Rezension zu Michael Köhler: Thüringer Triften und Trassen. Frühe Wege in den Landschaften zwischen Werra und Weißer Elster. Golmsdorf: Jenzig-Verlag Gabriele Köhler 2013.
Herausgeber Verein für Thüringische Geschichte Historischen Kommission für Thüringen
PH. C. W. SCHMIDT Neustadt a. d. Aisch 2015
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gezeigten Beispiele eine Prüfung beinahe aller Fakten notwendig. Das schränkt die Nutzbarkeit des Buches sehr stark ein. Wenn auch das Buch nicht für einen wissenschaftlichen Leserkreis vorgesehen ist und manche Ungenauigkeit nur dem Fachmann auffallen dürfte, so wünschte man sich dennoch mehr Gründlichkeit bei der Darstellung. Nebst dem hätte dem Buch ein gründliches inhaltliches wie sprachliches Lektorat mehr als gut getan, so dass am Ende kaum mehr als die vielen Fotografien, eine recht umfängliche Bibliographie und die Motivation, die zur Erarbeitung des besprochenen Buches führten, lobend zu erwähnen sind. P ie r r e Füt t e r e r , Je n a Michael Köhler: Thüringer Triften und Trassen. Frühe Wege in den Landschaften zwischen Werra und Weißer Elster. Golmsdorf: Jenzig-Verlag Gabriele Köhler 2013. 324 S. zahlr. farbige Abb. ISBN: 978-3-910141-99-5. Preis 35,– EUR. Nahezu einhundert Jahre mussten vergehen, ehe das vormoderne Wegenetz Thüringens wieder zum Gegenstand umfangreicher Forschungen wurde und deren Ergebnisse in Form des zu besprechenden Buches nun der interessierten Öffentlichkeit zugänglich sind. Bereits zuvor machte sich Michael Köhler – Professor für Physikalische Chemie und Mikroreaktionstechnik in Ilmenau, Autodidakt in Sachen Burgen- und Wegeforschung – durch zahlreiche Veröffentlichungen, die ein unverkennbares Interesse an alten Straßen erkennen lassen, nicht nur bei Wegeforschern verdientermaßen einen Namen. Mit der vorliegenden Arbeit bündelt und erweitert er sozusagen seine bisherigen Forschungen zu Altstraßen und will, wie er auf S. 7 formuliert, eine Zusammenschau zu den Wegen und Altstraßen für den Raum Thüringen [innerhalb der Grenzen des heutigen Freistaates, d. Verf.] […], vor allem die durch die landschaftlichen Verhältnisse bestimmten Hauptlinien des Verkehrs für die vormittelalterliche Zeit herausarbeiten, ohne dabei einzelne historisch überlieferte Trassen von Fernstraßen (S. 286, Anm. 1) schildern zu wollen. Vielmehr gehe es darum, das Verhältnis der historischen Wegestruktur zu den naturräumlichen Voraussetzungen und zur Kulturlandschaft und ihrer Entwicklung in einer Gesamtschau darzustellen. (S. 286, Anm. 1). Ein anspruchsvolles Anliegen, das zahlreiche, auch methodische Probleme birgt, ist doch allein unsere Kenntnis von vorgeschichtlichen Siedlungsstrukturen noch immer stark eingeschränkt, der Forschungsstand sehr disparat und resultieren aus Neufunden seitens der Archäologie stets Verschiebungen im Gesamtgefüge. So schränkt auch Köhler daher auf S. 30 zu Recht ein, dass die aufgeführten Straßen und Straßenbündel nur einen Teil der Altstraßen und Wege umfassen könnten. Geleitet wird der Autor dabei, wie er auf S. 286 in Anm. 1 angibt, von der 2009 vom »Altmeister« der Altwegeforschung Dietrich Denecke formulierten Erkenntnis, dass 306
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die großen Verkehrsachsen keineswegs nur auf eine Linienführung und schon gar nicht nur auf eine Trasse beschränkt gewesen seien. Bevor sich Köhler dem eigentlichen Gegenstand des Buches widmet – der Darstellung wichtiger überregionaler Straßenbündel (S. 30–173) –, bietet ein einführender Teil (S. 8–30) Informationen zur Entstehung von Wegen und Straßen, der Verteilung und Ausrichtung der Altstraßen, konkreten Verkehrsleitlinien sowie dem Einfluss der Geomorphologie auf die Wegeentstehung und auch die Wegestruktur. Diese vergleicht er infolge des Dranges der Wegbenutzer nach Verringerung von Kraft- und Zeitaufwand und den daraus resultierenden Wegverläufen, die sich geschwungen, ineinander einmündend und wieder verzweigend ausbildeten, mit dem Schnitt durch Seifenschaum (S. 11). Plausibel, wenn auch nach Aussage des Autors auf Thüringen nur begrenzt anwendbar (S. 11 f.), wird dieser Vergleich, wenn man bedenkt, dass im Schaum die Grenz flächen- und Oberflächenspannung für eine Minimierung der Flächen sorgen und der Drang, die Wege so kurz wie möglich zu halten, für eine hohe Dichte an Wegen und damit die netzartige Struktur sorgen. So ist es nur richtig, wenn für Thüringen – entgegen häufig anzutreffenden Aussagen – ein engmaschiges Wegenetz mit Linien unterschiedlicher und mit der Zeit wechselnder Bedeutungen postuliert wird (S. 11). Diskutabel ist indes die traditionelle und auch von Köhler (S. 12 f.) vertretene Ansicht, der frühe Wegenutzer hätte Höhenund Hangwege gegenüber Talwegen bevorzugt. Diese Ansicht resultiert vor allem aus der Tatsache, Wegereste vorrangig an Hängen vorzufinden, ignoriert aber die gravierenden Veränderungen der Täler und Talauen seit der Sesshaftwerdung, wie sie die noch junge Disziplin der Geoarchäologie an regionalen Beispielen aufzeigen konnte. Ebenso fraglich ist, da eindeutige Nachweise fehlen, dass vormoderne Wegenetze Trassen aufwiesen, die bestimmten Nutzergruppen vorbehalten gewesen seien, wie auf S. 28 zu lesen ist. Diskussionswürdig sind auch die auf S. 30 für die Darstellung gewählten Begrifflichkeiten: Straße, Straßenast, Straßenzweig, Trasse. Indes nicht, weil die vom Autor gewählten Begriffe falsch wären, sondern weil es in der Altwegeforschung (oft auch Altstraßenforschung genannt, woran das Problem allein schon offenkundig wird) an einer einheitlichen Nomenklatur und Begrifflichkeit für die Erscheinungsformen des vormodernen Verkehrs mangelt. Innerhalb der Einführung stellt Köhler erste Überlegungen zu möglichen prähistorischen, frühgeschichtlichen und mittelalterlich bis frühneuzeitlichen Wegeund Fernverbindungen an (S. 14–25), die die verkehrsgeographische Lage Thüringens im Verkehrsgefüge Europas aufzeigen sollen. Als höchst problematisch sind hierbei Köhlers Überlegungen insbesondere zu den vorneolithischen, neolithischen und generell den vorgeschichtlichen Verkehrswegen anzusehen, wenn auch richtig gesagt wird, dass viele Trassen lange existierten (S. 28). Ihren Nachweis erachtet er nach S. 14 selbst als schwierig, dennoch rekonstruiert Köhler anhand archäologischer Fundplätze und deren regionaler Häufung sowie den von der Archäologie herausgearbeiteten Siedlungsschwerpunkten der jeweili307
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gen Zeiträume potentielle Wegstrukturen. Trotz dieser methodischen Schwierigkeiten gelingt es dem Autor aber immer wieder, Abschnitte vorgeschichtlicher Wegeführungen plausibel zu machen, sofern die geschilderten Trassenverläufe vorgeschichtliche Wallanlagen, Siedlungen oder andere Strukturen miteinander verbinden. Wie ein Exkurs innerhalb dieser Skizzierung der Entwicklung des thüringischen Verkehrsnetzes vom Paläolithikum bis zur Frühen Neuzeit wirken die Ausführungen zu den Warten ausgewählter Städte (S. 21–24), bevor eine Beschreibung dessen folgt, was heute von der ehemaligen Verkehrsstruktur noch erhalten ist – Hohlwege und Toponyme – und die dem Wegeforscher als primäre Quellen dienen (S. 26–29). Auf dieser Grundlage und unter Zuhilfenahme der Feldoriginale des 19. Jahrhunderts rekonstruiert Köhler nach S. 287 mit Anm. 64 f. die Straßen und Straßenbündel. Insbesondere die Verwendung der Feldoriginale, die die Wegestruktur vor der in den 1870er Jahren erfolgten Flurbereinigung bewahrt haben, stellt einen methodischen Ansatz dar, der bisher nur vom Rezensenten genutzt wurde. Angedeutet wurde bereits, dass der wesentlichste Teil des Buches die Beschreibung der auf diese Weise herausgearbeiteten überregionalen Straßenbündel beinhaltet. Dabei ist die historische Verortung der Straßenbündel sehr weit gefasst und erstreckt sich gemäß dem Anliegen des Autors von der Vorgeschichte bis in die Frühe Neuzeit. Konkret bezieht sich die Darstellung auf Straßenbündel, die vorrangig dem Fernverkehr gedient haben (sollen). Auf S. 30 genannte Kriterien, u.a. die großräumlichen Zusammenhänge und Anschlüsse an Nachbarregionen oder spezielle topographische Situationen, schränken die Auswahl weiter ein. Dafür dürfte der Leser dankbar sein, verlöre er sich doch sonst gar zu schnell in einer vor Details nur so strotzende Beschreibung von Straßen, deren zahlreichen Verästelungen und Varianten. Sehr detailliert und kenntnisreich schildert Köhler denn auch die ausgewählten Straßenbündel, die schnell deutlich werden lassen, wie dicht das Netz der Altstraßen in Thüringen war. An dieser Stelle wünschte man sich aber eine alle Straßenbündel abbildende Übersichtskarte des gesamten Arbeitsgebietes, die die Komplexität des Wegenetzes deutlich vor Augen führen würde. Indes bietet Köhler Karten, die jeweils eines der beschriebenen überregionalen Straßenbündel und deren dazugehörige Trassen in unterschiedlichen Farben zeigen (bspw. Abb. 7, S. 35). Zusätzlich sind den Beschreibungen Skizzen von regionalen Altstraßenabschnitten (bspw. Abb. 32, S. 58), Ausschnitte aus Feldoriginalen mit lokalen Abschnitten verschiedener Trassen (Abb. 52, S. 73) und teilweise Fotos der rezenten Situation beigefügt (bspw. Abb. 72, S. 90). Teilweise sind die Aufnahmestellen der Fotos auf den Feldoriginalen markiert, was ein Auffinden der Wegereste im Gelände ebenso ermöglicht wie die gelegentlich im Text und generell im Katalogteil mit Koordinaten versehenen Altwegefundstellen. All das erleichtert die Orientierung innerhalb der Darstellung und illustriert zugleich die Gestalt der Wegeführungen. Erfreulicherweise sind überdies Unsi308
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cherheiten im Verlauf der Trassen und Wege durch unterbrochene oder punktierte Linien kenntlich gemacht, was die Befunde zusätzlich in ihrer Plausibilität unterstreicht. Negativ fällt demgegenüber das Fehlen einer Legende auf, die die Symbole der Skizzen mit regionalen Trassen zeigen (bspw. Abb. 131, S. 138). Zudem ist nicht immer nachvollziehbar, warum welche Wege und Wegereste in den Feldoriginalen farbig hervorgehoben wurden. Denn wer mit den Signaturen vertraut ist, findet neben markierten Erosionsrinnen auch nicht markierte Hohlwege. Generell wünschte man sich ferner innerhalb dieses Kapitels gelegentlich mehr Belege, wenn z.B. auf S. 36 die Engel-Orte (Feldengel, Kirchengel etc.) im nördlichen Thüringer Becken dem Stamm der Angeln zugeordnet werden. Und außerdem zu kritisieren ist die Verwendung des Namens via superior (S. 40) für eine Trasse, die aus westlicher Richtung über Rastenberg in ostnordöstlicher Richtung verlief, fehlt es doch an einem zeitgenössischen Zeugnis für diesen Namen (Der Name wurde von Paul Grimm, Die vor- und frühgeschichtlichen Burgwälle der Bezirke Halle und Magdeburg [Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Schriften der Sektion für Vor- und Frühgeschichte, 1], Berlin 1958, S. 63, benutzt und findet sich seither immer wieder in der Literatur, ohne dass je ein Autor einen schriftlichen Nachweis für dieses Hodonym beizubringen vermochte.). Der Beschreibung der überregionalen Verkehrswege ist ein ebenso umfangreicher – soweit das zu überblicken ist, ein in der gesamten deutschen Forschungslandschaft in dieser Form bisher einmaliger – Katalog mit Wegeresten angeschlossen (S. 174–285), bei dem nicht nur die gebotenen Fotografien, sondern auch die Ausführungen eine profunde Geländekenntnis des Autors erkennen lassen. Ein darauf folgendes Literaturverzeichnis erlaubt, das Gelesene zu vertiefen. Zum Erschließen des Buches bietet Köhler neben einem Register zu Orts-, Flurund Landschaftsbezeichnungen ein weiteres für historische Straßen- und Wegebezeichnungen und darüber hinaus ein Verzeichnis bekannter, meist ehemaliger Straßengasthäuser und darauf hinweisender Flurnamen. Abschließend bleibt nach dem Gesagten festzuhalten, dass mit der besprochenen Arbeit, trotz diskussionswürdiger und kritisch einzuschätzender Passagen sowie einiger eher allgemein gehaltener Aussagen, ein wertvolles, in weiten Teilen Grundlagen schaffendes Werk vorliegt, an dem kein Archäologe, Historiker oder Heimatforscher vorbeikommt, der sich mit verkehrs- und siedlungsgeschichtlichen sowie mit Handelsfragen befasst. P ie r r e Füt t e r e r , Je n a
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