Staat, nicht nur Salzlager auf den Kapverdischen und karibischen Inseln zu überfallen, sondern auch 1591 die große Salzpfanne auf der Halbinsel Araya zu besetzen und auszubeuten. Nachdem die Abbaustelle 1594 wieder zurückerobert werden konnte, verbot Kastilien 1598 den Niederlanden den Handel mit kastilischem Salz, wodurch der kastilischniederländische Schmuggelhandel einen immensen Auftrieb erfuhr. Mit der Gründung der Dutch West Indian Company 1621, die durch die Fusion mehrerer kleinerer und mittlerer Handelsgesellschaften entstand war, wollte man in die erfolgreichen Fußstapfen der bereits 1603 gegründeten Dutch East Indian Company treten. Doch das fehlende Grundkapital ermöglichte kaum attraktive Koloniegründungen. So scheiterte etwa die nachhaltige Kolonialsierung des portugiesischen Bahias (Brasilien) 1625. Curacao blieb weiterhin ein Salzumschlagplatz für Niederländische Händler, wie etwa den aus Flushing stammenden Hendrick Jacobsz Lucifer, der 1627 die Insel besuchte.28 Erst der Überfall auf die kastilische Silberflotte durch Vizeadmiral Piet Heyn vor der Bucht von Matanzas (Straße von Florida) 1628 füllte die Kassen der Dutch West Indian Company und eine Phase erfolgreicher Eroberungen begann. Die Eroberung Curaçaos im Sommer 1634 ist im Zuge dieser Phase zu betrachten. Nachdem man sich die holländische Amsterdamkammer der WIC 1630 im Nordosten Brasiliens in der Provinz von Pernambuco erfolgreich festsetzen konnte, folgten ab 1632 zeeländische Koloniegründungen an mehreren Flussläufen zwischen Pomeroon, Essequibo, Demerara, Berbice, Correntyne, Suriname und Cayenne (also den Guyanas). Ebenfalls im selben Zeitraum geriet zuerst die Insel Sint Marteen 1631 und ein Jahr danach 1632 die Insel Tobago unter Kontrolle des Flushinger Händlers Jan de Moor. Der Widerstand der Spanier auf Curaçao unter der Führung von Lope López de Morla und in Akllianz mit den Caquetios dauerte mehrere Wochen bis der Widerstand der Kastilier schließlich am 26. August 1634 zusammenbrach. Die Amsterdamer WIC trachtete danach die Insel rasch zu ihrer Marinebasis in der Südkaribik auszubauen, wofür sie vorerst alle zivilen Belange in den Händen von 28 HARTOG: Curaçao, S. 43.
Militärs beließ. 1636 wurden die beiden Nachbarinseln Aruba und Bonaire von Waalbeck erobert, womit die WIC ihre Position gegenüber den Spaniern weiter verbessern konnte. Für die militärischen Anlagen benötigten die Niederländer nicht nur Baustoffe sondern auch Sklaven. Die erste offizielle Anfrage hinsichtlich der Einfuhr afrikanischer Sklaven (die Versklavung von Indigenen war per Dekret der WIC seit 1629 verboten) 29, stellte der neue Direktor Jacob Pietersz Tolck 1639 an die Amsterdamer WIC Kammer. Die ersten Sklaven kamen über die Brasilien-Connection der WIC auf die Karibikinsel. 30 1636 hatte der Nassau-Siegener Graf Johan Moritz von Nassau als General-Gouverneur die Regierungsgeschäfte der WIC in Holländisch-Brasilien übernommen. Bereits im Jahr darauf eroberte Nassau das portugiesische Fort São Jorge im Sklavenhafen El Mina an der Goldküste. 1641 folgte die Einnahme der angolanischen Halbinsel Luanda in Angola (Ndongo) sowie der reichen portugiesischen Atlantikzuckerinsel São Tome. 31 Damit verschaffte er der WIC direkten Zugang zu den afrikanischen Sklavenmärkten der zu diesem Zeitpunkt geschwächten Portugiesen, die 1640 ihre Unabhängigkeit von Spanien erkämpft hatten. 1645 empfahl der neue Direktor Curaçao´s Peter Stuyvesant der WIC die Insel in den Sklavenhandel mit Angola zu integrieren.32 In den von Charles Gehring herausgegebenen Curaçao Papers (1640-1665) sind zahlreiche Sklaventransporte aus dem Golf von Guinea nach Curaçao verzeichnet.33 Auch wenn das niederländische Projekt in Nordbrasilien ab 1645 am Widerstand der Portugiesen langsam zusammenbrach, die Kolonie musste 1654 endgültig aufgegeben werden, florierte der niederländische Sklavenhandel im Atlantik und im indischen Ozean weiter.34 Bereits in den ersten Jahren nach der Eroberung nutzte die WIC Curaçao als Ausfallstor für militärische Unternehmungen an die Küste Venezuelas. Während sie die größeren befestigten spanischen Städte, wie Puerto Cabello, Coro oder Maracaibo angriffen, trieben sie mit den meist mestizischen, mulattischen und zamboischen Dörfern an der langen südamerikanischen Küste regen Handel. Der nach achtzig Jahren Krieg in Münster 1648 geschlossene Friede verbesserte in den Folgejahren zwar die politischen Beziehungen der Niederländer zu den Spaniern in 29 Natasha Maritza van der DIJS: The nature of ethnic identity among the people of Curacao, Utrecht 2011, S. 29. 30 Filipa RIBEIRO DA SILVA: Dutch and Portuguese slave trade to Brazil: a comparative approach (16301650), Leiden 2006. 31 Klaas RATELBAND, René BAESJOU (Hg.): Nederlanders in West-Afrika 1600-1650: Angola, Kongo en São Tomé, Zutphen 2000. 32 HARTOG: Curaçao, S. 91. 33 http://www.newnetherlandinstitute.org/files/4013/5543/9329/CuracaoPapers.pdf (Stand: 15.10.13). 34 Michael ZEUSKE: Handbuch Geschichte der Sklaverei. Eine Globalgeschichte von den Anfängen bis heute, Berlin u. Boston 2013.
Venezuela, trotzdem blieb der Handel zwischen ihnen weiterhin illegal. Meine eigenen Reisen in die karibischen Küstenregionen Südamerikas zwischen dem Golf von Uraba im Westen und der Halbinsel Paria im Osten führten zu dem Ergebnis, dass bis heute in nahezu jedem Küstenabschnitt Bevölkerung mit niederländischen Vorfahren lebt. Gerade in typisch afrovenezolanischen Gemeinden, wie in Chuao, Chirimena, Birongo, Higuerote und Boca Vieja begegnete ich überdurchschnittlich oft Menschen mit niederländischen Nachnamen. Unter dem Direktor Matthias Beck (1657-68) verwandelte sich die Insel in ein Sklavendepot (unsinkbares Sklavenschiff) 35. Beck, der zuvor als Kommandant im brasilianischen Ceara bereits Erfahrungen mit dem atlantische Sklavenhandel gemacht hatte, förderte die Ansiedelung von Kolonisten, unter ihnen auch solche mit Brasilienerfahrungen. Bereits vor Becks Amtszeit hatten sich die ersten sephardisch-portugiesischen Juden auf Curaçao niederlassen. Die Flucht aus Brasilien 1654 spülte mehrere jüdische Familien von Pernambuco nach Curaçao, sodass noch im selben Jahr die erste jüdische Gemeinde namens Mikve Israel gegründet werden konnte. Durch die Bestellung Beck´s zum Direktor, wuchs die Zahl jüdischer Kolonisten auf der Insel rasch. Ihr Know How im Sklavenhandel begünstigte die Pläne der WIC für den Ausbau der Insel als zentralen Sklavenumschlagplatz und hub.36 Die Mehrheit der afrikanischen Sklaven war katholisch getauft worden, bemühten sich doch, die mit dem Einverständnis der WIC fast ausschließlich aus Coro gesendeten Priester, um die Seelsorge der Sklaven. Der Fall von 12 evangelisch (Niederländische Reformkirche) getauften Sklaven 1649 fand wegen seiner Singularität in diesem Jahrhundert sogar Eingang in die Geschichtsbücher. 37 Die Trennung zwischen den beiden Religionen stand stellvertretend für die Trennung zwischen „Weißen“ und „Schwarzen“ (irgendwo dazwischen sind die jüdischen Kolonisten anzusiedeln), wodurch der Einfluss des „afrokaribischen“ auf die niederländische Kolonialgesellschaft auf der Insel über Jahrhunderte sehr gering blieb. Der englische Privateer William Dampier berichtet über Curaçao. Nachdem Dampier einen spanischen Zuckertransport von Santiago de Cuba nach Cartagena de Indias überfallen hatte, verkaufte er das süße Gold auf der holländischen Insel
35 ZEUSKE, Handbuch Geschichte, S. 210. 36 Christian CWIK: Atlantische Netzwerke: Neuchristen und Juden als Lançados und Tangomaos, in: Ulrike Schmieder, Hans-Heinrich Nolte (Hg.): Atlantik. Sozial- und Kulturgeschichte in der Neuzeit, Promedia, Wien 2010, S. 66-85. 37 Gerald Francis DE JONG: The Dutch Reformed Church and Negro Slavery in Colonial America, in: Church History, 40, 4 1971, S. 428.
und beschreibt die Sklavenlager auf der Insel. 38 Dampier beobachtete bei dieser Gelegenheit die Auswüchse des insularen Sklavenhandels den die Holländer mit den Spaniern aus Cartagena und Portobelo betrieben, die manchmal „use to buy of the Dutch 1000 or 1500 Negroes at once“39. Mit dem Ausbau Curaçaos als Sklavendepot für den Sklavenhandel, trafen ab 1640 immer mehr Sklaven auf der Insel ein. Die Insel verwandelte sich in Folge, auf direkte Anordnung der Heeren XIX (Vorstand der Hauptkammer der Aktiengesellschaft), in ein Warenhaus für Sklaven aus Westafrika und illegale Schmuggelwaren mehrheitlich aus den Niederlanden, dem Heiligen Römischen Reich, England und Frankreich. Die WIC sicherte sich das Monopol auf die Einfuhr von afrikanischen Sklaven und zahlte anfänglich (1640) für jeden nach Curaçao gebrachten Sklaven 65 Gulden. Dies steigerte sich bis 1659 auf 150 Gulden pro Sklaven. Vor allem die vom kastilischen Monopolhandel quasi ausgeschlossenen Provinzen der Vizekönigreiche von Neuspanien und Peru wurden mit Sklaven und anderen Waren aus Curaçao beliefert. Im Gegenzug boten die illegal operierenden Iberoamerikaner der WIC ihre Produkte (meist Edelhölzer, Tabak, Zuckerrohr und Kakao) für den europäischen Markt an. Von 1640 bis 1662 vergaben die Spanier keinen Sklavenasiento (die Portugiesen büßten mit ihrer Unabhängigkeit von 1640 alle Privilegien ein), wodurch der Schmuggelhandel wieder aufblühte. Die WIC profitierte enorm von dieser Situation. Die Niederländer übernahmen weltweit die portugiesischen Marktanteile. 1675 erklärten die niederländischen Generalstaaten Curaçao auf Betreiben ihres neuen Direktors auf der Insel, des Sklavenhändlers Jan Doncker (1673-79), zum Freihandelshafen, wodurch es allen Nationen erlaubt war in den Hafen einzulaufen und dort Sklaven gegen bares Geld zu kaufen. Um das Jahr 1700 befanden sich rund 2.000 afrikanische Sklaven im Besitz der 1674 neugegründeten West Indien Company auf Curaçao, wodurch die WIC der größte Sklavenbesitzer auf der Insel war. Die Zahl der sich zu dieser Zeit in Privatbesitz befindlichen Sklaven auf der Insel ist nicht genau bekannt. Die vom Autor durchgeführten Forschungen über jüdische Sklavenbesitzer auf der Insel verhärten den Verdacht, dass sich hochgerechnet zirka 2.000 weitere Sklaven in Privatbesitz befunden haben müssen.40 Die meisten Sklaven arbeiteten im Transportwesen, wobei ihre Arbeitskraft auch als Matrosen ausgenützt wurde. Ebenso kamen Sklaven auf den
38 William DAMPIER, A New Voyage Round the World. London 1927. 17071. http://gutenberg.net.au/ebooks 05/0500461h.html (Strand 12.10.13) 39 Ebd. 40 Christian CWIK: Rio de la Hacha y Curazao en el marco del contrabando judío hasta 1750, in: Jortge Elías Caro, Antonino Vidal Ortega (Hg.): Ciudades Portuarias. En la Gran Cuenca del Caribe. Visión Histórica, Barranquilla 2010, S. 281-311.
beiden Zuckerrohrplantagen von Pannekoek und St. Jan, einigen kleineren Indigoplantagen, sowie auf den Orangen- und Zitronenplantagen zum Einsatz. Zwischen 1612 und 1863 betrieben die Niederländer insgesamt zehn Sklavenposten entlang der westafrikanischen Küste. Von dort verschifften sie offiziellen Zahlen nach zwischen 550.000 und 600.000 Afrikanerinnen in die Amerikas, womit ihr Anteil am gesamten transatlantischen Sklavenhandel 5-7% beträgt.41 Hauptziel der niederländischen Sklaventransporte in die Amerikas war seit 1640 die Insel Curaçao. Mit Amsterdamer Kapital wurde nicht nur in neue Sklavenschiffe investiert, sondern auch in den Ausbau des Hafens und der Sklavendepots auf der Insel. In Amsterdam selbst koordinierten sogenannte Generalagenten den Sklavenhandel der WIC, unter ihnen durchaus angesehene Bürger der Stadt. In den Schiffsjournalen der Middelburgischen Commercie Compagnie (MCC) sind Sklaventransporte zwischen 1730 und 1800 beschrieben. 42 Die Journale geben vor allem Aufschluss über die enormen Dimensionen der Akkumulation von Kapital aus dem Sklavenhandel. Bis 1750 gelangten 108.596 afrikanische Sklaven für den Verkauf nach Curaçao. 43 In diese Zahl nicht einberechnet sind die illegal auf die Insel geschmuggelten Sklaven, wobei es sich bei der Schmuggelware meist um nicht registrierte Sklaven auf Sklavenschiffen handelte, die nachts heimlich von Bord gebracht wurden. Um gegen den Schmuggel vorzugehen, erhielten die Sklaven der WIC (zumeist am Oberarm) Brandzeichen. Dadurch waren sie gut von geschmuggelten Sklaven zu unterscheiden. Der Brandstempel war aus Silber gemacht, wodurch man die Infektionsgefahr zu senken versuchte. Unter den „runaway slaves“ (Maroons) auf Curaçao finden wir viele illegale Sklaven, drohte doch Sklaven ohne Brandzeichen jederzeit die Konfiszierung durch die WIC. Der Verkauf von Sklaven orientierte sich an den internationalen Maßeinheiten „Piezas de India“ für den Handel und Verkauf von Sklaven. Obwohl sich die Einheiten mit der Zeit mehrfach änderten, beschreibt die „Piezas de India“ im Allgemeinen einen gesunden männlichen Sklaven anhand einer festgelegten Größe (Körpervermessungen) und eines bestimmten Alters (Altersbestimmung). Gelegentlich wurden diese Angaben noch mit der Bestimmung der Herkunftsregion kombiniert. Da medizinische Untersuchungen zum Alltag im 41 Pieter C. EMMER: De Nederlandse slavenhandel 1500-1850 Amsterdam u.a. 2003; Willie F. PAGE: The Dutch triangle: the Netherlands and the Atlantic slave trade, 1621-1664, New York u.a. 1997; Johannes Menne POSTMA: The Dutch in the Atlantic slave trade, 1600-1815, Cambridge u. a. 1990. 42 Reinders FOLMER van PROOIJEN (Hg.): Van goederenhandel naar slavenhandel: de Middelburgse Commercie Compagnie 1720-1755. Leiden 2000, in: https://easy.dans.knaw.nl/ui/datasets/id/easydataset:51943/tab/1 (Stand 15.10.13). 43 David ELTIS, The trans-atlantic slave data base. http://www.slavevoyages.org/tast/database/search.faces (Stand: 14.10.13).
Sklavengeschäft zählten, wurden vergleichsweise zu anderen kolonialen Geschäftspraktiken dieser Zeit viele Ärzte gebraucht. Da kranke Sklaven günstiger gehandelt wurden, der Preis lag bei etwa 80 Gulden, im Gegensatz dazu kostete ein gesunder männlicher Sklave im Alter zwischen 15 und 25 im 18. Jahrhundert rund 210-270 Gulden44 (Frauen kosteten rund 25-30% weniger), spezialisierten sich einige curazalenischen Einkäufer auf die Rehabilitierung von kranken Sklaven (macarons), um diese zu einem späteren Zeitpunkt teurer verkaufen zu können. Damit wurde der „Cura ao-Sklave“ zu einem Markenartikel der WIC. Egal ob der Aufenthalt der Sklaven auf Curaçao nur einige Tage oder doch Wochen und Monate dauerte, die Versorgung mit Lebensmitteln und Kleidung (Osnabrücktextilien)45 musste gut funktionieren. Die überlebensnotwendige Nahrung beschaffte die WIC über ihre vielen kleinen regionalen und lokalen Kooperationen mit Gemeinden am gegenüberliegenden Festland, wie beispielsweise mit den unabhängigen Guajiros auf der gleichnamigen Halbinsel im Westen.46 Auf Curaçao betrieb die WIC zwei Sklavencamps. Das größere der beiden Camps befand sich auf der Plantage Zuurzak und beherbergte durchschnittlich etwa 3.000 Sklaven47. Jährlich wurden zwischen 1675 und 1700 alleine 4.000 Sklaven (oder 11.000 Tonnen Sklaven) auf der Basis des spanischen Asientos nach Curaçao verschifft und verkauft. Diese Menge sank bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts auf jährlich 500 bis 600 importierte Sklaven. Die Camps waren von einer hohen Mauer umgeben. Die Sklaven lebten so Hartog, nach „der langen beschwerlichen Überfahrt“, in „gut gepflegten sauberen Barracken“ und bekamen „vitaminreiche Ernährung und sauberes Trinkwasser“. Darüber hinaus erhielten sie für den Zeitraum ihrer „Rekonvaleszenz beste ärztliche Betreuung“.48 So mussten die Sklaven in Zuurzak und Groot St. Joris nicht arbeiten und wurden langsam an die karibische Nahrung gewöhnt. Alle diese Maßnahmen dienten ausschließlich der Anhebung des Verkaufspreises.49 Nachdem die Sklaven wieder „fit“ waren, wurden sie nach Berufsfeldern klassifiziert und für den Verkauf hergerichtet. Unterschieden wurde in 44 Johannes POSTMA: The Dutch in the Atlantic Slave Trade, 1600-1815, Cambridge 1990, S. 274. 45 Anfang des 18. Jahrhunderts begann man die ursprünglich aus Osnabrück stammende hochwertigeTextilproduktion (vornehmlich aus Jute) als Billigproduktion (Leinen) in Schottland anzusiedeln und zu imitieren. Die Produktion vervierfachte sich innerhalb von nur zehn Jahren (ca. 1740-50) und überschwemmte die britischen und niederländischen Kolonien, wo „Osnaburg“ zum Label für „Sklavenkleidung“ wurde. 46 CWIK: Rio de la Hacha y Curazao, S. 290f. 47 Bernhard R. BUDDINGH: Van Punt en Snoa. s´ Hertogenbusch 1994, S. 34. 48 Brief der Kamer van Amsterdam van 24 december 1694, in: J. H. J. HAMELBERG: De Nederlanders op de West Indische Eilanden, I, Amsterdam 1901, S. 107. 49 HARTOG: Curaçao, S. 172.
„Haussklaven“, „Handwerker“ und „Plantagensklaven“. Die weitere Behandlung der Sklaven hing von den jeweiligen Besitzern ab. Obwohl die Bestrafung von Sklaven rechtlich geregelt war, überschritten die Sklavenbesitzer diese Grenzen oft, sodass sogar die Amsterdamer Kammer der WIC einschreiten musste, um diverse Praktiken abzustellen. In den Sklavencamps entwickelte sich sogar eine eigene Geheimsprache, das Géné (Guinea). Politische Botschaften wurden in Liedern auf Géné übermittelt. Bei den Sklaven auf Curaçao selbst setzte sich jedoch letztlich eine andere Kreolsprache als Lingua Franca durch, das Papiamento50. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verbreitete sich das Papiamento langsam über die gesamte Insel. Es hatte sich aus dem atlantischen Portugiesisch der Sklavenhändler entwickelt und vermischte sich zunehmend mit den verschiedenen afrikanischen Sprachen der Sklaven. Die spanischsprachigen Franziskaner übernahmen diese auf Curaçao (und den beiden Nachbarinseln) gesprochene Kreolsprache in ihre liturgische Arbeit und erhofften sich dadurch Vorteile bei der Missionierung der Sklaven. Sklaven durften auf Curaçao nicht straflos ermordet werden. Obschon „Weiβe“ keinerlei Rechenschaft für die Tötung von Sklaven ablegen mussten, bestrafte die Regierung ‚weiβe Mörder“ mit der Summe von 200 pesos. Die Informanten bekamen für ihre Hinweise 25 Pesos, genossen überdies Zeugenschutz und blieben anonym. War der Mörder ein Sklave, nicht selten erteilten die weißen Herren Sklaven auch Mordaufträge, wurden sie ausgepeitscht und mit einer Brandmarke versehen. Ehen unter Sklaven auf Curaçao waren formal verboten.51 Sklaven aber auch Freien Farbigen war es ab 1740 verboten sich nach 21.00 Uhr auf der Straße aufzuhalten sowie Musik zu machen oder Geschäften nachzugehen. Verstöße dagegen wurden mit der Peitsche bestraft und der „Schuldige“ zum Strafdienst für drei Monate in die Salzanlagen auf Bonaire verbannt. In den letzten beiden Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts boomte das globale Sklavengeschäft unter niederländischer Ägide, bevor Spanien 1701 vor dem Hintergrund des Spanischen Erbfolgekrieges den Sklavenasiento an die französische Compagnie de Guinée vergab. Von diesem Verlust erholte sich die WIC nicht mehr, und zog sich sukzessive vom Sklavenhandel zurück, wodurch der Schmuggelhandel wieder aufblühte. Widerstand gegen die Unterdrückung durch die Sklaverei fand auf Curaçao sowie in allen anderen Kolonien im karibischen Raum und am Kontinent auf verschiedenster Form statt. Es ist kein Zufall, dass der erste Sklavenaufstand 175050 Sidney JOUBER, Matthias PERL: The Portuguese Language on Curação and Its Role in the Formation of Papiamento", in: Journal of Caribbean Literatures, 5, 1, 2007, S. 43-60. 51 ZEUSKE: Handbuch Geschichte, S. 235.
51 in der von der West Indien Company geführten Plantage Hato ausbrach, galten doch die WIC Plantagen als besonders brutal. Die Anführer nannten sich nach ihrem Verschiffungshafen Elmina in Westafrika „Minas“. Nach anfänglichen Erfolgen der Minas konnten die Aufständischen überwältigt werden. Manchen gelang im letzten Moment die Flucht in den bergigen Norden der Insel oder sogar an die Küste Venezuelas. Im selben Jahr 1750 kam es noch auf zwei weiteren Plantagen zu größeren Sklavenaufständen. 34 Anführer wurden zum Tode verurteilt und 1753 hingerichtet. Die Rebellionen führten zu einer Verschärfung der Kontrolle und in Folge wurden härtere Strafen für straffällige Sklaven eingeführt. 1789, im Jahr in dem die WIC ihr Monopol auf den Import von Sklaven definitiv aufgab, zählte die Kolonialregierung insgesamt 12.804 Sklaven (somit 2/3 der Gesamtbevölkerung)52, 3.964 Weiße und 2.776 Farbige Einwohner (22%) auf Curaçao, wobei die weißen Sklavenbesitzer nur für 4.000 Sklaven Steuern bezahlten.53 Bis zur Abolition 1863 verringerte sich die Zahl der Sklaven auf der Insel auf 5.498. Etwa 2.000 Sklaven waren sogenannte Haus und Handwerkssklaven, von denen fast 700 im Besitz der WIC waren. Von diesen arbeiteten rund 30 in den Stallungen, etwa 170 als Wachpersonal im Fort Amsterdam, 20 in Spitälern der Regierung. Dagegen stieg die Zahl der Freien Farbigen von 22% im Jahr 1789 auf 32% 1817 und 44% 1833.54 Die sinkenden Sklavenzahlen sind auf die verstärkte Manumission ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts zurückzuführen. Sklaven konnten sich stückweise ihre Freiheit erkaufen, waren dann jedoch als Freie Farbige den weißen Bürgern nicht gleichgestellt. 1762 setzte die WIC die Summe um sich die Freiheit zu erkaufen auf 100 pesos fest. 1831 wurde die Manumissionssumme auf 300 bis 500 Gulden angehoben. Unter den sich freigekauften Sklaven war der Anteil an Frauen höher als der der Männer. 55 Mit Sklavinnen gezeugte Kinder waren per Gesetz auch Sklaven (Sklaverei war matrilinear), wurden jedoch von den Besitzern oft aus persönlichen Gründen in die Freiheit entlassen. Im Zeitraum von 1851 bis 1862 gelang es 1.038 Sklaven sich freizukaufen.56 Mit dem Sieg der Franzosen über die willhelminischen Niederlanden und die Ausrufung der batavischen Republik fürchtete man auch auf Curaçao „haitianische Zustände“. Ähnlich wie in den französischen Kolonien, in denen per Dekret vom 4. 52 OOSTINDIE: Paradiese Overseas, S. 9. 53 W.A.S. van GROVESTINS, W. C. BOEY: Rapport betreffende het eiland Curacao, 24 Juni 1791. 54 Humphrey E. LAMUR: Demographic performance of two populations of the Dutch speaking Caribbean, in: Boletín de Estudios Latinoamericanos y del Caribe, 30, 1981, S. 87-88. 55 Rose M. ALLEN: Di ki manera? A Social History of Afro-Curaçaoans, 1863-1917, Utrecht 2007, S. 91. 56 HARTOG: Curaçao, S. 177.
Februar 1794 die Sklaverei abgeschafft wurde, drohte die Abolition nun auch in den batavischen Kolonien. Der Aufstand des Sklavenrebellen Tula im August 1795 bestätigte die Bedenken der Kolonialregierung und der Plantagenbesitzer. Obwohl die Niederländer sich bereits seit 1791 hüteten französische Sklaven zu kaufen, dürfte Tula aus einer der französischen Kolonie im karibischen Raum stammen. Die Aufstände dauerten drei Wochen lang und erfassten große Teile der Insel, blieben aber letztlich ohne nachhaltigem Erfolg. Insgesamt 29 Anführer des Aufstandes wurden noch im September 1795 öffentlich hingerichtet und dem Ozean übergeben57. Abschaffung der Sklaverei Bis zur Abschaffung der Sklaverei benötigten die Niederländer im 19. Jahrhundert noch 63 Jahre, womit sie nur noch von Spanien 1886 und Brasilien 1888 übertroffen wurden. Der transatlantische Sklavenhandel, der zu batavischen Zeiten (1795-1800) bereits abgeschafft war, wurde durch die Briten wieder eingeführt sowie durch die Briten 1807 wieder abgeschafft, danach 1816 vom Vereinigten Königreich der Niederlande wieder eingeführt und 1818 endgültig abgeschafft. Die Briten hatten die niederländischen Kolonien im Zuge der Koalitionskriege gegen die Französischen evolution und ihre „Satellitenstaaten“ von bis 3 und von 1806 bis 1816 besetzt. Am 28. September 1824 wurde der 10 Stunden Werktag für Sklaven unter der Ägide von Johannes Van den Bosch beschlossen. Ebenso verloren sie in der Verordnung von 1828 ihren Status als „bewegliche Sache“ (davon ausgenommen waren Verkauf und Verpfändung) und wurden fortan als „Personen“ behandelt (Artikel 117)58. Die verminderten Importe afrikanischer Sklaven führten zur Steigerung der Auto-produktion auf der Insel. Frauen wurden gezielt als Gebärmaschinen für Produktionskräfte eingesetzt. Gleichzeitig blieben die Sklaven länger in Verwendung. Doch trotz strengerer Auflagen von Seiten der Kolonialregierung blieb die Situation vor allem für Plantagensklaven miserabel. Die Besitzer hielten sich nicht an die Gesetze und griffen zur Selbstjustiz. Sie sperrten widerständige Sklaven in Plantagengefängnisse, folterten sie und legten die Sklaven in Ketten. Ab dem 19. Jahrhundert blieben derartige Übergriffe auf Sklaven nicht mehr unbeobachtet. Die Täter wurden auf Druck einer kritischen Öffentlichkeit kriminalisiert und zumindest bestraft (nur Geldbeträge). Langsam sollten auch die Sklaven zu Käufern werden, schliesslich lief die kapitalistische Maschinerie an, und die Eigentümer mussten ihren Sklaven einen 57 Wim KLOSTERS, Gert OOSTINDIE (Hg.): Curaçao in the age of revolutions, 1795-1800, Leiden 2011. 58 Beleid der regeering van de Nederlandsch West-Indische bezittingen (gedateerd 21 juli 1828).
geringen Wochenlohn zwischen 6-14 Reals auszahlen59. Die Sonntagsarbeit wurde ebenso entlohnt. Die Situation passte sich ab 1820 langsam der schlechten Situation europäischer ArbeiterInnen an, mit dem großen Unterschied, dass Sklaven rechtlich gesehen Eigentum ihres Arbeitgebers blieben. 1816 lebten 6.026 Sklaven auf Curaçao. Die zweitgrößte Gruppe stellten die Gruppe der Freien Farbigen dar, die aus insgesamt 4.033 Personen bestand und somit die dritte Gruppe, die Weißen, mit ihren 2,761 Personen, noch bei weitem überflügelte. Insgesamt standen damit 6.814 Freie Menschen, 6.026 versklavten Menschen gegenüber. Während die Summe der Sklaven bis zur Abolition ziemlich gleich blieb (5.498 = 4.3% )60 stieg die Gruppe der Freien auf 13.629 (rund 50%) massiv an61. Die Sklaven verteilten sich neun Jahre vor der Abschaffung der Sklaverei (1854) wie folgt über die Insel: Osten, 52 Plantagen mit 1.121 Sklaven; Zentrum, 32 Plantagen mit 834 Sklaven sowie Westen, 30 Plantagen mit 1.656 Sklaven. Auf der größten Plantage Savonet waren 274 Sklaven beschäftigt. Alle anderen Plantagen auf der Insel waren recht klein und auf die Produktion von Indigo, Mais und Salate sowie Viehzucht (vor allem Ziegen, Schafe und Schweine) spezialisiert. Der Rest, nämlich 1.818 Sklaven arbeiteten als Haussklaven, Handwerker, Soldaten sowie in anderen Berufen. 62 Flucht war für curazalenische Sklaven aufgrund der Nähe Venezuelas immer eine Option. Das Problem bestand vor allem in den geeigneten seetauglichen Transportmitteln. Die niederländische Kolonialregierung hatte von Anfang an ihre liebe Mühe mit der Zerschlagung von Schleppernetzwerken. Diese entstanden teilweise aus der direkten Not der Flüchtigen, wobei die solche illegalen Transporte anbietenden Familien alten Traditionen folgten, als auch professionellen Unternehmen angrenzender regionaler und lokaler Anbieter. War zuerst der Krieg zwischen Spanien und den Niederlanden eine wichtige Ursache für spontane und geförderte Flucht, verwandelten sich dies im Zeitalter der Französisch-Haitianischen Revolution und der Unabhängigkeitskriege im Vizekönigreich Neugranada in politische Flucht. Ein bekanntes Beispiel ist die Flucht der Sklaven José Caridad González und Leonardo Chirino, die von Curaçao aus ins Bergland von Coro flohen, wo sie 1795 für kurze Zeit einen Protostaat errichteten. Die von Simon Bolívar 1816 geforderte und 1819 proklamierte Abolition der Sklaverei förderte die Maroonage der Sklaven auf Curaçao nach Venezuela63. Viele schlossen sich den Unabhängigkeitsstreitkräften Bolivars zu 59 HARTOG: Curaçao, S. 177. 60 Humphrey E. LAMUR: Demographic performance of two populations of the Dutch speaking Caribbean, in: Boletín de Estudios Latinoamericanos y del Caribe, 30 1981, S. 88. 61 KLOSTERS, Illicit Riches: Dutch trade in the Caribbean 1648-1795. Leiden 1998, S. 61 62 HARTOG Curaçao, S. 180. 63 José M. RAMOS G: Bolívar y la Abolición de la Esclavitud en Venezuela 1810-1830, Caracas 2010.
Land und zu Wasser an. Mulattische Heerführer wie der aus Curaçao stammende Manuel Piar (1774-1817) trugen entscheidend dazu bei, dass die Unabhängigkeitsbewegung die Masse der Pardos (Venezuela) und Libertos (Kolumbien) erfasste. Batavische Revolutionäre allen voran der curazalenische Admiral Louis Brion (1782-1821) nutzten ebenfalls diese von Haiti ausgehende Dynamik für ihren antibritischen und antispanischen Kampf. Doch setzte sich die Abolition nach der Unabhängigkeit der Republiken Südamerikas genauso wenig durch wie in den einst von der Revolution beseelten niederländischen und französischen Kolonien. Trotzdem fürchtete die niederländische Regierung ein erneutes Erstarken der Abolitionsbewegung und versuchte gegen zu steuern. Die Niederlande, die als Vereinigtes Königreich der Niederlande aus dem Wiener Kongress hervorgegangen waren, hoben 1823 das religiöse Heiratsverbot für Sklaven in ihren Kolonien auf. Trotzdem dauerte es bis 1844 bis Sklaven mit dem Einverständnis des Besitzers auch „Freie Menschen“ heiraten durften.64 Im Jahre 1847 wurden die erste Schule für Sklavenkinder eröffnet. Im selben Jahr veröffentlichte die niederländische Regierung ein Kommunique, das den Unwillen der niederländischen Kolonisten ausdrückte den Sklaven die Freiheit zu schenken. 65 In den zeitgenössischen Berichten über das Verhältnis zwischen Weißen und Farbigen sowie Sklaven geht eindeutig eine scharfe rassische Abgrenzungslinie hervor, die „unbedingt beibehalten werden muss, unabhängig vom rechtlichen Status“.66 Die Versuche der Farbigen sich mit den „Weißen“ zu mischen wurden als „arrogant“ empfunden.67 Dass sie im Gegensatz zu ihren Brüdern in Afrika jedoch wissen, dass sie Menschen sind, gäbe Hoffnung auf Besserung, die mit (katholischer) Erziehung auch erreicht werden würde, schrieb der Vikar Martinus Johannes Niewindt im Jahre 1850. 68 Im Fahrwasser der Abschaffung der Sklaverei in den französischen Kolonien 1848 wurde in den niederländischen Kolonien 1850 die Manumission offiziell abgeschafft. Im Jahr darauf wurde eine Staatskommission eingesetzt, die sich mit der Abschaffung der Sklaverei beschäftigen sollte. Der Report zur Lage der
64 HARTOG: Curaçao,S. 183. 65 Armando Rudolfo LAMPE: Yo te nombro libertad: Iglesia y estado en la sociedad esclavista de Curazao (1816-1863), Nijmegen 1988, S. 83. 66 G. B. BOSCH: Reizen in West-Indie een door een van Zuid-en Noord-America, Utrecht 1829-36, S. 103, S. 226-228; Martes Douwes TEENSTRA: De Nederlandsche West/Indische Eilanden, I, Amsterdam 1836, S. 165-167 zitiert nach OOSTINDIE, Paradise Overseas, S 50. 67 Hermanus Johannes ABBRING: Weemoedstoonen Uit de Geschiedenis Van Mijn Leven, of: Mijne Reis Naar Curacao, en Vlugige Beschouwingen Van Dat Eiland Gedurende Mijn Tienjarig Verblijf Op Hetzelve, Gronigen 1834, S. 99-100. 68 ALLEN, Di ki manera? 2007; OOSTINDIE, Paradiese Overseas, S. 39.
Sklaven auf Curaçao erschien jedoch erst 1856 und bestätigte die Mängel des Systems. 69 Statt die Sklaverei abzuschaffen publizierte die niederländische Kolonialregierung 1857 eine neue Sklavenverordnung in der die Bestrafung von Sklaven abgeschafft wurde. Ein Blick in die Quellen des National Archief der Niederländischen Antillen, die den Zeitraum von 1855 und 1862 abdecken, bestätigen die ganze Härte des Systems gegenüber Sklaven bis zum Ende der Sklaverei. Datum, Sklaven-Name, Geschlecht, Alter, Besitzername, Tat und Bestrafung sind darin aufgezeichnet und beweisen, dass bis zum letzten Tag der Sklaverei härteste Bestrafungen (z. B.in Ketten gelegt) durchgeführt wurden.70 Der liberal gesinnte Reinhart Frans Van Lansberge wurde mit der Aufgabe als Gouverneur eingesetzt die Sklaverei abzuschaffen. 71 Es dauerte schließlich noch bis zum 8. August 1862 bis die Abschaffung der Sklaverei beschlossen wurde, die dann am 1. Juli 1863 in Kraft trat. Die Kunde von der Abschaffung der Sklaverei erreichte Curaçao erst am 30. September 1862. Mit Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Juli 1863 endete für 6.751 Sklaven (= 35% von 85% afrikanischstämmiger Bevölkerung bei etwa 19.000 Einwohnern)72, davon 6.684 in Privatbesitz, die Sklaverei. 73 Die Befreiung wurde verhalten gefeiert und den Spitzen des Staates (König, Staatsrat) gehuldigt. Für den Verlust der Sklaven bezahlte die Niederländische Regierung den Eigentümern Kompensationszahlungen von 1.336.800 Gulden74 und führte nach britischem Vorbild eine zehnjährige Apprenticeship für die Sklaven ein, fürchtete sie doch einerseits eine einsetzende Arbeitsträgheit sowie andererseits anarchistische Zustände nach der Abolition.75 69 Rapport Staatscommissie II, 1856; Humphrey E. LAMUR: Demographic performance, in: Boletin de Estudioes Latinoamericanos y del Caribe, 30, 1981, S. 87. 70 National Archief Curaçao: Algemene Rekenkamer: klapper op de namen van plantages, plantageeigennaren, en stukken betrefende de verantwoording van de uitbetalingen i.v.m. de opheffing van de slavernij in de West Indie (1862), 1863-1868 (-1973); Koloniale secretaris bevoegd tot het uitoefenen van het notarisamten zijn opvolgers, 1846-1957, 1970 sowie diverse Sammlungeb zu familien, Personen und Plantagen. 71 Brief des Gouverneurs Reinhart Frans Van Lansberge an den Kolonialminister Isaav Dignus Fransen van de Putte vom 22.5.1862, in: Wim S. M. HOOGBERGEN: Out of Slavery: A Surinamese Roots History, Berlin 2008, S.81-84. 72 OOSTINDIE, Paradiese Overseas, S. 9. 73 Koloniaal Verslag: Bijlage van het verslag der handlingen van de tweede Kamewr der StatenGeneraal. Den Haag 1863; DIJS: The nature of ethnic identity, S. 128 74 BLAKELY: Blacks in the Dutch World, S. 2; Michael SHARPE: Globalization and Migration: PostColonial Dutch Antillean and Aruban Immigrant Political Incorporation in the Netherlands, in: Dialectical Anthropology, 29 (3/4), 2005, S. 297. 75 W. R. MENKMAN: Slavernij-Slavenhandel-Emancipate, in: De West-Indische Gids (Emancipatienummer), 1953, S. 110; OOSTINDIE, Paradiese Overseas, S. 9.
Conclusio Wie kein anderes Land in Europa pflegen die Niederlande seit bald 500 Jahren ihr Image immer schon ein besonders tolerantes Land gewesen zu sein. Der achtzigjährige Kampf der Niederlande um ihre Unabhängigkeit vom katholischen Spanien und seiner grausamen Politik gegenüber Andersdenkenen und andersgläubigen Menschen (Inquisition) ist Teil der nationalen Identität. Aus ihr schöpften die Niederlande ihre staatliche und gesellschaftliche Legitimität. Eine einst führende Sklavenhändlernation gewesen zu sein passt somit nur schwerlich zu diesem Image, wodurch sich die Niederlande doppelt schwer mit ihrer Vergangenheitsbewältigung tun. In der historischen Aufarbeitung der Sklaverei im 20. Jahrhundert wurde die Sklaverei auf Cura ao oft als “milde” dargestellt, man hätte die Sklaven geradezu zur Emanzipation drängen müssen.76 Für große Teile der weißen Bevölkerung auf der Insel stellt dieses Klischee einen wichtigen Baustein ihrer äußerst komplexen curazalenischen Identität dar. 77 Institutionen wie etwa das Department of the African Studies Centre Leiden sowie das National Institute for the Study of Dutch Slavery and its Legacy haben es sich zur Aufgabe gemacht eine breitere niederländische Öffentlichkeit auf dieses historische Erbe aufmerksam zu machen. Das von Kwame Nimako und Glenn Willemsen publizierte Buch “The Dutch Atlantic: Slavery, Abolition and Emancipation“ verfolgt diesen aufklärerischen Zweck, sehen die Autoren doch gerade in der versäumten Vergangenheitsbewältigung die größte Gefahr für die Zukunft der niederländischen Gesellschaft. Kulturell betrachtet existiert im kolonialen Denken noch immer die Überlegenheit des Weißen, weil zivilisiert, gegenüber den Afrikanern, weil barbarisch, wodurch der Besitz von Kolonien bis heute gerechtfertigt wird. Dieser Rassismus ist vor allem unter den weißen Kolonisten in den Kolonien selbst weit verbreitet und strahlt durch die Beziehungen mit den Niederlanden (Migration, Fernhandel etc.) ins „Mutterland“ aus. Die aus Curacao stammende Historikerin Rose Mary Allen beschreibt dieses Trauma in ihrem Kongressbeitrag: Beyond Slavery: The study of enslavement through post-Abolition memory.78 76 H. HOETINK: Race relations in Curacao and Suriname, in: L. Foner, Eugene Genovese (Hg.): Slavery in the new world, a reader in comparative history, Engelwood u. Cliffs 1969, S. 179-187; Rudolf A. J. van LIER: Frontier Society: A social analysis of the history of Surinam, Den Haag 1971. 77 Rose Mary ALLEN: The Complexity of National Identity Construction in Curaçao, Dutch Caribbean, in: Revista Europea de Estudios Latinoamericanos y del Caribe 89, 2010, S. 117-125. 78 Rose Mary ALLEN: Beyond Slavery: The study of enslavement through post-Abolition memory, in: The Society for Caribbean Studies Annual Conference Papers, Vol. 10, 2009.
Dadurch, dass der niederländische Staat meint, er wäre „nur“ einer von vielen Aktionären im Sklavenhandel und einer von vielen Sklaveneigentümern gewesen, weist er bis heute (fast) jede Verantwortung von sich. Das Fehlen einer ernstzunehmenden Abolitionsbewegung in den Niederlanden würde nur den „sanften Umgang“ mit ihren Sklaven bestätigen, so die Argumentation einiger Revisionisten. Während die Sklaveneigentümer für den Verlust ihrer Sklaven Kompensationszahlungen erhielten, bekamen die Sklaven und ihre Nachfahren bis heute keine Entschädigung für die Zwangsarbeit, die sie ohne Bezahlung für ihre Herren verrichten mussten. 79 Bis heute bleibt Hautfarbe ein Kriterium der Diskriminierung von afrokaribischen Menschen auf Curaçao.
79 Kwame NIMAKO, Glenn WILLEMSEN, The Dutch Atlantic: Slavery, Abolition and Emancipation. Amsterdam 2011, S. 140-143.
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