(Kap. 6). Situationsangemessen, zeitnah und über regelmäßige Supervision kontrolliert zu reagieren, kann so zu einem Modell für eine normale Beziehungsgestaltung werden, die auch Empathie und Verantwortungsgefühl für die Bezugspersonen ermöglicht. Wie stark gerade diese Patientinnen (Personal- und ökonomische) Ressourcen binden und die professionelle Neutralität gefährden, ist jedem klinisch Tätigen vertraut. Umso hilfreicher sind die Kapitel 8 und 9 zu (regressiven) Versorgungswünschen und – als notwendiges Komplement – zu Dauer wie Indikation der Krisenintervention. Die immer konfliktbelastete Entscheidung zur Entlassung erfordere Standhaftigkeit, Eindeutigkeit und „wohlwollende Diskussionsbereitschaft“. Zentral bleibt hierbei die Frage der Absprachefähigkeit, aber auch der Absprachewilligkeit und fortbestehenden Eigenverantwortung bei fast pathognomonischer, chronisch fluktuierender „Basissuizidalität“. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand bleibt jeder Einsatz von Psychopharmaka bei BPS ein „Behandlungsversuch“, da allenfalls einzelne Symptomkomplexe wie Impulsivität und Depressivität günstig beeinflusst werden können; für die akute suizidale Krise wird pragmatisch eine Indikation anerkannt. Differenziert und kritisch diskutieren die Autoren die verschiedenen Substanzgruppen auch in ihrem vielschichtigen Potenzial als Mittel der Beziehungsgestaltung. Für eine enge Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Psychotherapeuten innerhalb eines Behandlungsnetzwerks (incl. Selbsthilfegruppe) und tragfähige Absprachen über Indikation, Ziele und Dauer stationärer Interventionen wird im Schlusskapitel geworben – und daran erinnert, wie gut die langfristige Prognose unter zuverlässiger psychotherapeutischer Unterstützung sein kann! Dieses – nicht zuletzt dank der zahlreichen Fallbeispiele – praxisnahe und überzeugend komprimierte Buch war überfällig! Es verdient weite Verbreitung und wird es künftig schwer machen, hergebrachte Vorbehalte gegenüber der Veränderungsfähigkeit und -bereitschaft dieser Patientengruppe aufrechtzuerhalten. Es liest sich flüssig und bleibt bis zur letzten Seite sehr informativ und anregend. Am Layout sind die durchgehend systematische Gliederung, die souveränen Kapitelzusammenfassungen und die Bündelung wichtiger Aspekte in Kästen hervorzuheben. Das Literaturver-
zeichnis besticht durch Güte und Aktualität. Hasso Klimitz, Potsdam E-Mail:
[email protected] Steinert T, Steib M-L, Uhlmann C, Tschöke S. Stationäre Krisenintervention bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen. Göttingen: Hogrefe; 2014: 116 Seiten, 22,95 €. ISBN: 978-3-80172545-7
„Nur noch Knochen, kein entstellendes Fleisch mehr, nur noch reine, klare Gestalt. Knochen.“ Die Anorexia nervosa ist eine Essstörung mit einer geschätzten Prävalenz in den Industrieländern von 0,7 % bei weiblichen Teenagern. Sie kann als eine für unsere westliche Gesellschaft spezifische Erkrankung angesehen werden, die seit ihrer Erstbeschreibung durch Charles Lasègue und William Gull 1873/1874 im psychiatrischen Diskurs kontrovers diskutiert wird und auch in der novellierten Fassung des DSM eine weitere Neubestimmung erfahren hat. Wie es dazu kommen kann, dass für junge Menschen – in der Regel Frauen – dieses im Betroffenenzitat beschriebene Aushungern bis auf die Knochen zu einer gar zum Tode führenden Leidenschaft werden kann, darüber scheiden sich bis heute die Geister. Isabella Marcinski stellt in ihrer Monografie „Anorexie – Phänomenologische Betrachtung einer Essstörung“ den bislang verbreiteten psychoanalytischen und heute gängigen kognitionswissenschaftlichen Deutungen der Erkrankung eine dezidiert an der Erfahrung der Betroffenen orientierte Perspektive gegenüber. Zentral ist dabei das Sich-Spüren am eigenen Leib – ein Phänomen, das eine lange – gleichwohl vergessene – Tradition in unserer abendländischen Geistesgeschichte hat [1] und das aktuell besonders vom Phänomenologen Hermann Schmitz umfassend beschrieben wurde [2]. Dieses Sich-Spüren lässt sich weder als gedanklichen Prozess noch als sinnliche Wahrnehmung eines äußeren Objekts erfassen, weshalb auch die an die letzten beiden Vorgänge geknüpften Konzepte des Körperschemas oder -bildes unzureichend sind. Diese theoretischen Überlegungen erweisen sich in Marcinskis Darstellung
vor allem im zweiten Teil als überzeugend, wo die Autorin sie mit den eindrucksvollen Erfahrungsberichten von Betroffenen in Deckung bringt. Das Sichspüren-Müssen in einem knöchernschmerzenden, frierenden und vor allem hungernden Leib, aber auch im Sport und der Hyperaktivität, zeigt sich bei den Betroffenen als zentrales Motiv. Diese suchtähnlichen Selbstpraktiken begreift Marcinski als Reaktion auf einen sich in der Pubertät verändernden und spezifisch kulturell überformten Leib bzw. Körper. Auch wenn therapeutische Aspekte der Erkrankung eine gewisse Leerstelle bilden, handelt es sich bei Marcinskis Untersuchung um eine sehr lesenswerte und umsichtige Studie zu diesem Thema. Ich hungere also bin ich – Anorexie, so könnte man abschließend fragen, als Antwort auf die Krise eines Selbst, das sich im Bedeutungssystem unserer Kultur nicht mehr wiederfinden kann? Literatur 1 Heller-Roazen D. Der innere Sinn: Archäologie eines Gefühls. Frankfurt a. M: Fischer; 2012 2 Schmitz H. Kurze Einführung in die neue Phänomenologie. Freiburg i. Br., München: Alber; 2009
Samuel Thoma, Berlin E-Mail:
[email protected] Marcinski I. Anorexie – Phänomenologische Betrachtung einer Essstörung. Freiburg i. Br, München: Alber Verlag; 2014, 131 Seiten, 24 €, ISBN: 978-3-495-48683-2
Psychoonkologie – das Erstgespräch und die weitere Begleitung Gespräche mit somatisch schwer erkrankten Menschen – insbesondere mit Tumorpatienten – sind oft auch für erfahrene Psychotherapeuten eine große Herausforderung. Krebs ist unauslöschlich mit Tod, Sterben und Schwäche assoziiert – Begriffe, die vermeintlich so gar nicht in unsere leistungsorientierte Wertewelt passen. Psychoonkologische Gespräche führen heißt aber genau sich mit häufig vermiedenen Themen wie der Endlichkeit des Lebens, der Illusion der Unsterblichkeit, der Unsicherheit der Prognose und dem
Serie · Szene · Media Screen … Psychiat Prax 2015; 42: 50–54
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