Schöpferische Erinnerung. Zum „Gedenken Gottes“ in der biblischen Fluterzählung, in: B. Janowski, Die Welt als Schöpfung. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 4, Neukirchen-Vluyn 2008, 172-198 (= SBS 91, Stuttgart 2008, 17-47)
Schöpferische Erinnerung Zum „Gedenken Gottes“ in der biblischen Fluterzählung
Zum Gottesbild des Alten Testaments bzw. zu „alttestamentld lichen Gottesbildern“, wie die zweite Hälfte des Titels seiner 1999 erschienenen „Studien“ lautet, hat W. Groß immer wiedd der anregende und weiterführende Überlegungen vorgelegt. Fast ausschließlich sind es dabei die sogenannten „dunklen Seiten Gottes“, denen er seine Aufmerksamkeit schenkt : dem Verstockungsauftrag in Jes 6, 8 – 11, der Vorstellung von der Erschaffung von Finsternis und Unheil in Jes 45, 7 , der ‚Gott als Feind‘-Vorstellung in Ps 88 , dem GottesbelagerungsMotiv in Ps 139, 1 – 12 , dem Motiv vom verborgenen Gesicht Gottes oder dem Zorn Gottes-Motiv. Dem letzten Motiv hat er jüngst eine weitere Studie gewidmet, die den bezeichnd nenden Titel trägt : „Keine Gerechtigkeit Gottes ohne Zorn Gottes“ – was man m. E. auch umkehren kann : Kein Zorn Gottes ohne Gerechtigkeit Gottes!
W. Groß, Studien zur Priesterschrift und zu alttestamentlichen G Gottesbildern (SBAB 30), Stuttgart 1999. Ders., Kann Gottes Prophet scheitern? Gott verstockt Israel (Jes 6, 1 – 11), in : ders., Studien, 125 – 144. Ders., Das Negative in Schöpfung und Geschichte : YHWH hat auch Finsternis und Unheil erschaffen (Jes 45, 7), in : ebd., 145 – 158. Ders., Gott als Feind des einzelnen? Psalm 88, in : ebd., 159 – 171. Ders., Von YHWH belagert. Zu Ps 139, 1 – 12, in : ebd., 173 – 183. Ders., Das verborgene Gesicht Gottes – eine alttestamentliche Grunderfahrung und die heutige religiöse Krise, in : ebd.,185 – 197. Ders., Zorn Gottes – ein biblisches Theologumenon, in : ebd., 199 – 238. Ders., Keine Gerechtigkeit Gottes ohne Zorn Gottes. Zorn Gottes in der christlichen Bibel, in : G. Struck / C. Sticher (Hg.), „Deine Bildd der stehn vor dir wie Namen“. Zur Rede von Zorn und Erbarmen Gottes in der Heiligen Schrift, Mainz 2005, 13 – 29. erschienen in: Oliver Dyma / Andreas Michel (Hrsg.), Sprachliche Tiefe – Theologische Weite (Biblisch-Theologische Studien 91), Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2008. ISBN: 978-3-7887-2238-8
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Wie dem auch sei : Bei so vielen „dunklen Seiten“ mag es den Jubilar vielleicht erfreuen, von mir zu seinem Geburtstd tag an eine „helle Seite“ Gottes erinnert zu werden, die ich seine „Schöpferische Erinnerung“ nennen möchte und von der besonders in der priesterlichen Urgeschichte die Rede ist (Gen 8, 1a; 9, 15f.). Natürlich wird von dieser rettenden Erinnerd rung Gottes auf der dunklen Folie der Flutereignisse erzählt, aber mit der Absicht, deren Macht zu brechen und damit das Gewaltszenario der Flut gleichsam „aufzuhellen“. Das „Gedenken“ ist aber nicht die einzige Gefühlsregung Gottes in der biblischen Urgeschichte. Ebenso bemerkenswd wert sind die Aussagen von der „Reue“ Gottes (Gen 6, 6, vgl. 6, 7), von seinem „Schmerz“ (Gen 6, 6) und von der Rücknahmd me seines Vernichtungsbeschlusses (Gen 8, 21f.*). Sie bilden ein dichtes Netz von Termini und Motiven, die aussagerelevd vante Bedeutung für das biblische Gottesbild haben. Ist das „Gedenken“ Gottes aber überhaupt eine Gefühlsregung und nicht vielmehr ein noetischer Akt? Oder ist das eine falsd sche Alternative? Denn immerhin ist an denselben Stellen der nichtpriesterlichen Urgeschichte (Gen *6, 5 – 8, 22) vom „Herz“ ( ) ֵלבGottes / des Menschen die Rede, das als Ort der Emotionen und der Gedanken / Entscheidungen gilt (Gott : Gen 6,6; 8,21; Mensch/en : Gen 6, 5; 8, 21). Um hier klarer zu sehen, müssen wir zunächst einen Blick auf das Leitverb זָ ַכר „gedenken“ (+ Subjekt JHWH) und – anhand ausgewählter Beispiele – auf seine jeweiligen Kontexte werfen.
S. dazu B. Janowski, Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologd gie der Psalmen, Neukirchen-Vluyn 22006, 166ff., ferner Th. Krüger, Das menschliche Herz und die Weisung Gottes. Elemente einer Diskd kussion über Möglichkeiten und Grenzen der Tora-Rezeption im Alten Testament, in : R. G. Kratz / Th. Krüger (Hg.), Rezeption und Auslegd gung im Alten Testament und in seinem Umfeld (OBO 153), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1997, 65 – 92.
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I. Zum „Gedenken Gottes“ im Alten Testament 1. Übersicht über die Belege In seiner Studie zur Wurzel ZKR in den semitischen Sprachen hat W. Schottroff 10 die Belege für das Syntagma זָ ַכר+ Subjekt JHWH in vier Kategorien eingeteilt : Zahlenmäßig an der Spitzd ze stehen die Belege für den personalen Bezug des Syntagmas (I), die sich in drei Unterkategorien gliedern lassen : 1. זָ ַכרmit dem Akkusativ der Person11, 2. זָ ַכרmit ְלder Person12 und 3. זָ ַכרmit ְלder Person und Akkusativ der Sache13. Charakterd ristisch für diese Verwendungsweise ist der Sachverhalt, daß זָ ַכרals Begriff für die Gott / Mensch-Beziehung „keinen bloß gedächtnismäßigen Bezug (bezeichnet), sondern ein tathaftes Eingehen der Gottheit auf den Menschen, der sich in Not befd findet. Inhalt dieses Gedenkens ist Segen und Heil“14. Neben dem personalen Bezug (I ) bezeichnet die Wendung זָ ַכר+ Subjekt JHWH das Denken an Gemeinschaftsbegriffe wie Bund, Verheißung(swort), Huld und Erbarmen (II )15, das
10 W. Schottroff, „Gedenken“ im alten Orient und im Alten Testa ment. Die Wurzel zākar im semitischen Sprachkreis (WMANT 15), Neukd kirchen-Vluyn 21967, vgl. ders., Art. זָ ַכר, THAT I (51994) 507 – 518 und die weiterführenden Überlegungen bei A. Schüle, Gottes Handeln als Gedächtnis. Auferstehung in kulturtheoretischer und biblisch-theologd gischer Perspektive, in : H.-J. Eckstein / M. Welker (Hg.), Die Wirkld lichkeit der Auferstehung, Neukirchen-Vluyn 2002, 237 – 275, hier : 259ff.267ff. 11 Gen 8, 1a; 19, 29; 30, 22; Lev 26, 42; Ri 16, 28; 1 Sam 1, 11.19; Jer 15, 15; 31, 20; Ps 8,5; 9,13; 74,2; 106,4; 115,12; Hi 14, 13; negiert : Ps 88, 6 (von den Toten) und Thr 2, 1 (vom Zion), s. dazu Schottroff, „Gedenken“, 183ff. 12 Einführung des personalen Akkusativobjekts durch ְל: Ex 32, 13; Dtn 9, 7; Ps 25, 6 und 136, 23, s. dazu ebd., 197ff. 13 Ps 132, 1; 2 Chr 6, 42; Neh 5,19; 6, 14; 13, 14.22.29.31 („Stifterinschriftd ten / -texte“), s. dazu ebd., 217ff. Zu den sachlichen Berührungspunkten dieser Texte mit den Belegen der Gruppe IV s. unten Anm. 16. 14 Ebd., 201 (Hervorhebung von uns). 15 Bund : Gen 9, 15.16; Ex 2, 24; 6,5; Lev 26, 42.45; Jer 14, 21; Ez 16, 60; Ps 105,8 = 1 Chr 16, 15; 106, 45 und 111, 4; Verheißung(swort) : Ps 105, 42; 109, 49 und Neh 1, 8; Huld und Erbarmen : Ps 25, 6; 98, 3 und Hab 3, 2, s. dazu ebd., 202ff.
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Verhalten zu den guten / schlechten Taten der Menschen (III )16 sowie das Bedenken von Tatbeständen wie der Hinfälligkeit des Menschen oder der Schwachheit Israels (IV )17. Weitere Differenzierungen ergeben sich aus dem gattungsmäßigen Ort (Klage, Bitte, Dank, Hymnus u. a.) des göttlichen Gedenkd kens.18 Wie schließlich die Synonyme und die Antonyme19 unterstreichen, ist die Grundbedeutung von זָ ַכרqal. (+ Subj. JHWH ) mit „denken an …“ wiederzugeben, womit ein über blosses Denken hinausgehender tätiger Bezug zu den Objektd ten des göttlichen Gedenkens, d. h. seine handelnd-helfende Zuwendung zum Menschen impliziert ist.20 Um Engführungd gen zu vermeiden, müßte man genauer sagen, daß זָ ַכרeine Mittelstellung zwischen „denken an“ im Sinn eines ZurKenntnis-Nehmens (einer Person oder eines Sachverhalts) einerseits und dem daraus folgenden Tätig-Werden anderersd seits einnimmt. „Gemeint ist ein ‚Denken-an‘ im Sinn einer gewollten inneren Zuwendung und Anteilnahme, welche die Bereitschaft einschließt, handelnd / helfend tätig zu werdd den“21. Dieser Sachverhalt soll an drei Beispielen verdeutlicht werden.
16 Gute Taten mit Heils- und Segenswirkung durch Gottes Gedenken : 2 Kön 20,2 = Jes 38, 2; Jer 2, 2; 18, 19; 44, 21; Ps 20, 4 und 137, 7; schlechte Taten mit Zorn- und Todeswirkung durch Gottes Gedenken : Jes 43, 25; 64, 8; Jer 14, 10; 31, 34; Hos 7, 2; 8, 13; 9, 9; Ps 25, 7 und 79, 8, s. dazu ebd., 217ff. 17 Ps 78, 39; 103, 14, vgl. die Bitten im Kontext von Klagen des einzelnd nen / des Volkes : Ps 74, 18.22; 89, 48.51; Hi 7, 7; 10, 9 und Thr 5, 1, s. dazu ebd., 239ff. 18 S. dazu ders., Art. ( זָ ַכרs. Anm. 10), 514ff. 19 S. dazu im einzelnen ebd., 510 und W. Eising, Art. זָ ַכרusw., ThWAT 2 (1977) 571 – 593, hier : 573. 20 Vgl. Schottroff, „Gedenken“, 510.514. 21 H. Schnieringer, Psalm 8. Text – Gestalt – Bedeutung (ÄAT 59), Wiesbaden 2004, 224.
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2. Ausgewählte Textbeispiele Charakteristisch für die Verwendungsweise von זָ ַכר+ Subj. JHWH ist der explizit personale Bezug (einzelner / Israel), der an 29 von insgesamt 72 Stellen belegt ist.22 Wie grundsätzlich mit dieser Wendung das Gott / Mensch-Verhältnis umschriebd ben wird, geht etwa aus Ps 8, 5 hervor. a) „Was ist der Mensch, daß du an ihn denkst?“ (Ps 8, 5) Wie die neuere Psalmenforschung deutlich gemacht hat, stellt der Schöpfungs- oder besser : Schöpferpsalm 8 ein „poetisches Kompendium klassischer psalmtheologischer Anthropold logie“23 dar. Dessen Mittelteil bilden die sachlich parallelen JHWH -Prädikationen V. 2b – 3 und V. 4 – 9, die von den beidd den, JHWH als Weltherrscher und Schöpfergott preisenden Bewunderungsrufen V. 2a und V.10 gerahmt werden. Diese theozentrische Perspektive des Psalms bringt in prägnanter Weise auch V. 5 zum Ausdruck, wenn er die Frage nach dem 22 S. dazu oben Anm. 11 – 13. An den Stellen der Beleggruppen II – IV ist ein personaler Bezug implizit vorhanden. 23 H. Spieckermann, Heilsgegenwart. Eine Theologie der Psalmen (FRLANT 148), 1989, 237, s. zu Ps 8 bes. H. Irsigler, Die Frage nach dem Menschen in Psalm 8. Zu Bedeutung und Horizont eines kontroversen Menschenbildes im Alten Testament, in : ders., Vom Adamssohn zum Immanuel (ATSAT 58), St. Ottilien 1997, 1 – 48, hier : 10ff.16ff.; O. Kaisd ser, Der Gott des Alten Testaments. Theologie des Alten Testaments Bd. 2 (UTB 2024), Göttingen 1998, 279ff.; U. Neumann-Gorsolke, „Mit Ehre und Hoheit hast Du ihn gekrönt“ (Ps 8,6). Alttestamentlicd che Aspekte zum Thema Menschenwürde, JBTh 15 (2000) 39 – 65, hier : 44ff.; dies., Herrschen in den Grenzen der Schöpfung. Ein Beitrag zur alttestamentlichen Anthropologie am Beispiel von Psalm 8, Genesis 1 und verwandten Texten (WMANT 101), Neukirchen-Vluyn 2004, 20ff.; B. Weber, Werkbuch Psalmen I. Die Psalmen 1 bis 72, 2001, Stuttgart 72ff.; A. Meinhold, Menschsein in der Welt vor Gott. Alttestamentliche Perspektiven, in : ders., Zur weisheitlichen Sicht des Menschen. Gesammd melte Aufsätze (ABG 6), Leipzig 2002, 13 – 34, hier : 13ff.; Chr. Frevel, „Eine kleine Theologie der Menschenwürde“. Ps 8 und seine Rezeption im Buch Ijob, in : F.-L. Hossfeld / L. Schwienhorst-Schönberger (Hg.), Das Manna fällt auch heute noch. Beiträge zur Geschichte des Altd ten, Ersten Testaments (FS E. Zenger) (HBS 44), Freiburg / Basel / Wien 2004, 244 – 272 und Schnieringer, Psalm 8, passim.
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Wesen des Menschen – „Was ist der Mensch?“ (V. 5a) – durch den Hinweis auf das „Gedenken“ ( )זָ ַכרund das „Nachsehen, In-Augenschein-Nehmen“ ( ) ָּפ ַקדdurch JHWH beantwortet (V. 5b) und damit konstatiert, daß sich die Menschenwerdung des Menschen nach biblischem Zeugnis in der Situation „vor Gott“ (coram Deo) ereignet : Verwunderte Frage 4 Wenn ich sehe deinen Himmel, die Werke deiner Finger, Mond und Sterne, die du festgesetzt hast – 5 Was ist der Mensch, daß du an ihn denkst, und ein Menschenwesen, daß du (sorgend) nach ihm siehst?
Der Mensch ist Mensch, weil Gott an ihn denkt und wohlwolld lend nach ihm sieht (vgl. Ps 144, 3) oder weil er – wie Hi 7, 17f. den Gedanken der fürsorglichen Aufmerksamkeit Gottes bezeichnenderweise abändert – sein „Herz“ prüfend auf ihn richtet24. Die dem Verb זָ ַכרeignende intentionale Ausrichttung – „gedenken < denken an“ und daraus resultierendes Handeln – ist auch für das parallele ָּפ ַקדcharakteristisch, das die Zuwendung JHWH s im Sinn eines wohlwollenden Intd teresses am Geschick des Menschen25 zum Ausdruck bringt („nachsehen, in Augenschein nehmen“), d. h. : JHWH überld läßt den Menschen in Situationen akuter Bedürftigkeit nicht sich selbst, sondern er ist „ihm darin stets anteilnehmend und wohlwollend zugetan, so daß er aufmerksam nach ihm sieht und erkundet, wessen er bedarf “26. Diese Aufmerksamkeit Gottes gilt allen Menschen und sie gilt, wie die Protasis V. 4 mit ihrem Hinweis auf die majestätische Höhe und Weite des 24 Zu Hi 7, 17f. s. zuletzt Frevel, Theologie, 244ff. 25 S. dazu W. Schottroff, Art. ָּפ ַקד, THAT 2 (51995) 466 – 486, hier : 476 („aufmerksam sehen nach, achten bzw. schauen auf, sich jemandes annehmen“), vgl. G. André, Art. ָּפ ַקד, ThWAT 6 (1989) 708 – 723, hier : 709 („genau beobachten“); E. Brünenberg, Wenn Jahwes Widerstand sich regt. Überlegungen zum alttestamentlichen Verständnis von Strafe, in : K. Kiesow / Th. Meurer (Hg.), Textarbeit. Studien zu Texten und ihrer Rezeption aus dem Alten Testament und der Umwelt Israels (FS P. Weimar) (AOAT 294), Münster 2003, 53 – 74, hier : 55f. und Schnierd ringer, Psalm 8, 229ff. 26 Ebd., 231 (Hervorhebung im Original).
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nächtlichen Himmels mit seinen Gestirnen (Mond und Sternd ne) deutlich macht, dem Menschen in seiner Kleinheit und Hinfälligkeit. Damit steht sie im Dienst der Herausstellung der Größe des Schöpfers von Himmel und Erde (V. 2b + 10!) und damit „der Gnade, die darin besteht, daß dieser so große Gott sich dem so kleinen / hinfälligen Menschen zuneigt“27. Nur von Gott her läßt sich nach alttestamentlichem Verständnd nis also sagen, was oder wer der Mensch ist. Und nur von ihm her wächst dem Menschen, wie der weisheitliche FrageAntwort-Zusammenhang von V. 4 – 928 verdeutlicht, auch die Fähigkeit zu, seine Stellung in der Welt als „königliche“ Herrsd schaft über die Tiere wahrzunehmen (V. 6 – 9)29 : Antwort : Rühmende Bekenntnisbehauptung 6 Du hast ihm nur wenig fehlen lassen zu(r) Gott(heit), und mit Ehre und Pracht hast du ihn gekrönt. 7 Du hast ihn zum Herrscher eingesetzt über die Werke deiner Hände, alles hast du gelegt unter seine Füße : 8 Kleinvieh und Rinder, sie alle, und auch die Tiere des Feldes, 9 die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres, was durchzieht die Pfade der Meere.
In Ps 8, 5, so können wir resümieren, führt ָּפ ַקדdie Aussaged eintention von זָ ַכרweiter und steigert sie sogar, indem es zum mentalen („denken an“) noch einen sinnlichen Aspekt („nachsehen, in Augenschein nehmen“), nämlich denjenigd
27 Ebd., 233, vgl. Irsigler, Psalm 8 (s. Anm. 23), 12f. 21f. 25. 39ff. 42ff. 28 Zu diesem Ausdruck s. Irsigler, Psalm 8, passim. 29 S. dazu Kaiser, Gott (s. Anm. 23), 301ff.; Neumann-Gorsolke, Menschenwürde (s. Anm. 23), 59ff.; dies., Herrschen (s. Anm. 23), 79ff. und zur Verbindung von Gottebenbildlichkeit und Herrschaftsauftrag in Gen 1,26 – 28 B. Janowski, Art. Gottebenbildlichkeit I, RGG 4 3 (2000) 1159f. und ders., Die lebendige Statue Gottes. Zur Anthropologie der priesterlichen Urgeschichte, in : M. Witte (Hg.), Gott und Mensch im Dialog (FS O. Kaiser) (BZAW 345 / I – II), Berlin / New York 2004, 183 – 214.
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gen des Entschlusses zum handelnden Eingreifen hinzufügt.30 JHWH gedenkt nicht nur von ferne, d. h. vom Himmel her des Menschen, sondern er kommt ihm helfend nahe () ָּפ ַקד, wenn er dieser rettenden Hilfe bedarf.31 Die Aussage, daß Gott „gedenkt“, richtet sich demnach nicht darauf, daß er sich punktuell einer Sache erinnert und eine andere vergißt, sondern darauf, daß er „in den Zusammenhängen geschöpfld lichen Lebens eine Wirklichkeit stiftet, die durch solche duale Abstraktionen selbst nicht zureichend erfaßt wird“32. Durch die dem Menschen geltende Aufmerksamkeit Gottes gewinnt der Mensch seine Würde, die ihren Grund in seiner Hineinnd nahme in die schöpferische Erinnerung und Zuwendung Gottes, in seinem fürsorglichen „Gedenken“ und „In-Augensd schein-Nehmen“ hat. An anderen Stellen steht die Wendung „( לֹא ָׁש ַכחnicht vergessen“ + Subj. JHWH ) in Parallele zu זָ ַכר33 und verll leiht dem göttlichen Gedenken damit eine ebenso aktivhelfende Bedeutung wie sein ָּפ ַקד-Handeln. Man kann sich das via negationis anhand des individuellen Klagelieds Ps 13 deutlich machen, wo Gottes „Vergessen“ an die Stelle seines „Gedenkens“34 zu treten und den Beter damit dem bitteren Tod preiszugeben droht. b) „Bis wann vergißt du mich auf Dauer?“ (Ps 13, 2) Ps 13 ist „das Muster eines ‚Klageliedes des Einzelnen‘, in dem die einzelnen Bestandteile der Gattung besonders deutlich auseinandertreten“35. Er besteht aus drei Teilen : der durch das Frageadverb „bis wann?“ eingeleiteten Klage mit Invocatd 30 S. dazu Schnieringer, Psalm 8 (s. Anm. 21), 231 und zur Parallelitd tät der beiden Verben Jer 14,10; 15,15; Hos 8,13; 9,9 und Ps 106,4 (jeweils mit Subj. JHWH ). 31 Vgl. ebd., 231f. 32 Schüle, Gottes Handeln (s. Anm. 10), 269. 33 Vgl. Dtn 9, 7; 1 Sam 1, 11 und Ps 74, 18f. 22f. 34 Zu ָׁש ַכחals Gegenbegriff zu ( זָ ַכרGen 40, 23; Dtn 9, 7; 1 Sam 1, 11; Jes 17, 10; 23, 16; 54, 4; Ps 9, 13; 137, 5f.; Hi 11, 16; 24, 20; Prov 31, 7) s. U. Berges, Klagelieder (HThK.AT ), Freiburg / Basel / Wien 2002, 298f. 35 H. Gunkel, Die Psalmen (HK 2 / 2), Göttingen 1929 / 61986, 46. Zum Folgenden s. auch B. Janowski, Das verborgene Angesicht G ottes.
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tio (V. 2f.), der Bitte mit den gattungstypischen Imperativen (V. 4f.) und dem Vertrauensbekenntnis mit dem Zitat eines Lobversprechens (V. 6) : 1
Für den Chormeister. Ein Psalm Davids.
Klage 2 a Bis wann, JHWH , vergißt du mich auf Dauer? b 3 a b Bitte 4 a b 5 a b
Bis wann verbirgst du dein Gesicht vor mir? Bis wann soll ich Sorgen tragen in meiner næpæš, Kummer in meinem Herzen Tag für Tag? Bis wann erhebt sich mein Feind über mich? Blick doch her, antworte mir, JHWH , mein Gott! Laß meine Augen leuchten, damit ich nicht zum Tod entschlafe, damit mein Feind nicht behauptet : „Ich habe ihn überwd wältigt!“, meine Gegner nicht jubeln, daß ich wanke!
Vertrauensbekenntnis und Lobversprechen 6 aαb Doch ich – auf deine Güte habe ich vertraut, mein Herz juble über deine Rettung : aγ.b „Singen will ich JHWH , daß er an mir gehandelt hat!“
Sowohl in der Klage (V. 2f.) als auch in der Bitte (V. 4f.) steht der Aspekt „JHWH “ am Anfang und ist deshalb besonders hervorgehoben. Die beiden „bis wann“-Fragen von V. 2 impd plizieren dabei ein Doppeltes : den Vorwurf an Gott und die Hoffnung auf die Wende der Not36. Im Unterschied zu Ps 22, 2 („Mein Gott, mein Gott, wozu hast du mich verlassen?“)37 wird aber nicht nach dem Zweck, sondern nach der Dauer der Gottesferne gefragt. Es wird auch kein Grund für das Eintd treten der Notlage genannt – etwa die Sünde des Beters wie in Psalm 13 als Muster eines Klagelieds des einzelnen, JBTh 16 (2001) 25 – 53, hier : 26ff. 36 Vgl. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Die Psalmen I : Psalm 1 – 50 (NEB. AT 29), Würzburg 1993, 99 (Zenger). 37 Zum Verständnis der „Wozu“-Frage s. Janowski, Konfliktge spräche mit Gott (s. Anm. 9), 360 Anm. 56.
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Ps 51 oder der Zorn JHWH s38 – , sondern es wird nur gesagt, daß die Not andauert und was sie in ihrem Kern ist, nämlich Vergessensein von JHWH , „an dem der Mensch dann zugd grundezugehen droht“39. Das dunkle und rätselhafte Handeln Gottes, das in Ps 13, 2 durch die parallelen Wendungen „vergessen“ ( ) ָׁש ַכח// „Gesd sicht verbergen“ () ִה ְס ִּתיר ָּפנִ ים40 ausgedrückt wird, führt ins Zentrum der Klage. Diese Redeweise ist aber nicht auf die Individualpsalmen beschränkt, sondern begegnet auch in den „warum“- und „wie lange“-Fragen41 der Klagelieder (Klgl 5, 20 – 22 u. ö.), der exilischen Klagelieder des Volkes (Ps 44, 24 – 27; 74, 1f. u. ö.) und bei Deuterojesaja (Jes 40, 27 – 31 u. ö.). Das Problem ist überall die Abwendung und Verborgd genheit Gottes42, z. B. : 20 21
Warum vergißt du uns auf ewig, verläßt uns auf die Länge der Tage? Wende uns, JHWH , zu dir zurück, so wollen wir umkehren!
38 Vgl. zur Sache auch Groß, Gesicht Gottes (s. Anm. 6), 187. 39 Ebd., 189. 40 Zu dieser Parallelität s. noch Ps 10, 11; 44, 25 und die Hinweise bei H. Irsigler, Psalm-Rede als Handlungs-, Wirk- und Aussageprozeß. Sprechaktanalyse und Psalmeninterpretation am Beispiel von Psalm 13, in : K. Seybold / E. Zenger (Hg.), Neue Wege der Psalmenforschung (HBS 1), Freiburg / Basel / Wien 1994, 63 – 104, hier : 77 Anm. 37. 41 S. dazu D. Michel, „Warum“ und „wozu“? Eine bisher übersehene Eigentümlichkeit des Hebräischen und ihre Konsequenz für das alttesd stamentliche Geschichtsverständnis, in : ders., Studien zur Überlieferd rungsgeschichte alttestamentlicher Texte (TB 93), Gütersloh 1997, 13 – 34, hier : 21ff. 42 S. dazu L. Perlitt, Anklage und Freispruch Gottes. Theologisd sche Motive in der Zeit des Exils, in : ders., Deuteronomium-Studien (FAT 8), Tübingen 1994, 20 – 31, hier : 21ff., vgl. F. Lindström, Suffering and Sin. Interpretations of Illness in the Individual Complaint Psalms (CB.OT 37), Lund 1994, 65ff.; Groß, Gesicht Gottes (s. Anm. 6), 185ff.; M M. Emmendörffer, Der ferne Gott. Eine Untersuchung der alttestamd mentlichen Volksklagelieder vor dem Hintergrund der mesopotamisd schen Literatur (FAT 21), Tübingen 1998 und H.-J. Hermisson, Der verborgene Gott im Buch Jesaja, in : ders., Studien zu Prophetie und Weisheit (FAT 23), hg. von J. Barthel u. a., Tübingen 1998, 105 – 116, hier : 105ff.
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Erneuere unsere Tage wie von alters her! 22 Es sei denn, du hast uns ganz und gar verworfen und zürnst uns sehr. (Klgl 5, 20 – 22)43 1 2
Wozu, JHWH , hast du (uns) auf ewig verstoßen, raucht dein Zorn gegen das Kleinvieh deiner Weide? Gedenke deiner Gemeinde, die du ureinst erworben, die du erlöst hast als Stamm deines Erbbesitzes, des Berges Zion, auf dem du Wohnung genommen hast. (Ps 74, 1f.)44
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Wach auf, warum schläfst du, Herr, wach auf, verstoße nicht auf ewig! Wozu verbirgst du dein Gesicht, vergißt du unser Elend und unsere Bedrückung? Denn zum Staub zerfließt unser Leben, klebt an der Erde unser Leib. Erhebe dich, uns zur Hilfe und erlöse uns um deiner Gnade willen. (Ps 44, 24 – 27)
Wie in Klgl 5, 20; Ps 44, 25 und 74, 1 meint auch in Ps 13, 2 das „Vergessen“ ( ) ָׁש ַכחnicht ein beiläufiges Versagen, sondern ein – eminent unheilvolles – Handeln Gottes. Daß Gott „vergd gißt“, ist eigentlich eine unangemessene Behauptung – nach Ps 10, 11 kommt sie denn auch aus dem Mund des Gottlosen (vgl. Ps 50, 22). Sie gehört aber zur anthropomorphen Rede von Gott45 und meint ein „Nicht-mehr-Kennen und Nichtmehr-kennen-Wollen, ein Sich-Distanzieren oder Unbeachtd tet-Lassen“46. Die Dimension dieses bedrohlichen Gotteshd handelns ergibt sich deutlich aus der in Ps 44, 25 und Ps 13, 2 parallelen Wendung „ ִה ְס ִּתיר ָּפנִ יםdas Gesicht verbergen“ (mit
43 S. dazu Emmendörffer, Der ferne Gott, 64ff., bes. 74ff.; F. Hartd tenstein, Die Unzugänglichkeit Gottes im Heiligtum. Jesaja 6 und der Wohnort JHWHs in der Jerusalemer Kulttradition (WMANT 75), Neukd kirchen-Vluyn 1997, 244ff. und Berges, Klagelieder (s. Anm. 32), 295ff. 44 S. dazu Emmendörffer, Der ferne Gott, 77ff., bes. 83ff.; Hartd tenstein, Unzugänglichkeit, 229ff. und F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Die Psalmen 51 – 100 (HT hK.AT ), Freiburg / Basel / Wien 2000, 362ff. (Zenger). 45 S. dazu H.-D. Preuss, Art. ׁש ַכח, ָ ThWAT 7 (1993) 1318 – 1323, hier : 1322f. 46 Ebd., 1323.
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Subjekt JHWH ).47 Denn während die Zuwendung des göttld lichen Gesichts Leben, Gedeihen und Gesundheit schenkt,48 ruft dessen Abwendung Schrecken und Bestürzung, ja den Tod hervor.49 Besonders drastisch wird dieser Leben / TodGegensatz in dem Danklied Ps 30 formuliert : 7 Und ich, ich dachte (einst) in meiner Sorglosigkeit : „Nicht werde ich wanken ()מּוט, in Ewigkeit!“ 8 JHWH , durch dein Wohlgefallen ‹ war ich auf feste Berge gestellt › ; (da) verbargst du dein Gesicht – ich war schreckensstarr.50
Diese Erfahrung der Gottesferne wird auch in Ps 13 thematd tisiert : Wenn JHWH den leidenden Beter „vergißt“ (V. 2a) und sein Gesicht vor ihm „verbirgt“ (V. 2b), dann bricht die ‚unheile Welt‘ in Gestalt des Feindes bzw. der Feinde über ihn herein und zieht die Leib- und Sozialsphäre des Beters in Mitleidenschaft. Der Beter von Ps 13, der von der Erfahrd rung der Zuwendung des göttlichen Gesichts, wie sie etwa Ps 104, 27 – 30 formuliert,51 herkommt, hält an ihr aber gegen die Faktizität seines Leidens fest, indem er implizit an JHWH als seinen Schöpfer (Klage V. 2) und explizit an ihn als seinen persönlichen Gott (Bitte V. 4a) appelliert. Alles kommt darauf an, daß dieser Appell durch das rettende Eingreifen Gottes Gehör findet. 47 S. dazu S. Wagner, Art. ָס ַתרusw., ThWAT 5 (1986) 967 – 977, hier : 972f.; Groß, Gesicht Gottes (s. Anm. 6), 186ff. und bes. F. Hartenstein, D Das „Angesicht Gottes“. Studien zu seinem höfischen und kultischen Bedeutungshintergrund in den Psalmen und in Exodus 32 – 34, masch. Habil.schrift Marburg 2000 (erscheint 2007 in FAT I ), 61ff.192f. 48 Vgl. Ps 31, 17; 67, 2; 80, 4. 8. 20; 119, 135, ferner Num 6, 24 – 26. 49 Vgl. Ps 10, 11; 13, 2; 22, 25; 27, 9; 30, 8; 44, 25; 69, 18; 88, 15; 102, 3 und 143, 7. Ps 88 spricht vom Totenreich als dem „Land des Vergessens“ (V. 13) bzw. von den Toten, derer JHWH nicht mehr „gedenkt“ (V. 6), s. dazu B. Janowski, Die Toten loben JHWH nicht. Psalm 88 und das alttestamd mentliche Todesverständnis, in : ders., Der Gott des Lebens. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 3, Neukirchen-Vluyn 2003, 201 – 243, hier : 208ff. 50 Zu diesem Text s. ders., Dankbarkeit. Ein anthropologischer Grundbegriff im Spiegel der Toda-Psalmen, in : ders., Gott des Lebens (s. Anm. 49), 267 – 312, hier : 287ff. 51 S. dazu ders., Konfliktgespräche mit Gott (s. Anm. 9), 62f.
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c) „Und Gott dachte an seinen Bund“ (Ex 2, 24; 6, 5) Die beiden letzten zu besprechenden Belege, Ex 2, 24 und 6, 5, leiten bereits zum Vorkommen der Wendung זָ ַכר+ Subjekt JHWH in der priesterlichen Urgeschichte (Gen 8, 1a; 9, 15f.) über, da sie wie diese zur priesterlichen Grundschrift (Pg) gehd hören. Deren Gesamtanlage52 läßt sich, wenn man ihr Ende in Ex 40, 16f. 33b. 34 oder in Lev 9, 23f. ansetzt, als dreiteiliges Epochenschema mit der aus Schöpfungs- und Flutgeschichte bestehender Urgeschichte (Gen *1, 1 – 9, 29), der aus Abrahamsund Jakobsgeschichte bestehender Erzelterngeschichte (Gen *11, 27 – Ex 1, 7) und der aus Exodus- und Sinaigeschichte besd stehender Volksgeschichte (Ex *1, 13 – 40, 16f. 33b. 34 / Lev 9, 23f.) beschreiben. Diese Dreiteilung spiegelt sich auch in der Gesd schichte des Gottesnamens und seines Vorkommens in der Pg (Elohim in Epoche I, El Šadday in Epoche II und JHWH in Epoche III) wider. Schöpfung und Tempel (P : „Begegnungszd zelt“) bilden dabei den Rahmen um die so gegliederte Heilsgd geschichte,53 die durch Gottes planvolles Handeln vorangetd trieben wird und in seinen Bundessetzungen mit Noah (Gen 9, 8 – 17) und Abraham (Gen 17, 7f.) zum Ausdruck kommt. Es ist dieser Bund, dessen Gott gedenkt, als Israel in Ägypten unterdrückt wird (Ex 2, 24). Und ebenso offenbart sich Gott um dieses Bundes willen Mose unter seinem Namen JHWH , womit er die Bundesverheißung an Abraham und seine Nachkd kommen wiederholt (Ex 6, 2 – 5) : 23 Im Verlauf jener langen Zeit starb der König von Ägypten. Als die Söhne Israels über ihre Knechtschaft stöhnten und klagten, stieg ihr Hilferuf wegen der Knechtschaft zu Gott auf. 24 Da hörte ( ) ָׁש ַמעGott ihr Stöhnen, 52 Zur Komposition von Pg s. zusammenfassend E. Zenger, Das priester(schrift)liche Werk (P), in : ders. u. a., Einleitung in das Alte Tesd stament (KStTh 1,1), Stuttgart 62006, 156 – 175 und J. Chr. Gertz, Tora und Propheten, in : ders. (Hg.), Grundinformation Altes Testament (UTB 2745), Göttingen 2006, 187 – 302, hier : 230ff. 53 S. dazu B. Janowski, Tempel und Schöpfung. Schöpfungstheologisd sche Aspekte der priesterschriftlichen Heiligtumskonzeption, in : ders., Gottes Gegenwart in Israel. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 1, Neukirchen-Vluyn 22004, 214 – 246.
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und Gott dachte ( )זָ ַכרan seinen Bund mit Abraham, Isaak und Jakob. 25 Gott sah ( ) ָר ָאהdie Söhne Israels, und Gott ‹ tat sich kund › ( ידעnif.). (Ex 2, 23 – 25)
2 Da redete Gott mit Mose und sprach zu ihm : „Ich bin JHWH . 3 Ich bin Abraham, Isaak und Jakob als El Šadday erschienen, unter meinem Namen JHWH aber habe ich mich ihnen nicht zu erkennen gegeben. 4 Auch habe ich meinen Bund mit ihnen aufgerichtet des Inhalts, ihnen das Land Kanaan, das Land ihrer Fremdling schaft, in dem sie als Fremde weilten, zu geben. 5 Auch habe ich das Stöhnen der Söhne Israels gehört () ָׁש ַמע, die die Ägypter Sklavenarbeit verrichten lassen, und habe an meinen Bund gedacht ()זָ ַכר.“ (Ex 6, 2 – 5)
Mit den Bundesverheißungen von Gen 17, 7f. – Mehrungsvd verheißung, Gottesverhältnis und Landverheißung – hatte El Šadday die Basis für die Volksgeschichte gelegt. Während die Mehrungsverheißung in Ex 1, 7 als erfüllt dargestellt wird, werden sich die beiden anderen Verheißungen – Gottesverhd hältnis (in Ex 29, 45f. als erfüllt dargestellt) und Land – erst in den Nachkommen Abrahams verwirklichen.54 Angesichts der Unterdrückung in Ägypten initiiert dann JHWH nach der priesterlichen Darstellung die Realisierung der noch aus stehenden Verheißungen. Und dies geschieht so, daß er seines Bundes mit Abraham, Isaak und Jakob „gedenkt“ (Ex 2, 24 : זָ ַכרmit Subj. JHWH + Obj. ְּב ִרית, vgl. Ex 6, 5)55. Der Situation der Not entspricht es dabei, daß zu der Wendd dung זָ ַכרmit Subj. JHWH + Obj. ְּב ִריתin Ex 2, 23 und 6, 5 Verbd ben in Parallele stehen, die die Wahrnehmung der von Israel vorgebrachten Klage bezeichnen : „ ָׁש ַמעhören“ (Ex 2, 24; 6, 5) und „ ָר ָאהsehen“ (Ex 6, 5, vgl. Ps 106, 44f. : + נחםnif.). Darad aus ergibt sich, daß das „Gedenken“ Gottes mehr ist als ein bloß noetischer Vorgang, nämlich ein Akt der aufmerksamen 54 S. dazu W. Groß, Zukunft für Israel. Alttestamentliche Bundeskod konzepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176), Stuttgd gart 1998, 45ff., bes. 63f. 55 Zu den Belegen, die zu dieser Gruppe gehören, s. oben Anm. 15.
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Zuwendung, gleichsam der Erhörung, der Gott dazu bewegt, tätig zu werden, d. h. die Not seines Volkes zu „sehen“ () ָר ָאה und sich ihm „kundzutun“ ( ידעnif., vgl. Ex 6, 3 ! ).56 In beiden Fällen – dem Bericht von Gottes Zuwendung zu Israel (Ex 2, 23 – 25) und dem Wort Gottes zu Mose (Ex 6, 2 – 8) – bezeichnd net die Wendung זָ ַכרmit Subj. JHWH + Obj. ְּב ִריתdemnach die kreative, Zukunft für Israel eröffnende Wahrung des Bunddes. Das gilt auch für die biblische Fluterzählung, bekommt dort aber noch eine spezifische Note. II. Zum „Gedenken Gottes“ in der biblischen Fluterzählung 1. „Gott dachte an Noah“ (Gen 8, 1) In der Erzählfolge der Tora ist Gen 8, 1a der erste Beleg, der von einem „Gedenken“ Gottes berichtet. Da er zusammen mit Gen 9, 15f., den beiden nächsten Belegen, in den Kontext der priesterlichen Fluterzählung (Gen *6, 9 – 9, 29) gehört, ist es sinnvoll deren Kompositionbestimmung an den Anfang der folgenden Überlegungen zu stellen. a) Zur Komposition von Gen *6, 9 – 9, 29 Nach der Überschrift 6, 9aα setzt die priesterliche Fluterzähld lung mit dem Abschnitt 6, 9ab – 10 ein, der zusammen mit 9,28f.57 einen genealogischen Rahmen um *6, 9 – 9, 29 bildet. 56 S. dazu Schottroff, „Gedenken“ (s. Anm. 10), 207. 216f. und W. H. Schmidt, Exodus, 1. Teilband : Exodus 1 – 6 (BK II / 1), NeukirchenVluyn 1988, 95ff. 57 Nach M. Arneth, Durch Adams Fall ist ganz verderbt … Studien zur Entstehung der alttestamentlichen Urgeschichte (FRLANT 217), Göttd tingen 2007 45ff. gehören auch Gen 9, 18*. 19 zum Rahmen der priesterld lichen Fluterzählung. Eine Entscheidung darüber hängt u. a. von einer Kompositions- und Redaktionsanalyse der priesterlichen Urgeschichtd te und speziell von der Frage ab, wo man die P-Fluterzählung beginnd nen läßt : mit Gen 5, 32 (so Arneth) oder mit Gen 6, 9, s. dazu jetzt auch J. Chr. Gertz, Beobachtungen zum literarischen Charakter und zum geistesgeschichtlichen Ort der nichtpriesterlichen Sintfluterzählung, in : M. Beck / U. Schorn (Hg.), Auf dem Weg zur Endgestalt von Genesis
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Da dieser Rahmen dem genealogischen Grundmuster von 5, *1 – 32 nachgebildet ist, wird die Fluterzählung an den bishd herigen Geschehensverlauf zurückgebunden und als Fortführd rung der in 1, 1 – 2, 3 begonnenen Erzählung konzipiert. Das Korpus der Fluterzählung ist dabei dreigliedrig (s. Skizze 1)58, d. h. es gibt drei Erzählabschnitte, die entweder als Reden oder als Handlungen Gottes stilisiert sind und die im Mitteltteil (*7, 11 – 8, 14) durch chronologische Angaben gerahmt werdd den (7, 6. 11 / 8, 13f.*). Zwischen dem Rahmenelement 6, 9f. und dem mit 6,13 beginnenden Korpus steht in 6, 11f. ein Passus, der die Faktoren benennt, die das Flutgeschehen ausgelöst haben. Die Wucht dieser Aussagen wird erst deutlich, wenn man sie vor dem Hintergrund des Schöpfungsberichts und hier speziell von 1, 28 ( :: 6, 11) und 1, 31 ( :: 6, 12) liest. Wie die Kompositionsskizze deutlich macht, ist Noah nach der Priesterschrift die zentrale Figur der Urgeschichte, weil er den Schöpfungssegen von Gen 1, 26 – 28 weiterträgt und der nachsintflutlichen Menschheit durch Gottes „Gedenken“ an ihn und die Lebewesen in der Arche (8, 1a) eine Zukunft eröffnet.59 Um diese These zu verdeutlichen, müssen wir die bis II Regum (FS H.-Chr. Schmitt) (BZAW 370), Berlin / New York 2006, 41 – 57, hier : 45. 58 Zu den kompositorischen Aspekten s. E. Zenger, Gottes Bogen in den Wolken. Untersuchungen zu Komposition und Theologie der priesterschriftlichen Urgeschichte (SBS 112), Stuttgart 21987, 103ff.201; M. Witte, Die biblische Urgeschichte. Redaktions- und theologie geschichtliche Beobachtungen zu Genesis 1,1 – 11,26 (BZAW 265), Berld lin / New York 1998, 130ff.; E. Blum, Art. Urgeschichte, TRE 34 (2002) 436 – 445, hier : 441f. und A. Schüle, Der Prolog der hebräischen Bibel. Der literar- und theologiegeschichtliche Diskurs der Urgeschichte (Genesis 1 – 11) (AThANT 86), Zürich 2006, 254ff. Zum Vorschlag von E. Bosshard-Nepustil, Vor uns die Sintflut. Studien zu Text, Kontexten und Rezeption der Fluterzählung Genesis 6 – 9 (BWANT 165), Stuttgart 2005, 78ff.284f. mit der Gliederung der P-Noaherzählung in zwei paralld lele Hauptteile mit vergleichbarer thematischer Abfolge : *6,9 – 8,19 und 9,1 – 17 s. jetzt die Kritik bei Gertz, Beobachtungen, 46 mit Anm. 20. 59 Vgl. R. Oberforcher, Biblische Lesarten zur Anthropologie des Ebenbildmotivs, in : A. Vonach / G. Fischer (Hg.), Horizonte biblisd scher Texte (FS J. M. Oesch) (OBO 196), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 2003, 131 – 168, hier : 147.
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Genealogischer Rahmen I (6, 9 – 10) Dies ist die Toledot Noahs. Noah war ein gerechter, untadliger Mann unter seinen Zeitgenossen, mit Gott wandelte Noah 5, 22. 24; 17, 1 Und Noah zeugte drei Söhne: Sem, Ham und Japhet.
9 10
Auslösung der Flut (6, 11 – 12) Und es verderbte die Erde vor Gott, :: 1, 28 und voll wurde die Erde von Gewalt, und Gott sah die Erde, :: 1, 31a und siehe: sie war verderbt, denn verderbt hatte alles Fleisch seinen Weg auf der Erde.
11 12
Reden Gottes vor der Flut (6, 13 – 22) 6, 13 – 17a
Ankündigung der Flut und Auftrag zum Bau der Arche
}
6, 17b Überleitung mit Ankündigung des „Aufrichtens“ des Bundes 6, 18a
9, 11. 17
6, 18b – 21
Auftrag zum Besteigen der Arche und Maßnahmen zum Überleben der Tiere
6,22
Erfüllungsnotiz: Tun Noahs gemäß Befehl Gottes
Handeln Gottes während der Flut (*7, 6 – 8, 14) 7, 6f.* 11 – 24 Chronologische Angaben (7, 6. 11): Hereinbrechen der Flut mit dem Resultat: Wasser als ‚Todeshaus‘ (7, 21)
17. ii. 600 1, 2a
8, 1a
Peripetie: „Gedenken“ Gottes
9, 15f.
8,*1b – 14
1. i. 601 / 27. ii. 601 Chronologische Angaben (8, 13f.*): Abtrocknen der Flut mit dem 1, 2b. 9f. Resultat: Erde als ‚Lebenshaus‘ (8, 13f.*)
Reden Gottes nach der Flut (*8, 15 – 9, 17) *8, 15 – 9, 7 Auftrag zum Verlassen der Arche und Bestimmung des Menschen zum Bild Gottes und Schrecken der Tiere 9, 8 – 17
1, 26. 28
Aufrichten des Bundes und Bundeszeichen: 6, 18a ‚Gottes Bogen in den Wolken‘
Genealogischer Rahmen II (9, 28 – 29) 28 Und Noah lebte nach der Flut 350 Jahre Und es waren alle Tage Noahs 950 Jahre, 29 dann starb er.
5, 32
Skizze 1: Komposition der priesterlichen Fluterzählung
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priesterliche Fluterzählung (Gen *6, 9 – 9, 29) etwas genauer in den Blick nehmen. b) Die Peripetie durch das Gedenken Gottes Während Gen 1, 26 – 28 die Erschaffung des Menschen zum / r „Bild / Statue“ Gottes60 und die Beauftragung dieses Mensd schen zur Herrschaft über die Tiere (dominium animalium) sowie zur Inanspruchnahme der Erde (dominium terrae) beschreibt, scheint Gen 9, 1 – 7 61 die gute Ordnung der ur anfänglichen Schöpfung durch eine Art ‚Notverordnung‘ wieder rückgängig zu machen. Nachdem sich die Arche auf einem der Berge von Ararat niedergelassen hatte (Gen 8, 4), die Wasser vollständig von der Erde weggetrocknet waren (Gen 8, 13a. 14) und Noah mit allen Lebewesen, die bei ihm waren, die Arche auf Gottes Befehl hin verlassen hatte (Gen 8, 15 – 17, Ausführungsbericht 8, 18f.), segnete Gott Noah und seine Söhne (Gen 9, 1a) und sprach zu ihnen :
60 Zum Verständnis von Gen 1,26 – 28 s. ausführlich B. Janowski, Die lebendige Statue JHWH s (s. Anm. 29). 61 Zu Gen 9,1 – 7.8 – 17 s. zuletzt R. Mosis, Gen 9,1 – 7 : Funktion und Bedd deutung innerhalb der priesterschriftlichen Urgeschichte, BZ 38 (1994), 195 – 228; O. H. Steck, Der Mensch und die Todesstrafe. Exegetisches zur Übersetzung der Präposition Beth in Gen 9, 6a, ThZ 53 (1997) 118 – 130; J. Ebach, Bild Gottes und Schrecken der Tiere. Zur Anthropologie der priesterlichen Urgeschichte, in : ders., Ursprung und Ziel. Erinnerte Zukunft und erhoffte Vergangenheit, 1986, 16 – 47; N. C. Baumgart, Die Umkehr des Schöpfergottes. Zu Komposition und religionsgeschichtlicd chem Hintergrund von Gen 5 – 9 (HBS 22), Freiburg / Basel / Wien 1999, 290ff.; ders., Das Ende der Welt erzählen. Die biblische Fluterzählung in den alttestamentlichen Wissenschaften, in : M. Mulsow / J. Assmann (Hg.), Sintflut und Gedächtnis. Erinnern und Vergessen des Ursprungs, München 2006, 25 – 60, hier : 38ff.; W. Groß, Gen 1, 26.27; 9, 6 : Statue o oder Ebenbild Gottes? Aufgabe und Würde des Menschen nach dem hebräischen und griechischen Wortlaut, JBTh 15 (2000), 11 – 38, hier : 26ff.34f; ders., Zukunft für Israel (s. Anm. 54), 45ff.; Oberforcher, Biblische Lesarten (s. Anm. 58), 147ff.; F.-L. Hossfeld, „Du sollst nicht töten!“. Das fünfte Dekaloggebot im Kontext alttestamentlicher Ethik (Beiträge zur Friedensethik 26), Stuttgart 2003, 66ff. und NeumannGorsolke, Herrschen (s. Anm. 23), 248ff.
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1b „Seid fruchtbar und werdet zahlreich und füllt die Erde! 2 Und Furcht vor euch und Schrecken vor euch sei auf allen Tieren der Erde und auf allen Vögeln des Himmels, auf allem, was auf dem Erdboden kriecht, und auf allen Fischen des Meeres, in eure Hand sind sie gegeben. 3 Alles, was sich regt, das lebendig ist – euch sei es zur Nahrung, wie das Grüne des Krautes habe ich euch alles gegeben. 4 Nur Fleisch mitsamt seinem Leben – sein Blut – sollt ihr nicht essen. 5 Jedoch euer Blut, das eines jeden von euch, werde ich einfordern, aus der Hand eines jeden werde ich es fordern, und aus der Hand des Menschen, aus der Hand eines jeden ‹ seines Bruders › fordere ich das Leben des Menschen. 6 Wer das Blut des Menschen vergießt – durch den Menschen soll sein Blut vergossen werden, denn als Bild / Statue ( ) ֶצ ֶלםGottes hat er den Menschen gemacht. 7 Ihr aber seid fruchtbar und werdet zahlreich, wimmelt auf der Erde und werdet zahlreich auf ihr!“
Wenn 9, 1 – 7 den Fortbestand der Menschheit im Blick auf künftig gebändigte Gefährdungen, die nach Gen 6,11ff. aus dem gewaltbestimmten Zusammenleben alles Lebendigen („alles Fleisch“ 6, 12 : Menschen und Tiere) kommen, garantd tiert, so muß zunächst verwundern, mit welchen Maßnahmen diese Garantie von Gott der nachsintflutlichen Menschheit gegd geben wird. Zwar soll unkontrollierte „Gewalt“ ( ) ָח ָמסauf der Erde hinfort ausgeschlossen sein – aber um den Preis, daß die Tiere der Verfügungsgewalt des Menschen unterliegen (9, 2), ihre Tötung zu Nahrungszwecken erlaubt ist (9, 3), diese Erld laubnis aber durch das Blutgenußverbot eingeschränkt wird (9, 4).62 Demgegenüber sind Tötungsdelikte am Menschen 62 In der Systematik der Priesterschrift bezieht sich das Blutgenußvd verbot von Gen 9,4 auf Lev 17, 10 – 14, wonach das Blut wegen des in ihm präsenten Lebens an den Altar appliziert werden soll, um dort Sühne für die Israeliten zu schaffen, s. dazu B. Janowski, Sühne als Heilsgeschehen. Traditions- und religionsgeschichtliche Studien zur priesterschriftlichen
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grundsätzlich verboten, weil Gott ihn als sein / e „Bild / Statue“ ( ) ֶצ ֶלםgemacht hat (9, 6). Die in Gen 9, 3f. erlaubte Tiertötung intendiert aber keine Ausrottung der Tierwelt. Das widersd spräche nicht nur jeder Klugheitserwägung, sondern auch der Segensverheißung von Gen 9, 8 – 17, wonach auch die Tierd re zum Gottesbund gehören. Mit schrankenloser Gewalt hat die nachsintflutliche Neuregelung also nichts zu tun. Sie zeigt aber, als wie gravierend die Priesterschrift die Kluft zwischen dem Menschen und seinen Mitgeschöpfen empfunden hat und wie konfliktträchtig das Zusammenleben von Mensch und Tier in dem gemeinsamen Lebensraum ‚Erde‘ (vgl. Gen 1, 24 – 31) in Wirklichkeit ist. „Nicht um seiner selbst willen, sondern um der Integrität der gemeinsamen Lebenswelt willd len, die er mit den Tieren teilt, wird der Mensch mit dem Mandat zu ‚herrschen‘ beauftragt“63. Diese Integrität wurde nach Gen 6, 11 – 13 durch die „Gewalt“ () ָח ָמס64 allen Fleisches, also von Mensch und Tier, verdorben (V. 11f.) und die Erde mit Gewalt „angefüllt“ (11b. 13a) : 11 12 13
Und es verderbte die Erde vor Gott, und voll wurde die Erde von Gewalt. Und Gott sah die Erde und siehe : sie war verderbt, denn verderbt hatte alles Fleisch seinen Weg auf der Erde. Und Gott sprach zu Noah : „Das Ende allen Fleisches ist vor mich gekommen, denn voll ist die Erde von Gewalt von ihnen her, und siehe, ich bin dabei, sie zu vernichten (zusammen) mit der Erde.“ (Gen 6,11 – 13)
Damit ist, wie die Gegenformulierung „Und siehe : sie war verdderbt“ (Gen 6, 12a) zur Billigungsformel „Und siehe : sie war Sühnetheologie, WMANT 55, 1983 / 22000, 242ff. und zuletzt A. Ruwe, „Heiligkeitsgesetz“ und „Priesterschrift“. Literaturgeschichtliche und rechtssystematische Untersuchungen zu Leviticus 17, 1 – 26, 2 (FAT 26), Tübingen 1999, 142f. 154ff. und M. Millard, Die Genesis als Eröffnung der Tora. Kompositions- und auslegungsgeschichtliche Annäherungen an das erste Buch Mose (WMANT 90), Neukirchen-Vluyn 2001, 99ff. 63 Chr. Link, Schöpfung. Schöpfungstheologie angesichts der Herad ausforderungen des 20. Jahrhunderts, HST 7 / 2, Gütersloh 1991, 396. 64 Zu ָח ָמסals Zentralbegriff der Unheilsprophetie (!) s. Gertz, Beobachtungen (s. Anm. 57), 308f.
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sehr gut“ (Gen 1, 31a) des Schöpfungsberichts prägnant zeigt, „ein Totalumschlag von der idealen Schöpfung in eine durch Gewalt pervertierte Welt ausgesagt“65, der Gott in seiner Rede vor der Flut das „Ende allen Fleisches“ ankündigt (6, 13 – 17a) und von dem nur Noah, seine Frau, seine drei Söhne und deren Frauen sowie je zwei Exemplare von allen Tieren (außd ßer den Fischen) ausgenommen sind (6, 18b – 21), „um sie mit dir am Leben zu erhalten“ (6,19a, vgl. V.20b). Dann nimmt das Geschehen nach 7, *6. 11 – 24 seinen katastrophalen Lauf, bis derselbe Gott, der die Flut gebracht hatte (6, 13. 17), deren tödliche Gewalt durch einen „Wind“ aufhält (8, 1b, vgl. 1, 2b!) und damit die Erde wieder in ein Lebenshaus verwandelt (8, 13a. 14). Und genau an diesem Punkt, als das Wasser seinen Höchststand erreicht hatte (7, 24), setzt mit 8, 1a die durch das „Gedenken“ Gottes herbeigeführte Wende ein : 7, 24
Und das Wasser schwoll an auf der Erde 150 Tage.
8, 1 a
Und Gott dachte ( )זָ ַכרan Noah und an alle Wildtiere und an alles Vieh, das bei ihm in der Arche war.
8, 1 b
Und Gott ließ einen Wind wehen über die Erde hin, so daß das Wasser sank.
In der priesterlichen Fluterzählung markiert demnach 8, 1a die Peripetie, denn זָ ַכרist „der Ausdruck des göttlichen Erbd barmens, durch das Noah wieder Lebensraum geschaffen wird.“66 Wodurch aber wird diese plötzliche Wende herbeigd geführt? Oder kommt sie gar nicht so plötzlich? Die Formuld lierung von 8, 1a scheint für die Beantwortung dieser Frage keinen Anhaltspunkt zu bieten. Achtet man aber auf den Kontext, so wird deutlich, daß in der Überleitung 6, 18a von Gott das „Aufrichten“ ( קּוםhif.) seines Bundes angekündigt wird, dessen er im nachsintflutlichen Äon „gedenken“ wird (זָ ַכר: 9, 15f.). Diese Bezüge lassen sich folgendermaßen darsd stellen :
65 Oberforcher, Biblische Lesarten (s. Anm. 58), 145. 66 Schottroff, „Gedenken“ (s. Anm. 10), 187, vgl. 186 und Baumgd gart, Umkehr des Schöpfergottes (s. Anm. 61), 344 u. a.
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Reden Gottes vor der Flut (6, 13 – 22) 6, 17b Überleitung mit Ankündigung 6, 18a des Aufrichtens (we-qatal) des Bundes 9,11.17
}
Handeln Gottes während der Flut (*7,6 – 8,14) 7, 24 Und das Wasser schwoll an auf der Erde 150 Tage. 8, 1a Und Gott dachte ( )זָ ַכרan Noah und 9, 15f. an alle Wildtiere und an alles Vieh, das bei ihm in der Arche war. 8, 1b Und Gott ließ einen Wind wehen über die Erde hin, so daß das Wasser sank. Reden Gottes nach der Flut (*8, 15 – 9, 17) 9, 11 Aufrichten (we-qatal) des Bundes 9, 12. 15f. Geben und Gedenken des Bundes 9, 17 Aufrichten (x-qatal) des Bundes
6, 18a 8, 1a 6, 18a
Wenn man diese sprachlichen Bezüge beachtet, so wird klar, daß die Bundeszusage von 6, 18a im Gedenken Gottes an Noah und an alle Lebewesen in der Arche (8, 1a) realisiert wird. Das aber bedeutet, daß schon in der in 6, 18a angekündigten Aufrd richtung des Bundes – „Aber ich werde meinen Bund () ְּב ִרית aufrichten mit dir“ – die entscheidende Voraussetzung für das todabwendende Gedenken Gottes von 8,1a gegeben ist. Mit der Handlungssequenz 6, 18a („aufrichten“) – 8, 1a („gedd denken“) – 9,11 („aufrichten“) / 12 („geben“) + 15f. („gedenkd ken“) / 17 („aufrichten“) dürfte die priesterliche Fluterzähld lung demnach die Intention verfolgen, daß das beabsichtigte Aufrichten des Bundes (6, 18a) das Gedenken dieses Bundes (8, 1a) nach sich zieht und im zukünftigen Gedenken Gottes (9, 15f.) sich der dann aufzurichtende (9, 11) bzw. aufgerichtete Bund (9, 17) ereignet, und zwar als „ewiger Bund“67 :
67 Von einer Entfaltung der in 6, 18 angekündigten ְּב ִריתin 9, 8 – 11 spricht auch Witte, Urgeschichte (s. Anm. 58), 145 mit Anm. 101, vgl. Gertz, Beobachtungen (s. Anm. 57), 44f. mit Anm. 12. Zur Struktur der drei Gottesreden 9,8 – 11 / 9,12 – 16 / 9,17 s. Groß, Zukunft für Israel ( (s. Anm. 54), 51f.
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12 Und Gott sprach : „Dies ist das Zeichen des Bundes, den ich hiermit gebe ( )נָ ַתןzwischen mir und euch und jegld lichem lebenden Wesen bei euch für ewige Geschlechter : 13 Meinen Bogen gebe ich hiermit in die Wolken und er wird sein ein Zeichen des Bundes zwischen mir und der Erde. 14 Und es wird sein : Wenn ich (in Zukunft) Wolken wölke über der Erde, dann wird der Bogen in den Wolken erscheinen, 15 und ich werde an meinen Bund denken ()זָ ַכר, der zwischen mir und euch und jeglichem lebenden Wesen ist an allem Fleisch (des Inhalts) : Nie mehr wird das Wasser zur Flut werden, alles Fleisch zu vernichten. 16 So wird mein Bogen in den Wolken sein, und ich werde ihn sehen, so daß ich an den ewigen Bund denke ( )זָ ַכרzwischen Gott und jeglichem lebenden Wesen an allem Fleisch, das auf der Erde ist.“ 17 Und Gott sprach zu Noah : „Dies ist das Zeichen des Bundes, den ich aufgerichtet habe zwischen mir und euch und allem Fleisch, das auf der Erde ist.“ (9,12 – 17)
So wird die Erzählung von der rettenden Erinnerung Gottes in der Flut – „Und Gott dachte ( )זָ ַכרan Noah und an alle Wildtierd re und an alles Vieh, das bei ihm in der Arche war“ (8,1a) – zum Paradigma für sein zukünftiges Handeln an der Menschheit und an Israel oder anders gesagt : „Gott wird in Zukunft handd deln, wie man ihn im Erzählten handeln sah.“68 2. „Noah fand Gnade in den Augen JHWH s“ (Gen 6, 8) Um unsere Überlegungen abzurunden, werfen wir abschließd ßend noch einen Blick auf die nichtpriesterliche Fluterzähld lung (Gen *6, 5 – 8, 22), von der bereits eingangs die Rede war.69 Zwar spricht sie nicht vom todabwendenden „Gedenken“, aber doch von einem Handeln Gottes, das ebenso folgenrd 68 Baumgart, Umkehr des Schöpfergottes (s. Anm. 61), 343f., vgl. ders., Ende der Welt (s. Anm. 61), 42. 69 S. dazu oben, S. 18, und zuletzt Gertz, Beobachtungen, 41ff.
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reich ist wie dieses. Unmittelbar vor 6, 9 – 22 steht in 6, 5 – 8 der Prolog der nichtpriesterlichen Fluterzählung, wonach JHWH es „reute“, den Menschen geschaffen zu haben. Diesen Mensd schen, der sein Wesen durch seine „Bosheit“ pervertiert hatte, beschloß JHWH , von der Erde auszutilgen, nahm aber Noah von seinem Vernichtungsbeschluß aus : 5 Und JHWH sah, daß die Bosheit des Menschen zahlreich war auf der Erde und jedes Gebilde der Gedanken seines Herzens nur böse war alle Tage. 6 Da reute es JHWH, daß er den Menschen auf der Erde gemd macht hatte, und er empfand Schmerz in seinem Herzen. 7 Und JHWH sprach : „Ich will austilgen den Menschen, den ich geschaffen habe, von der Oberfläche des Ackerbodens – vom Menschen bis zum Vieh, vom Gewürm bis zu den Vögeln der Himmels, denn es reut mich, daß ich sie gemacht habe.“ 8 Noah aber fand Gnade in den Augen JHWH s. Zur Verdeutlichung ist zunächst zu fragen, wie die „Reue“ und der „Schmerz“ JHWH s in Gen 6,6 aufeinander bezogen sind : Schmerzt JHWH seine Reue, den Menschen erschaffen zu haben, oder schmerzt ihn die drohende Vernichtung der Menschheit? Nach V.6a bezieht sich JHWH s „Reue“ auf die Erschaffung des Menschen, die dadurch zurückgenommen wird. Was JHWH nach V.6b dagegen „schmerzt“, ist nicht diese Reue – die er ansonsten ja „bereuen“ würde – , sondern die drohende Vernichtung der Menschheit, die in V. 7 dann beschlossen wird – aber unter Schmerzen, d. h. in einem „Zustand psychischer und emotionaler Not“70, was auch durch Gen 8, 21* rückblickend bestätigt wird. Insofern läßt sich die These vertreten, daß sich JHWH „in tiefer Anteilnahme … zur Vernichtung der Menschheit durch(ringt)“71 und der „Schmerz“ JHWH s einen neuen, wichtigen Aspekt ins biblische Gottesbild einträgt.
70 C. Meyers, Art. ָע ַצבusw., ThWAT 6 (1989) 298 – 301, hier : 299, vgl. Baumgart, Umkehr des Schöpfergottes, 136f. und Ges18 999 s. v. עצב2 hitp. Anders Schüle, Prolog (s. Anm. 58), 274ff., der עצבhitp. in 6,6 m. E. zu unrecht mit „zornig werden“ (247. 276 u. ö.) übersetzt. 71 U. Berges, Der Zorn Gottes in der Prophetie und Poesie Israels auf dem Hintergrund altorientalischer Vorstellungen, Bib. 85 (2004) 305 – 330, hier : 312.
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Ebenso wie der priesterliche hat auch der nichtpriesterliche Prolog 6, 5 – 8 ein Pendant, denn am Ende der nichtpriesterlicd chen Fluterzählung in 8, 21f.* nimmt JHWH seinen Vernichtd tungsbeschluß durch einen Akt der Barmherzigkeit zurück72 und sichert damit den Fortbestand der Erde und ihrer grundld legenden Lebensrhythmen zu – obwohl die Schuld des Mensd schen unverändert weiterbesteht :73 21* Da roch JHWH den lieblichen Duft, und er sagte zu (seinem Herzen =) sich : „Ich will nicht noch einmal den Ackerboden wegen des Menschen verfluchen, [denn das Gebilde des menschlichen Herzens ist böse von Jugend an] und ich will nicht noch einmal alles Lebendige schlagen, wie ich es getan habe. 22 Solange die Erde steht : Saat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht sollen nicht aufhören.“
Während Gen 6, 11 – 12 die Ursache für die Flut in der „Gewalt“ unter den Geschöpfen sieht, liegt sie nach Gen 6, 5 – 8 in der „Bosheit“ des menschlichen Herzens. Darauf reagiert JHWH mit einer besonderen Gemütsbewegung : „es reute ( נחםnif.)74 ihn“, den Menschen geschaffen zu haben, und „er empfand Schmerz ( עצבhitp.)75 in seinem Herzen“. Eigentlich erwartd tet man an dieser Stelle eine andere Reaktion Gottes auf die 72 Dieser Akt der Barmherzigkeit wird in V. 22 durch die Negation des „Verderbens“ bzw. „Vernichtens“ ( קללpi., s. dazu J. Jeremias, Die Reue Gottes. Aspekte alttestamentlicher Gottesvorstellung [BThSt 31], Neukd kirchen-Vluyn 21997, 24 mit Anm. 13; Witte, Urgeschichte [s. Anm. 58], 181f. mit Anm. 135) und des „Schlagens“ ( נכהhif.) ausgedrückt. Mit der negierten Partikel „ עֹודnoch(mals)“ wird dabei der Bezug zu Gen 6, 5 – 8 hergestellt. 73 Vgl. Jeremias, Reue, 26. 74 Zur Bedeutung von נחםnif. „sich etwas leid sein lassen“ s. B. Seifd fert, Metaphorisches Reden von Gott im Hoseabuch (FRLANT 166), Göttingen 1996, 220ff. und zuletzt Gertz, Beobachtungen (s. Anm. 57), 55ff. 75 S. dazu noch Gen 3, 16 (Mühen der Frau bei der Geburt). 17 (Mühsal des Mannes bei der Feldarbeit); 5, 29 sowie Meyers, ( ָע ַצבs. Anm. 69), 300f. und Baumgart, Umkehr des Schöpfergottes, 137f.
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menschliche Bosheit, etwa seinen menschheitsvernichtenden „Zorn“. Davon ist hier allerdings keine Rede!76 Im Gegenteil : Die Rede ist vom „Schmerz“ Gottes, der an seiner Schöpfung und ihrer drohenden Vernichtung leidet. „Im Gegensatz zu den Göttern der altorientalischen Umwelt, schmerzt JHWH sein Vernichtungsbeschluss nicht erst post factum, sondern bereits vor der Katastrophe. Nicht aus Zorn, sondern in tiefer Anteilnahme ringt sich JHWH zur Vernichtung der Menschhd heit durch.“77 Nur Noah fand „Gnade, Wohlwollen“ () ֵחן78 in den Augen JHWHs , d. h. dadurch, daß „der Blick der Augen Gottes … Noah in Erinnerung bringt und … die Erzählung nun nach diesem Noah fragen (lässt)“79. Und wieder stellt sich die Frage : Warum dieses plötzliche Wohlwollen, diese „sympd pathische Inkonsequenz“80 Gottes? Aber auch hier kommt dieses Wohlwollen nicht plötzlich, sondern ist in der Erzählfd folge von Gen *2, 4b – 4, 26 vorbereitet, insbesondere durch JHWH s Reaktion auf die Scham des ersten Menschenpaars (3, 16 – 19 3, 21) und durch seinen Schutz, den er dem Bruder mörder Kain angedeihen läßt (4, 11f. 4, 15).81 Wenn 6, 5 – 8 die zentrale Opposition von menschlicher Bosheit und göttliccher Gnade am Beginn der nichtpriesterlichen Fluterzählung dramatisch verstärkt, dann offenbar in der Absicht zu zeigen, daß es ihr um „eine substantielle Veränderung im Verhältnis des Schöpfers zu seinen Geschöpfen“82 und damit um eine weitreichende Entscheidung in der Menschheitsgeschichtd te geht. Wie weitreichend diese ist, zeigt sich am Epilog der 76 Anders Schüle, Prolog (s. Anm. 58), 274ff., s. dazu oben Anm. 70. 77 Berges, Zorn Gottes (s. Anm. 71), 312, s. dazu ferner Baumgart, Umkehr des Schöpfergottes, 135ff. 78 S. dazu Baumgart, Umkehr des Schöpfergottes (s. Anm. 61), 137f.; J. Ebach, Noah. Die Geschichte eines Überlebenden, Leipzig 2001, 48ff. und Schüle, Prolog, 280ff. 79 Ebach, Noah, 50. 80 Baumgart, Ende der Welt (s. Anm. 61), 35. 81 S. dazu B. Janowski, Jenseits von Eden. Gen 4, 1 – 16 und die nichtpd priesterliche Urgeschichte, in : ders., Der Gott des Lebens. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 3, Neukirchen-Vluyn 2003, 134 – 156. 82 Baumgart, ebd.
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nichtpriesterlichen Fluterzählung in 8, 21f.* Denn hier wird unübersehbar klar, daß die Flut nicht den Menschen, sondern den Schöpfergott verändert hat,83 weil dieser seine „Reue“, die hier gleichbedeutend ist mit der Preisgabe einer Heilssetzung (Erschaffung der Geschöpfe : 6, 6a), durch „Umkehr“ zu über winden vermochte. Das ist, wie W. Zimmerli zutreffend bemerkt hat, „nicht die schwächliche Gnade, die scheinbar gütig ist, während sie im Grunde nur müde geworden ist zu strafen. Sondern es ist die Kraft jener Liebe, mit der der Vater des verlorenen Sohnes den Sohn nicht verstößt, sondern auf den Tag der Rückkehr des Sohnes wartet“84. 6, 5 – 8 nP
6, 9 – 22 7, 1 – 8, 19 P nP / P / Red
8, *20 – 22 nP
9, 1 – 7. *8 – 29 P
Skizze 2: Die doppelte Rahmung der Fluterzählung
Und noch etwas anderes ist zu beachten : Da Gen 6, 5 – 8 un mittelbar vor dem Beginn der priesterlichen Fluterzählung (Gen 6, 9ff.) positioniert ist (s. Skizze 2), dürfte in dieser Abfolgd ge eine Absicht der kanonischen Fluterzählung zu sehen sein.85 D. h. : Die priesterliche Darstellung, die im Motiv vom „Gedd denken“ Gottes an Noah und an alle Lebewesen in der Arche (Gen 8, 1 a) ihre Klimax erreicht,86 setzt die nichtpriesterliche Darstellung voraus, die mit ihrer Rede von der „Reue“, vom „Schmerz“ und vom aufmerksamen „Wohlwollen“ JHWH s gegenüber Noah (Gen 6, 8) die Motive für die Umkehr des Schöpfergottes angibt. Liest man beide Darstellungen hintd tereinander (s. Skizze 3), so ergibt sich ein dichtes Netz von Bezügen, die in der doppelten Opposition von menschlicher 83 Vgl. L. Perlitt, 1 Mose 8, 15 – 22 : GPM 24 (1969 / 70) 391 – 399, hier : 393. 84 W. Zimmerli, 1. Mose 1 – 11 : Urgeschichte (ZBK.AT 1 / 1), Zürich 41984, 297, vgl. H. Seebass, Genesis I : Urgeschichte (1, 1 – 11, 26), Neukircd chen-Vluyn 1996, 221f. und ausführlich Baumgart, Umkehr des Schöpfd fergottes (s. Anm. 61), 163ff. 85 Vgl. N. C. Baumgart, Die große Flut und die Arche, BiKi 58 (2003) 30 – 36 und Gertz, Beobachtungen (s. Anm. 57), 44ff. 86 S. dazu oben, S. 31ff.
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Bosheit / Gewalt und göttlicher / m Gnade / Gedenken kulmind nieren. Dabei formuliert die nichtpriesterliche Fluterzählung ihre Sicht mit Hilfe der Opposition menschliche „Bosheit“ :: göttliche „Gnade“ und die priesterliche Fluterzählung anhand des Gegensatzpaars menschliche „Gewalt“ :: göttlicher „Bund“. Bemerkenswert ist ferner, daß die Priesterschrift ihre Leitkatd tegorie „Bund“ nicht auf den Prolog und den Epilog, sondern – wie die komplexe Handlungssequenz 6, 18 a („Aufrichten“ des Bundes) – 8,1 a („Gedenken“ Noahs) – 9, 11(„Aufrichten“ des Bundes) / 12 („Geben“ des Bundes) + 15f. („Gedenken“ des Bundes) / 17 („Aufrichten“ des Bundes)87 zeigt – über ihre gesd samte Fluterzählung verteilt und das Motiv vom todabwendd denden „Gedenken“ Gottes in 8, 1 a am Scheitelpunkt des Gesschehens (7, 24 – 8, 1a – 8, 1 b) positioniert hat. Obwohl 6, 5 – 8 „eine Wahrnehmung Jahwes und eine darauf folgende Reaktion Jahwes schildern, die nach innen gerichtd tet ist, während 6, 9 – 22 auf eine Mittelung Gottes nach außen hinausläuft“88, ist die theologische Intention in beiden Erzd zählzusammenhängen dieselbe : daß sich nämlich der Schöpfd fergott weder durch die menschliche Bosheit noch durch die menschliche Gewalt zu einer totalen Destruktion verleiten läßt und seine Schöpfung preisgibt. Nicht die Katastrophe ist das ‚Ende‘ und damit das Ziel der Geschichte, sondern Gottd tes rettende Erinnerung an das, was er Noah und in ihm der Menschheit zugesagt hatte. III. Zusammenfassung und Ausblick Von den zahlreichen Belegen für die Wendung „( זָ ַכרgedenkd ken“) + Subj. JHWH im Alten Testament haben wir im Vorhd hergehenden nur eine kleine Auswahl analysieren können (Gen 8, 1a; 9, 15f.; Ex 2, 24; 6, 5; Ps 8, 5 und 13, 2 [Gegenbegriff „ ָׁש ַכחvergessen“]). Dennoch lassen sich die Ergebnisse vorsd sichtig verallgemeinern und wie folgt zusammen : 87 S. dazu oben, S. 37ff. 88 Gertz, Beobachtungen (s. Anm. 57), 44 (Hervorhebung von mir).
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1) Das Syntagma זָ ַכר+ Subj. JHWH wird im Alten Testamd ment89 in unterschiedlicher Weise verwendet : mit Perssonalobjekt (+ Akkusativ der Person [Gen 8,1a; Ps 8,5], + ְלder Person oder + ְלder Person und Akkusativ der Sache), mit Sachobjekt (Bund [Gen 9, 15f.; Ex 2, 24; 6, 5], Verheißung, Huld, Erbarmen), mit dem Objekt von Tatten der Menschen (gute / schlechte Taten) und dem Objekt von Tatbeständen (Hinfälligkeit des Menschen, Schmach Israels). Wie זָ ַכר+ Subj. Mensch90 meint auch זָ ַכר+ Subj. JHWH eine tiefe Anteilnahme dessen, der gedenkt (Gott ), am Geschick dessen, an den gedacht wird (Mensch / Israel ). 2) Charakteristisch für die Bedeutung von זָ ַכר+ Subj. JHWH ist ferner der gattungsmäßige Ort des göttlichen „Gedenkkens“ innerhalb einer Klage, einer Bitte, eines Danks, eines Hymnus u. a. Klage und Bitte, in denen die Hinfälligkeit des Menschen thematisiert wird91, sind für die Bedeutung des Syntagmas זָ ַכר+ Subj. JHWH deshalb wichtig, weil „ זָ ַכרdie bedenkende Prüfung der vorgebrachten Sache (bedeutet), die so zum Grund für das helfende Einschreitten Jahwes werden soll“92. Ex 2, 24 und 6, 5 zeigen, daß das „Gedenken“ Gottes mehr ist als ein bloß noetischer Vorgd gang, nämlich ein Akt der inneren Zuwendung, gleichsam der Erhörung, der Gott dazu bewegt, tätig zu werden, d. h. die Not seines Volkes zu „sehen“ und abzuwenden. 3) Charakteristisch für die Bedeutung von זָ ַכר+ Subj. JHWH sind schließlich die synonymen und antonymen (Tat-)Verbben,93 die auf je unterschiedliche Weise zeigen, daß mit זכר ַ „gedenken < denken an“ ein über bloßes Denken hinad ausgehender tätiger Bezug zu den Objekten des göttlichen Gedenkens impliziert ist. Allerdings heißt „gedenken“ keineswegs schon „handeln“ und ist Erinnerung allein (!) noch keine Form der Praxis. Vielmehr nimmt זָ ַכרeine Mittelstellung zwischen einem Zur-Kenntnis-Nehmen 89 90 91 92 93
Zu den Belegen s. oben, S. 19f. S. dazu Schottroff, „Gedenken“ (s. Anm. 10), 112ff. S. dazu die Belege oben, Anm. 17. Schottroff, „Gedenken“, 241 (Hervorhebung von uns). S. dazu oben, S. 20.
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(einer Person oder eines Sachverhalts) und dem daraus folgenden Tätigwerden ein (Ex 2, 24; 6, 5; Ps 8, 5), d. h. es meint ein „‚Denken-an‘ im Sinn einer gewollten inneren Zuwendung und Anteilnahme, welche die Bereitschaft einschließt, handelnd / helfend tätig zu werden“94. Eine letzte Beobachtung betrifft die Komposition der biblisd schen Fluterzählung und das darin zum Ausdruck kommende Gottesbild. Denn an ihrem Beginn finden sich zwei Abschnittd te (Gen 6, 5 – 8 und 6, 9 – 12), die als eine doppelte Einleitung fungieren und den Blick auf die ‚Innenseite Gottes‘95 lenken – ohne daß dieser zu Noah oder zu einem anderen Menschen spricht. Dabei setzt die priesterliche Darstellung (Gen 6, 9 – 12 : Noah als „Gerechter“ / Verderbtheit allen Fleisches) die umgekd kehrten Akzente wie die nichtpriesterliche Darstellung (Gen 6, 5 – 8 : Bosheit des Menschen / „Gnade“ gegenüber Noah), so daß eine Art chiastische Erzählstruktur entsteht.96 In der kano nischen Gestalt der Fluterzählung setzt die nichtpriesterliche Darstellung damit „das theologische Vorzeichen : was von Noah Positives zu vermelden ist, liegt daran, daß er ‚Gnade‘ in Gottes Augen gefunden hat“97. Die priesterliche Darstellung schildert dagegen, inwiefern diese ‚Begnadigung‘ Anhalt im Leben Noahs hat : dieser war, wie 6, 9 erzählt, „ein gerechter, untadliger Mann unter seinen Zeitgenossen“, der mit Gott wandelte. Im Fortgang der Erzählung wird Noahs Gerechtigkd keit dann die Verderbtheit der Erde durch die Gewalt „allen Fleisches“ gegenübergestellt, die die Flut auslöst, auf ihrem Höhepunkt aber durch das „Gedenken“ Gottes an Noah und alle Tiere in der Arche (8, 1a) zurückgenommen wird. Es ist allein dieses Gedenken, das die Rettung bringt, weil sich in ihm die Umkehr Gottes von der Vernichtung zur Bewahrung der Schöpfung vollzieht.
94 95 96 97
Schnieringer, Psalm 8 (s. Anm. 58), 224. Vgl. Baumgart, Ende der Welt (s. Anm. 61), 36. Vgl. ebd., 33f. und W. Klaiber, Schöpfung, Göttingen 2005, 141f. Ebd., 142.
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nP: Bosheit des Menschen und Gnade Gottes gegenüber Noah 6,5 Und JHWH sah, daß die Bosheit des Menschen zahlreich war auf der Erde und jedes Gebilde der Gedanken seines Herzens nur böse war alle Tage. 6 Da reute es JHWH, daß er den Menschen auf der Erde gemacht hatte, und er empfand Schmerz in seinem Herzen. 7 Und JHWH sprach: „Ich will austilgen den Menschen, den ich geschaffen habe, von der Oberfläche des Ackerbodens – vom Menschen bis zum Vieh, vom Gewürm bis zu den Vögeln der Himmels, denn es reut mich, daß ich sie gemacht habe.“ 6, 8 : Klimax ( nP ) 8 Noah aber fand Gnade in den Augen JHWHs. P: Gerechtigkeit Noahs und Verderbtheit allen Fleisches 6,9 Dies ist die Toledot Noahs. Noah war ein gerechter, untadliger Mann unter seinen Zeitgenossen, mit Gott wandelte Noah. 10 Und Noah zeugte drei Söhne: Sem, Ham und Japhet. 11 Und es verderbte die Erde vor Gott, und voll wurde die Erde von Gewalt. 12 Und Gott sah die Erde und siehe: sie war verderbt, denn verderbt hatte alles Fleisch seinen Weg auf der Erde. 13 Und Gott sprach zu Noah: „Das Ende allen Fleisches ist vor mich gekommen, denn voll ist die Erde von Gewalt von ihnen her, und siehe, ich bin dabei, sie zu vernichten (zusammen) mit der Erde.“ (…)
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7,24 8,1a 8,1b
Und das Wasser schwoll an auf der Erde 150 Tage. Und Gott dachte an Noah und an alle Wildtiere und an alles Vieh, das bei ihm in der Arche war. Und Gott ließ einen Wind wehen über die Erde hin, so daß das Wasser sank. (…) Skizze 3: Die doppelte Einleitung der biblischen Fluterzählung
8, 1a : Peripetie ( P )
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Report "Schöpferische Erinnerung. Zum „Gedenken Gottes“ in der biblischen Fluterzählung, in: B. Janowski, Die Welt als Schöpfung. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 4, Neukirchen-Vluyn 2008, 172-198 (= SBS 91, Stuttgart 2008, 17-47) "