Ressourcen und Rohstoffe in der Bronzezeit
Arbeitsberichte zur Bodendenkmalpflege in Brandenburg 26
Bianka Nessel, Immo Heske und Dirk Brandherm (Hrsg.)
Ressourcen und Rohstoffe in der Bronzezeit Nutzung – Distribution – Kontrolle Beiträge zur Sitzung der Arbeitsgemeinschaft Bronzezeit auf der Jahrestagung des Mittel- und Ostdeutschen Verbandes für Altertumsforschung in Brandenburg an der Havel, 16. bis 17. April 2012
Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum Wünsdorf 2014
© 2014 Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, OT Wünsdorf, Wünsdorfer Platz 4–5, 15806 Zossen
Titelbild: Holz Kupfer Salz Glas
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bois.JPG http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Copper.jpg; Foto: http://images-of-elements.com/copper.phg, unverändert http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Speisesalz.jpg; Foto: Ch. Thiele http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Broken_glass.jpg; Foto: J. Poskanzer, unverändert
ISSN 1436-249X ISBN 978-3-910011-75-5 Für Inhalt und Stil der Beiträge sowie die Bildrechte sind die Autorinnen und Autoren verantwortlich.
Redaktion: Bianka Nessel, Immo Heske, Dirk Brandherm Technische Redaktion: Petra Woidt, BLDAM Bildbearbeitung: Günther Matthes, Berlin Satz und Layout: LVD GmbH, Berlin Herstellerische Betreuung: Petra Woidt, BLDAM Druck: Druckhaus Köthen GmbH
Inhalt
Franz Schopper Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
Dirk Brandherm, Immo Heske und Bianka Nessel Einleitung der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
Ressourcennutzung, Handel, Distribution – Zugang zu und Kontrolle von Rohstoffen Manfred Rösch, Elske Fischer, Angelika Kleinmann, Jutta Lechterbeck, Gegeensuvd Tserendorj und Lucia Wick Bronzezeitliche Landnutzung im diachronen Vergleich – Fallbeispiele aus Südwestdeutschland . . . . . . . . . . . .
13
Alexandra Găvan und Florin Gogâltan Zentrum und Peripherie? Der bronzezeitliche Tell von Pecica „Şanţul Mare“ (Kreis Arad, Rumänien) . . . . . . . . .
28
Martin Hensler Überlegungen zur frühbronzezeitlichen Kupferdistribution am Beispiel der Ösenringe . . . . . . . . . . . . . . . .
41
Milena Müller-Kissing Lokale Produktion oder überregionale Versorgung? Kupfergewinnung und -metallurgie der bronzezeitlichen El Argar-Kultur in Südostspanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
Tobias Mörtz Erz und Erzeugnis – Bemerkungen zu den Gießformen für Schwerter der späten Bronzezeit Großbritanniens . . . . .
61
Gisela Woltermann Bernsteinschmuckproduktion in der Hügelgräberzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
Leonie C. Koch Bronzezeitliches Glas. Die Frage nach seiner Herkunft, Antworten durch chemische Analysen und das Problem ihrer Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
Stephanie Mildner, Ulrich Schüssler und Frank Falkenstein, Helene Brätz Bronzezeitliches Glas im westlichen Mitteleuropa – Funde, Zusammensetzung und die Frage nach seiner Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Lorenz Rahmstorf „Pebble weights“ und Waagebalken aus der jüngeren Bronzezeit Europas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Werner Feth Ha B-zeitliche Waaggewichte? Überlegungen zu Wirtschaft und Handel in den jungbronzezeitlichen Seeufersiedlungen der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Neue Forschungen Ines Beilke-Voigt Das Burgenzentrum Lossow im Spiegel seiner Fernkontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
Torsten Wagner Eine jungbronzezeitliche Siedlungskammer bei Haldensleben (Lkr. Börde, Sachsen-Anhalt) – Fundplätze an der südlichen Peripherie des Nordischen Bronzekreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
147
Walter Leclercq Der Ferne Osten – „Orientalische“ Einflüsse in Keramik- und Metallfunden der belgischen Spätbronzezeit . . . . . . .
157
Robert Schumann Die Siedlungsarchäologie der Bronze- und Urnenfelderzeit in Oberösterreich und die Ausgrabungen von Gilgenberg-Bierberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
178
7
Vorwort Die Bronzezeitforschung im Land Brandenburg blickt auf eine lange und erfolgreiche Tradition zurück. Mit dem Goldhortfund von Eberswalde, den Goldgefäßen von vom Lienewitzer Forst bei Caputh und den bronzenen Deichselwagen von Burg im Spreewald, die sich seit 1945 als brandenburgische „Kulturbotschafter“ im Moskauer Puschkinmuseum befinden und eigentlich dem Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin gehören, standen der staunenden Öffentlichkeit und der interessierten Forschung schon früh herausragende und inspirierende Objekte zur Verfügung. Ein weiteres die Bronzezeitforschung ebenso wie die Denkmalpflege sehr früh bewegendes Fund- und Denkmalensemble wird mit dem klingenden Namen „Königsgrab von Seddin“ umschrieben. Zu den ältesten Sammlungsbeständen des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseums (BLDAM) gehört der oder besser gehören die frühbronzezeitlichen Horte von Bresinchen bei Guben. Alle diese Objekte sowie eine Vielzahl von Gräberfelder und Siedlungen bilden seit Jahrzehnten herausragende Quellen für regionale, überregionale und internationale Forschung. Daher war es dem BLDAM eine besondere Freunde, dass sich die traditionsreiche Arbeitgemeinschaft Bronzezeit der deutschen Verbände für Archäologie entschlossen hat, im Jahr 2012 ihre jährliche Arbeitssitzung im Rahmen der Tagung des Mittel- und ostdeutschen Verbandes für Altertumsforschung in Brandenburg an der Havel abzuhalten. Gerade der thematische Ansatz die Ressourcen und Rohstoffe sowie deren Nutzung, Distribution und Kontrolle während der Bronzezeit in den Blick zu nehmen, ist für die damals überraschend dicht besiedelte brandenburgische Streusandbüchse von außerordentlicher Bedeutung. Die geografische Breite der Betrachtungen und die multiplen inhaltlichen und methodische Ansätze bescherten nicht nur eine interessante Tagung, sondern ergeben auch einen spannenden Sammelband, der darüber hinaus noch durch die Kategorie „Neue Forschungen“ inhaltlich ergänzt wird. Der Sprecherin und den Sprechern der AG Bronzezeit, Bianka Nessel, Immo Heske und Dirk Brandherm, ist es zu danken, dass ihnen erneut die Sammlung und Zusammenstellung der Beiträge gelang. Darüber hinaus leisteten sie den weitaus überwiegenden Teil der redaktionellen Arbeit. Da die AG Bronzezeit weder über eine feste Struktur noch über eine eigene Publikationsreihe verfügt, hat das BLDAM den vorliegenden Tagungsband gern in die Reihe seiner Arbeitshefte zur Bodendenkmalpflege in Brandenburg augenommen. Den Mitarbeitern des BLDAM, Petra Woidt und Günther Matthes, ist für abschließende redaktionelle Arbeiten, Bildbearbeitung sowie die Produktionsbetreuung zu danken. Ich wünsche allen Lesern eine spannende Lektüre. Den Autorinnen und Autoren danke ich für ihre fundierten Beiträge. Prof. Dr. Franz Schopper Landesarchäologe Brandenburg
9
Einleitung der Herausgeber Dieser Band enthält die schriftlichen Abfassungen von Vorträgen zur Sitzung der Arbeitsgemeinschaft Bronzezeit, welche vom 16. bis 19. April 2012 im Rahmen der Jahrestagung des Mittel- und Ostdeutschen Verbandes für Altertumsforschung in Brandenburg an der Havel stattfand. Die Mehrheit der Vortragenden konnte für eine Beteiligung an der vorliegenden Publikation gewonnen werden. Neben Beiträgen zum thematischen Teil der Sitzung enthält diese auch eine Reihe von Vorträgen aus dem allgemeinen Sitzungsteil („Neue Funde und Forschungen“) , da die in Brandenburg geführten Diskussionen eine enge inhaltliche Anbindung zeigten. Weitere Beiträge aus dem allgemeinen Teil werden in Absprache mit den Autoren erst in eine Nachfolgepublikation Eingang finden. Das Thema der Sitzung lautete „Ressourcennutzung, Handel, Distribution – Zugang zu und Kontrolle von Rohstoffen“ und behandelte damit einen Themenkomplex, der besonders in den letzten zehn Jahren wieder zu einem der hauptsächlich diskutierten Sujets der Bronzezeitforschung geworden ist. Verantwortlich für diese Entwicklung zeichnen besonders die verbesserten Möglichkeiten naturwissenschaftlicher Analysemethoden, die bei fast allen hier vorgestellten Untersuchungen einen beträchtlichen Anteil zum Erkenntnisgewinn beigetragen haben. Die mit unterschiedlichen Wirtschaftsformen, interregionalen und interkulturellen Austauschnetzwerken, sowie Verbreitungswegen und verschiedenen Arten der Handelsorganisation bzw. -kontrolle verbundenen Fragen nach der Wirtschafts- und Sozialordnung, den subsistenzwirtschaftlichen Strategien und Wegen der Ressourcennutzung im näheren und weiteren Umfeld bronzezeitlicher Gemeinschaften wurden auf der Sitzung ausführlich und kontrovers diskutiert. Die rege Interaktion zwischen den Rednern und ihrem Auditorium, ebenso wie die thematische Bandbreite der Vorträge, machte die hohe Aktualität des Themenfeldes deutlich. Nicht nur durch die weitreichende geografische Streuung der unterschiedlichen Beiträge – von Skandinavien bis an die Adria und von der Iberischen Halbinsel bis nach Anatolien – konnten zahlreiche Facetten bronzezeitlicher Rohstoffgewinnung und -nutzung beleuchtet werden. Auch das breite Spektrum der diskutierten Rohstoffe, das sowohl Metall und Ton als auch Glas und Bernstein sowie Salz und vielerlei agrarische Produkte einschloss, zeigte das umfassende Interesse der modernen Bronzezeitforschung an ganz verschiedenen Bereichen des alltäglichen Lebens und Arbeitens. Im Verlauf der zweitägigen Debatte innerhalb des thematischen Programmblocks kristallisierten sich mehrere Interessenschwerpunkte heraus, die seit Langem zentrale Fragestellungen der Bronzezeitforschung beinhalten und nie an Bedeutung verloren haben: Wie sahen die Distributionsmechanismen in bronzezeitlichen Gesellschaften konkret aus und woran lassen sie sich erkennen? Woher kommen die ver-
schiedenen genutzten Rohstoffe und wie sicher lässt sich ihre Herkunft bestimmen? Der Suche nach Lösungsansätzen für diese Forschungsprobleme konnten im Verlaufe der Sitzung zahlreiche neue Aspekte hinzugefügt werden. Gleichwohl wurde ebenso deutlich, wie weit wir mitunter noch von der tatsächlichen Beantwortung vieler der aufgeworfenen Fragen entfernt sind. Dies muss als Ansporn dienen und mündet hoffentlich in zahlreiche neue Projekte, die den bekannten Erkenntnissen weitere Perspektiven eröffnen und neue Blickwinkel hinzufügen. Zu Recht unterstrich Prof. Dr. Karl-Heinz Willroth bereits in seinem Eröffungsvortrag diese Erwartung. Für seine kenntnisreiche und detaillierte Einführung in das Thema der Sitzung sei ihm an dieser Stelle noch einmal herzlich gedankt. Unser Dank gilt weiterhin dem Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseum (BLDAM), das nicht nur den reibungslosen Ablauf der Sitzung der Arbeitsgemeinschaft Bronzezeit, sondern der Tagung des Mittel- und Ostdeutschen Verbandes für Altertumsforschung insgesamt ermöglichte. Besonders bedanken möchten wir uns außerdem beim Leiter des Hauses, Herrn Prof. Dr. Franz Schopper, dessen freundlicher Einladung nach Brandenburg wir nur zu gern folgten und der ebenfalls die Möglichkeit eröffnete, die Beiträge der Sitzung als Band der „Arbeitsberichte zur Bodendenkmalpflege in Brandenburg“ zu publizieren. Er hatte sich bereits auf der AG Sitzung in Nürnberg 2010 sehr für das Thema einsetzt, als aufgrund der engen Abfolge der anstehenden Tagungen gleich zwei Themenschwerpunkte zu vereinbaren waren. Aufrichtiger Dank gilt ferner der Redaktion des BLDAM, die in gewohnt professioneller Weise für die Herstellung des vorliegenden Bandes sorgte. Wir danken allen Autorinnen und Autoren für die enge Zusammenarbeit und das Einhalten der gesteckten Zeitrahmen.
Dr. Dirk Brandherm, School of Geography, Archaeology and Palaeoecology (GAP), Queen‘s University Belfast, Belfast, BT7 1NN, Northern Ireland, UK
[email protected] Dr. Immo Heske, Georg-August-Universität Göttingen Seminar für Ur- und Frühgeschichte, Nikolausberger Weg 15, 37037 Göttingen
[email protected] Dr. Bianka Nessel, ERC-Projekt „BronzeAgeTin“ Institut für Geowissenschaften, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 234–236, 69120 Heidelberg
[email protected]
Ressourcennutzung, Handel, Distribution – Zugang zu und Kontrolle von Rohstoffen
13
Manfred Rösch, Elske Fischer, Angelika Kleinmann, Jutta Lechterbeck, Gegeensuvd Tserendorj, Lucia Wick
Bronzezeitliche Landnutzung im diachronen Vergleich – Fallbeispiele aus Südwestdeutschland Zusammenfassung Anhand von offsite-Pollenprofilen aus dem Alpenvorland und dem Nordschwarzwald, in Verbindung mit botanischen Großrestanalysen aus 29 bronzezeitlichen Fundplätzen in BadenWürttemberg werden zeitliche und räumliche Muster der bronzezeitlichen Landnutzung herausgearbeitet. Der Ackerbau wird hinsichtlich des Kulturpflanzeninventars und der Anbauverfahren genauer betrachtet. Am Bodensee war die frühbronzezeitliche Landnutzung stärker als die spätbronzezeitliche und annähernd so stark wie die eisenzeitliche, wogegen eine mittelbronzezeitliche weitgehend fehlt. In Oberschwaben ist diese dagegen deutlich, wenngleich viel schwächer als die eisenzeitliche. Gleiches gilt für den Nordschwarzwald, wo die Stärke und das Alter der bronzezeitlichen Nutzung stark variieren. Der Ackerbau war ein extensiver Pflugbau mit beweideter Kurzbrache. Möglicherweise war auch das Verfahren der Mistdüngung schon bekannt. Neben viel Leguminosen sind Spelzgerste, Dinkel und Rispenhirse die wichtigsten Getreide. Die Ackerunkräuter weisen auf hohen Nutzungsdruck im Ackerbau mit angespannten Produktionsverhältnissen hin. Diese entsprechen denen der Latènezeit und sind stärker als in der Hallstattzeit. Damit kommt die bronzezeitliche Landwirtschaft mittelalterlichen Verhältnissen bereits recht nahe.
Einleitung Landnutzung in Form von Ackerbau und Viehhaltung bewirkte in einer von Natur aus geschlossenen bewaldeten Landschaft, von der im Arbeitsgebiet mindestens bis zum 6. Jt. v. Chr. auszugehen ist, eine Auflichtung und Veränderung des Waldes, verbunden mit der Entstehung anthropogener, offener Vegetationstypen wie Grünland oder Äcker (Ellenberg 1996, 38–110). Bäuerliche Wirtschaft bedeutet sesshafte Lebensweise, also Siedlungen und Verkehr, als Konsequenz Ruderalfluren als eine andere Form anthropogener Vegetation (Ellenberg 1996, 862–870). Diese Vegetationsveränderungen werden im Pollenniederschlag in ihrer Gesamtheit abgebildet und dieser wird in Feuchtablagerungen von Seen und Mooren konserviert (Jacomet/Kreuz 1999, 69–76). Ergänzt werden diese offsite-Daten zur Landnutzung und zum Landschaftswandel durch botanische onsite-Daten zu Pflanzenbau und Sammelwirtschaft, bereitgestellt hauptsächlich durch die botanische Großrestanalyse (Jacomet/Kreuz 1999). Um vom Pollengehalt im Sediment oder Torf zu tragfähigen Aussagen über die Vegetation und ihre Veränderung in Raum und Zeit zu gelangen, müssen mehrere Pollenprofile ausgewertet und
kalibriert werden, das bedeutet, unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Pollenproduktion und -verbreitung der Pflanzen muss modellhaft der Schritt zur Vegetation gegangen werden (z. B. Sugita 2007 a, 2007 b; Hellman u. a. 2008). Die meisten einheimischen Gehölze sind windblütig, haben eine hohe Pollenproduktion sowie gute Pollenverbreitung und hinterlassen daher im Pollenniederschlag ein starkes Signal. Offene Vegetation als anthropogener Ersatz für Wald macht sich hingegen im Pollenniederschlag nur dann stark bemerkbar, wenn sie windblütige Pflanzen enthält. Das ist bei Grünland im weitesten Sinn, also bei Weiden, Wiesen, Triften, Heiden in Gestalt von Süßgräsern, Sauerampfer oder Spitz- und Mittlerem Wegerich der Fall, bei Ruderalfluren im Siedlungsumfeld in Gestalt von Beifuß, Gänsefußgewächsen, Ampferarten, Großem Wegerich, nicht aber bei der Feldflur mit ihrem kleistogamen Getreide, sowie entomogamen Ackerunkräutern und sonstigen Feldfrüchten. Aus diesem Grund ist die neolithische Wirtschaft, die kaum dauerhaft gehölzfreie Flächen mit zahlreichen anemogamen Gräsern und Kräutern erzeugte, auch bei großer räumlicher Ausdehnung nur schwer näher einzugrenzen. Sie ist vor allem nicht mit metallzeitlicher, von dauerhaftem Offenland mit starkem Pollensignal geprägter Wirtschaft vergleichbar (Kalis u. a. 2003; Rösch 2011). Da sich die Grundprinzipien der Landnutzung zwischen der Bronzezeit und der Frühen Neuzeit, zumindest was die Auswirkung auf den Pollenniederschlag betriff t, wenig verändert haben (Rösch/Heumüller 2008), kann man im Zeitraum von etwa 2000 cal. B. C. bis 1850 A. D. die terrestrische Nichtbaumpollensumme als Maß für die anthropogene Auflichtung und damit für den Nutzungsdruck verwenden. Aus dem Verhältnis von Gehölzpollen zu terrestrischen Nichtbaumpollen kann derzeit das Verhältnis von Wald zu Offenland grob abgeschätzt werden (Rösch 1994). Exaktere Berechnungsverfahren sind erst im Entstehen. Räumlich übergreifende vegetationsgeschichtlich-archäobotanische Studien zur Landnutzung und Kulturlandschaft entstanden meist im Zusammenhang mit archäologischen Projekten und fokussieren daher auf bestimmte Zeitabschnitte. Hierbei ist besonders das Frühneolithikum gut vertreten (Kreuz 2010; Bogaard 2004, 2011). Für das Jung-, Spät- und Endneolithikum fehlt bisher eine Synopsis. Weitere Arbeiten befassen sich jeweils nur mit bestimmten Methoden, Hypothesen oder Teilaspekten (Schibler u. a. 1997; Bogaard 2004; Dörfler/Müller 2008; Rösch 1990 a, 2000, 2005 a, Rösch u. a. 2011). Zwar gibt es auch für die Vorrömische Eisenzeit keine zusammenfassende Darstellung, doch hat sich durch die im Umfeld des DFG-Schwerpunktprogramms „Frühe Zentrali-
14 sierungs- und Urbanisierungsprojekte in Mitteleuropa“ entstandenen Arbeiten der Forschungsstand zur eisenzeitlichen Landnutzung deutlich verbessert (Fischer u. a. 2010; Kreuz/ Schäfer 2008; Rösch u. a. 2008, Rösch u. a. im Druck). Für die römische Kaiserzeit liegen Überblicke über größere Gebiete (Stika 1996; Rösch 2009 a) ebenso vor wie für die Völkerwanderungszeit und das Frühmittelalter (Benecke u. a. 2003; Rösch 2008). Hieran schließen sich Untersuchungen zum Mittelalter und der Frühen Neuzeit an (Lorenz/Rückert 2009; Arnold/Rösch 2011). Eine Synopsis unter Einbezug von on-siteund off-site-Daten und unter Berücksichtigung aller Aspekte fehlt jedoch auch hier. Der Kenntnisstand zur Bronzezeit fällt demgegenüber noch deutlich ab. Es liegen nur grobe Übersichten für Mitteleuropa
Abb. 1: Geografische Lage der Pollenprofile
Rösch u. a., Bronzezeitliche Landnutzung oder allgemeine Darstellungen zu Wirtschaft und Kulturlandschaft vor (Küster 1991, 182 f.; 1997; Knörzer 1991; Jacomet/Karg 1996; Rösch 1997). Für den Alpenraum sind weitere Arbeiten zu nennen (Magny u. a. 1998; Jacomet u. a. 1998; Jacomet 1999).
Material und Methoden Der vorliegende Beitrag kann diese Lücke natürlich nicht schließen, sondern will lediglich einige Anhaltspunkte zur bronzezeitlichen Landnutzung aufgrund neuer hoch auflösender Pollenprofile aus Südwestdeutschland in Zusammenschau mit den botanischen on-site-Daten zur Bronzezeit geben.
Rösch u. a., Bronzezeitliche Landnutzung
15
Abb. 2: Pollenprofil Mainau, Obere Güll (Analyse: L. Wick)
In den auch in der Bronzezeit dicht besiedelten Altsiedellandschaften der Tieflagen sind die Möglichkeiten für aussagekräftige Pollenanalysen stark eingeschränkt, weil es keine Seen oder Hochmoore gibt (Rösch 2005 b, Rösch u. a. 2008). Die hier ausgewerteten Profile stammen daher auch aus dem Schwarzwald und dem Alpenvorland, wo Seen als Folgeerscheinungen eiszeitlicher Vergletscherung vorkommen (Abb. 1). Mit Ausnahme des Durchenbergrieds, eines in der Bronzezeit bereits verlandeten kleinen Söllsees und der mächtigen Litoralstratigrafien von Hornstaad und Mainau vom Bodensee wurden alle hier angeführten Profile aus den Zentren kleiner, tiefer Söllseen entnommen (Rösch 1990 b, 1992, 1993, Wick/Rösch 2006). Zum Einsatz kam eine Bohrplattform mit einem modifizierten Livingstone-Bohrer (Merkt/Streif 1970). Hoch auflösend erfolgten die Pollenanalysen im Alpenvorland zwischen 5000 cal. B. C. und 0, im Schwarzwald zwischen 5000 cal. B. C. und der Profiloberkante (Neuzeit), und zwar lückenlos in 1 cm-Intervallen, teilweise auch in 0,5 cm-Intervallen, mit einer Grundsumme von meist mindestens 1000 Gehölzpollen in jeder Probe. Aufgrund der dargestellten Profilpositionen und der örtlichen Vegetation mit meist nur kleinen oder weiter entfernten Verlandungsbereichen, die von Kryptogamen, entomogamen Gefäßpflanzen oder Cyperaceen bestimmt werden, mussten außer den letztgenannten lediglich die meisten Kryptogamen, die Wasser- und einige Moorpflanzen wie Fieberklee aus der Grundsumme ausge-
schlossen werden. Im Gegensatz zu Niedermoortorfen können die Süßgräser dem regionalen Pollenniederschlag zugeschlagen und als Zeiger für Auflichtung/Weidewirtschaft gewertet werden, und im Gegensatz zu Torfen jeglicher Art fallen auch Besenheide und Heidekrautgewächse nicht als lokale Gewächse aus der Betrachtung, sondern zeigen Auflichtung/Versauerung in den umgebenden Wäldern an. Die Erle hingegen ist zwar in der Grundsumme enthalten, bleibt bei der Bewertung der Bewaldungsverhältnisse unberücksichtigt, weil sie in allen betrachteten Landschaften wegen örtlichen Vorkommens in Gewässernähe überrepräsentiert ist.
Bronzezeitliche Landnutzung anhand von off-site-Daten Region: Alpenvorland Beispielhaft für das Bodenseegebiet ist das Pollenprofil Mainau, Obere Güll dargestellt (Abb. 2).1 Um 2200 cal. B. C. zeichnet sich durch die Zunahme der Nichtbaumpollensumme eine schwache Auflichtungsphase ab. Gleichzeit beginnt der lange Abstieg der Kurven von Rotbuche und Hasel, der sich im letzen Fall bis 2000 cal. B. C., 1 Die Analyse des Pollenprofi ls erfolgte durch Lucia Wick. Die Bronzezeit ist grau hinterlegt.
16 bei der Rotbuche sogar bis 1500 cal. B. C. hinzieht. Wichtigste Holzart ist zu Beginn der Früh- und in der Spätbronzezeit die Rotbuche (Fagus sylvatica), die ihre dominierende Rolle aber zwischen 1850 und 1300 an die Hasel (Corylus avellana) abgibt. Besonders die Übergangsphasen sind durch kurzfristige starke Zunahme von Eiche (Quercus) oder Birke (Betula) gekennzeichnet, die in diesem Zeitraum mehrere, alternierende Gipfel aufweisen. Die Eichengipfel fallen mit Hochständen der Nichtbaumpollensumme zusammen, die Birkengipfel mit Tiefständen. Die Deutung liegt auf der Hand: Nutzungsphasen führten zu Entwaldung, und zugleich wurde die Eiche gefördert, sei es durch Waldweide, sei es durch Mittelwaldwirtschaft. Dazwischen leitet bei verminderter Nutzungsintensität das Pionierholz Birke eine partielle Wiederbewaldung ein. Chronologisch folgt auf die erste bronzezeitliche Nutzungsphase um 2200 cal. B. C. eine zweite, besonders starke von 2000 bis 1700 cal. B. C., eine dritte, kurze um 1600 cal. B. C., eine sehr schwache, kurze um 1500 cal. B. C., eine vierte kurze um 1200 cal. B. C. und schließlich eine letzte, kräftige zwischen 1050 und 850 cal. B. C. Zur Eisenzeit hin geht die Nutzung aber nur langsam und mäßig zurück. In den Nutzungsphasen ist teilweise eine deutliche Zunahme der Weißtanne (Abies alba) mit Anteilen von 10 % und mehr zu beobachten. Da Fichte (Picea abies) und Kiefer (Pinus) nicht entsprechend reagieren, kann es sich nicht um einen erhöhten Fernfluganteil in einer aufgelichteten Landschaft handeln, sondern vermutlich wurde die auf dem Bodanrück natürlich vorkommende Tanne durch den Menschen gefördert, vielleicht durch plendernde Bewirtschaftung von Steillagen. Die übrigen dargestellten Holzarten, Ahorn (Acer), Esche (Fraxinus escelsior), Ulme (Ulmus), Linde (Tilia) und Hainbuche (Carpinus betu-
Rösch u. a., Bronzezeitliche Landnutzung lus) waren von geringer Bedeutung. Betrachtet man die Nichtbaumpollen, so sieht man, dass die Zunahme der Nichtbaumpollensumme in den Nutzungsphasen hauptsächlich auf den windblütigen Siedlungszeiger Beifuß (Artemisia), den windblütigen Wechselland- und Weidezeiger Spitzwegerich (Plantago lanceolata) und die windblütigen Offenlandzeiger Süßgräser (Poaceae) zurück zu führen ist, verstärkt um weitere windblütige Arten wie Ampfer (Rumex), Brennnessel (Urtica), Adlerfarn (Pteridium aquilinum). Die kleistogamen Getreide sind naturgemäß schwächer vertreten. Dennoch belegen sie einen eigentlich durchgehenden Ackerbau während der Bronzezeit, wobei die Zunahme während der genannten Nutzungsphasen eher verhalten ausfällt. Besonders aufschlussreich ist die synchronisierte und zeitlineare Darstellung der Hauptdiagramme für die acht Standardprofile aus dem Bodenseeraum (Abb. 3). Sie zeigen die prozentualen Anteile der Summe von Bäumen, Sträuchern, terrestrischen Nichtbaumpollen und Getreide. Die Diagramme sind von West nach Ost angeordnet. Die Profile stammen aus Höhenlagen zwischen 395 und 450 m über NN. Für die bronzezeitlichen Nutzungsphasen ergeben sich beträchtliche Unterschiede hinsichtlich Stärke (Entwaldungsgrad), Zeitstellung, sowie Anzahl und Dauer der Phasen. Der Steisslinger See hat eine sehr starke Nutzungsphase ab 1800 cal. B. C., die bis 1400 cal. B. C. allmählich abklingt. Eine mehrphasige mittel- bis spätbronzezeitliche Nutzungsphase ist deutlich schwächer und erreicht ihren Höhepunkt nach 1000 cal. B. C. Am Litzelsee dauert die erste deutliche bronzezeitliche Nutzungsphase von 1950 bis 1800 cal. B. C. und endet abrupt. Aber ab 1550 cal. B. C. geht es mit der Nutzung bei nur kur-
Abb. 3: Standardprofile aus dem Bodenseeraum, nur Hauptdiagramme, synchronisiert und zeitlinear. Prozentuale Anteile der Summe von Bäumen (dunkelgrün), Sträuchern (hellgrün), terrestrischen Nichtbaumpollen (gelb) und Getreide (rot), Bronzezeit schattiert
Rösch u. a., Bronzezeitliche Landnutzung zen Rückschlägen kontinuierlich weiter, mit einer maximalen Entwaldung im 11. und 10. Jh. cal. B. C. Am dicht benachbarten Böhringer See fällt die erste bronzezeitliche Nutzungsphase mit dem Nutzungsunterbruch am Litzelsee zwischen 1800 und 1500 cal. B. C. zusammen. Eine kleinräumige Verlagerung von Wirtschaftsraum und vielleicht auch der Siedlung(en) ist nahe liegend. Zugleich belegt dies, dass der Pollenniederschlag in diesen kleinen Seen das Geschehen in der unmittelbaren Umgebung scharf abbildet. Am Böhringer See gibt es eine weitere kurze Nutzungsphase im 14. Jh. cal. B. C., sowie eine lange ab dem 12. Jh., die am Ende der Bronzezeit nicht abbricht. Im Durchenbergried liegt eine kurze Nutzungsphase bereits um 2300 cal. B. C., wobei offen bleiben muss, ob sie noch glockenbecherzeitlich oder schon frühbronzezeitlich datiert. Die nächste Nutzungsphase um 2200 cal. B. C. hat Parallelen im Böhringer See, Litzelsee und Steißlinger See. Nach einer kurzen schwachen Nutzungsphase um 1900 cal. B. C. folgt zwischen 1900 und 1600 cal. B. C. eine sehr starke. Danach sind die Eingriffe bis 950 cal. B. C. schwach. Die nachfolgende spätbronzezeitliche Nutzungsphase zieht sich bis in die Eisenzeit. Erst um 700 cal. B. C. werden die Eingriffe schwächer. Am südöstlichen Buchensee, fast so nah am Durchenbergried wie der Litzelsee am Böhringer See, ist die bronzezeitliche Landnutzung schwächer als im Durchenbergried, aber fast gleichläufig. Lediglich eine Nutzungsphase zwischen 1150 und 1000 cal. B. C., die im Durchenbergried fehlt, tritt hier zusätzlich hervor. Hornstaad, das weiter südlich am Untersee gelegene Litoralprofil, weist eine kräftige frühbronzezeitliche Nutzungsphase ab 2100 cal. B. C. auf, die sich zwischen 1900 und 1650 cal. B. C. allmählich abschwächt. Zugehörige Siedlungen sind aus diesem Umfeld bisher nicht bekannt. Zwischen 1650 und 1100 cal. B. C. sind nur einige kurzfristige Entwaldungsschübe erfasst. Eine starke Nutzung ist erst ab 1000 cal. B. C. belegt. Sie geht jedoch schon ab 900 cal. B. C. allmählich zurück, ohne dass es eine völlige Unterbrechung am Übergang zu Eisenzeit gibt. Der Mindelsee hat eine kurze Nutzungsphase um 2000 cal. B. C. und einen längeren, durch kurze schwache Rückgänge untergliederten Aktivitätszeitraum zwischen 1900 und 1450 cal. B. C., der jedoch nicht bis in die späte Bronzezeit reicht. Die schon besprochenen Nutzungsphasen von Mainau, Obere Güll zeigen sehr gute Übereinstimmung mit denen von Hornstaad. Vergleicht man den Nichtbaumpollenanteil der Bronzezeit mit dem in der Eisenzeit, so ist er in den Phasen stärkster Nutzung, vor allem in der Frühbronzezeit, gleich groß, wobei es örtliche Unterschiede gibt. Als Spitzenwerte werden gut 25 % erreicht, was einer 50 %igen Entwaldung gleichkommen würde (Rösch 1994). Eine stärkere Entwaldung wird nur in Hochmittelalter und Neuzeit erreicht. Hier sind zwei Profile aus Oberschwaben, aus dem Stadtsee von Bad Waldsee und dem Königseggsee anzuschließen (Abb. 4). Das Diagramm aus dem Königseggsee reicht aller-
17
Abb. 4: Standardprofile aus Oberschwaben, nur Hauptdiagramme, synchronisiert und zeitlinear. Prozentuale Anteile der Summe von Bäumen (dunkelgrün), Sträuchern (hellgrün), terrestrischen Nichtbaumpollen (gelb), Bronzezeit schattiert
dings hoch auflösend nur bis 1950 cal. B. C. zurück (Fischer u. a. 2010, Fischer i. Vorber.). Die beiden Seen liegen 563 und 626 m über NN. Im Stadtsee gibt es eine Nutzungsphase zwischen 2100 und 1900 cal. B. C. sowie zwischen 1600 und 1350 cal. B. C., womit eine stärkere Aktivitätsphase im Königseggsee zwischen 1650 und 1450 cal. B. C. einhergeht. Mit maximal 10–12 % Nichtbaumpollen ist die Entwaldung allerdings deutlich schwächer als bei den bronzezeitlichen Landnutzungsphasen am Bodensee, wie auch bei den eisenzeitlichen im Stadtsee und Königseggsee selbst. Region: Nordschwarzwald Beispielhaft für sieben hoch auflösende Profile aus dem Nordschwarzwald ist das Diagramm aus dem Herrenwieser See dargestellt (Abb. 5). Nachdem im Spätneolithikum noch die
18
Rösch u. a., Bronzezeitliche Landnutzung
Abb. 5: Pollenprofil Herrenwieser See
Weißtanne vorgeherrscht hatte, ist nun während der ganzen Bronzezeit die Rotbuche die häufigste Holzart. Ab 1600 cal. B. C. schwächt sich ihre Dominanz jedoch zugunsten von Birke und Kiefer ab. Beider Rolle ist jedoch schwer abzuschätzen, da sie auch lokal an Seerändern und in Mooren vorkommen können. Die Hasel, anfangs noch gut vertreten, geht während der Bronzezeit zurück. In der Spätbronzezeit nimmt die Hainbuche zu, bleibt aber deutlich unter 5 %. Andere Holzarten spielen nur eine untergeordnete Rolle. Die Nichtbaumpollensumme ist in der Bronzezeit gegenüber dem Neolithikum leicht erhöht und nimmt ab 1600 cal. B. C. nochmals etwas zu. Sie erreicht maximal 10 %. Das bedeutet gegenüber dem natürlichen Nichtbaumpollen-Niederschlag der Naturlandschaft eine Verdoppelung, ist aber noch etwas weniger als in Oberschwaben während der Bronzezeit. Süßgräser, Beifuss und Spitzwegerich sind auch hier die Hauptkomponenten. Getreidenachweise beschränken sich auf einzelne Körner. Es liegen die Hauptdiagramme von Pollenprofilen aus sieben Karseen vor, die von Süd nach Nord dargestellt sind (Abb. 6). Vollständige Pollendiagramme wurden mittlerweile mit ein-
gehender Diskussion des Besiedlungsablaufs vorgelegt (Gassmann u. a. 2006; Rösch 2009 b; 2009 c; 2009 d; Rösch/Heumüller 2008; Rösch/Tserendorj 2011 a, 2011 b). Abweichend vom Alpenvorland sind die Zwergsträucher, die im Schwarzwald höhere Werte erreichen als im Alpenvorland, nicht in der Nichtbaumpollensumme enthalten, sondern separat in blau dargestellt. Die Seen liegen zwischen 747 und 1028 m über NN., mehrheitlich aber um 800 m. Die Bedeutung geringer Nichtbaumpollenwerte hinsichtlich des Entwaldungsgrades kann hier einigermaßen abgeschätzt werden, weil der Gehölzpollenanteil aus Oberflächenproben (Moosrasen) von den Ufern aller Karseen des Nordschwarzwaldes zur aktuellen Waldbedeckung der Umgebung in Bezug gesetzt werden kann (Tab. 1). Einem mittleren Gehölzpollenanteil für alle Karseen von 87 % steht dabei ein Waldflächenanteil von 81 % für die Gemeinde Baiersbronn gegenüber, auf deren Gemarkung oder nicht weit entfernt alle Karseen liegen. Da diese 19 % Offenlandanteil hauptsächlich in den tieferen Lagen fernab der Seen gelegen sind, dürfte der Nichtbaumpollenanteil bei diesem Bewaldungsgrad mehr oder weniger 1:1 dem Offenlandanteil in der näheren Umgebung der Pollenprofile entsprechen.
Rösch u. a., Bronzezeitliche Landnutzung
19
Abb. 6: Standardprofile aus dem Nordschwarzwald, nur Hauptdiagramme, synchronisiert und zeitlinear. Prozentuale Anteile der Summe von Bäumen (dunkelgrün), Sträuchern (hellgrün), Zwergsträuchern (blau), terrestrischen Nichtbaumpollen (gelb), Bronzezeit schattiert
Im Glaswaldsee gibt es eine intensive bronzezeitliche Landnutzungsphase zwischen 1600 und 900 cal. B. C. mit Nichtbaumpollenwerten bis 16 %. Dieser Entwaldungsgrad entspricht dem der Eisenzeit und wird nur im Mittelalter noch leicht übertroffen. Im Buhlbachsee sind im gleichen Zeitraum hingegen die Nichtbaumpollenwerte nur unmerklich erhöht. Im Wilden See am Ruhestein folgt auf drei kurze Nutzungsphasen um 2300 cal. B. C., 2050 cal. B. C. und 1850 cal. B. C. eine längere, von 1400 bis 1000 cal. B. C. Sie sind alle deutlich schwächer als die eisenzeitliche Nutzungsphase. Gehölzpollen aktuell Buhlbachsee 77 Ellbachsee 89 Mummelsee 82 Glaswaldsee 85 Wilder See 87 Schurmsee 93 Huzenbacher See 92 Herrenwieser See 92 Mittelwert 87 aktuelle Waldbedeckung Baiersbonn: 81 %
Gehölzpollen BZ min 95 95 87 90 89 94 93 89
Am Huzenbacher See bleibt eine Zunahme der Nichtbaumpollen vor 1600 cal. B. C. sehr undeutlich und nur in dem Zeitraum zwischen 1600 und 1200 cal. B. C. kann von einer Nutzungsphase gesprochen werden. Danach gehen die Nichtbaumpollenwerte wieder fast auf das vorbronzezeitliche Niveau zurück und steigen erst in der Eisenzeit stärker an. Nach dem Glaswaldsee hat der Mummelsee die stärkste bronzezeitliche Zunahme der Nichtbaumpollen zu verzeichnen. Ob das an der Höhenlage von über 1000 m unterhalb der Hornisgrinde oder an der Nähe zur Rheinebene liegt, ist unklar. Bei den Oberflächenproben hat der Mummelsee mit fast 20 %
Differenz –18 –6 –5 –5 –2 –1 –1 3
Alter der Maximalentwaldung 1300 1400 950 850 1200 1250 1400 1600
Tab. 1: Heutiger und maximaler bronzezeitlicher Gehölzpollenanteil an den Karseen des Nordschwarzwaldes. Alter in Jahren B. C. cal., alle übrigen Angaben in Prozent
20
Rösch u. a., Bronzezeitliche Landnutzung
von allen Karseen auch den höchsten Fernfluganteil. Bereits zwischen 2300 und 2000 cal. B. C. zeichnen sich zwei kürzere und schwächere Nutzungsphasen ab. Um 1900 cal. B. C. nehmen die Nichtbaumpollen dann deutlich zu und zwischen 1500 und 1200 cal. B. C. nochmals. Als Maximum werden etwa 10 % erreicht. Um 1200 cal. B. C. gehen sie auf das Niveau vor 1500 zurück und um 1000 cal. B. C. sogar auf das Niveau am Beginn der Bronzezeit. Erst in der Eisenzeit nehmen diese dann sehr stark zu. Der Schurmsee zeigt nur zwei undeutliche und kurze bronzezeitliche Nutzungsphasen zwischen 1400 und 1300 cal. B. C. und nach 1100 cal. B. C. Am Herrenwieser See folgt auf zwei kurze Nutzungsphasen um 2100 cal. B. C. und um 1900 cal. B. C. eine längere von 1650 bis 1050 cal. B. C. mit den höchsten Nichtbaumpollenwerten an deren Beginn und Ende. Zwischen 1050 und 950 cal. B. C. sinkt der Nichtbaumpollenanteil deutlich ab, um dann auf das hohe eisenzeitliche Niveau anzusteigen. Aufschlussreich ist die Gegenüberstellung der maximalen bronzezeitlichen mit den aktuellen Gehölzpollenprozenten (Tab. 1). An einigen Seen entsprechen sich beide Werte in etwa, bei drei Profilen ist der minimale Gehölzanteil der Bronzezeit etwas höher als der heutige, an vier Seen ist er zwischen 5 und 18 % höher. Nur am Herrenwieser See ist er sogar niedriger. Demnach dürfte die maximale bronzezeitliche Entwaldung nur geringfügig schwächer gewesen sein als die heutige. Der Zeitpunkt der maximalen bronzezeitlichen Entwaldung verläuft nicht synchron, sondern variiert zwischen 1600 und 850 cal. B. C.
Bronzezeitliche Landnutzung anhand von onsite-Daten In Südwestdeutschland liegen als Ergebnis botanischer Großrestanalysen Daten von 27 bronzezeitlichen Fundstellen vor. Dabei stehen 16 früh- und mittelbronzezeitlichen Befunden mit Pflanzenresten 64 spätbronzezeitliche Befunde gegenüber (Fischer u. a. 2010; Rösch u. a. 2008). Früh- und Mittelbronzezeit sind zusammengefasst, da die schmale Datenbasis keine gesonderte Betrachtung zulässt. Damit ist die Bronzezeit deutlich schlechter erforscht als die Eisenzeit. Beim Getreidebau hat sich in der Frühbronzezeit das neolithische Quartett aus Einkorn, Emmer, Freidreschendem Weizen und Gerste um Dinkel zum Quintett erweitert (Abb. 7). Für den Umschwung in der Landwirtschaft wird mittlerweile der Abschnitt der Glockenbecherkultur in die Überlegungen einbezogen (Lechterbeck u. a. 2013). Aus einem einzelnen Fund von Rispenhirse kann hingegen noch kein Anbau in der Frühund Mittelbronzezeit abgeleitet werden. Nach derzeitigem Kenntnisstand muss er als jüngere Verunreinigung aufgefasst werden. Dieser steht jedoch für die Spätbronzezeit außer Frage, als Rispenhirse neben (Mehrzeiliger Spelz-)Gerste die höchste Stetigkeit aufweist. An dritter Stelle liegt nun Dinkel gemeinsam mit Einkorn, wogegen Emmer und Freidreschender Weizen gegenüber der Früh- und Mittelbronzezeit an Bedeutung
Abb. 7: Befundbezogene Stetigkeit der Getreidearten in der Bronze- und Eisenzeit in Südwestdeutschland, berechnet anhand verkohlter Körner
verloren haben. Neben Rispen- ist auch Kolbenhirse, wenngleich mit geringer Stetigkeit vertreten und wurde auch angebaut. Für den Hafer lassen sich die Schlüsse nicht ziehen, obwohl seine Stetigkeit höher ist als die der Kolbenhirse. Da aber Belege für Saathafer in Gestalt von bespelzten Körnern mit den charakteristischen Abbruchnarben ebenso fehlen wie Hafervorräte, ist für die Spätbronzezeit noch nicht von einem Anbau auszugehen. Gleiches gilt für den Roggen. Die Hauptgetreide der Bronzezeit, Dinkel, Mehrzeilige Spelzgerste, später Rispenhirse, sind einigermaßen unproblematisch im Anbau und auch relativ ertragsstark bei eher bescheidenen Ansprüchen an die Bodengüte (Körber-Grohne 1987). Hülsenfrüchte sind in der Früh- und Mittelbronzezeit bisher nur durch eine verkohlte Erbse von einem Fundplatz belegt, wobei hier der unzureichende Forschungsstand zu berücksichtigen bleibt (Abb. 8). In der Spätbronzezeit weisen Hülsen-
Rösch u. a., Bronzezeitliche Landnutzung
21
Abb. 8: Befundbezogene Stetigkeit der Hülsenfrüchte in der Bronze- und Eisenzeit in Südwestdeutschland
Abb. 9: Befundbezogene Stetigkeit von Öl- und Faserpflanzen in der Bronze- und Eisenzeit in Südwestdeutschland
früchte hingegen eine höhere Stetigkeit auf als in den meisten Phasen der Eisenzeit. Lediglich in den ländlichen Siedlungen der späten Hallstattzeit finden sich Hülsenfrüchte noch häufiger. Differenziert nach Arten hat die Linse die höchste Stetigkeit, dicht gefolgt von der Erbse. Die Ackerbohne hat zwar eine geringere Stetigkeit als diese, aber in der Spätbronzezeit eine deutlich höhere als in sämtlichen Phasen der Eisenzeit. Die Ackerbohne ist also sozusagen die Charakter-Hülsenfrucht der Spätbronzezeit. Vergleichsweise geringe Stetigkeit hat in Spätbronzezeit und Eisenzeit die Linsenwicke. Öl- und Faserpflanzen sind für die Frühbronzezeit in feucht erhaltenem Zustand gut belegt, schlechter erwartungsgemäß im verkohlten (Abb. 9). In der Spätbronzezeit sind ihre Stetigkeiten ähnlich gering wie in der Eisenzeit. Bei den einzelnen Arten zeigen sich deutliche Unterschiede: Während Gebauter Lein in der Eisenzeit phasenweise häufiger ist als in der Spätbronzezeit, ist der Schlafmohn später nie mehr so häufig wie
in dieser vorhanden. Das kann nicht allein eine Frage der Erhaltungsbedingungen sein – im spätbronzezeitlichen Material sind einige Feuchtbodensiedlungen vertreten – denn auch Gebauter Lein ist bevorzugt unverkohlt unter Feuchtbodenbedingungen überliefert. Leindotter ist nur in Spätlatène deutlich besser vertreten als in der Frühbronzezeit. Rübenkohl ist hingegen für die Bronzezeit nicht belegt. Aussagekräftiger als die Anbaupflanzen hinsichtlich der Bodenbedingungen und Anbauverfahren im Ackerbau ist die Ackerbegleitflora, je nach Standpunkt auch als Ackerunkräuter oder Ackerwildkräuter bezeichnet. Für die bevorzugt genutzten Anbauflächen sind die Stickstoff-Zeigerwerte (Abb. 10) für verkohlte Unkrautfunde der Bronze- und Eisenzeit in Südwestdeutschland aufschlussreich (Ellenberg u. a. 1991).2 Zwi-
2 Dargestellt sind in Abb. 10 die gewichteten Mittelwerte für die Befunde.
22
Abb. 10: Gewichtete Stickstoffzahlen, gewichtet nach Stückzahlen der verkohlten Unkrautfunde in der Bronze- und Eisenzeit, sowie im Hochmittelalter. Jeder Datenpunkt stellt den Stickstoffwert eines Befunds dar
schen der Spätbronzezeit und Späthallstatt/Frühlatène sind keine Veränderungen erkennbar. Der Anbau fand offenbar durchweg auf stickstoffreichen, allenfalls mäßig stickstoffreichen Böden statt. Während der Latènezeit und im Mittelalter wird die Varianz größer: neben stickstoffreichen Böden werden vermehrt mäßig stickstoffreiche Flächen oder sogar stickstoffarme Untergründe für den Anbau genutzt. Für die Frühund Mittelbronzezeit liegen nur aus drei Befunden Daten vor, die auf relativ stickstoffarme Verhältnisse hinweisen. Daraus sollten aber vorläufig keine weiteren Schlüsse auf die Nährstoff versorgung und Produktivität im Ackerbau der Früh- und Mittelbronzezeit gezogen werden. Besonders für diesen Zeitabschnitt sollte mehr und besseres Material untersucht werden, um eine tragfähige Datengrundlage zu erhalten. Viele Ackerunkräuter wachsen bevorzugt auf sauren, basenarmen Böden, wogegen andere hingegen auf sehr kalk- und basenreichen Böden gedeihen. Damit besitzen sie entsprechende Zeigerqualitäten. Solange entsprechende Defizite und Mängel nicht durch Düngung und andere Meliorationsmaßnahmen nahezu beliebig ausgeglichen werden konnten, bestimmte die gegebene Bodengüte die Produktivität des Standorts. Eine gute Produktivität war wichtig, weil bei sinkenden Flächenerträgen die Anbaufläche, die für eine bestimmte Menge an Ertrag benötigt wird, ständig zunimmt, und dabei rasch die Grenzen der Arbeitskapazität einer Betriebseinheit erreicht werden können. Die beste Produktivität weisen von Natur aus tiefgründige, neutrale bis mäßig sauere, lehmige Böden mittlerer Körnung mit hohem Basengehalt und hohem Humusgehalt im Oberboden auf. Dort finden sich vornehmlich wenig aussagekräftige, weit verbreitete, konkurrenzkräftige Unkräuter mit hohem Nährstoff- und Wasserbedarf. Typische Beispiele sind Weißer Gänsefuß (Chenopodium album), Hirtentäschelkraut (Capsella bursa-pastoris), Gewöhnliches Kreuzkraut (Senecio vulgaris), Kohl- und Acker-Gänsedistel (Sonchus oleraceus und arvensis), Geruchlose Kamille (Tripleurospermum inodorum), Acker-Veilchen (Viola arvensis), Winden-Knöterich (Polygonum convolvulus), Acker-Gauchheil (Anagallis arvensis), Acker-Hellerkraut (Thlaspi arvense), Vogelmiere (Stellaria media) usw. (Hüppe/Hofmeister 1990; Ellenberg 1996; Oberdorfer 1983, 2001; Wilmanns 1998). Die meisten dieser Arten
Rösch u. a., Bronzezeitliche Landnutzung sind bereits seit dem Neolithikum belegt (Willerding 1986), ja typische Bestandteile des von K. Knörzer (1971) als BromoLapsanetum praehistoricum bezeichneten Unkrautensembles. Auf schwach gepufferten, oft sandigen Böden kommt es auch im Zuge langjährigen Anbaus zu Basenverarmung und Versauerung, was die Produktivität beeinträchtig, besonders bei der Gattung der Weizen. Es treten dann säuretolerante Unkräuter wie Kornblume (Centaurea cyanus), Kornrade (Agrostemma githago), Klatschmohn (Papaver rhoeas), Acker-Frauenmantel (Aphanes arvensis), Acker-Knäuel (Scleranthus annuus), Hederich (Raphanus raphanistrum), Sandmohn (Papaver argemone) hervor. Es handelt sich hierbei um Arten, die überwiegend erst gegen Ende des Neolithikums oder danach auftreten oder häufiger werden. Andere Böden über kalkreichem Ausgangsgestein sind von Natur aus basenreich und bleiben das auch lange. Es handelt sich aber oft um flachgründige, steinige oder um tonige Böden, die alle einen ungünstigen Wasserhaushalt besitzen. Dieser ist unausgeglichen und die Wasserversorgung wird zum limitierenden Faktor der Pflanzenproduktion. Die Flachgründigkeit kann geologisch gegeben oder eine Folge von Bodenerosion bei Ackerbau in Hanglagen sein. Auch unter diesen Bedingungen stellen sich spezifische Unkräuter ein, die konkurrenzschwach sind, kalkreiche Böden bevorzugen und mit wenig Wasser auskommen, wie Adonisröschen (Adonis aestivalis und flammea), Kleine Wolfsmilch (Euphorbia exigua), Acker-Steinsame (Lithospermum arvense), Acker-Hahnenfuß (Ranunculus arvensis), Acker-Hasenohr (Bupleurum rotundifolium), Möhren-Haftdolde (Caucalis platycarpos), Acker-Breitsame (Orlaya grandiflora), Finkensame (Neslia paniculata), Feld-Rittersporn (Consolida regalis), Spatzenzunge (Thymelaea passerina) u. a. In Südwestdeutschland treten die meisten dieser Arten ab der Spätbronzezeit auf (Rösch 1998). Die am stärksten an trockene, produktionsschwache Ackerstandorte angepassten Arten bilden die typischen Vertreter der Adonisröschengesellschaft. Erstmalig lassen sich diese archäobotanisch in der späten Bronzezeit nachweisen und sind da bereits häufiger als in der Hallstatt- und Frühlatènezeit (Abb. 11). Nachhaltiger Ackerbau auf einigermaßen hohem Ertragsniveau ist langfristig nur durch Rückführung der bei den Ernten entzogenen Pflanzennährstoffe möglich (Keller u. a. 1997, 309 f.). Dieses kann durch Düngung mit organischem oder mineralischem Material erfolgen. Pflanzenverfügbare Nährstoffe können ebenso durch Mobilisierung der Gesteinsverwitterung oder Humusabbau nachgeführt werden, im Falle von Stickstoff auch durch Fixierung aus der Luft durch frei im Boden lebende oder symbiotische Bakterien, beispielsweise in den Wurzelknöllchen der Hülsenfrüchte. Da dieser Prozeß viel Zeit erfordert, ist das Einschalten von Brachephasen sinnvoll. Insbesondere wenn die Brachen beweidet werden, stellt sich dort rasch eine Art Grünlandvegetation ein. Sie wird bei einer neuerlichen Anbauphase durch die Bodenbearbeitung nur unvollständig unterdrückt, weshalb verkohlte Getreidevorräte häufig Früchte oder Samen nicht nur von Ackerunkräutern in heutigem Sinn, sondern auch von
Rösch u. a., Bronzezeitliche Landnutzung
23
Abb. 11: Fundplatzbezogene Stetigkeit von Ackerunkräutern basenreicher Böden in der Spätbronzezeit in Südwestdeutschland, Datenbasis: 15 Fundplätze. Charakterarten der Adonisröschengesellschaft (Caucalido-Adonidetum flammeae Tx. 1950) und des Verbands der Haftdoldenäcker (Caucalidion platycarpi Tx. 1950)
Grünlandarten wie Spitzwegerich oder Gras-Sternmiere enthalten. Die in dieser Grünlandvegetation fixierten Pflanzennährstoffe werden beim Weidegang in den Ausscheidungen der Tiere in eine leichter pflanzenverfügbare Form gebracht. Diese Zusammenhänge dürften schon früh bekannt gewesen sein, weshalb regelmäßige Brachephasen mit Weidegang von der Bronzezeit bis zum Ende der Dreifelderwirtschaft im 19. Jh. üblich waren, zumal die auf den Brachfeldern wachsende Biomasse als Viehfutter unverzichtbar war. Da zudem die Bodenbearbeitung flachgründiger und weniger effektiv war als heute, wuchsen auf den Äckern neben den eigentlichen Ackerunkräutern in heutigem Sinn auch ausdauernde, krautige Pflanzen wie Spitz- und Mittlerer Wegerich (Plantago lanceolata und media), Margerite (Chrysanthemum leucanthemum), Wiesen-Flockenblume (Centaurea jacea), Kleine Braunelle (Prunella vulgaris), Hopfenklee (Medicago lupulina), Rot- und Weißklee (Trifolium pratense und repens), die man heute vorwiegend auf gedüngten Wiesen oder Weiden findet. Ihre Zunahme in den Pollendiagrammen ab der Frühbronzezeit könnte natürlich auch auf das Aufkommen von gedüngten Wiesen und Weiden hinweisen, doch sagt einerseits die schriftliche Überlieferung, dass es so etwas vor der Neuzeit eigentlich nicht gab, und andererseits belegen verkohlte Früchte und Samen dieser Arten aus Vorratsfunden von Getreide eindeutig, dass sie zusammen mit dem Getreide auf dem Acker wuchsen (z. B. Karg 1996). Diese Brachezeiger sind in der Früh- und Mittelbronzezeit recht verbreitet, selten dagegen in der Spätbronze- und Hallstattzeit (Abb. 12). Sehr häufig sind sie in der Frühlatènezeit und nehmen dann wieder ab. Ihre relative Seltenheit im Hochmittelalter ist darauf zurück zu führen, dass bei den Felderwirtschaften die Brache-
Abb. 12: Befundbezogene Stetigkeit von Grünland-/Brachezeigern in der Bronze- und Eisenzeit, sowie im Hochmittelalter in Südwestdeutschland
phasen auf jeweils recht kurze Episoden reduziert waren. Das wirkte sich zwar nachteilig auf die Bodengüte und die Erträge aus, wurde aber wohl durch die Ausweitung der Anbauflächen überkompensiert.˙
24
Synopsis Ab der Frühen Bronzezeit, mit Vorläufern vielleicht in den Becherkulturen, etablierte sich im südlichen Mitteleuropa ein neues landwirtschaftliches System, das durch großflächiges, dauerhaft gehölzfreies Offenland gekennzeichnet war. Dieses Land wurde ackerbaulich genutzt und zwischenzeitlich beweidet. Dazu wurden ausgeklügelte Kurzbrache- und Fruchtwechselsysteme entwickelt. Die Wälder wurden auf die weniger fruchtbaren Böden zurück gedrängt. Sie wurden als Mitteloder Niederwälder bewirtschaftet und beweidet. Durch Lägerplätze und Aufstallung konnte man die dort durch den Weidegang entzogenen Nährstoffe als Dünger im Ackerbau nutzbar machen. Das war der Beginn der Mistdüngung und einer systematischen Nährstoff-Umverteilungswirtschaft, die der Entstehung der mittel- und nordeuropäischen Heiden und Magerrasen zugrunde liegt. Durch den Pflugbau und den Einsatz von Arbeitstieren konnten größere Flächen bewirtschaftet werden. Agrarische Produktivität und Bevölkerung stiegen. Mit steigendem Nahrungsbedarf musste der Anbau auch auf weniger ertragreiche Böden ausgeweitet werden. Gleichzeitig kam es durch Bodenerosion oder Nährstoffentzug zu Flachgründigkeit oder Versauerung und Nährstoffverarmung. Wenn bei Klimaverschlechterungen infolge höherer Niederschläge und damit verbundener Nährstoffauswaschung die Erträge sanken, konnte das katastrophale Folgen haben.
Rösch u. a., Bronzezeitliche Landnutzung Betrachtet man die Dynamik und das räumliche Muster bronzezeitlicher Landnutzung, so zeigen sich regionale und lokale Unterschiede. Am Bodensee war die frühbronzezeitliche Nutzung gleich stark oder stärker als die spätbronzezeitliche, die mittelbronzezeitliche dagegen deutlich schwächer. Bereits die frühbronzezeitliche Entwaldung erreicht hier das gleiche Ausmaß wie die eisenzeitliche. Es gibt aber immer wieder Erholungsphasen des Waldes, die wohl mit Agrar- bzw. Bevölkerungskrisen zusammenhängen und hinter denen wohl Bodenerschöpfung und Klimawandel stehen dürften. In Oberschwaben gibt es eine früh- und eine mittelbronzezeitliche Landnutzungsphase, aber keine deutliche spätbronzezeitliche. Was die anthropogene Entwaldung betrifft, fallen die bronzezeitlichen Phasen in Oberschwaben viel schwächer aus als diejenigen im Bodenseegebiet, und auch viel schwächer als die eisenzeitlichen in Oberschwaben. Noch schwächer, aber doch in den meisten Profilen klar fassbar sind bronzezeitliche Landnutzungsphasen im Nordschwarzwald. Dabei ist die spätbronzezeitliche Entwaldung deutlich stärker als die früh- und mittelbronzezeitliche. Getreidepollen bleibt im Nordschwarzwald in der Bronzezeit viel spärlicher als im Alpenvorland, weshalb ungeklärt bleibt, ob überhaupt und bis in welche Höhe der Ackerbau schon in der Bronzezeit in den Schwarzwald vorrückte. Ebenso unklar ist, in welchem Umfang Weidewirtschaft in Form von Transhumanz ausgeübt wurde.
Rösch u. a., Bronzezeitliche Landnutzung
Literatur Arnold/Rösch 2011 S. Arnold/M. Rösch, Verbreitung, Verteilung und Lagerung von Lebensmitteln unter dem Aspekt von ländlichem und städtischem Nahrungsangebot – eine naturwissenschaftliche und archäologische Betrachtung aus dem Südwesten Deutschlands. In: Jan Klápště (Hrsg.), Processing, Storage, Distribution of Food – Food in the Medieval Rural Environment. Ruralia 8 (Turnhout 2011) 335–357. Benecke u. a 2003 N. Benecke/P. Donat/E. Gringmuth-Dallmer/U. Willerding, Frühgeschichte der Landwirtschaft in Deutschland. Beitr. Ur- u. Frühgesch. Mitteleuropas 14 (Langenweissbach 2003). Bogaard 2004 A. Bogaard, Neolithic Farming in Central Europe (London 2004). Bogaard 2011 A. Bogaard, Plant Use and Crop Husbandry in an Early Neolithic Village, Vaihingen an der Enz, Baden-Württemberg. Frankfurter Arch. Schr. 16 (Bonn 2011). Dörfler/Müller 2008 W. Dörfler/U. Müller, Umwelt – Wirtschaft – Siedlungen im dritten vorchristlichen Jahrtausend Mitteleuropas und Südskandinaviens. Offa-Bücher 84 (Neumünster 2008). Ellenberg 1996 H. Ellenberg, Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen in ökologischer, dynamischer und historischer Sicht5 (Stuttgart 1996). Ellenberg u. a. 1991 H. Ellenberg/H. E. Weber/R. Düll/V. Wirth/W. Werner/D. Paulißen, Zeigerwerte von Pflanzen in Mitteleuropa. Scripta Geobot. 18 (Göttingen 1991). Fischer u. a. 2010 E. Fischer/M. Rösch/M. Sillmann/O. Ehrmann/H. Liese-Kleiber/ R. Voigt/A. Stobbe/A. E. J. Kalis/E. Stephan/K. Schatz/A. Posluschny, Landnutzung im Umkreis der Zentralorte Hohenasperg, Heuneburg und Ipf. Archäobotanische und archäozoologische Untersuchungen und Modellberechnungen zum Ertragspotential von Ackerbau und Viehhaltung. In: D. Krausse (Hrsg.), „Fürstensitze“ und Zentralorte der frühen Kelten, Forsch. u. Ber. Vor- u. Frühgesch. Baden-Württemberg 120, T. 2 (Stuttgart 2010) 195–265. Gassmann u. a. 2006 G. Gassmann/G. Wieland/M. Rösch, Das Neuenbürger Erzrevier im Nordschwarzwald als Wirtschaftsraum während der Späthallstattund Frühlatènezeit. Germania 84, 2006, 273–306. Hellman u. a. 2008 S. Hellman/M.-J. Gaillard/A. Broström/S. Sugita, The REVEALS model, a new tool to estimate past regional plant abundance from data in large lakes: validation in southern Sweden. Journal Quaternary Scien. 23, 2008,1–22. Hüppe/Hofmeister 1990 J. Hüppe/H. Hofmeister, Syntaxonomische Fassung und Übersicht über die Ackerunkrautgesellschaften der Bundesrepublik Deutschland. Ber. Reinhold-Tüxen-Ges. 2, 1990, 61–81. Jacomet 1999 S. Jacomet, unter Mitarbeit von C. Brombacher, E. Schraner, Ackerbau und Sammelwirtschaft während der Bronze- und Eisenzeit in den östlichen Schweizer Alpen – vorläufige Ergebnisse. In: P. della Casa (Hrsg.), Prehistoric Alpine Environment, Society, and Economy. Papers of the international colloquium PAESE ’97 in Zürich. Univforsch. Prähist. Arch. 55 (Bonn 1999) 231–244. Jacomet/Karg 1996 S. Jacomet/S. Karg, Ackerbau und Umwelt der Seeufersiedlungen von Zug-Sumpf im Rahmen der Mitteleuropäischen Spätbronzezeit – Ergebnisse archäobotanischer Untersuchungen. In: Kantonales Museum für Urgeschichte Zug (Hrsg.), Die spätbronzezeitlichen Ufersiedlungen von Zug-Sumpf 1. Die Dorfgeschichte (Zug 1996) 198–303, 365–368.
25 Jacomet u. a. 1998 S. Jacomet/A.-M. Rachoud-Schneider/H. Zoller, Vegetationsentwicklung, Vegetationsveränderung durch menschlichen Einfluss, Ackerbau und Sammelwirtschaft. In: S. Hochuli/U. Niffeler/V. Rychner (Hrsg.), Die Schweiz vom Paläolithikum bis zum frühen Mittelalter III – Bronzezeit (Basel 1998) 141–170. Jacomet/Kreuz 1999 S. Jacomet/A. Kreuz, Archäobotanik (Stuttgart 1999). Kalis u. a. 2003 A. J. Kalis/J. Merkt/J. Wunderlich, Environmental changes during the Holocene climatic optimum in central Europe – human impact and natural causes. Quaternary Scien. Rev. 22, 2003, 33–79. Karg 1996 S. Karg, Ernährung und Agrarwirtschaft in der spätmittelalterlichen Stadt Laufen (Schweiz) (Berlin/Stuttgart 1996). Keller u. a. 1997 E. R. Keller/H. Hanus/K.-U. Heyland, Grundlagen der landwirtschaftlichen Pflanzenproduktion. In: H. Hanus (Hrsg.), Handbuch des Pflanzenbaues (Stuttgart 1997). Knörzer 1971 K. Knörzer, Urgeschichtliche Unkräuter im Rheinland. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Segetalgesellschaften. Vegetatio 23, 1971, 89–111. Knörzer 1991 K. Knörzer, Deutschland nördlich der Donau. In: W. van Zeist/ K. Wasylikowa/K.-E. Behre (Hrsg.), Progress in Old World Palaeoethnobotany (Rotterdam/Brookfield 1991) 189–206. Körber-Grohne 1987 U. Körber-Grohne, Nutzpflanzen in Deutschland (Stuttgart 1987). Kreuz 2010 A. Kreuz, Die Vertreibung aus dem Paradies? Archäobiologische Ergebnisse zum Frühneolithikum im westlichen Mitteleuropa. Ber. RGK 91, 2010, 23–196. Kreuz/Schäfer 2008 A. Kreuz/E. Schäfer, Archaeobotanical considerations of the development of pre-Roman Iron Age crop growing in the region of Hesse, Germany, and the question of agricultural production and consumption at hillfort sites and open settlements. Vegetation Hist. and Archbot. 17, 2008, 159–179. Küster 1991 H. Küster, Mitteleuropa südlich der Donau, einschliesslich Alpenraum. In: W. van Zeist/K. Wasylikowa/K.-E. Behre (Hrsg.), Progress in Old World Palaeoethnobotany (Rotterdam/Brookfield 1991) 179–188. Küster 1997 H. Küster, Kulturpflanzen der Bronzezeit. In: K.-F. Rittershofer (Hrsg.), Demographie der Bronzezeit – Paläodemographie – Möglichkeiten und Grenzen. Internat. Arch. 36 (Espelkamp 1997) 1–5. Lorenz/Rückert 2009 S. Lorenz/P. Rückert (Hrsg.), Landnutzung und Landschaftsentwicklung im deutschen Südwesten. Zur Umweltgeschichte im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit. Veröff. Komm. Gesch. Landeskde. Baden-Württemberg, R. B, Forschungen (Stuttgart 2009). Magny u. a. 1998 M. Magny/C. Maise/S. Jacomet/C. Burga, Klimaschwankungen im Verlauf der Bronzezeit. In: S. Hochuli/U. Niffeler/V. Rychner (Hrsg.), Die Schweiz vom Paläolithikum bis zum frühen Mittelalter III – Bronzezeit (Basel 1998) 135–140. Merkt/Streif 1970 J. Merkt/H. J. Streif, Stechrohr-Bohrgeräte für limnische und marine Lockersedimente. Geol. Jahrb. 88, 1970, 137–148. Oberdorfer 1983 E. Oberdorfer, Süddeutsche Pflanzengesellschaften, Teil III (Stuttgart/New York 1983). Oberdorfer 2001 E. Oberdorfer, Pflanzensoziologische Exkursionsflora für Deutschland und angrenzende Gebiete (Stuttgart 2001). Rösch 1990 a M. Rösch, Veränderungen von Wirtschaft und Umwelt während Neolithikum und Bronzezeit am Bodensee. Ber. RGK 71, 1990, 161–186.
26 Rösch 1990 b M. Rösch, Vegetationsgeschichtliche Untersuchungen im Durchenbergried. In: Siedlungsarchäologie im Alpenvorland 2. Forsch. u. Ber. Vor- u. Frühgesch. Baden-Württemberg 37 (Stuttgart 1990) 9–56. Rösch 1992 M. Rösch, Human impact as registered in the pollen record: some results from the western Lake Constance region, Southern Germany. Vegetation Hist. and Archbot. 1, 1992, 101–109. Rösch 1993 M. Rösch, Prehistoric land use as recorded in a lake-shore core at Lake Constance. Vegetation Hist. and Archbot. 2, 1993, 213–232. Rösch 1994 M. Rösch, Gedanken zur Auswirkung (prä)historischer Holznutzung auf Wälder und Pollendiagramme. Diss. Bot. 234 (Festschrift Gerhard Lang), 1994, 447–471. Rösch 1997 M. Rösch, Botanische Hinweise zur Besiedlungsdichte im Bodenseebecken zwischen 3000 und 500 v. Chr. In: K.-F. Rittershofer (Hrsg.), Demographie der Bronzezeit. Paläodemographie – Möglichkeiten und Grenzen. Internat. Arch. 36 (Espelkamp 1997) 5–13. Rösch 1998 M. Rösch, The history of crop and crop weed in south-western Germany from the Neolithic period to modern times, as shown by archaeobotanical evidence. Vegetation Hist. and Archbot. 7, 1998, 109–125. Rösch 2000 M. Rösch, Anthropogener Landschaftswandel in Mitteleuropa während des Neolithikums. Beobachtungen und Überlegungen zu Verlauf und möglichen Ursachen. Germania 78, 2000, 293–318. Rösch 2 005 a M. Rösch, Spätneolithische und bronzezeitliche Landnutzung am westlichen Bodensee – Versuch einer Annäherung anhand archäobotanischer und experimenteller Daten. In: P. della Casa/M. Trachsel (Hrsg.), WES’04 Wetland Economics and Societies. Collectia Archaeologica 3 (Zürich 2005) 105–119. Rösch 2 005 b M. Rösch, Zur Vegetationsgeschichte des südlichen Kraichgaus – Botanische Untersuchungen bei Großvillars, Gemeinde Oberderdingen, Landkreis Karlsruhe. Fundber. Baden-Württemberg 28/1, 2005, 839–870. Rösch 2008 M. Rösch, New aspects of agriculture and diet of the early medieval period in central Europe: waterlogged plant material from sites in south-western Germany. Vegetation Hist. and Archbot. 17, 2008, 225–238. Rösch 2009 a M. Rösch, Der Inhalt eines horreums von Bad Rappenau, Kreis Heilbronn. In: J. Biel/J. Heiligmann/D. Krausse (Hrsg.), Landesarchäologie, Festschrift für Dieter Planck. Forsch. u. Ber. z. Vor- und Frühgesch. Baden-Württemberg 100 (Stuttgart 2009) 379–392. Rösch 2009 b M. Rösch, Botanical evidence for prehistoric and medieval land use in the Black Forest. In: J. Klápšte/P. Sommer (Hrsg.), Medieval Rural Settlement in Marginal Landscapes, Ruralia 7 (Turnhout 2009) 335–343. Rösch 2009 c M. Rösch, Zur vorgeschichtlichen Besiedlung und Landnutzung im nördlichen Schwarzwald aufgrund vegetationsgeschichtlicher Untersuchungen in zwei Karseen. Mitt. Ver. Forst. Standortskde. u. Forstpflanzenzüchtung 46, 2009, 69–82. Rösch 2009 d M. Rösch, Der Nordschwarzwald – das Ruhrgebiet der Kelten? Neue Ergebnisse zur Landnutzung seit über 3000 Jahren. Alemannisches Jahrb. 2009/2010, 155–169. Rösch 2011 M. Rösch, Landnutzung und Kulturlandschaft in Mitteleuropa von der Jungsteinzeit bis zur Neuzeit: Ein Überblick. TÜVA Mitt. 12, 2011, 13–34.
Rösch u. a., Bronzezeitliche Landnutzung Rösch/Heumüller 2008 M. Rösch/M. Heumüller, Vom Korn der frühen Jahre – Sieben Jahrtausende Ackerbau und Kulturlandschaft. Arch. Inf. Baden-Württemberg 55 (Esslingen a. N. 2008). Rösch/Tserendorj 2011 a M. Rösch/G. Tserendorj, Der Nordschwarzwald – früher besiedelt als gedacht? Pollenprofi le belegen ausgedehnte vorgeschichtliche Besiedlung und Landnutzung. Denkmalpfl. Baden-Württemberg 40/2, 2011, 66–73. Rösch/Tserendorj 2011 b M. Rösch/G. Tserendorj, Florengeschichtliche Beobachtungen im Nordschwarzwald (Südwestdeutschland). Hercynia N. F. 44, 2011, 53–71. Rösch u. a. 2008 M. Rösch/O. Ehrmann/B. Kury/A. Bogenrieder/L. Herrmann/W. Schier, Spätneolithische Landnutzung im nördlichen Alpenvorland: Beobachtungen – Hypothesen – Experimente. In: W. Dörfler/J. Müller (Hrsg.), Umwelt – Wirtschaft – Siedlungen im dritten vorchristlichen Jahrtausend Mitteleuropas und Südskandinaviens. Offa N. F. 84, 2008, 301–315. Rösch u. a. 2009 M. Rösch/G. Gassmann/G. Wieland, Keltische Montanindustrie im Schwarzwald – eine Spurensuche. In: Kelten am Rhein. Akten des dreizehnten Internationalen Keltologiekongresses. 23. bis 27. Juli 2007 in Bonn. 1. Archäologie, Ethnizität und Romanisierung. Beih. Bonner Jahrb. 58 (Mainz 2009) 263–278. Rösch u. a. 2011 M. Rösch/H. Biester/A. Bogenrieder/E. Eckmeier/O. Ehrmann/ R. Gerlach/M. Hall/Ch. Hartkopf-Fröder/L. Herrmann/B. Kury/ W. Schier/E. Schulz, Spätneolithischer Ackerbau im Experiment – eine Zwischenbilanz nach 12 Jahren Forchtenberg. In: H.-R. Bork/ H. Meller/R. Gerlach (Hrsg.), Umweltarchäologie – Naturkatastrophen und Umweltwandel im archäologischen Befund. Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle (Saale) 6 (Halle/Saale 2011) 175–192. Rösch u. a. im Druck M. Rösch/E. Fischer/J. Lechterbeck/G. Tserendorj/L. Wick, Land Use and Food Production of the Iron Age as indicated by Botanical Onsite- und Offsite-data In: S. Hornung (Hrsg.), Produktion – Distribution – Ökonomie. Siedlungs- und Wirtschaftsmuster der Latènezeit. Univforsch. Prähist Arch. Schibler u. a. 1997 J. Schibler/H. Hüster-Plogmann/S. Jacomet/C. Brombacher/E. GrossKlee/A. Rast-Eicher (Hrsg.), Ökonomie und Ökologie neolithischer und bronzezeitlicher Ufersiedlungen am Zürichsee. Ergebnisse der Ausgrabungen Mozartstraße, Kanalisationssanierung Seefeld, AKAD/ Pressehaus und Mythenschloss in Zürich. Monogr. Kantonsarch. Zürich 20/1 (Zürich/Egg 1997). Stika 1996 H.-P. Stika, Römerzeitliche Pflanzenreste aus Baden-Württemberg: Beiträge zur Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt in den römischen Provinzen Obergermanien und Rätien. Materialh. Arch. Württemberg 36 (Stuttgart 1996). Sugita 2007 a S. Sugita, Theory of quantitative reconstruction of vegetation I. Pollen from large sites REVEALS regional vegetation. The Holocene 17, 2007, 229–241. Sugita 2007 b S. Sugita, Theory of quantitative reconstruction of vegetation II. All You Need Is LOVE. The Holocene 17, 2007, 243–257. Wick/Rösch 2006 L. Wick/M. Rösch, Von der Natur- zur Kulturlandschaft – Ein Forschungsprojekt zur jungsteinzeitlichen und bronzezeitlichen Landnutzung am Bodensee. Denkmalpfl. Baden-Württemberg 35/4, 2006, 225–233. Willerding 1986 U. Willerding, Zur Geschichte der Unkräuter Europas. Göttinger Schr. Vor- u. Frühgesch. 22 (Neumünster 1986). Wilmanns 1998 O. Wilmanns, Ökologische Pflanzensoziologie (Heidelberg 1998).
Rösch u. a., Bronzezeitliche Landnutzung
Abbildungsnachweis 1–12: Autoren; Daten für Abb. 10 nach Ellenberg u. a. 1991
Anschriften Prof. Dr. Manfred Rösch, Elske Fischer, Dr. Jutta Lechterbeck, Gegeensuvd Tserendorj, Landesamt für Denkmalpflege im RP Stuttgart, Fischersteig 9, 78343 Gaienhofen-Hemmenhofen
[email protected] Dr. Angelika Kleinmann, Ritter-Eccart-Str. 5, D-88518 Herbertingen Dr. Lucia Wick, IPNA, Universität Basel, Spalenring 145, CH-4055 Basel
27
28
Alexandra Găvan und Florin Gogâltan
„Zentrum und Peripherie?“ Der bronzezeitliche Tell von Pecica „Şanţul Mare“ (Kreis Arad, Rumänien) Zusammenfassung Das „Zentrum-Peripherie“-Modell wurde ursprünglich von I. Wallerstein entwickelt, um die Macht- und Abhängigkeitsbeziehungen zwischen stratifizierten Gesellschaften des modernen Weltsystems zu charakterisieren. In der Archäologie wurde das Modell übernommen, um Interdependenzbeziehungen zu beschreiben, die zwischen Gemeinschaften existierten, welche in Wechselwirkung innerhalb eines Netzwerks von Handelsbeziehungen in Kontakt standen, wobei sowohl Prestigegegenstände als auch Konsumgüter und Rohstoffe ausgetauscht wurden. Es gibt zahlreiche Studien, die das „ZentrumPeripherie“-Modell auch auf die Bronzezeit anwenden, wo eine Expansion des Fernhandels und Austausches die Intensität der Kontakte zwischen verschiedenen Regionen beschleunigte. Eine Überprüpfung der Anwendungsmöglichkeiten des „Zentrum-Peripherie“-Modells bezüglich der Produktion und Verteilung von Metallartefakten im Karpatenbecken in der mittleren Bronzezeit wird anhand des bronzezeitlichen Tells von Pecica durchgeführt.
Einleitung Der vorliegende Aufsatz entstand aus dem Interesse beider Forscher für die frühe und mittlere Bronzezeit im Karpatenbecken (siehe Meier-Arendt 1992, 40 f.) sowie für die Aspekte, die mit der Metallurgie dieser Zeit verbunden sind.3 Folglich nimmt sich dieser Beitrag vor, die Rolle zu diskutieren, die der bronzezeitliche Tell von Pecica in der Produktion und dem Vertrieb von Bronzegegenständen im Zeithorizont der ersten Hälfte des 2. Jts. v. Chr. eingenommen hat. Die Wahl der Fundstelle von Pecica für die Diskussion gewisser Aspekte der Handelsbeziehungen und der Kontrolle der Ressourcen in der Bronzezeit wird sowohl durch das reiche archäologische Material als auch durch die geografische Lage des Fundortes gerechtfertigt. Sie befindet sich sowohl in der Nähe der Kupfervorkommen des Lipova-Hügellandes als auch an ei-
3
In seiner Dissertation „Die frühe und mittlere Bronzezeit im rumänischen Banat und auf dem unteren Lauf der Marosch. Chronologie und Metallfunde“ (Gogâltan 1999) hat Florin Gogâltan eine Reihe von Metallartefakten veröffentlicht, die sich in den Sammlungen der Museen im Untersuchungsebiet befinden. Besondere Aufmerksamkeit widmete er der Typo-Chronologie der Metallgegenstände sowie den Belegen für metallurgische Vorgänge. Das Thema stellt auch einen Teil der Dissertation Alexandra Găvans zum Thema „Die Metallurgie auf den bronzezeitlichen Tells im Karpatenbecken“ dar, die an der Universität Iaşi verteidigt werden soll (Diese Studie wurde von einem Forschungsvorhaben des Ministeriums für Öffentliche Erziehung im Rahmen des Projektes PN-II-ID-PCE-2012–4–0020 finanziert).
nem der wichtigen Verbindungswege der Frühgeschichte, dem Fluss Mureş (O’Shea 2011, 161–174).
Die Fundstelle Die Fundstelle „Şanţul Mare“ ist ein ovaler Tell, von 117 × 70 m Größe, 6,5 km südsüdwestlich von der Stadt Pecica, im Westen Rumäniens gelegen (Abb. 1). Die Siedlung wird von drei Seiten von einem tiefen Graben umgeben und befindet sich auf dem Vorgebirge der Maroschterrasse. Mit Sicht auf den Fluss befindet sie sich demnach an einem strategischen Punkt (Dömötör 1902, 271–274; Roska 1912, 1–73; Crişan 1978, 11–15; Soroceanu 1991, 20–95; O’Shea u. a. 2005, 81–109). Bereits 1898 sowie 1900–1902 begann die Erforschung der Siedlung (Dörner 1978, 16–30) mit den ersten Grabungen unter Leitung von L. Dömötörs, der fünf vor Ort aufgefunde Gussformen veröffentlichte (Dömötör 1902, 271–274). Die Ergebnisse der Grabungen Dömötörs erweckten die Aufmerksamkeit vieler Fachleute, sodass die Forschungen in den Jahren 1910–1911 und 1923–1924 von M. Roska wiederaufgenommen wurden (Roska 1912, 1–73; Roska 1924, 314–316). Bei dieser Gelegenheit wurde auch eine erste stratigrafische Sequenz der Fundstelle veröffentlicht. Der Klausenburger Archäologe unterschied 16 Schichten, die der Bronzezeit zugeschrieben werden konnten (Roska 1912, Abb. 2). Nachfolgend unternahm D. Popescu im Jahre 1943 Ausgrabungen am „Şanţul Mare“ (Popescu 1944 b, 71–73). Weitere Untersuchungen wurden von I. H. Crişan zwischen 1960–1962 und 1964 verfolgt. Die Zielsetzung seiner Grabungen war die Bergung der latènezeitlichen Überreste (Crişan 1978). In dem Bereich der Siedlung, wo alle vorhandenen Kulturschichten ergraben und dokumentiert werden konnten, identifizierte I. H. Crişan lediglich acht anstelle von 16 Schichten, die der bronzezeit-
Abb. 1: Die Fundstelle Pecica „Şanţul Mare“
Găvan/Gogâltan, Zentrum und Peripherie?
29
lichen Besiedlung zugeschrieben werden konnten (Crişan 1978, Abb. 23). Die Bedeutung der Fundstelle von Pecica für die Chronologie der Bronzezeit im Karpatenbecken veranlasste im Jahr 2005 neue Forschungen unter der Leitung J. O’Sheas und F. Draşoveans (O’Shea u. a. 2005, 81–109; 2006, 211–227; O’Shea 2011, 67 f.). Infolge all dieser Untersuchungen handelt es sich bei Pecica „Şanţul Mare“ um eine verhältnismäßig gut bekannte Fundstelle (Soroceanu 1982, 353–369). Sie wird der Mureş (Periam-Pecica) Kultur zugeschrieben, deren Verbreitungsgebiet Teile Westrumäniens, Südostungarns und Nordserbiens umfasst (Bóna 1975, 79–111; Soroceanu 1977, 55–79; Girić 1984, 33–58; Soroceanu 1991, Abb. 1; 2; O’Shea 1996, 27–52 Abb. 3,1; Vulpe 2001, 261–265; Fischl 2003, 111–120). Die Entwicklung der Siedlung von Pecica, deren Kulturschichten nach Roska fast 4 m dick waren (Roska 1912, 6 f. Abb. 2), verläuft synchron zu den beiden Phasen der Mureş-Kultur, ohne jedoch deren Beginn zu erfassen (Soroceanu 1991, 123–126). Die gewonnenen 14C-Daten legen für die ersten 2–3 m unterhalb der dakischen Schichten einen Nutzungszeitraum zwischen 2190–1530 v. Chr. (O’Shea u. a. 2005, 86 f.) nahe.
Das „Zentrum-Peripherie“-Modell Das „Zentrum-Peripherie“-Modell wurde ursprünglich von I. Wallerstein entwickelt, um die Macht- und Abhängigkeitsbeziehungen zwischen den stratifizierten Gesellschaften des modernen Weltsystems zu charakterisieren (Wallerstein 1974; Wallerstein 1980; Wallerstein 2004). Es wurde schnell in der Archäologie übernommen, um die Interdependenzbeziehungen zu beschreiben, die zwischen den Gemeinschaften existierten, die in Wechselwirkung innerhalb eines Netzwerks von Handelsbeziehungen zueinander standen, wobei sowohl Prestigegenstände als auch Konsumgüter und Rohstoffe ausgetauscht wurden (Frankenstein/Rowlands 1978, 73–112; Rowlands u. a. 1987; Kristiansen 1994, 7–31; Champion 1995 a; Bintliff 1997, 1–38) (Abb. 2). Nach Ch. Kümmel werden vier Haupttypen der Rezeption des von Wallerstein vorgeschlagenen Modells in der Archäologie verwendet (Kümmel 2001, 39–48): erstens Studien, die direkt auf Wallersteins Konzepte zurückgreifen (z. B. Kohl 1987, 13–24; Kohl 1989, 218–240; Edens/Kohl 1993, 17–35; Kardulias 1999 b, 179–201). Zweitens gibt es eine Schule, die den Begriff der „Prestigegüter-Systeme“ verwendet, um den sozialen Wandel zu erklären, welcher an der Peripherie der alten Weltsysteme stattfand, wobei stipuliert wird, dass der Aufstieg und der Verfall der jeweiligen Eliten von ihrer Fähigkeit abhängt, den Fluss der Prestigegüter vom Zentrum her zu kontrollieren (Frankenstein/Rowlands 1978, 73–112; Hedeager 1987, 125–141; Schortman/Urban 1992, 153–155). Andere Studien verwenden eine makrohistorische Perspektive, in denen die Terminologie des Weltsystems eingesetzt wird (Kristiansen 1987, 74–85; Frank 1993, 383–429; Kristiansen 1993, 143–152; Sherrat 1993, 1–58; Kristiansen 1994, 7–31; Kristiansen 1998, 359–419). Die vierte Kategorie bilden Bei-
Abb. 2: Funktionsweise des Zentrum-Peripherie-Modells
träge, welche die Problematik des Zentrums und der Peripherie aus einer sehr allgemeinen Sicht, ohne detaillierte Bezüge auf das ursprüngliche Modell behandeln (Larsen 1987, 47–56; Stoddart 1995, 89–99; Bintliff 1997, 1–38). Allerdings führen auch strukturelle Unterschiede zwischen Modell und archäologischem Befund dazu, dass nicht alle Bedingungen, die von Wallerstein für die Entstehung von „Zentrum-Peripherie“-Beziehungen festgelegt wurden, auch im Altertum zum Tragen kommen. Dies bezieht sich besonders auf das Niveau der Technologie, der Verkehrsmittel, sowie des sog. „Monopols“ von Zentren über Technologien, die für das „vorkapitalistische“ Zeitalter bisher nicht nachgewiesen werden konnten (Kohl 1987, 13–24; Rowlands 1987, 1–11). Aus diesem Grund wurde dem ursprünglichen Modell eine Reihe von Änderungen hinzugefügt um es auf archäologische Kontexte anwenden zu können (Kohl 1989, 218–240; Alexander/ Santley 1992, 23–51; Edens/Kohl 1993, 17–35; Frank 1993, 383–429; Champion 1995 b, 1–21; Morris 1999, 63–84; Schortman/Urban 1999, 125–151). In neueren archäologischen Arbeiten ist das „Zentrum-Peripherie“-Modell oder die Theorie des Weltsystems in einem breiten Raum und weiten Zeithorizonten, von der Ur- und Frühgeschichte (Kristiansen/Larsson 2005, 4–31; Govedarica 2009, 60–73; Jaeger/Czebreszuk 2010, 217–235) bis ins Mittelalter (Theune 2008, 13–26) angewendet worden. Auch für die Antike kam es als Erklärungsmodell zur Anwendung, um die Art und Weise zu erklären, wie sich die Beziehungen zwi-
30 schen der griechisch-römischen Welt und dem Barbaricum strukturiert haben (Frankenstein/Rowlands 1978, 73–112; Hedeager 1987, 125–141; Cunliffe 1993; Bintliff 1997, 1–38). Was all diese disparaten Studien, welche vielfältige Fragestellungen mit verschiedenen Arten der Anwendung des „Zentrum-Peripherie“-Modells sowie Analysen nach der „Weltsystem“ – Theorie aufweisen, vereint, ist ihre makroregionale Perspektive. Die Kritik am „Zentrum-Peripherie“-Modell betrifft in erster Linie die Betonung des wirtschaftlichen Aspektes bei Kontakten zwischen Gemeinschaften wie auch die Vernachlässigung der spezifischen Entwicklungsbedingungen in Gesellschaften, die als peripher betrachtet werden, zugunsten einer zentrumsorientierten Interpretation ihrer Beziehungen (DuPlessis 1988, 227; Renfrew/Bahn 1991, 334; Harding 1993, 153–159; Dietler 1995, 126–141; Stein 1999, 153–177; Harding 2000, 418–422; Ratnagar 2001, 351–379; Watkins 2008, 139–171). Gleichermassen lassen sich methodische Mängel in der Anwendung des Modells feststellen, da die wirtschaftliche Abhängigkeit in der Ur-und Frühgeschichte oftmals nicht bewiesen werden kann. Außerdem postuliert das Modell von vornherein die Existenz ungleicher Tauschbeziehungen, was zur Vernachlässigung anderer Interpretationsmöglichkeiten führt (Kümmel 2001, 109–114). Einge Vertreter der Perspektive der „Weltsystem“-Theorie haben hervorgehoben, dass diese Kritik im Grunde gegen das ursprüngliche Modell Wallersteins gerichtet sei und nachträgliche Umformulierungen und Änderungen, welche das Modell des Weltsystems und dessen Anwendungsmethoden erfahren haben, dabei nicht berücksichtigt würden (Schneider 1977, 20–29; Chase-Dunn/Hall 1991, 5–44; Chase-Dunn/Hall 1993, 851–886; Hall 1998, 251–267; Frank 1999, 275–295; Hall 1999, 1–25). Sie sind überwiegend auf spezifische Entwicklungsbedingungen an der Peripherie bezogen, wie auch auf die Tatsache, dass die Beziehungen zwischen Zentrum und Peripherie nicht unbedingt von Abhängigkeit geprägt sein müssen. Vor allem in der Antike gibt es Belege für Peripherien, die in der Lage waren Tauschbedingungen festzulegen (Hall u. a. 2011, 240–246). Es gibt zahlreiche Studien, die das „Zentrum-Peripherie“-Modell auf die Bronzezeit anwenden (Kohl 1987, 13–24; Kristiansen 1987, 74–85; Kohl 1992, 117–137; Edens/Kohl 1993, 17–35; Frank 1993, 383–429; Sherratt 1993 a, 1–58; Sherratt 1993 b, 245–255; Kristiansen 1994, 7–31; Barrett 1997, 13–25). K. Kristiansen meint die Entwicklung eines „European world system“ um 2000 v. Chr. habe zur Schaffung von Interdependenzen in der Beschaffung von Metall sowie der für die Bronzebearbeitung nötigen Technologie geführt, da die Expansion des Fernhandels und Austausches zwischen verschiedenen Regionen die Intensität ihrer Kontakte beschleunigte (Kristiansen 1994, 7). Vertreter dieser Ansicht wie K. Kristiansen (1998, 368–384) sind der Meinung, dass beginnend mit der Periode Reinecke A2 das Karpatenbecken auf europäischer Ebene ein wichtiges metallurgisches Zentrum mit einer westlichen und nördlichen Peripherie dargestellt habe. Somit soll nach Kristiansen und Larsson zwischen 1750/1700 und 1600/1500
Găvan/Gogâltan, Zentrum und Peripherie? v. Chr. im Karpatenbecken, auf dem Gebiet der Otomanikultur, ein erstrangiges Produktions- und Umverteilungzentrum bestanden haben, aus welchem Bronzewerkzeuge und -barren in weite Gebiete Europas gelangten (Kristiansen/Larsson 2005, 127). Kristiansen vertritt ausgehend von den Tellsiedlungen, die sich in dieser Region entwickelten, die Meinung, dass von befestigten Siedlungen des Tell-Typs als Kennzeichen lokaler Zentren gesprochen werden könne, in denen Eliten herrschten, welche eine direkte Kontrolle über die spezialisierte Metallproduktion ausübten (Kristiansen 1998, 370–379). Andere Merkmale der „Zentrum-Peripherie“-Beziehung in der Bronzezeit wurden von S. Shennan hervorgehoben (1993, 59–72). Er führte als Beispiel das zentraleuropäische Gebiet an, welches beginnend mit 1800/1700 v. Chr. als ein Machtzentrum auf europäischer Ebene funktioniert habe, wobei es in Beziehung zu einer nördlichen und einer westlichen Peripherie (Shennan 1993, 62) stand. Bei ihm verfügte das Zentrum über einen Überschuss an Rohstoffen (Kupfer), den es mittels Handelsverbindungen in den peripheren Zonen anbot. In umgekehrter Richtung soll derartiger Handel jedoch nicht stattgefunden haben. Da die Existenz eines „Weltsystems“ in der Bronzezeit inzwischen mehrfach erörtert wurde, stellte sich A. Sherratt in einem gleichlautenden Beitrag die gerechtfertigte Frage: „What would a Bronze Age World System look like?“ (Sherratt 1993 a, 1–58). Er identifizierte die Entstehung eines Systems vom Typ „Zentrum-Peripherie“ in besagtem Zeithorizont im Nahen Osten und in Ägypten, wobei es sich nachfolgend entlang des Persischen Golfes und des Mittelmeeres verbreitet habe (Sherratt/Sherratt 1991, 351–386). In diesem konkreten Fall könne der Begriff „Zentrum“ auf die städtischen Siedlungen angewandt werden, die Rohstoffe verbrauchten und Fertigprodukte herstellten, während sich die „Peripherie“ auf die Gesellschaften mit geringerem politischen und wirtschaftlichen Entwicklungsgrad beziehe (Sherratt 1993 a, 4; Sherratt 1993 b, 247). Was die Beziehungen Europas mit jenen Zonen betrifft, die in dieses System einbezogen wurden, vertritt Sherratt die Meinung, man könne nicht vor der Mitte des ersten Jts. v. Chr. von einer europäischen Peripherie der urbanen Zivilisationen des Nahen Ostens und Ägyptens sprechen. Somit kristalliesiert sich Europa als angeschlossener „Randbereich“ des „Zentrum-Peripherie“-Systems heraus, welcher über eigene Netzwerke von Handelswegen kommunizierte, von denen einige zeitweilig den ganzen Kontinent von Norden nach Süden durchzogen, wobei das bedeutendste Handelsgut die Bronze war.
Die Fallstudie Um die Gültigkeit des „Zentrum-Peripherie“-Modells bezüglich der Produktion und Verteilung von Metallartefakten im Karpatenbecken der mittleren Bronzezeit (Reinecke A2-B1) überprüfen zu können, haben wir als Fallbeispiel den erwähnten bronzezeitlichen Tell von Pecica gewählt. Hier wurden insgesamt 19 Metallgegenstände und 37 Gegenstände, die
Găvan/Gogâltan, Zentrum und Peripherie?
31
mit der Bronzeverarbeitung verbunden sind, entdeckt (Dömötör 1902, 271–274 Abb. 1–10; Roska 1912, 9–38 Abb. 7; 13; 14,1.2; 22,1, 3; 25; 55,1–3; 56,1.2; 57; 58; 67,1–6; Popescu 1944 a, 60–67 Abb. 24,3.8.10.12–14; 26; 27; 28; Soroceanu 1991, 88–92 Abb. 11 a Taf. 18,10.11 Abb. 21,1 Taf. 18,12 Abb. 21,2; Gogâltan 1999, 100 f. Nr. 31 Abb. 9,3–5.10.11; 14,1; 16; 17; 18; 20,1.4; 22,4; 23,1.2.4.5; 24; 25,3.4; 31,4.6; 32,1.4–6; 38,1–3; 39,1–9; 41,2). Als Endprodukte herrschen Schmuckgegenstände vor, welche durch fünf Brillenanhänger, zwei Hülsenkopfnadeln, zwei Knöpfe, einer davon aus Gold, einem kleinen Spiralröhrchen und einem einfachen Armreif vertreten werden. Werkzeuge und Waffen sind auf der Fundstelle von Pecica durch ein Absatzbeil, sowie vier Meißel und drei Pfrieme repräsentiert (Abb. 3). Die meisten Negative der bisher entdeckten Gussformen waren ebenfalls zum Guss von Werkzeugen und Waffen bestimmt (Abb. 4). Dabei machen Äxte und Beile mit insgesamt 22 Negativen, was mehr als der Hälfte aller Stücke (35) entspricht, den Hauptanteil aus. Weitere zu gießende Objekte sind Meißel (7), Gürtelhacken (2), Pfrieme (2), Dolche (1) und Lanzenspitzen (1) (Abb. 5). Leider lassen sich nur 23 in Pecica geborgene Artefakte, von denen 20 aus den Grabungen M. Roskas und weitere drei aus Abb. 3: Bronze- und Goldgegenstände aus Pecica. o. M.
Abb. 4: Gussformen aus Pecica. o. M.
32
Abb. 5: Verteilung der Negative auf die Gussformen von Pecica
den Grabungen I. H. Crişans stammen, stratigrafischen Informationen zuordnen. Der größte Teil der an Metallurgie gebundenen Gegenstände wurde in jenen Schichten gefunden, die den letzten Wohnphasen der Siedlung zugeschrieben werden. Dies gilt auch für die beiden Hülsenkopfnadeln und ein Absatzbeil, die von I. H. Crişan entdeckt und der „II. ungeteilten“ Schicht zugeschrieben wurden (Soroceanu 1991, 88 f. Taf. 18,10–12). Neue Ausgrabungen in Pecica „Şanţul Mare“ haben drei Metallgegenstände ans Licht gefördert, darunter eine Lanzenspitze, einen Anhänger und Teile eines Pferdegeschirrs. Sie werden jedoch nur in einem Vorbericht ohne Illustrationen oder Details zum Fundkontext erwähnt (O’Shea u. a. 2005, 85). Gleichermaßen erwähnt werden in den jährlichen Grabungsberichten die Entdeckung von Schmelzöfen, Schlacken und Gussresten in großen Mengen, die aus den letzten belegten Phasen der Siedlung stammen. Sie bezeugen die Existenz einer oder mehrerer Werkstätten in diesem Zeithorizont (Hurezan u. a. 2007, 263; 2008, 223; 2009, 168). Folglich kann festgestellt werden, dass im Tell von Pecica „Şanţul Mare“ ein oder mehrere Werkstätten für Bronzeverarbeitung existierten. Neben den erwähnten 28 Gussformen wurden hier zwei Schlackestücke und sechs Fragmente von solchen entdeckt, welche Reste von Gussverfahren darstellen. Mehrheitlich stammen sie aus den Schichten XIII–XIV nach Roska (Roska 1912, 33 f. 68 f. Abb. 58; Gogâltan 1999, 127 Abb. 39,1–9). Der Großteil der Gussformen aus Sandstein und Ton weist Nutzungsspuren in Form von Rußspuren, verbrannten Flächen und Beschädigungen auf. Dies deutet auf eine Spezialisierung des Tells von Pecica „Şanţul Mare“ in der Metallproduktion hin (Gogâltan 1999, 127). Aufgrund dieser Funde wird der Tell von Pecica in der Fachliteratur zu den großen metallurgischen Zentren gezählt, die im Laufe der Periode Reinecke A2-B1 existierten (Bóna 1975, 272). Beim gegenwärtigen Forschungsstand ist es der Fundort, mit den meisten vollständig erhaltenen Gussformen im Karpatenbecken. Der für die metallurgische Tätigkeit notwendige Rohstoff könnte sich in der relativen Nachbarschaft des Tells befunden haben, da Kupfervorkommen in der Nähe des Zarand-Gebirges und des Lipova-Hügellandes (z. B bei Covăsinţ
Găvan/Gogâltan, Zentrum und Peripherie? – Kalkopyrit, Lipova – Azurit, Kalkopyrit, Malachit und Milova – Kalkopyrit die sich alle in 43–56 km Entfernung von Pecica befinden), identifiziert werden konnten (Rădulescu/Dimitrescu 1966, 327; 332–340) (Abb. 6). Folglich haben wir es mit einem Produktionszentrum zu tun. Es stellt sich jedoch die Frage, ob in diesem spezifischen Fall das „Zentrum-Peripherie“-Modell funktionieren kann. Eine erste Ebene, die bei einer Analyse nach den Bedingungen des Modells verfolgt werden sollte, betriff t die Zirkulation metallener Endprodukte. Relevant für unsere Diskussion sind die Äxte vom Typ Hajdúsámson, zu welchem 12 der 22 Beilnegative der Gussformen gehören (siehe Abb. 4). Das Verbreitungsgebiet der Hajdúsámson-Äxte lag im Westen Rumäniens und im Osten Ungarns (Vulpe 1970, 51), sodass sie vornehmlich im Kulturmilieu Otomani-Füzesabony und Wietenberg anzutreffen waren (Abb. 7). Verwandt mit ihnen sind die Äxte des Balşa-Typs, die vornehmlich in Mittelsiebenbürgen auf dem Areal der Wietenberg-Kultur vorkamen (Vulpe 1970, 52 f.). Bisher ist keine Axt auf dem Gebiet der Mureş-Kultur bekannt, die den Negativen aus Pecica vergleichbar wäre, abgesehen von der Schaftlochaxt aus Grab 208 von Mokrin, Kreis Kikinda, die einen besonderen Typus darstellt (Girić 1971, 136 Taf. LVI,2; Jovanović 1972, 31; 38 f. Taf. II,1).4 Die übrigen Gussformennegative von Pecica stellen in der Regel Typen dar, die in der unmittelbaren Umgebung fremd sind. Die einzige Ausnahme ist eine Gussform für Gürtelhaken (Abb. 4 rechts), der eine Analogie in einem Stück aus Grab 55 von Szőreg, Kreis Csongrád, findet (Foltiny 1941, 17 Taf. 20,26; Kilian-Dirlmeier 1975, 24–16), wobei ein ähnlicher Gegenstand auch aus der Vattina-Siedlung von Mošorin „Feudvár“ stammt (Hänsel/Medović 1991, 82 Abb. 6,2). Unter den metallenen Endprodukten der näheren Umgebung sind keine Analogien zu den Gussformnegativen von Pecica bekannt. Dies gilt besonders für die Gegenden mit Kupfervorkommen, welche beginnend mit dem Ende der Stufe Reinecke A1 von den Corneşti-Črvenka-Gemeinschaften besiedelt wurde (Gogâltan 1999, 205–210; Gogâltan 2004, 79–153) (Abb. 6). Selbstverständlich können für dieses Bild mehrere Erklärungsmöglichkeiten herangezogen werden. Zum einen kann es sich um Überlieferungslücken handeln, oder einem noch unzureichenden Forschungsstand geschuldet sein. Aus der betreffenden Gegend sind nicht viele Gräber bekannt, während Siedlungen vornehmlich durch Oberflächenbegehungen und -funde identifiziert wurden. Daher erlaubt es der archäologische Kenntnisstand der Zone nicht, Beziehungen nach dem „Zentrum-Peripherie“-Modell zwischen dem Zentrum Pecica und den Corneşti-Črvenka-Gemeinschaften zu postulieren. Umso weniger kann jene Prestigegüterwirtschaft bewiesen werden, da reiche Gräber in der Nähe der Metallvorkommen fehlen. Gleichermaßen verfügen wir über keinerlei archäologischen
4
Während sich diese Axt eher dem Pădureni-Typus annähert (Vulpe 1970, 42–48), wurden jene in den Gräbern 92 und 122 von Battonya, Gräberfeld II (Szabó u. a. 1999, 44; 51 f. Abb. 32,2; 49,1) von W. David einem anderen Typus zugeordnet (David 2002, 428).
Găvan/Gogâltan, Zentrum und Peripherie?
Abb. 6: Kupfervorkommen in Banat und Apuseni-Gebirge, dem Tell von Pecica und den Corneşti-Črvenka Siedlungen
Abb. 7: Verteilung der Äxte des Typs Hajdúsámson, Gussformen und Fertigprodukte. 1 Vatin; 2 Pecica; 3 Cetea; 4 Larga; 5 Rusu de Jos; 6 Sângeorgiu de Meseş; 7 Şimleu Silvaniei; 8 Cehăluţ; 9 Pir; 10 Berea; 11 Hajdúsámson; 12 Tiszafüred
33
34 Beweis, der die Abhängigkeit der Gemeinschaften der näheren Umgebung von dem Zentrum in Pecica belegen könnte. Das sich ergebende Bild zeigt Pecica eher in einem interregionalen Netzwerk von Tauschbeziehungen, was einerseits durch die Produktion der Axttypen belegt wird, die in den Milieus von Otomani-Füzesabony und Wietenberg-Kultur verbreitet waren, andererseits durch das Vorkommen der Hülsenkopfnadeln und des Absatzbeils, welche vor allem in Mittel- und Ostmitteleuropa vorkommen, angezeigt werden dürfte (Mozsolics 1967, 64 f.; Novotná 1980, 20; Říhovský 1992, 108–147). Die geografische Lokalisierung des Tells an den Ufern des Mureş, einer bedeutenden Verkehrsader in der Bronzezeit, könnte solch eine Hypothese untermauern und teilweise die Entstehung des bedeutenden Zentrums erklären (O’Shea 2011, 161–174).
Găvan/Gogâltan, Zentrum und Peripherie? Natürlich war Pecica nicht das einzige metallurgische Zentrum, das zu dieser Zeit (Reinecke A2-B1) im Karpatenbecken existierte. Einzigartig ist jedoch die große Anzahl an vollständig erhaltenen Gussformen am Fundplatz. Im Vergleich dazu stammen aus der bisher einzigen bekannten Bronzegießerwerkstatt der frühen und mittleren Brozenzeit im Karpatenbecken in Mošorin bei „Feudvár“, nur 23 vollständig erhaltene Gussformen (Hänsel/Medović 2004, 98–100 Nr. 1–23).5 Auch aus den Tells der Südslowakei, die für ihren Metalltreichtum bekannt sind und sich in der Nähe der Kupfer- und Zinn5
Es darf allerdings nicht übersehen werden, dass in diesem Tell über 100 Fragmente entdeckt wurden, die zum Wachsausschmelzverfahren gedient haben. Da alle mit der Bronzeverarbeitung verbundenen Gegenstände aus Pecica aus Altgrabungen vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jhs. stammen, könnten der Aufmerksamkeit des damaligen Ausgräbers eine Reihe solcher Fragmente in Pecica entgangen sein.
Abb. 8: Verteilung der Gegenstandsgruppen auf die Gussformen, die in den bedeutendsten bronzezeitlichen Tells im Karpatenbecken entdeckt wurden
Găvan/Gogâltan, Zentrum und Peripherie?
35
Abb. 9: Metallproduktion in den bedeutendsten bronzezeitlichen Tells aus dem Karpatenbecken
vorkommen befinden (Bartík 1999, 183–193; Bátora 2009, 195–219), konnten deutlich weniger vollständige Gussformen in den Siedlungen geborgen werden. So kennen wir von Včelince „Lászlófala“, Kreis Rimavská Sobota, 19 Gussformen (Furmánek/Marková 1992, Abb. 6,3; Furmánek u. a. 1999, 7–15 Abb. 2; 3) und aus der Siedlung von Košice „Barca“, Kreis Košice, neben Bronze-und Goldhorten6 auch zehn Gussformen (Novotná 1980, 184 Nr. 1503–1508 Taf. 53,1506–1508; Novotná 1983, 120 Taf. 1,1–4). Die Grabungen im Tell von Nitriansky Hrádok „Zámeček“, Kreis Nové Zámky, wo neben zwei Bronzehorten auch eine beeindruckende Anzahl von Metallgegenständen geborgen wurde (Mozsolics 1967, 144; Točík 1981, 105 Taf. CXLIX,13–25), haben sechs Gussformen ans Licht gebracht (Točík 1981, 38; 114; 119; 136; 187 Taf. LX,10; LXXX,12; CXXX,5; CLXXXVI,26; Bátora 2009, 206 Abb. 11). Von Veselé „Hradisko“, Kreis Piešt’any, kennen wir neun Gussformen (Točík 1964, 240 Abb. 28,4; Taf. XXXVII,7.8; LI,2; LII,19; LXII,13; Bartík 1995, 43 f. Abb. 2,1; 4; 6,12; 7,16). Unter den Fundorten der Bronzezeit des Karpatenbeckens, die sich weit entfernt von den Kupfervorkommen befanden und Belege für die lokale Verarbeitung der Bronze beinhalten, ist Százhalombatta „Földvár“, Kreis Pest, durch die Entdeckung von acht Gussformen bemerkenswert (Horváth 2004, 27–31 Abb. 13–16). In den Siedlungen von Tiszafüred, Kreis JászNagykun-Szolnok wurden neun Gussformen geborgen (Bóna 1960, 261–263 Taf. I–IV; Csány/Tárnoki 1992, Kat. Nr. 335), 6
Anscheinend wurden hier insgesamt vier Bronzehorte und ein Goldhort aufgefunden (Furmánek/Vladár 2006, 188 f. mit älterer Literatur).
während wir aus dem wohlbekannten Tell von Tószeg, Kreis Jász-Nagykun-Szolnok, nur sechs Gussformen kennen (Márton 1931, 38 Abb. 13; Mozsolics 1952, 47 Taf. 14,6; 18,5; Banner u. a. 1959, Abb. 9,1.2; Bóna 1992, 50). Ein anderer erwähnenswerter Aspekt ist die Tatsache dass sich, wie bereits oben bemerkt wurde, die metallurgischen Tätigkeiten der Fundorte auf die Produktion verschiedener Artefakte konzentrierte (Abb. 8). Durch die Untersuchung der Objektgruppen die in jedem der Fundorte als Negative auf den Gussformen erscheinen, kann noch genauer beobachtet werden, dass beim gegenwärtigen Forschungsstand auf dem Tell von Pecica hauptsächlich Äxte als zu gießende Formen überliefert sind (Abb. 9). Aus der bisherigen Darstellung geht hervor, dass die metallurgische Produktion sowohl in den zentralen Siedlungen in der Nähe der Metallvorkommen (wie im Fall der Tells von Pecica und den befestigten Siedlungen in der Slowakei) als auch in der ungarischen Tiefbene, in Fundorten weitab von Kupfervorkommen gelegen haben. Kann dann von einer Kontrolle der Ressourcen durch Eliten des Zentrums gesprochen werden? Aus dem angeführten Beispiel wird ersichtlich, dass das Rohmetall in die Tells der Ebene gelangte, wo es Belege für die lokale Verarbeitung von Bronze gibt. In diesem Zusammenhang können eine Reihe von Mechanismen des „ZentrumPeripherie“-Modells nicht belegt werden. Dies betriff t besonders das Monopol auf fortgeschritte Technologien (in unserem Fall die metallurgische Produktion) oder einen gewissen wirtschaftlichen und sozialen Rückstand der Peripherien, die nach dem Modell die Gebiete in der Nähe der Rohstoff vorkommen (in userem Fall Kupfer und Zinn) darstellen. Folglich kann das Modell nicht in engerem Sinn auf das Karpatenbecken in
36 der ersten Hälfte des 2. Jts. v. Chr. angewandt werden. Es gab zweifellos intensive Handelsbeziehungen, die sich wahrscheinlich entlang der großen Flüsse konzentrierte, wie es die Verteilung der Tellsiedlungen im Karpatenbecken vornehmlich entlang der Donau, der Tisza, des Mureş, des Criş und ihrer Nebenflüsse andeutet. Zum gegebenenen Zeitpunkt sind, zumindest bezogen auf die Metallurgie, nicht genügend Hinweise auf eine Beziehung im Sinne des „Zentrum-Peripherie“Typs zwischen den von den Tells vertretenen Zentren und den an Kupfervorkommen reichen Gegenden erkennbar. Folglich kann, wie am Beispiel des bronzezeitlichen Tells von Pecica „Şanţul Mare“ ersichtlich ist, das von I. Wallerstein vorgeschlagene und für die Archäologie abgewandelte „ZentrumPeripherie“-Modell auf lokaler und mikroregionaler Ebene nicht angewendet werden. . Aufgrund der wirtschaftlichen Beziehungen in der Bronzezeit (Earle 2002), sehen wir das von A. Harding entworfene Szenario als wahrscheinlicher an. Er kritisierte das „Zentrum-
Găvan/Gogâltan, Zentrum und Peripherie? Peripherie“-Modell und schrieb: „The model I prefer to adopt is one of many small ,cores‘ or centres, each locally important and each interacting with its neighbors and sometimes with areas further afield. Some of these central areas may have really acted as cores in the World Systems sense; others were primarily of local significance“ (Harding 2000, 422). Analysen von Mikroregionen des Karpatenbeckens wie das Titel-Plateau mit der Tellsiedlung von Mošorin „Feudvár“ (Falkenstein 1998, 264–277), das Bentatal mit dem Tell von Százhalombatta „Földvár“ (Earle/Kolb 2010, 69–78) oder der befestigte Siedlungshügel „Fidvár“ bei Vráble (Bátora u. a. 2008, 97–107; Bátora u. a. 2012, 111–130) weisen jedoch auch auf die Entwicklung mancher Tellsiedlungen zu „Zentralorten“ hin (Gogâltan 2010, 39 f.),7 die sowohl lokal dominierten als auch mit interregionalen Tauschpartnern vernetzt waren. Manuskriptabgabe: November 2012
7
Gegensätzliche Ausführungen bei T. L. Kienlin (2012, 296 f.).
Găvan/Gogâltan, Zentrum und Peripherie?
Literatur Banner u. a. 1959 J. Banner/I. Bóna/L. Márton, Die Ausgrabungen von L. Márton in Tószeg. Acta. Arch. Hung. 10, 1959, 1–140. Barrett 1997 J. C. Barrett, The Politics of Scale and the Experience of Distance: The Bronze Age World System. In: L. Larson/B. Stjernquist (Hrsg.), The World-View of Prehstoric Man. Papers presented at a symposium in Lund, 5–7 May 1997 (Lund 1997) 13–25. Bartík 1995 J. Bartík, Kovolejárstvo na sídlisku z doby bronzovej vo Veselom. Zbor. Muz. Bratislava 5,89, 1995, 25–46. Bartík 1999 J. Bartík, Die Metallgiesserei der Maďarovce-Kultur. In: J. Bátora/ J. Peška (Hrsg.), Aktuelle Probleme der Erforschung der Frühbronzezeit in Böhmen und Mähren und in der Slowakei (Nitra 1999) 183–193. Bátora 2009 J. Bátora, Metallurgy and Early Bronze Age fortified settlements in Slovakia. Slov. Arch. 57,2, 2009, 195–219. Bátora u. a. 2008 J. Bátora/B. Eitel/F. Falkenstein/K. Rassmann, Fidvár bei Vráble – Eine befestigte Zentralsiedlung der Frühen Bronzezeit in der Slowakei. In: J. Czebreszuk/S. Kadrow/J. Müller (Hrsg.), Defensive Structures from Central Europe to the Aegean in the 3rd and 2nd millennia BC. Studia nad pradziejami Europy środkowej 5 (Poznań, Bonn 2008) 97–107. Bátora u. a. 2012 J. Bátora/A. Behrens/J. Gresky/M. Ivanova/K. Rassmann/P. Tóth/ K. Winkelmann, The Rise and Decline of the Early Bronze Age Settlement Fidvár near Vráble, Slovakia. In: J. Kneisel/W. Kirleis/ M. Dal Corso/N. Tayler/V. Tiedtke (Hrsg.), Collapse or Continuity? Environment and Development of Bronze Age Human Landscapes. Proceedings of the International Workshop „Socio-Environmental Dynamics over the Last 12,000 Years: The Creation of Landscapes II (14th-18th March 2011)“ in Kiel. Univforsch. Prähist. Arch. 205 (Bonn 2012) 111–130. Bintliff 1997 J. Bintliff, Regional Survey, Demography, and the Rise of Complex Societies in Ancient Aegean: Core-Periphery, Neo-Malthusian, and Other Interpretative Models. Journal Field Arch. 24,1, 1997, 1–38. Bóna 1960 I. Bóna, Bronzezeitliche Schmuckgießerei in Tiszafüred Asotthalom. Annales Universitatis Scientiarum Budapestinensis de Rolando Eötvös Nominatae, Sectio Hist. 2, 1960, 261–270. Bóna 1975 I. Bóna, Die mittlere Bronzezeit Ungarns und ihre südöstlichen Beziehungen. Arch. Hung. 49 (Budapest 1975). Bóna 1992 I. Bóna, Bronzeguss und Metallbearbeitung bis zum Ende der mittleren Bronzezeit. In: W. Meier-Arendt (Hrsg.), Bronzezeit in Ungarn. Forschungen in Tell-Siedlungen an Donau und Theiss (Frankfurt a. M. 1992) 48–65. Champion 1995 a T. C. Champion (Hrsg.), Centre and Periphery. Comparative Studies in Archaeology (New York 1995). Champion 1995 b T. C. Champion, Introduction. In: T. C. Champion (Hrsg.), Centre and Periphery. Comparative Studies in Archaeology (New York 1995) 1–21. Chase-Dunn/Hall 1991 C. Chase-Dunn/T. D. Hall, Conceptualizing Core/Periphery Hierarchies for Comparative Study. In: C. Chase-Dunn/T. D. Hall (Hrsg.), Core/Periphery Relations in Pre-Capitalist Worlds (Boulder 1991) 5–44. Chase-Dunn/Hall 1993 C. Chase-Dunn/T. D. Hall, Comparing World-Systems: Concepts and Working Hypothese. Social Forces 71,4, 1993, 851–886.
37 Crişan 1978 I. H. Crişan, Ziridava. Săpăturile de la „Şanţul Mare“ din anii 1960, 1961, 1962, 1964/Ziridava. Die Ausgrabung der Jahre 1960, 1961, 1962 und 1964 vom „Şanţul Mare“ (Arad 1978). Csányi/Tárnoki 1992 M. Csányi/J. Tárnoki, Katalog der ausgestellten Funde. In: W. MeierArendt (Hrsg.), Bronzezeit in Ungarn. Forschungen in Tell-Siedlungen an Donau und Theiss (Frankfurt a. M. 1992) 175–210. Cunliffe 1993 B. Cunliffe, La Gaule et ses voisins. Le grand commerce dans l’Atlantique (Paris 1993). David 2002 W. David, Studien zu Ornamentik und Datierung der bronzezeitlichen Depotfundgruppe Hajdúsámson-Apa-Ighiel-Zajta. Bibliotheca Musei Apulensis XVIII (Alba Iulia 2002). Dietler 1995 M. Dietler, Greeks, Etruscans, and thirsty barbarians: Early Iron Age interaction in the Rhône Basin of France. In: T. C. Champion (Hrsg.), Centre and Periphery. Comparative Studies in Archaeology (New York 1995) 126–141. Dömötör 1902 L. Dömötör, A pécskai őstelepről származó öntőmintákról. Arch. Ért. 22, 1902, 271–274. Dörner 1978 E. Dörner, Istoricul cercetărilor. Geschichte der Forschung. In: I. H. Crişan, Ziridava. Săpăturile de la „Şanţul Mare“ din anii 1960, 1961, 1962, 1964/Ziridava. Die Ausgrabung der Jahre 1960, 1961, 1962 und 1964 vom „Şanţul Mare“ (Arad 1978) 16–30. DuPlessis 1988 R. DuPlessis, Wallerstein, World-Systems Analysis, and Early Modern European History. The History Teacher 21,2, 1988, 221–232. Earle 2002 T. Earle, Bronze Age Economics. The Beginnings of Political Economies (Cambridge 2002). Earle/Kolb 2010 T. Earle/M. J. Kolb, Regional Settlement Patterns. In: T. Earle/ K. Kristiansen (Hrsg.), Organizing Bronze Age Societies. The Mediterranean, Central Europe and Scandinavia Compared (Cambridge 2010) 57–86. Edens/Kohl 1993 C. M. Edens/P. L. Kohl, Trade and World Systems in Early Bronze Age Western Asia. In: C. Scarre/F. Healy (Hrsg.), Trade and Exchange in Prehistoric Europe. Proceedings of a Conference held at the University of Bristol, April 1992 (Oxford 1993) 17–35. Falkenstein 1998 F. Falkenstein, Die Siedlungsgeschichte des Titeler Plateaus. Prähist. Arch. in Südosteuropa 14 (Kiel 1998). Fischl 2003 K. P. Fischl, A Perjámos-kultúra települései. MFMÉ Stud. Arch. 9, 2003, 111–120. Foltiny 1941 I. Foltiny, A szőregi bronzkori temető. Szegedi Városi Múz. Kiadványai I,11, 1941, 1–89. Frank 1993 A. G. Frank, Bronze Age World System Cycles. Current Anthr. 34,4, 1993, 383–429. Frank 1999 A. G. Frank, Abuses and Uses of World-Systems Theory in Archaeology. In: P. N. Kardulias (Hrsg.), World-Systems Theory in Practice. Leadership, Production and Exchange (New York 1999) 275–295. Frankenstein/Rowlands 1978 S. Frankenstein/M. Rowlands, The Internal Structure and regional context of Early Iron Age society in southwestern Germany. Bull. Inst. Arch. London 15, 1978, 73–112. Furmánek/Marková 1992 V. Furmánek/K. Marková, Siedlung des Tell-Typs in Včelince. In: J. Herrmann (Hrsg.), Heinrich Schliemann. Grundlage und Ergebnisse moderner Archäologie 100 Jahre nach Schliemanns Tod (Berlin 1992) 293–303.
38 Furmánek/Vladár 2006 V. Furmánek/J. Vladár, Metallhortfunde auf dem Verfallhorizont der befestigten Siedlungen der Otomani- und Maďarovce-Kultur in der Slowakei. In: J. Kobaľ (Hrsg.), Bronzezeitliche Depotfunde – Problem der Interpretation. Materialien der Festkonferenz für Tivodor Lehoczky zum 175. Geburtstag. Ushhorod, 5.–6. Oktober 2005 (Ushhorod 2006) 184–225. Furmánek u. a. 1999 V. Furmánek/L. Illášová/K. Marková, Metallgießerei in Včelince. In: L. Mihok/E. Miroššayová (Hrsg.), Východoslovenský pravek. Special Issue. Archaeometallurgy in the Central Europe (Košice 1999) 7–15. Girić 1971 M. Girić, Mokrin, nekropola ranog bronzanog doba. Mokrin the early bronze age necropolis, Diss. et Monogr./Arh. Društvo Jugoslav. 11(Beograd 1971) 29–237. Girić 1984 M. Girić, Die Maros (Moriš, Mureş) – Kultur. In: N. Tasić (Hrsg.), Kulturen der Frühbronzezeit des Karpatenbeckens und Nordbalkans (Beograd 1984) 33–58. Gogâltan 1999 F. Gogâltan, Bronzul timpuriu şi mijlociu în Banatul românesc şi pe cursul inferior al Mureşului. I. Cronologia şi descoperirile de metal (Timişoara 1999). Gogâltan 2004 F. Gogâltan, Bronzul mijlociu în Banat. Opinii privind grupul Corneşti-Crvenka. In: P. Rogozea/V. Cedică (Red.), Festschrift für Florin Medeleţ. Zum 60. Geburtstag (Timişoara 2004) 79–153. Gogâltan 2010 F. Gogâltan, Die Tells und der Urbanisierungsprozess. In: B. Horejs/ T. L. Kienlin (Hrsg.), Siedlung und Handwerk. Studien zu sozialen Kontexten in der Bronzezeit. Beiträge zu den Sitzungen der Arbeitsgemeinschaft Bronzezeit auf der Jahrestagung des Nordwestdeutschen Verbandes für Altertumsforschung in Schleswig 2007 und auf dem Deutschen Archäologenkongress in Mannheim 2008. Univforsch. Prähist. Arch. 194 (Bonn 2010) 13–46. Govedarica 2009 B. Govedarica, Zentrum und Peripherie im 5. Jahrtausend v. Chr.: Zur Entstehung und Ausbreitung der europäischen Kupferzeit. In: J. Apakidze/B. Govedarica/B. Hänsel (Hrsg.), Der Schwarzmeerraum vom Äneolithikum bis in die Früheisenzeit (5000–5000 v. Chr.). Kommunikationsebene zwischen Kaukasus und Karpaten. Internationale Fachtagung von Humboldtianern für Humboltianer im Humboldt-Kolleg in Tiflis/Georgien (17.–20. Mai 2007). Prähist. Arch. Südosteuropa 25 (Rahden/West. 2009) 60–73. Hall 1998 T. D. Hall, The Effects of Incorporation into World-Systems on Ethnic Processes: Lessons from the Ancient World for the Contemporary World. Internat. Political Scien. Rev. 19,3, 1998, 251–267. Hall 1999 T. D. Hall, World Systems and Evolution: An Appraisal. In: P. N. Kardulias (Hrsg.), World-Systems Theory in Practice. Leadership, Production and Exchange (New York 1999) 1–25. Hall u. a. 2011 T. D. Hall/P. N. Kardulias/Ch. Chase-Dunn, World-Systems Analysis and Archaeology: Continuing the Dialogue. Journal Arch. Research 19, 2011, 233–279. Hänsel/Medović 1991 B. Hänsel/P. Medović, Vorbericht über die jugoslawisch-deutschen Ausgrabungen in der Siedlung von Feudvar bei Mošorin (Gem. Titel, Vojvodina) von 1986–1990. Bronzezeit-Vorrömische Eisenzeit. Ber. RGK 72, 1991, 71–83. Hänsel/Medović 2004 B. Hänsel/P. Medović, Eine Bronzegießerwerkstatt der Frühen Bronzezeit in Feudvar bei Mošorin in der Vojvodina. In: B. Hänsel (Hrsg.), Parerga Praehistorica. Jubiläumsschrift zur Prähistorischen Archäologie. 15 Jahre UPA. Univforsch. Prähist. Arch. (Bonn 2004) 83–111. Harding 1993 A. F. Harding, Europe and the Mediterranean in the Bronze Age: Cores and Peripheries. In: C. Scarre/F. Healy (Hrsg.), Trade and Exchange in Prehistoric Europe. Proceedings of a Conference held at the University of Bristol, April 1992 (Oxford 1993) 153–159.
Găvan/Gogâltan, Zentrum und Peripherie? Harding 2000 A. F. Harding, European Societies in the Bronze Age (Cambridge 2000). Hedeager 1987 L. Hedeager, Empire, frontier, and the barbarian hinterland: Rome and northern Europe from AD 1–400. In: M. Rowlands/M. Larsen/K. Kristiansen (Hrsg.), Centre and Periphery in the Ancient World (Cambridge 1987) 125–141. Horváth 2004 T. Horváth, Néhány, megjegyzés a vatyai kultúra fémművességéheztechnológiai megfigyelések a kultúra kőeszközein. Comm. Arch. Hung. 2004, 11–64. Hurezan u. a. 2007 G. P. Hurezan/F. Draşovean/A. Szentmiklosi/J. M. O’Shea/S. Sherwood/A. Barker, Pecica, jud. Arad. Punct: Şanţul Mare. Cod sit: 11593.01. In: Cronica cercetărilor arheologice din Romania: campania 2006 (Bucureşti 2007) 262–264. Hurezan u. a. 2008 G. P. Hurezan/F. Draşovean/A. Szentmiklosi/J. M. O’Shea/S. Sherwood/A. Barker, Pecica, jud. Arad. Punct: Şanţul Mare. Cod sit: 11593.01. In: Cronica cercetărilor arheologice din Romania: campania 2007 (Bucureşti 2008) 222–224. Hurezan u. a. 2009 G. P. Hurezan/F. Draşovean/A. Szentmiklosi/J. M. O’Shea/A. Barker/S. Sherwood, Pecica, jud. Arad. Punct: Şanţul Mare. Cod sit: 11593.01. Cronica cercetărilor arheologice din Romania: campania 2008 (Bucureşti 2009) 166–169. Jaeger/Czebreszuk 2010 M. Jaeger/J. Czebreszuk, Does a periphery look like that? The Cultural Landscape of the Unetice Culture’s Kościan Group. In: Landscapes and Human Development: The Contribution of European Archaeology. Proceedings of the International Workshop „Socio-Environmental Dynamics over the Last 12,000 Years: The Creation of Landscapes (1st-4th April 2009). Univforsch. Prähist. Arch. 191 (Bonn 2010) 217–235. Jovanović 1972 B. Jovanović, Metalno oruđe i oružje ranog bronzanog doba Vojvodine. Metal tools and arms of Early Bronze Age in Voivodina. In: Mokrin II, nekropola ranog bronzanog doba. Mokrin II, the early bronze age necropolis. Diss. et Monogr. 12 (Beograd 1972) 29–41. Kardulias 1999 a P. N. Kardulias (Hrsg.), World-Systems Theory in Practice. Leadership, Production and Exchange (New York 1999). Kardulias 1999 b P. N. Kardulias, Multiple Levels in the Aegean Bronze Age World-System. In: P. N. Kardulias (Hrsg.), World-Systems Theory in Practice. Leadership, Production and Exchange (New York 1999) 179–201. Kienlin 2012 T. L. Kienlin, Patterns of Change, or: Perceptions Deceived? Comments on the Interpretation of Late Neolithic and Bronze Age Tell Settlement in the Carpathian Basin. In: T. L. Kienlin/A. Zimmermann (Hrsg.), Beyond Elites. Alternatives to Hierarchical Systems in Modelling Social Formations. International Conference at the RuhrUniversität Bochum, Germany, October 22–24, 2009. Univforsch. Prähist. Arch. 215 (Bonn 2012) 251–310. Kilian-Dirlmeier 1975 I. Kilian-Dirlmeier, Gürtelhaken, Gürtelbleche und Blechgürtel der Bronzezeit in Mitteleuropa. PBF 12,2 (München 1975). Kohl 1987 P. Kohl, The ancient economy, transferable technologies and the Bronze Age world-system: a view from the northeastern frontier of the Ancient Near East. In: M. Rowlands/M. Larsen/K. Kristiansen (Hrsg.), Centre and Periphery in the Ancient World. New Directions in Archaeology (Cambridge 1987) 13–24. Kohl 1989 P. Kohl, The use and abuse of world systems theory: the case of the „pristine“ West Asian state. In: C. C. Lamberg-Karlovsky (Hrsg.), Archaeological thought in America (Cambridge 1989) 218–240.
Găvan/Gogâltan, Zentrum und Peripherie? Kohl 1992 P. Kohl, The Transcaucasian ‚Periphery‘ in the Bronze Age – A Preliminary Formulation. In: E. M. Schortman/P. A. Urban (Hrsg.), Resources, Power, and Interregional Interaction. Interdisciplinary contributions to archaeology (New York 1992) 117–137. Kristiansen 1987 K. Kristiansen, Center and Periphery in Bronze Age Scandinavia. In: M. Rowlands/M. Larsen/K. Kristiansen (Hrsg.), Centre and Periphery in the Ancient World. New Directions in Archaeology (Cambridge 1987) 74–85. Kristiansen 1993 K. Kristiansen, From Villanova to Seddin: The Reconstruction of an Elite Exchange Network during the Eight Century BC. In: C. Scarre/ F. Healy (Hrsg.), Trade and Exchange in Prehistoric Europe. Proceedings of a Conference held at the University of Bristol, April 1992. Oxbow Monogr. 33 (Oxford 1993) 143–152. Kristiansen 1994 K. Kristiansen, The emergence of the European World System in the Bronze Age: Divergence, Convergence and Social Evolution during the First and Second Millennia BC in Europe. In: K. Kristiansen/J. Jensen (Hrsg.), Europe in the First Millennium BC. Sheffield Arch. Monogr. 6 (Sheffield 1994) 7–31. Kristiansen 1998 K. Kristiansen, Europe before history, New studies in Archaeology (Cambridge 1998). Kristiansen/Larsson 2005 K. Kristiansen/T. B. Larsson, The Rise of Bronze Age Society. Travels, Transmissions and Transformations (Cambridge 2005). Kümmel 2001 Ch. Kümmel, Frühe Weltsysteme. Zentrum und Peripherie – Modelle in der Archäologie, Tübinger Texte 4 (Rahden/Westf. 2001). Larsen 1987 M. T. Larsen, Commercial networks in the Ancient Near East. In: M. Rowlands/M. Larsen/K. Kristiansen (Hrsg.), Centre and Periphery in the Ancient World. New Directions in Archaeology (Cambridge 1987) 47–56. Márton 1931 L. Márton, Dolchstäbe aus Ungarn. Prähist. Zeitschr. 22, 1931, 18–40. Meier-Arendt 1992 W. Meier-Arendt (Hrsg.), Bronzezeit in Ungarn. Forschungen in TellSiedlungen an Donau und Theiss (Frankfurt a. M. 1992). Morris 1999 I. Morris, Negotiated Peripheriality in Iron Age Greece: Accepting and Resisting the East. In: P. N. Kardulias (Hrsg.), World-Systems Theory in Practice. Leadership, Production and Exchange (New York 1999) 63–84. Mozsolics 1952 A. Mozsolics, Die Ausgrabungen in Tószeg im Jahre 1948. Acta. Arch. Hung. 2, 1952, 35–69. Mozsolics 1967 A. Mozsolics, Bronzefunde des Karpatenbeckens. Depotfundhorizonte von Hajdúsámson und Kosziderpadlás (Budapest 1967). Novotná 1980 M. Novotná, Die Nadeln in der Slowakei. PBF 13,6 (München 1980). Novotná 1983 M. Novotná, Metalurgia opevnených osád. Arch. Rozhl. 35, 1983, 63–71. O’Shea 1996 J. O’Shea, Villagers of the Maros. A Portrait of an Early Bronze Age Society. Interdisciplinary contributions to archaeology (New York 1996). O’Shea 2011 J. O’Shea, A River Runs Th rough It: Landscape and the Evolution of Bronze Age Networks in the Carpathian Basin. Journal World Prehist. 24, 2011, 161–174. O’Shea u. a. 2005 J. O’Shea/A. W. Barker/S. Sherwood/A. Szentmiklosi, New Archaeological Investigations at Pecica – Şanţul Mare. Analele Banatului 12–13, 2004–2005 (2005) 81–109.
39 O’Shea u. a. 2006 J. O’ Shea/A. W. Barker/A. Nicodemus/S. Sherwood/A. Szentmiklosi, Archaeological Investigations at Pecica „Şanţul Mare“: The 2006 Campaign. Analele Banatului 14, 2006, 211–227. O‘Shea u. a. 2011 J. O’Shea/A. W. Barker/L. Motta/A. Szentmiklosi, Archaeological Investigations at Pecica „Şanţul Mare” 2006-2009. Analele Banatului 19, 2011, 67–78. Popescu 1944 a D. Popescu, Die frühe und mittlere Bronzezeit in Siebenbürgen. Bibliotheca Muz. Nat. Ant. 2 (Bucureşti 1944). Popescu 1944 b D. Popescu, Raport asupra săpăturilor arheologice de la Pecica – Rovine şi Semlac (jud. Arad). In: Raport asupra activităţii ştiinţifice a Muzeului Naţional de Antichităţi în anii 1942 şi 1943 (Bucureşti 1944) 71–73. Ratnagar 2001 S. Ratnagar, The Bronze Age: Unique Instance of a Pre-Industrial World System? Current Anthr. 42,3, 2001, 351–379. Rădulescu/Dimitrescu 1966 D. Rădulescu/R. Dimitrescu, Mineralogia topografică a României (Bucureşti 1966). Renfrew/Bahn 1991 C. Renfrew/P. Bahn, Archaeology: Theories, Methods and Practice (London 1991). Říhovský 1992 J. Říhovský, Die Äxte, Beile, Meißel und Hämmer in Mähren. PBF 9,17 (Stuttgart 1992). Roska 1912 M. Roska, Ásatás a pécska-szemláki határban levő Nagy Sánczon. Dolg. Erdélyi Nemzeti Muz. 3, 1912, 1–73. Roska 1924 M. Roska, Recherches préhistoriques pendant l’année 1924. Dacia 1, 1924, 297–316. Rowlands 1987 M. Rowlands, Centre and periphery: a review of a concept. In: M. Rowlands/M. Larsen/K. Kristiansen (Hrsg.), Centre and Periphery in the Ancient World. New Directions in Archaeology (Cambridge 1987) 1–11. Santley/Alexander 1992 R. S. Santley/R. T. Alexander, The political economy of Core-Periphery Systems. In: E. M. Schortman/P. A. Urban (Hrsg.), Resources, Power, and Interregional Interaction. Interdisciplinary contributions to archaeology (New York 1992) 23–51. Scarre/Healy 1993 C. Scarre/F. Healy (Hrsg.), Trade and Exchange in Prehistoric Europe. Proceedings of a Conference held at the University of Bristol, April 1992. Oxbow Monogr. 33 (Oxford 1993). Schneider 1977 J. Schneider, Was There a Pre-Capitalist World-System? Peasant Stud. 6, 1977, 20–29. Schortman/Urban 1992 E. M. Schortman/P. A. Urban, The Political Value of Imports. In: E. M. Schortman/P. A. Urban (Hrsg.), Resources, Power, and Interregional Interaction (New York 1992) 153–155. Schortman/Urban 1999 E. M. Schortman/P. A. Urban, Thoughts on the Periphery. The Ideological Consequences of Core/Periphery Relations. In: P. N. Kardulias (Hrsg.), World-Systems Theory in Practice. Leadership, Production and Exchange (New York 1999) 125–151. Shennan 1993 S. Shennan, Commodities, transactions, and growth in the CentralEuropean Early Bronze Age. Journal European Arch. 1,2, 1993, 59–72. Sherratt 1993 a A. Sherratt, What would a Bronze-Age world-system look like? Relations between temperate Europe and the Mediterranean in later prehistory. Journal European Arch. 1,2, 1993, 1–58.
40 Sherratt 1993 b A. Sherratt, Who are you calling peripheral? Dependence and independence in European prehistory. In: C. Scarre/F. Healy (Hrsg.), Trade and Exchange in Prehistoric Europe. Proceedings of a Conference held at the University of Bristol, April 1992. Oxbow Monogr. 33 (Oxford 1993) 245–255. Sherratt/Sherratt 1991 A. G. Sherratt/E. S. Sherratt, From Luxuries to Commodities: The Nature of Mediterranean Bronze Age Trading Systems. In: N. H. Gale (Hrsg.), Bronze Age Trade in the Mediterranean. Papers presented at the Conference held at Rewley House, Oxford, in December 1989. Stud. Mediterran. Arch. 90 (Jonsered 1991) 351–386. Soroceanu 1977 T. Soroceanu, Beiträge zur Bronzezeit am Unterlauf der Mureş. Dacia N. S. 21, 1977, 55–79. Soroceanu 1982 T. Soroceanu, Pecica – eine bronzezeitliche Siedlung in Westrumänien. In: B. Hänsel (Hrsg.), Südosteuropa zwischen 1600 und 1000 v. Chr. Prähist. Arch. Südosteuropa 1 (Berlin 1982) 353–369. Soroceanu 1991 T. Soroceanu, Studien zur Mureş-Kultur. Internat. Arch. 7 (Buch am Erlbach 1991). Szabó u. a. 1999 J. J. Szabó/L. Bartosiewicz/F. Szalai/I. Takács, Früh- und mittelbronzezeitliche Gräberfelder von Battonya. Inventaria Praehist. Hung. 8 (Budapest 1999). Stein 1999 G. J. Stein, Rethinking World-Systems: Power, Distance and Diasporas in the Dynamics of Interragional Interaction. In: P. N. Kardulias (Hrsg.), World-Systems Theory in Practice. Leadership, Production and Exchange (New York 1999) 153–177. Stoddart 1995 S. Stoddart, Divergent trajectories in central Italy 1200–500 BC. In: T. C. Champion (Hrsg.), Centre and Periphery. Comparative Studies in Archaeology. One World Arch. 11 (New York 1995) 89–99. Theune 2008 C. Theune, Zentrum und Peripherie – Aussagemöglichkeiten zum mittelalterlichen Handwerk aufgrund archäologischer Quellen. In: W. Melzer (Hrsg.), Archäologie und mittelalterliches Handwerk – Eine Standortbestimmung. Beiträge des 10. Kolloquiums des Arbeitskreises zur archäologischen Erforschung des mittelalterlichen Handwerks. Soester Beitr. Arch. 9 (Soest 2008) 13–26. Točík 1964 A. Točík, Befestigte bronzezeitliche Ansiedlung in Veselé. Štud. Zvesti Arch. Ústavu 12, 1964, 187–291. Točík 1981 A. Točík, Nitriansky Hrádok-Zámeček. Bronzezeitliche Befestigte Ansiedlung der Madarovce Kultur. Mat. Arch. Slov. 3 (Nitra 1981). Vulpe 1970 A. Vulpe, Äxte und Beile in Rumänien I. PBF 9,2 (München 1970). Vulpe 2001 A. Vulpe, Perioada mijlocie a epocii bronzului. In: M. Petrescu-Dîmboviţa/A. Vulpe (Hrsg.), Moştenirea timpurilor îndepărtate. Istoria românilor, Vol. I. (Bucureşti 2001) 247–272. Wallerstein 1974 I. Wallerstein, The Modern World System. Capitalist Agriculture and the Origins of the European World-Economy (New York 1974). Wallerstein 1980 I. Wallerstein, The Modern World System II: Mercantilism and the Consolidation of the European World-Economy 1600–1750. (New York 1980). Wallerstein 2004 I. Wallerstein, World-System Analysis: an introduction (Durham 2004). Watkins 2008 T. Watkins, Supra-Regional Networks in the Neolithic of Southwest Asia. Journal World Prehist. 21,2, 2008, 139–171.
Găvan/Gogâltan, Zentrum und Peripherie?
Abbildungsnachweis 1, 5–9: Autoren. – 2: bearbeitet nach Bintliff 1997. – 3: nach Gogâltan 1999, Abb. 14,1; 23,1.2.4.5; 25,3.4; 31,4.6; 32,1.4–6; 41,2. – 4: nach Gogâltan 1999, Abb. 9,3–5; 10; 11; 16–18; 20,4; 22,4; 24; 38,1–3
Anschriften Alexandra Găvan, Rumänische Akademie, Institut fur Archäologie und Kunstgeschichte, Strada M. Kogălniceanu nr. 12–14, 400084 ClujNapoca, Rumänien
[email protected] Florin Gogâltan, Rumänische Akademie, Institut für Archäologie und Kunstgeschichte, Strada M. Kogălniceanu nr. 12–14, 400084 Cluj-Napoca, Rumänien
[email protected]
41
Martin Hensler
Überlegungen zur frühbronzezeitlichen Kupferdistribution am Beispiel der Ösenringe Zusammenfassung
Über die Ösenringe
Frühbronzezeitliche Ösenringbarren werden teilweise als die Verbreitungsform bestimmter Rohkupfersorten angesehen. Auch wenn sie scheinbar nicht in allen Regionen zu anderen Objekten umgeschmolzen wurden, so ist ihr Verbreitungsgebiet doch mit dem spezifischer Kupfersorten beinahe deckungsgleich. Die Entstehung dieser Distributionsmuster wird als Ergebnis von Konsumverhalten angesehen. Durch die Analyse des Konsums und seiner Muster wird über die erkennbaren Kriterien auf die Bedürfnisse hinter den Handlungen geschlossen. Aus dieser Perspektive sind nicht nur die Erzeuger und das Angebot, sondern auch die Konsumenten mit gezielter Nachfrage für das Entstehen der Verteilungsmuster verantwortlich.
Gegenstand der Studie sind die Ösenringe der Frühbronzezeit Mitteleuropas. Sie standen bereits im Fokus zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten (z. B. Butler 2002; Eckel 1992; Junk 2003; Krause 2003; Krenn-Leeb 2008; 2010; 2011; Lenerz-de Wilde 1995; 2002; 2011; Menke 1978/79; Möslein 2008; Vandkilde 2005). Dennoch sollen kurz ihre wesentlichen Charakteristika geschildert werden. Unter diese Typbezeichnung fallen offene Ringe, deren Enden breitgeschlagen und nach außen zu Ösen eingerollt wurden. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich von Ostfrankreich nach Ungarn und von Oberitalien bis an die Ostsee. Kerngebiete ihrer Verbreitung liegen im östlichen Alpenvorland und Böhmen. Einige Funde aus dem Vorderen Orient werden ebenfalls den Ösenringen zugeordnet. Diese Gegenstände werden hier bewusst beiseitegelassen. Betrachtet man die Fundzusammenhänge, so zeigen sich regionale Unterschiede. Im südlichen Teil des Verbreitungsgebiets, Südbayern, Südböhmen und in den südlich der Donau gelegenen Teilen Österreichs herrschen reine Horte vor, die nur Ösenringe enthalten. Weiter nördlich, in Mähren, der Slowakei und Nordböhmen treten diese Depots gemeinsam mit gemischten Ensembles auf. Nördlich des Erzgebirges, beiderseits der heutigen deutsch-polnischen Grenze, dominieren die gemischten Horte, die an persönliche Ausstattungen, teils auch die von S. Hansen (2002) herausgearbeitete Überausstattung, erinnern. Im Folgenden soll der Begriff „Ausstattungshort“ als Umschreibung der Zusammensetzung eines Ensembles gebraucht werden, ohne jedoch eine Interpretation hinsichtlich des Anlasses der Niederlegung zu beinhalten. Gesicherte Grabfunde mit Ösenringen sind überwiegend entlang der Donau belegt. In den nördlichen Bereichen des Untersuchungsraumes kommen sie eher selten vor. Bei den Bestatteten handelt es sich, mit regionalen Unterschieden, um Frauen, Kinder und Männer (z. B. Lenerz-de Wilde 1995, 267–269). Die Beigabe von Ösenringen in Kindergräbern wurde bereits mit einer eventuellen Erblichkeit von bestimmten Funktionen und Rollen innerhalb der Gesellschaft in Verbindung gebracht (z. B. Mitscha-Märheim 1929, 188). M. Bösel stellt die Ösenringe in einen direkten Zusammenhang mit der Statusrepräsentation und sieht Anzeichen für den Versuch der Statusvererbung in frühbronzezeitlichen Gräbern (Bösel 2008, 102–104). Der Gedanke der Vererbung von bestimmten Positionen in sozialen Gefügen wird ebenfalls von anderen Wissenschaftlern thematisiert (Parkinson/Gyucha 2012, 246 f.). Neben den offensichtlich als Halsschmuck getragenen Ösenhalsringen, deren Trageweise durch die Sitte der Körperbestattung gut belegt ist (z. B. Neugebauer/Neugebauer 1997 Verf. 47, 110, 130, 143 und weitere; Novotná 1984, 6), sind meist
Einleitung Ein großer Teil der frühbronzezeitlichen Metallfunde ist einigen wenigen Objektgruppen zuzuordnen. Dabei handelt es sich um Beile, Ringe und Spangenbarren. Die Funktion dieser Gegenstände wird bis heute kontrovers diskutiert. Das Spektrum der aktuellen und forschungsgeschichtlichen Interpretationsansätze ist sehr vielfältig und reicht von schon beinahe industriell produzierten Gebrauchsformen oder deren Halbfertigprodukten (z. B. Butler 2002) über die Verteilungsformen für Rohkupfer (z. B. Shennan 1999) bis zur Deutung als prämonetäre Zahlungsmittel (z. B. Lenerz-de Wilde 1995). Abhängig von der Meinung zu den Artefakten werden auch die Hortfunde, in denen sie überwiegend überliefert sind, unterschiedlich angesprochen. Schlagwörter sind in diesem Zusammenhang: profan (z. B. Butler 2002) und sakral (z. B. Hänsel 1997; Innerhofer 1997). Neuere Ansätze in diesem Diskurs um die Hortfunddeutung beschäftigen sich hingegen mit der Funktion der Ringe innerhalb der Gesellschaft und deren Zusammenleben sowie der Interaktion von Personen mit den Objekten (Ballmer 2010; Fontijn 2002; Krenn-Leeb 2008; 2010; 2011; Vandkilde 2005). Am Beispiel der Ösenringe wird ein neuer Ansatz vorgestellt, mit dem diesem Denkmuster gefolgt wird.8 Das Ziel ist es, die Verteilung von Kupfer in Form der Ösenringe nicht nur anhand von Lagerstättensignaturen, sondern aus der Sicht des Konsumenten zu untersuchen.
8
Dieser Aufsatz basiert auf der in Arbeit befindlichen Dissertation „Kupferdistributionssysteme (Metallugieketten) in Alpen und Westkarpaten“ des Autors. Sie wird im Rahmen des Graduiertenkollegs „Wert und Äquivalent“ an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M. verfasst.
42
Hensler, Frühbronzezeitliche Kupferdistribution
weitere Objekte in den Gräbern enthalten. Diese Ausstattungen sind als überdurchschnittlich aufwendig zu bezeichnen, doch setzen sie die Bestatteten mit Ösenringen nicht im gleichen Maße von denen der übrigen Toten ab, wie es beispielsweise bei dem Grab von Leubingen der Fall ist (vgl. Hansen 2002, 151 f.). Zeitlich verteilen sich die Ösenringe auf die Frühbronzezeit. Während sie in Gräbern bereits früh in der Stufe Bz A1 aufgetreten sein dürften, manche Formen oder Vorformen dieser Quellengattung werden bereits in das ausgehende Neolithikum datiert (Novotná 1984, 9; Vasić 2010, 14), traten sie in den Horten erst im Verlauf der Stufe Bz A1 in Erscheinung (Lenerz-de Wilde 1995, 288; Möslein 2008, 110 f.). In einigen Regionen wurden sie noch bis in die jüngere Bronzezeit deponiert (Gedl 2002, 21). Auf den ersten Blick erscheinen die Ringe sehr einheitlich. Im Schnitt beträgt der äußere Durchmesser, an der breitesten Stelle etwa parallel zur Öffnung gemessen (Abb. 1), ungefähr 16 cm. Die Stabkörper haben etwa eine Dicke von 1 cm, ihre Querschnitte sind unterschiedlich geformt. Als Ideal wird eine runde Gestalt angenommen, doch treten häufig D-förmige, vieleckige und teils amorphe Ausprägungen auf. Ebenso unterschiedlich ist die Beschaffenheit der Oberfläche. Teilweise ist sie glatt und sauber überarbeitet, doch gibt es zahlreiche Exemplare, die einen unfertigen Eindruck hinterlassen, der unter anderem auf Unebenheiten und Gussfehlern beruht. Aufgrund dieser Unterschiede sowie dem verschiedenartigen Vorkommen in Horten und Gräbern, wobei die scheinbar fertigen Ringe überwiegend in Gräbern und teilweise in Horten vorkommen, die grob und schlecht gearbeiteten sich jedoch auf die Horte beschränken, wird das Fundaufkommen in zwei Formen, die Ösenhalsringe und die Ösenringbarren, unterteilt.9 Diese Unterscheidung zeigt sich auch in weiteren Aspekten. M. Lenerz-de Wilde (1995) machte deutlich, dass die Gewichte der Ösenringe nicht nur regionale Charakteristika aufweisen, sondern jene aus Gräbern wesentlich leichter sind als solche aus Horten. Vergleichbar deutlich ist der Unterschied hinsichtlich der Metallzusammensetzung der Ösenringe. Ösenringbarren bestehen hauptsächlich aus Varianten des Ösenringkupfers und des ostalpinen Kupfers. Analysen der Ösenhalsringe aus Gräbern erbrachten hingegen häufig weitere Kupfersorten, teils regionaler Prägung, beispielsweise Kupfer vom Singener Typ (Krause 2003, 172–175). Allein diese Ergebnisse zeigen bereits, dass die Meinung, es handle sich bei den Ösenringbarren um Halbfertigprodukte und bei den entsprechenden Horten um Vorräte an Werkstücken (Buttler 2002, 240 f.) aufgegeben werden kann. Unstrittig ist die Verwendung der Ösenhalsringe als Schmuck, doch stehen sie mit der Barrenform nur in einer formalen, nicht in einer funktionalen Beziehung. Ein weiterer monofunktionaler Ansatz kann aufgrund der Materialuntersuchungen ebenso entkräftet werden.
9
In dieser Arbeit wird „Ösenringe“ als allgemeiner Oberbegriff benutzt. Mit dem Begriff „Ösenhalsringe“ werden überwiegend die gut überarbeiteten Ringe bezeichnet, während „Ösenringbarren“ die groben und unfertigen Stücke beschreibt.
Abb. 1: Maßstabsgetreue Skizze eines Ösenringbarrens mit Darstellung des Durchmessers
R. Krause hat gezeigt, dass das Ösenringkupfer als Werkstoff in seiner Verbreitung weitgehend an das Vorkommen von Ösenringen gebunden ist. Des Weiteren verdeutlicht er das gemeinsame Auftreten von Ösenringen aus Ösenringkupfer und anderen Objekten aus dem gleichen Metall in regionalspezifischen Kontexten, weist aber auch auf die Tatsache hin, dass dies nicht auf alle Regionen zutriff t. Sowohl in Südbayern als auch in Teilen Böhmens wurden Ösenringe nicht zu anderen Gegenständen umgeschmolzen, zumindest nicht ohne das Kupfer so stark zu legieren, dass es nach dem gängigen Kriterienkatalog nicht mehr als klassisches Ösenringkupfer gelten würde (Krause 2003, 163–166). Die Frage, ob es sich bei den Materialsorten um herkunftsbedingte Variationen oder um möglicherweise gezielt erstellte Legierungen handelt, ist noch nicht hinreichend beantwortet (vgl. hierzu u. a. Eckel 1992, 30; Krause 2003, 205; Krause/Pernicka 1998, 225). Eine Verwendung der Ösenringe und anderer frühbronzezeitlicher Objekte als prämonetäre Zahlungsmittel wurde bereits vor dem Aufsatz von M. Lenerz-de Wilde (1995; 2002; 2011) in Betracht gezogen (z. B. von Brunn 1947, 258; Coblenz 1945– 1950, 45; Much 1880). Erst diese Arbeit erbrachte allerdings den Nachweis einer gleichförmigen Verteilung der Ringgewichte um bestimmte Werte. Diese scheinbare Standardisierung legt, gemeinsam mit dem unfertigen Erscheinungsbild und der großen Zahl, eine Benennung als Zahlungsmittel nahe (Lenerz-de Wilde 1995, 232). Aus einer methodischen Perspektive sind diese Beobachtungen sicherlich korrekt und reproduzierbar. Zudem gewinnt die Theorie gerade durch den multiplen Deutungsansatz, in welchem auch in Betracht gezogen wird, dass Ösenringe in einer Region oder Zeitstufe als Zahlungsmittel, in einer anderen aber zudem als Rohmaterialträger oder Symbol funktioniert haben können, an Überzeugungskraft. Bei der Rekonstruktion des Entstehungsprozesses der Ösenringe verweist Lenerz-de Wilde auf die handwerkliche Praxis der Vergangenheit, wonach eine beliebte Schmuckform von Handwerkern aus rationalen Gründen als Verhandlungsform aufgegriffen wurde und sich durch Abstraktion vom ursprünglichen Schmuckstück zum Zahlungsmittel entwickelte (Lenerz-de Wilde 2002, 4). Allerdings kann ange-
Hensler, Frühbronzezeitliche Kupferdistribution
43
Abb. 2: Histogramm der Durchmesser süddeutscher Barrenringe in 0,5 cm Schritten
zweifelt werden, ob es sich bei der Standardisierung tatsächlich um eine Normierung des Gewichts und Ausdruck eines Gewichtssystems handelt, wie sie vorschlägt (Lenerz-de Wilde 1995, 320 f.). Ihrer Ansicht nach ist die vordergründig dominante Wertkomponente der Materialwert, die Masse oder das Volumen an Kupfer nach dem normiert wurde. Triff t dieser Gedanke zu, so wäre die Form der Ringe nebensächlich gewesen, lediglich ein Rudiment aus der vorherigen Funktion und hätte nur dem Erkennen des Zahlungsmittels gedient. Weitere Besonderheiten im Auftreten der Ösenringe werden als Hinweis auf eine ebensolche Rolle des Gewichts angesehen. Dabei handelt es sich in erster Linie um Gewichtskorrekturen an einzelnen Barren,10 um Bündel ähnlichen Gewichts in Horten (Winghart 1990, 42–44) und das Auftreten von Barren mit dem Doppelten des Standardgewichts (Neugebauer 2002, 38). Die Interpretation der Manschetten und Umwicklungen als Gewichtskorrektur ist aber weiterhin umstritten (Menke 1978/79, 18; Moucha 2005, 31). Bündelungen wie in Grub, Kr. Miesbach (Winghart 1990), sind nur selten verlässlich dokumentiert und die entsprechenden Gewichte nur in Einzelfällen bekannt. Zudem zeigt die Dopplung des Standardgewichts kein Gewichtssystem. Es handelt sich dabei um das einfachste Vielfache und dürfte ohne ein grundlegendes Gewichtssystem herzustellen und naheliegend gewesen sein. Dass sich die Standardisierung nicht nur am Gewicht orientiert hat, zeigt eine einfache statistische Analyse der Durchmesser, die in Zukunft noch um weitere Aspekte und Merk-
male der Ösenringe erweitert werden soll. Histogramme der Ringdurchmesser,11 zeigen Ergebnisse, die denen Lenerz-de Wildes zu den Gewichten stark ähneln. Die größte Konzentration an Ringen zeigt sich in einem Bereich um 16 cm und fällt nach beiden Seiten etwa gleichmäßig ab. Dies spricht für einen bei der Herstellung anvisierten Wert von ungefähr 16 cm. Wie schon bei den Gewichten zeigen sich auch bei den Durchmessern regionalspezifische Ausprägungen. Süddeutschland (Abb. 2) und Niederösterreich (Abb. 3) weisen sehr ähnliche Verteilungsmuster auf, die dem Ideal einer beidseitig gleich abfallenden Verteilung mit einem Maximum bei 16 cm sehr nahe kommen. Im Gegensatz dazu hat das Schaubild für Polen (Abb. 4) eine andere Gestalt. Auch hier ist eine Konzentration der Werte im Bereich um 16 cm erkennbar, doch ist die Wertstreuung wesentlich breiter und zu dem Bereich mit kleinerem Durchmesser hin verschoben. Damit ähnelt das Bild eher dem der Ringe aus Gräbern (Abb. 5). Hier weisen die Ösenringe keine einheitlichen Werte auf. Zwar zeigt sich bei diesen eine Konzentration um 16,5 cm, doch gibt es weitere ähnlich häufig auftretende Werte und Wertbereiche. Diese Unterschiede können auch bei den statistischen Kenngrößen Mittelwert und Standardabweichung beobachtet werden (Tab. 1). Bereits bezüglich der Gewichte unterscheiden sich die Histogramme von Ringwerten aus Hortfunden und Gräbern in gleicher Art (Lenerz-de Wilde 1995, 267–269). Somit wird die Möglichkeit zur Differenzierung der Ösenringbarren und der Ösenhalsringe nach ihrer Gestalt offensicht-
10 Tritt insgesamt häufiger bei den jüngeren, jedoch vergleichbar gedeuteten Spangenbarren auf (Möslein 1996, 55; 2008, 113).
11 Datenerhebung erfolgte nach obiger Definition.
44
Hensler, Frühbronzezeitliche Kupferdistribution
Abb. 3: Histogramm der Durchmesser niederösterreichischer und burgenländischer Barrenringe in 0,5 cm-Schritten
lich. Des Weiteren verdeutlicht dies, dass die Ösenringbarren nicht nur nach dem Gewicht, sondern auch nach dem Durchmesser standardisiert waren. Möglicherweise gibt es eine Abhängigkeit von Gewicht und Durchmesser oder Form allgemein. In diesem Fall erscheint es wahrscheinlich, dass das standardisierte Gewicht aus der vereinheitlichten Form resultiert. Die ältesten Belege für das Wiegen von Materialien in Mitteleuropa sind wesentlich jünger, was die Verwendung von Waagen in der Frühbronzezeit jedoch nicht grundsätzlich ausschließt (Pare 1999, 505). Zu erklären sind die Unterschiede zwischen den beiden Ausprägungen der Ösenringe durch verschiedenartige Funktionen der Ringe. Die möglicherweise als Zahlungsmittel verwendeten Ösenringbarren sollten sich sehr ähnlich sein und über eine möglichst einheitliche Gestalt ver-
n
Konz.
Mittelw.
Stabw.
Norddtld.
107
16,5
16,08
1,32
Süddtld.
732
16,0
15,64
1,68
Böhmen
683
16,5
16,12
1,36
Mähren
53
16,0
15,63
1,07
Oberösterr. und Salzburg
39
15,5
15,53
1,68
232
16,0
15,46
1,05
Polen
95
16,0
15,03
1,79
Gräber
57
–
14,58
2,38
Niederösterr. und Burgenland
Tab. 1: Konzentration, Mittelwert und Standardabweichung zu den Durchmessern der Ösenringe nach Regionen
fügen. Im Gegensatz dazu waren die Ösenhalsringe in Gräbern auf die persönlichen Bedürfnisse der Träger abgestimmt. Durch die ideale Passform wurde der Durchmesser sowie die Größe bestimmt und dadurch auch das Gewicht. Es handelt sich somit um individualisierte Funde und Befunde. Überträgt man das auf die Ösenringe aus Polen, die eine vergleichbare Variabilität bezüglich ihrer Durchmesser zeigen und sich überwiegend in an Ausstattungshorte erinnernden Depots finden, so kann man diesen einen ebenso individuellen Charakter unterstellen.
Der Konsum Eine wichtige Frage ist nun, wie dieses Fundbild entstanden ist. Aufgrund der engen Verbindung von Ösenringen und Ösenringkupfer lässt sich auch von einem Verbreitungsbild des Rohmaterials sprechen. Da es sich bei dem Gebrauch und der Nutzung von Gegenständen, auch in der Vorgeschichte, häufig um Konsum handelte, soll hier die Konsumsoziologie als Ansatz zur Beantwortung dieser Frage gewählt werden. Konsum wird dabei, G. Wiswede folgend, als Gesamtheit der „Verhaltensweisen, die auf die Erlangung und private Nutzung wirtschaftlicher Güter und Dienstleistungen gerichtet sind“ (Wiswede 2000, 24) verstanden. Dass moderne Konzepte wie Privatheit und wirtschaftliche Güter nur bedingt in die Vorgeschichte übertragen werden können, wird dabei nicht ausgeblendet.12 Das hauptsächliche Interesse an diesem Ansatz 12 Weitere Ausführungen zu diesem Thema wird es in der abgeschlossenen Dissertation geben.
Hensler, Frühbronzezeitliche Kupferdistribution
45
Abb. 4: Histogramm der Durchmesser polnischer Ösenringe in 0,5 cm-Schritten
Abb. 5: Histogramm der Durchmesser von Ösenringen aus Gräbern in 0,5 cm-Schritten
liegt in seiner Umschreibung des Umgangs mit Gegenständen als Prozess und der Wechselwirkung der Objekte mit der Gesellschaft begründet. Konsum beginnt bereits vor dem Erwerb, der unterschiedlichster Form sein kann. Schon die Entstehung und Reflexion des Bedürfnisses ist ein relevanter Faktor. Dann werden am Bedürfnis ausgerichtete Kriterien bestimmt, die für einen Erwerb ausschlaggebend sind. Nach einer Informationssuche und Auswertung findet der Erwerb statt. Die engere Definition nach Wiswede (2000, 24), sieht einen wirtschaftlichen Erwerb vor, doch erscheint es für die Anwendung in der Archäologie zweckmäßig, diese Eingrenzung so zu erweitern, dass auch die Annahme von Gaben und andere Handlungen als Erwerb angesehen werden. Ihm folgt
der eigentliche Konsum, der unterschiedlichste Handlungen und Handlungsweisen beinhalten kann. Hauptsächlich setzt er sich aus dem Gebrauch, Verbrauch oder dem demonstrativen Vorzeigen, dem Kommunizieren über den Gegenstand und den Umgang mit ihm zusammen, kann aber weitere, sehr vielfältige Umgangsweisen und Handlungen umfassen. Möglich ist ein verzehrender Konsum, doch auch ein Konsum, der aus der Präsentation des Gegenstandes oder aus anderen Aspekten besteht. Es folgt die Trennung von dem Gegenstand. Diese kann, ebenso wie der Erwerb, sehr unterschiedliche Formen annehmen. Denkbar ist beispielsweise ein einfaches Liegenlassen, Eintauschen oder die Zerstörung. Im Anschluss ist die Entstehung eines erneuten Bedürfnisses möglich. Die Wech-
46 selseitigkeit der Beziehung beruht auf der Formung des Konsums durch die Gesellschaft und die gleichzeitige Formung der Gesellschaft durch den Konsum, beides sind Interessenfelder der Konsumsoziologie (Wiswede 2000, 25; Douglas 1996, xxiv). Einzuwerfen ist an dieser Stelle, dass es sich bei Konsum um ein Konzept handelt, dass eher mit der Moderne verbunden wird. Dennoch gab es Konsum bereits in der Vorgeschichte und es gibt ihn auch heute noch bei so genannten einfachen Kulturen abseits der westlichen Welt (Wiswede 2000, 52). Es ist aber davon auszugehen, dass es Unterschiede in der Form und Ausprägung gibt (Foxhall 1998, 297). Bereits in der Vergangenheit hat die Archäologie Ansätze aus diesem Bereich genutzt. So orientierte sich beispielsweise die Identifikation archäologischer Gruppen und Kulturen am Konsum von Gegenständen, was durchaus auch die Nutzung eines Objektes in einem Bestattungsritus einschließt. Des Weiteren wurde teilweise explizit von Konsum gesprochen (z. B. Needham 1988, 233; 245; Vachta 2008, 116; Kneisel/Müller 2011). Während dies meist ohne die Einbeziehung der soziologischen Debatte stattfand, hat es verschiedene Arbeiten gegeben, die eine entsprechende Ausrichtung in der archäologischen Forschung diskutierten (z. B. Foxhall 1998; Wilk 2001; Mullins 2011). A. Bosch (2010) fasst die Bedeutung von Konsum und verschiedene Aspekte zur durch ihn geführten Kommunikation zusammen. Sie verdeutlicht, dass der Umgang mit Objekten die Welt in allen gesellschaftlichen Dimensionen gliedert und diese Gliederung für das Umfeld sichtbar macht. Neben der eigenen gesellschaftlichen Position, sowohl vertikal als auch horizontal, kommuniziert man im Umgang mit Objekten ebenso das Wissen über die Existenz und den korrekten Umgang mit beispielsweise Fremdem, Erlesenem und Modernem (Bosch 2010, 168). Im Gegensatz zu ihren Ausführungen lässt sich der archäologische Befund aber durchaus so deuten, dass diese Inhalte, wie die beispielhaft bereits angesprochene Weltgewandtheit, Kennerschaft und Fortschrittlichkeit, nicht erst seit dem Aufstieg des europäischen Bürgertums im 18. und 19. Jhs. vermittelt wurden.13 Für die Anwendung der Theorie in der Archäologie muss der Konsumprozess in seinem Ablauf umgekehrt betrachtet werden. Bedingt durch die Quellen sind die Entäußerung und der Konsum, um nichts anderes als deren Spuren handelt es sich bei den meisten Befunden, Ausgangspunkte der Untersuchung zum Umgang mit den Dingen. Über eine Analyse der Befunde und Funde wird es möglich, den Umgang sowie die Entscheidungskriterien und über diese die entsprechenden Bedürfnisse der bronzezeitlichen Gesellschaft zu rekonstruieren. Ausgehend davon können zudem Rückschlüsse auf den Erwerb gezogen werden. Diese rekonstruierten Überlegungen und Handlungen sind Grundlage des archäologischen Nieder-
13 Die Beispiele fremder und erlesener sowie innovativer Artefakte in Grablegen, Horten und Siedlungen sind zahlreich und werden besonders häufig im Zusammenhang mit Innovationen und Fernkontakten diskutiert.
Hensler, Frühbronzezeitliche Kupferdistribution schlags von Distributionssystemen. Exemplarisch soll dies nun anhand der Ösenringe, der mutmaßlichen Verteilungsform für Ösenringkupfer, als Objektgruppe durchgesprochen werden.14
Der Konsum der Ösenringe Als Ausgangspunkt dient eine kurze Bestandsaufnahme der Befunde. Diese können grob in die drei Gruppen Ausstattungshorte im nördlichen Verbreitungsgebiet, mehr oder weniger reine Horte im Süden und Gräber unterteilt werden. Die Gräber konzentrieren sich, wie die reinen Horte, eher auf die Donauregion, kommen aber auch weiter im Norden vor. Bei den unterschiedlichen Fundkontexten handelt es sich um verschiedene Arten der Entäußerung. Unter der Prämisse, dass es sich um bewusst erzfolgte Niederlegungen handelt, was hinsichtlich der Depots bereits ausführlich bei Needham (1988), Fontijn (2002) oder Ţârlea (2008) diskutiert und überwiegend positiv beantwortet wurde, können diese auch als Variationen des eigentlichen Konsums angesehen werden. Dabei ist eine Trennung der Befunde in zwei Gruppen möglich. Einerseits zeigen die Gräber und Ausstattungshorte eine personalisierte Form der Niederlegung, andererseits scheinen die Horte mit einem überwiegenden Anteil an Ösenringbarren einen standardisierten und unpersönlichen Aspekt aufzuweisen. Wie weiter oben bereits am Gewicht, den Materialanalysen und den Durchmessern gezeigt werden konnte, findet man diese Unterscheidung auch in den Eigenschaften der Ösenringe wieder. Aus dieser Tatsache lassen sich mögliche, für die Bedürfnisbefriedigung notwendige Kriterien erschließen. In den individualisierten Kontexten kommt der Form eine besondere Bedeutung zu. Der Ösenring musste gerade in den Gräbern vollständig überarbeitet sein. In diesem Fall dürfte ein Zusammenhang zwischen der Zierwirkung, dem Tragekomfort und besonders der Symbolkraft bestehen. Die Unterschiede in Durchmesser und Gewicht können als Hinweis auf die Herstellung für eine bestimmte Person und deren Eigenheiten gewertet werden. Als Erklärung für die vielfältige Materialzusammensetzung der Ösenhalsringe schlug Krause eine längere Laufzeit dieser Form und eine variierende Art der Metallverarbeitung oder sich wandelnde Kupferdistributionssysteme vor (Krause 2003, 144 f.). Es ist aber ebenso möglich, dass verschiedene Vorlieben für Farben oder andere Eigenschaften, die sich aus der Elementkombination ergeben, ausschlaggebend waren. Ob in diesem Fall persönliche Vorlieben oder die gezielte Zurschaustellung der Teilhabe an bestimmten Distributionswegen im Vordergrund standen, muss vorerst offen bleiben. In diesen Kriterien kristallisieren sich kommunikative Bedürfnisse. Durch das Tragen der Ösenhalsringe wurde die Zugehörigkeit zu einem gewissen Personenkreises angezeigt, der nach Auskunft der überwiegend überdurchschnittlich aus14 Die diesem Aufsatz zugrundeliegende Studie ist noch nicht abgeschlossen, weshalb es sich hier lediglich um eine erste Skizze handeln kann.
Hensler, Frühbronzezeitliche Kupferdistribution gestatteten Gräber mit Ösenhalsringen von einer gewissen Bedeutung gewesen sein muss. Sieht man die Ausstattungshorte als Totengaben, kommt derselbe Erklärungsansatz in Betracht. Deutet man sie als Gabe an die Götter, können sie sowohl den Gebenden als auch den Empfänger repräsentieren. In beiden Fällen würden sie aber symbolisch die Rolle oder Identität der entsprechenden Person oder des entsprechenden Wesens widerspiegeln. Diese Verbindung zwischen Ösenhalsringen und bedeutenden Personen verfestigte sich durch den Konsum. Vergleichbare Gedanken äußerte bereits Novotná (1984, 6). Das wiederholte Erleben der Kopplung von Ösenring und wertgeschätzter Person kann bei den Beobachtern des Konsums zu einer Aufladung der Ösenringe mit Bedeutung und Wert geführt haben. Da Ösenhalsringe früher auftreten als Ösenringbarren, können sie für deren Entstehung und Bedeutung grundlegend gewesen sein. Letztere mussten allerdings anderen Ansprüchen genügen. Für ihre Funktion war eine rudimentäre Gestaltung ausreichend. Es handelt sich in diesem Sinne nicht um Halbfertigprodukte, immerhin fehlen für eine solche Annahme die Belege für entsprechende Fertigprodukte, denn diese sind nicht in den Ösenhalsringen zu finden. Ösenringbarren sind Fertigprodukte, da sie ihren Zweck in dieser Form ohne Beanstandung erfüllen konnten. Dieser Zweck gipfelte in der Niederlegung in den reinen Horten, doch bestand er vorher eventuell in der Zirkulation als Zahlungsmittel. Das zentrale Kriterium der Auswahl war eine ungefähre Übereinstimmung mit einem gesellschaftlich bestimmten Ideal. Es genügte offenbar, das Konzept hinter der Form zu erkennen. Lenerz-de Wilde (1995) sah den Ausdruck dieses Konzeptes in der Menge des Materials. Wie hier gezeigt werden konnte, ist aber ebenso eine Orientierung an der Form möglich, über welche sich zwangsläufig eine ungefähre Normierung des Gewichts ergibt. Nicht die materielle Ebene war ausschlaggebend, sondern die symbolische. Die Dominanz bestimmter Materialsorten bei den Analyseergebnissen der Proben von Ösenringen kann unterschiedlich gedeutet werden. M. Junk (2003, 169; 174) geht davon aus, dass diese Sorten für damalige Handwerker zu unterscheiden und zumindest in einigen Fällen an der äußeren Gestalt erkennbar waren. Sinnvoll wäre diese Unterscheidungsmöglichkeit bei der Verwendung der Ösenringbarren als Rohmaterial zur Bestimmung technischer Eigenschaften. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass diese Nutzung nicht für alle Bereiche des Verbreitungsgebietes angenommen werden kann. Dort wo dies nicht zutriff t, könnten diese Eigenschaften Auskunft über die tatsächliche oder eine gedachte mythische Herkunft der Artefakte gegeben und dadurch womöglich den Wert bestimmter Ringe, bestimmter Chargen oder Varianten beeinflusst haben. Zu denken ist dabei an die Objektbiografie nach I. Kopytoff (1986), in deren Verlauf Gegenstände durch ihre Herkunft, Austauschart sowie Austauschwege und Lebensgeschichte an Bedeutung gewinnen, die bereits bei H. Vandkilde (2005) für eine vergleichbare Deutung der Ösenringe aufgegriffen wurde. Verbindet man die Materialsorten weiterhin mit bestimmten Ursprungsregionen, wäre es möglich von einer Art Marke oder
47 „Commodity Branding“ zu sprechen.15 Ähnliche Überlegungen wurden beispielsweise für den Vorderen Orient (Wengrow 2010; Bevan/Wengrow 2010; Bevan 2010) vorgestellt. Die Kennzeichen Material, Form und eventuell weitere Eigenschaften ermöglichten durch die kommunizierten Informationen eine Ordnung des Sortiments an Gegenständen, hier Ösenringen, und beeinflussten womöglich eine Entscheidung hinsichtlich des Erwerbs und Konsums. Dieses Verhalten kann als ein gezieltes Nachfragen auf einem Markt für Kupfer, Kupferprodukte oder Ösenringe verstanden werden. Sicherlich handelt es sich dabei nicht um einen globalen Markt heutiger Prägung, doch entstand unter anderem durch die nicht homogene Verteilung der Rohstoffe und Rohstoffquellen, in diesem Fall besonders der Kupferlagerstätten, ein Zustand des Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage. Marktformen, was hier nicht in einem evolutionistischen Sinn verstanden werden soll, werden bereits für ältere Epochen in Betracht gezogen (Morley 2010, 10). Die Bedürfnisse hinter den Objekten können wie bei den Halsringen im kommunikativen Bereich vermutet werden. Durch die Nutzung der gesellschaftlich sanktionierten Gegenstände für bestimmte Handlungen demonstrierte man die Zugehörigkeit zu einer entsprechenden Gruppe. Die Objekte und Handlungen können zudem strukturierend für die Gesellschaft gewesen sein. Mit der Möglichkeit, große Mengen von Barren anzuhäufen, können Fähigkeiten gezeigt und Ansprüche auf bestimmte Rollen legitimiert worden sein (z. B. Krenn-Leeb 2008, 186 f.). An dieser Stelle ist zu betonen, dass Objekte in unterschiedlichen Zusammenhängen, zu denken ist hier nicht nur an verschiedene Situationen, sondern auch an verschiedene Regionen oder Kulturgruppen, unterschiedliche und gleichzeitig mehrere Funktionen innegehabt haben können. Die Funktion der Ösenringbarren als Zahlungsmittel in Südbayern würde dementsprechend einer Funktion als Rohmateriallieferant und Zahlungsmittel in Niederösterreich oder Böhmen nicht widersprechen. Im Fokus stehen hier aber nicht die womöglich eingeschmolzenen Ösenringe, sondern die realexistenten Funde aus den Horten und Gräbern. Daher wird überwiegend auf eine mögliche Bedeutung als Zahlungsmittel Bezug genommen. Gerade im Zusammenhang mit den Horten, beispielsweise bei R. Bradley (1990, 39), S. Hansen (1994, 374) und T. Vachta (2008, 116), wurde bereits der mögliche agonale Gabentausch und die Opferung angesprochen, die zur Strukturierung der Gesellschaft gedient haben könnten. Insgesamt sind die Handlungen und Überlegungen, die hinter den Horten als Quellengattung und den Ösenringen als Artefaktgruppe stehen, wahrscheinlich eng mit den inzwischen weit verbreiteten Ansätzen der Deutung von Deponierungen als soziale Praxis verknüpft (z. B. Ballmer 2010; Fontijn 2002; Krenn-Leeb 2008; 2010; 2011; Vachta 2008). Was in diesem Aufsatz als „Bedürfnisse“ 15 Weder das Konzept Marke noch das des „Commodity Branding“ werden hier mit den heutigen Erscheinungsformen gleichgesetzt. Diese Begriffe sollen lediglich der Veranschaulichung dienen.
48 bezeichnet wird, ist den Strategien – beispielsweise der Legitimation – sehr ähnlich, die A. Krenn-Leeb (2008, 183–187) herausgearbeitet hat. In den unterschiedlichen Befunden zeigen sich verschiedene Bedürfnisse. Wie die Distribution konkret verlief, ist mit archäologischen Mitteln kaum nachzuvollziehen. Denkbar sind Gabentauschsysteme, Warentausch, Wanderhandwerker, fahrende Händler und weitere Optionen in unterschiedlichen Ausprägungen. Es sollte hier gezeigt werden, dass die entsprechenden Verbreitungskarten nicht nur durch die Erzeuger, die Organisatoren des Verteilungsprozesses und die Transporteure geprägt wurden, sondern dass ebenso Konsumenten existierten, die Bedürfnisse mit Objekten zu befriedigen suchten, welche sie nach bestimm-
Hensler, Frühbronzezeitliche Kupferdistribution ten, situationsabhängigen Kriterien auswählten und damit Einfluss auf das Verbreitungsbild von bestimmten Gegenständen und Kupfersorten nahmen. Die klar ersichtlichen Regelhaftigkeiten zeigen einen starken Einfluss der Gesellschaft auf die Ausprägung des Konsums. Durch die enge Verbindung bestimmter frühbronzezeitlicher Objektformen und Materialsorten, in diesem Beispiel der Ösenringe und des Ösenringkupfers, ergaben sich Auswirkungen auf die Distribution bestimmter Rohstoffarten. Den Umgang mit Objekten in der Vorgeschichte als Konsum zu betrachten, eröffnet somit eine weitere Perspektive auf die damalige Welt und kann helfen, deren heterogene Spuren zu erklären.
Hensler, Frühbronzezeitliche Kupferdistribution
Literatur Ballmer 2010 A. Ballmer, Zur Topologie des bronzezeitlichen Deponierens. Von der Handlungstheorie zur Raumanalyse. Prähist. Zeitschr. 85, 2010, 120–131. Bevan 2010 A. Bevan, Making and Marking Relationships. Bronze Age Brandings and Mediterranean Commodities. In: A. Bevan/D. Wengrow (Hrsg.), Cultures of Commodity Branding (Walnut Creek 2010) 35–81. Bevan/Wengrow 2010 A. Bevan/D. Wengrow (Hrsg.), Cultures of Commodity Branding (Walnut Creek 2010). Bosch 2010 A. Bosch, Konsum und Exklusion. Eine Kultursoziologie der Dinge (Bielefeld 2010). Bösel 2008 M. Bösel, Wandel durch Bronze? – Vergleichende Untersuchung sozialer Strukturen auf früh- und mittelbronzezeitlichen Gräberfeldern im Theißgebiet. Prähist. Zeitschr. 83, 2008, 45–108. Bradley 1990 R. Bradley, The passage of arms: an archaeological analysis of prehistoric hoards and votive deposits (Cambridge 1998). von Brunn 1947 W. A. von Brunn, Die Schatzfunde der Bronzezeit als wirtschaftsgeschichtliche Quelle. Forsch. u. Fortschritte 21–23, 1947, 257–260. Butler 2002 J. J. Butler, Ingots and insights: Reflections on the rings and ribs. In: M. Bartelheim/E. Pernicka/R. Krause (Hrsg.), Die Anfänge der Metallurgie in der Alten Welt. Forsch. Archäomet. u. Altwiss. 1 (Rahden/Westf. 2002) 229–243. Coblenz 1945–1950 W. Coblenz, Ein Depotfund der ältesten Bronzezeit von Niederneundorf bei Görlitz. Arbeits- u. Forschber. sächs. Bodendenkmalpfl. 1, 1945–1950 (1951), 40–45. Douglas 1996 M. Douglas/B. Isherwood, The World of Goods. Towards an Anthropology of Consumption (London, New York 1996). Eckel 1992 F. Eckel, Studien zur Form- und Materialtypologie von Spangenbarren und Ösenringbarren. Saarbrücker Beitr. Altkde. 54 (Bonn 1992). Fontijn 2002 D. R. Fontijn, Sacrificial Landscapes. Cultural biographies of persons, objects and „natural“ places in the Bronze Age of the southern Netherlands, c. 2300–600 BC. Analecta Praehist. Leidensia 33/34 (Leiden 2002). Foxhall 1998 L. Foxhall, Cargoes of the Heart’s Desire: the character of trade in the archaic Mediterranean world. In: N. Fisher/H. van Wees (Hrsg.), Archaic Greece: New Approaches and New Evidence (London 1998) 295–309. Gedl 2002 M. Gedl, Die Halsringe und Halsringkragen in Polen I (Frühe bis jüngere Bronzezeit). PBF 11,6 (Stuttgart 2002). Hänsel 1997 B. Hänsel, Gaben an die Götter – Schätze der Bronzezeit Europas – eine Einführung. In: A. Hänsel/B. Hänsel (Hrsg.), Gaben an die Götter. Schätze der Bronzezeit Europas; Ausst. 1997. Bestandskataloge Museum für Vor- und Frühgesch., Staatliche Museen zu Berlin 4 (Berlin 1997) 11–22. Hansen 1994 S. Hansen, Studien zu den Metalldeponierungen während der älteren Urnenfelderzeit zwischen Rhônetal und Karpatenbecken. Univforsch. Prähist. Arch. 21 (Bonn 1994). Hansen 2002 S. Hansen, „Überausstattungen“ in Gräbern und Horten der Frühbronzezeit. In: J. Müller (Hrsg.), Vom Endneolithikum zur Frühbronzezeit: Muster sozialen Wandels? Tagung Bamberg 14. – 16. Juni 2001. Univforsch. Prähist. Arch. 90 (Bonn 2002) 151–173.
49 Innerhofer 1997 F. Innerhofer, Frühbronzezeitliche Barrenhortfunde – Die Schätze aus dem Boden kehren zurück. In: A. Hänsel/B. Hänsel (Hrsg.), Gaben an die Götter. Schätze der Bronzezeit Europas; Ausst. 1997. Bestandskataloge Museum für Vor- und Frühgesch., Staatliche Museen zu Berlin 4 (Berlin 1997) 53–60. Junk 2003 M. Junk, Material properties of copper alloys containing arsenic, antimony, and bismuth. The material of Early Bronze Age ingot torques (2003). http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:swb:105-1299566[Stand: 26. 07. 2013]. Kneisel/Müller 2010 J. Kneisel/J. Müller, Bruszczewo 5: Production, distribution, consumption, and the formation of social differences. In: J. Müller/ J. Czebreszuk/J. Kneisel (Hrsg.), Bruszczewo II. Ausgrabungen und Forschungen in einer prähistorischen Siedlungskammer Großpolens. Stud. Arch. Ostmitteleuropa 6,2 (Bonn 2010) 756–780. Kopytoff 1986 I. Kopytoff, The cultural biography of things: commoditization as process. In: A. Appadurai (Hrsg.), The Social Life of Th ings. Commodities in Cultural Perspective (Cambridge 1986) 64–91. Krause 2003 R. Krause, Studien zur kupfer- und frühbronzezeitlichen Metallurgie zwischen Karpatenbecken und Ostsee. Vorgesch. Forsch. 24 (Rahden/ Westf. 2003). Krause/Pernicka 1998 R. Krause/E. Pernicka, The Function of Ingot Torques and their Relation with Early Bronze Age Copper Trade. In: C. Mordant (Hrsg.), L’ Atelier du bronzier en Europe du XXe au VIIIe siècle avant nôtre ère. 2. Du minerai au métal, du métal à l’objet (Paris 1998) 219–226. Krenn-Leeb 2008 A. Krenn-Leeb, Strategie und Strategem: Überlegungen zu Tradition, Innovation und Legitimation anhand der frühbronzezeitlichen Depotfunde in Österreich. In: K. Schmotz (Hrsg.), Vorträge des 26. Niederbayerischen Archäologentages. (Rahden/Westf. 2008) 163–196. Krenn-Leeb 2010 A. Krenn-Leeb, Ressource versus Ritual – Deponierungsstrategien der Frühbronzezeit in Österreich. In: H. Meller (Hrsg.), Der Griff nach den Sternen. Wie Europas Eliten zu Macht und Reichtum kamen. Internat. Symp. Halle (Saale), 16.–21. Februar 2005. Tagungen Landesmus. Vorgesch. Halle 5 (Halle/Saale 2010) 281–315. Krenn-Leeb 2011 A. Krenn-Leeb, Von der Phänomenologie zur Mentalitätengeschichte am Beispiel ritueller Praktiken in der Frühbronzezeit. In: U. L. Dietz/ A. Jockenhövel (Hrsg.), Bronzen im Spannungsfeld zwischen praktischer Nutzung und symbolischer Bedeutung. Beiträge zum internationalen Kolloquium am 9. und 10. Oktober 2008 in Münster. PBF 20,13 (Stuttgart 2011) 163–176. Lenerz-de Wilde 1995 M. Lenerz-de Wilde, Prämonetäre Zahlungsmittel in der Kupfer- und Bronzezeit Mitteleuropas. Fundber. Baden-Württemberg 20, 1995, 229–327. Lenerz-de Wilde 2002 M. Lenerz-de Wilde, Bronzezeitliche Zahlungsmittel. Mitt. Anthr. Ges. Wien 132, 2002, 1–23. Lenerz-de Wilde 2011 M. Lenerz-de Wilde, Neue Ringbarrenhorte – Bronzen als Wertträger (Prämonetäre Zahlungsmittel). In: U. L. Dietz/A. Jockenhövel (Hrsg.), Bronzen im Spannungsfeld zwischen praktischer Nutzung und symbolischer Bedeutung. Beiträge zum internationalen Kolloquium am 9. und 10. Oktober 2008 in Münster. PBF 20,13 (Stuttgart 2011) 177–198. Menke 1978/79 M. Menke, Studien zu den frühbronzezeitlichen Metalldepots Bayerns. Jahresber. Bayer. Bodendenkmalpfl. 19/20, 1978/79 (1982). Mitscha-Märheim 1929 H. Mitscha-Märheim, Zur älteren Bronzezeit Niederösterreichs. Mitt. Anthr. Ges. Wien 59, 1929, 181–194.
50 Morley 2010 I. Morley, Conceptualising quantification before settlement: Activities and issues underlying the conception and use of measurement. In: I. Morley/C. Renfrew (Hrsg.), The Archaeology of Measurement. Comprehending Heaven, Earth and Time in Ancient Societies (Cambridge 2010) 7–18. Möslein 1996 S. Möslein, Frühbronzezeitliche Spangenbarrendepotfunde von Nonn. Stadt Bad Reichenhall, Landkreis Berchtesgadener Land, Oberbayern. Arch. Jahr Bayern 1996, 55–58. Möslein 2008 S. Möslein, Frühbronzezeitliche Depotfunde im Alpenvorland – Neue Befunde. In: K. Schmotz (Hrsg.), Vorträge des 26. Niederbayerischen Archäologentages (Rahden/Westf. 2008) 109–130. Moucha 2005 V. Moucha, Hortfunde der frühen Bronzezeit in Böhmen (Prag 2005). Much 1880 M. Much, Baugen und Ringe. Eine Studie über das Ringgeld und seinen Gebrauch bei den Germanen. Mitt. Anthr. Ges. Wien 9, 1880, 89–131. Mullins 2011 P. R. Mullins, The Archaeology of Consumption. Annu. Rev. Anthr. 40, 2011, 133–144. Needham 1988 S. P. Needham, Selective deposition in the British Early Bronze Age. World Arch. 20, 1988, 229–248. Neugebauer 2002 J.-W. Neugebauer, Die Metalldepots der Unterwölbinger Kulturgruppe Ragelsdorf 2 und Unterradlberg 1 und 2. Überlegungen zum prämonetären Charakter der niedergelegten Wertgegenstände. Mitt. Anthr. Ges. Wien 132, 2002, 25–40. Neugebauer/Neugebauer 1997 Ch. Neugebauer/J.-W. Neugebauer, Franzhausen: das frühbronzezeitliche Gräberfeld I. 1. Materialvorlage, Textteil. Fundber. Österreich Materialh. A 5,1 (Horn 1997). Novotná 1984 M. Novotná, Halsringe und Diademe in der Slowakei. PBF 11,4 (München 1984). Parkinson/Gyucha 2012 W. A. Parkinson/A. Gyucha, Long-Term Social Dynamics and the Emergence of Hereditary Inequality: A Prehistoric Example from the Carpathian Basin. In: T. L. Kienlin/A. Zimmermann (Hrsg.), Beyond Elites. Alternatives to Hierarchical Systems in Modelling Social Formations. International Conference at the Ruhr-Universität Bochum, Germany October 22–24, 2009. Univforsch. Prähist. Arch. 215 (Bonn 2012)243–249. Pare 1999 Ch. F. E. Pare, Weights and Weighing in Bronze Age Central Europe. In: Eliten in der Bronzezeit. Ergebnisse zweier Kolloquien in Mainz und Athen 2. Monogr. RGZM 43, 2 (Mainz 1999) 421–514. Shennan 1999 St. Shennan, Cost, benefit and value in the organization of early European copper production. Antiquity 73, 1999, 352–363. Ţârlea 2008 A. Ţârlea, The Concept of „Selective Deposition“. Peuce S. N. 6, 2008, 63–132. Vachta 2008 T. Vachta, Studien zu den bronzezeitlichen Hortfunden des oberen Theissgebietes. Univforsch. Prähist. Arch. 159 (Bonn 2008). Vandkilde 2005 H. Vandkilde, A Biographical Perspective on Ösenringe from the Early Bronze Age. In: T. Kienlin (Hrsg.), Die Dinge als Zeichen: Kulturelles Wissen und materielle Kultur. Internat. Fachtagung Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M. 3. – 5. April 2003. Univforsch. Prähist. Arch. 127 (Bonn 2005) 263–280. Vasić 2010 R. Vasić, Die Halsringe im Zentralbalkan. PBF 11,7 (Stuttgart 2010). Wengrow 2010 D. Wengrow, Introduction. Commodity Branding in Archaeological and Anthropological Perspectives. In: A. Bevan/D. Wengrow (Hrsg.), Cultures of Commodity Branding (Walnut Creek 2010) 11–33.
Hensler, Frühbronzezeitliche Kupferdistribution Wilk 2001 R. Wilk, Towards an Archaeology of needs. In: M. Schiffer, Anthropological Perspectives on Technology (Albuquerque 2001) 107–122. Winghart 1990 St. Winghart, Ein frühbronzezeitliches Ösenringdepot von Grub, Gemeinde Valley, Landkreis Miesbach, Oberbayern. Arch. Jahr. Bayern 1990 (1991) 42–44. Wiswede 2000 G. Wiswede, Konsumsoziologie – Eine vergessene Disziplin. In: D. Rosenkranz/N. F. Schneider, Konsum. Soziologische, ökonomische und psychologische Perspektiven (Opladen 2000) 23–72.
Abbildungsnachweis Alle Abb.: Autor
Anschrift Martin Hensler M. A., Graduiertenkolleg „Wert und Äquivalent“ Goethe-Universität – Campus Westend, Grüneburgplatz 1, Fach 136 60629 Frankfurt am Main
[email protected]
51
Milena Müller-Kissing
Lokale Produktion oder überregionale Versorgung? Kupfergewinnung und -metallurgie der bronzezeitlichen El Argar-Kultur in Südostspanien Zusammenfassung Die Frage nach der Kupferversorgung der bronzezeitlichen El Argar-Kultur Südostspaniens beschäftigt die Forschung bereits seit langem. Es entwickelten sich zwei gegensätzliche Forschungsmeinungen: Auf der einen Seite steht die Theorie, dass die unterschiedlichen Siedlungen der El Argar-Kultur ihren Kupferbedarf eigenständig durch lokalen Abbau der reichen Kupferlagerstätten im Südosten der Iberischen Halbinsel deckten. Auf der anderen Seite wird allerdings auch eine zentrale Versorgung und Organisation der Kupfermetallurgie postuliert. Der vorliegende Artikel versucht durch Darstellung der bekannten archäologischen Funde und Befunde zur argarzeitlichen Metallurgie einen Beitrag zu dieser aktuellen Forschungsdiskussion zu leisten.
Einleitung Bei der El Argar-Kultur handelt es sich um die Kultur der frühen und mittleren Bronzezeit in Südostspanien, etwa zwischen 2250 und 1555 v. Chr. (Lull 2000, 581). In der Forschung geht man heute davon aus, dass sich die El Argar-Kultur ausgehend von einem Kerngebiet zwischen dem Becken von Vera und dem Fluss Guadalentín in den heutigen Provinzen Almería und Murcia über ein Gebiet von etwa 33 000 km2 ausbreitete. Lange galten Höhensiedlungen auf Bergspornen mit Bestattungen in den Siedlungen als charakteristisch für die El ArgarKultur (Schubart/Ulreich 1991, 345–347), allerdings konnten seitdem unter anderem in der Region von Lorca auch offene Flachlandsiedlungen nachgewiesen werden (Brandherm 1996, 39). Das Formenspektrum sowohl bei Metallgegenständen als auch bei Keramik und Steinartefakten gilt als verhältnismäßig einheitlich im gesamten Gebiet der El Argar-Kultur, was dazu beigetragen hat, dieser Kultur in der Forschung ein hohes Maß an innerer Organisation und daraus folgenden normativen Tendenzen zuzusprechen.
eine höhere Siedlungsdichte oder Erzreichtum in diesem Gebiet (Montero Ruiz 1993, 48; 1994, 208–212). Die archäologisch fassbaren Spuren der aufeinander aufbauenden Schritte der chaîne opératoire der argarzeitlichen Kupfermetallurgie (Abbau, Verhüttung, Weiterverarbeitung und Herstellung von Fertigprodukten) erlauben es, sich der Frage nach der Kupferversorgung der El Argar-Kultur und dem Zugang verschiedener Gruppen und Siedlungen zu dem Rohstoff Kupfererz auf der einen Seite und zu verhüttetem Rohkupfer und metallischen Fertigprodukten auf der anderen Seite, anzunähern. Am Beginn jeder metallurgischen Tätigkeit steht die Gewinnung des erforderlichen Rohstoffes, in diesem Fall der Abbau des Kupfererzes. Gerade im Südosten der Iberischen Halbinsel existieren in den Sierren, die das Gebiet der El Argar-Kultur durchziehen, viele reiche Kupfererz- und Silberlagerstätten, die teilweise bis heute intensiv ausgebeutet werden, sodass für die Kultur der frühen und mittleren Bronzezeit sehr gute Bedingungen zur Gewinnung von Kupfererzen und damit zur Herstellung von Metallobjekten vorlagen (Montero Ruiz/Rodríguez de la Esperanza 2004, 54). Doch obwohl viele bekannte Siedlung der El Argar-Kultur wie etwa Fuente Álamo, El Oficio und Gatas durchaus in der Nähe reicher Erzadern angelegt wurden (Lull 1983, 437), sind von hier bisher keine sicher in die Zeit der El Argar-Kultur zu datierenden Spuren von prähistorischem Bergbau bekannt (ebd. 438; Montero Ruiz 1993, 48; Bartelheim/Montero 2009, 9). Dagegen kennen wir aus anderen Teilen der Iberischen Halbinsel durchaus sicher früh- und mittelbronzezeitlich datierte Abbauspuren (Abb. 1). In diesen Gebieten, vor allem im Nor-
Datenbasis Das Spektrum der Metallobjekte der El Argar-Kultur umfasst eine größere Anzahl von Stücken aus Kupfer oder Bronze, besonders aus der Spätzeit der Kultur, sowie Stücke aus Silber und wenige aus Gold (Montero Ruiz 1994, 208). Die Fundstellen im Becken von Vera erbrachten dabei eine größere Menge an Metallfunden als die gegenwärtig bekannten El Argar-Siedlungen außerhalb dieser Zone, was vermutlich unter anderem durch die umfangreichen Grabungs- und Forschungstätigkeiten in diesem Bereich zu erklären ist, vielleicht aber auch durch
Abb. 1: Sicher datierte und vermutete früh- und mittelbronzezeitliche Abbaue und Kupfererzquellen der Iberischen Halbinsel
52 den der Iberischen Halbinsel in den Regionen Asturien und León (Montero Ruiz/Rodríguez de la Esperanza 2004, 56), ist allerdings der Wissensstand zur Organisation der Siedlungen oder gar der Gesellschaftsstruktur noch weitaus geringer als im Falle der El Argar-Kultur, sodass eine mögliche Verbindung zwischen dem Gebiet der El Argar-Kultur und diesen Abbaugebieten nicht nachzuvollziehen ist. Die Datierung der genannten Abbaue erfolgt dabei durch Radiokarbondatierungen von Knochen- oder Geweihgeräten sowie durch die relativchronologische Einordnung von Fundmaterial aus den Bergbauen (Montero Ruiz/Rodríguez de la Esperanza 2004, 57 f.). Die bekannten früh- und mittelbronzezeitlich genutzten Bergwerke, wie El Aramo und El Milagro (Provinz Asturias), La Profunda (Provinz León), Urbiola (Provinz Navarra), Riner (Provinz Lleida), La Preciosa (Provinz Sevilla) und Loma de la Tejería (Provinz Teruel) zeichnen sich durch mehr oder weniger umfangreiche montanarchäologische Erforschung aus. Bekannt sind hier kleine Tagebaue bis hin zu kleinen Komplexen aus Stollen und Schächten. Das Fundspektrum umfasst neben Keramikscherben und Knochenfunden auch Werkzeugfunde wie Steinhämmer bzw. Rillenschlägel, Geweihhacken sowie Werkzeuge aus Holz, Kupfer oder Knochen. In Loma de la Tejería fand sich zudem auf einer kleinen Plattform in der Nähe des Bergbaus ein Siedlungsplatz, der als saisonale Bergbausiedlung interpretiert wird und Spuren von Erzverhüttung aufweist (Montero Ruiz/Rodríguez de la Esperanza 2004, 57–59; 2008, 165–167). Es ist sicher anzunehmen, dass Abbaue der El Argar-Kultur ein ähnliches Fund- und Befundspektrum aufweisen würden. Das bisherige Fehlen von sicher zuzuordnenden Abbauspuren im Gebiet der El Argar-Kultur muss nicht bedeuten, dass die reichen Erzlagerstätten, die es in diesem Gebiet ohne Zweifel gibt, in der Früh- und Mittelbronzezeit nicht ausgebeutet wurden. Vielmehr ist von einer starken Überprägung bzw. Zerstörung besonders kleiner Schürfe und Abbaue zur Deckung eines lokalen Bedarf durch späteren, deutlich intensiveren Bergbau auszugehen (Montero Ruiz 1993, 48 f.). Siedlungsfunde von Geräten, die als Abbaugeräte interpretiert werden könnten (Hämmer, Geweihhacken), können indes als indirekter Nachweis von bergbaulichen Aktivitäten einer Siedlung oder zumindest eines Teils ihrer Bevölkerung gesehen werden. Während aus verschiedenen Siedlungen der El Argar-Kultur zwar durchaus Steinhämmer bekannt sind (Montero Ruiz/ Rodríguez de la Esperanza 2004, 55), handelt es sich bei diesen Stücken in der Regel jedoch nicht um Abbaugeräte. So können etwa die Steinhämmer aus den Siedlungen von Fuente Álamo, La Bastida de Totana, Gatas, Cerro de la Virgen und El Argar aufgrund ihrer morphologischen Charakteristika mit metallverarbeitenden Tätigkeiten in Verbindung gebracht werden, nicht aber mit bergbaulichen Aktivitäten (Brandherm 2010, 326–328). Andere Typen von Steinhämmern aus Siedlungen der El Argar-Kultur, welche keine unmittelbar in der Nähe gelegenen Erzlagerstätten aufweisen, lassen sich zwar möglicherweise mit der extraktiven Metallurgie in Verbin-
Müller-Kissing, Lokal oder überregional? dung bringen, sind aufgrund ihrer relativ geringen Größe aber wohl eher als Werkzeuge zur Aufbereitung als zum Abbau von Erzen zu deuten (z. B. Simón García 1998, 29; 42 Abb. 14,1; 23,1.2). Eine entsprechende Funktion als Erzaufbereitungsgeräte kann trotz größerer Abmessungen und höheren Gewichts wohl auch mehreren Hämmern aus der Siedlung Peñalosa zugesprochen werden (Brandherm 2010, 328). Freilich muss auch das Fehlen von sicher als Abbaugeräte zu identifizierenden Werkzeugen in den Siedlungen der El ArgarKultur nicht bedeuten, dass ein solcher Abbau nicht durchgeführt wurde. Möglicherweise wurden die jeweiligen Abbaugeräte erst für den eigentlichen Abbau gefertigt und nicht in den Siedlungen aufbewahrt, sondern an der eigentlichen Abbaustelle. Da diese Abbaue bisher nicht identifiziert werden konnten, ließe sich auch das Fehlen von Abbaugeräten erklären. Solche Bergwerksgeräte wären ohnehin primär im Bereich der zugehörigen Bergbaue zu erwarten, wie etwa auf Halden oder in verschütteten Abbauen. Während sichere Nachweise von früh- und mittelbronzezeitlichem Bergbau leider im Verbreitungsgebiet der El Argar-Kultur bisher nicht zu finden sind, finden sich in einigen der untersuchten El Argar-Siedlungen Hinweise auf die Verhüttung und besonders die Weiterverarbeitung von Kupfererz und Rohkupfer (Bartelheim 2007, 65 f.). Als Spuren der Verhüttung können dabei besonders Funde von Kupfererzen, Schlacken und Tiegeln gelten, wobei bei solchen Tiegeln eine Unterscheidung zwischen Verhüttungsgefäß und Schmelztiegel nötig ist (Moreno Onorato u. a. 2010, 316). Dazu kommen Funde von Werkzeugen zur Metallbearbeitung aus Siedlungsund Grabkontexten der El Argar-Kultur sowie Gussformen (Abb. 2). Nach Annahme von Montero Ruiz erfolgte die Verhüttung von Kupfererzen in den Siedlungen durch Reduktion der Erze in offenen Keramiktiegeln, wobei scheinbar nur sehr wenig Schlacke produziert wurde, möglicherweise bedingt durch die Nutzung von oxydischen Erzen mit geringem Anteil an taubem Gestein (Montero Ruiz 1993, 51). Montero Ruiz berichtet von Erzfunden in den argarzeitlichen Siedlungen Cerro de las Viñas (Lorca, Provinz Murcia), El Oficio, Fuente Álamo, Gatas (alle drei im Becken von Vera, Provinz Almería), La Alquería, La Finca de Felix (an den nordwestlichen Hängen der Sierra de Almenara, Provinz Murcia), Las Anchuras (Provinz Murcia) und Terrera del Reloj (Dehesas de Guadix, Provinz Granada) (Montero Ruiz 1994, Tab. 16). Schlacken fanden sich an den Fundplätzen von Cerro de la Encina (Monachil, Provinz Granada), Cerro des las Viñas (Lorca, Provinz Murcia), Cuesta del Negro (Purullena, Provinz Granada), La Bastida (Totana, Provinz Murcia), Lugarico Viejo (Antas, Provinz Almería) und Rincón de Almendricos (Lorca, Provinz Murcia) (Montero Ruiz 1994, Tab. 16). Leider wird dabei nicht deutlich, um welche Art von Erzen und Schlacken es sich handelt, also ob es sich tatsächlich um Kupferminerale handelt, bzw. ob Verhüttungsschlacken von der Kupfererzreduktion vorliegen, oder vielleicht Schlacken, die beim Weiterverarbeiten von Rohkupfer
Müller-Kissing, Lokal oder überregional?
53
Abb. 2: Im Text erwähnte Fundstellen der El Argar-Kultur. 1 El Argar (Funde von Steinhämmern, Tiegeln (Reduktionsgefäße und Gusstiegel), Werkzeugbestattungen, Gussformen, Metalltropfen und Metallschrott); 2 Fuente Vermeja (Gussformen); 3 Lugarico Viejo (Schlacke, Tiegel, Gussformen?); 4 El Oficio (Kupfererz, Steinhämmer, Schmelzreste, Gussformen); 5 Fuente Álamo (Kupfererz, Steinhämmer, Schlacke, Gusstiegel, Werkzeugbestattung, Gussformen); 6 Gatas (Kupfererz, Schmelzreste, Gussform); 7 Herrerías (mögliche Erzquelle); 8 La Bastida de Totana (Steinhämmer, Schlacke, Tiegel, Gussform); 9 Los Cipreses (Werkzeugbestattung); 10 Lorca (Schlacke); 11 El Picacho (Steinhämmer, Tiegel); 12 Cobatillas de Vieja (Tiegel); 13 San Antón (Steinhämmer?, Schlacke?, Tiegel?); 14 Laderas del Castillo (Steinhämmer, Schlacke, Tiegel, Gussformen); El Tabayá (Schlacke?, Tiegel?, Gussformen?); 16 Bagil (Schlacke, Gussformen); 17 Cerro de la Virgen (Steinhämmer, Schlacke?, Tiegel, Gussformen); 18 Terrera del Reloj (Kupfererz, Steinhämmer, Schlacke, Tiegel, Gusstropfen, mögliche Erzquelle?); 19 Cuesta del Negro (Schlacke, Gusstiegel, Gussformen); 20 Cerro de la Encina (Schlacke, Gusstiegel); 21 Peñalosa (Kupfererz, Steinhämmer, Schlacke, Tiegel (Reduktionsgefäße und Gusstiegel, Gussformen, mögliche Erzquelle); 22 Cerro de las Viñas (Kupfererz?, Schlacke?, Gussformen); 23 El Rincón del Almendricos (Schlacke, Gussformen); 24 Cabezo Negro; 25 La Alquería (Kupfererz); 26 La Finca de Felix; 27: Las Anchuras (Kupfererz?, Gussformen?)
angefallen sein können, bzw. bei der Verarbeitung eines anderen Minerals, z. B. zur Silbergewinnung. Auch wird nicht deutlich, ob die beschriebenen Funde gesichert aus argarzeitlichen Schichten oder Fundzusammenhängen stammen, da einige der genannten Siedlungen eine vor- und/oder nachargarische Besiedelung aufweisen. Dennoch interpretiert Montero Ruiz diese Funde als Nachweis dafür, dass in den Siedlungen der El Argar-Kultur alle Schritte der Metallproduktion, beginnend mit der Verhüttung der Erze stattfanden (Montero Ruiz 1994, 237). Andere Forscher wie Lull sehen hingegen im weitgehenden Fehlen von Schlacken in den Siedlungen ein Zeichen dafür, dass in den meisten Siedlungen, wenn überhaupt, bereits verhüttetes Kupfer weiterverarbeitet wurde (Lull u. a. 2010 a, 25 f.). Lull u. a. sehen nur in den gefundenen Schlacken von Peñalosa, La Bastida und El Oficio Hinweise auf Verhüttung, wobei es sich bei den Schlacken von La Bastida und El Oficio um Schlacken von Bleierz handele, die wahrscheinlich bei der Silbergewinnung angefallen sind und mit großer Sicherheit
den nachargarzeitlichen Sichten dieser Siedlungen zuzuordnen seien (ebd. 25). Analog zu den Schlacken verhält es sich ebenfalls mit den unterschiedlichen Tiegeln, die in der argarzeitlichen Metallurgie Verwendung fanden. Es ist dabei entscheidend, zwischen Reduktionsgefäßen zur Erzverhüttung und reinen Schmelztiegeln zu unterscheiden (Moreno Onorato u. a. 2010, 316). Laut Bartelheim liegen Funde von Reduktionsgefäßen aus den Siedlungen El Argar, Cerro de la Virgen, Lugarico Viejo und La Bastida vor, was für eine Erzverhüttung in diesen Siedlungen spräche (Bartelheim 2007, 65 f.). Diese Unterscheidung der Funktion der Tiegel kann mit letzter Sicherheit nur durch die Untersuchung der Verschlackung im Inneren der Tiegel erfolgen (Moreno Onorato u. a. 2010, 316). Im Gegensatz zu Funden, die auf Erzabbau und Verhüttung deuten, finden sich Hinweise auf die Weiterverarbeitung bereits verhütteten Metalls in mehr oder weniger großer Anzahl in verschiedenen argarzeitlichen Siedlungen. Zu solchen Hinweisen auf Metallbearbeitung zählen neben Schmelztiegeln
54 und Gussformen auch Steinhämmer, Kissen- bzw. Ambosssteine sowie Metallbarren und Metallschrott (Lull u. a. 2010 a, 25). Nach Lull u. a. existierten allerdings einige Höhensiedlungen und vor allem kleinere Flachlandsiedlungen ohne jeden Hinweis auf Metallurgie oder Metallverarbeitung. Zu diesen Siedlungen wird unter anderem Los Cipreses (Provinz Murcia) gezählt. Allerdings fand sich in dieser Siedlung eine Männerbestattung mit einem mehrteiligen Werkzeugsatz aus zwei Kissensteinen, einem großen Schleifstein und einem Wetzstein. Diese Ausstattung ist zudem insofern als außergewöhnlich zu betrachten, da in Bestattungen der El Argar-Kultur die Beigabe von Werkzeugen zur Metallbearbeitung ins Grab generell selten ist und dann nur in Form eines Werkzeuges stattfindet, nicht mehr in Form von Werkzeugsätzen, wie es noch in der Kupferzeit in diesem Gebiet üblicher war (Brandherm 2010, 320–322). Das metallurgische Fundspektrum der argarzeitlichen Siedlung Peñalosa soll hier kurz gesondert besprochen werden, da dieser Siedlung aufgrund der hohen Anzahl an Funden mit metallurgischem Hintergrund in der Forschungsdiskussion eine große Bedeutung zugesprochen wird (Contreras Cortés u. a. 2010, 51). Peñalosa (Baños de la Encina, Provinz Jaén) liegt auf einem Bergsporn über dem Tal des Río Rumblar in der erzreichen Sierra Morena. Es handelt sich um einen der nördlichsten bekannten Siedungsplätze der El Argar-Kultur (Moreno Onorato u. a. 2010, 305 f.). Besonderes Augenmerk wurde bei der Untersuchung der Siedlung auf die Hinweise auf metallurgische Produktion gelegt. Solche Hinweise in unterschiedlicher Ausprägung fanden sich in allen ergrabenen Zonen der Siedlung, besonders aber in unbebauten Arealen oder kleinen freien Flächen in komplexeren Gebäudestrukturen (Moreno Onorato u. a. 2010, 307). Dabei handelt es sich neben Metallobjekten besonders um meist kleine Erzbrocken, kleine Schlackenfragmente, Fragmente von unterschiedlichen Tiegeln, Gussformen, Barren und Metallschrott (Moreno Onorato u. a. 2010, 307–313; Conteras Cortés u. a. 2010, 101). Besonders aus der Siedlungsphase IIIA, die gleichzeitig der Phase der maximalen Ausdehnung der Siedlung entspricht, wurden viele Hinweise auf metallurgische Aktivitäten gefunden (Bartelheim 2007, 70 f.; Moreno Onorato u. a. 2010, 307) Aufgrund der Art, Anzahl und Verbreitung solcher metallurgischer Reste gehen die Bearbeiter der Siedlung davon aus, dass in Peñalosa teilweise in gesonderten Arealen so viel Metall produziert wurde, dass die Menge den Eigenbedarf überstieg und stattdessen in Form von Barren oder Fertigprodukten in andere El Argar-Siedlungen geliefert wurde, um den Metallbedarf eines größeren Gebiets, vielleicht sogar im Sinne eines überregionalen Austausches, zu decken (Lull u. a. 2010 a, 24 f.). Die Untersuchung des Umlands ergaben zudem weitere Siedlungen und Erzlagerstätten, die als Abbaugebiete der El ArgarKultur infrage kommen. Auch hier fehlen allerdings sichere Hinweise auf Datierung und Nutzung der vorhandenen Abbauspuren (ebd. 25; Contreras Cortés u. a. 2010, 58–74). Es handelt sich dabei um die Minen von El Polígono und José
Müller-Kissing, Lokal oder überregional? Martín Palacios, die beide Spuren von prähistorischem Abbau zeigen (Moreno Onorato u. a. 2010, 308 f.). Peñalosa gilt bei manchen Forschern als einzige Siedlung der El Argar-Kultur, in welcher alle Schritte der Metallproduktion von der Verhüttung bis zum Fertigprodukt nachgewiesen werden konnten (Lull u. a. 2010 a, 24 f.). Alle bekannten archäologischen Funde, die auf Metallurgie hinweisen, stammen aus den Siedlungen, nicht von gesonderten Verhüttungsplätzen, sodass zumindest keine räumliche Trennung oder Spezialisierung von metallurgischen Tätigkeiten und Siedlungsbereich vorlag (Montero Ruiz 1993, 51). Man muss allerdings bedenken, dass sich solche Verhüttungsplätze auch in der Nähe von noch nicht identifizierten Bergbauen befunden haben könnten. Weitere und flächendeckendere Prospektionen werden auch hier das heutige Bild der argarzeitlichen Metallurgie verändern. Als Ergebnis der zuvor beschriebenen metallurgischen Aktivitäten stehen schlussendlich die metallischen Fertigprodukte der El Argar-Kultur. Allgemein lässt sich festhalten, dass ein großer Teil der Metallobjekte der El Argar-Kultur aus Kupfer oder einer Arsenkupferlegierung besteht, wobei Montero Ruiz annimmt, dass die Herstellung von Arsenkupfer nicht intentionell gewesen sei (Montero Ruiz 1993, 52 f.), während Lull u. a. eine absichtliche Legierung vermuten (Lull u. a. 2010 b, 884). Stücke aus Bronze treten zur Zeit der El Argar-Kultur in geringerer Menge auf. Der Beginn der Verwendung von Bronze in den argarzeitlichen Fundstellen ist bislang nur unklar zu fassen, wird aber allgemein einer späten Phase der El ArgarKultur zugeordnet (Montero Ruiz 1993, 53). Der Großteil der bekannten Metallgegenstände stammt aus Bestattungen, wobei den Waffen, Werkzeugen und Schmuckstücken immer auch eine symbolische bzw. statusrepräsentierende Bedeutung zugesprochen wird. Deren Beigabe wird dabei sogar als Indikator für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen „Klasse“ interpretiert. Lull und Estévez definierten in diesem Zusammenhang fünf Kategorien von Bestattungen, basierend auf den jeweiligen Grabbeigaben, wobei die Anzahl und Art von Metallbeigaben in Kombination mit bestimmten Keramikformen eine Zuordnung zu einer dieser Gruppen bedingt (Lull/Estévez 1986, 450 f.). Wie bereits angedeutet, finden sich in einigen wenigen bekannten Gräbern der El Argar-Kultur zudem Hinweise auf metallurgische Tätigkeiten. Das Grab 3 von Los Cipreses bildet dabei mit seinem mehrteiligen Werkzeugset eine Ausnahme (Brandherm 2010, 320). Bei den wenigen weiteren Bestattungen mit metallurgisch genutzten Objekten der El ArgarKultur, handelt es sich um Gräber mit nur einem Werkzeug zur Metallbearbeitung, wie bei der Bestattung 1 von Fuente Álamo (Brandherm 2010, 320 f.) und die Gräber 580 und 597 von El Argar (Brandherm 2010, 324). Während die Gräber Los Cipreses 3 und Fuente Álamo 1 aufgrund ihres reichen Beigabenspektrums als Gräber einer führenden gesellschaftlichen Oberschicht gesehen werden, handelt es sich bei den beiden Bestattungen von El Argar eher um Bestattungen der
Müller-Kissing, Lokal oder überregional? unteren gesellschaftlichen Kategorien nach Lull und Estévez (Brandherm 2010, 323 f.). Da die beiden Bestattungen von El Argar jünger sind als die Bestattungen von Los Cipreses und Fuente Álamo, könnte ein Wandel der Bedeutung der Metallurgie selbst oder des Symbolwertes von Werkzeugen der Metallverarbeitung vorliegen. Betrachtet man die Beigabe von Werkzeugen zur Metallverarbeitung als Symbol für die Kontrolle über die Produktion von Metallgegenständen, könnte diese Kontrolle im Laufe der Entwicklung der El Argar-Kultur von einer herrschenden Klasse auf eine untergeordnete übergegangen sein. Kennzeichnet die Beigabe von solchen Werkzeugen dagegen einen tatsächlichen Metallhandwerker, hätte sich die Bedeutung des Handwerks an sich verändert. Schlussendlich könnte zudem die Beigabe der Werkzeuge in einem Fall politische Kontrolle symbolisieren und im anderen Fall die tatsächliche Tätigkeit kennzeichnen, sodass nicht unbedingt ein Bedeutungswandel vorliegen muss (ebd. 325 f.). Insgesamt liegen für eine abschließende Beurteilung zu wenige Beispiele von Bestattungen mit Werkzeugen zur Metallverarbeitung vor, um hier genauere Aussagen zur Bedeutung oder einem etwaigen Bedeutungswandel dieser Beigaben zu ermöglichen.
Metallanalysen Um sich der Metallurgie und Kupfererzgewinnung der El Argar-Kultur auf naturwissenschaftlichem Wege anzunähern, wurden im Rahmen verschiedener Projekte Spurenelementund Bleiisotopenanalysen an Metallobjekten und Erzproben durchgeführt. Bezüglich der Analyse der Spurenelementzusammensetzung existiert eine relativ breite Datenbasis für die gesamte Iberische Halbinsel (Rovira Llorens u. a. 1997). Für den Südosten und damit das Gebiet der El Argar-Kultur trug Montero Ruiz eine Vielzahl von Analysen zusammen. Dazu bediente er sich zum einen der Ergebnisse neuerer Untersuchungen im Rahmen des „Programa Arqueometalurgia de la Península Ibérica“, betrachtete aber auch die Ergebnisse zur südostspanischen Bronzezeit des Projekts „Studien zu den Anfängen der Metallurgie“ (SAM) sowie die Ergebnisse von chemischen Untersuchungen zur qualitativen und quantitativen Materialbestimmung, die bereits die Gebrüder Siret selbst durchführten oder in Auftrag gaben (Montero Ruiz 1994, 122). Montero Ruiz publizierte sowohl eine Tabelle von Mittelwerten der Zusammensetzung der analysierten Metallobjekte aus verschiedenen Fundstellen des Beckens von Vera als auch eine Aufstellung der Spektren der Spurenelementgehalte. Dabei fällt auf, dass hinter den Mittelwerten ein teilweise sehr breit gefächertes Spektrum von Elementgehalten steckt (Montero Ruiz 1999, 346 Tab. 2; Montero Ruiz 1994, Anhang IV). Aufgrund von Unterschieden im Gehalt von Blei, Zinn, Arsen, Antimon und Zink in den analysierten Metallobjekten geht Montero Ruiz davon aus, dass das Erz zur Herstellung von Metallobjekten für die einzelnen Siedlungen von unterschiedlichen Lagerstätten stammt (Montero Ruiz 1999, 350). Es ist allerdings zu bedenken, dass Montero Ruiz
55 einige Analysen zur elementaren Zusammensetzung der Metallfunde aus der Literatur übernahm und diese nur teilweise durch Analysen im Rahmen des „Programa de Arquemetallurgia de la Peninsula Iberica“ ergänzt wurden (Montero Ruiz 1994, 361–370). Die Spurenelementanalyse ist bezüglich ihres Aussagewerts bei Fragen der Herkunftsbestimmung von Metallen bzw. Erzen umstritten (Stos-Gale u. a. 1999, 349). So bleibt auch im Falle der El Argar-Kultur der Erkenntnisgewinn durch diese Methode vergleichsweise gering, zumal Montero Ruiz selbst ebenfalls keine präzisen Aussagen über die genaue Lage der ausgebeuteten Lagerstätten triff t (Montero Ruiz 1993, 54). Auch das teilweise breit gefächerte Spektrum von unterschiedlichen Elementgehalten widerspricht weder der Nutzung lokaler Lagerstätten durch die argarzeitliche Bevölkerung, noch belegt sie diese schlüssig. Neuere Spurenelementanalysen zu Funden aus der Siedlung Peñalosa und ihrem Umland ergaben ebenfalls Hinweise auf eine Ausbeutung unterschiedlicher Lagerstätten, die sich besonders durch den Bleigehalt unterscheiden (Moreno Onorato u. a. 2010, 307 f.). Gegenüber den recht zahlreich vorliegenden Spurenelementanalysen stehen bisher für die El Argar-Kultur nur relativ wenige Bleiisotopenanalysen von Metallartefakten und Lagerstätten zur Verfügung. Im Rahmen der Untersuchung des Fundplatzes Gatas und seines Umlandes wurden sechs argarzeitliche Metallobjekte untersucht. Hiervon bestanden fünf aus Kupfer bzw. einer Kupferlegierung und eines aus Silber. Die Ergebnisse wurden mit weiteren Analysen von den Fundstellen Fuente Álamo, La Bastida, Cabezo Negro und San Antón verglichen, ebenso wie mit Erzproben aus den das Becken von Vera umgebenden Gebirgszügen und weiter entfernten Lagerstätten (Stos-Gale u. a. 1999, 347–358). Insgesamt wurden im Rahmen des Proyecto Gatas 30 Artefakte und 58 Erzproben von neun Fundplätzen untersucht. Von den Gebieten außerhalb des Verbreitungsgebiets der El Argar-Kultur liegen 95 Analysen vor, so etwa aus dem Südwesten der Iberischen Halbinsel – z. T. aus spätbronzezeitlichem Kontext (Montero Ruiz/Rodríguez de la Esperanza 2004,60). Das Spektrum der Analysen aus dem Bereich der El ArgarKultur wird zudem durch neue Analysen aus dem Seguratal (Brandherm u. a. 2014, 125) und dem Proyecto Peñalosa (Moreno Onorato u. a. 2010, 308) ergänzt. Die Bleiisotopenanalysen von Metallobjekten, Schlacken und Erzfragmenten aus der Siedlung Peñalosa und Erzen aus den Bergbaurevieren von El Polígono und José Martín Palacios ergaben, dass eine Gruppe der Siedlungsproben zum Isotopenfeld von El Polígono passen könnte, eine weitere Gruppe zu dem des Bereichs um José Martín Palacios. Eine dritte Gruppe passt zu keinem dieser Reviere, was für die Bearbeiter für die Ausbeutung weiterer, noch nicht identifizierter und analysierter Erzlagerstätten spricht (Contreras Cortés u. a. 2010, 73). Auch wenn dieses Ergebnis für den Abbau der Erze aus den untersuchten Bergbaurevieren spricht, mahnen Contereas Cortés u. a. dennoch, dass auch die Bleiisotopen-
56 analyse keine absolut sichere Aussage über die Herkunft der Erze und damit der Nutzung der Lagerstätten erlaube (Contreras Cortés u. a. 2010, 74). Im Rahmen eines gegenwärtig laufenden Projekts zur frühen Nutzung von Bergbauressourcen im unteren Seguratal wurden außerdem einige Bleiisotopenanalysen von Kupfererzen aus der Sierre de Orihuela sowie ausgewählter Metallobjekte von El Argar-Fundstellen dieses Gebiets untersucht und verglichen. Ein vorläufiges Ergebnis dieser Untersuchungen zeigt, dass mit einer möglichen Ausnahme die Isotopenzusammensetzung keines der untersuchten Objekte zum Isotopenfeld der untersuchten Erzproben passt. Dies muss allerdings nicht zwingend bedeuten, dass lokale Lagerstätten in diesem Gebiet nicht verwendet wurden, da insgesamt noch zu wenig Analysen vorliegen, um eine sichere Aussage zu ermöglichen (Brandherm u. a. 2014, 125). Nach den Analysen besonders im Rahmen des Proyecto Gatas gehen die beteiligten Forscher davon aus, dass die Lagerstätten in den unmittelbar an das Becken von Vera angrenzenden Sierren nicht mit jenen aus Gatas und anderen Siedlungen der El Argar-Kultur beprobten Metallobjekten in Verbindung zu bringen seien. Lediglich eine Probe aus Gatas lasse die Fundstelle Mazarrón, Provinz Murcia, als Erzquelle wahrscheinlich erscheinen, während eine weitere Probe zu der in römischer Zeit ausgebeuteten Lagerstätte von Linares, Provinz Jaén, passe. Für den Rest der Proben passten die Werte eher zu Erzquellen bei Huelva und Sevilla (Abb. 3) (Stos-Gale u. a. 1999, 357 f.). In Kombination mit den Ergebnissen aus Peñalosa und dem Umfeld sehen Lull und andere Forscher dies als Bestätigung für die Versorgung der El Argar-Kultur durch auf Metallgewinnung und -verteilung spezialisierte Siedlungen (Lull u. a. 2010 a, 25). Montero Ruiz u. a. widerspricht der Aussagekraft der Bleiisotopenanalysen des Proyecto Gatas, da die Isotopenfelder vieler Bergwerke in Südost- und Südwestspanien eine breite Streuung der Isotopenverhältnisse aufwiesen, die sich zudem überlappten und so eine klare Zuordnung von bestimmten Metallobjekten zu bestimmten Vorkommen nur in wenigen Fällen möglich sei (Montero Ruiz/Rodríguez de la Esperanza 2004, 62). Stattdessen gehen Montero Ruiz und Rodríguez de la Esperanza von einer Ausbeutung weiterer, noch nicht bekannter oder analysierter Erzlagerstätten aus und plädieren gegen die Annahme einer zentralen Versorgungsquelle (Montero Ruiz/Rodríguez de la Esperanza 2004, 61). Viele der Erzlagerstätten in den Sierren, die das Gebiet der El Argar-Kultur durchziehen, sind bisher nicht umfassend erforscht und bleiisotopisch charakterisiert. Auch das Recycling von Metallobjekten ist möglich, das sowohl Einfluss auf die chemische Zusammensetzung von Artefakten als auch auf ihre Bleiisotopenverhältnisse haben könnte, letzteres allerdings nur, wenn aus dem Recyclingprozess eine Mischung von Metallen unterschiedlicher Provenienz resultiert (MurilloBarroso/Montero Ruiz im Druck). Bereits anhand der unterschiedlichen Deutungen der archäologischen Funde und Befunde sowie der weiterführenden na-
Müller-Kissing, Lokal oder überregional? turwissenschaftlichen Untersuchungen wird deutlich, dass die Komplexität und Bedeutung der Metallurgie für die argarzeitliche Gesellschaft von verschiedenen Forschern unterschiedlich bewertet wird. Im Folgenden sollen deshalb unterschiedliche theoretische Ansätze zur Versorgung der Bevölkerung mit Erzen, Kupfer und Metallobjekten genauer betrachtet werden.
Theorien Bereits seit Beginn der Forschungsgeschichte der El ArgarKultur durch die Gebrüder Siret wurde Herstellung und Verwendung von Metallobjekten als eine ihrer bedeutendsten Eigenschaften angesehen. Der große Erzreichtum der Iberischen Halbinsel und besonders ihres Südostens lieferte das Motiv für unterschiedliche Forschungsansätze von mehrfachen Kolonisierungswellen bis hin zu Handelsbeziehungen mit dem Ostmittelmeerraum dank des Abbaus von Erzlagerstätten (Montero Ruiz 1993, 47). Ignacio Montero Ruiz versuchte sich speziell der Frage nach der Herkunft der Erze für die Metallproduktion der El ArgarKultur bereits in den 1990er-Jahren anzunähern, indem er metallurgische Analysen zur Ermittlung der Zusammensetzung der Fundstücke und einiger Erzlagerstätten im Arbeitsgebiet heranzog. Durch die Betrachtung der chemischen Zusammensetzung der Metallobjekte und der Erzlagerstätten in der Umgebung gelang es Montero Ruiz nach eigenen Angaben zwar nicht, die Herkunft bestimmter Stücke aus bestimmten Erzrevieren oder Lagerstätten zu bestimmen, doch kommt er zu dem Schluss, dass die Eigenschaften der Erze und das Ergebnis der chemischen Analyse darauf hinwiesen, dass jede Siedlung unterschiedliche Erzquellen genutzt habe. Dies würde bedeuten, dass die Gemeinschaften unabhängig voneinander nahe gelegene Lagerstätten ausgebeutet hätten (Montero Ruiz 1993, 54). Damit widerspricht er bewusst der Vorstellung eines durch Eliten kontrollierten, zentral organisierten Abbaus mit anschließender Verteilung des Materials über längere Strecken, wie sie von einigen anderen Forschern vertreten wird (Montero Ruiz 1999, 345 f.). Montero Ruiz kommt zu diesem Schluss, da er die chemische Zusammensetzung der Fundobjekte aus den Siedlungen Fuente Álamo, El Oficio und El Argar miteinander vergleicht und Unterschiede besonders im Gehalt von Blei, Zinn, Arsen, Antimon und Zink feststellt, die er für so signifikant hält, dass sie ihm zufolge dafür sprechen, dass das Rohmaterial zur Herstellung dieser Metallobjekte von unterschiedlichen Erzlagerstätten stammt (Montero Ruiz 1999, 350). Für Montero Ruiz sprechen die relativ geringen Nachweise von Verhüttung und Weiterverarbeitung in den Siedlungen der El Argar-Kultur im Becken von Vera nicht gegen eine eher lokal geprägte Metallurgie. Im Gegenteil passe dieses Bild zu einer lokalen Produktion, die aufgrund ihrer Einfachheit und ihres geringen Materialaufwandes nur relativ wenig Spuren hinterlassen hätte. Zudem deuten für ihn die bekannten Funde zur Metallurgie auf die Ausübung aller Phasen des Produkti-
Müller-Kissing, Lokal oder überregional?
57
Abb. 3: Bleiisotopenverhältnisse der Proben argarzeitlicher Stücke aus dem Museo Pigorini in Rom sowie der im Rahmen des Proyecto Gatas analysierten Proben von Metallobjekten und Erzlagerstätten
onsprozesses von Metallobjekten in den Siedlungen hin. Montero Ruiz sieht zumindest keine Hinweise auf kommerzialisierten Austausch oder eine politische und soziale Organisation, die auf der Ausbeutung von Lagerstätten und der Metallproduktion basiere, dazu sei auch die Menge der produzierten Metallartefakte zu gering. Stattdessen geht er von der Ausbeutung lokaler Lagerstätten und einer ebenfalls lokal geprägten Metallurgie aus, die im Rahmen der wirtschaftlichen und sozialen Organisation der El Argar-Kultur nur eine sekundäre Rolle gespielt habe (Montero Ruiz 1993, 54–56). Trotz der berechtigten Kritik an der Validität der Spurenelementanalyse als Mittel zur Herkunftsbestimmung von Rohmaterialien, erscheint Montero Ruiz Betrachtung der Metallurgie der El Argar-Kultur als durchaus gerechtfertigt. Obwohl die heterogene chemische Zusammensetzung der Metallfunde
der einzelnen Fundplätze im Becken von Vera nicht zwangsläufig für die Nutzung unterschiedlicher Lagerstätten sprechen muss, da ein und dieselbe Lagerstätte unterschiedliche elementare Zusammensetzungen aufweisen kann (Stos-Gale u. a. 1999, 349), könnten die weiteren von Montero Ruiz aufgeführten Merkmale der argarzeitlichen Metallurgie durchaus eher für eine lokale Metallproduktion von eher sekundärer Wichtigkeit sprechen als für eine zentral organisierte Metallurgie mit beinahe kommerziellem Charakter. Die Forscher, die an der metallurgischen Untersuchung des Materials aus den Siedlungen Gatas und Peñalosa beteiligt waren, kommen aufgrund der von ihnen durchgeführten Bleiisotopenanalysen allerdings zu einem fundamental entgegengesetzen Ergebnis. Geht Montero Ruiz von lokalem Erzabbau und lokaler Verarbeitung aus (Montero Ruiz 1993, 54–56),
58 postulieren Stos-Gale u. a. eine argarzeitliche Metallurgie, in welcher die Verhüttung von Metall als hochspezialisierter Prozess und erster Schritt der metallurgischen chaîne opératoire nicht in den Siedlungen, sondern an speziellen Plätzen stattfand und der Transport von Metall oder Metallobjekten unter Umständen über große Entfernungen erfolgte (Stos-Gale u. a. 1999, 357 f.). Zu beachten ist bei dieser Auswertung allerdings, dass bisher nur relativ wenige argarzeitliche Metallobjekte einer Bleiisotopenanalyse unterzogen wurden und dass bei weitem nicht alle möglichen Lagerstätten der umgebenden Sierren untersucht wurden. Stos-Gale u. a. selbst stellen fest, dass bekannte neuzeitliche Abbaue im Bereich des Cerro Minado, Cartagena, Mazarrón sowie die Lagerstätten in der Sierra Cabrera und der Sierra Alhamilla und in anderen Bereichen im Umfeld des Beckens von Vera, wie z. B. bei Herrerías, weiter untersucht werden müssten, da die Verläßlichkeit einer Interpretation der Ergebnisse von Bleiisotopenanalysen von der Menge an genommenen Proben und analysierten Daten abhinge (ebd.). Problematisch ist zudem, dass bisher keine argarzeitlichen Abbaue belegt werden konnten, sodass ein konkreter Abgleich der Metallobjekte mit sicher ausgebeuteten Erzlagerstätten nicht möglich war (Stos-Gale u. a. 1999, 352). Zwar hat sich durch die neueren Untersuchungen zur metallurgischen Produktion der Siedlung Peñalosa und zu ihrem Umfeld in der Sierra Morena die Datenbasis inzwischen erweitert, insgesamt scheint es jedoch immer noch verfrüht, aufgrund von Bleiisotopenanalysen an nach wie vor relativ wenigen Metallproben und einer sicher noch unzureichenden und wenig differenzierten Anzahl von Erzproben aus Lagerstätten des Verbreitungsgebiets der El Argar-Kultur eine Belieferung der Siedlungen mit Metall durch ein weite Strecken umfassendes Versorgungsnetz zu rekonstruieren. Auch Lulls theoretische Ansätze zur Organisation der El Argar-Kultur im Rahmen einer komplementären Produktion stützen sich unter anderem auf die Kontrolle von Rohmaterialien und Metallproduktion. Lull u. a. stellen diesbezüglich die Theorie auf, dass es vier Ebenen der Metallurgie und Metallproduktion in den Siedlungen gegeben habe. Auf der ersten Ebene dieses Systems stünden Siedlungen wie Peñalosa und andere Fundstellen südlich der Sierra Morena in der Provinz Jaén. Da man in der argarzeitlichen Siedlung von Peñalosa archäologische Hinweise auf die Ausführung des gesamten metallurgischen Prozesses von der Verhüttung bis hin zum Fertigprodukt gefunden habe und zudem barrenähnliche Objekte gefunden wurden, gehen Lull u. a. davon aus, dass in diesen Siedlungen vorrangig Rohmetall hergestellt wurde, das dann überregional zirkulierte. Bei diesen Siedlungen müsse es sich allerdings nicht um die Größten oder Reichsten gehandelt haben (Lull u. a. 2010 a, 25). Auf der nächsten Ebene dieses Systems befänden sich dann Siedlungen wie El Argar und La Bastida, in denen dann das Metall zu Fertigprodukten weiterverarbeitet würde – vermutlich von Spezialisten in besonderen Werkstätten. Bei diesen Siedlungen handele es sich um wirt-
Müller-Kissing, Lokal oder überregional? schaftliche und politische Regionalzentren. Auf der dritten Ebene stünden dann Siedlungen wie Fuente Álamo, die Lull u. a. als im Rahmen des Siedlungsgefüges untergeordnete Siedlungen sehen, wo es Schmiede- und Schleifplätze gegeben habe, sowie eine Weiterverarbeitung von Rohformen zu Fertigprodukten, auch wenn Hinweise auf Guss selten sind. Die letzte Stufe dieses Systems bilden schließlich weitere Höhensiedlungen sowie die Flachlandsiedlungen, z. B. Los Cipreses, wo keinerlei Metallproduktion stattgefunden habe (Lull u. a. 2010 b, 893; Lull u. a. 2010 a, 25 f.). Lull stellt selbst fest, dass dieses System nicht sicher der Wirklichkeit entsprochen haben muss, allerding hält er es für gesichert, dass nicht in allen Siedlungen alle metallurgischen Produktionsprozesse ausgeführt wurden (Lull u. a. 2010 b, 894). Problematisch an dieser Sichtweise ist, dass kaum eine argarzeitliche Siedlung vollständig ergraben ist. Selbst bei Siedlungen, auf denen moderne, großflächigere Grabungen durchgeführt wurden, ist bei weitem nicht das gesamte besiedelte Areal untersucht worden, sodass hier durchaus noch weitere Reste metallurgischer Produktion zu finden sein könnten. Des Weiteren sprechen reich ausgestattete Bestattungen, wie sie sich beispielsweise in Fuente Álamo finden, gegen eine Einstufung dieses Fundplatzes als Siedlung zweiten Ranges im Sinne einer regionalen Siedlungshierarchie. Lull u. a. selbst nennen zudem das reich ausgestattete so genannte „Metallurgengrab“ von Los Cipreses bei Lorca, einer Flachlandsiedlung derjenigen Art, der Lull u. a. jeglichen Bezug zur Metallproduktion absprechen und welche nur als abhängige landwirtschaftliche Siedlung gesehen wird, die den Höhensiedlungen Abgaben u. a. in Form von Getreide lieferte (ebd. 884–893). Lull sieht zudem die Suche nach neuen Erzressourcen als Hauptgrund für die Ausbreitung der El Argar-Kultur vom Küstengebiet Almerías und Murcias ins Inland (Lull 1983, 437–439). Akzeptiert man die allgemein geltende Forschungsmeinung, dass sich die El Argar-Kultur aus einem küstennahen Kerngebiet im Becken von Vera und dem Tal des Guadalentín erst sekundär in Richtung der Sierra Morena ausgebreitet habe (Brandherm 2011, 190 f.), muss dies in die Hypothesenbildung zur Kupferversorgung der El Argar-Kultur einbezogen werden. Es existieren einige wenige 14 C-Daten für die jüngste Phase der argarzeitlichen Besiedlung von Peñalosa (Phase IIIA), zwischen 1730 ±100 v. Chr. und 1440 ±100 v. Chr. (Contrereas Cortés u. a. 2000, 70). Des Weiteren existiert zwei ältere Proben, die eine erste argarische Besiedlung von Peñalosa bereits zwischen 2100 und 2000 v. Chr. datieren (Castro Martínez u. a. 1996, 124 f.). Allgemein wird allerdings in der Forschung davon ausgegangen, dass die Besiedlung von Peñalosa und anderen El Argar-Siedlungen im Bereich südlich der Sierra Morena erst später als der Beginn der El Argar-Kultur in ihrem küstennahen Kerngebiet um 2250 v. Chr. einsetzte. Für den Raum südlich der Sierra Morena wird gemeinhin ein Beginn der Besiedlung um 1800 v. Chr. angenommen, mit einer Zeit der größten Siedlungsausdehnung zwischen 1750 v. Chr. und ihrem Ende um 1550 v. Chr. (Moreno Onorato u. a. 2010, 306 f.). Weitere 14C-Datierungen wären sicher nö-
Müller-Kissing, Lokal oder überregional? tig, um hier ein klares Bild der argarzeitlichen Siedlungschronologie zu erlangen. Folgt man Montero Ruiz Ansatz, fällt diese spätere Datierung nicht weiter ins Gewicht, da die Kupferversorgung der Kerngebiete der El Argar-Kultur durch lokalen Abbau auch vor der argarischen Besiedlung der Sierra Morena gedeckt werden konnte und die Bevölkerung von Peñalosa ihren Bedarf ebenfalls durch die Lagerstätten in der Umgebung deckte (Montero Ruiz 1993, 54–56). Für das Modell einer mehr oder weniger zentral organisierten Versorgung größerer Teile des El Argar-Gebietes von Peñalosa aus, wie Lull und andere Forscher es postulieren, ergibt sich in diesem Fall allerdings ein chronologisches Problem. Wenn die Versorgung des Kerngebietes durch Peñalosa oder andere Siedlungen der Sierra Morena bereits mehr oder weniger seit der Gründung erster küstennaher El Argar-Siedlungen stattfand, würde dies bedeuten, dass die Siedlungen des Kerngebietes zumindest in einer Frühphase der El Argar-Kultur durch die Ausbeutung von Erzlagerstätten außerhalb ihres eigentlichen Kulturraumes versorgt wurden, obwohl Kupfervorkommen im Kernbereich der frühen El Argar-Kultur verfügbar gewesen wären (Bartelheim 2007, 66). Die abgebauten Erze müssen dann entweder über relativ weite Strecken transportiert worden sein, oder die Erzverhüttung müsste ebenfalls an einem Fundplatz außerhalb des El Argar-Gebietes stattgefunden haben. Solch eine zentralisierte Versorgung von außerhalb würde eine noch komplexere Organisation voraussetzen als bisher vorgestellt. Die genauen Beziehungen zwischen der El ArgarKultur und dem Gebiet der ausgebeuteten Erzreviere müssten noch genauer betrachtet werden, ebenso wie die Kulturgruppen, die in diesem Gebiet siedelten und der Prozess ihrer „Argarisierung“. Es ist allerdings auch zu bedenken, dass sich die Strategie zur Kupfergewinnung und -versorgung im Laufe der Entwicklung der El Argar-Kultur möglicherweise wandelte. In solch einem
59 Fall könnte in einer Frühphase der El Argar-Kultur der Metallbedarf durch einen Abbau der lokalen Erzadern stattgefunden haben, wie ihn Montero Ruiz annimmt (Montero Ruiz 1993, 54–56). In einer späteren Phase der El Argar-Kultur, nachdem die Ausdehnung ins Binnenland und auch in den Bereich der Sierra Morena stattgefunden hat, könnte sich dann eine zentrale Versorgung entwickelt haben, etwas, dass möglicherweise auch eine siedlungshierarchische Stratifizierung der bekannten Siedlungen bedingt haben könnte, ähnlich wie Lull u. a. (2010 a, 24–26) es in ihrem Modell vorschlagen. In einem solchen Fall wäre es nötig, die Frage nach den sozialen Mechanismen und Prozessen zu stellen, die zu einer solchen Zentralisierung geführt haben könnten, ebenso wie nach den Kausalzusammenhängen zwischen territorialer Ausbreitung und Zentralisierung der Versorgung. Ein Versuch, sich diesem Fragenkomplex weiter zu nähern, überschritte freilich den Rahmen des vorliegenden Artikels. Auch sind sicherlich weitere empirische Untersuchungen zu Metallurgie, Chronologie, Siedlungsstruktur und gesellschaftlicher Organisation der El Argar-Kultur nötig, um sich diesen Fragen auf einer breiteren Materialbasis stellen zu können. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Verständnis der Metallurgie und Kupferversorgung für das Gebiet der El Argar-Kultur immer noch in den Anfängen steckt, obwohl bereits umfangreiche Untersuchungen zur Entschlüsselung ihrer Organisation durchgeführt wurden (Rovira 2002, 85; Hunt Ortiz 2003). Bei den vorgestellten theoretischen Ansätzen handelt es sich jedenfalls um zwei Extreme eines relativ breiten Spektrums von möglichen Organisationsformen der Kupferversorgung. Die tatsächliche soziale und gegebenenfalls politische Bedeutung der Metallproduktion und der Grad der regionalen oder überregionalen Verteilung von Rohstoffen oder Fertigprodukten lässt sich aufgrund des bisherigen Forschungsstandes nicht sicher erfassen.
60
Literatur Bartelheim 2007 M. Bartelheim, Die Rolle der Metallurgie in vorgeschichtlichen Gesellschaften. Forschungen zur Archäometrie und Altertumswissenschaft 2 (Rahden/Westf. 2007). Bartelheim/Montero 2009 M. Bartelheim/I. Montero, Many Ores and Little Water. The use of resources on the Iberian Peninsula during the Bronze Age. In: M. Bartelheim/H. Stäuble (Hrsg.), Die wirtschaftlichen Grundlagen der Bronzezeit Europas. Forschungen zur Archäometrie und Altertumswissenschaft 4 (Rahden/Westf. 2009) 5–22. Brandherm 1996 D. Brandherm, Zur Nordprovinz der El Argar-Kultur. Madrider Mitt. 37, 1996, 37–59. Brandherm 2010 D. Brandherm, frühe „Metallurgengräber“ von der Iberischen Halbinsel. Aussagemöglichkeiten zum sozialen Kontext. In: B. Horejs/ T. L. Kienlin (Hrsg.), Siedlung und Handwerk. Studien zu sozialen Kontexten in der Bronzezeit. Beiträge zu den Sitzungen der Arbeitsgemeinschaft Bronzezeit auf der Jahrestagung des Nordwestdeutschen Verbandes für Altertumsforschung in Schleswig 2007 und auf dem Deutschen Archäologenkongress in Mannheim 2008. Univforsch. Prähist. Arch. 194 (Bonn 2010) 317–330. Brandherm 2011 D. Brandherm, Drang nach Westen. Disparate Grenzdynamiken in der älteren Bronzezeit Südostspaniens. In: T. Doppler/B. Ramminger/ D. Schimmelpfennig (Hrsg.), Grenzen und Grenzräume? Beispiele aus Neolithikum und Bronzezeit. Fokus Jungsteinzeit – Berichte der AG Neolithikum 2 (Kerpen-Loogh 2011) 189–204. Brandherm u. a. 2014 D. Brandherm/A. Maass/M. Müller-Kissing/E. Diz Ardid, Prospecciones arqueomineras en la Sierra de Orihuela. In: Orihuela. Arqueología y Museo (Alicante 2014) 114–125. Castro Martínez u. a. 1996 P. V. Castro Martínez/V. Lull/R. Micó, Cronología de la prehistoria reciente de la Península Ibérica y Baleares (c. 2800–900 cal ANE). BAR Int. Ser. 652 (Oxford 1996). Conteras Cortés u. a. 2000 F. Contreras Cortés/M. Sánchez Ruiz/F. Nocete Calvo (Hrsg.), Proyecto Peñalosa. Análisis histórico de las comunidades de la Edad del Bronce del piedemonte meridional de Sierra Morena y depresión LinaresBailén (Sevilla 2000). Conteras Cortés u. a. 2010 F. Contreras Cortés/A. Moreno Onorato/J. A. Cámara Serrano, Los inicios de la minería. La explotación del mineral de cobre. In: F. Contreras Cortés/J. Dueñas Molina, La minería y la metalurgia en el Alto Guadalquivir: desde sus orígenes hasta nuestros días (Jaén 2010) 43–121). Hunt Ortiz 2003 M. A. Hunt Ortiz, Prehistoric Mining and Metallurgy in South West Iberian Peninsula. BAR Int. Ser. 1188 (Oxford 2003). Lull 1983 V. Lull, La „cultura“ de El Argar. Un modelo para el estudio de las formaciones economico-sociales prehistoricas (Madrid 1983). Lull 2000 V. Lull, Argaric Society: Death at Home. Antiquity 74, 2000, 581–590. Lull/Estévez 1986 V. Lull/J. Estevez, Propuesta metodologica para el estudio de las necropolis argáricas. In: Homenaje a Luis Siret (1934–84) (Sevilla 1986) 441–452. Lull u. a. 2010 a V. Lull Santiago/R. Micó Pérez/C. Rihuete Herrada/R. Risch, Las relaciones políticas y económicas de El Argar. Menga 1, 2010, 11–224, Lull u. a. 2010 b V. Lull/R. Micó/C. Rihuete Herrada/R. Risch, Macht und Metall im 3. und 2. Jt. v. u. Z. im Südosten der Iberischen Halbinsel. In: H. Meller/ F. Bertemes (Hrsg.), Der Griff nach den Sternen. Wie Europas Eliten zu Macht und Reichtum kamen. Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle 5 (Halle/Saale 2010) 881–902.
Müller-Kissing, Lokal oder überregional? Montero Ruiz 1993 I. Montero Ruiz, Bronce Age Metallurgy in Southeast Spain. Antiquity 67, 1993, 46–57. Montero Ruiz 1994 I. Montero Ruiz, El origen de la metalurgia en el sudeste de la Península Ibérica (Almería 1994). Montero Ruiz 1999 I. Montero Ruiz, Sureste. In: G. Delibes de Castro/I. Montero Ruiz (Hrsg.), Las primeras etapas metalúrgicas en la Península Ibérica 2. Estudios regionales.(Madrid 1999) 333–357. Montero Ruiz/Rodríguez de la Esperanza 2004 I. Montero Ruiz/M. J. Rodríguez de la Esperanza, Der prähistorische Kupferbergbau in Spanien. Ein Überblick über den Forschungsstand. Der Anschnitt 56, 2004, 54–63. Montero Ruiz/Rodríguez de la Esperanza 2008 I. Montero Ruiz/M. J. Rodríguez de la Esperanza, Un pequeño campamento minero de la Edad del Bronce: La Loma de la Tejera (Alabarracín, Teruel). Trab. Prehist. 65,1, 2008, 155–168. Moreno Onorato u. a. 2010 A. Moreno Onorato/F. Contreras Cortés/M. Renzi/S. Rovira Llorens/ H. Cortés Santiago, Estudio preliminar de las escorias y escorificaciones del yacimiento metalúrgico de la Edad del Bronce de Peñalosa (Baños de la Encina, Jaén). Trab. Prehist. 67, 2010, 305–322. Murillo-Barroso/Montero-Ruiz im Druck M. Murillo-Barroso/I. Montero-Ruiz, Producción y distribución de plata en el sociedad argárica y en los primeros asentamientos orientalizantes. Una aproximación desde el análisis de los isótopos de plomo. In: Actas del II Congreso de Prehistoria de Andalucía (im Druck). Rovira 2002 S. Rovira, Early Slags and Smelting By-Products of Copper Metallurgy in Spain. In: M. Bartelheim/E. Pernicka/R. Krause (Hrsg.), Die Anfänge der Metallurgie in der Alten Welt. Forschungen zur Archäometrie und Altertumswissenschaft 1 (Rahden/Westf. 2002) 83–98. Rovira Llorens u. a. 1997 S. Rovira Llorens/I. Montero Ruiz/S. Consuegra Rodríguez, Las primeras etapas metalúrgicas en la Península Ibérica 1. Análisis de materiales (Madrid 1997). Schubart/Ulreich 1991 H. Schubart/H. Ulreich, Die Funde der südostspanischen Bronzezeit aus der Sammlung Siret. Madrider Beitr. 17 (Mainz 1991). Simón García 1998 J. L Simón García, La metalurgia prehistórica valenciana. Trabajos varios del Servicio de Investigación Prehistórica 93 (Valencia 1998). Stos-Gale u. a. 1999 Z. A. Stos-Gale/M. Hunt-Ortiz/N. H. Gale, Análisis elemental y de isótopos de plomo de objetos metálicos de Gatas, In: P. V. Castro/ R. W. Chapman/S. Gili i Suriñach/V. Lull/R. Micó/C. Rihuete Herrada/ R. Risch/M. E. Sanahuja Yll, Proyecto Gatas 2. La dinámica arqueoecológica de la ocupación prehistórica (Sevilla 1999) 347–358.
Abbildungsnachweis 1: Autorin, auf Grundlage von http://www.maps-for-free.com u. Montero Ruiz/Rodríguez de la Esperanza 2004. – 2: Autorin, auf Grundlage von http://www.maps-for-free.com u. http://www.elargar.com/. – 3: Autorin, Daten z. T. nach Stos-Gale u. a. 1999, Anhang 9
Anschrift Milena Müller-Kissing M. A., Steiler Weg 10, 58453 Witten
[email protected]
61
Tobias Mörtz
Erz und Erzeugnis. Bemerkungen zu den Gießformen für Schwerter der späten Bronzezeit Großbritanniens „The moulds formed of burnt clay have but rarely lasted to our times, though some have been found on the continent of Europe.“ John Evans (1881, 428)
Zusammenfassung Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich aus forschungsgeschichtlicher Perspektive mit den aus Großbritannien bekannten Lehmformen für die Herstellung spätbronzezeitlicher Schwerter. Durch eine Reihe an gut dokumentierten Neufunden in den letzten Jahrzehnten haben sich nicht nur Veränderungen in ihrer Verbreitung ergeben, sondern insbesondere hinsichtlich der archäologischen Kontextualisierung sind gezielte Aussagen zu den Bedingungen der Überlieferung jener vergleichsweise fragilen Artefaktkategorie möglich. Dieserart ist eine Erhaltung vor allem durch bewusste, unterirdische Verbergungen bedingt, welche aufgrund sinnfälliger Platzierungen und erkennbarer Sortierungen als kultisch motiviert zu interpretieren sind. Da diese rituellen Handlungen überwiegend im Umkreis der Wohnareale stattfanden, ist eine Dokumentation der Lehmformen direkt vom jeweils regional differenzierten Forschungsstand zum spätbronzezeitlichen Siedlungswesen abhängig.
Einleitung Die späte Bronzezeit im Nordwesten Europas (ca. 1200 bis 800 v. Chr.) zeichnet sich nicht nur durch eine außergewöhnlich hohe Zahl an Schwertfunden, sondern auch den dazugehörigen Gießformen aus. Im konkreten Fall Großbritanniens traten entsprechende Fertigungsbelege allerdings über Jahrzehnte regulär in peripher zu den Hauptverbreitungszentren der Waffen gelegenen Regionen auf. Dieses disparate Verteilungsmuster wurde erst durch neuere Entdeckungen revidiert. Der vorliegende, erkenntnistheoretisch sowie forschungsgeschichtlich ausgerichtete Beitrag soll die Gründe für diese Entwicklung und damit die Grundlagen archäologischer Interpretationen vorgeschichtlichen Handwerks hinterfragen.16
16 Mein besonderer Dank gilt Trevor Cowie (Edinburgh) für zahlreiche Anmerkungen und Kommentare. Weitere Korrekturen gehen auf freundliche Hinweise von Oliver Dietrich (Berlin) und Jens Notroff (Berlin) zurück. Bei der Beschaff ung von Literatur war Ariane Ballmer (Paris) behilflich.
Funde von Gießformen bis in die 1970er-Jahre Zu den am frühesten entdeckten, als solchen erkannten und publizierten Gießformen für die spätbronzezeitlichen Schwerter Großbritanniens zählen mehrere Lehmfragmente aus unterschiedlichen Schichten der Höhensiedlung von Traprain Law im Südosten Schottlands (Fundliste Nr. 15). Eindeutige Zuweisungen zu bestimmten Befunden sind nicht mehr möglich, was sowohl in der zwar sorgfältigen, aber gemessen an modernen Maßstäben ungenügenden Grabungstechnik als auch in der intensiven späteren Besiedlung des Platzes begründet liegt. Die Menge der Reste von Gießformen und Bronzen ist beachtlich, mit Ausnahme eines Lanzenspitzenfragmentes (Cree/Curle 1921/22, 212; Burley 1955/56, 146 Nr. T. 10) fehlen allerdings Waffen. James E. Cree und Alexander O. Curle (1921/22, 213) stuften ihre Funde noch als Unikate in Großbritannien ein, machten allerdings in einer Fußnote auf ähnliche Artefakte in Irland aufmerksam. Neuere Zusammenstellungen der dortigen Entdeckungen geben George Eogan (1993, 95) und Simon Ó Faoláin (2004, 31–41). Nur wenige Jahre später stieß Curle im Zuge der Ausgrabungen von Jarlshof an der Südspitze der Hauptinsel des Shetland-Archipels im nördlichen Atlantik (Fundliste Nr. 7) erneut auf ähnliche Bruchstücke von Lehmgießformen für Schwerter (Abb. 1–3). Die vorgeschichtlichen Siedlungsreste aus verschiedenen Epochen hatte ein Sturm am Ende des 19. Jhs. zufällig freigelegt. Zwar ist die dort feststellbare Dominanz der Schwertherstellung gegenüber der von Lanzenspitzen und Tüllenbeilen bemerkenswert, doch letztlich handelt es sich auch um besonders lange Artefakte, was eine entsprechende Vermehrung der handwerklichen Überreste zur Folge hat. Es bliebe daher zu prüfen, mit wie vielen Schwertern und damit wie vielen Gießvorgängen man es konkret zu tun hat – soweit man dies aus den archäologischen Hinterlassenschaften und deren Dokumentation noch rekonstruieren kann. Aufgrund der auf den Shetland-Inseln üblichen Bauweise aus locker geschichteten Steinen fiel die Identifikation von architektonischen Einrichtungen in Jarlshof ungleich leichter als im Falle von Traprain Law. So konnte man die meisten der insgesamt über 200 Bruchstücke von Gießformen zur Herstellung verschiedenster Bronzen den jüngsten Schichten von Gebäude III zuordnen. Dieses wurde entsprechend als Werkstatt eines Metallhandwerkers interpretiert. Aufgrund der Vielzahl an metallurgischen Überresten, der Anwesenheit ungebrauchter Stücke, eines Herdes und anderer, in diesem Sinne interpretierbarer Installationen steht dieser Auslegung wenig entge-
62
Mörtz, Erz und Erzeugnis Abb. 1: Fragmente einer Lehmgießform für Schwerter aus der Siedlung von Jarlshof, Shetland (©National Museum of Scotland Edinburgh)
Abb. 2: Fragment einer Lehmgießform für Schwerter aus der Siedlung von Jarlshof, Shetland (©National Museum of Scotland Edinburgh)
Abb. 3: Querschnitt einer Lehmgießform für Schwerter aus der Siedlung von Jarlshof, Shetland, mit deutlich erkennbarem Aufbau aus mehreren Schichten (©National Museum of Scotland Edinburgh)
gen.17 Eine Umgestaltung eines zuvor zum Wohnen genutzten Areals in eine Werkstatt eines Metallhandwerkes konnte in
gleicher Weise innerhalb der frühbronzezeitlichen Siedlung von Feudvar in der Vojvodina, Serbien, festgestellt werden (Hänsel/Medović 2004). Wegen des damals wie heute überaus beschränkten Baumbestandes und der dadurch gegebenen Limitierung von Brennmaterial mutet das Vorhandensein einer Bronzewerkstatt ungewöhnlich an. Weitaus erstaunlicher war und ist allerdings die Tatsache, dass man bis auf den heutigen Tag kein einziges Schwert von den Shetland-Inseln kennt (Coles 1959/60, 82–86; Colquhoun/Burgess 1988). Tüllenbeile sind lediglich
17 Needham und Bridgford (2013, 73) betonten kürzlich die Möglichkeit, dass die Gießformen in Jarlshof zusammen mit Sedimenten und weiteren Abfällen erst am Ende der Nutzung der Rundbauten als künstliche Verfüllungen eingebracht wurden. Dieses Szenario ist denkbar, schließt metallhandwerkliche Tätigkeiten außerhalb der Häuser allerdings nicht aus. Es bleibt nach meiner Einschätzung abzuwarten, welche Ergebnisse die Aufarbeitung des ähnlich strukturierten, aber modern dokumentierten Fundplatzes von Cladh Hallan erbringen werden.
Mörtz, Erz und Erzeugnis in Form zweier Einzelfunde überliefert (Coles 1959/60, 73; Schmidt/Burgess 1981, 215 Nr. 1293 u. 221 f. Nr. 1345), die zudem nicht der eindeutig zum Typ Meldreth gehörigen Gießform aus Jarlshof entsprechen (Schmidt/Burgess 1981, 209 Nr. 1253). Gleichartige Stücke kommen in Schottland kaum vor und werden erst im Norden Englands häufiger. Dieses Fundbild könnte sich entweder auf eine nur schwer nachweisbare Deponierung der Beile, beispielsweise im Meer, oder auf eine hohe Recyclingrate, die entsprechende Erzeugnisse archäologisch unsichtbar macht, zurückführen lassen. Dieser Mangel an metallurgischen Endprodukten gilt in gleicher Weise für den nahegelegenen Orkney-Archipel. Von dort kennt man nur ein aus Eibenholz gefertigtes Schwert. Dieses außergewöhnliche Artefakt wurde im Jahre 1958 beim Torfstechen nahe des Burn of Blown bei Grotsetter auf der Hauptinsel entdeckt (Stevenson 1958; Coles 1959/60, 85; Cowie/ O’Connor 2007, 330 f.). Sein Zweck ist nicht eindeutig zu bestimmen. Die einsatzfähige Gestaltung der Handhabe schließt eine Verwendung als Model für Gießformen aus, da Vollgriffschwerter in Großbritannien sehr selten sind (Colquhoun/Burgess 1988, 122–124) und allgemein meist nicht in einem Stück hergestellt wurden (Mödlinger 2011, 21–50). Die nach Ausweis der Funde dominante und durch die hier besprochenen Gießformen einzig repräsentierte Art waren hingegen Griff zungenschwerter, deren oberer Abschluss gesondert hätte präpariert werden müssen, was dem Sinn einer gebrauchsfähigen Vorlage grundsätzlich widerspricht. Vielleicht handelt es sich um eine Übungswaffe (Kristiansen 2002, 325 f. mit Anm. 4), auf Kämpfe zurückführbare Gebrauchsspuren sind jedoch nicht feststellbar (Cowie/O’Connor 2007, 331). Dass man hölzerne Model verwendete, belegen entsprechende Eindrücke an ungebrauchten Lehmfragmenten, die man in Jarlshof entdeckte (Curle 1932/33, 118; 1933/34, 279). Derartige Vorlagen für Lanzenspitzen, Tüllenbeile und -hämmer sind realiter aus Irland bekannt (Hodges 1954, 64; Ó Faoláin 2004, 43–45). Zu den frühen Entdeckungen von Gießformen für spätbronzezeitliche Schwerter gehören auch die vier anpassbaren Fragmente von Loanhead bei Daviot in Aberdeenshire (Fundliste Nr. 8). Diese wurden im Umfassungsgraben eines frühbronzezeitlichen Bestattungsplatzes, welcher wiederum direkt neben einem älteren Steinkreis angelegt worden war, gefunden. Die Bruchstücke gehören sicher nicht zum Inventar eines der Urnengräber, deren chronologische Einordnung in die erste Hälfte des 2. Jts. v. Chr. aufgrund umfangreicher Radiokarbondatierungen typologisch verwandter Befunde überzeugend begründet ist (Sheridan 2007). Das Verhältnis zwischen den Bestattungen und metallurgischen Restprodukten bleibt daher unklar, es handelt sich wohl um eine erneute Nutzung des oberirdisch durch Menhire und übrige Steinsetzungen noch gut erkennbaren Areals, wie sie auch an anderen Plätzen nachweisbar ist (Bradley 2005). Die bereits am 27./28. Juni 1869 zusammen mit verbrannten Substanzen, karbonisiertem Holz, Keramik und Tierknochen in einer Grube bei Fimber in East Yorkshire (Fundliste Nr. 4)
63 am Rande eines Hügels geborgenen Reste von Gießformen für verschiedenartige Gegenstände, darunter Schwerter, Ortbänder, Lanzenspitzen und Tüllenbeile, wurden erst im Jahre 1930 als solche identifiziert (Sheppard 1930) und der Bestand entsprechender Funde derart erweitert. Alle bisher aufgeführten Fragmente sind zwar während regulärer Grabungen zutage getreten, allerdings insofern zufällige Entdeckungen, als dass nicht spätbronzezeitliche Hinterlassenschaften, sondern Zeugnisse anderer Perioden das Ziel der wissenschaftlichen Unternehmungen waren. Typischerweise konzentrierte man sich dabei auf Orte, deren vor- bzw. frühgeschichtliche Nutzung oberirdisch noch erkennbar war. Dies trifft auf die spätbronzezeitlichen Wohn- und Werkplätze im Flachland Englands nicht zu. Die meisten der dortigen Höhensiedlungen gerieten zudem erst später in den Blickpunkt archäologischer Tätigkeiten und sind hinsichtlich ihrer voreisenzeitlichen Nutzung immer noch unzureichend bekannt (Hamilton/Manley 2001). In einigen Fällen, darunter die großflächig gegrabenen Hillforts von Maiden Castle in Dorset (Sharples 1991) und Danebury in Hampshire (Cunliffe 2003), ist eine spätbronzezeitliche Besiedlung im Gegensatz zum Traprain Law allerdings nicht nachweisbar. Die vier bislang genannten Fundorte erbrachten Bruchstücke aus Lehm hergestellter Gießformen. Auch bezogen auf andere Endprodukte beschränkte sich der Nachweis entsprechender Fertigungsreste lange Zeit auf den Norden Großbritanniens und bis in die 1970er-Jahre blieb der von Henry W. M. Hodges (1958/59) zusammengefasste Kenntnisstand unverändert. Im Süden dominierten Stücke aus Metall (Hodges 1960), in denen jedoch fast ausnahmslos Absatz- und Tüllenbeile gefertigt wurden. Sie sind im Unterschied zu Gießformen aus anderen Materialien meist Bestandteil verschieden umfangreicher Bronzedeponierungen. Über die gesamte Insel streuen die Entdeckungen steinerner Exemplare, mit deren Hilfe man ebenfalls vornehmlich Beile herstellte. Mit den Funden von Knighton, Devon (Evans 1881, 434 f.; Burgess 1968 b, 26; Burgess/Gerloff 1981, 115 Nr. 6; 7; Pearce 1983, 447 Nr. 263), lässt sich auch der Guss von Klingenwaffen belegen, allerdings handelt es dabei um mittelbronzezeitliche Rapiere. Ähnliche Formen für Schwerter kennt man auf Großbritannien bislang nicht.
Funde von Gießformen seit den 1970er-Jahren Erst mit den Grabungen innerhalb der befestigten Höhensiedlung auf dem Breiddin bei Shrewsbury im hügeligen Grenzgebiet zwischen England und Wales (Fundliste Nr. 1) in den 1970er-Jahren wurde ein zum Traprain Law vergleichbarer Platz erforscht, der ebenfalls Reste von Lehmgießformen erbrachte. Die Artefakte entstammen einerseits Schichten unterhalb der eisenzeitlichen Wallanlagen, andererseits handelt es sich um unstratifizierte, insgesamt sehr kleinteilige Funde. Zu den Letzteren gehört der vermeintliche Überrest einer spätbronzezeitlichen Schwertgießform. Damit sind sowohl chronologische Zuweisung als auch Zweck des Stückes unsicher.
64 Der Breiddin ist dahingehend eine Besonderheit, dass sich im Inneren der Anlage das Fragment des Griffes eines Ewart ParkSchwertes sowie die Spitze einer möglicherweise zugehörigen Klinge fanden (Colquhoun/Burgess 1988, 88 Nr. 457; Coombs 1991, 134 f. Nr. 142 f.), während man von den übrigen, hier besprochenen Fundplätzen keine entsprechenden Endprodukte kennt. Ob diese Waffe allerdings tatsächlich mithilfe der entdeckten, metallurgischen Überreste hergestellt wurde, muss offen bleiben. Im Unterschied zum Breiddin konnten mit den ebenfalls in den 1970er-Jahren gemachten Entdeckungen von Dainton in Devon (Fundliste Nr. 3) eindeutige Nachweise der Herstellung von Schwertern, Lanzenspitzen, wohl als Lanzenschuhen genutzten, einseitig geschlossenen Röhren und kleinen Ringen dokumentiert werden. Die entsprechenden Fragmente von Gießformen und -tiegeln sowie sehr kleine Bronzestücke fanden sich sowohl inner- als auch außerhalb einer Grube nahe eines Steinhaufens im größeren Kontext eines vorgeschichtlichen Feldsystems. Eindeutige Siedlungsstrukturen lagen nicht vor, sodass der Charakter des Platzes einstweilen unklar bleibt. Chronologisch gehören die in den Formen hergestellten Waffen an das Ende des 2. Jts. v. Chr., während die übrigen, hier berücksichtigten Fundstellen mit Ausnahme von Fimber und der Einfriedung von Sigwells (Fundliste Nr. 11 a) jünger sind. Dieser ungleichen Gewichtung entspricht das deutlich zahlreichere Vorkommen der für die jeweiligen typologischen Horizonte eponymen Ewart Park- gegenüber den früheren Wilburton-Schwertern (Colquhoun/Burgess 1988). Neben verschiedenen technologischen Aspekten (Needham 1980) sind die Entdeckungen von Dainton vor allem aus quellenkritischer Perspektive aufschlussreich. Einerseits ist der deutlich bessere konservatorische Zustand der Fragmente aus der Grube gegenüber jenen aus den höheren Schichten zu betonen. Hier zeigt sich, wie wichtig eine zügige Versiegelung der insgesamt recht fragilen Matrizen bzw. ein möglichst hoher Schutz vor äußeren Einflüssen für ihre Überlieferung ist. Dies bestätigt sich mit Blick auf die von Stuart Needham und Sue Bridgford (2013, 68–74) kürzlich zusammengetragenen, allgemeinen Nachweise für spätbronzezeitliche Lehmgießformen Großbritanniens, die allesamt aus Gruben oder Pfostenlöchern stammen. Oberflächenfunde sind damit kaum zu erwarten. Andererseits ist angesichts der Kleinteiligkeit der Bruchstücke eine sorgfältige Arbeitstechnik notwendig, die wohl nur durch archäologische Grabungen gewährleistet werden kann. Zufällige Entdeckungen bei sonstigen Bodeneingriffen führten daher bislang auch nicht zur Bergung entsprechender Spuren vorgeschichtlichen Handwerks. Mit Dainton war nun erstmals für den Süden Großbritanniens ein zu Jarlshof oder Traprain Law vergleichbares Ensemble an Lehmgießformen bekannt. Weitere Stücke traten im Zuge der Ausgrabungen im Bereich der befestigten Höhensiedlung von Norton Fitzwarren in Somerset (Fundliste Nr. 9) während der späten 1960er und frühen 1970er-Jahre zutage. Die annähernd 70 Fragmente stammen allesamt aus einer Grube und dienten offenbar der Herstellung eines einzigen Schwertes vom
Mörtz, Erz und Erzeugnis Typ Ewart Park. Sie waren u. a. mit zwei intakten Keramikgefäßen vergesellschaftet. Aufgrund der Arbeitsweise mit schmalen Suchschnitten und der insgesamt limitierten Grabungsflächen ist die Interpretation des zudem nur anteilig geborgenen Befundes nicht ohne Probleme. Es könnte sich um das Ende eines Grabens im Zugangsbereich der Anlage handeln. Wie im Falle von Dainton sorgte die relativ rasche Verbergung der Bruchstücke nach dem Guss für einen insgesamt guten Erhaltungszustand. Mit Blick auf die Assoziation mit zwei zwar unscheinbaren, aber intakten Keramikgefäßen gibt es gute Gründe, von einer rituellen Deponierung auszugehen. Zu diesem Zweck nutzte man womöglich einen in besonderer Weise symbolisch konnotierten Platz am Ein- bzw. Ausgang der Siedlung. Weitere Hinweise auf spätbronzezeitliches Metallhandwerk im Bereich des ebenso in älteren wie jüngeren Epochen genutzten Hillforts von Norton Fitzwarren fehlen. Aus einem anderen Schnitt stammt ein Hort, der Armringe und Beile der ausgehenden Mittelbronzezeit, allerdings keine Waffen umfasste (Needham 1989 b). Das Problem der mangelhaften Kenntnis des spätbronzezeitlichen Siedlungswesens rückte vor allem durch den von John Barrett und Richard Bradley (1980) edierten Sammelband „Settlement and Society in the British Later Bronze Age“ in den Fokus neuerer Forschung. Mit der Zunahme an systematisch durch Grabungen begleiteten Baumaßnahmen im Flachland Englands erweiterte sich nicht nur die Zahl bekannter Wohnplätze und Agrarflächen deutlich (Needham 1992; Brück 2007; Yates 2007), sondern ebenso die Kenntnis von Überresten des Metallhandwerks. Zu den auf diese Art dokumentierten Plätzen gehören auch mit Gräben und Wällen umfriedete Anlagen, so genannte „Ringworks“, denen analog zu den Höhensiedlungen im Norden und Westen Großbritanniens eine zentralörtliche Funktion attestiert werden darf. Zu dieser Gruppe muss u. a. Springfield Lyons in Essex (Fundliste Nr. 13) gerechnet werden. Der Wall war offenbar durch den Pflug vollständig eingeebnet. Ein kreisförmiger Graben mit einem Durchmesser von mehr als 60 m sowie die gesamte Innenfläche mitsamt Pfostenspuren eines inneren Palisadenringes, Torbauten und mehreren Rundhäusern konnten allerdings während der frühen 1980er-Jahre vollständig dokumentiert werden. Die außerordentlich zahlreichen Fragmente von Gießformen fanden sich einander gegenüberliegend jeweils am östlichen und westlichen Zugang. Man hatte die mit einer Ausnahme allein für die Herstellung von Schwertern des Typs Ewart Park genutzten Bruchstücke gezielt an den Enden der Umfassungsgräben niedergelegt, was an die Situation in Norton Fitzwarren erinnert. Da man den Charakter des Befundes bereits während der Entdeckung erkannte, wurden Blockbergungen veranlasst und auf diese Weise eine sorgfältige Freilegung ermöglicht. Mit den zerschlagenen Gießformen fanden sich Tiegelfragmente, deren Fassungsvermögen zur Herstellung von Schwertern ausreichte (Needham/Bridgford 2013, 62 f.). Daneben waren wenige Scherben, Tierknochen, Holzkohle und zwei sehr kleine Metallreste vergesellschaftet. In der Nähe von Depot 2 am
Mörtz, Erz und Erzeugnis westlichen Zugang dokumentierte man eine Ansammlung von Lehm, welcher möglicherweise zur Fertigung der Gießformen verwendet wurde. Der fragile Zustand der Fragmente kompliziert eine Rekonstruktion der vollständigen Matrizen. Insgesamt hat man es wohl mit 20 Exemplaren zu tun, wobei zwischen den beiden Niederlegungen keine sicheren Anpassungen identifiziert werden konnten (Needham/Bridgford 2013, 64–66). Wie an anderen Fundplätzen mit großen Mengen an Gießformen sind die äußeren Ummantelungen gegenüber den inneren Lagen deutlich unterrepräsentiert, was wohl mit den empfindlicheren Materialeigenschaften zusammenhängt. Das Vorhandensein einer angelsächsischen Siedlung mit zugehörigem Bestattungsplatz auf dem gleichen Areal führte zu einer Ausweitung der archäologischen Forschungen auf das nähere Umfeld der Einfriedung (Buckley/Hedges 1987; Brown/Medlycott 2013). Doch weder inner- noch außerhalb der Anlage konnten weitere Spuren spätbronzezeitlichen Metallhandwerks dokumentiert werden. Auch fehlen Bronzefunde jedweder Art. Das eng umrissene Spektrum der Artefakte und die gezielte Deponierung an den Eingängen, für die es mit dem Befund von Norton Fitzwarren eine mögliche Analogie gibt, lassen kaum Zweifel an der kultischen Konnotation der Handlungen. Großflächige Ausgrabungen im Vorfeld des Kiesabbaus auf den Flussterrassen der Themse bei South Hornchurch östlich von London (Fundliste Nr. 12) führten in den 1990er-Jahren zur Entdeckung spätbronzezeitlicher Siedlungen und Feldsysteme. Eine Grube innerhalb der als Rundbau gedeuteten Struktur 8 enthielt insgesamt 71 Lehmfragmente mit einem Gesamtgewicht von 491 g, die zu einer Gießform für Schwerter gehören. Ob beide Befunde einer Besiedlungsphase zuzuordnen sind, bleibt unsicher. Klar hingegen ist trotz der hohen Zahl an Bruchstücken die Unvollständigkeit der geborgenen Herstellungsreste. Die gezielte Niederlegung der Fragmente in einer Grube verbindet South Hornchurch mit Norton Fitzwarren und Springfield Lyons, allerdings wurden die rituellen Handlungen nicht an den Zugangsbereichen des in der Nähe befindlichen, mit lediglich 36 m Durchmesser sehr kleinen Ringwork, sondern abseits davon vollzogen. Weitere Hinweise auf eine Werkstatt zur Metallverarbeitung fehlen. Womöglich gab es in Analogie zu Dainton einst weitere Bruchstücke außerhalb der Grube, die sich nicht erhalten haben. Ein besonders interessanter Neufund sind die im Zusammenhang mit einem Pfostenbau innerhalb einer Einfriedung unweit des eisenzeitlichen Hillforts von Cadbury in Somerset entdeckten Fragmente von Gießformen. Diese bereits erwähnte Anlage von Sigwells (Fundliste Nr. 11 a) ist zwar weder vollständig ausgegraben noch ausführlich publiziert, wird allerdings von dem Bearbeiter als saisonal genutzter Versammlungsplatz interpretiert (Tabor 2008, 61–69). Der Ort diente in diesem Sinne vor allem der Ausführung verschiedenster handwerklicher Tätigkeiten, u. a. der Herstellung von Bronzeartefakten. Die vorhandenen Fragmente von Gießformen belegen die Fertigung von Lanzenspitzen, Ortbändern, Rapieren, Schwertern und Tüllenbeilen des Wilburton-Horizontes.
65 Die Einfriedung selbst wurde allerdings bereits in der mittleren Bronzezeit errichtet. Neben den Befunden von Jarlshof ist es offenbar nun auch im Süden Großbritanniens geglückt, eine Werkstatt für Metallarbeiten zu identifizieren. Den ausgedehnten geophysikalischen Untersuchungen zufolge bestand die nächstgelegene, reguläre Siedlung in mindestens drei Kilometern Entfernung. Diese spezifische Situierung machte eine Versorgung von außen, u. a. mit Wasser, nötig. Richard Tabor (2008, 67) schlägt vor, die ungewöhnliche Lage als Wahl eines neutralen, von den umliegenden Gemeinschaften gut sichtbaren Ortes zu deuten. In ca. 150 m Abstand zur Einfriedung von Sigwells wurde eine Grube mit weiteren, offenbar jüngeren Bruchstücken von Lehmgießformen ohne weitere Strukturen dokumentiert (Fundliste Nr. 11 b). Es soll sich um mindestens acht verschiedene Artefaktgruppen handeln. Die Angabe wird leider nicht weiter spezifiziert. Auf einer Fotografie (Tabor 2008, 81 Abb. 38) sind Abdrücke für ein Tüllenbeil und wohl ebenso Lanzenspitzen wie Schwertklingen zu erkennen. Es scheint verfrüht, den derzeit nicht adäquat vorgelegten Befund endgültig zu beurteilen. Desgleichen hat die Anpassung von Bruchstücken der Lehmgießformen an die Griffpartie eines in weiterer Entfernung entdeckten Schwertes (Tabor 2008, 67 mit Farbtaf. 6) eine gewisse suggestive Kraft, belegt letztlich aber nur, dass mittels der dokumentierten Überreste tatsächlich Waffen gefertigt wurden. Welche dies konkret waren, kann aufgrund der hohen stilistischen Einheitlichkeit nur mittels vollständig überlieferter Herstellungsreste nachvollzogen werden. Sowohl in Jarlshof als auch in Sigwells fehlen unmittelbare Nachweise für die hergestellten Produkte ebenso wie andere Metallarbeiten. Gerade die traditionell mit Bezug auf John Evans (1881, 456–459) als „Founder’s Hoards“, also Materiallager für Schmiede, interpretierten Deponierungen mit hohen Bruchanteilen wären nach dieser Lesart eigentlich zu erwarten. Das Ausbleiben entsprechender Entdeckungen bzw. die Absenz jedweder Bronzen an den Werkplätzen spricht daher für eine andersartige Interpretation der Metallhorte, die primär nichts mit Recycling zu tun hat (Mörtz 2013). Mehr als fünfhundert Gießformenfragmente mit einem Gesamtgewicht von über 2 kg konnten zusammen mit Keramikresten und Tierknochen aus den untersten Verfüllungsschichten einer natürlichen Senke am Fundplatz 28 von Greenfields bei Great Dunmow in Essex (Fundliste Nr. 5) geborgen werden. Eine ausführliche Publikation steht noch aus, doch hat man es wiederum primär, womöglich sogar ausschließlich, mit Resten der Schwertherstellung zu tun. Weitere Spuren des Metallhandwerks fehlen. Aufgrund unterschiedlicher Charakteristika der Bruchstücke geht die Bearbeiterin Lorraine Mepham (2007) von mehrmaligen Niederlegungen aus. Im Umfeld der Senke wurden Gruben, vereinzelte Pfostenlöcher und eine Feuerstelle festgestellt, die aber nicht zu einer Siedlung gehören sollen (Timby u. a. 2007, 38–45). Die Entdeckungen von Holborough Quarry bei Snodland in Kent (Fundliste Nr. 6) sind bislang lediglich durch eine kurze Fundnotiz bekannt gemacht worden. Die offenbar zahlreichen
66 Fragmente von Gießformen für Schwerter und andere Gegenstände hatte man in einer tiefen Grube südlich des Umfassungsgrabens einer Siedlung der Zeit um 900 v. Chr. angetroffen. Bisher hinsichtlich einer detaillierten Beschreibung unbearbeitet sind Bruchstücke, welche beim Bau der Richard Lander School in Threemilestone bei Truro, Cornwall (Fundliste Nr. 14), und in der Halfhide Lane in Turnford, Hertfordshire (Fundliste Nr. 16), dokumentiert wurden.18 Erstgenannte sollen noch in den Wilburton-Horizont gehören, Letztere einen Siedlungskontext aufweisen (Needham/Bridgford 2013, 70). Doch nicht nur im Süden Großbritanniens führten Siedlungsgrabungen der letzten Jahrzehnte zur Auffindung von Resten spätbronzezeitlicher Gießvorgänge. So kamen zwei Fragmente einer oder mehrerer Formen zur Herstellung von Schwertern in verschiedenen Gruben von Seafield West bei Inverness in Schottland (Fundliste Nr. 10) zutage. Während es sich bei einem Befund womöglich um das zentrale Pfostenloch eines Rundhauses handelt, konnte der andere keiner baulichen Struktur zugeordnet werden. Die Bruchstücke sind in unterschiedlich gutem Zustand. Wie in Jarlshof hatte man die Gießformen mittels in den Lehm eingefügter, hölzerner Stäbe stabilisiert. Die Alterbestimmung von Holzkohleresten aus einer der Gruben erbrachte ein 14C-Datum von 1260–920 cal BC (2890 ±50 BP 2σ) und bestätigt damit die anhand der Abdrücke vorgenommene, typologische Datierung der Formen in die späte Bronzezeit. Von der Besiedlung jener Epoche haben sich in Seafield West nur wenige Spuren erhalten, sodass weitere Aussagen zu den metallurgischen Tätigkeiten nicht möglich sind. Da sich die Fragmente am Rande der erforschten Fläche fanden und nicht alle Befunde ausgegraben wurden, könnten noch weitere Teile von Gießformen vorhanden sein. Von Interesse ist weiterhin der Umstand, dass man auch innerhalb der späteren Siedlung der Jahrhunderte um Christi Geburt am gleichen Ort zahlreiche Hinweise auf Eisenverarbeitung fand (Heald u. a. 2011). Eine Kontinuität lässt sich allerdings nicht belegen. Im Gegensatz zu den übrigen, im ersten Teil des Textes aufgeführten Plätzen Schottlands gibt es im Falle von Seafield West keine oberirdischen Merkmale, die auf das Vorhandensein archäologischer Befunde hindeuten, sondern die Fläche wurde mithilfe von Luftbildern identifiziert. Im Zusammenhang mit spätbronzezeitlichen Rundbauten wurden weiterhin Fragmente von Schwertgießformen in der Siedlung von Cladh Hallan auf South Uist, einer Insel der äußeren Hebriden, entdeckt (Fundliste Nr. 2). Wie im Falle von Jarlshof handelt es sich um Steinarchitektur, deren Innenbereiche recht gut erhalten sind. Genauere Angaben zum Kontext der Funde lassen sich der bisherigen Publikation nicht entnehmen. Es sollen noch weitere, in gleicher Weise kleinteilige Bruchstücke für andersartige Artefakte, darunter Lanzenspitzen und Ortbänder, vorliegen. Bemerkenswert ist die Siedlung vor al18 Zeichnungen und Fotos der Stücke aus der Halfhide Lane in Truro finden sich bei Quilliec 2007, Taf. 28; 34.
Mörtz, Erz und Erzeugnis
Abb. 4: Kartierung der Funde von Lehmgießformen für spätbronzezeitliche Schwerter bis in die 1970er-Jahre (rot) und seit den 1970er-Jahren (blau) sowie alter Kupferreviere (gelb) nach Coleman/Cooper (2000, 59 Abb. 23) in Großbritannien: 1 Jarlshof; 2 Cladh Hallan; 3 Seafield West; 4 Loanhead; 5 Traprain Law; 6 Fimber; 7 Breiddin; 8 Greenfields; 9 Turnford; 10 Springfield Lyons; 11 South Hornchurch; 12 Holborough Quarry; 13 Norton Fitzwarren; 14 Sigwells; 15 Dainton; 16 Threemilestone
lem aufgrund der Dokumentation in außergewöhnlicher Weise konservierter Bestattungen unterhalb der Fußböden, die Hinweise auf Mumifizierung anzeigen sollen (Parker Pearson u. a. 2005). Trotz der peripheren Lage kennt man im Gegensatz zu den Shetland-Inseln von South Uist auch spätbronzezeitliche Schwerter, u. a. aus dem Depot von Iochdar (heute Eochar) (Anderson 1878/79, 327 f.; Evans 1881, 289; Coles 1959/60, 111; Colquhoun/Burgess 1988, 99 f. Nr. 579; Maraszek 2006, 377 SCO/HI8; Cowie/O’Connor 2007, 328–330).
Mörtz, Erz und Erzeugnis
Allgemeine Charakteristika der Fundorte mit Lehmgießformen für Schwerter Anhand der dargestellten Forschungsgeschichte zu den Lehmgießformen für die spätbronzezeitlichen Schwerter Großbritanniens lässt sich grundsätzlich ein steter Trend zu immer unauffälligeren Kontexten nachvollziehen. So standen zunächst landschaftlich markante und/oder oberirdisch durch Monumente anderer Epochen gekennzeichnete Plätze im Mittelpunkt der Grabungstätigkeiten. Befunde der späten Bronzezeit und damit ebenso die metallurgischen Überreste wurden in diesem Zusammenhang eher zufällig dokumentiert. Dies trifft auf alle Funde bis in die 1970er-Jahre, d. h. Fimber, Jarlshof, Loanhead und Traprain Law, aber ebenso Breiddin zu. Mit den Entdeckungen von Dainton erweiterte sich die Kenntnis von aus Lehm gefertigten Gießformen auf den Süden Großbritanniens (Abb. 4). Es folgten Bergungen im Kontext umfriedeter, im lokalen Umfeld bedeutender Anlagen wie Norton Fitzwarren und Springfield Lyons oder auch Sigwells. In jüngster Zeit kamen mit Cladh Hallan, Holborough Quarry, Seafield West und South Hornchurch vor allem einfache Siedlungen ohne bzw. mit nur sehr kleinen Befestigungen hinzu. Diese diversifizierte Verteilung spricht gegen eine starke Zentralisierung des Metallhandwerks. Die Herstellung von Schwertern stellte zwar ohne Zweifel besondere Anforderungen an den Schmied, wurde aber offenbar selbst an sowohl hinsichtlich der Befunde als auch der Funde wenig außergewöhnlichen Orten ausgeführt. So bemerkte bereits Joanna Brück (2007, 34), dass Hinweise auf die Herstellung von Bronzen in offenen Siedlungen häufiger auftreten als auf erhöht gelegenen Plätzen. Die deutliche Konzentration in den Ringworks könnte wiederum auf den Forschungsstand zurückzuführen sein, da meist nur die Anlagen und selten ihr unmittelbares Umfeld freigelegt wurden. So sind beispielsweise die Lehmfragmente von South Hornchurch mit einem gewöhnlichen Rundbau assoziiert und nicht mit der ca. 80 m entfernten Einfriedung. Da eine typologische Identifikation der in den Formen gegossenen Schwerter nur anhand der Griffpartien möglich ist, die Fragmente allerdings sehr kleinteilig sind, wird eine chronologische Differenzierung zwischen den eponymen Typen und Horizonten Wilburton und Ewart Park deutlich erschwert. Auffällig ist allerdings, dass die sicher in den älteren Abschnitt gehörenden Befunde, nämlich Dainton, Fimber und Sigwells (Einfriedung), nach dem bisherigen Kenntnisstand keinen unmittelbaren Bezug zu Siedlungsstrukturen aufweisen, was umgekehrt für fast alle jüngeren Entdeckungen gilt. Zudem ist in den beiden erstgenannten Fällen der starke Fokus auf kriegerische Ausrüstungsgegenstände bemerkenswert. So dienten die kleinen, geschlossenen Ringe, deren Herstellung in Dainton nachvollziehbar ist, wahrscheinlich zur Befestigung der Scheide am Gürtel und komplettieren mit dem Ortband die Schwertgarnitur (Mörtz 2012). Der aufgezeigte Trend könnte anhand der im Bereich älterer Urnengräber dokumentierten
67 Fragmente vom Loanhead untermauert werden, doch sind diese nicht in gewünschter Weise typologisch eindeutig ansprechbar. Eine Zuweisung in den Wilburton-Horizont ist daher nur eine Möglichkeit. Die insgesamt geringe Menge an Funden verhindert eine allgemeine Interpretation dieser Beobachtungen. Insbesondere die Frage, ob sich mit dem beginnenden 1. Jt., d. h. mit dem Ewart Park-Horizont, die Organisation des Metallhandwerks verändert, wie es die häufigere Dokumentation von Funden in Wohnarealen andeuten könnte, muss vorerst offen bleiben. In dieser Hinsicht ist vor allem die Aufarbeitung der Befunde von Sigwells im Verhältnis zu der großflächig prospektierten Landschaft um Cadbury Castle abzuwarten. Letztlich bedeutet nicht jeder einzelne Fund eines Bruchstückes einer Lehmgießform den Nachweis metallurgischer Tätigkeiten vor Ort. Sollte sich die Deutung der Einfriedung von Sigwells als saisonaler Arbeitsplatz von Schmieden einer bestimmten Region bestätigen, so wäre es gut vorstellbar, dass die Anwohner nicht nur die Produkte, sondern ebenso einige markante und symbolisch aufgefasste Fragmente der Herstellungsmittel mitnahmen und daheim rituell vergruben. Die vereinzelten Entdeckungen in Pfostenlöchern, wie im Falle von Seafield West, könnten in diesem Sinne erklärt werden. Aufgrund der Fragilität der Bruchstücke wird man allerdings nur mit geringen Entfernungen von wenigen Kilometern zwischen Produktions- und Deponierungsort rechnen dürfen. Im Gegensatz zu den Gießformen aus Stein, die überwiegend zufällige und kontextlose Entdeckungen sind, und jenen aus Metall, welche man gemeinsam mit anderen Bronzen deponierte, treten die Bruchstücke der aus Lehm gefertigten Exemplare ausnahmslos im Zuge systematischer archäologischer Tätigkeiten zutage. Ihre Dokumentation, vor allem aber Identifikation, ist daher direkt vom jeweiligen Forschungsstand zum Siedlungswesen einer Region abhängig. Die Kleinteiligkeit der Überreste sowie die – beispielsweise im Vergleich zu bei hohen Temperaturen gebrannter Keramik – schlechten Erhaltungsbedingungen, insbesondere an der Oberfläche, sind weitere Faktoren, die es einschränkend zu berücksichtigen gilt. Auch qualitätvolle Gießformen aus Lehm sind überaus empfindlich gegenüber Feuchtigkeit und vergehen ungeschützt leicht, sodass selbst ein intensiv genutzter Arbeitsplatz eines Gießers in dieser Hinsicht spurlos verschwinden kann. Entsprechende Funde sind daher nur dort bekannt, wo die Bruchstücke gezielt in Gruben deponiert wurden oder noch aufgehend erhaltene Steinarchitektur die Fußböden von Werkstätten konservierte, was für Jarlshof und wohl ebenso Cladh Hallan zutrifft. Gerade für den letztgenannten Fall dürfte eine ausführliche Vorstellung der modern dokumentierten Befunde interessante Einblicke in die Arbeitstechniken spätbronzezeitlicher Schmiede erbringen. Auffällig ist das jeweils deutlich weiter gefasste Spektrum an Gegenständen, wobei etwa im Gegensatz zu Dainton oder Fimber auch die Herstellung nichtkriegerischer Bronzeartefakte nachgewiesen werden konnte. Innerhalb der Werkstatt von Jarlshof lagen die Überreste der Gusstätigkeiten locker verstreut, eine ca. 30 cm tiefe, leicht
68 schräg verlaufende Grube im Bereich ihrer größten Konzentration enthielt lediglich Sand und drei kleine Bronzestücke (Curle 1932/33, 91 f.; Hamilton 1956, 23). Diesen Befund nutzte man offenbar, um die Matrizen zu fixieren und die Schmelze in einem Winkel von etwa 30° einzufüllen, wodurch die entstehenden Gase gut entweichen konnten (Ó Faoláin/ Northover 1998, 73; Ó Faoláin 2004, 84). Allerdings war eine solche Stabilisierung der Lehmformen ebenso problemlos oberirdisch in mit Sand gefüllten, aufrecht platzierten Behältnissen zu bewerkstelligen, wie experimentelle Versuche zeigen (Siedlaczek 2011, 114 f.). Das Ausheben neuer bzw. die Nutzung von bestehenden Gruben war demnach keine allgemein notwendige Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Bronzeguss. Entsprechende Fundumstände deuten also nicht zwangsläufig auf metallurgische Vorgänge, bei denen man die zerbrochenen Formen vor Ort entsorgte. Abgesehen davon, dass die Beobachtungen von Jarlshof bislang singulär geblieben sind, hatte man die künstliche Vertiefung offensichtlich nicht entleert und die zerschlagenen Reste im Umkreis an der Oberfläche liegengelassen. Ein vergleichbarer Umgang lässt sich für die Werkstatt von Feudvar nachvollziehen (Hänsel/Medović 2004, 92). Mit dem Metallhandwerk zu assoziierende Bodeneingriffe fehlen dort allerdings. Die deutlich selektive Einbringung der Fragmente von Lehmgießformen in verschiedenartig gestaltete und platzierte Gruben steht damit nicht in direkter Verbindung mit der Bronzeherstellung. Für einige Fälle, wie vor allem Norton Fitzwarren und Springfield Lyons, ist es aufgrund der Entdeckungsumstände überzeugend, von rituellen Handlungen auszugehen (Needham 1992, 61; Brück 2006, 299; Needham/Bridgford 2013, 73 f.). Die übrigen, inner- und außerhalb von Siedlungen dokumentierten Funde sind meines Erachtens in analoger Weise zu verstehen, nämlich als bewusste, kultisch motivierte Deponierungen. Ähnlich argumentierte bereits Christopher Prescott (2000) für verschiedene Entdeckungen in Norwegen. Angesichts der zahlreichen neuen und bislang gerade hinsichtlich ihres Kontextes nur unzureichend ausgewerteten Gießformen, versprechen zukünftige Forschungen weitere Einblicke in die Struktur derartiger Rituale. Für Loanhead ist weiterhin ein Bezug zu älteren Grabmonumenten erkennbar, ohne dass sich anhand der Informationen zu dem Befund eine Beziehung zu spätbronzezeitlichen Bestattungen erkennen ließe. So gibt es keine Hinweise auf unmittelbar vergesellschaftete Knochen oder Leichenbrände. Vergleichbare Entdeckungen kennt man aus Irland (Ó Faoláin 2004, 116–118). Auch dort fehlen direkte Belege für metallurgische Vorgänge. Im Sinne ritueller Niederlegungen diskutierte Bernhard Hänsel (2007; 2011) mehrere Ensembles steinerner Gießformen aus Südosteuropa. Diese konnten im Gegensatz zu den hier besprochenen Stücken zwar mehrfach verwendet werden, dennoch sind Beschädigungen feststellbar und beispielsweise einige Hälften oder Kernhalter absent. Es handelt sich also keineswegs um unterirdisch gelagerte, unmittelbar gebrauchsfähige Sammlungen, deren Zusammenstellung und
Mörtz, Erz und Erzeugnis Behandlung sicher nicht zufällig an zeitgleiche Metallhorte erinnert. Aus dieser Perspektive ließe sich vielleicht ebenso verstehen, warum trotz hoher Mengen an Bruchstücken die Gießformen, wie im Falle von South Hornchurch, offenbar regelhaft unvollständig sind. Für einzelne Fragmente wie in Seafield West böte sich ein Erklärungsmuster in Bezug zum rituell konnotierten Brechen der Bronzen und deren ebenfalls häufig nur anteiligem Deponieren an (Mörtz 2013). Zumindest die Überreste der Herstellung von Schwertern wurden demnach wie die in ihnen gefertigten Produkte behandelt und nach ihrem Gebrauch sorgsam, nach spezifischen, sozial konstruierten und legitimierten Sitten niedergelegt. Dass solche Handlungen nicht den regelhaften Abschluss metallurgischer Tätigkeiten bildeten, illustriert die insgesamt immer noch bescheidene Menge an bekannten Gießformen sowie die vergleichsweise sorg- und wahllose Streuung an zerbrochenen Fragmenten auf dem Boden der Werkstatt von Jarlshof. Man hat es demnach mit besonderen Anlässen zu tun, die eine solch auffällige Verbergung wie an den Zugängen zur Einfriedung von Springfield Lyons begründete. Ob sich diese Erkenntnisse allein auf die Herstellung von Schwertern beziehen oder auf andere Artefaktgruppen, vor allem die Tüllenbeile, auszudehnen sind, müssen gesonderte Untersuchungen zeigen. Für die aus Siedlungen des nordischen Kreises bekannten Lehmgießformen kommt Detlef Jantzen (2008, 277) zu einem anderen Ergebnis. Seiner Meinung nach hatte man die meisten Fragmente wie andere Abfälle und vor allem gemeinsam mit diesen in Gruben entsorgt. Eine derartige Vermischung lässt sich für Großbritannien selten feststellen. Vielmehr scheinen die Gießformen bewusst von Keramik und anderen Dingen separiert worden zu sein. Im Falle von Norton Fitzwarren waren neben zahlreichen Scherben auch zwei vollständige Gefäße vergesellschaftet, eine Entsorgung ist daher unwahrscheinlich. Leider wurde die möglicherweise am Ende eines Grabens situierte Grube nicht vollständig dokumentiert, sodass ihre Interpretation mit Unsicherheiten behaftet ist. Im Falle von Holborough Quarry hatte man die Fragmente gezielt außerhalb der Siedlung niedergelegt. Im Vergleich zwischen atlantischem und nordischem Kreis hat man es folglich offenbar mit einem andersartigen, kulturell bedingten Umgang mit den Fertigungsresten des Schwertgusses zu tun. Dies bedeutet allerdings keineswegs, dass die nordeuropäischen Entdeckungen nicht ebenfalls als Zeugnisse ritueller Handlungen zu verstehen sein könnten. Auch in dieser Frage scheinen mir detaillierte Analysen anhand gut dokumentierter Befunde lohnenswert. Für Großbritannien bleibt indessen die Bedeutung kultisch begründeter Überlieferungsfilter festzuhalten. In der überwiegenden Zahl der vorgestellten Fälle hatte man eine Auswahl der zerbrochenen Fragmente gezielt niedergelegt, wodurch sie konserviert wurden. Insgesamt kann man daraus folgern, dass die Lehmgießformen mit Sicherheit deutlich zahlreicher waren, als bisher bekannt, sich die Stücke allerdings an der Oberfläche nicht erhalten haben.
Mörtz, Erz und Erzeugnis
Erzlagerstätten und Waffenproduktion Die bis in die 1970er-Jahre entdeckten Nachweise für die Herstellung spätbronzezeitlicher Schwerter fanden sich ausnahmslos nördlich des Flusses Trent. Ihre Verbreitung war damit peripher zu den quantitativen Zentren der Waffenfunde im Südosten Großbritanniens. Dieses Bild hat sich durch die aufgeführten Entdeckungen der letzten Jahrzehnte entscheidend verändert und ist aus geografischer Perspektive wesentlich ausgeglichener geworden (Abb. 4). Eine auffallend hohe Dichte an Fragmenten von Gießformen ist nun im Süden Englands, einerseits in Cornwall, Devon und Somerset, andererseits im Bereich der Themsemündung, feststellbar. Diese Häufungen sind zweifelsohne auf den mittlerweile guten Kenntnisstand zum vorgeschichtlichen Siedlungswesen bzw. der Landschaftsnutzung in diesen Regionen zurückzuführen und illustrieren damit beispielhaft die Einflüsse archäologischer Feldforschungen. Während die im Einzugsbereich der Themse liegenden Gebiete über Jahrtausende intensiv besiedelt und ackerbaulich genutzt wurden, haben sich im für diese Zwecke ungünstigeren Südwesten Englands in einzigartiger Weise sehr alte agrarwirtschaftliche Strukturen erhalten. Zu den bekanntesten gehören jene auf der Hochebene von Dartmoor in Devon (Fleming 1988; Wickstead 2008). Diese Bedingungen haben die Erforschung bronzezeitlicher Feld- und Siedlungssysteme wesentlich befördert und deutlich früher als im Rest Großbritanniens initiiert. Im Südosten der Insel waren es später vor allem die spektakulären Entdeckungen in den Fenlands mit dem prominenten Fundplatz von Flag Fen bei Peterborough in Cambridgeshire (Pryor 2001; Pryor/Bamforth 2010). Mit großflächigen Baumaßnahmen und damit zusammenhängenden archäologischen Untersuchungen hat sich der Fokus während der letzten Jahrzehnte zunehmend verlagert (Yates 2007) und entlang der unteren Themse relativ zahlreiche Fragmente von Gießformen erbracht (Needham/Bridgford 2013, 68–73). Die Häufung entsprechender Funde in Cornwall, Devon und Somerset hat somit forschungsgeschichtliche Ursachen und steht kaum in direkter Verbindung mit den Lagerstätten von Kupfer und Zinn im Südwesten Englands. In analoger Weise sind die Belege des Schwertgusses in Schottland nicht unmittelbar mit den dortigen Erzvorkommen, deren Ausbeutung in prähistorischer Zeit bislang ohnehin nicht nachgewiesen werden konnte (Hunter u. a. 2006, 50), zu assoziieren. Im Gegenteil zeigen die gerade im Süden Großbritanniens umfangreichen Horte, dass in allen Regionen genügend Bronze zur Verfügung stand. Diesem Befund gemäß verteilen sich die momentan bekannten Gießformenfragmente für Schwerter relativ gleichförmig über die gesamte Insel (Abb. 4), wobei meines Erachtens eine weitere Zunahme an Exemplaren durch die systematische Aufarbeitung der Grabungen im Südosten Englands zu erwarten sein dürfte. Die deutlich verschiedenartige Verbreitung der mit ihrer Hilfe hergestellten Waffen ist hingegen auf die spätbronzezeitli-
69 chen Deponierungssitten zurückzuführen, welche sowohl hinsichtlich der Auswahl sowie der Behandlung der Artefakte regionalen und chronologischen Rhythmen unterworfen sind (Maraszek 2006). Horte, Einzel- und Flussfunde sind damit Manifestationen differenzierter sozialer Handlungen. Auf Großbritannien war die Niederlegung von Waffen während der späten Bronzezeit vor allem an Feuchtgebiete unterschiedlichen Charakters gebunden (Coombs 1975; York 2002; Maraszek 2006, 166–170; 179–182; 194–209; Mörtz 2010). Daneben treten quantitativ stark beschränkte Mengen an Lanzenspitzen und/oder Schwertern, insbesondere in fragmentiertem und unvollständigem Zustand, auch in komplex zusammengestellten Horten aus trockenem Milieu auf. Während Entdeckungen der letztgenannten Kategorie weitgehend auf den Südosten Englands beschränkt sind, kennt man Waffendeponierungen geringen Umfanges, d. h. solche mit einer maximalen Zahl von zehn Artefakten, insbesondere im Norden der Insel. Einzelfunde von Schwertern streuen hingegen relativ gleichmäßig über das Arbeitsgebiet (Colquhoun/Burgess 1988). Rechnet man aus quellenkritischen Gründen die Bergungen aus Flüssen hinzu, für welche eine gemeinsame Versenkung mit anderen, an gleicher Stelle entdeckten Bronzen weder auszuschließen noch zu belegen ist, so ergibt sich wiederum ein starkes Süd-Nord-Gefälle. Hierbei gilt es allerdings einerseits die geografische Sonderstellung der Themse als größtem und bedeutendstem Fließgewässer Großbritanniens, andererseits die deutlichen Auswirkungen moderner Baumaßnahmen im Großraum London seit dem 19. Jh. hervorzuheben. Da sich die Bestattungssitten der hier betrachteten Epoche aus archäologischer Perspektive derzeit nicht nachweisen lassen (Burgess 1976; Brück 1995), ist eine Dokumentation spätbronzezeitlicher Waffen, insbesondere ihre quantitative Verteilung, an die Verbreitung und regionalspezifische Häufung der genannten Quellengattungen gebunden. Das Auftreten der vorangehend vorgestellten Gießformen ist demgegenüber deutlich ausgeglichener und beweist, dass die Herstellung von Schwertern keineswegs an die Nähe zu Erzlagerstätten gebunden war. Eine Beziehung zu besonders aufwendigen und/oder fundreichen, damit vermeintlich elitären Wohnplätzen ist ebenfalls nicht klar erkennbar, sondern die Artefaktproduktion fand im Gegenteil an vielen verschiedenartigen Orten statt. Wie Jantzen (2008, 303–305) richtig erkannte, ist es auch im nordischen Kreis auf dem derzeitigen Kenntnisstand verfrüht, eine Hierarchisierung von Siedlungsplätzen allein mit Blick auf die Nachweise für Metallverarbeitung vorzunehmen. Dies betriff t in gleicher Weise weitere Regionen Europas, darunter das Karpatenbecken (Dietrich 2011). Ein realistisches Bild des bronzezeitlichen Metallhandwerks hängt allerdings ebenso von der Identifikation prähistorischer Überlieferungsfilter ab, wie dies bereits Needham (1981) für die Tüllenbeile im Süden Englands diskutierte. Anhand der aus Lehm gefertigten Gießformen für Schwerter wurde deutlich, dass entsprechende Fragmente in der Regel nur dort überliefert sind, wo man sie gezielt unterirdisch deponiert hatte.
70 Dies geschah zumindest auf Großbritannien in strenger Selektion und mitunter an auffälligen Orten, weshalb nicht von einer simplen Entsorgung von Abfällen, sondern rituellen Handlungen auszugehen ist. Wo der Guss genau stattfand, muss daher unklar bleiben. Die im Vergleich zu anderen Artefaktgruppen prominente Stellung der Gießformen für Schwerter (Needham/Bridgford 2013, 68–73) erklärt sich vor diesem Hintergrund wohl im Verhältnis zu der hohen Bedeutung, die der Niederlegung von Waffen ausweislich der vielen Funde in Gewässern und Horten allgemein zugeschrieben wurde.
Fazit Anhand der forschungsgeschichtlich ausgerichteten Analyse ihrer Entdeckungsumstände zeigte sich, wie stark die Dokumentation von aus Lehm gefertigten Gießformen für die spätbronzezeitlichen Schwerter Großbritanniens einerseits von ihrer bewussten und willentlichen, unterirdischen Deponierung in der Vergangenheit, andererseits vom regional variierenden Kenntnisstand zum Siedlungswesen in der Gegenwart abhängig ist. Mit Blick auf diese Variablen sind Rückschlüsse auf prähistorische Produktionsstrukturen und Distributionsnetzwerke von Bronzeartefakten nur sehr eingeschränkt möglich. Im Gegenteil wird deutlich, dass die Waffenfertigung weder an eine Nähe zu Erzlagerstätten noch an befestigte oder in anderer Hinsicht auffällige Orte, die als Wohn- und/oder Werkplätze sozial privilegierter Personen zu verstehen wären, gebunden war. Die Herstellung von Schwertern fand in allen Teilen der Insel statt und wurde in den verschiedensten Kontexten durchgeführt. Da es bislang keine Belege für überregional tätige, zentralisierte Produktionsstätten gibt, wäre in Zukunft zu klären, auf welche Art die metallurgischen Fähigkeiten vermittelt wurden und wie die hohe gestalterische Einheitlichkeit der spätbronzezeitlichen Schwerter Großbritanniens zustande kam.
Mörtz, Erz und Erzeugnis Fundliste der Lehmgießformen für spätbronzezeitliche Schwerter Großbritanniens 1. Breiddin bei Shrewsbury, Shropshire, England Datierung: Ewart Park-Horizont Literatur: Musson 1991, 147–149; Howard 1991 2. Cladh Hallan bei Daliburgh, South Uist, Western Isles, Schottland Datierung: Ewart Park-Horizont Literatur: Parker Pearson u. a. 2004, 76 3. Dainton bei Torquay, Devon, England Datierung: Wilburton-Horizont Literatur: Needham 1980 4. Fimber, East Yorkshire, England Datierung: Wilburton-Horizont Literatur: Mortimer 1905, 188 f.; Sheppard 1930; Burgess 1968 a, 63 f. Appendix 3 Nr. 1; Manby 1980, 358; Schmidt/Burgess 1981, 177 Nr. 1006 5. Greenfields (Fundplatz 28) bei Great Dunmow, Essex, England Datierung: Ewart Park-Horizont Literatur: Mepham 2007 6. Holborough Quarry bei Snodland, Kent, England Datierung: Ewart Park-Horizont Literatur: Boden 2004/05, 42 7. Jarlshof bei Sumburgh, Mainland, Shetland Islands, Schott land Datierung: Ewart Park-Horizont Literatur: Curle 1932/33, bes. 114–116; Curle 1933/34, bes. 278–283; Hamilton 1956, 29 8. Loanhead bei Daviot, Aberdeenshire, Schottland Datierung: Wilburton/Ewart Park-Horizont Literatur: Kilbride-Jones 1935/36, bes. 290 u. 302 f. 9. Norton Fitzwarren, Somerset, England Datierung: Ewart Park-Horizont Literatur: Needham 1989 a 10. Seafield West bei Inverness, Highland, Schottland Datierung: Ewart Park-Horizont Literatur: Cowie/Eremin 2011 11. Sigwells bei Cadbury, Somerset, England a) Einfriedung Datierung: Wilburton-Horizont Literatur: Tabor 2008, 66 f. b) Grube Datierung: Ewart Park-Horizont Literatur: Tabor 2008, 79 12. South Hornchurch bei London, Essex, England Datierung: Ewart Park-Horizont Literatur: Harrison/Guttmann 2000 13. Springfield Lyons bei Chelmsford, Essex, England Datierung: Eart Park-Horizont Literatur: Needham 1987; Needham/Bridgford 2013 14. Th reemilestone (Richard Lander School) bei Truro, Cornwall, England Datierung: Wilburton-Horizont Literatur: unpubliziert 15. Traprain Law bei East Linton, East-Lothian, Schottland Datierung: Ewart Park-Horizont Literatur: Cree/Curle 1921/22, bes. 213–215; Burley 1955/56, 153 f. Nr. T. 47–54 16. Turnford (Halfhide Lane), Hertfordshire, England Datierung: Ewart Park-Horizont Literatur: unpubliziert
Mörtz, Erz und Erzeugnis
Literatur Barrett/Bradley 1980 J. Barrett/R. Bradley (Hrsg.), Settlement and Society in the British Later Bronze Age. BAR Brit. Ser. 83 (Oxford 1980). Boden 2004/05 D. Boden, Holborough Quarry, Snodland. Canterbury’s Arch. 29, 2004/05, 41–42. Bradley 2005 R. Bradley, The moon and the bonfire. An investigation of three stone circles in north-east Scotland (Edinburgh 2005). Brown/Medleycott 2013 N. Brown/M. Medlycott, The Neolithic and Bronze Age Enclosures at Springfield Lyons, Essex. Excavations 1981–1991. East Anglian Arch. 149 (Chelmsford 2013). Brück 1995 J. Brück, A place for the dead: the role of human remains in Late Bronze Age Britain. Proc. Prehist. Soc. 61, 1995, 245–277. Brück 2006 J. Brück, Fragmentation, Personhood and the Social Construction of Technology in Middle and Late Bronze Age Britain. Cambridge Arch. Journal 16,3, 2006, 297–315. Brück 2007 J. Brück, The character of Late Bronze settlement in southern Britain. In: C. Haselgrove/R. Pope (Hrsg.), The Earlier Iron Age in Britain and the Near Continent (Oxford 2007) 24–38. Buckley/Hedges 1987 D. G. Buckley/J. D. Hedges, The Bronze Age and Saxon Settlements at Springfield Lyons, Essex. An Interim Report. Essex County Council Occasional Paper 5 (Chelmsford 1987). Burgess 1968 a C. Burgess, Bronze Age Metalwork in Northern England, c. 1000– 700 B. C. (Newcastle-upon-Tyne 1968). Burgess 1968 b C. B. Burgess, Bronze Age dirks and rapiers as illustrated by examples from Durham and Northumberland. Transact. Architectural and Arch. Soc. Durham 1, 1968, 3–26. Burgess 1976 C. B. Burgess, Burials with metalwork of the later Bronze Age in Wales and beyond. In: G. C. Boon/J. N. Lewis (Hrsg.), Welsh Antiquity. Essays mainly on Prehistoric Topics. Festschr. H. N. Savory (Cardiff 1976) 81–106. Burgess/Gerloff 1981 C. B. Burgess/S. Gerloff, The Dirks and Rapiers of Great Britain and Ireland. PBF 4,7 (München 1981). Burley 1955/56 E. Burley, A Catalogue and Survey of the Metal-Work from Traprain Law. Proc. Soc. Ant. Scotland 89, 1955/56, 118–226. Coleman/Cooper 2000 T. B. Colemann/D. C. Cooper, Exploration for Metalliferous and Related Minerals in Britain: A Guide. DTI Minerals Programme Publ. 1 (Keyworth 20002). Colquhoun/Burgess 1988 I. A. Colquhoun/C. B. Burgess, The Swords of Britain. PBF 4,5 (München 1988). Coombs 1975 D. Coombs, Bronze Age Weapon Hoards in Britain. Arch. Atlantica 1,1, 1975, 49–81. Coombs 1991 D. G. Coombs, Bronze objects. In: Musson u. a. 1991, 132–141. Cowie/O’Connor 2007 T. Cowie/B. O’Connor, Late Bronze Age Swords from Scotland: Some Finds Old and New. In: Ch. Burgess/P. Topping/F. Lynch (Hrsg.), Beyond Stonehenge. Essays on the Bronze Age. Festschr. Colin Burgess (Oxford 2007) 316–334. Cowie/Eremin 2011 T. Cowie/K. Eremin, Fragments of Bronze Age sword moulds. In: Cressey/Anderson 2011, 24–27.
71 Cree/Curle 1921/22 J. E. Cree/A. O. Curle, Account of the excavations on Traprain Law during the summer of 1921. Proc. Soc. Ant. Scotland 56, 1921/22, 189–259. Cressey/Anderson 2011 M. Cressey/S. Anderson, A Later Prehistoric Settlement and Metalworking Site at Seafield West, near Inverness, Highland. Scottish Archaeological Internet Reports 47 (www.sair.org.uk 2011). (Stand: 23. 6. 2012) Cunliffe 2003 B. Cunliffe, Danebury Hillfort (Stroud 2003). Curle 1932/33 A. O. Curle, Account of Further Excavation in 1932 of the Prehistoric Township at Jarlshof, Shetland. Proc. Soc. Ant. Scotland 67, 1932/33, 82–136. Curle 1933/34 A. O. Curle, An Account of Further Excavation at Jarlshof, Sumburgh, Shetland, in 1932 and 1933. Proc. Soc. Ant. Scotland 68, 1933/34, 224–319. Dietrich 2011 O. Dietrich, Zentralisierte Produktionsstrukturen? Überlegungen zur räumlichen Beziehung von bronzezeitlichen Gussformen und Fertigprodukten in Südosteuropa am Beispiel der rumänischen Tüllenbeile. Marisia 31, 2011, 77–91. Ellis 1989 P. Ellis, Norton Fitzwarren hillfort: A report on the excavations by Nancy and Philip Langmaid between 1968 and 1971. Proc. Somerset Arch. Soc. 133, 1989, 1–74. Eogan 1993 G. Eogan, Aspects of metal production and manufacturing systems during the Irish Bronze Age. Acta Praehist. et Arch. 25, 1993, 87–110. Evans 1881 J. Evans, The Ancient Bronze Implements, Weapons, and Ornaments, of Great Britain and Ireland (London 1881). Fleming 1988 A. Fleming, The Dartmoor Reaves. Investigating Prehistoric Land Divisions (London 1988). Guttmann/Last 2000 E. B. A. Guttmann/J. Last, A Late Bronze Age Landscape at South Hornchurch, Essex. Proc. Prehist. Soc. 66, 2000, 319–359. Hänsel 2007 B. Hänsel, Das Gießeropfer – zu einer Hortfundgruppe in Südosteuropa. In: M. Blečić/M. Črešnar/B. Hänsel/A. Hellmuth/E. Kaiser/ C. Metzner-Nebelsick (Hrsg.), Scripta Praehistorica in Honorem Biba Teržan. Festschr. Biba Teržan. Situla 44 (Ljubljana 2007) 169–181. Hänsel 2011 B. Hänsel, Gussformendepots ‒ auch Opfergaben von Metallhandwerkern? In: E. Sava/B. Govedarica/B. Hänsel (Hrsg.), Der Schwarzmeerraum vom Äneolithikum bis in die Früheisenzeit (5000–500 v. Chr.) 2. Globale Entwicklung versus Lokalgeschehen. Internationale Fachtagung von Humboldtianern für Humboldtianer im Humboldt-Kolleg in Chişinău, Moldavien (4.–8. Oktober 2010). Prähist. Arch. Südosteuropa 27 (Rahden/Westf. 2011) 134–147. Hänsel/Medović 2004 B. Hänsel/P. Medović, Eine Bronzegießerwerkstatt der Frühen Bronzezeit in Feudvar bei Mošorin in der Vojvodina. In: B. Hänsel (Hrsg.), Parerga Praehistorica. Jubiläumsschrift zur Prähistorischen Archäologie. 15 Jahre UPA. Univforsch. Prähist. Arch. 100 (Bonn 2004) 83–111. Hamilton 1956 J. R. C. Hamilton, Excavations at Jarlshof, Shetland. Ministry of Works Arch. Rep. 1 (Edinburgh 1956). Hamilton/Manley 2001 S. Hamilton/J. Manley, Hillforts, Monumentality and Place: A Chronological and Topographic Review of First Millenium BC Hillforts of South-East-England. European Journal Arch. 4,1, 2001, 7–42. Harrison/Guttmann 2000 E. Harrison/E. B. A. Guttmann, Sword Mould. In: Guttmann/Last 2000, 344. Heald u. a. 2011 A. Heald/G. McDonnell/I. Mack, Ironworking debris. In: Cressey/ Anderson 2011, 20–24.
72 Hodges 1954 H. W. M. Hodges, Studies in the Late Bronze Age in Ireland 1. Stone and Clay Moulds for Bronze Implements. Ulster Journal Arch. 17, 1954, 62–80. Hodges 1958/59 H. W. M. Hodges, The Bronze Age Moulds of the British Isles 1. Scotland and Northern England ‒ Moulds of Stone and Clay. Sibrium 4, 1958/59, 129–137. Hodges 1960 H. W. M. Hodges, The Bronze Age Moulds of the British Isles 2. England and Wales ‒ Moulds of Stone and Bronze. Sibrium 5, 1960, 153–162. Howard 1991 H. Howard, Refractory ceramic fabrics from the Breiddin hillfort. In: Musson u. a. 1991, Microfiche Suppl., 222–231. Hunter u. a. 2006 F. Hunter/T. Cowie/A. Heald, Research Priorities for Archaeometallurgy in Scotland. Scottish Arch. Journal 28,1, 2006, 49–62. Jantzen 2008 D. Jantzen, Quellen zur Metallverarbeitung im Nordischen Kreis der Bronzezeit. PBF 19,2 (Stuttgart 2008). Kilbride-Jones 1935/36 H. E. Kilbride-Jones, Late Bronze Age cemetery: being an account of the excavations of 1935 at Loanhead of Daviot, Aberdeenshire. Proc. Soc. Ant. Scotland 70, 1935/36, 278–310. Kristiansen 2002 K. Kristiansen, The Tale of the Sword ‒ Swords and Swordfighters in Bronze Age Europe. Oxford Journal Arch. 21,4, 2002, 319–332. Manby 1980 T. G. Manby, Bronze Age settlement in Eastern Yorkshire. In: Barrett/ Bradley 1980, 307–370. Maraszek 2006 R. Maraszek, Spätbronzezeitliche Hortfundlandschaften in atlantischer und nordischer Metalltradition. Veröff. Landesamt Denkmalpfl. Arch. Sachsen-Anhalt ‒ Landesmus. Vorgesch. 60 (Halle/Saale 2006). Mepham 2007 L. Mepham, Metalworking debris. In: Timby u. a. 2007, 44. Mödlinger 2011 M. Mödlinger, Herstellung und Verwendung bronzezeitlicher Schwerter Mitteleuropas. Eine vertiefende Studie zur mittelbronze- und urnenfelderzeitlichen Bewaff nung und Sozialstruktur. Univforsch. Prähist. Arch. 193 (Bonn 2011). Mörtz 2010 T. Mörtz, Spätbronzezeitliche Waffendeponierungen Großbritanniens. Arch. Inf. 33,1, 2010, 153–157. Mörtz 2012 T. Mörtz, From Zero to Hero ‒ Ein Beitrag zur Rekonstruktion spätbronzezeitlicher Waffengarnituren. In: I. Heske/B. Horejs (Hrsg.), Bronzezeitliche Identitäten und Objekte. Beiträge aus den Sitzungen der AG Bronzezeit auf der 80. Tagung des West- und Süddeutschen Verbandes für Altertumsforschung in Nürnberg 2010 und dem 7. Archäologiekongress in Bremen 2011. Univforsch. Prähist. Arch. 221 (Bonn 2012) 165–194. Mörtz 2013 T. Mörtz, Zerteiltes Leid. Anmerkungen zur Deutung mutwilliger Beschädigungen von Metalldeponierungen der späten Bronzezeit. Mitt. Berliner Ges. Anthr. 34, 2013, 55–66. Mortimer 1905 J. R. Mortimer, Forty Years’ Researches in British and Saxon Burial Mounds of East Yorkshire (London 1905). Musson u. a. 1991 Ch. R. Musson/W. J. Britnell/A. G. Smith, The Breiddin Hillfort. A later prehistoric settlement in the Welsh Marshes. CBA Res. Rep. 76 (London 1991). Needham 1980 St. Needham, An Assemblage of Late Bronze Age Metalworking Debris from Dainton, Devon. Proc. Prehist. Soc. 46, 1980, 177–215. Needham 1981 S. Needham, The Bulford-Helsbury Manufacturing Tradition. The production of Storgusey socketed axes during the later Bronze Age in Southern Britain. British Mus. Occassional Papers 13 (London 1981).
Mörtz, Erz und Erzeugnis Needham 1987 S. P. Needham, The metallurgical debris. In: Buckley/Hedges 1987, 11 f. Needham 1989 a S. Needham, The Clay Mould Assemblage. In: Ellis 1989, 24–29. Needham 1989 b S. Needham, The Bronze Hoard. In: Ellis 1989, 29–39. Needham 1992 S. Needham, The Structure of Settlement and Ritual in the Bronze Age of South-East Britain. In: C. Mordant/A. Richard (Hrsg.), L’habitat et l’occupation du sol à l’Âge du Bronze en Europe. Actes du colloque international de Lons-le-Saunier, 16–19 mai, 1990 (Paris 1992) 49–69. Needham/Bridgford 2013 S. Needham/S. Bridgford, Deposits of clay refractories for casting bronze swords. In: Brown/Medlycott 2013, 47–74. Needham/Burgess 1980 S. Needham/C. Burgess, The later Bronze Age in the Lower Th ames Valley: the metalwork evidence. In: Barrett/Bradley 1980, 437–469. Ó Faoláin 2004 S. Ó Faoláin, Bronze Artefact Production in Late Bronze Age Ireland. A survey. BAR Brit. Ser. 382 (Oxford 2004). Ó Faoláin/Northover 1998 S. Ó Faloáin/J. P. Northover, The Technology of Late Bronze Age Sword Production in Ireland. Journal Irish Arch. 9, 1998, 69–88. Parker Pearson u. a. 2004 M. Parker Pearson/N. Sharples/J. Symonds, South Uist. Archaeology and History of a Hebridean Island (Stroud 2004). Parker Pearson u. a. 2005 M. Parker Pearson/A. Chamberlain/O. Craig/P. Marshall/J. Mulville/ H. Smith/C. Chenery/M. Collins/G. Cook/G. Craig/J. Evans/J. Hiller/J. Montgomery/J.-L. Schwenninger/G. Taylor/T. Wess, Evidence for mummification in Bronze Age Britain. Antiquity 79, 2005, 529–546. Pearce 1983 S. M. Pearce, The Bronze Age Metalwork of South Western Britain. BAR Brit. Ser. 120 (Oxford 1983). Prescott 2000 Ch. Prescott, Symbolic Metallurgy ‒ Assessing Early Metallurgic Processes in a Periphery. In: D. Olausson/H. Vandkilde (Hrsg.), Form, Function & Context. Material culture studies in Scandinavian archaeology. Acta Arch. Lundensia Ser. in 8° 31(Lund 2000) 213–225. Pryor 2001 F. Pryor, The Flag Fen Basin. Archaeology and environment of a Fenland landscape (Swindon 2001). Pryor/Bamforth 2010 Francis Pryor/Michael Bamforth (Hrsg.), Flag Fen, Peterborough. Excavation and Research 1995–2007 (Oxford 2010). Qulliec 2007 B. Quilliec, L‘épée atlantique: échanges et prestige au Bronze final. Soc. Préhist. Française Mém. 42 (Joué-lés-Tours 2007). Schmidt/Burgess 1981 P. K. Schmidt/C. B. Burgess, The Axes of Scotland and Northern England. PBF 9,7 (München 1981). Sharples 1991 N. M. Sharples, Maiden Castle. Excavations and field survey 1985–6. English Heritage Arch. Rep. 19 (London 1991). Sheppard 1930 T. Sheppard, Clay Moulds for Bronze-Age Implements. The Naturalist 885, 1930, 347–351. Sheridan 2007 A. Sheridan, Dating the Scottish Bronze Age: ‚There is clearly much that the material can still tell us‘. In: Ch. Burgess/P. Topping/F. Lynch (Hrsg.), Beyond Stonehenge. Essays on the Bronze Age. Festschr. Colin Burgess (Oxford 2007) 162–185. Siedlaczek 2011 M. Siedlaczek, Der experimentelle Nachguss von bronzezeitlichen Schwertern. In: F. Both (Red.), Experimentelle Archäologie in Europa. Bilanz 2011 (Oldenburg 2011) 109–119. Tabor 2008 R. Tabor, Cadbury Castle. The Hillfort and Landscapes (Stroud 2008).
Mörtz, Erz und Erzeugnis Timby u. a. 2007 J. Timby/R. Brown/E. Biddulph/A. Hardy/A. Powell, A Slice of Rural Essex. Recent archaeological discoveries from the A120 between Stansted Airport and Braintree. Oxford Wessex Arch. Monogr. 1 (Oxford 2007). Wickstead 2008 H. Wickstead, Theorising Tenure: Land Division and Identity in Later Prehistoric Dartmoor. BAR Brit. Ser. 465 (Oxford 2008). Yates 2007 D. Th. Yates, Land, Power and Prestige. Bronze Age Field Systems in Southern England (Oxford 2007). York 2002 J. York, The Life Cycle of Bronze Age Metalwork from the Th ames. Oxford Journal Arch. 21,1, 2002, 77–92.
73
Abbildungsnachweis 1–3: Fotos Autor, © National Museum of Scotland Edinburgh. – 4: Autor
Anschrift Tobias Mörtz, Freie Universität Berlin, Institut für Prähistorische Archäologie, Altensteinstr. 15, 14195 Berlin
[email protected]
74
Gisela Woltermann
Bernsteinschmuckproduktion in der Hügelgräberbronzezeit Zusammenfassung Untersuchungen zur Organisation der Bernsteingewinnung und -verarbeitung kranken in der Regel an einem Mangel an aussagekräftigen Belegen aus diesen Arbeitssphären. Der Beitrag versucht, eine Grundlage für diese Fragestellung zu schaffen und anhand der Verbreitung der Bernsteinartefakte aus der west- und süddeutschen Hügelgräberbronzezeit sowie der zeitgleichen Periode II in Norddeutschland Hinweise auf Transportwege aufzuzeigen. Vor dem Hintergrund der zeitgleichen Werkplätze in Nordeuropa, ausgewählter Depots sowie der Grabfunde mit Rohlingen und Halbfabrikaten kann das Bild einer heterogen strukturierten mittelbronzezeitlichen Bernsteinproduktion skizziert werden.
Verbreitung der Bernsteinfunde Die reichen Frauentrachten der süddeutschen Hügelgräberkultur werden nicht nur durch Bronzebeigaben, sondern auch durch reiche Bernsteinketten geprägt, wie in dem Grab von
Hundersingen, Stadt Münsingen, Lkr. Reutlingen, wo mehr als 900 Bernsteinobjekte über die ganze Körperbestattung verteilt waren (Abb. 1). Der Bernsteinschmuck diente dabei sowohl als kulturverbindendes Element als auch als gruppenund personenspezifisches Identifikationsmerkmal. Angesichts der über 5900 Artefakte aus fossilem Harz, die in dieser Zeitstufe allein Bayern und Baden-Württemberg erreichten, stellt sich zwangsläufig die Frage nach der Rohmaterialgewinnung und der Organisation des Bernsteintransports. Betrachtet man die Verteilung der 272 bernsteinführenden Befunde Deutschlands aus der Hügelgräberbronzezeit (Abb. 2), fällt auf, dass sich das Schmuckmaterial großräumig auf zwei Verbreitungsschwerpunkte konzentriert: zum einen in Süddeutschland zwischen Mittelhessen und Schwäbischer Alb und zum anderen in Nordwestdeutschland nördlich der Aller. Die Bernsteinfunde der Periode II in Norddeutschland zeigen eine eher lockere Streuung. Kleinere Fundkonzentrationen finden sich auf den Nordfriesischen Inseln und auf der Schleswig-Holsteinischen Geest, vor allem im Raum von Itzehoe, Kr. Steinburg. In Niedersachsen ist die Fundstreuung großzü-
Abb. 1: Bernsteinschmuck aus Grab 14 in einem Grabhügel auf der Flur „Weidenhang“ bei Hundersingen, Stadt Münsingen, Lkr. Reutlingen. M. 1:2
Woltermann, Bernsteinschmuckproduktion
75
Abb. 2: Verbreitung der bernsteinführenden Befunde der Hügelgräberbronzezeit und der Periode II. Leere Signaturen: im Text erwähnte Fundorte
giger und weiter gefächert als in Schleswig-Holstein. Diese geringere Funddichte geht mit einer Zunahme der Stückzahlen pro Befund einher, d. h. mit einer Konzentration größerer Objektmengen auf wenigen Fundpunkten. Eine Orientierung der Bernsteinfunde an den großen Wasserstraßen ist erkennbar. Vor allem die geografische Verbreitung der Befunde mit mehr als zehn Bernsteinobjekten im nördlichen und zentralen Niedersachsen betont die Bedeutung der Weser und ihres Zuflusses Aller für die Vermittlung des fossilen Harzes nach Süden.
Der quantitative Schwerpunkt der Bernsteinfunde in dieser Phase liegt jedoch eindeutig auf dem süddeutschen Raum. Hier kulminieren sowohl kleine Perleninventare als auch große Ensembles mit mehr als 70 Perlen, die nördlich des Mittelgebirges vollkommen unbekannt sind, abgesehen von einem ungesicherten Fund aus dem Allermündungsgebiet. In einem Grabhügel bei Diensthop, Gem. Dörverden, Lkr. Verden, sollen rund 160 Bernsteinperlen zusammen mit einer Armspirale und zwei länglichen Tutuli geborgen worden sein (Abb. 3).
76
Abb. 3: Depot von Diensthop, Gem. Dörverden, Lkr. Verden. M. 2:3
Etwa die Hälfte der Perlen aus dem Befund ist jedoch verschollen. Der Fundbericht erwähnt außerdem ein Gefäß, von dem jedoch keine Reste mehr in das Museum Verden gelangten (Schünemann 1975, 44 Nr. 1). Südlich der Allermündung brechen die Bernsteinfunde ab, hier schließt sich ein fundleerer Raum bis zur oberen Fulda an. Diese Fundlücke zwischen dem nord- und dem süddeutschen Verbreitungsgebiet der Bernsteinobjekte umfasst mit dem nie-
Abb. 4: Befund F 4 in Grabhügel 1 von Borchen-Etteln, Kr. Paderborn. M. 1: 2
Woltermann, Bernsteinschmuckproduktion
Abb. 5: Bernsteinkette aus Grab 13 in Grabhügel C 1 von Schwarza, Lkr. Schmalkalden-Meinigen. M. 1:3
dersächsischen Bergland und Nordrhein-Westfalen Regionen, die sich in der Bronzezeit durch keine sehr ausgeprägte materielle Kultur auszeichnen. Dennoch ist das Fehlen von Bernsteinobjekten auch in den bronzereicheren Gruppen Ostwestfalens auffällig. Aus der Paderborner Gruppe ist nur ein einziges Bernsteinobjekt bekannt: In dem Grabhügel von Borchen-Etteln, Kr. Paderborn, auf der Paderborner Hochfläche fand sich bei einer vergangenen Körperbestattung eine kurzzylindrische Bernsteinperle zusammen mit einer Doppelradnadel vom Typ Unterbimbach (Abb. 4). Der Nadeltyp weist auf Kontakte zur Fulda-Werra-Gruppe, aus der die nördlichsten Bernsteinfundpunkte der süddeutschen Hügelgräberbronzezeit stammen. In direkter Nähe zu den Oberläufen von Fulda und Werra und damit zu den Endpunkten des Wassertransports nach Süden liegen die Grabhügelbestattung von Schlitz-Queck im hessischen Vogelsbergkreis mit 22 Bernsteinperlen (Görner 2002, 48; 49; 458 Nr. 90) und die ostthüringische Grabhügelnekropole von Schwarza, Lkr. Schmalkalden-Meinigen, deren Bestattungen insgesamt über 300 Bernsteinobjekte bargen (Abb. 5) (Feustel 1958; Ebner 2001, 55–59 Nr. 166; 167; 61 Nr. 171). Am nordwestlichen Ende der Verkehrsader bei Bremen nahe der Weser liegt dagegen eines der seltenen Periode II-Depots
Woltermann, Bernsteinschmuckproduktion
Abb. 6: Verbreitung der Befunde der Hügelgräberbronzezeit bzw. der Periode II mit mehr als 50 Bernsteinobjekten (grau: Puffer von 25 km entlang der großen Flusssysteme)
mit Bernsteinobjekten. Bei Schmalenbeck, Gem. Grasberg, Lkr. Osterholz, fand sich in einem Moor die Trachtausstattung einer weiblichen Person mit einer Radnadel, zwei Spiralarmringen, einem Tutulus und einem Kollier aus 56 Bernsteinperlen, die vermutlich zusammen mit mehreren Spiralröllchen eine Kette bildeten (Brandt 1982, 48 Abb. 34). Diese Funde belegen die zentrale Funktion der Weser und ihrer Quellflüsse für die Nord-Süd gerichteten Verkehrsverbindungen beim Bernsteintransport. Auch die großen süddeutschen Bernsteinensembles stehen in einem räumlichen Bezug zu den überregionalen Flusssystemen. Praktisch alle hügelgräberbronzezeitlichen Befunde mit mehr als 50 Bernsteinobjekten liegen innerhalb einer Distanz von 25 km zu den größten deutschen Flüssen (Abb. 6). Die reiche Bestattung mit 155 Bernsteinobjekten aus einem Grabhügel bei Gießen, Lkr. Gießen, ist durch ihre Lage direkt an der Lahn mit dem Rhein verbunden. Am Neckar (Heilbronn, Heilbronn-Klingenberg) und dem mittleren Main finden sich ebenfalls Funde mit überdurchschnittlich vielen Bernsteinobjekten (Frickenhausen a. M., Lkr. Würzburg). Da hier Gräber mit kleineren Stückzahlen fehlen, war die Zugänglichkeit zu diesem exotischen Material in diesem Gebiet offenbar einem beschränkten Personenkreis vorbehalten.
77 Im Gebiet zwischen Donau und Isar, das durch mehrere Gräber mit umfangreichen Bernsteininventaren auffällt,19 liegt der mit Abstand herausragendste Bernsteinfund der Hügelgräberbronzezeit. Das Depot von Ingolstadt in Bayern wurde keine 3 km vom der Donau entfernt geborgen und enthält mit insgesamt rund 2800 Perlen und neun Schiebern bzw. Schieberfragmenten eine außergewöhnliche Kumulation von Bernsteinschmuck (Abb. 7) (Rieder/Bankus 1998). Die ca. 2700 kleinen scheibenförmigen Perlen mit 4–8 mm Durchmesser bezeugen eine standardisierte Perlenproduktion. Sie waren nach Durchmesser und Dicke sortiert aufgefädelt. Der Bernsteinschmuck wies keinerlei Abnutzungsspuren auf und ist offenbar von einem geübten Handwerker hergestellt worden. Experimentelle Untersuchungen ergaben, dass für eine der kleinen Perlen maximal 3–4 Minuten Arbeitszeit veranschlagt werden kann (Bach 1998, 49). Vermutlich konnte ein geschickter Handwerker die gesamten Bernsteinobjekte des Depots in zwei bis drei Wochen fertigen. Dass im Rahmen einer offenbar seriellen Produktion gelegentlich auch kleinere Missgeschicke unterliefen, belegen Perlen mit Produktionsfehlern, wie u. a. mehrfach angesetzten Bohrungen (Abb. 8). Obwohl Bernsteinlagerstätten im Alpenraum bekannt sind, kommen sie als Quelle für das Rohmaterial des Ingolstädter Depots kaum infrage. Die autochthonen Harzvarietäten aus der Schweiz, Österreich und den norditalienischen Dolomiten liegen von der Größe her meist unter dem Zentimeterbereich und zeigen zudem häufig, wie der kreidezeitliche Bernstein aus der Umgebung von Golling an der Salzach im Salzburger Land oder der Plaffeit südwestlich von Bern, starke tektonische Beanspruchung (Angelini/Bellintani 2005; Vávra 1984; 1997). Nicht zuletzt spricht auch die Unzugänglichkeit der vom Paläogen bis in die Obertrias datierenden bernsteinführenden Gesteinsschichten gegen ihre umfangreiche prähistorische Nutzung, was durch naturwissenschaftliche Untersuchungen bestätigt wird. Analysen von etwa 40 Befunden der süddeutschen Hügelgräberbronzezeit mittels Infrarotspektroskopie und Pyrolyse-Gaschromatographie haben ausschließlich die baltische Bernsteinvarietät identifiziert (Bähr u. a. 2012; Bankus 1998, 33; unpublizierte Ergebnisse von infrarotspektroskopischen Analyseergebnisse des Amber Research Laboratory, Vassar College, Poughkeepsie/New York). Das genaue Herkunftsgebiet des baltischen Bernsteins (bzw. Succinits) kann jedoch aufgrund der weiten geografischen Verbreitung dieser wichtigsten europäischen Bernsteinvarietät, die von Ostengland bis in die Ukraine auftritt, nicht enger eingegrenzt werden. Seine südliche Verbreitungsgrenze wird durch die maximale Ausdehnung der pleistozänen Eisvorstöße bestimmt, die in Norddeutschland bis an die Mittelgebirgsschwelle gelangten. Im Zuge der eiszeitlichen und nacheiszeitlichen Prozesse transportierten vorrangig Schmelzwässer das fossile Harz
19 Oderding, Gem Polling, Lkr. Weilheim-Schongau; Schöngeising, Lkr. Fürstenfeldbruck; Asenkofen, Gem. Langenbach, Lkr. Freising; Bruckberg-Pörndorf, Lkr. Landshut; Geisenfeld-Ilmendorf, Lkr. Pfaffenhofen an der Ilm.
78
Woltermann, Bernsteinschmuckproduktion Abb. 7: Bernsteinschmuck aus dem Depot von Ingolstadt. M. ca. 1:3
entlang der Gletscherentwässerungsbahnen und der Urstromtäler. Die so entstandenen oberflächennahen Depots waren dem prähistorischen Menschen ebenso zugänglich wie das an die Küsten der Nord- und Ostsee angeschwemmte Rohmaterial (Woltermann 2012). Aus diesem Grund war für die Frage nach der Lagerstättennutzung ein Vergleich der Kartierung der natürlichen Vorkommen mit dem Artefaktverbreitungsbild notwendig (Abb. 9). Dies zeigt keine räumlichen Asso-
ziationen zwischen Rohstofflagerstätten und Fundverteilung, abgesehen von einer kleinen Fundkonzentration auf den Nordfriesischen Inseln und den bernsteinreichen Bestattungen von Schmalenbeck und Wiepenkathen, die im Bereich von Rohstoffdepots in der Elbmarsch und im Weserumland nördlich von Bremen liegen. Eine konkrete Nutzung der norddeutschen Depots in der Hügelgräberbronzezeit bzw. der Periode II lässt sich daher nicht eindeutig erkennen, ist aber auch nicht völlig auszuschließen, da die für den Nachweis von Gewinnung und Verarbeitung wichtigen Siedlungs- und Depotfunde in diesem geografischen und chronologischen Rahmen äußerst selten sind. Es kann daher beim jetzigen Forschungsstand nur spekuliert werden, ob das Fehlen von Nachweisen der Beschaffung und Verarbeitung des Rohstoffs in der Hügelgräberbronzezeit dafür spricht, dass die Rohmaterialquelle außerhalb der hiesigen Rohstoff vorkommen lag.
Bronzezeitliche Bernsteinwerkplätze
Abb. 8: Perlen mit fehlerhaften Bohransätzen aus dem Depot von Ingolstadt. M. 2 :1
Wenn man auf der Suche nach den mittelbronzezeitlichen Bernsteinproduktionsplätzen den geografischen Radius über das Untersuchungsgebiet hinaus erweitert, finden sich Hinweise aus benachbarten Regionen Nordeuropas. Dank hervorragender Erhaltungsbedingungen in Folge eines hohen Grundwasserstands und einer späteren Sandbedeckung gelang es im nordwestjütländischen Thy, eine ganze bronze-
Woltermann, Bernsteinschmuckproduktion
79
Abb. 9: Verbreitung der bernsteinführenden Befunde der Hügelgräberbronzezeit und der natürlichen Rohstoffvorkommen (Einzelfunde und größere bernsteinreiche Gebiete), differenziert nach Zugänglichkeit (oberflächennahe Vorkommen: bis maximal 3 m Tiefe).
zeitliche Landschaft einschließlich der Siedlungsplätze und Felder zu dokumentieren. Bei Bjerre, Thisted Kommune, konnte dabei eine Siedlung der mittleren bis jüngeren Bronzezeit aufgedeckt werden, die mit der Bernsteingewinnung in Zusammenhang stand. 1993–1995 wurde auf dem Fundplatz 6 von Bjerre ein großes dreischiffiges Langhaus mit einem Grundriss von 8,5 × 25 m ergraben (Bech 1997). In der Westhälfte des Gebäudes lagen elf dichtgedrängte Kochgruben von jeweils 0,5–1,0 m Durchmesser. Zwischen ihnen und der Südwestecke waren rund 40 Bernsteinstücke verstreut, die sich z. T. in kleinen Gruppen konzentrierten (Abb. 10). Dicht an seiner nördlichen Längswand lagen 69 Bernsteinrohlinge in einer kompakten Konzentration. Weitere 85 Bernsteinstücke verteilten sich über das ganze Haus und die nähere Gebäudeumgebung. Die Bronzeobjekte aus der Siedlung, u. a. eine Bronzefibel und ein Doppelknopf, datieren in die Periode II-III (Bech 1997, 9). Obwohl nur ein Teil des Fundplatzes ausgegraben ist, kann für diese Siedlung sicherlich ein Bernsteinwerkplatz veranschlagt werden.
Nur 20 km von Bjerre entfernt liegt der Siedlungsplatz von Troldting bei Lild, Thisted Kommune, der bereits in die Jungbronzezeit datiert (Bech 1997, 3 f.). Hausstrukturen konnten bei der Ausgrabung von 1913 nicht identifiziert werden, dafür aber mehrere Gruben. Die meisten Artefakte, darunter auch Belege für Metallurgie (Gussformfragmente u. a.), stammen aus gestörten Kulturschichten und gehören hauptsächlich der Periode V an. Über den ganzen Siedlungsplatz verstreut fanden sich unbearbeitete Bernsteinstücke (Abb. 11). Obwohl Landwirtschaft und Viehzucht die ökonomischen Grundlagen dieser nordjütländischen Siedlungen bildeten, waren die örtlichen Bernsteinvorkommen offenbar eine bedeutende wirtschaftliche Ressource und möglicherweise der Grund für die Standortwahl an diesem relativ unwirtlichen Küstenabschnitt (vgl. Bech 1997, 4; Müller 1919, 70). Die umfangreiche Gewinnung und Konzentration des fossilen Harzes an der bernsteinreichen Nordspitze Jütlands bezeugt auch ein älterbronzezeitliches Rohbernsteindepot aus dem östlichen Vendsyssel. Bei Understed, Frederikshavn Kommune, fanden
80
Woltermann, Bernsteinschmuckproduktion
Abb. 10: Grundriss des dreischiffigen Langhauses von dem Fundplatz Bjerre 6, Vigsø sogn, Thisted Kommune, Dänemark.
Abb. 11: Bernsteinfunde aus der Siedlung von Troldting bei Lild, Vester Han Herred, Dänemark. M. 1:5
Abb. 12: Depot von Understedt, Frederikshavn Kommune, Dänemark. o. M.
Woltermann, Bernsteinschmuckproduktion
81
Abb. 13: Halbfertig- und Fertigprodukte aus der Siedlung von Velsen, Provinz Noord-Holland, Niederlande. M. 2:1
sich in einem Tongefäß ca. 3,3 kg Rohbernstein zusammen mit zwei fragmentierten Halskragen (Abb. 12) (Jensen 1966, 48; 2000, 238). Weitere Belege für eine mittelbronzezeitliche Verarbeitung von Bernstein lieferte ein Fundplatz in der niederländischen Provinz Noord-Holland. Aus einer Küstensiedlung der Hilversum-Kultur in der Gemeinde Velsen sind Bernsteinperlen, Halbfertigprodukte und Produktionsabfälle von Perlen bezeugt (Abb. 13) (Vons 1970, 35). Der einzige bronzezeitliche Fundplatz mit Hinweisen auf Bernsteinverarbeitung in Deutschland stammt aus der befestigten Siedlung von Rühlow, Gem. Sponholz, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. In der 1994–1995 aufgedeckten bronzezeitlichen Kulturschicht wurden auf etwa 400 km2 insgesamt 66 Bernsteinobjekte geborgen (Szczesiak 1997; 1998; freundliche Mitteilung von R. Szczesiak, Regionalmuseum Neubrandenburg). Es handelt sich um Rohlinge von gelblicher bis rostbrauner Farbe, einige mit stark poröser Oberfläche, die möglicherweise von Hitzeeinwirkungen herrührt. Mehrere Stücke zeigen Kantengestaltungen sowie Schleif- und Schnittspuren (Abb. 14). Fertigprodukte wurden nicht gefunden. Interessant ist die Siedlung u. a. auch wegen mehrerer Feuerstellen, die in Verbindung mit Bronzeschmelzresten stehen und auf eine lokale Metallverarbeitung hinweisen. Ihre Datierung in die Periode III bzw. III–IV entspricht der Zeitstellung der Siedlung von Frattesina, Prov. Rovigo, in der norditalienischen Po-Ebene, wo neben Glaswerkstätten auch Hinweise auf eine lokale Bernsteinverarbeitung entdeckt wurden (Jantzen/Schmidt 2000, 73 f.; Primas 2008, 155). Detaillierte Informationen, etwa zu den einzelnen Stadien der Bernsteinbearbeitung, die von der Präparation der Rohlinge über Halbfertigprodukte mit entsprechenden Produktionsabfällen bis hin zu Fertigprodukten reichen, sind aus der größtenteils unzureichenden Publikationslage der Fundplätze nicht zu gewinnen. Somit dient diese Zusammenstellung in erster Linie einer Neubewertung der häufig unterschätzten Belege für mittelbronzezeitliche Bernsteinwerkplätze (vgl. du Gardin 1993, 132; 1998, 422) und weist bestimmte küstennahe Regionen als Aktivitätszonen für die bronzezeitliche Bernsteingewinnung aus. Offenbar basiert das massenhafte Vordringen von Bernsteinartefakten nach Süddeutschland in dieser Phase auf einem weit verzweigten Wirtschaftssystem mit Anbindungen an die dänischen Lagerstätten. Dem Rohstoff Bernstein wohnte demnach nicht nur ein wichtiger sozialer, sondern auch ein bedeutender ökonomischer Aspekt in der bronzezeitlichen Gesellschaft inne.
Abb. 14: Teilweise bearbeitete Bernsteinobjekte aus der Siedlung von Rühlow, Gem. Sponholz, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. M. 4:5
Weitere Zeugnisse der Bernsteinverarbeitung Einen Hinweis auf die Organisation und Struktur der Bernsteinverarbeitung liefert die seltene Grabbeigabe von Rohlingen und Halbfabrikaten. Norddeutsche Rohbernsteine sind nur aus vier schleswig-holsteinischen Gräbern der Periode II bekannt.20 Die Tatsache, dass sie fast ausnahmslos die einzige Bernsteinbeigabe in überdurchschnittlich ausgestatteten Männergräbern bilden, weist auf einen Zusammenhang zwischen der sozialen Stellung der Beigesetzten und der wirtschaftlichen Bedeutung der Rohstoffgewinnung hin. Möglicherweise erfüllte die Beigabe von singulären Rohlingen eine symbolische Funktion, etwa als Indikator für den Zugang der Bestatteten zu dem begehrten Rohmaterial. Eine reiche Männerbestattung in einem Grabhügel bei Höbek, Gem. Hassmoor, Kr. Rendsburg-Eckernförde, enthielt zwei Rohlinge, eine zerbrochene Perle und ein Halbfabrikat in Form eines unregelmäßigen Bernsteinstückes mit grob bearbeiteten Seiten und dem Ansatz einer Bohrung (Abb. 15). Neben Toilettebesteck und mehreren Nadelfragmenten fand sich auch ein kleiner Pfriem unter den Beigaben, der für die Bearbeitung der Schmuckstücke verwendet worden sein könnte. Eine solche Vergesellschaftung von Bernsteinobjekten und Pfriemen findet sich häufig in dänischen und norddeutschen Gräbern der Bronzezeit und spricht für einen funktionalen Kontext 20 Norddorf und Nebel, beide Kr. Nordfriesland; Itzehoe, Kr. Steinburg; Höbek, Gem. Haßmoor, Kr. Rendsburg-Eckernförde.
82
Woltermann, Bernsteinschmuckproduktion Abb. 18: Bernsteinobjekte aus Grab 3 in Grabhügel 13 von Großengstingen, Gem. Engstingen, Lkr. Reutlingen. M. 1:2
Abb. 15: Bernsteinobjekte und Pfriem aus Grab A in Grabhügel 6 von Höbek, Gem. Haßmoor, Kr. Rendsburg-Eckernförde. M. 3:4
Abb. 19: Bernsteinrohling aus Grab 2 in Grabhügel 2 von Eglfing, Lkr. Weilheim-Schongau (nach Naue 1894, Taf. 22,5). M. 1:2
Abb. 16: Bernsteinperlen und Pfriem aus Grab C in Langhügel 77 von Ridders, Gem. Hohenlockstedt, Kr. Steinburg. M. 3:4
Abb. 17: Bernsteinperlen und Pfriem aus Grab A in Grabhügel 108 von Nebel auf Amrum, Kr. Nordfriesland. M. 1:1
beider Objektgruppen im Rahmen der Bernsteinschmuckherstellung (Abb. 16; 17) (Fabian 2010; Woltermann 2012). Jungbronzezeitliche Pfrieme mit verzierten Griffen, die gelegentlich sogar aus Bernstein gefertigt wurden (Bunsoh, Kr. Dithmarschen; Wacken, Kr. Steinburg), verweisen auf die Bedeutung dieses Allzweckgerätes und seinen Zusammenhang mit der Bernsteinbearbeitung.
Abb. 20: Großer Anhänger aus einem Grabhügel bei Großengstingen, Gem. Engstingen, Lkr. Reutlingen. M. 1:2
Die süddeutschen Rohbernsteinfunde sind – anders als in Norddeutschland – ausschließlich mit Frauenbestattungen assoziiert. Ein großer Rohling von ca. 6,15 cm Länge aus Grabhügel 13 auf der Flur „Haid“ von Großengstingen, Gem. Engstingen, Lkr. Reutlingen, gehörte neben Bernsteinperlen, Bronzeschmuck und einer Glasperle zu dem Inventar eines Frauengrabes (Abb. 18). Ein ähnlich großes, allerdings gelochtes Exemplar aus einer Grabhügelbestattung bei Eglfing, Lkr. Weilheim-Schongau, soll an einer Halskette getragen worden sein (Abb. 19) (Naue 1894, 19 f.). Sicherlich diente der 5,4 cm lange Anhänger aus einem Grabhügel im „Weiler Haid“ bei Großengstingen, Gem. Engstingen, Lkr. Reutlingen, ebenfalls als „Rohstoff vorrat“ (Abb. 20). Laut R. Hachmann (1957, 34 Nr. 32) enthielt die Bestattung von Huldstetten, Gem. Pfronstetten, Lkr. Reutlingen, neben zwei weiteren Bernsteinobjekten und Bronzeschmuck ein „amorphes“ Bernsteinobjekt, bei dem es sich eventuell um einen Rohling handeln könnte. In einem Grabhügel bei Brauweiler, Lkr. Bad Kreuznach, wurden Ende des 19. Jhs. Fragmente von unbearbeitetem Bernstein entdeckt, die Teil der zentralen hügelgräberbronzezeitlichen Körperbestattung mit einem Griffplattendolch, einer Lochhalsnadel, einer Tasse und einer buckelverzierten Scherbe gewesen sein könnten. Ihre Zugehörigkeit zu einer späthall-
Woltermann, Bernsteinschmuckproduktion
83 im zentraleuropäischen Raum wie etwa in Böhmen und Norditalien nachgewiesen (Angelini/Bellintani 2006, 1484–1485; Ernée 2012), doch erst ab der Mittelbronzezeit zeigt sich eine expansive Ausbreitung des nordischen Materials bis nach Südfrankreich, Süditalien, Griechenland, in die Türkei, Syrien und Nord-Israel, die sich durch infrarotspektroskopische Analysen nachweisen lässt.21
Abb. 21: Durchbohrte Bernsteinobjekte aus der Siedlung von Bernstorf, Gem. Kranzberg, Lkr. Freising. M. 1:2
stattzeitlichen Nachbestattung ist aufgrund der undokumentierten Bergung jedoch nicht auszuschließen (Hoffmann 2004, 191 f. Nr. 034/002). Eine wichtige Ergänzung zu diesen Grabfunden bilden die Rohbernsteine des mittelbronzezeitlichen Siedlungsplatzes auf dem Bernstorfer Berg, Lkr. Freising. Die befestigte Anlage an der Amper, einem Isar-Zufluss, ist durch ihre 1998 entdeckten Goldfunde bekannt geworden. Im selben Jahr wurden aus dem Grabungsbereich im südlichen Wall 34 größtenteils unbearbeitete Bernsteinstücke zutage gefördert (Moosauer/Bachmaier 2005, 56). Sechs durchbohrte scheibenförmige Exemplare mit 2,2–4,7 cm Durchmesser lagen dabei in direkter Nähe zu der goldenen Plattenkopfnadel (Abb. 21). Die übrigen Rohlinge aus dem Wall der Anlage sind nur ca. 1 cm groß. Im Jahr 2000 entdeckten zwei ehrenamtliche Mitarbeiter im abgetragenen Oberflächenboden zwei ritzverzierte Bernsteinobjekte (Gebhard/Rieder 2002; Moosauer/Bachmaier 2005), deren problematische Fundsituation und ungewöhnliche Ritzverzierungen jedoch Anlass für Zweifel an ihrer Echtheit bieten. Unzweifelhaft handelt es sich bei den beiden Unikaten jedoch nicht um mykenische Importe, sondern um lokale Produkte, von denen das siegelähnliche Objekt B mit Linear B-Schriftzeichen auf Kontakte in den zentralen Mittelmeerraum hinweist. Vor allem liefern die Bernstorfer Rohbernsteinfunde ein wichtiges Indiz für die Funktion der Siedlung bei der Vermittlung des Bernsteins nach Zentral- und Südeuropa. Die Anlage von Bernstorf fällt zeitlich in eine Phase der Intensivierung und Erweiterung der (Handels)Verbindungen, in der sich das Einzugsgebiet der Schmuckstücke aus baltischem Bernstein deutlich vergrößerte und sogar die Levante erreichte. Zwar sind schon seit der Frühbronzezeit Artefakte aus Succinit
a
Fazit Betrachtet man die spärlichen Hinweise auf Bernsteinwerkplätze in den Siedlungen von Bjerre, Troldting und Rühlow sowie das Depot von Understed, die vor allem Rohlinge lieferten und sich durch das Fehlen von Fertigprodukten auszeichnen, scheint die bronzezeitliche Bernsteingewinnung von der Herstellung der Fertigprodukte räumlich getrennt gewesen zu sein. Vereinzelte Hinweise von Rohbernstein in Gräbern sowie aus der Siedlung von Bernstorf sprechen dafür, dass das fossile Harz in der deutschen Hügelgräberbronzezeit weitgehend in unbearbeiteter Form transportiert wurde. Dies schließt eine Präparation der Rohlinge, d. h. ein Entfernen von Verwitterungskruste und schadhaften Stellen, allerdings mit ein. Als bedeutender Verkehrsweg in der deutschen Hügelgräberbronzezeit dominierte die Weser, die den Bernsteintransport aus dem Norden bündelte und von ihren Quellflüssen abgehend nach Süddeutschland leitete. Die endgültige Verarbeitung erfolgte erst vor Ort oder in lokalen Zentren bzw. von lokalen Spezialisten. Dies bestätigen die auffälligen Bernsteinschieber, ein in Süddeutschland verbreiteter Schmucktyp, der z. T. hohe Anforderungen an die manuelle Geschicklichkeit stellte und in Norddeutschland zu dieser Zeit vollkommen unbekannt ist (Abb. 22). Obwohl die hügelgräberbronzezeitliche Produktpalette einen festen, von der Lüneburger Heide bis nach Südbayern und von Frankreich bis nach Ungarn standardisierten Formenkanon zeigt (vgl. Beck/Sprincz 1981; du Gardin 1995), sind die Bearbeitungsqualitäten der Stücke auffällig heterogen. Die unter21 Angelini/Bellintani 2006, Tab. II; Cinquepalmi/Recchia u. a. 2006; Pfälzner/Roßberger 2009; Yalçin u. a. 2005, 588; die Ergebnisse von unpublizierten infrarotspektroskopischen Analysen des Amber Research Laboratory, Vassar College, Poughkeepsie/New York, wurden der Verfasserin von Edith C. Stout freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
b
Abb. 22: Kompliziert gebohrte Schieber. a Frankfurt-Schwanheim; b Asenkofen; c Rönshausen-Melters. M. 1:2
c
84
Woltermann, Bernsteinschmuckproduktion Abb. 23: Bernsteinperlen aus Grab 1 in Grabhügel 2 von Rainrod, Stadt Schotten, Vogelsbergkreis. M. 1:2
Abb. 24: Bernsteinschmuck aus Grab 4 in Grabhügel 13 von Großengstingen, Gem. Engstingen, Lkr. Reutlingen. M. 1:2
schiedliche Qualität der Bernsteinfunde belegt, dass die Verarbeitung sowohl von spezialisierten Handwerkern als auch von ungeübten Personen ausgeführt wurde. Auf letztere weisen sehr unregelmäßige und wenig sorgfältig gefertigte Perlensets sowie individuelle Schmuckformen hin (Abb. 23; 24). Große einheitliche Perlensets wie die 2800 kleinen schei-
benförmigen Perlen aus dem Depot von Ingolstadt und handwerk lich sehr anspruchsvolle Objekte, vor allem die kompliziert gebohrten Schieber, belegen dagegen das Können von „Spezialisten“ und eine über den persönlichen Bedarf hinausgehende, wahrscheinlich überregional organisierte Produktion.
Woltermann, Bernsteinschmuckproduktion
Literatur Aner/Kersten 1979 E. Aner/K. Kersten, Südschleswig-West. Die Funde der älteren Bronzezeit des nordischen Kreises in Dänemark, Schleswig-Holstein und Niedersachsen 5 (Neumünster 1979). Aner/Kersten 1993 E. Aner/K. Kersten, Kreis Steinburg. Die Funde der älteren Bronzezeit des nordischen Kreises in Dänemark, Schleswig-Holstein und Niedersachsen 18 (Neumünster 1993). Aner u. a. 2005 E. Aner/K. Kersten/K.-H. Willroth, Kreis Rendsburg-Eckernförde (südlich des Nord-Ostsee-Kanals) und die kreisfreien Städte Kiel und Neumünster. Die Funde der älteren Bronzezeit des nordischen Kreises in Dänemark, Schleswig-Holstein und Niedersachsen 19 (Neumünster 2005). Angelini/Bellintani 2005 I. Angelini/P. Bellintani, Archaeological ambers from northern Italy: an FTIR-DRIFT study of provenance by comparison with the geological amber database. Archaeometry 47,2, 2005, 441–454. Angelini/Bellintani 2006 I. Angelini/P. Bellintani, Archeometria delle ambre protostoriche: dati acquisiti e problemi aperti. In: D. Cocchi Genick (Red.), Atti della XXXIX riunione scientifica. Materie prime e scambi nella preistoria italiana. Firenze 2004 (Firenze 2006) 1477–1493. Bach 1998 D. Bach, Technologische und konservatorische Details zum Bernstein- und Bronzefund aus Ingolstadt. In: K. H. Rieder/M. Bankus, Das Geheimnis des Bernstein-Colliers (Ingolstadt 1998) 43–50. Bähr u. a. 2012 V. Bähr/R. Krause/R. Gebhard, Neue Forschungen zu den Befestigungen auf dem Bernstorfer Berg bei Kranzberg im Landkreis Freising (Oberbayern). Mit Beiträgen von Ch. Lühr und Ch. Herbig. Bayer. Vorgeschbl. 77, 2012, 5–41. Bankus 1998 M. Bankus, Fremdes Gut in Ingolstadt. Jüngermittelbronzezeitlicher Bronze- und Bernsteinschmuck aus einer Mehrstückdeponierung. In: K. H. Rieder/M. Bankus, Das Geheimnis des Bernstein-Colliers (Ingolstadt 1998) 19–42. Bech 1997 J.-H. Bech, Bronze Age settlements on raised sea-beds at Bjerre, Thy, NW-Jutland. In: J. J. Assendorp (Hrsg.), Forschungen zur bronzezeitlichen Besiedlung in Nord- und Mitteleuropa. Internat. Symposium vom 9.–11. Mai 1996 in Hitzacker. Internat. Arch. 38 (Espelkamp 1997) 3–15. Beck/Sprincz 1981 C. W. Beck/E. Sprincz, Classification of the amber beads of the Hungarian Bronze Age. Journal Field Arch. 8, 1981, 469–485. Beck/Stout/Hanna 1998 C. W. Beck/E. C. Stout/S. Hanna, Amber of the Europeans Alps. In: C. Peretto/C. Giunchi (Hrsg.), Atti del XIII. International Congress of Prehistoric and Protohistoric Sciences Forlì 1996, 6/I: Workshop 7 „L’ambra in archeologia“ (Forlì 1998) 497–503. Brandt 1982 K. H. Brandt, Vor- und Frühgeschichte des Bremer Raumes im Gang durch die Schausammlung. H. Focke-Mus. Bremen 60 (Bremen 1982). Cinquepalmi u. a. 2006 A. Cinquepalmi/G. Recchia/I. Angelini/G. Artioli/P. Bellintani/A. Polla, Exotica da siti interni. Il caso dellìnsediamento dell’età del Bronzo di Masseria Chiancudda (Brindisi). In: D. Cocchi Genick (Red.), Atti della XXXIX riunione scientifica. Materie prime e scambi nella preistoria italiana. Firenze 2004 (Firenze 2006) 1614–1620. Earle/Bech u. a. 1998 T. Earle/J.-H. Bech/K. Kristiansen/P. Aperlo/K. Kelertas/J. Steinberg, The Political Economy of Late Neolithic and Early Bronze Age Society: the Thy Archaeological Project. Norwegian Arch. Rev. 31,1, 1998, 1–28. Ebner 2001 K. Ebner, Die mittlere Bronzezeit in Südthüringen II. Katalog- und Tafelteil (Marburg: unpubl. Diss. 2001).
85 Ernée 2012 M. Ernée, Jantar v české únětické kulturě – k počátkům jantarové stezky. Bernstein in der böhmischen Aunjetitz-Kultur – zu den Anfängen der Bernsteinstrasse. Pam. Arch. 103, 2012, 71–172. Fabian 2010 O. Fabian, Holz-, Horn-, Bernstein- und Lederhandwerker und deren Gerätschaften in der älteren Bronzezeit Skandinaviens und SchleswigHolsteins. In: B. Horejs/T. L. Kienlin (Hrsg.), Siedlung und Handwerk. Studien zu sozialen Kontexten in der Bronzezeit. Beiträge zu den Sitzungen der Arbeitsgemeinschaft Bronzezeit 2007 und 2008. Univforsch. Prähist. Arch. 194 (Bonn 2010) 331–345. Feustel 1958 R. Feustel, Bronzezeitliche Hügelgräberkultur im Gebiet von Schwarza (Südthüringen). Mit Beiträgen von H. Jacob, Th. E. Haevernick, H.-J. Hundt, H. Otto und K. Schlabow. Veröff. Mus. Ur- u. Frühgesch. Thüringen (Weimar 1958). du Gardin 1993 C. du Gardin, The Circulation of Amber in Prehistoric Europe. In: Ch. Scarre/F. Healy (Hrsg.), Trade and Exchange in Prehistoric Europe. Oxbow Monogr. 33 (Oxford 1993) 131–133. du Gardin 1995 C. du Gardin, La parure d’ambre au Néolithique et à l’âge du Bronze en Europe occidentale et nordique (Rennes: unpubl. Diss. 1995). du Gardin 1998 C. du Gardin, L’ambre au Néolithique et à l’Âge du Bronze en Europe Septentrionale: état des recherches. In: C. Peretto/C. Giunchi (Hrsg.), Atti del XIII. International Congress of Prehistoric and Protohistoric Sciences Forlì 1996, 6/I: Workshop 7 „L’ambra in archeologia“ (Forlì 1998) 421–425. Gebhard 1999 R. Gebhard, Der Goldfund von Bernstorf. Bayer. Vorgeschbl. 64, 1999, 1–18. Gebhard/Rieder 2002 R. Gebhard/K. H. Rieder, Zwei bronzezeitliche Bernsteinobjekte mit Bild- und Schriftzeichen aus Bernstorf (Lkr. Freising). Germania 80,1, 2002, 115–133. Görner 2002 I. Görner, Bestattungssitten der Hügelgräberbronzezeit in Nord- und Osthessen. Marburger Stud. Vor- u. Frühgesch. 20 (Rahden/Westf. 2002). Hachmann 1957 R. Hachmann, Bronzezeitliche Bernsteinschieber. Bayer. Vorgeschbl. 22, 1957, 1–36. Herring 2009 B. Herring, Die Gräber der frühen bis mittleren Bronzezeit in Westfalen. Bodenalt. Westfalen 48 (Mainz 2009). Hoff mann 2004 S. Hoff mann, Die Entstehung und Entwicklung der mittleren Bronzezeit im westlichen Mittelgebirgsraum (Bonn: unpubl. Diss. 2004). Jantzen/Schmidt 2000 D. Jantzen/J.-P. Schmidt, Ein Hortfund der Periode III aus Neustrelitz, Lkr. Mecklenburg-Strelitz. Jahrb. Bodendenkmalpfl. Mecklenburg 47, 1999 (2000) 7–127. Jensen 1966 J. Jensen, Bernsteinfunde und Bernsteinhandel der jüngeren Bronzezeit Dänemarks. Eine Übersicht. Acta Arch. (København) 36, 1965 (1966) 43–86. Jensen 2000 J. Jensen, Danmarks Oldtid: Bronzealder 2000–500 f. Kr. (Kopenhagen 2000). Kubach 1977 W. Kubach, Die Nadeln in Hessen und Rheinhessen. PBF 13,3 (München 1977). Moosauer/Bachmaier 2005 M. Moosauer/T. Bachmaier, Bernstorf – Das Geheimnis der Bronzezeit (Stuttgart 2005). Müller 1919 S. Müller, Bopladsfund fra Bronzealderen. Aarbøger 9, 1919, 35–101.
86 Naue 1894 J. Naue, Die Bronzezeit in Oberbayern. Ergebnisse der Ausgrabungen und Untersuchungen von Hügelgräbern der Bronzezeit zwischen Ammer- und Staffelsee und in der Nähe des Starnbergersees (München 1894). Pfälzner/Roßberger 2009 P. Pfälzner/E. Roßberger, Das Gold des Nordens – Die Bernsteinobjekte. In: M. Al-Maqdissi/D. Morandi Bonacossi/P. Pfälzner (Hrsg.), Schätze des Alten Syrien. Die Entdeckung des Königreichs Qatna. Ausst. Stuttgart 2009–2010 (Stuttgart 2009) 213–215. Pirling u. a. 1980 R. Pirling/U. Wels-Weyrauch/H. Zürn, Die mittlere Bronzezeit auf der Schwäbischen Alb (mittlere und westliche Alb). PBF 20,3 (München 1980). Primas 2008 M. Primas, Bronzezeit zwischen Elbe und Po. Strukturwandel in Zentraleuropa 2200–800 v. Chr. Univforsch. Prähist. Arch. 150 (Bonn 2008). Richter 1970 I. Richter, Der Arm- und Beinschmuck der Bronze- und Urnenfelderzeit in Hessen und Rheinhessen. PBF 10,1 (München 1970). Schünemann 1975 D. Schünemann, Die ältere und die mittlere Bronzezeit im Kreis Verden. Nachr. Niedersachsen Urgesch. 44, 1975, 35–85. Szczesiak 1997 R. Szczesiak, Archäologische Untersuchungen im Bereich der mutmaßlichen jungbronzezeitlichen Burg bei Rühlow, Kreis MecklenburgStrelitz. Mit besonderer Berücksichtigung einer jungslawischen Brandbestattung. Arch. Ber. Mecklenburg-Vorpommern 4, 1997, 59–68. Szczesiak 1998 R. Szczesiak, Sanddüne oder jungbronzezeitliche Burg? Archäologische Untersuchungen im Bereich der mutmaßlichen Wallanlage bei Rühlow, Land Mecklenburg-Vorpommern. In: B. Hänsel (Hrsg.), Mensch und Umwelt in der Bronzezeit Europas. Abschlußtagung der Kampagne des Europarates: Die Bronzezeit: das erste goldene Zeitalter Europas. 17.–19. März 1997 (Kiel 1998) 561–566. Vávra 1984 N. Vávra, „Reich an armen Fundstellen“: Übersicht über die fossilen Harze Österreichs. In: D. Schlee (Red.), Bernstein-Neuigkeiten. Stuttgarter Beitr. Naturkunde Serie C, Heft 18 (Stuttgart 1984) 9–14. Vávra 1997 N. Vávra, Fossile Harze aus dem alpinen Mesozoikum. In: M. Ganzelewski/R. Slotta (Hrsg.), Bernstein – Tränen der Götter. Katalog der Ausstellung des Deutschen Bergbau-Museums Bochum vom 15. September 1996 bis 19. Januar 1997. Veröff. Dt. Bergbau-Mus. Bochum 64 (Essen 1997) 351–356. Vons 1970 P. Vons, De vervaarding van barnsteen-kralen te Velsen in de vroege bronstijd. Westerheem 19,1, 1970, 34–35. Wels-Weyrauch 1978 U. Wels-Weyrauch, Die Anhänger und Halsringe in Südwestdeutschland und Nordbayern. PBF 11,1 (München 1978). Woltermann 2012 G. Woltermann, Die prähistorischen Bernsteinartefakte aus Deutschland vom Paläolithikum bis zur Bronzezeit. Methodische Forschungen zu Lagerstättengenese, Distributionsstrukturen und sozioökonomischem Kontext (Münster: unpubl. Diss. 2012). Yalçin u. a. 2005 Ü. Yalçin/C. Pulak/R. Slotta (Hrsg.), Das Schiff von Uluburun. Welthandel vor 3000 Jahren. Katalog der Ausstellung des Deutschen Bergbau-Mus. Bochum vom 15. Juli 2005 bis 16. Juli 2006. Veröff. Dt. Bergbau-Museum Bochum 138 (Bochum 2005).
Woltermann, Bernsteinschmuckproduktion
Abbildungsnachweis 1: nach Pirling u. a. 1980, Taf. 31,K6. – 2; 6; 9: Autorin. – 3: nach Schünemann 1975, Abb. 5. – 4: nach Herring 2009, Taf. 13,B-D. 5: nach Feustel 1958, Taf. 12. – 7: nach Bankus 1998, Abb. 25. – 8: nach Bankus 1998, Abb. 21,51.53.75; 22,4. – 10: nach Earle/Bech u. a. 1998, Abb. 4. – 11: nach Jensen 1966, Abb. 1. – 12: nach Jensen 2000, Abb. S. 238. – 13: nach Vons 1970, 35. – 14: nach Szczesiak 1998, Abb. 4,4–10. – 15: nach Aner u. a. 2005, Taf. 24,9649 A. – 16: nach Aner/Kersten 1993, Taf. 15,9398C. – 17: nach Aner/Kersten 1979, Taf. 2,2579 A. – 18: nach Pirling u. a. 1980, Taf. 14,A2. – 19: nach Naue 1894, Taf. 22,5. – 20: nach WelsWeyrauch 1978, Taf. 89,E8. – 21: nach Gebhard 1999, Abb. 9. – 22: a nach Kubach 1977, Taf. 110,D2; b nach Hachmann 1957, Abb. 7,18; c nach ebd. Abb. 9,15. – 23: nach Richter 1970, Taf. 79,C4. – 24: nach Pirling u. a. 1980, Taf. 14,C1
Anschrift Gisela Woltermann, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Historisches Seminar, Abteilung für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie, Prähistorische Bronzefunde, Robert-Koch-Str. 29, 48149 Münster
[email protected]
87
Leonie C. Koch
Bronzezeitliches Glas. Die Frage nach seiner Herkunft, Antworten durch chemische Analysen und das Problem ihrer Interpretation Zusammenfassung Nach einer kurzen Einführung zu Eigenschaften, Chemie und aktuellem Stand der Geschichte des Glases im 2. Jt. v. Chr. wird die Rolle der chemischen Analysen zur Erforschung von Silikatmaterialien aufgezeigt. Dabei steht eine kritische Betrachtung der Verwendung von Analysenergebnissen im Zentrum. Unter dem Aspekt der wirtschaftlichen Ressource ist die Provenienz von Rohglas und Glasprodukten von zentraler Bedeutung, auch wenn die Nutzung von Glas während der Jahrhunderte durch unterschiedliche Gesellschaften und soziale Schichten zu verschiedenen Zwecken erfolgte. Eine aktuelle Frage ist die Herkunft der Glasbarren des bronzezeitlichen Handelsschiffes von Ulu Burun, die anhand chemischer Analysen konträr beantwortet wird. Die jeweils lokale Herstellung von Glas ist ebenfalls eine Forschungsfrage, die versucht wird durch chemische Analysen zu beantworten, aber ohne archäologisch nachgewiesene Produktionsorte nicht geklärt werden kann. Der Blick nach Italien am Ende der Bronzezeit lehrt, dass eine autochthone Herstellung in Europa tatsächlich mit einer spezifischen chemischen Zusammensetzung des Glases einhergehen kann. Im Detail, vielmehr in der Variabilität der analysierten Objekte, bleiben aber auch hier viele Fragen offen.
Einführung Glas als ein artifizieller Werkstoff, dem unterschiedlichste Formen und leuchtende Farben gegeben werden konnten, diente über Jahrtausende als persönlicher Schmuck, aber auch der Herstellung exzeptioneller Gefäße und anderer Dinge. Als eine Ressource der sozialen Distinktion, evtl. eines magischen bzw. „apotropäischen“ Schutzes, vielleicht aber auch der Repräsentation weitreichender (Handels-)Beziehungen, gelangte im Laufe der Bronzezeit die Kenntnis von Glas und seiner Technologie in das zentrale und westliche Europa. Bei der Betrachtung der Geschichte des Glases und der Beurteilung archäologischer Objekte muss zwischen der Herstellung von Rohglas und der Verarbeitung von Glas zu Perlen unterschieden werden. Beide Vorgänge erfordern eine Hitzequelle – das handwerkliche Wissen und die technische Ausstattung unterscheiden sich jedoch je nach Vorgehensweise erheblich voneinander. Herstellung und Verarbeitung müssen nicht notwendigerweise am selben Ort stattgefunden haben. Sowohl fertige Glasobjekte als auch Rohglas oder seine Rohstoffe konnten verhandelt werden. Chemische Analysen spielen in der Erforschung des Glases seit Jahrzehnten eine wichtige Rolle. Ziel ist die Identifikation von Rohstoffen und Herstellungsmethoden sowie der Provenienz
der einzelnen Rohstoffe, verschiedener Gläser22 bzw. Glasprodukte oder der Produktionsorte selbst. Entsprechende Ergebnisse bleiben immer vorläufig und sind sowohl abhängig vom aktuellen Forschungsstand als auch von der Interpretation der jeweiligen Bearbeiter. Prähistorische Gläser setzen sich aus Silizium (Si), einem alkalischen Flussmittel (Natrium [Na] oder Kalium [K]) und Kalzium (Ca) zusammen. Die Anteile variieren stark je nach Verfügbarkeit der Rohstoffe und Werkstatttraditionen. Kalzium musste auch nicht zwingend zugesetzt werden, sondern konnte beispielsweise in einem muschelgrushaltigen Sand oder in der als Flussmittel verwendeten Pflanzenasche (Tite u. a. 2008 a, 107) bereits vorhanden sein.23 Neben den Grundbestandteilen wird der Gehalt von bestimmten Metallen, wie Eisen (Fe), Kupfer (Cu) oder Kobalt (Co), die der Färbung dienten, quantitativ analysiert; hinzu kommen Magnesium (Mg), Aluminium (Al), Mangan (Mn) und Phosphor (P) sowie Spurenelemente.24 Erst seit Kurzem werden auch Isotopen in Glas untersucht. Eine grundlegende chemische Einteilung der Gläser in Gruppen basiert auf den unterschiedlichen Anteilen der Flussmittel Natron (Natriumhydrogenkarbonate) und Pottasche (Kaliumkarbonat), die auf die Verwendung von verschiedenen Rohstoffen zurückgeführt wird – beispielsweise mineralisches Natron oder Pflanzenaschen. Pflanzenaschen tragen Na, K, aber auch deutliche Mengen von Mg und weitere Elemente ein, die sie chemisch identifizierbar machen (z. B. Henderson 2001). Für die Glasherstellung im östlichen Mittelmeerraum und im Vorderen Orient während der Bronzezeit spielen hierbei Aschen salzliebender Pflanzen, die einen hohen Anteil an Natrium enthalten, eine wichtige Rolle (Barkoudah/Henderson 2006). Diese Gläser lassen sich chemisch wiederum von den europäischen25 Gläsern des Mittelalters unterscheiden, die auf Baum- und Farn-Aschen basieren (z. B. Wedepohl 2003). So unterscheidet man zwischen den magnesiumreichen Pflanzenasche-Gläsern 22 Es ist üblich, angesichts unterschiedlicher makroskopischer Eigenschaften und chemischer Zusammensetzungen von „Gläsern“ im Plural zu sprechen. 23 Rehren/Pusch (2007, 230 f.) haben bei der Untersuchung der Schmelztiegel in Quantir eine kalkige Trennschicht festgestellt, die die Schmelze vor Verunreinigungen aus dem Tongefäß (z. B. färbendes Eisen) schützte; auch so gelangte Ca in das Rohglas. 24 Shortland u. a. 2007. Aktuelle Untersuchungen versuchen, mithilfe der Spurenelemente im Glas und Lagerstätten von Quarzsand, der als Siliziumlieferant gedient haben könnte, Regionen der Rohglasherstellung zu ermitteln, s. Tite u. a. 2008 a, 106. Entsprechend wird versucht, auf Färbemittel oder mineralische Natronquellen zu schließen, was aber nur überzeugend möglich ist, wenn sich zwischen den Elementen eine Korrelation der prozentualen Anteile ergibt. 25 Hier wird „Europa“ im Sinne von westlichem Mitteleuropa zuzüglich Italien verwendet, um die Abgrenzung zu anderen geografischen Räumen wie Ägäis oder Ostmittelmeerraum zu verdeutlichen.
88 des Orients (HMG = high-magnesium glass) und der „europäischen“ Mischalkali-Sorte der Endbronzezeit (LMHK = lowmagnesium-high-potassium) (Angelini 2011, 19 f.), die im Folgenden eine Rolle spielen wird. Die Pflanzenasche-Gläser werden ebenso wie die mit mineralischem Natron hergestellten Gläser als „Natrongläser“ bezeichnet, da Na das hauptsächliche Flussmittel ist (Rehren/Pusch 2007, 21). Außerdem mehren sich Hinweise, dass in der Endbronze- und frühen Eisenzeit mit einer Glassorte zu rechnen ist, die vor allem Pottasche als wirksames Flussmittel enthält.26 Die Darstellung der Analysenergebnisse, die den Gehalt als Masseprozent der Oxyde wiedergeben, und der Vergleich mit bekannten Werten erfolgt meist grafisch in Balken-, binären Punktdiagrammen oder Dreistoffsystemen. Am leichtesten zu erfassen sind Punktdiagramme, jedoch können hier jeweils nur zwei Elemente gegenübergestellt werden. Zur Beurteilung und Einordnung der Daten sind übersichtliche Tabellen mit allen analysierten Elementen nortwendig, wobei zu beachten bleibt, dass (meist) nur die Mittelwerte der einzelnen Punktmessungen angegeben werden und die Probenanzahl der verschiedenen Fundorte sehr variieren kann. Die Aussagefähigkeit von Analysenergebnissen wird weiter von Lagerungsbedingungen und Erhaltungszustand der Gläser beeinflusst. Die chemische Zusammensetzung lässt nur bedingt Rückschlüsse auf die Rohstoffe zu, da diese im Voraus verarbeitet sein können (z. B. Rösten, Auswaschen der Aschen und anschließendes Auskristallisieren) oder z. T. bei der Schmelze abgetrennt bzw. aus verwendeten Geräten eingetragen wurden (Rehren/Pusch 2007, 223; Tanimoto/Rehren 2008). Vorgehensweisen und die Auswahl der Rohstoffe können auch anderen Motivationen unterliegen als technischen und funktionalen. Es ist zudem unwahrscheinlich, dass überhaupt alle in der Antike verwendeten Rohstoffe in Betracht gezogen werden. Ähnliches gilt im Übrigen auch für Fayencen, für die drei verschiedene Herstellungsverfahren bekannt sind, die sich wiederum unterschiedlich auf bestimmte Stoffe, wie das Flussmittel auswirken können (Tite u. a. 2008 a, 110). Nur in den seltensten Fällen liegt eine archäologische Situation vor, in der chemische Analysen zur Aufklärung des Produktionsvorganges einen Beitrag liefern können. Dazu zählt das ägyptische Qantir, eine offensichtlich auf rotes Glas spezialisierte Werkstatt des 13.–12. Jh. v. Chr. (Pusch/Rehren 2007). Archäologisch nachgewiesene prähistorische Glaswerkstätten – sowohl der Rohglasproduktion als auch der Herstellung von Glasprodukten – sind so selten, dass versucht wird, die Frage nach der Herkunft bestimmter Gegenstände kombinatorisch zu lösen, indem man Schriftquellen, Verbreitungskarten und chemische Analysen heranzieht. Bis zu einem gewissen Grad lassen sich auch belastbare Aussagen treffen, wie beispielsweise, dass es sich bei dem mittel- und spätbronzezeit-
26 Um 16 % K 2O: Towle 2002, 208 f. mit Tab. 5.2; Towle/Henderson 2007, 51–55; Angelini u. a. 2010, 117 f. Abb. 5.
Koch, Bronzezeitliches Glas lichen27 Glas in Italien wohl um importiertes Glas aus dem östlichen Mittelmeer handelt, da es der von dort gut bekannten Pflanzenaschen-Glasgruppe, dem HMG angehört (z. B. Angelini 2011, 19; Angelini u. a. 2010, 107). Lediglich im Falle der genannten Produktionsstätte des ägyptischen Qantir, möglicherweise im Fall der Glastiegel von Amarna sowie der endbronzezeitlichen Glaswerkstätten in Norditalien ist die Zuweisung von Glasobjekten zu einem bestimmten Ort durch den Vergleich der chemischen Zusammensetzung von Produktionsabfällen und Produkt prinzipiell möglich – in der Praxis ergeben sich aber wieder zahlreiche Schwierigkeiten. Ohne archäologisch bekannte Herstellungs- bzw. Verarbeitungsorte kann die chemische Analyse zur Klärung der Herkunftsfrage nur Indizien liefern. Abweichungen in der chemischen Zusammensetzung müssen auch nicht gleichbedeutend mit unterschiedlichen Herstellungsorten sein, da man nicht davon ausgehen kann, alle Variationen über den gesamten Produktionszeitraum aller Werkstätten an einem Ort erfasst zu haben. Neben der Zusammensetzung sind auch die Typografie der Perlen sowie die Herstellungs- und Verzierungstechniken einzubeziehen. Bedacht werden muss zudem, dass die Verarbeitung zu Glasobjekten an einem anderem Ort stattgefunden haben kann als die Rohglasschmelze und/oder die Färbung, Glas ein Handelsgut darstellt – sowohl als Rohstoff als auch jede Form von Produkten – und es wieder eingeschmolzen, und daher vermischt werden konnte. Ein chemisch ermittelter Analysewert stellt also zunächst nur einen Zahlenwert dar, der in Relation zur Art der Probenentnahme und -anzahl, Analysemethode und -zeitpunkt, Normalisierung der Daten sowie zu dem verwendeten Standard und in seiner Darstellungsweise zu bewerten ist. Historische Aussagen, die aufgrund der chemischen Ergebnisse getroffen werden, sind grundsätzlich auf ihre Basis und die archäologischen Implikationen des Bearbeiters hin zu überprüfen.28
Glas und Fayencen in der Bronzezeit Zu den glasverwandten Stoffen sind Glasuren und Fayencen zu zählen, denn sie basieren auf denselben Rohstoffen, wenn auch in anderem Mengenverhältnis. Grundlegend ist immer das Silikat als Netzwerkformer, das aus Quarzsand oder Quarzkieseln gewonnen wurde. Glas wird heiß verarbeitet – es kann gezogen, gewickelt, gedrückt, geschnitten, in Formen gepresst oder formgeschmolzen werden. Bei Fayencen dagegen wird die Quarzmasse in kaltem Zustand geformt und anschließend gebrannt, also gesintert und glasiert. Dadurch entstehen andere 27 Die italische Archäologie unterscheidet zwischen einer Früh-, Mittel-, Spät- und Endbronzezeit, wobei das Bronzo finale (BF) in etwa die Zeitspanne von der Mitte des 12. bis Mitte des 10. Jh. v. Chr. umfasst. Zur Problematik der absolutchronologischen Festsetzung des Beginns der Eisenzeit in Italien s. Koch 2010, 5–23. 28 Zur begrenzten Aussagefähigkeit von chemischen Analysen s. bereits Schweizer 2003, 58–60. Schweizer betont die Komplexität der historischen Vorgänge und der antiken empirischen Betrachtungsweise des Materials Glas, die der modernen naturwissenschaftlichen und funktional-technischen gegenübersteht.
Koch, Bronzezeitliches Glas Formen, die auch scharfkantig, unterschnitten oder durchbrochen sein können. Es werden drei Herstellungstechniken unterschieden (Busz/Sengele 1999); die Definition einer Fayence ist jedoch einheitlich: ein aus Silikatmaterial gesintertes Objekt mit einer Glasur. Aufgrund der kalten Formung werden Fayencen auch als Quarzkeramiken bezeichnet, ein sinnvoller Begriff, der sich bisher aber kaum jenseits der Archäologie des Vorderen Orients durchgesetzt hat. Daneben existieren noch die „glasige Fayence“ und Gläser mit nicht vollständig aufgeschmolzenen Quarzkristallen (Artioli u. a. 2008). Oft können archäologische Objekte aufgrund der Verwitterung nur durch eine Autopsie oder durch Dünnschliffe korrekt definiert werden (s. a. Koch 2011, 17 f. Abb. 2; 3). Auch wenn Fayence und Glas eine unterschiedliche Geschichte haben, sind sie kaum getrennt voneinander zu betrachten. Fayencen sind in Ägypten schon lange vor Glas bekannt und auch das minoische Kreta betrieb eine vielfältige Fayenceproduktion (Panagiotaki 1998; 2008; Tite u. a. 2008 a). Einige Formen von Fayenceperlen sind sowohl aus ägäischen Fundorten als auch aus dem Wrack von Ulu Burun bekannt, das ihre Verbreitung als Handelsgut belegt (Abb. 1). Besonders zu erwähnen sind Fayenceperlen im Italien der späten Mittel- und Spätbronzezeit, die aufgrund der ägäischen und ostmittelmeerischen Parallelen als Importe gelten, wie die „Radperle“ (Abb. 2 rechts).29 Eine spezifische Zusammensetzung von Fayencen aus Italien, die sich von der ägäischen unterscheidet, macht aber eine lokale Fayenceproduktion bereits vorher, ab der ausgehenden Frühbronzezeit in Norditalien und ab der Mittelbronzezeit, etwa 17.–15. Jh. v. Chr., in Zentralitalien wahrscheinlich.30 Unter diesen frühen Fayencen findet sich die für Italien spezifische Form der konischen Knöpfe aus glasiger
29 Santopadre/Verità 2000. Verbreitung der „Radperle“: Rahmstorf 2008, 42 (wiedergegeben in Koch 2011, Abb. 6); zu anderen Fayenceperlen in Italien: Angelini u. a. 2005; die Zusammensetzung lässt keine Zuweisung zu, die Kobalt-Färbung von zwei Perlen ist aufgrund der Spurenelemente mit ägäischen Stücken zu parallelisieren: Angelini 2011, 20. 30 Tite u. a. 2008 b, 138–140; alle Ergebnisse für Italien zusammenfassend: Angelini 2011.
89
Abb. 1: Fayenceperlen aus der Ladung des Schiffs von Ulu Burun. Einige Formen sind aus dem Italien der späten Mittel- und Spätbronzezeit bekannt
Fayence (Abb. 2 links) (Bellintani u. a. 2005; Farbabb.: Koch 2011, Taf. 1,1). Es handelt sich beim Flussmittel der Glasphasen dieser Fayencen um ein „Mischalkali“ (LMHK), das wiederum in der Endbronzezeit (12.–11. Jh. v. Chr.) die Gläser der Werkstätten in Norditalien und weiterer mitteleuropäischer Fundorte kennzeichnet (Angelini u. a. 2002; s. u.). Die momentan nicht zu überbrückende Lücke zwischen LMHK-Fayencen in der Mittelbronzezeit und den LMHKGläsern der Endbronzezeit kann auch als mehrfach entstandene, spezifisch europäische Glastechnologie interpretiert werden. Fayencen treten in Mitteleuropa ebenfalls vor Glas auf und sind beispielsweise in becherzeitlichen Gräbern Schott-
Abb. 2: Aufstellung der Fayenceperlen aus Italien. Die Reihung gibt von oben nach unten Funde aus Nord-, Mittel- und Süditalien wieder. Rechts oben: Radperle. o. M.
90
Koch, Bronzezeitliches Glas
Im 15. Jh. v. Chr., mit der 18. Dynastie, nimmt in Ägypten die Farbpalette der Fayencen deutlich zu, und gleichzeitig treten die ersten Glasgefäße auf (Haevernick/Nolte 1967; Nolte 1968). In den Jahrhunderten zuvor ist Glas generell sehr selten und nur als Perlen oder Einlegearbeiten anzutreffen.31 Diesen Schub in der Technik bringt die Forschung mit den Eroberungszügen Tuthmosis III. in die Levante und nach Mesopotamien in Verbindung – unter der Beute sind auch Glasbarren verzeich-
net.32 Auch fragt Tuthmosis bei den Mitanni nach Glas. Glas wird ebenfalls als gefordertes Geschenk in den Amarna-Briefen des 14. Jhs. v. Chr. erwähnt.33 Die archäologische Quellenlage zu Glas ist in Ägypten sehr gut, weshalb es in der Glasforschung anfangs im Vordergrund stand. Aktuell wird jedoch davon ausgegangen, dass die Technik der Glasherstellung von Mesopotamien nach Ägypten vermittelt wurde (generell zu Mesopotamien: Moorey 1994, 192–210). Von Tell Brak (Mitanni) liegen Glasbarrenfragmente des 15./14. Jhs. v. Chr. vor, die vorsichtig als Werkstatthinweis interpretiert werden (Shortland 2008, 248; Aruz u. a. 2008, 313). Schriftquellen – und zwar direkt zur Herstellung von Rohglas – sind nur aus Mesopotamien überliefert. Die Ähnlichkeit der ältesten Glasgefäße Ägyptens mit möglichen mesopotamischen Vorbildern sind ein weiteres Indiz (Oppenheim 1970; Schweizer 2004, 84–88 Abb. 68). Die Funde des 16.–13. Jhs. v. Chr. aus dem nördlichen Mesopotamien und Nord-Syrien sind vor allem in Tempelkontexten zu verzeichnen. Zusammen mit den königlichen Grabfunden und der ägyptischen Korrespondenz erscheint Glas als ein nur den herrschenden Familien zur Verfügung stehendes Material. Jedoch gibt es keine umfassenden archäologischen Untersuchungen zu kleinen Glasobjekten und ihren Kontexten. Aus Ägypten kennt man keine Schrift- oder Bildquellen zur Glasproduktion oder Verarbeitung – stattdessen aber archäologische Belege der Rohglasschmelze aus der zweiten Hälfte des 2. Jts. Gut bekannt und gut datiert sind die Funde Tell-el-Amarnas, der Kunststadt des Echnaton, aus der Mitte des 14. Jhs. v. Chr. (Shortland 2000. Regierungszeit Echnaton 1364/53–1347/35 v. Chr.). Während die Öfen nicht sicher der Glasherstellung zuzuweisen sind, ist der Gebrauch von Tontiegeln als Glashäfen zweifelsfrei. Diese wiederum passen in Größe und Form bestens zu den runden Glasbarren des Wracks von Ulu Burun (Nicholson u. a. 1997). Zu den Funden gehören auch ausgezogene Glasstäbchen in vielen Farben, wie sie beim Perlenwickeln oder der Verzierung der Gefäße mit dem überall zu findenden Fischgrätmuster verwendet worden sein dürften (Farbabb.: Stern/Schlick-Nolte 1994, Abb. 172; 173). In Amarna fand sich sowohl mit Kupfer als auch mit Kobalt gefärbtes blaues Rohglas. Ägyptisches kobaltblaues Glas unterscheidet sich in der chemischen Signatur von anderen Kobaltgläsern, was auf ein lokales Kobaltvorkommen zurückgeführt wird, ein Alaun.34 In die Ramessidenzeit, in das 13./12. Jh. v. Chr. datieren die Funde von Qantir-Pi-Ramesse im östlichen Nildelta (Regierungszeit Ramses II. 1290–1224 v. Chr.). Es wurden große Mengen technischer Keramik mit Glasresten, Werkzeuge,
31 Zu den Neufunden gehören Cu-blaue und braungelbe Glasperlen aus Kindergräbern bei Saqqara, die in das 16. Jh. v. Chr. datiert werden (Nakai u. a. 2009). Es handelt sich offenbar um HM-PflanzenascheGläser mit einem Mg-Gehalt von über 5 % und einem PottascheAnteil um 2 %. Der niedrige Na-Gehalt von unter 2 % muss auf die Oberflächenanalyse zurückgeführt werden (ebd. 29 Tab. 1). Die Glassorte entspricht damit den Mesopotamien zugeschriebenen Cu-blauen bronzezeitlichen Gläsern. Wie die braungelben Gläser einzuordnen sind, lassen die Autoren offen (ebd. 30).
32 Schlick-Nolte/Lierke 2002, 19–22; Nicholson 2006; zusammenfassend zur Glasgeschichte: Schweizer 2003, 71–82; 153–156. 33 Rehren/Pusch 2007, 232; Aruz u. a. 2008, 313 f.; s. a. http://www. digitalegypt.ucl.ac.uk/glass/origin.html. 34 [CoAl(SO4)2•12 H2O]; zur Färbung mit Co, auch die Forschungsgeschichte zusammenfassend: Towle 2002, bes. 111–115; Rehren 2001; Nikita/Henderson 2006, 104; Shortland 2008; zu Perlen aus Ur mit anderer Signatur: Moorey 1994, 210.
Abb. 3: Der „Seestern“ vom Zugersee: bronzezeitliche fünfstrahlige Fayenceperle, Dm. 1,6 cm, aus Cham am Zugersee (Fundstelle Cham-Bachgraben, Grabung Alpenblick II/Zugerstrasse 112)
lands (Shepherd u. a. 2001) oder aus den bronzezeitlichen Seeufersiedlungen überliefert, wie ein kürzlich gefundenes Stück aus Cham erneut illustriert (Abb. 3) (Reinhard/Schaeren 2012). Inzwischen ist deutlich, dass Fayencen von unterschiedlichen Fundorten Europas eine Mischalkali-Zusammensetzung (LMHK) aufweisen, was – wie die zinnreichen kupferblauen Fayencen Großbritanniens – als Beleg für lokale Herstellung und gegen ägäischen Import gesehen wird (Tite u. a. 2008 b). Glas der Mittelbronzezeit in Italien dagegen ist von derselben chemischen Gruppe wie Glas des Vorderen Orients oder Ägyptens, ein Pflanzenasche-Glas mit hohem Magnesiumanteil, ein HMG, weshalb es als importiert gilt.
Glas im Orient: Ägypten und Mesopotamien
Koch, Bronzezeitliches Glas Steinschlägel und schließlich auch ein Glasbarren gefunden. Thilo Rehren konnte eine zweiphasige Rohglasschmelze und die Färbung durch reduziertes Kupfer nachweisen (Pusch/ Rehren 2007; Rehren/Pusch 2007; 2008) Sowohl aus Amarna als auch aus Qantir sind Tiegel belegt, in denen das Glas zu blauen bzw. roten Barren geschmolzen wurde. Die Werkstätten scheinen auf eine bestimmte Glasfarbe spezialisiert gewesen zu sein. Die gleichzeitige Nachfrage nach Glas aus dem Vorderen Orient zeigt, dass Glas auch bei Eigenproduktion seinen Wert als Handelsgut nicht verlor. Rehren (2007, 231–233) postulierte eine enge Verbindung der verschiedenen Produktionsorte, wodurch die (königliche) Versorgung mit allen Glasfarben gewährleistet wurde.
Handelsgut Glas Den besten Beweis für Perlen und Glas als Handelsgut findet man in den Schiffswracks von Kap Gelidonya und Ulu Burun. Letzteres, an das Ende des 14. Jhs. datierend, hatte etwa 175 Glasbarren geladen, insgesamt ca. 200–350 kg (Yalcin u. a. 2005, Kat.-Nr. 62–79; Aruz u. a. 2008, Kat.-Nr. 187). Da sich die mit Kupfer blau gefärbten Barren in den Maßen von jenen mit Kobalt gefärbten unterscheiden, wird davon ausgegangen, dass sie an verschiedenen Orten geladen worden sind (Rehren 2005). Auch Fertigprodukte wurden offensichtlich verhandelt, wie die vielen tausend Perlen aus Fayence und Glas zeigen (Abb. 1) (Ingram 2005). Glasperlen hatte auch das Schiff von Kap Gelidonya geladen, das um 1200 v. Chr. datiert wird. Neben kugeligen Perlen unterschiedlicher Farbe treten Formen mit weißer Fadenverzierung auf, die den „Pfahlbautönnchen“ der europäischen Spätbronzezeit an die Seite zu stellen sind.35 Bei Betrachtung der weiter westlich in der Ägäis und auf der italischen Halbinsel auftretenden Glasfunde stellt sich nun die Frage, ob sie an den jeweiligen Fundorten hergestellt wurden oder importiert sind, und wenn ja, woher, und ob die Technik der Rohglasproduktion bekannt war oder Rohglas eingeführt wurde.
Der Weg nach Westen und die Rolle der Chemie Michael Tite, Andrew Shortland u. a. (zusammenfassend: Tite u. a. 2008 a) haben ägäische sowie ägyptische Glasobjekte analysiert und bekannten Werten gegenübergestellt. Sie konstatierten, dass die Zusammensetzungen sowohl des kobaltgefärbten Glases aus Amarna, der Ägäis als auch von Ulu Burun untereinander sehr ähnlich sind (ebd. 117 f. Tab. 5.4). Es handelt sich um Natron-Gläser mit einem Na-Gehalt von knapp 20 % und einem K-Gehalt um 1 %, es sind also nach üblicher Definition keine Pflanzenasche-Gläser.36 Der Anteil von Ca 35 Haevernick 1978, 148; Nightingale 2008, 87. Ob diese Perlen der LMHK-Glasgruppe angehören, ist meines Wissens nicht untersucht. 36 Die Prozentangaben beziehen sich auf die Oxyde der jeweiligen Elemente, aus Gründen der Klarheit und Kürze werden hier jedoch nur die Elemente und nicht die Oxyde genannt.
91 liegt bei etwa 7 %, der von Mg schwankt zwischen ca. 3 und 4 %, die Anteile von Fe, Al und Mn sind ähnlich. In dieselbe Kategorie fallen mykenische kobaltblaue Gläser aus Knossos, deren Werte aber etwas differieren. Die Autoren schließen aus dem Befund auf eine für Ägypten typische Färbung durch ein kobalthaltiges Alaun und somit auf eine Herkunft der Barren des Wracks und der mykenischen dunkelblauen Gläser aus Ägypten. Nicht ausgeschlossen wird der Import des Alauns selbst oder konzentrierter Glasfritten als Färbemittel. Verbindungen zwischen der Ägäis und Ägypten37 werden zusätzlich durch ägyptische Glasgefäße aus mykenischen Kammergräbern (SH IIIA2-C) auf Rhodos angezeigt (Triantafyllidis 2008; 2009). Entsprechend werden mit Kobalt gefärbte Gläser aus mesopotamischen Fundorten als Importe interpretiert.38 Untereinander vergleichbar sind auch die mit Kupfer hellblau gefärbten Gläser der Ägäis, von Ulu Burun, aus Amarna und dem Vorderen Orient. Bei diesen handelt es sich um Pflanzenasche-Gläser (HMG), deren Herkunft üblicherweise im Vorderen Orient vermutet wird (s. a. Aruz u. a. 2008, 313 f. Kat.-Nr. 187). Hier fällt allerdings Amarna mit höheren Eisen-, Blei- und vor allem Zinn-Werten heraus. Die Anwesenheit von Zinn lässt auf Färbung durch Bronze schließen, die im Vorderen Orient offenbar nicht praktiziert wurde. Aufgrund übereinstimmender Werte gehen die Autoren von einem Import des kupferblauen Glases von der Levante bzw. Mesopotamien nach Griechenland aus. Zinn wurde in den Glasbarren des Wracks von Ulu Burun offenbar nicht analysiert, weshalb eine Aussage zu einer möglichen Färbung durch Bronze nicht getroffen werden kann. Was das Vorkommen des Zinns in den Pflanzenasche-Gläsern in Ägypten bedeutet, bleibt zunächst offen; möglich ist sowohl die Herstellung von PflanzenascheGlas oder die separate Färbung von importiertem Glas in Ägypten als auch Färbung durch Bronze, die in Mesopotamien noch nicht identifiziert wurde. Innerhalb einer Studie zu den Glasfunden des griechischen Elateia, auf die zurückzukommen sein wird, stellten Kalliopi Nikita und Julian Henderson (2006) publizierte Analysenergebnisse in Diagrammen einander gegenüber. Aus dem Palast des mykenischen Theben, von wo viele kostbare Kleinfunde wie Achat- und Lapislazuliperlen sowie Hinweise auf handwerkliche Produktion überliefert sind (Aruz u. a. 2008, 279–281 Nr. 176), stammen auch dunkelblaue Glasperlen. Die Autoren betonen die Ähnlichkeit der kobaltgefärbten Gläser aus Theben mit den Glasbarren von Ulu Burun aufgrund des hohen Al- und gleichzeitig niedrigen Mg-Gehalts, die sich darin von den ägyptischen unterschieden. Die Färbung könne auch nicht auf das spezifisch ägyptische Co-Alaun zurückgeführt werden. Der Schluss der Autoren lautet, dass die Her-
37 Anschaulich zusammengefasst in Aruz u. a. 2008, 270–282; 426–433. 38 Identifi kation einer ägyptischen Signatur von Co-blauen Gläsern in Mesopotamien durch J. Henderson (Shortland 2008, 248); anzumerken ist, dass bis dato die Herstellung von Co-blauem Rohglas in Ägypten nur für Amarna in seiner kurzen Existenz in der Mitte/zweiten Hälfte des 14. Jhs. v. Chr. (entsprechend etwa SH IIIA) wahrscheinlich gemacht werden kann.
92
Koch, Bronzezeitliches Glas
Abb. 4: Auftrag von Aluminium und Magnesium Kobalt-blauer Gläser verschiedener Herkunft
kunft der dunkelblauen Barren von Ulu Burun nicht auf Ägypten zurückzuführen sei (Nikita/Henderson 2006, 111–115 Abb. 21–23). Dazu ist anzumerken, dass die Amarna-Gläser tatsächlich im Schnitt einen höheren Mg- und Al-Gehalt aufweisen (s. a. Tite u. a. 2008 a, Tab. 5.4), ihre Streuung, auch im Al-Anteil, aber erheblich ist (Abb. 4). Letztlich fallen nur zwei Werte aus Ulu Burun aus dem Streuungsbereich von Amarna heraus. Th. Rehren (Rehren/Pusch 2007, 230) stellte bei seinen Untersuchungen der technischen Keramik und experimentellen Rohglasschmelze in Qantir fest, dass Erdalkalimetalle durch Oberflächenreaktion gedeckelt werden, also nur zu einem bestimmten Maximalwert (bei ca. 5 %) in der Schmelze vorhanden sind; in unterscheidenden Mg-Werten könnten sich also statt verschiedener Glasrezepte verschiedene Prozesse, wie einfache oder mehrstufige Rohglasschmelze widerspiegeln. Die Zusammenstellung der Cu-gefärbten Pflanzenasche-Gläser durch Nikita und Henderson (2006, Abb. 16) zeigt beim Auftrag von K gegen Mg eine Gruppierung der Barren von Ulu Burun zusammen mit mykenischen Gläsern gegenüber den Funden aus Mesopotamien bzw. Nord-Syrien (Nuzi und Tell Brak). Dabei wird davon ausgegangen, dass der Eintrag von Pottasche und Magnesium auf die Pflanzenaschen zurückzuführen ist, die je nach Art, Pflanzenteil und Jahreszeit unterschiedliche Gehalte an Alkali und Magnesium aufweisen. Die Autoren interpretieren dies wiederum als Indiz gegen die bis-
her angenommene Herkunft der hellblauen Barren von Ulu Burun aus Mesopotamien. Ein ähnliches Bild ergibt sich im Auftrag von Na gegen Ca (Nikita/Henderson 2006, 107 f. Abb. 15). Das Problem der entgegengesetzten Interpretationen könnte seinen Grund in der Gegenüberstellung von Daten aus unterschiedlichen Labors bzw. Methoden oder in der Schwerpunktsetzung der Autoren haben. Meiner Ansicht nach jedoch ist dies ein allgemeines Problem des Umgangs mit chemischen Analysen. Es stellt sich beispielsweise die Frage nach der archäologischen Charakterisierung und der zeitlichen Tiefe der Stichproben. So werden Barren, Produktionsreste und Fertigprodukte miteinander verglichen, ohne dass man wüsste, welche Auswirkungen die dazwischen liegenden Produktionsschritte auf die Zusammensetzung haben. Die Lagerungsbedingungen bleiben ebenfalls unberücksichtigt, was in Hinsicht auf die Glasbarren, die mehr als 3000 Jahre im Meer wasser überdauerten, nicht unwesentlich scheint. Die Proben von Ulu Burun stammen aus einem geschlossenen Fund, sind also zeitgleich – und streuen dafür in ihren Werten ganz erheblich.39 Es bleibt unklar, ob sich darin unterschiedliche Chargen, un39 Dreizehn Proben der kupferblauen Glasbarren von Ulu Burun: Mg zwischen knapp 2 % und über 5 %, K zwischen 0,5 % und 1,5 %, Ca zwischen 4,5 % und 8,5 % (Nikita/Henderson 2006, Abb. 15; 16).
Koch, Bronzezeitliches Glas terschiedliche Vorgehensweisen verschiedener Werkstätten oder sogar chronologische Unterschiede spiegeln.40 Ausreißerwerte sind zwar nicht immer aussagekräftig, können aber bei der geringen Probenanzahl nicht von vorneherein ignoriert werden; sie geben einen Streuungsbereich an, innerhalb dessen jeder Wert möglich ist. Betrachtet man unter diesem Blickwinkel die aufgetragenen Werte der zahlreichen Proben aus Amarna – sowohl der kobalt- als auch der kupfergefärbten Gläser – deckt deren Streuungsbereich quasi die gesamte Diagrammfläche ab und umfasst so die ausdifferenzierten Cluster verschiedener Regionen. Das Bild ändert sich möglicherweise allein durch die Anzahl der vorliegenden Analysen – und damit die historische Interpretation. Die spezifisch mykenischen Formen wie die formgeschmolzenen Plättchenperlen41 (Abb. 5) oder die Griffelemente von Schwertern sind zweifelsfrei in Griechenland hergestellt worden (Nightingale 2005; 2008, 93–95). Steinerne Model, die zumindest z. T. auch für die Herstellung von goldenen Zierelementen verwendet worden sein können, weisen Formen der Plättchenperlen auf.42 Ob große kugelige oder spindel- und röhrenförmige Perlen mit aufgelegten hellen Zierfäden ebenfalls mykenische Produkte sind oder vielleicht zusammen mit dem Rohglas importiert wurden, gar aus dem Westen nach Griechenland gekommen sind, scheint noch nicht untersucht zu sein. Es ist allgemeiner Konsens, Glas mykenischer Zeit als importiert anzusehen (z. B. Hughes-Brock 2003; Shortland 2008, 248 f. 252). Zu dem entgegengesetzten Schluss, dass Rohglas auch im mykenischen Griechenland produziert worden sei, kommen wiederum Nikita und Henderson (2006) aufgrund der Analysenergebnisse von Glas aus Theben und Elateia. Die Nekropole von Elateia in der Landschaft Phokis umfasst Bestattungen mindestens seit der Phase SH IIIA bis in protogeometrische
40 Die Zusammensetzung der Funde aus dem Wrack gibt eine deutliche Zeitspanne wieder, neben Objekten der Amarnazeit finden sich auch Stücke der Zweiten Zwischenzeit: Nicholson u. a. 1997, 151 f. 41 Farbabb. s. Bianchi 2002, Kat.-Nr. A1-A10; Nikita 2003; HughesBrock 2003. 42 ca. 20 Model sind überliefert, hauptsächlich aus Knossos und Mykene (Hughes-Brock 1999, 289); Beispiele abgebildet in: Schweizer 2003, Abb. 112; Nikita 2003, Abb. 3.2; Nightingale 2008, 77 Abb. 4,9.
93
Abb. 5: Beispiele für die vielfältigen Formen mykenischer Plättchenoder Reliefperlen. o. M.
und früharchaische Zeit (ca. 15./14.–8. Jh. v. Chr.), sie wurde also über die Zeit des Zusammenbruchs der mykenischen Paläste hinaus belegt (Nikita u. a. 2009, 39). Die blauen Perlen waren mit Kobalt oder Kupfer gefärbt. Der größte Teil der analysierten Proben (n = 63) lässt sich als Pflanzenasche-Gläser identifizieren, die sich untereinander aber unterscheiden, was bei der großen Zeitspanne auch nicht verwunderlich ist. Achtzehn Proben, hauptsächlich einfache Ringperlen (Abb. 6 a), stellten sich als Mischalkali-Gläser (LMHK) heraus (Nikita/ Henderson 2006, 100), also diejenige Glassorte, die typisch ist für die europäischen Gläser der späten Bronzezeit und die Glaswerkstätten wie Frattesina in Norditalien (ebd. 74; s. o.). Der Fundort Frattesina bei Rovigo (Veneto) hat vielfache Hinweise auf unterschiedliche handwerkliche Produktion der Endbronzezeit geliefert (Bietti Sestieri 1984). Darunter sind sowohl Glasperlen (Abb. 6 b) (Bellintani/Stefan 2009) und Abfälle der Glasperlenproduktion als auch Fragmente von Glasbarren, Tiegel und tönerne Arbeitsplatten mit Glasresten (Bellintani 1997, Abb. 9; Bellintani u. a. 2003, Abb. 21; 23). Besonders die
Abb. 6: a Perlen aus Elateia des Glastyps LMHK: Pfahlbaunoppenperle und Ringperlen aus Grab 57 und 24; b Auswahl von Perlenformen aus Frattesina di Fratta Polesine: Noppenperlen, Ringperlen und „Pfahlbautönnchen“ mit Spiralverzierung. o. M.
94 Tiegel werden als Hinweis auf mögliche Rohglasproduktion gedeutet. An weiteren, weniger gut untersuchten Fundorten der Region wie Mariconda di Melara und Montagnana (Towle u. a. 2001, 11; Bellintani u. a. 2003, 326.) scheinen ebenfalls Perlen hergestellt und vielleicht auch Rohglas geschmolzen worden zu sein. Aufgrund der Einmaligkeit des archäologischen Befundes ist Frattesina momentan der Favorit bei der Lokalisierung der „Pfahlbauperlen“-Herstellung – obwohl man fast sicher davon ausgehen kann, dass mehrere Produktionsorte bestanden haben, wohl auch nördlich der Alpen (Towle 2002, 229; Lorenz 2006, 77). Dreizehn Proben des LMHK-Glases aus dem griechischen Elateia sind offenbar mit Kobalt gefärbt (0,06–0,18 %; Nikita/Henderson 2006, 102). In der folgenden Diskussion der Analysenergebnisse spielt der Anteil einer Reihe von Elementen (Fe, Mn, As, Ni, Zn, Ag) eine Rolle, die durch die Färbung mit mineralischem Kobalt unterschiedlicher Herkunft in das Glas eingetragen sein sollen (ebd. 110–115), die Einzelheiten können hier nicht dargelegt werden. Der Schluss der Autoren auf eine andere Kobaltquelle der LMHK-Gläser in Elateia als derjenigen in Frattesina dient als Argument für eine Rohglasherstellung von Mischalkali-Gläsern auf griechischem Boden. Ebenso wiese das differierende Verhältnis von Cu und Co (in einer Probe) zwischen Elateia und Frattesina darauf hin, dass nicht alle LMHK-Perlen aus Italien importiert sein könnten (ebd. 115 Abb. 24). Der größte Teil der Co-LMHK-Proben Elateias bildet bezüglich der Anteile von Al, Fe, Cu, P oder Mn eine in sich konsistente Gruppe (Nikita/Henderson 2006, Abb. 11; 12; 18; 20; 24–26). Drei Proben von dunkelblauen LMHK Perlen stehen regelhaft abseits des Clusters.43 Es handelt sich um die Proben Ela 30 (Grab 24), Ela 42 (Grab 35) und Ela 83 (Grab 57) – die beiden ersteren sind zudem innerhalb der Gruppe der CoLMHK durch niedrige Ca-Werte gekennzeichnet.44 Betrachtet man nun die Herkunft der einzelnen Kobalt-gefärbten Proben, so stammen die „Ausnahmen“ Ela 30 und Ela 42 aus je einem Grab und werden nach SH IIIA-B (Grab 24; s. u.) bzw. SH IIIB-C (Grab 35) datiert (ebd. 83). Die Probe Ela 83, die dritte mit deutlich abweichenden Werten, stammt aus Grab 57 (SH IIIB – C spät/PG), in dem weitere zwölf LMHKGlasperlen nachgewiesen wurden, darunter auch die einzige „Pfahlbaunoppenperle“45 (Abb. 6 links). Die elf unverzierten Ringperlen aus diesem Grab (Abb. 6 a) ergeben das genannte Cluster in den jeweiligen Diagrammen zu den Co-LMHKGläsern. Der gemeinsame archäologische Kontext der Perlen
43 Da die einzelnen Signaturen in den Diagrammen nicht mit der Probennummer beschriftet sind, ist es für die Identifi zierung nötig, die Tabelle mit der Auflistung der Analysenergebnisse heranzuziehen. 44 s. Nikita/Henderson 2006, Abb. 17; die Proben mit den niedrigsten Ca-Werten sind Kupfer-gefärbte Perlen, dabei die „Pfahlbaunoppenperle“ (Ela 86). Die Vergleichswerte aus Frattesina konzentrieren sich zwar bei Werten unter 2,5 %, decken in ihrer Streuung aber sowohl die Proben aus Elateia mit niedrigen Ca-Werten als auch das Cluster des Grabes 57 ab (s. u.). 45 Diese erscheint in der Diskussion nicht, da sie mit Kupfer und nicht mit Kobalt gefärbt wurde.
Koch, Bronzezeitliches Glas lässt es nun wenig verwunderlich erscheinen, dass sich die Werte so einheitlich zeigen. Man wird auf eine zeitgleiche Rohglasproduktion, wenn nicht auf dieselbe Rohglascharge, schließen dürfen, vielleicht in Verbindung mit mehrfachem Einfärben kleinerer Chargen.46 Dieselbe Charge scheint sicher im Fall von Theben, „Haus des Kadmos“ vorzuliegen (Nikita/ Henderson 2006, 120; z. B. Abb. 23). Dies mahnt wiederum zu Vorsicht in der Abgrenzung der Daten gegenüber Frattesina – denn wenn hier nur ein Glas vorliegt, auch wenn es zu mehreren Objekten verarbeitet wurde, ist die Möglichkeit relativ groß, dass man an zu vergleichenden Fundorten eben nicht dieselbe Charge gefunden und zufällig auch chemisch analysiert hat. Der Eindruck der großen Zahl, welcher in den Diagrammen vermittelt wird, kann daher auch nur mit großem Vorbehalt in die Interpretation einfließen.47 Alle drei genannten „Ausnahme“-Proben heben sich von der Gruppe der übrigen elf Co-LMHK durch einen geringeren Gehalt von Eisen und Aluminium sowie durch einen höheren Gehalt von Nickel ab und kommen dadurch näher bei den Vergleichen zu Frattesina zu liegen (Abb. 7). Besonders die differierenden Werte von Al und Ni (Nikita/Henderson 2006, 111; 115; auch die neuen Daten von Narde liegen mit Al 1,6 %–2,15 % darunter) bzw. Fe (Nikita u. a. 2009, 42 f.) werden von den Autoren als Beleg unterschiedlicher Co-Quellen interpretiert, aufgrund derer letztlich eine Rohglasherstellung und Färbung in Griechenland selbst für möglich gehalten wird. Erweitert man das publizierte Diagramm um die neuen Daten aus der Nekropole Frattesinas „Narde“ (Angelini u. a. 2010), verändert sich das Bild der zur Differenzierung herangezogenen Elemente (Abb. 7): Die bekannten Daten aus Frattesina werden einerseits bestätigt, der Schwerpunkt verschiebt sich jedoch, auch wenn dadurch das Cluster der Perlen aus Grab Elateia 57 nicht umfasst wird. Weitere, von den Autoren aufgezeigte Unterschiede, z. B. im Kupfer-Kobalt-Verhältnis,48 sind nicht völlig von der Hand zu weisen. Trotzdem sind angesichts des Probenumfangs aus einem Grabkontext, mit dem argumentiert wird, auch andere Erklärungen als die von den Autoren verfochtene These für griechische Rohglasherstellung vorstellbar.49 Sie gehen – neben dem Vorhandensein von mesopotamischen HM-Glas – dabei von einer Werkstatt in einem mykenischen Palast aus, von wo das peripher liegende Elateia seinen Glasschmuck bezog (Nikita/ Henderson 2006, 119). Gerade die späte zeitliche Stellung des Grabes 57 und das Vorkommen der „Pfahlbaunoppenperle“
46 Vgl. die Überlegungen Towles (2002, 31–37 Abb. 2.4) zum Verhältnis zwischen Interpretation von Analysenergebnissen und der Kenntnis der (möglichen) Produktionsschritte. 47 Angemerkt werden soll zudem, dass die Autoren in vier der sechs Diagramme zur Unterscheidung der Proben aus Elateia und Frattesina Eisen in einer der Diagrammachsen wählten (Nikita/Henderson 2006, Abb. 12; 14; 25; 26), so wird ein einzelnes unterscheidendes Merkmal grafisch vierfach genutzt, eine tendenziöse Vorgehensweise. 48 Nikita/Henderson 2006, Abb. 24. Die Differenzen bleiben auch im Vergleich mit weiteren Daten von spätbronzezeitlichen Fundorten nördlich und südlich der Alpen bestehen: Towle 2002, Abb. 5.18. 49 Diese wird später auch relativiert dargestellt: Nikita u. a. 2009, 43.
Koch, Bronzezeitliches Glas
95
Abb. 7: Gegenüberstellung der Nickel- und Eisenwerte von LMHK-Gläsern aus Elateia (Dreieck) und Frattesina (Punkte), ergänzt um neue Analysewerte der Nekropole Narde in Frattesina (Halbkreis)
als eine typisch mitteleuropäische Form (Haevernick 1978; Bellintani/Stefan 2009; Koch 2011, 21–23 Abb. 8), sprechen m. E. nach dagegen und für eine europäische Herkunft der LMHK-Perlen. Die Autoren können sich für Elateia den Import von Kobalt-gefärbten Gläsern oder eines Kobaltminerals vorstellen, zur Färbung von am Ort erschmolzenen Rohgläsern (die Diskussion gilt auch den Pflanzenaschegläsern HMG). Warum sollte ein solches Mineral nicht auch im Zuge der mykenisch-italischen Kontakte an einen der italischen oder entfernteren Glaswerkorte gelangt sein? Ganz abgesehen davon, dass man außer dem ägyptischen Alaun keine andere Quelle mineralischen Kobalts identifizieren oder lokalisieren kann (zu Kobalt s. Towle 2002, 108–115). Während die Funde aus Elateia Grab 57 noch in die späteste Phase von SH IIIC bzw. in Protogeometrische Zeit datieren könnten (Nikita/Henderson 2006, 85) und so mit Frattesina di Poviglio und anderen endbronzezeitlichen italischen Glasmanufakturen zeitgleich gesetzt und verglichen werden können, datieren andere Befunde aus Elateia früher. Hier sind die Proben Ela 63 (Grab 56, Pit A), Ela 29 und Ela 30 (Grab 24) zu nennen, für die eine Datierung von SH IIIA-B angegeben wird (also spätestens in das frühe 12. Jh. v. Chr.) und Ela 42 (Grab 35, SH IIIB-C). Dabei ist auf die unterschiedliche An-
gabe für Grab 24 hinzuweisen, für das eine Datierung von SH IIIA-B bzw. B-C (vgl. Nikita/Henderson 2006, 83; 117) oder summarisch „spät SH IIIB“ (Nikita u. a. 2009, 43) angegeben wird. Nun fällt auf, dass sich unter diesen chronologisch abzusetzenden Proben zwei der drei oben beschriebenen „Ausreißer“ befinden: Ela 30 und Ela 42 (Ela 29 spielt in der Diskussion keine Rolle, da Kupfer-gefärbt). Probe Ela 63, die als der früheste Beleg für LMHK in Elateia angegeben wird (ebd. 117), passt dagegen völlig in das Cluster der Gruppe der elf Perlen aus Grab 57.50 Sie passt sogar so gut in dieses Cluster aller einzeln aufgetragenen Werte, dass ich eine Verwechslung von Ela 63 mit Ela 83 – der dritte „Ausreißer“ – für möglich halte (Nikita/Henderson 2006, Abb. 17; 18; 24–26). Auch wenn dies hier nicht verifiziert werden kann, würde die Einheitlichkeit der Gruppe aus Grab 57 noch einmal bestätigt. Die drei frühen Ausnahmedaten dagegen nähern sich eher den bekannten Werten aus Frattesina an.
50 Ela 72–Ela 85, sine Ela 83; s. die Einzelwerte in Nikita/Henderson 2006, Tab. 4. Die Ergebnisse der Probe Ela 83 lassen sich abgesehen vom Ca-Gehalt dagegen gut mit den anderen beiden „Ausreißern“ zusammenfassen.
96
Fazit Auch unter Hinzuziehung der Daten weiterer LMHK-Funde aus Thasos ist mit den von J. Henderson und K. Nikita vorgelegten Daten kein Beweis für eine griechisch-mykenische Rohglasherstellung erbracht. Das LMHK kann meiner Einschätzung nach weiter als „rein europäisches“ Glas gelten,51 ohne dabei eine griechische Rohglasproduktion generell ausschließen zu wollen. Chemische Analysen können ohne archäologische Befunde von Werkstätten mit Herstellungsresten wie in Qantir eben nicht „powerful evidence for localized primary glass production“ liefern (Nikita/Henderson 2006, 119). Im Falle Elateias scheint für Perlen in einem engen Zeitrahmen, die in das selbe Grab gelangten, einmal eine andere Kobaltquelle genutzt worden zu sein. Die Frage nach der „Herkunft“ des Glases wird meiner Auffassung nach zu einfach gedacht und so an chemische Analysen die hohe Erwartung einer einfachen Antwort gestellt. Die Menge der Analysedaten im Verhältnis zur Gesamtmenge ehemals vorhandenen Glases durch die betreffenden Jahrhunderte erzwingt geradezu die auch von den Autoren (ebd. 118 f.) gestellte Forderung nach mehr Analysen; gleichzeitig wird aber eine Interpretation propagiert, die sich ohne Auseinandersetzung mit den einzelnen Daten,52 als historische Erkenntnis leicht und schnell verbreitet.53 Darauf hinzuweisen, dass Ergebnisse immer nur einen augenblicklichen Stand der Forschung wiedergeben, ist trivial. Auf Probleme und Grenzen des scheinbaren Allheilmittels naturwissenschaftlicher Analysen hinzuweisen, gilt – besonders in Zeiten der geforderten „Interdisziplinarität“ der geisteswissenschaftlichen Fächer – wahrscheinlich als defätistisch (vgl. hierzu Gramsch 2010, 210–212). Chemische Analysen haben natürlich ihre Berechtigung, wenn man sich ihrer Möglichkeiten und Reichweite bewusst ist. Sie sind jedoch nur in Zusammenhang mit einer archäologischen Aufarbeitung und Fragestellung sinnvoll. Das Monopol über Analysegeräte, Daten
51 Vgl. zuletzt auch Nightingale 2008, 75 und Tite u. a. 2008 b, 146, die ebenfalls allein aufgrund der chemischen Differenzen die Möglichkeit der Herkunft der LMHK-Perlen aus dem „Westen“ nicht ausschließen möchten. 52 Hier konnten jedoch nicht die Rohdaten einbezogen werden, da diese nicht publiziert sind, und somit auch nicht die Standardabweichung oder eine Bewertung der Einzelmessungen. 53 „… there is the strong possibility of some local raw glass production in Mycenean Greece“ (Nightingale 2008, 92 – bezieht sich hier auf die HMG-Gläser, vgl. ebd. 88 f.). Obwohl Nikita/Henderson (2008, 19 unter Punkt 4) in der archäologischen Deutung des LMHK-Befundes durchaus Problembewusstsein zeigen, geben sie doch überzeugt wieder: „It is therefore clear, that a seperate [zu Frattesina], possibly Greek, production center was involved“. Im Falle des HMG-Pflanzenascheglases formulieren sie zunächst noch vorsichtiger (ebd. 118 unter Punkt 1): „Analytical evidence suggests that a glass industry in Mycenean Greece could have operated indepently …“, um in der Zusammenfassung zu schreiben: „A plant ash lower in magnesium oxide than that found in Egyptian and Mesopotamian glasses was used to make the base-glass-composition … from Thebes and Elateia. Th is suggests that primary glass production occurred in Mycenaean Greece.“ (ebd. 119 f.).
Koch, Bronzezeitliches Glas oder auch finanzielle Mittel verleitet leicht zur Annahme einer Oberhoheit über die historische Interpretation. Der Wert der Analysen liegt beispielsweise darin, das LMHK in Griechenland entdeckt zu haben. Ein Befund, der tatsächlich auf historische Gegebenheiten hinweist, nämlich auf vielschichtige, wechselseitige Beziehungen zwischen Italien und Griechenland im 12. und 11. Jh. v. Chr. Allerdings ist diese Tatsache bereits durch die archäologische Analyse von Bronzen, Keramiken und auch Fayence- sowie Glasperlenformen – wie die genannte „Pfahlbaunoppenperle“ in Elateia oder Radperlen in Norditalien – bekannt. Welcher Art diese Beziehungen waren, direkt oder indirekt, mit Italikern oder mit Griechen an Italiens Ostküste, wieviel Glasprodukte und warum diese nach Elateia gelangten und welches schließlich die Gründe für die Deponierung in den Gräbern sind – dazu können chemische Analysen wenig Indizien liefern. Das Auftreten des LMHK-Glases könnte mit dem Niedergang der Paläste und einer unterbrochenen mykenischen Glasverarbeitung zusammenhängen. Die Beziehungen in den Westen waren offensichtlich nicht unterbrochen. Interessant in diesem Zusammenhang sind die Belege des LMHK-Glases in den frühen Gräbern von Elateia, aber für weitere Aussagen muss der archäologische Befund genauer bekannt sein. Mit dem Auftreten des LMHK-Glases und der Perlenproduktion in Frattesina und andernorts ist Glas kein Schmuck mehr, der nur der obersten Elite monarchischer Staaten vorbehalten war. Leuchtend blaue Ringperlen, Tönnchen mit Spiralverzierung in unterschiedlichen Farbvariationen (Bellintani/Stefan 2009) und die plastisch verzierten „Pfahlbaunoppenperlen“ fanden nördlich und südlich der Alpen Verbreitung (Haevernick 1978; Rychner-Faraggi 1993; Schöbel 2012, 11 Abb. 2) und gelangten regelhaft in die Gräber der lokalen Bevölkerung (Salzani 1989; 1990/91). Auch als wirtschaftliche Ressource dürfte das Glas am Ende der Bronzezeit damit einen anderen Stellenwert erlangt haben.
Dank Ich danke den Sprechern der AG Bronzezeit für die Einladung sowie D. Brandherm für das Lektorat des Textes und das Auffinden eines üblen Fehlers.
Koch, Bronzezeitliches Glas
Literatur Angelini 2011 I. Angelini, Archaeometry of Bronze Age and Early Iron Age Italian Vitreous Materials: A Review. In: I. Turbanti-Memmi (Hrsg.), Proceedings of the 37th International Symposium on Archaeometry 12th-16th May 2008, Siena, Italy (Heidelberg 2011) 17–23. Angelini u. a. 2002 I. Angelini/A. Polla/G. Artioli, Archaeometric Investigation of Ornamental Faience Beads from Lavagnone (BS). Not. Arch. Bergamesi 10, 2002 (2007), 285–299. Angelini u. a. 2005 I. Angelini/G. Artioli/P. Bellintani/A. Polla, Protohistoric Vitreous Materials of Italy: From Early Faience to Final Bronze Age Glass. In: Annales du 16e Congrès de l’Association Internationale pour l’Histoire du Verre, London 2003 (Nottingham 2005) 32–36. Angelini u. a. 2010 I. Angelini/A. Polla/G. Molin, Studio analitico dei vaghi in vetro provenienti dalla necropoli di Narde. In: L. Salzani/C. Colonna (Hrsg.), La Fragilità dell’Urna. I recenti scavi a Narde Necropoli di Frattesina (XII-IX sec. a. C.). Catalogo della mostra. Musei dei Grandi Fiumi Rovigo 5 ottobre 2007–30 marzo 2008 (Rovigo 2010) 105–134. Artioli u. a. 2008 G. Artioli/I. Angelini/A. Polla, Crystals and Phase Transitions in Protohistoric Glass Materials. Phase Transitions 81, 2008, 233–252. Aruz u. a. 2008 J. Aruz/K. Benzel/J. M. Evans, Beyond Babylon. Art, Trade, and Diplomacy in the Second Millennium B. C. (New Haven – London 2008) Barkoudah/Henderson 2006 Y. Barkoudah/J. Henderson, Plant Ashes from Syria and the Manufacture of Ancient Glass: Ethnographic and Scientific Aspects. Journal Glass Stud. 48, 2006, 297–321. Bellintani 1997 P. Bellintani, Frattesina. L’ambra e la produzione vitrea nel contesto delle relazioni transalpine. In: L. Endrizzi/F. Marzatico (Hrsg.), Ori delle Alpi. Quad. Sezione Arch. Castello Buonconsiglio 6 (Trento 1997) 117–129. Bellintani/Stefan 2009 P. Bellintani/L. Stefan, Nuovi dati sul primo vetro europeo: Il caso di Frattesina. In: Atti del Primo Convegno Interdisciplinare sul Vetro nei Beni Culturali e nell’Arte di Ieri e di Oggi, Parma, 27–28 novembre 2008 (Parma 2009) 1–18. Bellintani u. a. 2006 P. Bellintani/I. Angelini/G. Artioli/A. Polla, Origini dei materiali vetrosi italiani: esotismi e localismi. Materie prime e scambi nella preistoria italiana. In: Atti della XXIX Riunione Scientifica Materie Prime e Scambi nella Preistoria Italiana. Firenze, 25–27 novembre 2004 (Firenze 2006) 1495–1531. Bellintani u. a. 2003 P. Bellintani/M. Cesaretto/G. Residori, Progetto „I materiali vetrosi nella protostoria dell’Italia del Nord“. Archeologia, archeometria, etnoarcheologia e approcio sperimentale. In: P. Bellintani/L. Moser (Hrsg.), Archeologie sperimentali. Metodologie ed esperienza fra verifica, riproduzione, comunicazione e stimulazione. Atti del Convegno Comano Terme – Fiavè (Trento, Italy) 13–15 settembre 2001 (Trento 2003) 311–335. Bianchi 2002 R. S. Bianchi (Hrsg.), Reflections on Ancient Glass from the Borowski Collection, Bible Lands Museum Jerusalem (Mainz 2002). Bietti Sestieri 1984 A. M. Bietti Sestieri, L’abitato di Frattesina. Padusa N. S. 20, 1984, 413–427. Busz/Sengele 1999 R. Busz/G. Sengele, Zur Kieselkeramik – Begriffe, Werkstoffe und Verfahren. In: R. Busz/P. Gercke (Hrsg.), Türkis und Azur. Quarzkeramik im Orient und Okzident (Kassel – Wolfratshausen 1999) 192–219.
97 Glover u. a. 2003 I. Glover/H. Hughes-Brock/J. Henderson (Hrsg.), Ornaments from the Past. Bead Studies after Beck. A Book on Glass and Semiprecious Stone Beads in History and Archaeology for Archaeologists, Jewellery Historians and Collectors (London 2003). Gramsch 2010 A. Gramsch, Different Languages. An Interview on Archaeology in Germany with Friedrich Lüth. Arch. Dialogues 14, 2, 2010, 199–214. Haevernick 1978 T. E. Haevernick, Urnenfelderzeitliche Glasperlen. Zeitschr. Schweiz. Arch. u. Kunstgesch. 35, 1978, 145–157. Haevernick/Nolte 1967 Th. E. Haevernick/B. Nolte, Ägyptische und griechische frühe Glasgefäße. Wiss. Zeitschr. Univ. Rostock 16, 1967, 491–492. Henderson 2001 J. Henderson, Glass and Glazes. In: D. R. Brothwell/A. M. Pollard (Hrsg.), Handbook of Archaeological Sciences (Chichester 2001) 471–482. Hughes-Brock 1999 H. Hughes-Brock, Mycenaean Beads: Gender and Social Contexts. Oxford Journal Arch. 18, 1999, 277–296. Hughes-Brock 2003 H. Hughes-Brock, The Mycenean Greeks – Master Bead Makers. In: Glover u. a. 2003, 10–22. Ingram 2005 R. S. Ingram, Faience and Glass Beads from the Late Bronze Age Shipwreck at Uluburun. Master of Arts, Texas A&M University 2005. http://nautarch.tamu.edu/Theses/pdf-files/Ingram-MA2004.pdf (7. 2. 2013). Jackson/Wager 2008 C. M. Jackson/E. C. Wager (Hrsg.), Vitreous Materials in the Late Bronze Age Aegean. Sheffield Studies Aegean Arch. 9 (Oxford 2008). Koch 2010 L. C. Koch, Die Glasbügelfibeln des 8. und 7. Jahrhunderts aus Etrurien. Ein Beitrag zur eisenzeitlichen Glastechnik und zu den Bestattungssitten des Orientalizzante. Univforsch. Prähist. Arch. 190 (Bonn 2010). Koch 2011 L. C. Koch, Früheisenzeitliches Glas und Glasfunde Mittelitaliens. Eine Übersicht von der Villanovazeit bis zum Orientalizzante und eine Analyse von Glasperlen als Grabbeigabe des Gräberfeldes Quattro Fontanili in Veji. Bochumer Forsch. Arch. Ur- u. Frühgesch. 4 (Rahden/Westf. 2011). Lorenz 2006 A. Lorenz, Der spätbronzezeitliche Hortfund von Stadt Allendorf unter besonderer Berücksichtigung seiner Gläser. Arch. Ber. 20 (Bonn 2006). Moorey 1994 P. R. S. Moorey, Ancient Mesopotamian Materials and Industries: The Archaeological Evidence (Oxford 1994). Nakai u. a. 2009 I. Nakai/K. Tantrakarn/N. Kato/N. Kawai/A. Nishisaka/S. Yoshimura, XRF Analysis of 16th Century BC Transparent Glass Beads Excavated from a Hillside in Northwest Saqqara, Egypt. In: Annales du 17e Congrès de l’Association Internationale pour l’Histoire du Verre, Antwerp 3–10 septembre 2006 (Brussels 2009) 27–31. Nicholson 2006 P. T. Nicholson, Glass Vessels from the Reign of Thutmose III and a Hitherto Unknown Glass Chalice. Journal Glass Stud. 48, 2006, 11–21. Nicholson u. a. 1997 P. T. Nicholson/C. M. Jackson/K. M. Trott, The Ulu Burun Glass Ingots, Cylindrical Vessels and Egyptian Glass. Journal Egyptian Arch. 83, 1997, 143–153. Nightingale 2005 G. Nightingale, The Mycenaean Glass Warriors. In: Annales du 16e Congrès de l’Association Internationale pour l’Histoire du Verre, London 2003 (Nottingham 2005) 19–22.
98 Nightingale 2008 G. Nightingale, Tiny, Fragile, Common, Precious. Mycenaean Glass and Faience Beads and Other Objects. In: Jackson/Wager 2008, 64–104. Nikita 2003 K. Nikita, Mycenean Glass Beads: Technology, Forms, and Functions. In: Glover u. a. 2003, 23–37. Nikita/Henderson 2006 K. Nikita/J. Henderson, Glass Analyses from Mycenaean Thebes and Elateia: Compositional Evidence for a Mycenaean Glass Industry. Journal Glass Stud. 48, 2006, 71–120. Nikita u. a. 2009 K. Nikita/J. Henderson/G. Nightingale, An Archaeological and Scientific Study of Mycenaean Glass from Elateia-Alonaki, Greece. In: Annales du 17e Congrès de l’Association Internationale pour l’Histoire du Verre, Antwerp 3–10 septembre 2006 (Brussels 2009) 39–46. Nolte 1968 B. Nolte, Die Glasgefäße im alten Ägypten. Münchner Ägyptolog. Stud. 14 (Berlin 1968). Oppenheim 1970 A. L. Oppenheim, The Cuneiform Texts. In: A. L. Oppenheim/ R. H. Brill/D. Barag/A. von Saldern (Hrsg.), Glass and Glassmaking in Ancient Mesopotamia. Corning Mus. Glass Monogr. 3 (Corning – New York 1970) 2–102. Panagiotaki 1998 M. Panagiotaki, Minoan Faience- and Glassmaking: Techniques and Origins. In: P. P. Betancourt/V. Karageorghis/R. Laffi neur/W.-D. Niemeier (Hrsg.), Meletemata. Studies in Aegean Archaeology Presented to Malcolm H. Wiener as he enters his 65th Birthday. Aegaeum 20 (Liège – Austin 1998) 617–624. Panagiotaki 2008 M. Panagiotaki, The Technological Development of Aegean Vitreous Materials in the Bronze Age. In: Jackson/Wager 2008, 34–63. Pusch/Rehren 2007 C. M. Pusch/T. Rehren, Hochtemperatur-Technologie in der RamsesStadt. Rubinglas für den Pharao. Grabungen Pelizaeus-Mus. Hildesheim in Qantir Pi-Ramesse 6 (Hildesheim 2007). Rahmstorf 2008 L. Rahmstorf, Tiryns 16. Kleinfunde aus Tiryns. Terrakotta, Stein, Bein und Glas/Fayence vornehmlich aus der Spätbronzezeit (Wiesbaden 2008). Rehren 2001 T. Rehren, Aspects of the Production of Cobalt-blue Glass in Egypt. Archaeometry 43, 2001, 483–489. Rehren 2005 T. Rehren, Der Handel mit Glas in der Spätbronzezeit. In: Yalcin u. a. 2005, 533–539. Rehren/Pusch 2007 T. Rehren/E. Pusch, Glas für den Pharao – Glasherstellung in der Spätbronzezeit des Nahen Ostens. In: G. A. Wagner (Hrsg.), Einführung in die Archäometrie (Heidelberg 2007) 215–235. Rehren/Pusch 2008 T. Rehren/E. B. Pusch, Crushed Rock and Molten Salt? Some Aspects of the Primary Glass Production at Quantir/Pi-Ramesse. In: Jackson/ Wager 2008, 14–33. Reinhard/Schaeren 2012 J. Reinhard/G. Schaeren, Cham, ZG, Bachgraben, Zugerstrasse 112 (Alpenblick II). Arch. Schweiz 95, 2012, 168–169. Rychner-Faraggi 1993 A. M. Rychner-Faraggi, Hauterive-Champréveyres 9. Métal et parure au Bronze final. Arch. Neuchâteloise 17 (Neuchâtel 1993). Salzani 1989 L. Salzani, Necropoli dell’età del bronzo finale alle Narde di Fratta Polesine. Prima Nota. Padusa N. S. 25, 1989, 5–42. Salzani 1990/91 L. Salzani, Necropoli dell’età del Bronzo Finale alle Narde di Fratte Polesine. Seconda Nota. Padusa N. S. 26/27, 1990/91, 125–206.
Koch, Bronzezeitliches Glas Santopadre/Verità 2000 P. Santopadre/M. Verità, Analyses of the Production Technologies of Italian Vitreous Materials of the Bronze Age. Journal Glass Stud. 42, 2000, 25–40. Schöbel 2012 G. Schöbel, Das Erbe der Pfahlbauer. Faszination Weltkulturerbe. Schr. Pfahlbaumus. Unteruhldingen 9 (Unteruhldingen 2012). Schlick-Nolte/Lierke 2002 B. Schlick-Nolte/R. Lierke, From Silica to Glass. On the Track of Ancient Glass Artisans. In: Bianchi 2002, 11–40. Schweizer 2003 F. Schweizer, Glas des 2. Jahrtausends v. Chr. im Ostmittelmeerraum (Remshalden 2003). Shepherd u. a. 2001 I. A. Shepherd/A. N. Shepherd/A. McDonald/F. Powell/J. A. Sheridan/P. Wilthew, A Cordoned Urn Burial with Faience from 102 Findhorn, Moray. Proc. Soc. Ant. Scotland 131, 2001, 101–128. Shortland 2000 A. J. Shortland, Vitreous Materials at Amarna. The Production of Glass and Faience in 18th Dynasty Egypt. BAR Internat. Ser. 827 (Oxford 2000). Shortland 2008 A. J. Shortland, The Raw Materials of Early Glass and Their Implications for the Trade in Glass between Egypt, Mesopotamia and the Aegean. In: C. Gillis/B. Sjöberg (Hrsg.), Trade and Production in Premonetary Greece. Crossing Borders. Proceedings of the 7th, 8th and 9th International Workshops, Athens 1997–1999. Stud. Mediterranean Arch. and Lit. 173 (Sävedalen 2008) 241–257. Shortland u. a. 2007 A. J. Shortland/N. Rogers/K. Eremin, Trace Element Discriminants Between Egyptian and Mesopotamian Late Bronze Age Glasses. Journal Arch. Science 34, 2007, 781–789. Stern 1994 E. M. Stern, Mediterrane Kerngeformte Gefäße 550 v. Chr. – 10 n. Chr. In: E. M. Stern/B. Schlick-Nolte (Hrsg.), Frühes Glas der Alten Welt 1600 v. Chr. – 50 n. Chr. Sammlung Ernesto Wolf (Stuttgart 1994) 204–243. Tanimoto/Rehren 2008 S. Tanimoto/T. Rehren, Interactions Between Silicate and Salt Melts in LBA Glass Making. Journal Arch. Scien. 35, 2008, 2566–2573. Tite u. a. 2008 a M. Tite/A. J. Shortland/G. Hatton/Y. Maniatis/D. Kavoussanaki/ M. Pyrli/M. Panagiotaki, The Scientific Examination of Aegean Vitreous Materials – Problems and Potential. In: Jackson/Wager 2008, 105–125. Tite u. a. 2008 b M. S. Tite/A. J. Shortland/I. Angelini, Faience Production in Northern and Western Europe. In: M. S. Tite/A. J. Shortland (Hrsg.), Production Technology of Faience and Related Early Vitreous Materials. Oxford Univ. School of Arch. Monogr. 72 (Oxford 2008) 129–146. Towle 2002 A. Towle, A Scientific and Archaeological Investigation of Prehistoric Glasses from Italy. Nottingham 2002. http://etheses.nottingham. ac.uk/1741/1/269710_Andy_Towle.pdf (7. 2. 2013). Towle/Henderson 2007 A. Towle/J. Henderson, The Glass Bead Game: Archaeometric Evidence for the Existence of an Etruscan Glass Industry. Etruscan Stud. 10, 2007, 47–66. Towle u. a. 2001 A. Towle/J. Henderson/P. Bellintani/G. Gambacurta, Frattesina and Adria: Report of Scientific Analysis of Early Glass from the Veneto. Padusa N. S. 37, 2001, 7–68. Triantafyllidis 2008 P. Triantafyllidis, An Egyptian Core-formed Krateriskos in the Rhodes Archeological Museum, Greece. Journal Glass Stud. 50, 2008, 295–297. Triantafyllidis 2009 P. Triantafyllidis, Early Core-formed Glass from a Tomb at Ialysos, Rhodes. Journal Glass Stud. 2009, 26–38. Wedepohl 2003 K. H. Wedepohl, Glas in Antike und Mittelalter. Geschichte eines Werkstoffes (Stuttgart 2003).
Koch, Bronzezeitliches Glas Yalcin u. a. 2005 Ü. Yalcin/C. Pulak/R. Slotta (Hrsg.), Das Schiff von Ulu Burun. Welthandel vor 3000 Jahren. Katalog der Ausstellung des Deutschen Bergbau-Museums Bochum vom 15. Juli 2005 bis 16. Juli 2006. Veröff. Deutsches Bergbau-Museum 138 (Bochum 2005). Yalouris 1968 N. Yalouris, An Unreported Use for Some Mycenaean Glass Paste Beads. Journal Glass Stud. 10, 1968, 9–16.
99
Abbildungsnachweis 1: Ingram 2005, Tab. 2.1. – 2: Bellintani u. a. 2006, Abb. 1. – 3: J. Reinhard, Direktion des Innern, Amt Denkmalpfl. u. Arch., Kanton Zug, Schweiz. – 4: Nikita/Henderson 2006, Abb. 23. – 5: Yalouris 1968, Abb. 3; 6; 11; Hughes-Brock 1999, Abb. 2. – 6 a: verändert nach Nikita u. a. 2009, Abb. 4. – 6 b: Salzani 1989, Abb. 6; 13; Salzani 1990/91, Abb. 29. – 7: verändert nach Nikita/Henderson 2006, Abb. 26; ergänzte Daten nach Angelini u. a. 2010, Tab. 2
Anschrift Dr. Leonie C. Koch, Scherfginstr. 44, 50937 Köln
[email protected]
100
Stephanie Mildner, Ulrich Schüssler, Frank Falkenstein, Helene Brätz
Bronzezeitliches Glas im westlichen Mitteleuropa – Funde, Zusammensetzung und die Frage nach seiner Herkunft Zusammenfassung Mit neuen chemischen Analysen an den blauen Glasperlen der Mittel- und Spätbronzezeit (14.–9. Jh. v. Chr.), die aus Gräbern, Horten und Siedlungen im westlichen Mitteleuropa bekannt sind, ließ sich neben den beiden bekannten Glastypen, dem magnesiumreichen Natron-Kalk-Glas (HMG) und dem gemischt-alkalischen Glas (LMHK) erstmals eine neue Glasgruppe identifizieren. Ihre Zusammensetzung basiert mit deutlich höheren Kaliumgehalten auf einer anderen Alkaliquelle. Wie die Stoffmengenverhältnisse von Natrium zu Kalium in verschiedenen Pflanzenaschen zeigen, kann von der Verwendung einer binnenländischen Pflanzenasche, vermutlich Farnkraut ausgegangen werden. Zudem liefern die Analysen neue Erkenntnisse bezüglich einer bislang vermuteten Herkunft der HM-Gläser aus Ägypten oder dem Nahen Osten. Mithilfe der Elementverteilungen von Chrom, Lanthan, Titan und Zirkon, die über die verwendeten Sande eine regionale Typisierung zulassen, konnte nachgewiesen werden, dass das vorwiegend im nördlichen Mitteleuropa vorkommende HM-Glas weder mit ägyptischem noch mit mesopotamischem HM-Glas vergleichbar ist, also allem Anschein nach nicht aus diesen Regionen importiert wurde.
Glasfunde zwischen Zentralalpen und Ostsee Während bis weit ins 20. Jh. hinein die Vorgeschichtsforschung davon ausging, das bronzezeitliche Glas nördlich der Alpen sei durchwegs aus dem Orient (Mestorf 1900) oder dem mediterranen Raum, hauptsächlich aus Ägypten (Reinecke 1911; Gessner 1947) importiert, sind es vor allem die weitreichend bekannten „Pfahlbauperlen“,54 die Anlass zu neuen Denkansätzen lieferten. Haevernick, die sich 1949 mit dem umfangreichen Glasperlenensemble aus dem späturnenfelderzeitlichen Hortfund von Allendorf (Stadtallendorf) in Hessen (Ha B3) auseinandersetzte, ging im Gegensatz zur geläufigen Meinung von einer lokalen Produktion in Mitteleuropa aus. Sie stützte sich dabei vor allem auf die gehäuft in den Schweizer Seeufersiedlungen vorkommenden spätbronzezeitlichen Pfahlbauperlen (Haevernick 1949/50, 215 f.; 1978). Vergleichbare Glasfunde aus dem italischen und griechischen Raum anführend,
54 Die Bezeichnung „Pfahlbauperlen“ wurde 1949 von Haevernick in die Forschung eingeführt, zuvor aber bereits 1936 im Rahmen einer Unterhaltung mit E. Vogt formuliert (Haevernick 1949/50, 214 Anm. 54) und bezeichnet einen Perlentyp von meist tonnen- bis spindelförmiger Gestalt mit einer weißen, spiralig um den Perlenkörper verlaufenden Glasfadeneinlage. Auch der gleichbedeutende Begriff „Pfahlbautönnchen“ findet in der Literatur gern Verwendung (Haevernick 1978, 146).
folgte der Widerspruch von Reinecke, der eine lokale Herstellung der spätbronzezeitlichen Glasperlen nördlich der Alpen entschiedenen ablehnte (Reinecke 1957). Damit entbrannte eine bis heute anhaltende Diskussion über den Ursprung des ältesten echten Glases im westlichen Mitteleuropa. Inzwischen hat sich der überlieferte Fundstoff erheblich vermehrt, ebenso wie das Interesse an der Klärung der Herkunftsfrage. Die Vielfältigkeit des Fundmaterials und sein gehäuftes Vorkommen in reich ausgestatteten Gräbern der Hügelgräberund Urnenfelderzeit Mitteleuropas lassen erahnen, dass es sich um wertvolle Objekte handelte, die hinsichtlich ihrer Exklusivität und Kostbarkeit mit Bernstein und Gold vergleichbar waren. In der späten Mittelbronzezeit (Bz C2, Per. II) markieren sowohl in Nord- als auch in Süddeutschland einfarbig blaue kugelige bis ringförmige Perlen das Einsetzen dieser Schmuck- und Trachtbestandteile. Mit einer beträchtlich erhöhten Anzahl an überlieferten Glasfunden aus der Urnenfelder- und jüngeren Nordischen Bronzezeit (Bz D-Ha B, Per. III–V) zeigte sich auch das Form- und Farbspektrum deutlich erweitert. So finden wir nun neben einfarbigen kleinen Ringchenperlen, größeren Ringperlen und kugeligen Perlen auch einige zweifarbige oder polychrome Perlentypen unterschiedlichster Form und Größe. Immer noch am weitesten verbreitet sind dabei die Pfahlbautönnchen und so genannten Noppenperlen55, daneben frühe Augenperlen, wie sie aus späteren eisenzeitlichen Fundkomplexen reichlich bekannt sind, aber auch rundliche oder röhrenförmige Perlen mit einzeln umlaufenden Streifen in gerader oder gewellter Linie und mit Tupfen verzierte und gerippte Perlen. Auch wenn sich die Grundfarbe der meisten Perlen auf ein durchscheinendes Blau beschränkt, so zeigt sich dieses jedoch in seiner ganzen Bandbreite, von verschiedenen grünblauen Tönen über hell- bis dunkelblau hin zu violettblau. Gelbe, braune, schwarze oder grüne Perlen sind hingegen selten anzutreffen, ebenso wie farbige Verzierungen. Die dekorativen Verzierungen in Form von Spiralfäden, Streifen, Augen oder Tupfen sind überwiegend weiß oder farblos ausgeführt (Abb. 1).
55 Der Begriff „Noppenperle“ bezeichnet einen nach seiner plastischen Verzierung benannten Perlentyp. Auf einer blauen Ringperle sind in regelmäßigem Abstand vier Noppen aufgesetzt, die aus einer weißen rundlichen Glasauflage mit einem zentral aufgesetzten blauen Glastropfen bestehen. Weil ihr Verbreitungsgebiet weitgehend mit dem der Pfahlbauperlen übereinstimmt, wies Haevernick (1978, 146) ihnen den Namen „Pfahlbaunoppenperlen“ zu. Die vereinfachte Bezeichnung „Noppenperlen“ basiert auf den Ausführungen von Schöbel (1996, 106) zu den Perlen aus Hagnau am Bodensee.
Mildner u. a., Bronzezeitliches Glas
101
Abb. 1: Auswahl mittel- und spätbronzezeitlicher Glasperlen aus Deutschland und Österreich. 1 Obereglfing, Lkr. Weilheim-Schongau; 2 Nateln, Lkr. Uelzen; 3 Grundfeld-Reundorf, Lkr. Lichtenfels; 4; 5 Augsburg-Haunstetten I, Stadt Augsburg; 6 Wendelstein, Lkr. Roth; 7 Wellendorf-Nateln, Lkr. Uelzen; 8 Reutlingen, Lkr. Reutlingen; 9 Bergheim, Lkr. Waldeck-Frankenberg; 10; 16 Hagnau-Burg, Bodenseekreis; 11 Innsbruck-Wilten, Stadt Innsbruck; 12, 13 Innsbruck-Mühlau, Stadt Innsbruck; 14 Deutsch-Evern, Lkr. Lüneburg; 15 Volders, Bez. Innsbruck Land; 17 Römhild, Lkr. Hildburghausen. M. 3:2
Bisheriger Kenntnisstand zur Zusammensetzung der Gläser Während bereits ab 1960 umfangreiche archäometrische Analysen an eisenzeitlichen Glasartefakten aus Europa zu verzeichnen sind (vgl. Hahn-Weinheimer 1960), wurden die bronzezeitlichen Glasperlen erst ab den späten 1980er-Jahren Gegenstand der analytischen Glasforschung.56 Henderson (1988; 1989; 1993) lieferte erste Analysen von Glasperlen aus dem Schweizer Seengebiet, die er mit Proben aus Irland, Südengland, Dänemark, Norditalien und der damaligen Tschechoslowakei in einen gesamteuropäischen Kontext stellte. Damit gelang es ihm erstmals, das gemischt-alkalische Glas mit
56 Mithilfe spektralanalytischer Untersuchungen an kleinen ringförmigen Glasperlen aus dem Urnengräberfeld von Volders bei Innsbruck (Tirol) versuchten Neuninger und Pittioni (1959) bereits Ende der 50er-Jahre die Herkunft der Perlen bzw. die Frage nach den färbenden Elementen zu klären. Die Zusammensetzung der Spurenelemente ergab eine Übereinstimmung zwischen den Perlen, den vom gleichen Gräberfeld stammenden Bronzen und dem Kupfer aus Lagerstätten der näheren Umgebung. Obwohl die gewonnenen Ergebnisse mehrdeutig und nicht mehr mit modernen Analysen vergleichbar sind, so können diese frühen Experimente doch als erster Versuch gewertet werden, der Herkunft solcher Glasperlen nachzugehen.
niedrigem Magnesium- und hohem Kaliumgehalt (LMHK = low-magnesium-high-potassium) als charakteristischen Glastyp für Europa herauszustellen, denn in Ermangelung von Vergleichsfunden im östlichen Mittelmeerraum, wo das magnesiumreiche Natron-Kalk-Glas (HMG = high-magnesium glass) vorherrschte, war von einer eigenständigen Erzeugung dieser Glaszusammensetzung innerhalb Europas, etwa in der Schweiz oder in Norditalien auszugehen (Henderson 1988, 448). Mit dem Nachweis der Verarbeitung von LMHK-Glas in Frattesina bei Poviglio (Veneto) und weiteren Glasverarbeitungsspuren in Mariconda di Melara, 35 km westlich von Frattesina gelegen, findet diese Annahme weitere Bestätigung (Brill 1992, 11). Der Hauptteil der 22 von Henderson untersuchten Glasperlen aus Hauterive-Champréveyres in der Schweiz entspricht mit 0,2–1,1 Gew. % Magnesium und 7,7–13,2 Gew. % Kalium dem charakteristischen LMHK-Glas. Daneben konnten erstmals auch die opak weißen Dekorationen der Pfahlbauperlen analysiert werden, welche sich in der Grundzusammensetzung zum LMHK-Glas der Perlenkörper nur durch erhöhte Calciumgehalte (3,6–13,0 Gew. % bei regulär 1,1–3,7 Gew. % CaO) und entsprechend geringere Kupfer- bzw. Kobaltwerte unterscheiden. Im Vergleich zu opak weißem Glas des 2. Jts. v. Chr. und jüngerem aus Ägypten (vgl. Shortland 2002)
102 konnten trotz der erhöhten Calciumwerte weder typische Calcium-Antimonat-Kristalle noch erwähnenswerte Antimongehalte nachgewiesen werden (Henderson 1993, 112 f.). Die Frage nach den weiß-färbenden Zusätzen konnte damit nicht abschließend geklärt werden. Des Weiteren fanden sich zwei Perlen des Typs HMG, für die Henderson sowohl eine einheimische als auch eine nichteuropäische Herkunft für möglich hielt (Henderson 1993, 114). Es handelt sich um das Fragment einer durchscheinend türkisen Ringperle und um eine dunkelolivgrüne kugelige Perle mit Resten einer opak weißen, bandförmig umlaufenden Glasfadeneinlage am Bauch. Dieser Typ findet seine nächsten Parallelen innerhalb der Perlen des Hortfunds von Allendorf, welche 2006 im Rahmen einer archäometrischen Studie erneute Aufmerksamkeit erfuhren (Lorenz 2006). Von den insgesamt 51 typochronologisch untersuchten Glasperlen wurden 21 für chemische Analysen ausgewählt, um Fragen zu den Rohstoffen und des Rohglases sowie zur Herkunft der Perlen zu beantworten. Dabei konnten erneut sowohl das gemischt-alkalische Glas (LMHK) als auch das magnesiumreiche (HMG) sowie ein magnesiumarmes Natron-Kalk-Glas (LMG = low-magnesium glass) nachgewiesen werden. Der Vergleich der Analysen des LMHK-Glases mit jenen aus der Schweiz und aus Hessen, wo in einer Untersuchung durch Hartmann u. a. (1997) mit wenigen Proben sowohl der Typ HMG als auch das LMHK-Glas nachgewiesen wurden, erbrachte eine deutliche Übereinstimmung. Während das LMHK-Glas eine unabhängige Glasproduktion in Europa erwarten lässt, ist für das HM-Glas wohl von importierten Fertigprodukten aus dem Nahen Osten auszugehen (Hartmann u. a. 1997, 553; 555; Lorenz 2006, 79). Das gleichzeitige Vorhandensein von Glas des Typs LMG in dem Ha B3-zeitlichen Hortfund deutet zunächst auf die in der jüngeren Glasforschung bereits theoretisch angenommene Übergangsphase von magnesiumreichem zu magnesiumarmem Natron-Kalk-Glas hin (Lorenz 2006, 78 f.). Erstaunlicherweise handelt es sich aber nicht um ein frühes typisches LMGlas, denn es weist mit seinen leicht erhöhten Kalium- und Phosphorgehalten bei deutlich geringeren Calciumwerten eine unverkennbar andere Signatur auf als die ab dem 8. Jh. v. Chr. allgemein bekannten LM-Gläser. Bei etwa gleichhohen Natriumgehalten wird entsprechend für das Allendorfer LM-Glas eine Verwendung einer magnesiumarmen Pflanzenasche angenommen (Lorenz 2006, 66). Hierin könnte ein Hinweis darauf liegen, dass in dieser Übergangsphase kein unmittelbarer Rohstoffwechsel von Halophytenasche zu mineralischem Soda stattfand, sondern möglicherweise ein sukzessiver Wandel, bei dem Versuche mit anderen Rohstoffmixturen letztlich zu einem größeren Spektrum von Glaszusammensetzungen führte. Es handelt sich hierbei um drei augenscheinlich opak schwarze, rundliche Perlen, die jedoch, wie rezente Bruchflächen zeigen, aus durchscheinend olivgrünem Glas bestehen. Lorenz (2006, 75) hat hier mit 11,42–15,68 Gew. % Eisen als färbenden Bestandteil identifiziert. Perlen, die sowohl hinsichtlich ihrer Farbgebung als auch ihrer Zusammensetzung vergleichbar wären, konnten bisher nicht identifiziert werden. Schwarze bzw.
Mildner u. a., Bronzezeitliches Glas grüne Perlen sind zwar in Griechenland und Italien, aber auch in Mitteleuropa vereinzelt zu finden, das bereits oben erwähnte Exemplar aus Hauterive-Champréveyres in der Schweiz ist dagegen dem Typ HMG zuzuordnen, der Anteil des Eisenzuschlags fällt hier auch mit 7,1 Gew. % deutlich geringer aus.
Neue Untersuchungen an Glasperlen aus dem westlichen Mitteleuropa Im Rahmen der Untersuchung des umfangreich mit Glasperlen ausgestatteten Hortfundes von Neustrelitz in MecklenburgVorpommern (Per. III) wurde ein Teil der Perlen als kugelig und aus durchscheinend dunkelgrünem Glas bestehend beschrieben (Typ 4 nach Jantzen/Schmidt 1999, 72). Daher schien zunächst eine Ähnlichkeit mit den o. g. dunkelolivgrünen Perlen gegeben. Eine materialanalytische Untersuchung von wenigen ausgewählten Perlen aus dem Neustrelitzer Inventar zeigte jedoch, dass die Grünfärbung der Perlen offensichtlich auf einer starken Verwitterung beruht. Im Inneren der Perlen war ein kleiner Bereich frischen Glases erhalten, der bei genauerer Betrachtung nicht dunkelgrün sondern leuchtend blau erschien. Die Analysen ergaben bei sehr geringen Eisengehalten von 0,21–0,58 Gew. % ein mit Kupfer gefärbtes magnesiumreiches Natron-Kalk-Glas (HMG) (Mildner u. a. 2010, 51; 60). Dass wir für die späte Bronzezeit in Mitteleuropa nicht mehr nur von zwei Glastypen ausgehen können, lässt sich an Hand der neueren Glasforschung unterstreichen. So konnte im Rahmen eines laufenden Forschungsprojektes zu bronzezeitlichem Glas im westlichen Mitteleuropa57 eine bereits in Frattesina festgestellte Glaszusammensetzung (Towle u. a. 2001, 20; Angelini u. a. 2004, 1179) auch innerhalb Deutschlands nachgewiesen werden (Mildner u. a. 2012, 198). Neben den endbronzezeitlichen Vergleichsfunden aus Frattesina58 stammen die Exemplare in Deutschland aus Urnengräbern der Stufen Ha A/B bzw. der Montelius-Perioden IV–V sowie aus urnenfelderzeitlichen Siedlungszusammenhängen.59 Dieses Glas zeigt zunächst wie das LMHK-Glas einen geringen Magnesium- und hohen Kaliumgehalt, ist aber dennoch nicht als gemischt-alkalisches Glas zu bezeichnen, da es mit durchschnittlich 1,2 Gew. % deutlich geringere Natriumwerte und mit 16,4 Gew. % bedeutend höhere Kaliumgehalte aufweist (Abb. 2, 3 und 4). Die Calciumgehalte schwanken sehr stark zwischen 1,7 und 13,0 Gew. %, sind aber im Vergleich zu mittelalterlichen Holzasche-Gläsern mit ähnlich hohen und höheren Kaliumwerten deutlich geringer (vgl. Wedepohl 2003). Entsprechend scheint
57 Von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Forschungsprojekt der Universität Würzburg „Bronzezeitliches Glas zwischen Alpenkamm und Ostsee. Untersuchungen zur Herstellung und Distribution des ältesten Glases in Mitteleuropa.“ 58 Fundstellen Frattesina: Sample 235 (Kat.-Nr. 27), 236 (Kat.-Nr. 23), 294 (Kat.-Nr. 3) (Towle u. a. 2001) und FRV4 (Angelini u. a. 2004). 59 Fundstellen Deutschland: Grundfeld-Reundorf (Bayern) Grab 23; Sirksfelde (Schleswig-Holstein) Grab 172; Kaspauer (Bayern).
Mildner u. a., Bronzezeitliches Glas
103
Abb. 2: Diagramm K2O: MgO zur Klassifizierung der bronzezeitlichen Glastypen im westlichen Mitteleuropa (nach Henderson 1988) mit Daten aus dem laufenden Projekt und Vergleichsanalysen aus Frattesina
Abb. 3: Dreiecksdiagramm MgO, K2O und Na2O zur Klassifizierung der bronzezeitlichen Glastypen im westlichen Mitteleuropa mit Daten aus dem laufenden Projekt und Vergleichsanalysen aus Frattesina
für diese neue Glasgruppe eine andersartige Alkaliquelle verwendet worden zu sein. Für das gemischt-alkalische LMHK-Glas werden in der Glasforschung verschiedene Varianten der Alkaliquelle diskutiert (vgl. Henderson 1988; Brill 1992; Hartmann u. a. 1997). Grundsätzlich ist von einer Asche von binnenländischen Pflanzen auszugehen, bei der der Kaliumgehalt deutlich über dem Natriumgehalt liegt. Die niedrigen Magnesium- und Calciumwerte in Kombination mit geringen Phosphorgehalten deuten auf das Aufbereiten der Pflanzenasche hin (Lorenz 2006, 55). Detailliertere Aussagen können über den Vergleich von Mengenverhältnissen in Gläsern und Pflanzenaschen getroffen werden. So lässt sich das Stoffmengenverhältnis von Natrium zu Kalium der LMHK-Gläser nördlich der Alpen60 mit einem durchschnittlichen Wert von 0,64 (0,28–0,99 bei n = 120) beschreiben.61 Die von Bezborodov (1975) vorgelegten Analysen von binnenländischen Pflanzenaschen62 zeigen hingegen bei dem Verhältnis von Natrium zu Kalium mit 0,1–0,4 deutlich geringere Werte. Weil aber im charakteristischen LMHK-Glas ein gegenüber den binnenländischen Pflanzenaschen höherer Natriumgehalt im Glas festzustellen ist, postuliert Lorenz die Verwendung einer Mischsubstanz aus natriumreicher maritimer und natriumarmer binnenländischer Pflanzenasche (Lorenz 2006, 58).
In der neuen Glasgruppe könnte sich entsprechend der Hinweis auf die bloße Verwendung von binnenländischer Pflanzenasche, tendenziell von Farnkraut widerspiegeln. Das Mengenverhältnis von Natrium zu Kalium von 0,01–0,13 im Glas lässt sich gut mit dem von Farnasche korrelieren (Abb. 5).63 Die vergleichsweise niedrigen Magnesium- und Calciumwerte64 können hier ebenfalls durch das Aufbereiten der Pflanzenasche erklärt werden. Da sich die Farnaschen allerdings auch in Abhängigkeit vom Standort deutlich unterscheiden kön-
60 Zugrunde liegende Daten: LMHK-Gläser von Hauterive-Champréveyres (Henderson 1993) und Allendorf (Lorenz 2006, 45) sowie von 102 LMHK-Gläsern aus Deutschland und Österreich (Mildner, unpubliziert). 61 Das Stoff mengenverhältnis von Natrium zu Kalium wird über den Faktor F = Na 2O/K 2O angegeben. 62 Hier sind die Pflanzenaschen von Eiche, Buche (Laub und Stamm), Weizen (Stroh und Körner), Gerste (Körner), Farnkraut und Heidekraut untersucht (Lorenz 2006, 56 Tab. 15 nach Bezborodov 1975).
Abb. 4: Grundzusammensetzung der bisher im laufenden Projekt analysierten mittel- und spätbronzezeitlichen Glastypen (Mildner, unpubliziert) inklusive der vier Glasobjekte aus Frattesina (s. Anm. 56), die der neuen Glasgruppe zuzuordnen sind
63 Die ebenfalls mit Na 2O/K 2O = 0,1 ausgewiesene Asche von Weizenkörnern kommt auf Grund der zu hohen Phosphorgehalte nicht infrage, ebenso die Asche von Buchenlaub, da diese zu geringe Kaliumwerte aufweist (Lorenz 2006, 56 Tab. 15 nach Bezborodov 1975). 64 Während die Perle aus Grundfeld-Reundorf gut zu den Objekten aus Frattesina passt, lassen sich die übrigen beiden Fundstücke wegen ihrer hohen Calciumwerte noch einmal von diesen separieren.
104
Mildner u. a., Bronzezeitliches Glas
Abb. 5: Grundzusammensetzung von Farnaschen, Oxide in Gew. % (Daten entnommen aus: Wedepohl 2003, 184 Tab. 7 A; Lorenz 2006, 56 Tab. 15)
nen, wäre diese These mit zukünftigen Analysen von weiteren Pflanzenaschen zu überprüfen. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang auch die transluzenten blauen Glasperlen aus dem Gräberfeld von Volders bei Innsbruck (Tirol).65 Ihrer Grundzusammensetzung nach sind sie eindeutig dem gemischt-alkalischen LMHKGlas zuzuweisen, auffällig ist jedoch auch hier das Stoffmengenverhältnis zwischen Natrium und Kalium. Bei leicht höheren Natriumgehalten gegenüber Kalium lässt sich ein Durchschnittswert (n = 7) von 1,22 für Na2O/K 2O ermitteln. Entsprechend der Ansicht von Lorenz (2006, 58) kann hier von einem anderen Mischungsverhältnis der Alkaliquellen ausgegangen werden, möglicherweise auch nur im Rahmen einer einzelnen Glasfertigungscharge, denn Vergleichsfunde für diese Glasgruppe sind bisher nur vereinzelt zu finden. Unter den Funden aus Frattesina konnte ein unregelmäßiges Bruchstück, vielleicht das Fragment eines Glasbarrens oder ein Verarbeitungsabfall untersucht werden, das eine annähernd identische Grundzusammensetzung aufweist, sich aber gegenüber den Perlen aus Volders hinsichtlich seiner Farbe, die als durchscheinend Wasserfarben beschrieben wird, und den entsprechenden Kupferwerten unterscheidet.66 Dass hierin ein Rohglas und sein Endprodukt vorliegen, ist durchaus denkbar und würde einen Distributionsweg von Frattesina nach Volders bezeugen. Leider fehlen in Frattesina umfangreiche Spurenelementanalysen, die diese Frage endgültig klären könnten. Gerade die Spurenelemente und die Seltenerdelemente können bei der Herkunftsfrage hilfreich sein. So könnten beispielsweise die Elemente As, Ni, Sn, Zn, Sb und Pb als Begleitelemente von Kupfer und Kobalt Aufschluss über die färbenden Bestandteile und damit auf lagerstättenbedingte Charakteristika der jeweils verwendeten Färbestoffe geben. Andere Ele-
65 Im Rahmen des DFG-Forschungsprojektes wurden fünf kleine Ringchenperlen aus Grab 340 sowie eine Pfahlbauperle aus Grab 375 und eine verschmolzene Perle aus Grab 201 analysiert. 66 Sample 226 (Kat.-Nr. 11) (Towle u. a. 2001, 28; 39).
Abb. 6: Gehalte von Chrom und Lanthan in ägyptischen (blau), nordmesopotamischen (rot) und mykenischen (grün) HM-Gläsern der 1. Hälfte des 2. Jt. v. Chr., kombiniert mit Daten von zeitgleichen mitteleuropäischen HMG-Perlen (schwarze Symbole) und jüngeren mitteleuropäischen LMHK-Gläsern (graue Symbole) aus dem laufenden Projekt
Abb. 7: Gehalte von Titan und Zirkon in ägyptischen (blau), nordmesopotamischen (rot), südmesopotamischen (orange) und mykenischen (grüne Symbole) HM-Gläsern der 1. Hälfte des 2. Jt. v. Chr., kombiniert mit Daten von zeitgleichen mitteleuropäischen HMG-Perlen (schwarze Symbole) und jüngeren mitteleuropäischen LMHK-Gläsern (graue Symbole) aus dem laufenden Projekt
Mildner u. a., Bronzezeitliches Glas mente wie z. B. Zr, Ti, Sr, Nb, Y, Ba oder die Seltenerdelemente lassen sich nicht mit den Färbestoffen, sondern mit dem verwendeten Sand oder in geringen Maßen mit den Flussmitteln in Verbindung bringen. Hinweise auf die zur Glasherstellung verwendeten Sande können beispielsweise die in Verbindung mit bestimmten Schwermineralen auftretenden Elemente liefern, die einen regionalgeologisch charakteristischen Fingerabdruck des verwendeten Sandes liefern. In einer Studie zur Spurenelementverteilung in ägyptischen und mesopotamischen spätbronzezeitlichen Glasobjekten wurden unter anderem die Elemente Titan, Zirkon, Chrom und Lanthan als wichtige Unterscheidungsmerkmale herangezogen (Shortland u. a. 2007). Das Kovariationsdiagramm von Chrom mit Lanthan zeigt sowohl für ägyptisches blaues und farbloses Glas als auch für nordmesopotamisches blaues Glas jeweils eine positive Korrelation sowie eine interne Gleichartigkeit der Fundstellen. Grundsätzlich sind jedoch zwei deutlich voneinander getrennte Verteilungsmuster für die beiden Regionen festzustellen, die auf der Andersartigkeit der geologischen Situation mit den entsprechend beeinflussten Sanden basiert (Shortland u. a. 2007, 786). Dass für eine eindeutige Beurteilung nicht nur zwei Elemente verglichen werden dürfen, zeigt das Diagramm Titan gegen Zirkon. Hier scheinen geringfügige Überlappungen zwischen beiden Fundregionen feststellbar. Mit der Bestätigung durch die Ergebnisse aus der Kovariation von Chrom mit Lanthan kann jedoch für beide Fundgruppen von einer unterschiedlichen Herkunft des Sandes und damit von verschiedenen Glasprovinzen ausgegangen werden. Offensichtlich ist auch keines der zur Analyse ausgewählten Gläser in die jeweils andere Region verhandelt worden. Ein Vergleich mit diesen ägyptischen und mesopotamischen, aber auch mit mykenischen Gläsern, alle vom Typ HMG, vermag nun auch erste neue Erkenntnisse zur Herkunft der mitteleuropäischen HM-Gläser zu liefern. Die ägyptische Vergleichsgruppe enthält dabei Funde aus Amarna und Malkata, die nordmesopotamische Gruppe umfasst Funde aus Nuzi und Tell Brak,67 eine zusätzliche südmesopotamische Gruppe Funde aus Nippur.68 Die sehr heterogene Gruppe der mykenischen Gläser enthält Funde aus Pylos und Tiryns sowie mykenische Objekte aus dem J. P. Getty-Museum,69 ergänzt durch drei Glasplättchen aus dem Martin-von-Wagner-Museum in Würzburg, die im laufenden Projekt zusätzlich analysiert werden konnten. Leider stehen nicht für alle Proben Werte von Lanthan und Chrom zur Verfügung. Eine kombinierte Betrachtung der beiden Kovariationsdiagramme (Abb. 6 und 7) veranschaulicht deutlich, dass abgesehen von einzelnen Exemplaren der Großteil der mitteleuropäischen HMG-Perlen nach dem jetzigen Datenstand weder mit den ägyptischen Glasfunden noch mit den Funden aus Nord67 Ägyptische und Nordmesopotamische Daten für Diagrammgrundlage entnommen aus Shortland u. a. 2007. 68 Daten für Diagrammgrundlage entnommen aus Walton u. a. 2012. 69 Daten für Diagrammgrundlage aus entnommen aus Polikreti u. a. 2011 (Pylos) und Walton u. a. 2009 (Tiryns und Ghetty-Museum).
105 und Südmesopotamien in Verbindung zu bringen ist. Zwar zeigen sich im Diagramm Lanthan gegen Chrom noch Ähnlichkeiten zwischen den mitteleuropäischen und den mesopotamischen HM-Gläsern, deutliche Unterschiede kommen aber insbesondere im Diagramm Zirkon gegen Titan zum Ausdruck. Hinsichtlich der Gläser aus dem mykenischen Bereich bezogen sich Walton u. a. (2009) auf das Chrom-LanthanKovariationsdiagramm von Shortland u. a. (2007), als sie die mykenischen Gläser in zwei Gruppen unterteilten und dabei die kobaltgefärbten Glasobjekte als Rohglasimporte aus dem ägyptischen, die kupfergefärbten hingegen aus dem mesopotamischen Bereich interpretierten (Walton u. a. 2009, 150 f.). Im Titan-Zirkon-Diagramm liegen, die kobaltgefärbten mykenischen Gläser im Bereich des ägyptischen Feldes. Ein Import des kobaltgefärbten mykenischen Glases aus Ägypten ist damit sehr wahrscheinlich. Für die kupfergefärbten mykenischen Gläser ist hier hingegen eine deutlichere Überschneidung mit der südmesopotamischen Gruppe festzustellen. Im Diagramm Lanthan gegen Chrom fehlen die südmesopotamischen Werte, was eine endgültige Interpretation erschwert, denn die kupfergefärbten mykenischen liegen hier nun randlich im Bereich der mitteleuropäischen HM-Gläser.
Ergebnisse Das HM-Glas aus dem westlichen Mitteleuropa ist nach den vorliegenden Vergleichsdaten insgesamt weder ägyptischen noch mesopotamischen Ursprungs. Weiterhin ergibt sich keine Ähnlichkeit mit den mykenischen Gläsern. Vergleicht man die mitteleuropäischen HM-Gläser mit den mitteleuropäischen LMHK-Gläsern, dann zeigt sich auch hier keine Übereinstimmung. Es ist daher unwahrscheinlich, dass diese beiden Glastypen aus derselben Quellregion stammen. Da für die LMHK-Gläser eine Herkunft aus dem südlichen Mitteleuropa oder Norditalien angenommen wird (Henderson 1993, 114; Lorenz 2006, 77), und überdies auch erste Hinweise auf eine dezentrale Produktion zu finden sind (Angelini u. a. 2009, 335), sollten die HMG-Perlen mit ihren separaten und relativ eng begrenzten Streufeldern (Abb. 6 und 7) eher nicht aus diesen Bereichen stammen. Der Großteil der mitteleuropäischen HMG-Perlen, die im laufenden Projekt untersucht wurden, stammt aus Fundkomplexen im nördlichen Deutschland. In Mittel- und Süddeutschland ist dieser Typ bisher nur vereinzelt nachgewiesen, denn dort dominieren die LMHK-Perlen. Möglicherweise zeichnet sich damit eine eigenständige „nordische“ Gruppe von HM-Glas ab, ihre Herkunft bleibt aber zunächst ungeklärt. Die Hauptgruppe der mitteleuropäischen HMG-Perlen datiert in die Zeit zwischen 1500 und 1050 v. Chr. Eine weitere Gruppe von HMG-Perlen ist jünger (jüngste Urnenfelderzeit und Übergang zur Hallstattzeit, um 800/750 v. Chr.). Sie unterscheidet sich ganz deutlich von der Hauptgruppe und liegt im Chrom-Lanthan-Diagramm (Abb. 6) bei hohen Lanthanwerten deutlich über dem ägyptischen Feld, im Zirkon-Titan-Diagramm bei hohen Zirkon- und Titanwer-
106 ten im Überlappungsbereich mit dem ägyptischen Feld und dem mykenischen Hauptfeld. Eine klare Herkunftsbestimmung ist daher auch für diese Gläser noch nicht möglich. Die hier vorgestellten Vergleiche basieren auf wenigen Spurenelementen, gemessen an Proben aus einigen ausgewählten Fundorten. Eine Herkunft des mitteleuropäischen HM-Glases aus anderen Gebieten des Mittelmeerraumes oder des Nahen Ostens ist durchaus denkbar und wäre zu prüfen. Leider liegen von zahlreichen Regionen wie z. B. der Türkei oder der Levante keine oder unzureichende Glasanalysen zum Vergleich
Mildner u. a., Bronzezeitliches Glas vor. Meist sind nur die Hauptelemente analysiert, es fehlt dagegen eine ausführliche Spurenelement-Analytik. Hier wäre bei weiterführender Analytik mit interessanten Ergebnissen zu rechnen. Letztlich kann auch eine heimische Herstellung nicht völlig ausgeschlossen werden. Dafür würden die relativ einfachen Formen der Perlen sprechen, im Vergleich zu den deutlich vielfältigeren Formen gleichalter Perlen aus dem östlichen Mittelmeerraum. Produktionsreste wurden in der Fundregion der Perlen im nördlichen Deutschland bislang allerdings nicht entdeckt.
Mildner u. a., Bronzezeitliches Glas
Literatur Angelini u. a. 2004 I. Angelini/G. Artioli/P. Bellintani/V. Diella/M. Gemmi/A. Polla/ A. Rossi, Chemical Analyses of Bronze Age Glasses from Frattesina di Rovigo, Northern Italy. Journal Arch. Scien. 31, 2004, 1175–1184. Angelini u. a. 2009 I. Angelini/A. Polla/B. Giussani/P. Bellintani/G. Artioli, Final BronzeAge Glass in Northern and Central Italy. Is Frattesina the Only Glass Production Centre? In: J.-F. Moreau/R. Auget/J. Chabot/A. Herzog (Hrsg.), Proceedings/Acts – 36th International Symposiumon Archaeometry/36e Symposium International d’Archéometrie, Quebec City/ Québec, Canada, 2–6 May/mai, 2006. Cahiers d’archéologie du CELAT 25 (Québec 2009) 329–337. Brill 1992 R. H. Brill, Chemical Analyses of Some Glasses from Frattesina. Journal Glass Stud. 34, 1992, 11–22. Gessner 1947 V. Gessner, Vom Problem der spätbronzezeitlichen Glasperlen. In: W. Drack/P. Fischer (Hrsg.), Beiträge zur Kulturgeschichte. Festschrift Reinhold Bosch zu seinem sechzigsten Geburtstag (Aarau 1947) 80–98. Haevernick 1949/50 T. E. Haevernick, Hals- und Haarschmuck. In: O. Uenze, Der Hortfund von Allendorf. Prähist. Zeitschr. 34/35, 1949/50 (1953), 213– 217. Haevernick 1978 T. E. Haevernick, Urnenfelderzeitliche Glasperlen. Zeitschr. Schweizer. Arch. u. Kunstgesch. 35, 1978, 145–157. Hahn-Weinheimer 1960 P. Hahn-Weinheimer, Die spektrochemische Untersuchung von Glasarmringen und Ringperlen der Mittel- und Spätlatènezeit. In: T. E. Haevernick, Die Glasarmringe und Ringperlen der Mittel- und Spätlatènezeit auf dem europäischen Festland (Bonn 1960) 266–272. Hartmann u. a. 1997 G. Hartmann/I. Kappel/K. Grote/B. Arndt, Chemistry and Technology of Prehistoric Glass from Lower Saxony and Hesse. Journal Arch. Scien. 24, 1997, 547–559. Henderson 1988 J. Henderson, Glass Production and Bronze Age Europe. Antiquity 62, 1988, 435–451. Henderson 1989 J. Henderson, The Scientific Analysis of Ancient Glass and its Archaeological Interpretation. In: J. Henderson (Hrsg.), Scientific Analysis in Archaeology and its Interpretation (Oxford 1989) 30–62. Henderson 1993 J. Henderson, Chemical Analysis of the Glass and Faience from Hauterive-Champréveyres, Switzerland. In: A.-M. Rychner-Faraggi, Hauterive-Champréveyres 9. Métal et parure au Bronze final. Arch. Neuchâteloise 17 (Neuchâtel 1993) 111–117. Jantzen/Schmidt 1999 D. J. Jantzen/J.-P. Schmidt, Ein Hortfund der Periode III aus Neustrelitz, Lkr. Mecklenburg-Strelitz. Jahrb. Bodendenkmalpfl. Mecklenburg-Vorpommern 47, 1999, 7–127. Lorenz 2006 A. Lorenz, Der spätbronzezeitliche Hortfund von Stadtallendorf unter besonderer Berücksichtigung seiner Gläser. Arch. Ber. 20 (Bonn 2006). Mestorf 1900 J. Mestorf, Glasperlen aus Frauengräbern der Bronzezeit. Mitt. Anthr. Ver. Schleswig-Holstein 13, 1900, 3–14. Mildner u. a. 2010 S. Mildner/F. Falkenstein/J.-P. Schmidt/U. Schüssler, Materialanalytische Untersuchungen an ausgewählten Glasperlen des bronzezeitlichen Hortfundes von Neustrelitz, Lkr. Mecklenburg-Strelitz. Jahrb. Bodendenkmalpfl. Mecklenburg-Vorpommern 57, 2010, 43–63.
107 Mildner u. a. 2012 S. Mildner/U. Schüssler/F. Falkenstein, Bronzezeitliches Glas zwischen Alpenkamm und Ostsee. Untersuchungen zur Herstellung und Distribution des ältesten Glases in Mitteleuropa. In: F. Schlütter/ S. Greiff/M. Prange (Hrsg.), Archäometrie und Denkmalpflege 2012. Jahrestagung an der Eberhard Karls Universität Tübingen, 28.–31. März 2012. Metalla Sonderheft 5 (Bochum 2012) 197–199. Neuninger/Pittioni 1957 H. Neuninger/R. Pittioni, Woher stammen die blauen Glasperlen der Urnenfelderkultur? Arch. Austriaca 26, 1959, 52–66. Polikreti u. a 2001 K. Polikreti/J. M. A. Murphy/V. Kantarelou/A. G. Karydas, XRF Analysis of Glass Beads from the Mycenaean Palace of Nestor at Pylos, Peloponnesus, Greece. New Insight into the LBA Glass Trade. Journal Arch. Scien. 38, 2011, 2889–2896. Reinecke 1911 P. Reinecke, Glasperlen vorrömischer Zeiten aus Funden nördlich der Alpen. AuhV 5, 1911, 60–72. Reinecke 1957 P. Reinecke, Zu den Glasperlen des Schatzfundes von Allendorf. Germania 35, 1957, 18–22. Schöbel 1996 G. Schöbel, Siedlungsarchäologie im Alpenvorland IV. Die Spätbronzezeit am nordwestlichen Bodensee: Taucharchäologische Untersuchungen in Hagnau und Unteruhldingen 1982–1989 (Stuttgart 1996). Shortland 2002 A. Shortland, The Use and Origin of Antimonate Colorants in Early Egyptian Glass. Archaeometry 44, 4, 2002, 517–530. Shortland u. a. 2007 A. Shortland/N. Rogers/K. Eremin, Trace Element Discriminants Between Egyptian and Mesopotamian Late Bronze Age Glasses. Journal Arch. Scien. 34, 2007, 781–789. Towle u. a. 2001 A. Towle/J. Henderson/P. Bellintani/G. Gambacurta, Frattesina and Adria. Report of Scientific Analysis of Early Glass from the Veneto. Padusa N. S. 37, 2001, 7–68. Walton u. a. 2009 M. S. Walton/A. Shortland/S. Kirk/P. Degryse, Evidence for Trade of Mesopotamian and Egyptian Glass to Mycenaean Greece. Journal Arch. Scien. 36, 2009, 1496–1503. Walton u. a. 2012 M. S. Walton/K. Eremin/A. Shortland/P. Degryse/S. Kirk, Analysis of Late Bronze Age Glass Axes from Nippur. A New Cobalt Colourant Archaeometry 54, 2012, 835–852.
108
Mildner u. a., Bronzezeitliches Glas
Abbildungsnachweis
Anschriften
1: S. Mildner. Fundstücke freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Archäologische Staatssammlung München (1; 3); Museum Schloss Holdenstedt Uelzen (2); Römisches Museum Augsburg (4; 5); Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg (6); Museum für das Fürstentum Lüneburg (7; 14); Heimatmuseum Reutlingen (8); Museumslandschaft Hessen Kassel (9); Pfahlbaumuseum Unteruhldingen (10; 16); Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum (11–13); Museum Wattens, Tirol (15); Steinsburgmuseum Röhmhild (17). – 2; 3: S. Mildner mit Daten aus dem laufenden Projekt sowie von Towle u. a. 2001 und Angelini u. a. 2004 (Vergleichsanalysen Frattesina). – 4: S. Mildner mit Daten aus dem laufenden Projekt. – 5: S. Mildner mit Daten von Wedepohl 2003 und Lorenz 2006. – 6; 7: S. Mildner mit Daten aus dem laufenden Projekt sowie von Shortland u. a. 2007 (ägyptische und nordmesopotamische Funde), Walton u. a. 2009, Polikreti u. a. 2011 (mykenische Funde), Walton u. a. 2012 (südmesopotamische Funde)
Stephanie Mildner M. A., Julius-Maximilians-Universität, Institut für Altertumswissenschaften, Lehrstuhl für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie, Residenzplatz 2, Tor A, 97070 Würzburg
[email protected] Prof. Dr. Ulrich Schüssler, Julius-Maximilians-Universität, Institut für Geographie und Geologie, Lehrstuhl für Geodynamik und Geomaterialforschung, Am Hubland, 97074 Würzburg
[email protected] Prof. Dr. Frank Falkenstein, Julius-Maximilians-Universität, Institut für Altertumswissenschaften, Lehrstuhl für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie, Residenzplatz 2, Tor A, 97070 Würzburg
[email protected] Dr. rer. nat. Helene Brätz, Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg, GeoZentrum Nordbayern, Schloßgarten 5, 91054 Erlangen
[email protected]
109
Lorenz Rahmstorf
„Pebble weights“ aus Mitteleuropa und Waagebalken aus der jüngeren Bronzezeit (ca. 14.–12. Jh. v. Chr.) Zusammenfassung Ähnlich wie bei den Kieselsteingewichten („pebble weights“) aus einer Siedlungsgrube in Bordjoš in Serbien kann nun auch für sechs „Glättsteine“ aus Grab 298 aus Migennes in Ostfrankreich eine metrologische Gewichtsfunktion wahrscheinlich gemacht werden. Neben der logischen Sequenz der Gewichtswerte legt dies in beiden Fällen der Fundzusammenhang mit einem Waagebalken nahe. Bislang sind nur in einer ungleichmäßigen Verteilung über Europa relativ wenige definitive Metallgewichte aus der jüngeren Bronzezeit in Mitteleuropa und Portugal sowie durchbohrte Steingewichte aus Italien durch die Forschungen einzelner Autoren identifiziert worden. Die Verbreitung der bislang bekannten Waagebalken deckt sich zudem nicht mit jener der Gewichte. Möglicherweise könnten sich unter Befunden von gehäuften Kieselsteinen in Siedlungen und Gräbern weitere metrologische Gewichte verbergen. Einstweilen verhindert jedoch der Publikationsstand eine Beurteilung, ob das Phänomen der „peeble weights“ als eine weit verbreitete Erscheinung in der jüngeren Bronzezeit Europas angenommen werden darf.
Einleitung Eine Beurteilung der bronzezeitlichen Gewichtsmetrologie in Europa außerhalb des ägäischen Raumes bleibt bis heute schwierig. Die Gründe liegen hierfür in der Identifikation möglicher Waaggewichte und im mitunter ungenügenden Publikationsstand der Befundensembles.70 Doch ist nicht nur die Tatsache problematisch, dass bislang relative wenige zweifelsfreie Gewichte bekannt sind (vgl. Pare 1999; Pare 2013), sondern vielmehr der Umstand, dass potenzielle Gewichte bis heute nicht oder nicht angemessen publiziert werden. Dies gilt insbesondere für so genannte Kieselsteingewichte – „pebble weights“. In den letzten Jahren sind vereinzelt Beispiele publiziert worden, die deutlich machen, dass solche Objekte eine weitaus größere Aufmerksamkeit verdienen, um Wirtschaftsweisen und Handelssysteme der Bronzezeit in Mitteleuropa zu verstehen. Während Gewichtssysteme für das bronzezeitliche Europa außerhalb der Ägäis bislang schwierig zu rekonstruieren sind, da die Anzahl der bekannten Gewichte so gering ist, ist im ägäischen Raum das minoische Gewichtsystem mit einer rekonstruierten Grundeinheit von ca. 60–65 g zwischen ca. 1700–1400/1200 v. Chr. gut bekannt (Petruso 1992). Dane70 Mein herzlicher Dank gilt Malfalda Roscio für ihre Auskünfte zu dem Grab 298 von Migennes und ihre Erlaubnis, die Gewichte der Steinobjekte hier nennen und auswerten zu dürfen. Nadine Zimmer (2012) danke ich für die Zusendung ihrer publizierten Magisterarbeit sowie Immo Heske für die sorgfältige Redaktion.
ben lassen sich aber bereits im 3. Jt. v. Chr. und während der mykenischen Palastzeit (ca. 1450/1400–1200 v. Chr.) weitere Gewichtssysteme feststellen (Rahmstorf 2010).
„Pebble weights“ In mehreren Studien wurde darauf hingewiesen, dass die Kieselsteine in manchen Fällen metrologische Gewichte gewesen sein könnten. In der Archäologie des Vorderen Orients ist diese Problematik grundsätzlich seit längerer Zeit bekannt, auch wenn bislang dazu kaum Studien vorliegen. Wenige Beispiele seien genannt. C. Meyer (1981, 300 f.) beschrieb „pebble weights“ in ihrer unpublizierten Dissertation zu Steinartefakten aus den amerikanischen Grabungen im Diyala-Gebiet im östlichen Mesopotamien. Sie definierte diese als Objekte, die überwiegend keine besondere Bearbeitung erkennen lassen bzw. einfache Kieselsteine darstellen, aber in Einzelfällen Markierungen tragen könnten oder an einer Seite abgearbeitet wurden, um ein bestimmtes Gewicht zu erreichen. Im Gegensatz dazu haben so genannte „precision weights“ eine standardisierte, meist leicht zu erkennende Form, z. B. sind sie schleuderstein- oder entenförmig. Weiterhin bestehen diese in den meisten Fällen aus Eisenoxidgestein (Hämatit, Goethit, etc.), wie es kürzlich definiert wurde (De Vries-Melein u. a. 2010). Es ist sehr bedauerlich, dass die Gewichte aus den Grabungen im Diyala-Gebiet (Khafajah, Tell Asmar, Tell Agreb), ob „pebble weight“ oder „precision weight“, auch über 80 Jahre nach den Ausgrabungen immer noch nicht mit Abbildungen publiziert worden sind. Auch im Fall der Indus-Kultur sind „pebble weights“ aus Mohenjo-daro und Chanhu-daro in Pakistan neben den typischen kubischen sowie anderen Gewichten als metrologische Gewichte vorgeschlagen worden (Mackay 1938, 404; Hall 1943). Es fehlt allerdings bislang eine tiefgreifende und überzeugende Bearbeitung solcher Objekte aus dieser Region. Neuerdings lässt sich aber ein Interesse an solchen Objekten in der vorderasiatischen Archäologie feststellen. Kürzlich hat C. Fink (2012) mögliche „pebble weights“ aus spätbronzezeitlichen Siedlungsschichten von Tell Bazi in Syrien vorsichtig abwägend diskutiert, wobei eine detaillierte Vorlage der Objekte noch aussteht. Im Fall des prähistorischen Europas drängte sich erstmals Mitte der 1990er-Jahre die Frage auf, ob einfache Kieselsteine metrologische Gewichte sein könnten. Dies ergab sich aus der spätbronzezeitlichen Siedlung von Bordjoš in Serbien, wo allem Anschein nach acht Kieselsteine neben weiteren Artefakten zusammen mit einem eindeutigen Waagebalken in einer Siedlungsgrube gefunden wurden (Medović 1995). Vorerst führte die Publikation jedoch nicht zu einer größeren Beachtung solcher Objekte. Eine Ausnahme bildet die kürzlich publizierte Magisterarbeit von
110
Rahmstorf, „Pebble weights“
Abb. 1: Potenzielle Waagenbalken des späteren 2. Jt. v. Chr. aus Knochen (1–7; 9–14) und Bronze (8) aus West-, Mittel- und Südeuropa (1–7 Frankreich; 8 Schweiz; 9–13 Italien; 14 Serbien). 1; 2 Marolles-sur-Seine; 3 Monéteau; 4 Vilhonneur, Grotte de la Cave Chaude; 5 Chazelles, Grotte du Quéroy; 6 Agris, Grotte de Perrats; 7 Migennes; 8 Grandson-Corcelettes; 9 Castellucio; 10 San Giuliano di Toscanella; 11 Castellaro del Vho; 12 Peschiera; 13 Castione dei Marchesi; 14 Bordjoš. 1–6; 8–14 M. 1:2; 7 o. M.
Rahmstorf, „Pebble weights“
111
Abb. 2: Migennes „le Petit Moulin“, Frankreich. 1 Plan von Grab 298 mit Angabe der Fundkonzentrationen 1 und 2. 2–49 Funde aus der Fundkonzentration. 2–49 M. 1:2
112 N. Zimmer (2012), die Steinobjekte aus frühurnenfelderzeitlichen Gräbern in Südhessen auch einer metrologischen Analyse unterzog. Weiterhin können hier Steinobjekte aus einem kürzlich publizierten, reich ausgestatteten Grab ungefähr gleicher Zeitstellung aus Migennes in Burgund in Ostfrankreich angeführt werden. In den Publikationen des Grabes (Delor u. a. 2009; Roscio u. a. 2011) waren diese Objekte noch nicht als mögliche Gewichte angesprochen worden. Diese drei Beispiele aus dem erweiterten Mitteleuropa (Banat, Burgund, Hessen) aus dem 13. und 12. Jh. v. Chr., sollen im Folgenden näher diskutiert und dabei auf die Problematik unscheinbarer metrologischer Gewichte aufmerksam gemacht werden. Zu diskutieren bleibt, wie plausibel solche Deutungen und Rekonstruktionen von Gewichtseinheiten im Einzelnen sind. Die oben angeführte Definition der „pebble weights“ nach Meyer (1981, 300 f.) wird hierbei verwendet. Somit werden darunter nicht nur reine Flusskiesel, sondern auch geringfügig abgearbeitete Steinobjekte verstanden.
Bordjoš In Bordjoš bei Novi Bečej (Distrikt Vojvodina) am Ufer der Theis im serbischen Zentralbanat wurde 1986 durch einen Privatsammler eine gestörte Grube innerhalb einer jungbronzezeitlichen Siedlung ausgegraben. Die Funde daraus wurden einige Jahre später durch P. Medović (1995) publiziert und daraufhin bereits mehrfach diskutiert (u. a. Peroni 1998; Hoßfeld 2006). Medović betonte, dass es sich bei der Grube um einen geschlossenen Fundverband handelt, der durch vergesellschaftete Keramikfunde der Gáva-Belegiš II-Gruppe zugeordnet werden kann. Diese Kulturgruppe kann ungefähr mit dem mitteleuropäischen Hallstatt A1 parallelisiert werden. Durch die nicht-professionelle Ausgrabung und fehlende Dokumentation müssen aber Zweifel bleiben, wie der Befund bewertet werden soll. Aus der Grube stammen ein Waagebalken aus Knochen (Abb. 1,14), Keramikfragmente der Gáva-Belegiš II-Gruppe, ein Steinobjekt, welches als Schleifstein angesprochen wird, eine Hirschgeweihsprosse sowie acht Kieselsteine (Medović 1995, 209–212 Abb. 2–7). Die acht anscheinend unbearbeiteten Flusskiesel bestehen aus Quarz sowie in einem Fall aus unbestimmtem Steinmaterial. Niemand hätte an die Möglichkeit gedacht, dass es sich bei diesen Objekten um metrologische Gewichte handeln könnte, wären sie nicht zusammen mit dem Waagebalken gefunden worden. Bei den meist kugelförmig gerundeten, aber unregelmäßigen Objekten könnte es sich somit um ein Set von Gewichten handeln. In den Gewichtswerten der Kieselsteine (16,95 g, 51,18 g, 54,37 g, 55,7 g, 62,72 g, 86,72 g, 122,17 g, 183,7 g) lässt sich aber nur mit Schwierigkeiten eine mögliche Sequenz von Gewichten erkennen. Immerhin fällt auf, dass drei der vier schwersten Objekte in einem ungefähren Verhältnis von 1:2:3 stehen und das leichteste vielleicht ein Viertel dieser potenziellen Grundeinheit darstellen könnte, die bei dieser Interpretation bei ca. 61–62 g läge. Dieser Gewichtswert ist aus der ausgehenden Mittelbronzezeit und der Spätbronzezeit der Ägäis
Rahmstorf, „Pebble weights“ für den Zeitraum von ca. 1800/1700 bis 1200 v. Chr. sehr gut bekannt und gilt als Grundeinheit des minoischen Gewichtssystems (Petruso 1992). Auch deshalb ist es nicht vollkommen unwahrscheinlich, in den Objekten Gewichte zu erkennen, die Brüche und Vielfache der minoischen Grundeinheit repräsentieren (¼, ¾, ¾?, ¾?, 1, 3/2, 2, 3), wenn diese bei ca. 61 g angesetzt wird. Allerdings wären die Abweichungen dabei teilweise sehr groß und besonders die beiden potenziellen Gewichte um 55 g passen nicht wirklich in dieses Schema. Peroni (1998, 219) möchte dagegen in einzelnen Gewichten Vertreter einer Einheit von ca. 27 g erkennen, in anderen die Einheit von ca. 61–62 g, ähnlich wie Hoßfeld (2006, 196, Tab. 8.). Bei einer wohl direkt zusammengehörigen Gruppe von potenziellen Gewichten mag es methodisch fragwürdig erscheinen, sich die jeweils passenden Werte herauszusuchen und diese unterschiedlichen Gewichtseinheiten zuzuweisen. Allerdings sind unterschiedliche Einheiten in Sets von zusammengefundenen Gewichten auch aus anderen Beispielen bekannt, z. B. möglicherweise in einem unzweifelhaften Gewichtsset aus dem frühbronzezeitlichen Tarsus in Südanatolien (Goldman 1956, 266 f. Abb. 420; 118–128) oder bei einem Set von eindeutigen Gewichten und „pebble weights“ aus dem oben erwähnten Tell Bazi (Fink 2012, 150 f. Tab. 1: Haus 26). So ergeben sich aus dem Befund von Bordjoš zwei Möglichkeiten der Deutung: entweder man verwirft eine Gewichtsfunktion dieser Objekte, wie dies Pare (1999, 493) in einem Kommentar zu den Kieselsteinen aus Bordjoš andeutet oder man akzeptiert die Kieselsteine als Gewichte mit einer oder sogar zwei Grundeinheiten. Die zweite Deutung hätte grundsätzlich weitreichende Konsequenzen: viele Ansammlungen gewöhnlicher Kieselsteine oder kaum bearbeiteter Steinobjekte aus Kontexten (Siedlungsgruben, Gräbern und evtl. auch Depots) der jüngeren Bronzezeit könnten eine Funktion als Waaggewichte innegehabt haben. Tatsächlich gibt es nun einen weiteren Beleg aus einem Grab in Ostfrankreich.
Migennes Ein hochinteressantes Fundensemble stammt aus dem Grab 298 von Migennes „Le Petit Moulin“ im Department Yonne in der Region Burgund, das im Jahre 2004 ausgegraben und kürzlich von M. Roscio, J.-P. Delor und F. Muller publiziert wurde. Das Gräberfeld von Migennes ist eines der zahlreichen Gräberfelder der jüngeren Bronzezeit entlang der Yonne (Muller, Roscio 2012). Grabungen erbrachten bislang in zwei Gruppen separiert 31 Brand- und 26 Körpergräber sowie eine birituelle Bestattung, die allesamt in Bronzezeit D datiert werden können. Migennes ist damit eines der größten bekannten Gräberfelder dieses Zeitabschnittes aus Ostfrankreich (Roscio u. a. 2011, 173). Bis auf eine kleine populäre Publikation (Muller 2007), in der u. a. ein Rixheim-Schwert und ein Peschiera-Dolch abgebildet sind (Muller 2007, Abb. 6; 1), und einem sehr knappen Vorbericht (Roscio 2009) ist das Gräberfeld bislang unpubliziert. Die Körperbestattung 298 ist dagegen vollständig vorgelegt worden (Delor u. a. 2009; Roscio
Rahmstorf, „Pebble weights“ u. a. 2011). Sie enthielt außergewöhnlich zahlreiche Beigaben, die für die Identifikation und Interpretation von steinernen Waaggewichten grundsätzlich neue Einblicke gewähren. Zwei Fundkonzentrationen wurden neben dem seitlich liegenden Skelett festgestellt (Abb. 2,1). Fundkonzentration 1 am Rücken umfasste neben Waffen (Abb. 2,2–4.16), Schmuck (Abb. 2,6.7) und Werkzeugen bzw. Toilettegerät (Abb. 2,5.20) auch einen Waagebalken mit trompetenförmigen Enden, der dem Typ „Migennes“ zugeordnet werden kann und weiter unten besprochen werden soll (Abb. 2,49). Weiterhin umfasste die Fundkonzentration 1 Goldblechfragmente (Abb. 2,15.19), Bernsteinperlen (Abb. 2,43.44.47.48) und zahlreiche kleine Gegenstände, von denen 20 Objekte (Abb. 2,21–40) nach Ansicht der Autoren Gewichte darstellen. Drei bestehen aus Blei (Abb. 2,36.39.40), die weiteren 17 Objekte aus Bronze. Manche der Objekte sind tatsächlich kleine rektanguläre Bronzequader mit Gewichten von 0,39 g, 1,06 g, 1,63 g, 3,16 g und 4,32 g (Abb. 2,21–25). Entsprechende Objekte, jedoch meist größer, stammen aus verschiedenen mitteleuropäischen Fundkontexten, wobei es sich fast ausschließlich ebenfalls um Gräber handelt (Pare 1999). Weiterhin ist auch ein Nadelkopf mit einem Gewicht von 2,12 g vorhanden (Abb. 2,28). Aber nur diese sechs Objekte berücksichtigt Delor für metrologische Kalkulationen. Zunächst nimmt Delor an, dass das leichteste Objekt zu 0,39 g die Grundeinheit darstellt (Abb. 2,21), reduziert sie dann zu 0,36 g, da er so eine Sequenz von 1:3:4:5:6:9 und 12 erhält (Roscio u. a. 2011, 182 Tab. 1; 2). Dabei gibt er die Schwankungsbereiche nicht näher an. Eine Durchsicht zeigt hierbei mitunter relativ große Abweichungen. Grundsätzlich erscheint mir eine Grundeinheit, die so klein und auch so präzise ist (auf ein Hunderstel Gramm genau) wenig wahrscheinlich. Mein Vorschlag ist daher, von dem schwersten Objekt zu 4,32 g auszugehen und mögliche Brüche dazu in den sonstigen Gewichten zu suchen. So erhält man 1/10 (0,39 g); ¼ (1,06 g); ⅓ (1,63 g); ½ (2,11 g); ⅔ (3,16 g) und eben 1 (4,32 g). Der angestrebte Zielwert der Grundeinheit läge damit bei 4,4–4,5 g. Eine solche Grundeinheit, möglicherweise ein paar Zehntel Gramm schwerer, lässt sich möglicherweise auch in den acht Bronzegewichten aus Steinfurth in Hessen erkennen (Pare 1999, 438 f. Abb. 14). An anderer Stelle wurde bereits, allerdings ohne die vier Nadelköpfe aus Steinheim zu berücksichtigen, argumentiert, dass die zwei fast gleichschweren Gewichte zu 4,84 g und 4,86 g aus diesem Set die Grundeinheit benennen könnten. Ein Test mit der Kendall-Formel,71 durch die algorithmisch gestaffelte Zahlenreihen nachgewiesen können, ergibt den höchsten Wert bei 4,6, auch wenn dieser nur bei 1,5 im positiven Bereich liegt (Rahmstorf 2010, 99, Abb. 8, 7).72 Auf die Problematik der metrologischen Analyse dieser Objekte soll hier aber nicht weiter eingegangen werden. Neben diesen bronzenen Waaggewichten liegen mögliche „pebble weights“ aus Fundkonzentration 2 vor. An den Füßen 71 Für eine kurze Beschreibung der Methode siehe Jahn 2013, 149 f.. 72 Dabei wurde aber zu Recht darauf hingewiesen, dass die Probenanzahl (n = 8) sehr klein ist (Jahn 2013, 150).
113 des Bestatteten (Abb. 2,1) befand sich ein größeres Gefäß, eine Ulna eines Schweines, ein „Fossil“ und ein Reibstein (Abb. 3,1– 3). Am Rückgrat lag ein nicht mehr vollständig erhaltenes Rasiermesser aus Bronze (Abb. 3,4). Etwas weiter nordwestlich konzentrierte sich das Fundensemble 2 (Abb. 2,1). Dazu gehört der zweite plattenförmige und massive Waagebalken aus Knochen (Abb. 3,5) sowie ein nur grob verarbeiteter Guss eines Bronzedolches (Abb. 3,9), ein Tüllenhammer aus Bronze (Abb. 2,10) und sechs Steinobjekte unterschiedlicher Form (Abb. 2,6–8.11–13). Das gesamte Fundensemble soll nach den Autoren einen klaren Bezug zur Metallverarbeitung aufweisen, was insbesondere durch den Tüllenhammer nahe gelegt wird. Die sechs Steinobjekte wurden in diesem Sinne unter Einschränkungen als Schleifsteine „affûtoir?“ bzw. „grinding stone?“ angesprochen (Delor u. a. 2009, 11; Roscio u. a. 2011). Besonders auffällig ist ein Objekt aus sehr dichtem Kalkstein (Abb. 3,13), das in seiner Form an die typischen sphendonoiden (schleudersteinförmigen) Gewichte aus Eisenoxidgestein aus dem Ostmittelmeerraum und dem Vorderen Orient erinnert. Das Gewicht des sphendonoiden Objektes liegt bei 270 g.73 Die Massewerte lassen sich sehr gut als Vielfache der zwei gleich schweren Steine zu 30 g interpretieren (Tab. 1). Die Präzision ist dabei hoch, einzig das lang gestreckte Steinobjekt mit abgerundeten Enden (Abb. 2,12) weicht davon etwas ab. Allerdings scheint dieses Objekt an den Schmalseiten Bruch-
Abbildung
Form
Gewicht
Ratio
Einheit
2,8
quaderförmig
30
1
30
2,7
dreiecksförmig
30
1
30
2,12
lang gestreckt, abgerundet
56
2
28
2,11
dreiecksförmig
151
5
30,2
2,6
lang gestreckt, abgerundet
211
7
30,14
„sphendonoid“
270
9
30
2,13
Tab. 1: Migennes. Steinobjekte aus Fundensemble 2 in Grab 298
kanten aufzuweisen, die vielleicht zu einer geringfügigen Gewichtsreduktion geführt haben könnten.74 Nicht nur die Form des „sphendonoiden“ Steinobjektes, sondern auch die Masse aller anderen Steinobjekte aus Konzentration 2 sprechen da-
73 Ich danke Malfalda Roscio für die Übermittlung der Gewichtswerte dieses Steines und der weiteren steinernen Objekte. Die Massewerte wurden auf einer Waage mit einer Genauigkeit von ca. 1 g. ermittelt. Ebenso stellte sie mir zu diesem Fundensemble weitere Informationen zur Verfügung. Freundliche Mitt. vom 12.8.2011. 74 Für das längliche Objekt lassen unpublizierte Fotografien des Objektes auf einen gewissen Materialverlust schließen. Ich danke M. Roscio für die Bereitstellung der Fotografien.
114 für, dass es sich um metrologische Waaggewichte handeln muss. Die Gewichtsverteilung entspricht einer logischen Sequenz (1–1–2–5–7–9), wobei auszuschließen ist, dass diese auf Zufall beruht (Tab. 1). Weiterhin spricht für eine Gewichtsfunktion der bis zu 270 g schweren Kieselsteine der zu diesem Fundensemble gehörende stabile Waagebalken. Schließlich ist die rekonstruierte Grundeinheit von ca. 30 g fast genau die Hälfte der potenziellen Grundeinheit der Kieselsteingewichte aus Bordjoš bzw. der minoischen Grundeinheit.
Steinheim-Mühlheim In der kürzlich erschienen Monografie zu den späthügelgräber- bis frühurnenfelderzeitlichen Gräbern aus SteinheimMühlheim bei Hanau in Hessen hat N. Zimmer (2012, 41) auch „unterschiedlich geformte, nicht oder kaum bearbeitete kleine Steine unterschiedlicher Gesteinsarten“ näher begutachtet, die sich in einzelnen Gräbern konzentriert fanden. Auch in anderen Publikationen urnenfelderzeitlicher Gräberfelder werden manchmal besondere Steine als Beigabe in Gräbern erwähnt, teils sogar abgebildet, aber bislang nicht mit Gewichtsangaben publiziert. J. Bergmann (1982, 33–36) bezeichnet entsprechende Funde aus dem Gräberfeld von Vollmarshausen als „Brauneisensteingeoden“, „Naturspiele“ und „natürliche, z. T. etwas beschlagene Steine verschiedener Gesteinsarten“. Auch in Steinheim-Mühlheim weisen in manchen Fällen einige Steine eine auffällige Form auf. Hier ist besonders Grab 37 zu nennen, welches etwa hakenförmige oder halbkugelige Exemplare enthielt (Zimmer 2012, Taf. 16,17.18; Taf. 16,19.20). Durch eine Untersuchung dieser Objekte mittels der Kendall-Formel durch die Autorin wurden mögliche Grundeinheiten berechnet. Dabei liegen für Grab 4 und Grab 37 unterschiedliche Werte vor (ca. 5,7 g und 8,75 g). Zudem müssen dabei unwahrscheinliche Vielfache (z. B. 1 ⅔; 3 ½) der potenziellen Grundheiten für zahlreiche Steinobjekte angenommen werden (Zimmer 2012, 83 f. Tab. 1; 2). Somit scheint mir einstweilen wenig wahrscheinlich, in den Steinobjekten aus Grab 4 und 37 metrologische Gewichte erkennen zu wollen. Trotz dieses meines Erachtens negativen Ergebnisses hinsichtlich einer potenziellen Gewichtsfunktion der ungewöhnlichen Steinobjekte aus den Gräbern von Steinheim-Mühlheim ist es vorbildlich, dass Zimmer diese Objekte erstmals so untersucht hat. Denn nur durch entsprechende Publikationen werden wir in die Lage gesetzt, diese Problematik überhaupt zu diskutieren. Das letzte Beispiel verdeutlicht, dass keineswegs alle Konzentrationen von ungewöhnlichen Kieselsteinen oder Steinobjekten aus jungbronzezeitlichen Fundzusammenhängen als Gewichte zu interpretieren sind. Für eine wirkliche Bewertung des Phänomens wäre es aber unbedingt nötig, nicht nur Grab-, sondern auch Siedlungsbefunde zu überprüfen, zumindest jene „Glätt- und Schleifsteine“, die in einem geschlossenen Fundverband in größerer Anzahl zusammen gefunden wurden. Ein Beispiel wäre hierfür etwa die Deponierung von elf z. T. ortsfremden Steinen zusammen mit zwei Spinnwirteln unter einer
Rahmstorf, „Pebble weights“ Schüssel in der urnenfelderzeitlichen Siedlung Lauda-Königshofen „Wöllerspfad“; Kr. Main-Tauber-Kreis (Oeftiger 2000, 55 Abb. 37). In den meisten Befunden wird es sich sicherlich tatsächlich um Glätt- und Schleifsteine oder Ähnliches handeln. Dennoch erscheint es mir durch die Evidenz aus Bordjoš und Migennes geboten, das Fundmaterial auf großer empirischer Datenbasis zu überprüfen. Das Fehlen entsprechender Daten zeigt meines Erachtens wie sehr wir noch am Anfang der Erforschung der bronzezeitlichen Gewichtsmetrologie in Europa stehen. Die Identifizierung von bestimmten regelhaft geformten Metallgewichten durch Pare (1999) für Mitteleuropa, durch Vilaça (2003; 2011) für Portugal sowie von Steingewichten durch Cardarelli, Pacciarelli und Pallante (1997; 2001) für Italien sind Meilensteine in der Erforschung der bronzezeitlichen Gewichtsmetrologie gewesen. Die absolute Anzahl dieser Gewichte ist bislang allerdings gering und regional begrenzt, was beides dafür sprechen könnte, dass weitere Gewichtsformen, wie etwa Kieselsteingewichte, verwendet worden sein könnten. Unseren ungenügenden Kenntnisstand der bronzezeitlichen Gewichtsmetrologie in Europa offenbart auch die Verbreitung von Waagebestandteilen, was im folgenden Abschnitt behandelt werden soll.
Jüngerbronzezeitliche Waagebalken (14.–12. Jh. v. Chr.) aus Europa außerhalb der Ägäis Das hochinteressante Fundensemble aus Grab 298 von Migennes „Le Petit Moulin“ im Department Yonne in der Region Burgund lieferte neben den Waaggewichten aus Stein und Bronze noch weitere Belege für den Einsatz von Messutensilien (Delor u. a. 2009; Roscio u. a. 2011). Das Grab ist insbesondere außergewöhnlich durch den Fund von zwei sehr unterschiedlichen Waagebalken aus Knochen in einem Grab. Das eine Exemplar ist rundstabig mit horizontal durchbohrten trompetenförmigen Enden und einer senkrechten Durchbohrung in der Mitte des Stabes (Abb. 2,49), das zweite Objekt ist massiv rechteckig im Querschnitt und besitzt drei Schlaufen in der Mitte und jeweils an den Enden (Abb. 1,7; 3,5). In Mitteleuropa und vor allem aus Westeuropa, in erster Linie aus Frankreich, sind inzwischen eine Reihe von Fundorten mit Belegen von Waagebestandteilen bekannt gemacht worden. Dabei handelt es sich bislang ausschließlich um Waagebalken. Die jüngste Zusammenstellung der Funde aus Mitteleuropa verdanken wir M. Roscio, J.-P. Delor und F. Muller (Delor u. a. 2009, 13–15 Abb. 7; Roscio u. a. 2011, 178–181), ohne jedoch potenzielle Waagebalken aus der Schweiz und Italien mit abzuhandeln. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass deren funktionale Interpretation nicht immer als vollständig gesichert gelten kann. Reste von Waagschalen wurden bislang nicht gefunden oder als solche identifiziert. Steuer (2007, 548) vermutet, dass sie wohl aus organischem Material wie Horn oder Knochen bestanden. Da aber Waagebalken aus diesem Material durchaus erhalten geblieben sind, scheint es wahrscheinlicher zu
Rahmstorf, „Pebble weights“
115
Abb. 3: Migennes „ le Petit Moulin“, Frankreich. 1–4 Funde aus dem südlichen Bereich des Grabes 298; 5–13 Funde aus Fundkonzentration 2 in Grab 298. 1 M. 1:5; 2–13 M. 1:3
sein, dass die Waagschalen aus Bast, Leder oder Textil bestanden. Besonders häufen sich Waagebalkenfunde im Yonne-Tal bzw. an der Mündung der Yonne in die Seine. In dem Gräberfeld „La Croix de la Mission“ bei Marolles-surSeine wurde in dem Brandgrab 13 mit Kreisgraben, das nach der Keramik in Bz D datiert werden kann, ein beinerner Waagebalken (Abb. 1,2) mit trompetenförmigen Ende ausgegraben (Peake u. a. 1999 a, Abb. 10 a, 1; Pare 1999, 451 f. Abb. 22 a; Pare 2013, Abb. 29,6/4). Die dünnen, fast scheibenförmigen Endflächen sind durchbohrt. Hier könnten Ringe für die Aufhängungen der Waagschalen eingehängt gewesen sein (Peake 2004, 97 Abb. [links, ohne Nr.]).
Diese Form, die auch in dem Grab 298 von Migennes (Abb. 2,49) vorkommt, wird als Typ Marolles bezeichnet (Delor u. a. 2009, 13 f. Abb. 5; 6 a; Roscio u. a. 2011, 180 Abb. 6; 7 a). Weitere diesem Typ anschließbare Waagebalken sind aus der Grotte de la Cave Chaude au Bois du Roc bei Vilhonneur (Abb. 1,4) und der Grotte des Perrats bei Agris (Abb. 1,6) in Westfrankreich bekannt (Peake u. a. 1999 b Abb. 1,2.3). Aus Süddeutschland (Mannheim-Wallstadt) und dem Elsass (Hagenau, Department Bas-Rhin) konnten zwei weitere potenzielle Waagebalken identifiziert werden. Das halbe Waagebalkenfragment aus Mannheim, das ebenfalls dem Typ Marolles angeschlossen werden
116
Rahmstorf, „Pebble weights“
kann,75 war bei seiner Erstpublikation noch als Knochennadel angesprochen worden (Görner 2003, 135 Abb. 21 Taf. 71,3). Es fand sich in einer Siedlungsgrube, die aufgrund von Scherbenanpassungen aus unterschiedlichen Tiefen wohl in einem Zuge verfüllt wurde. Aus der durch Baggerarbeiten stark gestörten Grube sollen außer viel Keramik, Mahlsteinen, Tierknochen und Holzkohlepartikeln auch einige Steine stammen, die leider nicht abgebildet werden (Görner 2003, 151; 200). Die Siedlungsgrube weist Tassenformen auf, die mit ihrer S-förmigen Profi lierung ohne abgesetzten Rand eher bereits mit der Stufe Wölfersheim (Bz D) zu parallelisieren sind (Görner 2003, 141; 169 Abb. 30 Taf. 71,10). Die Pufferenden des Typ Marolles erinnern an spätbronzezeitliche Waagen (Peyronel 2011) im Ostmittelmeerraum und der Levanteküste, etwa an Exemplare in Ägypten (Michailidou 2000, Abb. 7; Steuer 2007, 548), in der südlichen Levante (Barkay 1996, Abb. 1,4) und der Ägäis (Michailidou 2008, Abb. III, 7.8b.9a.17.22.23.26). Die Pufferenden verweisen auf das ägyptische Palmettenmotiv. Die west- und mitteleuropäischen Waagebalken scheinen also in ihrer Form von den ägyptischen/ostmediterranen Waagen beeinflusst zu sein, wenn auch bislang entsprechende Exemplare aus Südosteuropa außerhalb Griechenlands fehlen. Für eine Beeinflussung spricht auch die charakteristische schräge Durchbohrung (Abb. 1,4.6). Eine weitere Form aus Frankreich wird als Typ Migennes bezeichnet. In dem Grab 298 von Migennes im Départment Yonne fand sich in Fundkonzentration 2 ein zweiter Waagebalken. Dieser besitzt eine ganz andere Form: er ist leistenförmig mit eingehängten Schlaufen (Abb. 1,7; 3,5) und ist bislang einzigartig in West- oder Mitteleuropa. Die langrechteckige Plattenform erinnert aber an den Waagebalken aus Tell Fadous-Kfarabida (Genz 2011), der aber frühbronzezeitlich und damit deutlich – über 1500 Jahre – älter ist. In diesem Fall ist wohl eine Konvergenzerscheinung in Betracht zu ziehen: das im Grunde simple Prinzip des Wiegens mit einer gleicharmigen Waage ermöglichte die Entstehung gleicher Konstruktionsprinzipien in unterschiedlichen Zeiten und Regionen. Die Übereinstimmung ist wahrscheinlich Zufall. Neben den beiden bereits erwähnten Waagebalken des Typs Marolles aus der Grotte de la Cave Chaude und der Grotte des Perrats wurde im Westen Frankreichs im Department Charente in der Grotte du Quéroy bei Chazelles ein weiteres Fragment (Abb. 1,5) gefunden (Gomez de Soto 2001, 119 Abb. 5; 7) Dieses weniger als zur Hälfte erhaltene Exemplar ist außergewöhnlich massiv im Durchmesser und beschreibt einen bislang nicht angetroffenen Typ. Das Ende des geschwungenen Waagebalkens wird allem Anschein durch die Epiphyse des Röhrenknochens gebildet, da Spongiosa hier sichtbar ist. Der Waagebalken könnte zur Abwiegung beson-
ders schwerer Materialien verwendet worden sein. Es ist sicherlich nur dem Forschungsstand geschuldet, dass in zwei Departments Frankreichs eine deutliche Häufung dieser Funde, die zudem überwiegend aus Höhlen stammen, festzustellen ist. In diesen Regionen sind Archäologen erstmals auf solche Objekte aufmerksam geworden und haben sie dann auch in anderen Fundmaterialien identifiziert. Somit ist anzunehmen, dass in Zukunft eine etwas ausgeglichenere Verbreitung dieser Objekte ermittelt werden kann, die bislang teilweise vielleicht als Nadelfragmente unerkannt geblieben sind. Auch der Umstand, dass besonders Knochen unterschiedlichen Erhaltungsbedingungen ausgesetzt sind, dürfte die unausgeglichene Verbreitung z. T. erklären. Weitere Waagen aus Westeuropa sind zu schlecht erhalten (Abb. 1,1.3), um sie in ihrer Form näher bestimmen zu können. Aus der Seeufersiedlung von Grandson-Corcelettes (Abb. 3,8) aus dem Voralpenraum wurde ein Bronzeobjekt vorgestellt, für das eine Verwendung als Waagebalken möglich erscheint (Primas 2004, 130 Abb. 10). Der vierkantige, leicht gebogene Bronzestab weist an den Enden Ösen auf, in die Ringe eingehängt sind. Primas nimmt an, dass daran die Aufhängungen für die Waagschalen befestigt worden sind. Problematisch ist vor allem aber die fehlende Aufhängevorichtung genau in der Mitte des Stabes. Meines Erachtens wäre das Objekt als Waagebalken kaum praktisch nutzbar. Vier Objekte von nord- und mittelitalischen Siedlungsplätzen der ausgehenden mittleren und der jüngeren Bronzezeit sind als Waagebalken gedeutet worden (Cardarelli u. a. 2001, 45–49 Abb. 18). Ein bronzener Rundstab aus San Giuliano di Toscanella (Abb. 1,10) des ausgehenden Bronzo Medio bis Bronzo Recente (ca. 13. Jh. v. Chr.) mit leicht nach oben gebogenem Ende ist an beiden Seiten fragmentiert. Der Rest einer Durchbohrung ist an dem erhaltenen Ende sichtbar.76 Für dieses Objekt muss eine Funktionszuweisung als Waagebalken unsicher bleiben, ebenso wie für einen aus Bronze bestehenden Hohlstab aus dem Castellaro del Vho (Abb. 1,11), dessen unregelmäßige „Öffnungen“ an einer Seite wenig praktisch als Vorrichtungen zum Aufhängen der Waagschalen gedient haben können. Allerdings könnte dies auf Korrosion zurückzuführen sein. Das Objekt aus Peschiera (Abb. 1,12) besteht aus Knochen und ist vollständig erhalten, weist aber zwei verschiedene Durchbohrungen an den beiden Enden auf. Eine funktionale Deutung wäre dann sinnvoll, wenn eine direkte Befestigung des Gewichts an einem Ende beabsichtigt gewesen ist (Cardarelli u. a. 2001, 45). In Hinblick auf die von ihnen als Hängegewichte gedeuteten Steinobjekte mit Durchbohrung am oberen Ende wäre dies eine plausible Interpretation. Doch für eine sichere Ansprache als Waagebalken ist die Existenz einer mittig liegenden Durchbohrung hilfreich. Diese fehlt jedoch. Eine solche Durchbohrung ist auch bei einem massiven
75 Wie viele Exemplare aus dem Yonne-Tal wirklich diesem Typus zuzurechnen sind, ist meines Erachtens nicht sicher zu beurteilen, da in mehreren Fällen die Endflächen fehlen (s. die Verbreitungskarte bei Roscio u. a. 2011, Abb. 7 a).
76 G. Morico summierte das Objekt („immanicatura a lingua da presa (?)“) noch unter die nicht-bestimmten Artefakte aus San Giuliano di Toscanella (zu dem Objekt und der Datierung: Morico 1996, 346; 350 Taf. 1,3501).
Rahmstorf, „Pebble weights“ 39,5 cm langen potenziellen Waagebalken aus Ulmenholz aus der Terramarensiedlung Castione die Marchesi (Abb. 1,13) nicht vorhanden, doch besitzt er zumindest gut ausgearbeitete Knopfenden, an denen die Aufhängungen der Waagschalen gut befestigt werden konnten.77 Aus Grab 22 der Kammergrabnekropole von Castelluccio, dem Fundort der namengebenden frühbronzezeitlichen Kultur auf Sizilien, stammt der Altfund eines potenziellen Waagebalkens (Abb. 1,9), der schon in die erste Hälfte des 2. Jts. v. Chr. datiert werden kann. Das Objekt aus Bronze ist anscheinend flach, brettartig mit leicht geschwungenen Armen, die an den Enden eine Durchbohrung besitzen. Die Durchbohrung in der Mitte des Objektes sitzt am oberen Ende und ist nicht geschlossen. Hier sind möglicherweise Beschädigungen vorhanden, die keine genauere Ansprache zulassen. Es bleibt unklar, ob dies nur dem Erhaltungszustand geschuldet ist. Das Objekt, das 1899 nur in einer Aufsichtszeichnung publiziert wurde, ist seitdem nicht mehr mit einer neuen Zeichnung oder einer Fotografie vorgelegt worden (Orsi 1899; Leighton 1999, Abb. 70, 4; Cardarelli u. a. 2001, Abb. 9, 7; La Rosa 2005, Taf. CXXXIII, e). Wenn es auffindbar ist, wäre eine entsprechende Vorlage dringend erforderlich, um besser beurteilen zu können, ob es sich tatsächlich um einen Waagebalken handeln könnte. Meines Erachtens spricht manches gegen eine Deutung des Objektes als Waagebalken. So sind bislang keinerlei als Gewichte verdächtigte Objekte aus der Castelluccio-Kultur (oder aus dem Grab 22) vorgelegt worden. Ein weiteres Objekt aus Fiumedinisi auf Sizilen, welches mit dem „Waagebalken“ aus Castelluccio verglichen wird, weist zudem gar kein Charakteristikum auf, was an einen Waagebalken denken ließe. Somit sollte sich einstweilen R. Leightons Urteil angeschlossen werden: „two fragments of so-called ,scale-balances‘ [aus Castelluccio und Fiumedinisi] could easily be local ornamental forms“ (Leighton 1999, 142, Abb. 70, 6). Schließlich wäre noch ein Waagebalken aus Potterne, Wiltshire, in Südengland anzuführen, der in das 12. Jh. v. Chr. datiert werden dürfte (Lawson 2000, Abb. 97–98; Roscio u. a. 2011, 180 f.). Es ist anzunehmen, dass in Zukunft eine etwas ausgeglichenere Verbreitung dieser Objekte ermittelt werden kann, je mehr die potenzielle Existenz von Waagebalken in der jüngeren Bronzezeit allgemein wahrgenommen wird. In manchen Fällen könnten entsprechende Objekte bislang als vermeintliche Nadelfragmente unerkannt geblieben seien. Aber auch der Umstand, dass Knochen häufig als Material verwendet wurde und sich dies nicht in saueren Böden erhält, dürfte die unausgeglichene Verbreitung z. T. erklären.
77 Von G. Säflund (1939, 104 Taf. 98,1) wurde das Objekt, wie bereits schon von P. Strobel im späten 19. Jh., in Anführungszeichen als „bastone di comando“ bezeichnet. (Vgl. weiterhin Rottoli 1988, 212 f. Abb. 131,1 [„bacchetta decorata“] und für den Vorschlag als Waagebalken (Cardarelli u. a. 2001, 47 f. Abb. 18,2).
117
Fazit Die ältesten Gewichte der Menschheit im Ostmittelmeerraum, West- und Mittelasien bestanden durchgängig aus Stein. Dabei könnten grundsätzlich vorgefundene Naturformen, die das richtige Gewicht besaßen, als Gewichte verwendet worden sein, obwohl dies archäologisch bislang kaum nachgewiesen ist. Kaum oder gar nicht bearbeiteten Kieselsteinen oder außergewöhnlichen geformten Objekte aus Felsgestein, die jeweils in einem archäologischen Befund gehäuft angetroffen werden, sollte in Zukunft besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Bislang ist es sehr schwierig, entsprechende Objekte in der Literatur zu identifizieren. Wenn solche Objekte überhaupt während der Ausgrabung geborgen, aufbewahrt und schließlich auch publiziert worden sind, dann meist nicht mit Zeichnung, Fotografie(n), Beschreibung und vor allem Gewichtsangabe.78 Am besten ist es, alle Kleinfunde entsprechend zu publizieren. Potenzielle „Kieselstein-Gewichte“ sind augenscheinlich problematisch, da sie heute als Gewichte angesehen werden könnten, obwohl eine solche Nutzung nie intendiert war. Deshalb sollten bei diesen Objekten besonders kritisch jene Indizien bewertet werden, die eine Gewichtsfunktion implizieren können. Dies können Markierungen, geschlossene Fundkomplexe mit mehreren dieser Objekte, die kontextuelle Verbindung mit Waagenbestandteilen und vor allem eindeutige metrologische Ergebnisse sein. In Kontexten des 3. und 2. Jts. in Westasien und des späteren 2. Jts. v. Chr. in Europa sind in einigen Fällen Kieselsteingewichte wahrnehmbar. Meine Erachtens sind in Mitteleuropa die Objekte aus Bordjoš in Nordostserbien und Migennes in Ostfrankreich dafür überzeugende Beispiele, insbesondere da sie in Fundkontexten zusammen mit Waagebalken gefunden wurden. Zudem sind die rekonstruierten Gewichtseinheiten (ca. 30 g, bzw. ca. 61 g) zueinander kompatibel. Ein weiterer Hinweis für die Richtigkeit der Interpretation ist die Tatsache, dass sie während des Zeithorizontes auftreten, in dem auch eindeutige Gewichte aus Metall aus Mitteleuropa bekannt sind (Pare 1999). Vorerst bleibt es aber problematisch, aufgrund von Bordjoš und Migennes eine weite Verbreitung und Nutzung solcher Objekte als Gewichte während des 13./ 12. Jhs. v. Chr. zumindest in Teilen von Europa zu postulieren. Ein Vergleich der Verbreitung der bislang vorgeschlagenen potenziellen Gewichte des 2. Jts. v. Chr. (Rahmstorf 2011, Abb. 9,3.; Pare 2013 Abb. 29,1) mit jener der potenziellen Waagen aus der gleichen Zeit zeigt den unausgeglichenen Forschungsstand in Europa zu dieser Thematik sehr eindrücklich. So sind bislang meines Wissens keine Gewichte aus Westfrankreich und Südengland publiziert worden, obwohl von dort die oben erwähnten Waagebalken bekannt sind. Dagegen gibt es aus Portugal spätbronzezeitliche, zweifelsfreie Metall78 Eine löbliche Ausnahme bietet etwa die Vorlage der Funde aus der spätbronzezeitlichen Seeufersiedlung von Zug-Sumpf (Ruckstuhl 2004; Bollinger Schreyer u. a. 2004, Taf. 223–225; 229 K41).
118 gewichte (Vilaça 2003; Vilaça 2011), aber bislang keine Bestandteile von Waagen. Es ist naheliegend zu vermuten, dass potenzielle Gewichte und Waagebalken in dem ausgegrabenen Fundmaterial in vielen Regionen Europas bislang übersehen und nicht identifiziert wurden. Somit ist das bislang bekannte Fundmaterial kaum als repräsentativ zu beschreiben.
Rahmstorf, „Pebble weights“ Einstweilen muss es Spekulation bleiben, ob die Erforschung bislang nicht beachteter potenzieller „pebble weights“ eine gleichmässigere Verbreitung der Gewichtsmetrologie in Europa ergäbe. Meines Erachtens ist dies aber im Moment nicht auszuschließen, sodass weitere Untersuchungen zwingend geboten sind.
Rahmstorf, „Pebble weights“
Literatur Barkay 1996 G. Barkay, A balance beam from Tel Lachish. Tel Aviv 23, 1996, 75–82. Bergmann 1982 J. Bergmann, Ein Gräberfeld der jüngeren Bronze- und älteren Eisenzeit bei Vollmarshausen, Kr. Kassel. Kasseler Beitr. zur Vor- u. Frühgesch. 5 (Kassel 1982). Bollinger Schreyer u. a. 2004 S. Bollinger Schreyer, C. Maise, A. Rast-Eicher, B. Ruckstuhl, J. Speck, Die spätbronzezeitliche Ufersiedlung von Zug-Sumpf 3/2. Die Funde der Grabungen 1923–37 (Zug 2004). Cardarelli u. a. 1997 A. Cardarelli/M. Pacciarelli/P. Pallante, Pesi e bilance dell’Età del Bronzo? In: M. Bernabò-Brea/A. Cardarelli/M. Cremaschi (Hrsg.), Le Terramare, la più antica civiltà padana. Ausstellungskat. Modena (Mailand 1997) 629–642. Cardarelli u. a. 2001 A. Cardarelli/M. Pacciarelli/P. Pallante, Pesi e bilance dell’età del bronzo italiana. In: C. Corti/N. Giordani (Hrsg.), Pondera: pesi e misure nell’antichità (Florenz 2001) 33–58. Delor u. a. 2009 J.-P. Delor/F. Muller/M. Roscio, L’exceptionnelle sépulture d’un orfèvre de l’Age du Bronze à Migennes. Écho du Joigny 69, 2009, 7–30. De Vries-Melein u. a. 2010 M. M. de Vries-Melein/D. Visser/J. J. Mulder/L. Megens/S. Imberti/ W. Kockelmann/H. Kars, Mesopotamian „haematite“ seals in a new light. In: P. Matthiae/F. Pinnock/L. Nigro/N. Marchetti (Hrsg.), Proceedings of the 6th International Congress of the Archaeology of the Ancient Near East. 5 May–10 May 2008, „Sapienza“, Università di Roma. Volume 1 (Wiesbaden 2010) 219–231. Fink 2012 Chr. Fink, Gewichte oder bloße Kiesel? Untersuchungen zu Eisenoxidgesteinen aus Tell Bazi, Syrien. In: H. Baker/K. Kaniuth/A. Otto (Hrsg.), Stories of long ago. Festschrift für Michael D. Roaf. Alter Orient und Altes Testament 397 (Münster 2012) 141–160. Genz 2011 H. Genz, Restoring the balance: an Early Bronze Age scale beam from Tell Fadous-Kfarabida, Lebanon. Antiquity 85, 2011, 839–850. Görner 2003 I. Görner, Die Mittel- und Spätbronzezeit zwischen Mannheim und Karlsruhe. Fundber. Baden-Württemberg 27, 2003, 79–279. Goldman 1956 H. Goldman, Excavations at Gözlü Kule, Tarsus. Volume II. From the Neolithic through the Bronze Age (Princeton 1956). Gomez de Soto 2001 J. Gomez de Soto, Un nouveau locus du Bronze final au Bois du Roc à Vilhonneur (Charente): le réseau de la Cave Chaude’. Bull. Soc. Préhist. Française 98, 2001, 115–122. Hall 1943 A. R. Hall, The cube weights in Boston. In: E. J. H. Mackay, Chanhudaro excavations 1935–36 (New Haven 1943), 239–247. Hoßfeld 2006 H. Hoßfeld, Prämonetäre Phänomene bei Ringhorten seit der mittleren Bronzezeit beidseits der Oder. Prähist. Zeitschr. 81, 2006, 175–199. Jahn 2013 Chr. Jahn, Symbolgut Sichel. Studien zur Funktion spätbronzezeitlicher Griffzungensicheln in Depotfunden. Univforsch. Prähist. Arch. 236 (Bonn 2013). La Rosa 2005 V. La Rosa, Pour une reflexion sur le problème de la première presence égéenne en Sicile. In: R. Laffineur/E. Greco (Hrsg.), Emporia. Aegeans in Central and Eastern Mediterranean. 10th International Aegean Conference, Athens, 14–18 April 2004. Aegaeum 25 (Liège 2005) 571–583. Lawson 2000 A. J. Lawson, Potterne 1982–1985. Animal husbandry in later prehistoric Wiltshire. Wessex Archeology Report 17 (Salisbury 2000).
119 Leighton 1999 R. Leighton, Sicily before history. An archaeological survey from the the Palaeolithic to the Iron Age (Ithaca, New York 1999). Mackay 1938 E. J. H. Mackay, Further excavations at Mohenjodaro: Being an official account of the archaeological excavations at Mohenjo-daro carried out by the government of India between the years 1927 and 1931 (New Delhi 1938). Medović 1995 P. Medović, Die Waage aus der frühhallstattzeitlichen Siedlung Bordjoš (Borjas) bei Novi Bečei (Banat). In: B. Hänsel (Hrsg.), Handel, Tausch und Verkehr im bronze- und früheisenzeitlichen Südosteuropa. Südosteuropa-Schriften 17 = Prähistorische Archäologie in Südosteuropa 11 (München, Berlin 1995) 209–218. Meyer 1981 C. Meyer, Stone artifacts from Tutub, Eshnunna, and Nippur. Unpubl. Diss. (Chicago 1981). Michailidou 2000 A. Michailidou, Ο ζυγός στη ζωή των κατοίκων του Αιγαίου και της Αιγύπτου. In: Κρήτη – Αίγυπτος. Πολιτισμικοί δεσμοί τριών χιλιετιών (Athen 2000) 128–149. Michailidou 2008 A. Michailidou, Weight and value in pre-coinage societies II. Sidelights on measurement from the Aegean and the Orient. Κέντρον Ελληνικής και Ρομαϊκής Αρχαιότητος. Εθνικόν Ίδρυμα Ερεύνων. Μελετέματα 61 (Athen 2008). Morico 1996 G. Morico, I manufatti di bronzo di San Giuliano di Toscanella. In: M. Pacciarelli (Hrsg.), Musei civici di Imola. La collezione Scarabelli 2. Preistoria (Casalecchio di Reno 1996) 346–350. Muller 2007 F. Muller, Archéologie en Bourgogne. Une nécropole de l’Âge du Bronze à Migennes (Yonne). Publication de la DRAC Bourgogne (Dijon 2007). Oeftiger 2000 C. Oeftiger, Metallzeitliche Siedlungsbefunde in Flur „Wöllerspfad“ bei Königshofen, Stadt Lauda-Königshofeb, Main-Tauber-Kreis. Arch. Ausgr. Baden-Württemberg 2000, 51–56. Orsi 1899 P. Orsi, Pantalica e Cassibile. MonAnt 9, 1899, 33–146. Pare 1999 C. F. E. Pare, Weights and Weighing in Bronze Age Central Europe. In: Eliten in der Bronzezeit. Ergebnisse zweier Kolloquien in Mainz und Athen, Teil 2. RGZM Monogr. 43, 2 (Mainz 1999) 421–514. Pare 2013 C. F. E. Pare, Weighing, commodification, and money. In: A. Harding/H. Fokkens (Hrsg.), The Oxford Handbook of the European Bronze Age (Oxford 2013) 508–528. Peake 2004 R. Peake, Marolles-sur-Seine en Seine-et-Marne: nécropoles et habitats entre Seine et Yonne du XIVe aus VIe siècle avant notre ère. In: J.-P. Demoule (Hrsg.), La France archéologique. Vingt ans d’anénagements et de découvertes (Paris 2004) 94–97. Peake u. a. 1999 a R. Peake/V. Delattre/P. Pihuit, La nécropole de l’Age du bronze de „La Croix de la Mission“ à Marolles-sur-Seine (Seine-et-Marne). Bull. Soc. Préhist. Française 96, 581–605. Peake u. a. 1999 b R. Peake/J. M. Séguier/J. Gomez de Soto, Trois exemplaires de fléaux de balance en os de l’Age du bronze. Bull. Soc. Préhist. Française 96, 643–644. Peroni 1998 R. Peroni, Bronzezeitliche Gewichtssysteme im Metallhandel zwischen Mittelmeer und Ostsee. In: B. Hänsel (Hrsg.), Mensch und Umwelt in der Bronzezeit Europas. Tagung Berlin (Kiel 1998) 217–224. Petruso 1992 K. M. Petruso, Keos VIII. Ayia Irini: The balance weights. An analysis of weight measurement in prehistoric Crete and the Cycladic islands (Mainz 1992).
120 Peyronel 2011 L. Peyronel, Mašqaltum Kittum. Questioni di equilibrio: bilance e sistemi di pesatura nell’Oriente antico. In: E. Ascalone/L. Peyronel (Hrsg.), Studi italiani di metrologia ed economia del Vicino Oriente antico dedicati a Nicola Parise in occasione del suo settantesimo compleanno. Studia Asiana 7 (Rom 2011) 105–161. Primas 2004 M. Primas, Wirtschaft und Gesellschaft urnenfelderzeitlicher Seeufersiedlungen – eine Aktualisierung. In: B. Hänsel (Hrsg.), Parerga Praehistorica. Jubiläumsschrift zur Prähistorischen Archäologie. 15 Jahre Univforsch. Prähist. Arch.. Univforsch. Prähist. Arch. 100 (Bonn 2004) 113–133. Rahmstorf 2010 L. Rahmstorf, The concept of weighing during the Bronze Age in the Aegean, the Near East and Europe. In: I. Morley/C. Renfrew (Hrsg.), The archaeology of measurement. Comprehending heaven, earth and time in ancient societies (Cambridge 2010) 88–105. Rahmstorf 2011 L. Rahmstorf, Re-integrating ‚diff usion‘: the spread of innovations among the Neolithic and Bronze Age societies of Europe and the Near East. In: T. C. Wilkinson/S. Sherratt/J. Bennet (Hrsg.), Interweaving worlds: systemic interactions in Eurasia, 7th to 1st millennia BC. Papers from a conference in memory of Professor Andrew Sherratt (Oxford, Oakville 2011) 100–119. Roscio 2009 M. Roscio, Migennes „Le Petit Moulin“ (Yonne): une nécropole de l’étape ancienne du Bronze final. Bulletin de Bulletin de l’Association pour la promotion des recherches sur l’âge du bronze 6, 2009, 13–16. Roscio u. a. 2011 M. Roscio/J.-P. Delor/F. Muller, Late Bronze Age graves with weighing equipment from Eastern France. Arch. Korrbl. 41, 2011, 173–187. Rottoli 1988 M. Rottoli, I reperti lignei. In: A. Mutti/N. Provenzano/M. Grazia Rossi/M. Rottoli, Le Terramara di Castione dei Marchesi. Studi e documenti di archeologia 5 (Bologna 1988) 209–282. Ruckstuhl 2004 B. Ruckstuhl, Geräte aus Stein. In: I. Bauer, B. Ruckstuhl, J. Speck, Die spätbronzezeitliche Ufersiedlung von Zug-Sumpf 3/1. Die Funde der Grabungen 1923–37 (Zug 2004) 292–305. Säflund 1939 G. Säflund, Le Terremare delle Provincie di Modena, Regggio Emilia, Parma, Piacenza (Uppsala 1939). Steuer 2007 H. Steuer, RGA 2 35, 2007, 539–586, s. v. Waagen und Gewichte. Vilaça 2003 R. Vilaça, Acerca da existência de ponderais em contextos do Bronze Final/Ferro Inicial no território português. O Arqueólogo Português, Ser. IV, 21, 245–288. Vilaça 2011 R. Vilaça, Ponderais do Bronze final-Ferro inicial do Ocidente peninsular: novos dados e questões em aberto. In: M.a Paz García-Bellido/ L. Callegarin/A. Jiménez Díaz (Hrsg.), Barter, money and coinage in the Ancient Mediterranean (10th-1st centuries BC). Anejos de Archivo Español de Arqueología 58 (Madrid 2011) 139–168. Zimmer 2012 N. Zimmer, Die „vergessenen“ Gräber von Galgenbruch und Teufelskaute. Hügelgräberbronze- und urnenfelderzeitliche Grabfunde von Hanau-Steinheim und Mühlheim-Dietesheim. Hanauer Schr. zur Arch. und Gesch. 4 (Hanau 2012).
Rahmstorf, „Pebble weights“
Abbildungsverzeichnis 1,1.3: nach Pare 1999. – 1,2: nach Peake u. a. 1999 a. – 1,4–6: nach Peake u. a. 1999 b. – 1,7: nach [Migennes] 2007. – 1,8: nach Primas 2004. – 1,9–13: nach Cardarelli u. a. 2001. – 1,14: nach Medović 1995/Pare 1999. – 2; 3 nach Roscio u. a. 2011
Anschrift Lorenz Rahmstorf, c/o Centre for Textile Research, SAXO Institute, University of Copenhagen, Karen Blixens Vej 4, 2300 Copenhagen S. Dänemark
[email protected]
121
Werner Feth
Ha B-zeitliche Waaggewichte? Überlegungen zu Wirtschaft und Handel in den jungbronzezeitlichen Seeufersiedlungen der Schweiz Zusammenfassung Die nordalpinen Ufersiedlungen der jüngeren Bronzezeit lieferten eine Gruppe von Stein- und Bleiartefakten, für die aufgrund der äußeren Erscheinung und der ermittelten Gewichtswerte eine Funktion als metrologische Waaggewichte anzunehmen ist. Eine Untersuchung des zugrunde liegenden Gewichtssystems mithilfe von intuitiven und mathematischen Methoden erbrachte zwei theoretisch denkbare Modelle: 1. Die Übernahme von aus der Ägäis und dem Ostmittelmeerraum stammenden Metrologie-Einheiten. 2. Die Entwicklung eines eigenständigen, indigenen Gewichtssystems, basierend auf einer Art „Pfahlbaumine“. Eine spätestens ab der Frühbronzezeit zu erkennende Standardisierung in Anzahl und Gewicht, besonders bei Bronzeobjekten sowie die bewusste Fragmentierung metallener Artefakte verweist zusammen mit der Existenz von Waagebalken, schweren Hängegewichten und Feingewichten auf eine Form von Gewichtsgeldwirtschaft. Unter dem Gesichtspunkt einer zu beobachtenden Spezialisierung im Handwerk der Ufersiedlungen sowie der Versorgung und Distribution von importierten Rohstoffen wie Kupfer und Zinn entsteht ein Modell von lokalen und translokalen Märkten, in dem Waaggewichte einen wichtigen Platz einnehmen.
Einleitung Aus den Ha B-zeitlichen Ufersiedlungen der Schweiz trat – teilweise bereits im letzten Viertel des 19. Jhs. – eine Gruppe von Stein- und Bleiartefakten zutage, die erstmals von Robert Forrer (1923, 92 Abb. 73) in ihrer möglichen Funktion als Gewichte erkannt wurden. Erst mehr als 70 Jahre später fanden diese Objekte erneute Beachtung in einem von Christopher F. E. Pare (1999, 500–503) veröffentlichten Aufsatz zu Feingewichten der beginnenden Spätbronzezeit. Dabei konnte der von Forrer aufgestellte Korpus zu diesem Zeitpunkt nur um einige wenige Funde aus ostfranzösischen Ufersiedlungen an der Saône erweitert werden. Im Jahr 2011 erfolgte schließlich eine erste wissenschaftliche Gesamtaufnahme der potenziellen Waaggewichte aus jungbronzezeitlichen Kontexten im Rahmen einer Magisterarbeit an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Im besonderen Fokus lagen dabei erwartungsgemäß die Seeufersiedlungen der Schweiz und Ostfrankreich, die bereits entsprechende Objekte der zu untersuchenden Fundgattung lieferten. Zudem wurden zahlreiche weitere Fundkomplexe aus dem mitteleuropäischen Raum im Hinblick auf das Vorhandensein von Gewichten geprüft. Dabei konnten zusätzlich zu den bereits bekannten Artefakten weitere mögliche
Waaggewichte aus der Schweiz, Frankreich und Deutschland erfasst werden.79 Die hier vorgestellten Objekte fügen sich in einen größeren metrologischen Rahmen der europäischen Bronzezeit ein. Für die Ägäis hat die Auseinandersetzung mit der Verwendung von Gewichtssystemen seit dem 3. Jt. v. Chr. bereits eine jahrzehntelange und ergebnisreiche Tradition (Rahmstorf 2006, 13–30). Im 15.–13. Jh. v. Chr. fanden Waaggewichte in den norditalienischen Terramare-Siedlungen Verwendung (Cardarelli u. a. 2001, 33–58) und nördlich der Alpen existieren Hinweise auf metrologische Feingewichte aus spätbronzezeitlichen Gräbern des 13. Jh. v. Chr., die von Ostfrankreich bis in das karpatische Becken hinein streuen (Pare 1999, 421–470). Schließlich belegt der in das 12. Jh. v. Chr. datierende Fund eines mit Feingewichten vergesellschafteten Waagebalkens aus Serbien den südosteuropäischen Raum als weitere metrologische Landschaft während der Bronzezeit (Medović 1995, 209–218). Die Identifizierung von metrologischen Gewichten und eine für ihre Verwendung vorauszusetzende Güterquantifizierung stellen einen bedeutenden Beitrag zur Rekonstruktion von wirtschaftlichen Verhältnissen innerhalb prähistorischer Gesellschaften dar. Dabei kann der Einsatz definierter Wertstandards als Bedingung für einen ökonomischen Austausch während der mitteleuropäischen Bronzezeit gesehen werden. Er steht damit in deutlichem Kontrast zu den bis weit in das Neolithikum und die frühe Bronzezeit reichenden Formen des reziproken Gabentausches. Über Jahrhunderte war der Einsatz von Waaggewichten zur Wertbestimmung verhandelter Objekte eine effektive Möglichkeit, um Warentausch zwischen Handelspartnern zu vollziehen. Dieser Beitrag fokussiert die als metrologische Gewichte erkannten Objekte und diskutiert das ihnen zugrunde liegende Gewichtssystem. Ein weiterer Teilaspekt beschäftigt sich mit der möglichen Identifizierung von Waagebalken und Feingewichten. Abschließend werden die aus den Ausführungen resultierenden Überlegungen in Bezug auf den Aussagewert einer Verwendung von Waaggewichten für die jüngere Bronzezeit behandelt.
79 Besonderer Dank für die Möglichkeit der Fundaufnahme gebührt an dieser Stelle den Mitarbeitern in den Museen von Bern, Biel, Chalonsur-Saône, Landshut, Neuchâtel, Straßburg und Zürich.
122
Feth, Ha B-zeitliche Waaggewichte
Abb. 1: Kartierung der jungbronzezeitlichen Gewichte aus der Schweiz, Deutschland und Frankreich. 1 Saint-Léonard-des-Bois; 2; 3 Ouroux-sur-Saône; 4 Allerey-sur-Saône; 5 Estavayer-le-Lac; 6–10 Auvernier; 11; 12 Grandson-Corcelettes; 13 Onnens; 14 Concise; 15 Cortaillod; 16 Colombier; 17 Vallamand; 18; 19 Mörigen; 20 Zürich-Alpenquai; 21–23 Zürich-Wollishofen; 24 Kanton Tessin; 25 Landshut
Verbreitung und Typologie Im Laufe der Fundaufnahme konnten insgesamt 25 Objekte aus jungbronzezeitlichen Kontexten erfasst werden. Eine Auskartierung der jeweiligen Fundstellen lässt dabei eine klar ersichtliche Konzentration im nordalpinen Raum, vor allem in der Schweiz und in Ostfrankreich erkennen (Abb. 1).80 Zudem lassen sich drei lokale Kerngebiete unterscheiden: Das Gebiet des ostfranzösisches Flusses Saône um Chalon-surSaône/Dép. Saône-et-Loire (Abb. 1,2–4), die schweizerische Juraseenlandschaft (Abb. 1,5–19) sowie der Zürichsee (Abb. 1,20–23). Die Funde aus Saint-Léonard-des-Bois/Dép. Sarthe (Abb. 1,1), dem Kanton Tessin (Abb. 1,24) und Landshut/Lkr. Landshut (Abb. 1,25) stellen derzeit isolierte Einzelfunde dar. Typologisch betrachtet können die Waaggewichte im Arbeitsgebiet in zwei übergeordnete Gruppen eingeteilt werden, wo-
80 Im Rahmen der Fundaufnahme wurde sämtliche dem Verfasser bekannte Fachliteratur das Arbeitsgebiet betreffend nach Hinweisen auf noch nicht als solche erkannte Waaggewichte durchsucht. Zusätzlich wurden die Museen von Bern, Biel, Chalon-sur-Saône, Landshut, Neuchâtel, Straßburg und Zürich im Rahmen einer zweiwöchigen Exkursion vom Verfasser persönlich aufgesucht. Dabei wurden die bereits bekannten Objekte eigenhändig gezeichnet, fotografiert und gewogen. Die darauf folgende Durchsicht aller weiteren zugänglichen Fundkomplexe der jüngeren Bronzezeit in den dortigen Magazinen konnte leider keine neuen Waaggewichte identifi zieren. Die Nachfrage in weiteren Museen und Denkmalämtern innerhalb des Arbeitsgebietes nach weiteren Objekten der behandelten Fundgattung blieb leider ebenfalls ohne Erfolg. Bei der Suche nach möglichen Waaggewichten wurden sowohl die Seeufersiedlungen als auch alle anderen Siedlungstypen betrachtet. Bis auf zwei Ausnahmen aus Nordwestfrankreich und Bayern stammen alle Exemplare aus Ufersiedlungen.
bei eine Gruppe aus Steinobjekten, die andere aus Blei- bzw. Bronzeobjekten gebildet wird. Die Steingewichte umfassen eine Gruppe von Artefakten, die neben ihrer Form jeweils auch die Einarbeitung von Aufhängeoptionen umfassen. Dabei lassen sich zwei Typen unterscheiden (Abb. 2). Zum einen sind es birnenförmige Körper mit einfacher Horizontalperforation im oberen Bereich, zum anderen ebenfalls birnenförmige Körper mit doppelter Perforation in horizontaler sowie senkrechter Richtung. Bei zwei Exemplaren sind zusätzlich angebrachte Aufhängevorrichtungen in Form von bronzenen bzw. bleiernen Ösen erhalten (Abb. 2; 7; 10). Bei den Bleigewichten kann ebenfalls eine Differenzierung in zwei Untergruppen vorgenommen werden (Abb. 3). Typ 1 besteht aus annähernd kugelförmigen, Typ 2 aus als plattgedrückt zu bezeichnenden Körpern. Gemeinsam ist ihnen jedoch eine zusätzlich angebrachte Öse zur hängenden Verwendung. Eine Besonderheit der bleiernen Vertreter ist eine gelegentlich zu erkennende und wohl nachträglich durchgeführte Gewichtswertjustierung in Form von umgelegten Zinnmänteln (Abb. 3,5) oder eingetriebenen Bronzestiften (Abb. 3,9). Das Exemplar aus Bronze (Abb. 3,12) stellt durch das verwendete Material eine Ausnahme dar und ähnelt in seiner Form sowie aufgrund der zweifachen Perforation im Halsbereich den Steingewichten. Eine Abgleichung der einzelnen Typengruppen mit ihrem jeweiligen Vorkommen auf der Verbreitungskarte zeigt einige Besonderheiten. So stammen aus den Ufersiedlungen der Saône lediglich Vertreter der horizontal und vertikal perforierten Steingewichte, während in den Pfahlbaustationen des Zürichsees bislang nur die plattgedrückten Bleigewichte mit ange-
Feth, Ha B-zeitliche Waaggewichte
123
Abb. 2: Jungbronzezeitliche Steingewichte aus der Schweiz (1–4; 6; 9; 10; 12), Deutschland(5) und Frankreich (7; 8; 11). 1 Concise (102,3 g); 2 Mörigen (98,3 g); 3 Zürich-Alpenquai (810 g/unvollständig); 4 Auvernier (941 g); 5 Landshut (777 g); 6 Auvernier (1320 g); 7 Ouroux-sur-Saône (741 g); 8 Ouroux-sur-Saône (592 g); 9 Mörigen (850 g); 10 Grandson-Corcelettes (922 g); 11 Allerey-sur-Saône (770 g); 12 Auvernier (877,5 g)
Abb. 3: Jungbronzezeitliche Blei- bzw. Bronzegewichte aus der Schweiz (1–5; 7–12) und Frankreich (6). 1 aus dem Kanton Tessin (195 g/ genauer Fundort unbekannt); 2 Colombier (387 g; 3 Grandson-Corcelettes (Kopie/Originalgewicht unbekannt); 4 Vallamand (389 g); 5 Estavayer-le-Lac (552 g); 6 Saint-Léonard-des-Bois (700 g); 7 Zürich-Wollishofen (731,5 g); 8 Zürich-Wollishofen (728 g); 9 Onnens (615,5 g); 10 Auvernier (734 g); 11 Zürich-Wollishofen (735 g); 12 Cortaillod (212 g)
124
Feth, Ha B-zeitliche Waaggewichte
brachten Ösen gefunden wurden. Das Gebiet der Juraseen kann als Mittlerposition gesehen werden, da aus diesem Objekte beider Gewichtstypen sowie der dazugehörenden Untergruppen stammen.
Metrologie Die Auseinandersetzung mit metrologischen Fragestellungen der letzten Jahrzehnte, vor allem für die ägäische Bronzezeit, erbrachte einen Kriterienkatalog für eine positive Ansprache von Objekten als mögliche Waaggewichte (Petruso 1992, 1–4; Rahmstorf 2006, 9 f.). Dieser ist in gewissem Maße auch auf die mitteleuropäische Jungbronzezeit übertragbar, auch wenn jeweils zwischen den Stein- und Bleiartefakten unterschieden werden muss. So haben die nordalpinen Fundstücke eine regelmäßige Form und bilden eine sich abgrenzende Objektgattung. Sie bestehen aus gleichartigem Fertigungsmaterial und sind physisch dicht bzw. hart sowie nur schwer zerbrechlich, was eine Langlebigkeit in der Verwendung garantiert und darüber hinaus sowohl eine beabsichtigte als auch eine unbeabsichtigte Gewichtsmanipulation an den Objekten erschwert. Trotz ihrer Härte weisen die eingesetzten Materialien gute Bearbeitungseigenschaften auf. Die Objekte sind, sofern sie aus Stein gefertigt wurden, zusätzlich poliert und mit einer oder mehreren flachen Seiten versehen. Teilweise verfügen sie über eine Aufhängevorrichtung. Zudem bilden sie, wie noch zu zeigen sein wird, von ihrer jeweiligen spezifischen Masse her einen Gewichtsbereich von leicht zu schwer. Die Forderung nach einem den Gewichten zugrunde liegenden metrologischen System, das nicht nur einheitlich, sondern auch logisch praktikabel sein sollte, wird im Folgenden erörtert. Prinzipiell stehen bei der Suche nach Gewichtssystemen drei Wege zur Verfügung (Rahmstorf 2006, 11). Am Beginn steht dabei immer eine intuitive Herangehensweise, bei der nach Anhäufungen gleicher Gewichtswerte in einer Gruppe von Objekten gesucht wird. Stehen diese Werte in einer bestimmten Beziehung (Vielfache bzw. Brüche eines bestimmten Wertes) zueinander, so deuten sich damit erste Hinweise auf potenzielle Basiseinheiten sein. Darauf folgt eine Überprüfung der Resultate mithilfe von mathematisch statistischen Methoden, welche die mögliche Existenz von Einheiten in einer Gruppe von Gewichtswerten anzeigen. Ein Verfahren ist hierbei die Anwendung der sog. Kendall-Formel81 (Kendall 1974, 239 ff.), bei der es sich um eine deduktive Vorgehensweise handelt, die nach potenziellen Teilmengen innerhalb einer Ansammlung von numerischen Werten sucht. Dabei zeigt ein hohes Positivergebnis von Φ(τ) für einen getesteten Wert an, dass es sich möglicherweise um eine zugrundeliegende Basiseinheit handelt, und dass die untersuchten Zahlenwerte Vielfache dieser Einheit darstellen.82
81 Φ(τ ) = N2 ∑ cos(2π x τ ) 82 Zur Verwendung der Kendall-Formel bei der Untersuchung von Gewichten siehe auch bei Petruso 1992, 71 ff. und Pare 1999, 487. N
j =1
j
Die dritte Herangehensweise ist der metrologisch-historische Weg, bei dem über schriftliche Zeugnisse nach Gewichtssystemen gesucht wird. Gerade für den ägäischen Raum und das Ostmittelmeergebiet konnten so bedeutende Fortschritte erzielt werden. Einen zusammenfassenden Überblick diesbezüglich lieferte Lorenz Rahmstorf (2006, 13–30). Für die Waaggewichte der jüngeren Bronzezeit aus dem Raum nördlich der Alpen wurde eine Kombination der drei dargestellten Methoden angewandt. Die Darstellung aller Gewichtswerte der zwischen 98,5 g und 1320 g schweren Objekte in einem Diagramm (Abb. 4) lässt bereits auf den ersten Blick eine signifikante Konzentration im Bereich von 735 g erkennen, wobei insgesamt sechs Gewichte diese Masse aufweisen. Diese stammen aus den schweizerischen Ufersiedlungen von Auvernier/Kt. Neuenburg und Zürich-Wollishofen/Kt. Zürich sowie aus dem ostfranzösischen Ouroux-sur-Saône/Dép. Saône-et-Loire. Bei einer Betrachtung der 735 g schweren Objekte in Bezug zu den Gewichten mit einer Masse von 615 g aus Estavayer-le-Lac/Kt. Freiburg und Onnens/Kt. Waadt sowie dem 850 g schweren Exemplar aus Mörigen/Kt. Bern ergibt sich ein Verhältnis von 5:6:7, bei einer zugrunde liegenden Basiseinheit von etwa 122 g. Die Berechnung dieser Werte mithilfe der Kendall-Formel bestätigt die intuitive Beobachtung: Der höchste Ausschlag (Φ(τ) = 4,14) liegt bei exakt 122,2 g. Dies entspricht dem Doppelten einer während der ägäischen Bronzezeit verwendeten Einheit von etwa 60–65 g (Petruso 1992, 26–34). Bemerkenswert ist weiterhin, dass etwa ein Zehntel dieses Wertes, nämlich 6,1 g als Basiseinheit für birnenförmige Steingewichte aus den italienischen Terramare-Siedlungen des 15.–13. Jh. v. Chr. erkannt werden konnte (Cardarelli u. a. 1997, 635–638).83 Diese Ausführungen sind als Beispiel für eine mögliche Herangehensweise bei der Suche nach zugrunde liegenden Gewichtssystemen zu sehen. Die Funde jungbronzezeitlicher Gewichte in den verschiedenen Siedlungen lassen bei einer ausführlichen Ergebnisdarstellung der durchgeführten Berechnungen mögliche Einheiten und daraus resultierende Vielfache erkennen. Neben Minimaleinheiten zwischen 6 und knapp über 9 g tritt besonders der Wert von 35 g deutlich hervor (Abb. 5). Da sich lediglich neun Objekte einer hypothetischen Einheit von 6,1 g
83 Die Steingewichte aus den Terramare-Siedlungen können als wichtiges Bindeglied zwischen dem ägäischen und dem nordalpinen Raum gedeutet werden. Mit einer Datierung in das 15.–13. Jh. v. Chr. sind sie zwar etwas früher als die jungbronzezeitlichen Waaggewichte der Ufersiedlungen, jedoch liegt mit ihnen die größte formale Analogie vor. Auch wenn sich die Objekte im Durchschnitt kleiner und leichter darstellen, so zeigt sowohl die Formgebung, als auch die Einbringung einer Aufhängevorrichtung unverkennbare Parallelen. Hinzu kommt die Tatsache, dass die den Terramare-Gewichten zugrundeliegende Einheit von ca. 6,1 g einen metrologischen Bezug zu den Waaggewichten der jüngeren Bronzezeit anzeigt. Dies könnte einerseits auf ein Weiterbestehen eines ursprünglich aus dem ägäischen Raum kommenden Gewichtssystems verweisen, andererseits auf die Übernahme der anscheinend bewährten Ösengewichte in den Regionen nördlich der Alpen.
Feth, Ha B-zeitliche Waaggewichte
125
Abb. 4: Gesamtverteilung der ermittelten Gewichtswerte jungbronzezeitlicher Waaggewichte. Das Diagramm erfasst alle Gewichte, deren erhaltene Masse als gesichert gelten kann und dadurch für metrologische Berechnungen infrage kommt
Auvernier
Auvernier
Auvernier Auvernier Auvernier
Abb. 5: Berechnung hypothetischer Einheiten von ca. 6,1 g – 7,8 g – 8,7 g – 9,4 g und 35 g. *Rekonstruierter Gewichtswert
126 zuweisen lassen (Abb. 5 3. Spalte von links),84 wurden die nordalpinen Waaggewichte im weiteren Verlauf dahingehend untersucht, ob innerhalb der Gesamtgruppe verschiedene Metrologie-Systeme feststellbar sind. Dabei traten für die aus der Ägäis und dem Ostmittelmeerraum bekannten Einheiten von ca. 7,8 g, ca. 8,7 g und ca. 9,4 g des 3. – 1. Jt. v. Chr. mathematisch logische Vielfache auf (Abb. 5, 4.–6. Spalte von links). Die jeweils errechneten Mittelwerte bestätigen diese Beobachtungen. Bislang gehen die hier aufgeführten Überlegungen von einer Übernahme „fremder“ Gewichtssysteme in den Gebieten nördlich der Alpen aus. Eine andere Möglichkeit stellt die Entwicklung eines davon unabhängigen und indigenen Metrologie-Systems innerhalb der Jungbronzezeit dar. Intuitive Beobachtungen können Hinweise auf einen solchen Sachverhalt liefern. Einige zu erkennende Relationen stellen sich wie folgt dar: Ein leichtes Steingewicht aus Ouroux-sur-Saône (592 g) bildet bis auf ein Gramm genau den 6-fachen Wert eines kleinen Gewichtes aus Mörigen (98,5 g). Das bereits erwähnte schwerere Exemplar aus Mörigen (850 g) ist 4-mal so schwer wie das ebenfalls schon angesprochene Bronzegewicht aus Cortaillod/Kt. Neuenburg (212 g). Die Gewichte aus Estavayerle-Lac (rekonstr. 615 g) und Onnens (615,5 g) stellen bis auf 0,01 g genau den 6-fachen Wert eines kleinen Steingewichts aus Concise/Kt. Waadt (102,3 g) dar; ein Gewicht aus Grandson-Corcelettes/Kt. Waadt (922 g) wiederum ist ziemlich genau 9- bzw. 1 ½-mal so schwer, wobei die Ungenauigkeit auch hier im Bereich von Milligramm liegt. Dieser Auszug der intuitiven Beobachtungen sowie die theoretische Annahme, dass es sich bei den beiden etwa 100 g schweren Objekten aus Mörigen und Concise um Gewichte handeln könnte, die den Wert einer vermuteten Grundeinheit darstellen, führte zur versuchten Anwendung der Kendall-Formel auf die Gesamtheit der Waaggewichte. In der Tat findet sich im höchsten Ausschlag (Φ(τ) = 3,25) für den Wert von 35,0 g eine Bestätigung, da dies genau einem Drittel von etwas mehr als 100 g entspricht. Die tabellarische Darstellung der Ergebnisse (Abb. 5, rechte Spalte) zeigt dabei Vielfache von 3 bis 38, die bei den höheren Gewichtswerten zudem in Zweierschritten auftreten. Bei den 3-, 6-, 12- und 24-fachen der Einheit stehen die Gewichte zusätzlich in einer Relation von 1:2:3:4 zueinander. Da die derzeit zur Verfügung stehende Datenmenge von 23 Gewichtswerten85 viel zu gering ist, um statistisch gesicherte Aussagen in Bezug auf mögliche Basiseinheiten zu treffen, müssen die in der Tabelle dargestellten Berechnungen lediglich als hypothetische Möglichkeiten betrachtet werden. Dennoch lassen sich die bisherigen Ergebnisse in zwei Ansätzen zusammenfassen:
84 Da die birnenförmigen Steingewichte aus den italienischen TerramareSiedlungen die nächste Analogie für die Waaggewichte des nordalpinen Raums darstellen, wurde die dort errechnete Basiseinheit von 6,1 g für die Berechnungen verwendet und nicht die größere aus dem ägäischen Raum bekannte Einheit von 60–65 g. 85 Zwei der untersuchten Objekte waren so stark beschädigt, dass sie für metrologische Untersuchungen nicht zu gebrauchen waren.
Feth, Ha B-zeitliche Waaggewichte 1. In den jungbronzezeitlichen Ufersiedlungen herrschte ein indigenes Gewichtssystem, basierend auf einer „Pfahlbaumine“86 von ca. 35 g. 2. Es wurden zeitgleich verschiedene Einheiten verwendet, die aus unterschiedlichen Gebieten und Kulturgruppen übernommen wurden. Der Einsatz mehrerer Metrologie-Systeme wäre dabei ein wirkungsvolles Mittel im wirtschaftlichen Austausch verschiedener Regionen untereinander. Aber auch eine Kombination beider Überlegungen ist nicht auszuschließen. Wie Renato Peroni (1998, 218–221) zeigen konnte, lassen sich durch die richtige Kombination von einzelnen Gewichten verschiedene Gewichtssysteme unter Umständen auch aufeinander übertragen.
Waagebalken Eine weitere Möglichkeit bei der Identifizierung von Waaggewichten stellt die dafür vorauszusetzende Existenz von Waagen dar. Der einfachste Weg des Abwiegens ist die Verwendung von gleicharmigen Balkenwaagen, bei denen die entsprechenden Gewichte und abzuwägenden Güter proportional auf beide Seiten des Waagemittelpunktes verteilt werden. Der Nachweis für die jungbronzezeitlichen Ufersiedlungen ist indes schwierig. Die Siedlung Grandson-Corcelettes, aus der auch zwei Gewichte stammen, lieferte einen Gegenstand, der eine Waage darstellen könnte. Es handelt sich dabei um einen vierkantigen Bronzestab mit einer Länge von 20,5 cm, eingebogenen Enden und einem jeweils dort befindlichen Bronzering (Primas 2004, 130 Abb. 10). Diese Anordnung könnte für eine symmetrische Gewichtsverteilung in Bezug auf die Stabmitte sprechen. Die geringe Größe der vermeintlichen Waage verweist allerdings auf ein Abwiegen von kleinen Mengen und eine Verwendung mit Feingewichten. Für eine Handhabe mit größeren und schwereren Gewichten wird vermutet, dass dafür Waagebalken aus Holz oder anderen organischen Materialien verwendet wurden. Aus den Ufersiedlungen von Mörigen und Zürich-Alpenquai/Kt. Zürich, die auch schon Gewichte hervorbrachten, liegt jeweils ein Holzartefakt vor, dessen Funktion als Waagebalken zur Diskussion steht. Auffällig ist bei den beiden zwischen 22 cm und 27 cm langen Exemplaren eine von der Stabmitte ausgehende Verzierung zu beiden Seiten hin sowie ein in regelmäßigen Abständen auftretendes Ringmuster, besonders in der Mitte und an den Enden (Eberschweiler 1998, 99 f.). In der Terramare-Siedlung von Castione dei Marchesi bei Parma wurde ein Holzstab gefunden, der sehr stark an die beiden Beispiele aus den Ufersiedlungen erinnert. Er ist annähernd 40 cm lang
86 Der Begriff der „Pfahlbau-Mine“ wurde erstmals von Robert Forrer (1906, 14) für die 735 g schweren Bleigewichte aus Auvernier und Zürich-Wollishofen geprägt. Er verwendete den Begriff jedoch für die Abgrenzung dieser von ihm ermittelten Gewichtseinheit zu den damals vermuteten Mineneinheiten des Ostmittelmeerraumes. Hier meint der Begriff „Pfahlbaumine“ lediglich eine indigene, für die Ufersiedlungen des nordalpinen Raums theoretisch errechenbare Basiseinheit.
Feth, Ha B-zeitliche Waaggewichte und hat knopfartige Verdickungen an den Enden. Experimente haben gezeigt, dass es möglich ist mithilfe von Verschnürungen in der Stabmitte sowie an den Enden einfache Wägungen durchzuführen. Die ermittelte Genauigkeit liegt bei 0,5 g (Cardarelli u. a. 2001, 45). Es ist demnach nicht auszuschließen, dass die aus den Pfahlbaustationen stammenden Holzstäbe einfache Apparaturen zum Abwiegen darstellen.
Feingewichte Die durchschnittlich hohe Masse der hier besprochenen Gewichte lässt die Frage aufkommen, ob lediglich schwere Wägungen vorgenommen, oder ob die für kleine Massen benötigten leichteren Gewichte nur noch nicht als solche erkannt wurden. Das Erkennen solcher als Feingewichte dienenden Objekte könnte einen entscheidenden Beitrag in Hinblick auf das zugrunde liegende Gewichtssystem leisten, da sich dort potenzielle Basiseinheiten sicherer erkennen lassen. Der geschlossene Fundkomplex einer mit mehreren Quarzkieseln vergesellschafteten Waage aus Bordjoš in Serbien aus dem 12. Jh. v. Chr. erbrachte den Nachweis, dass bei der Suche nach potenziellen Gewichten nicht immer mit Objekten gerechnet werden kann, die direkt als solche zu erkennen sind. Die zusammen mit dem aus Knochen gefertigten Waagebalken gefundenen acht Steine (ca. 17, 51, 54, 56, 63, 87, 122 und 184 g) werden von Predrag Medović (1995, 211–217) in Verbindung mit einer Basiseinheit von etwa 63 g gesehen. Dabei bilden sie das ¼-, ¾-, 1-, 1½-, 2- und 3-fache und entsprechen addiert dem 10-fachen Wert von ca. 634 g (Rahmstorf 2000, 98). Aus den Ufersiedlungen der Schweiz ist ebenfalls eine große Anzahl an kleinen unbearbeiteten Steinen bekannt. Diese Fundgruppe besteht größtenteils aus kugelig bis ovalen Flusskieseln mit einer Größe zwischen 2 cm und 6 cm. Es handelt sich um Quarzite, Kalk- und Sandgesteine sowie verschiedene Grüngesteinssorten. Eine Zuordnung zu den Polier- bzw. Klopfsteinen scheidet aus, da sie keinerlei Abnutzungsspuren aufweisen. Bedauerlicherweise fanden diese eher unauffälligen Fundstücke weder bei den frühen Aufsammlungen noch in älteren Publikationen Beachtung. Erst in jüngeren Arbeiten werden auch diese unscheinbaren Objekte in die Fundkataloge aufgenommen, wenn auch oftmals ohne Gewichtsangabe. Für eine metrologische Auswertung stehen derzeit nur wenige Beispiele aus den Siedlungen Ürschhausen-Horn/Kt. Thurgau (Nagy 1999, Taf. 180) und Zug-Sumpf/Kt. Zug (Seifert 1997, 79) zur Verfügung, da lediglich von dort die jeweiligen Gewichtswerte der Objekte veröffentlicht wurden. Insgesamt handelt es sich dabei um 36 Exemplare mit einer Masse zwischen 11,1 g und 353 g. Einige der Flusskiesel wurden zusammen in einem Haus in Zug-Sumpf gefunden, was auf eine Verwendung als Set hinweist. Ein Vergleich der Gewichtswerte der kleinen Steine mit den Vielfachen der bereits besprochenen Einheit von 6,1 g zeigt sehr häufige Übereinstimmungen. Weiterhin auffällig ist, dass von den 36 publizierten Werten allein sechs Stück im Bereich von 12 g liegen und keine leichteren Exemplare vorliegen. Hier
127 könnte sich eine potenzielle Basiseinheit verstecken. Eine Verwendung der Flusskiesel als metrologische Gewichte ist dadurch nicht auszuschließen. Für weitere Überlegungen in dieser Richtung wird jedoch nicht nur eine größere Datengrundlage, sondern auch eine erhöhte Sensibilität gegenüber solchen, auf den ersten Blick unscheinbaren Objekten benötigt. Vergleichbar mit den Ausführungen zu den schwereren Ha B-zeitlichen Hängegewichten können die an dieser Stelle gemachten Überlegungen bislang nur als vorstellbares Modell gelten.
Voraussetzungen und Ergebnisse Die Frage nach den notwendigen Voraussetzungen für den Einsatz von Gewichten innerhalb einer Gesellschaft stellt ein bedeutendes Kriterium für die Beschäftigung mit prähistorischer Metrologie dar. Das Instrument der Waage dient – vereinfacht ausgedrückt – dem Vergleich zweier Dinge in Bezug auf ihr Gewicht. Somit ist sie ein wichtiges Hilfsmittel zur Quantifizierung, wodurch nicht abzuzählenden Gegenständen ein bestimmter Wert zugewiesen werden kann. Durch die Anwendung dieses Verfahrens auf verschiedene Objekte entsteht überhaupt erst die Möglichkeit der Vergleichbarkeit. Ohne eine vorherige Quantifizierung ist nur Reziprozität und Redistribution vorstellbar. Jeder wirtschaftlich ausgerichtete Warenhandel benötigt dagegen eine Bewertung der verhandelten Güter. Dadurch entstehen Wertstandards, die über der Ebene der autarken Subsistenzwirtschaft stehen und somit auch eine überregionale Gültigkeit besitzen können. Dies wirft die Frage nach einer autoritär ausgeübten Kontrolle über diese Standardisierungen auf. Auch wenn für die mitteleuropäische Bronzezeit die Existenz einer Führungselite mit Sicherheit nicht verneint werden kann, liefert die derzeitige Quellenlage keine Hinweise auf einen reglementierten Handel und der damit verbundenen Praxis des Güterabwiegens (Rahmstorf 2000, 101). Durch den Vorgang der Quantifizierung kann der Prozess der Kommodifizierung eingeleitet werden. In einer Gesellschaft, die über die eigene Subsistenzsicherung hinaus wirtschaftlich agiert, werden dadurch erzeugte und benötigte Produkte zu Waren, die regional und überregional verhandelt werden können. Der konkrete Nachweis von kommodifizierten Gütern stellt sich indes schwierig dar. Waagen und Gewichte dienen lediglich als Hinweis darauf, dass etwas gewogen wurde, aber nicht, um welche Objekte es sich dabei handelte. Sie sind Werkzeuge des Handels, somit Anzeiger für einen solchen (Petruso 1992, 65). Ohne schriftliche Zeugnisse oder bildliche Belege lässt sich kaum beurteilen, was im Einzelnen als Ware verhandelt wurde. Dennoch spricht die seit der Frühbronzezeit zu beobachtende Standardisierung von Bronzeartefakten in Anzahl und Gewicht für eine Kommodifizierung der nur an wenigen Orten zu gewinnenden und weiträumig verteilten Metalle. Besonders die Zerstückelung von Bronzeartefakten zeigt dabei eine Funktion der einzelnen Fragmente bezüglich ihres Materialwertes an (Sommerfeld 1994, 265). Als ein Beispiel für eine
128 zu erkennende Standardisierung von Metallgegenständen nach Gewicht dient eine Gussform aus der Seeufersiedlung von Zürich-Alpenquai. Mit ihr konnten drei Stabbarren mit einem Gewicht von 31 g, 62 g und 124 g gegossen werden, was einem Verhältnis von 1:2:4 entspricht (Weidmann 1981, 225). Die genannten standardisierten Formen von Bronzeobjekten lassen vermuten, dass Metall zum einen abgezählt wurde, zum anderen zusätzlich einer bestimmten Gewichtsnormierung unterlag (Rahmstorf 2006, 38). Für die steigende Nachfrage an Kupfer und Zinn müssen weitreichende Handelsverbindungen bestanden haben, für die ein gewöhnlicher Tausch von Ware gegen Ware ohne festgelegte Wertäquivalenz kaum vorstellbar ist. Als Lösung könnte das Abwiegen der überall zirkulierenden Metalle als eine Form von Gewichtsgeldwirtschaft gedient haben (Sherratt 1993, 17; Primas 2008, 167). Eine Anwendung dieser Überlegungen auf die Situation der jungbronzezeitlichen Ufersiedlungen nördlich der Alpen würde im Bereich der als Mikroräume zu bezeichnenden Gebiete Chalon-sur-Saône, dem Juraseegebiet und dem Zürichsee, die Existenz von sowohl kleinräumig-internen, als auch überregional-externen Märkten zwischen den einzelnen Siedlungen nahelegen. Die Frage, welcher Organisation diese lokalen und translokalen Austauschplätze unterworfen waren, lässt sich kaum beantworten. An etlichen Punkten eines solchen Marktmodells finden sich allerdings Ansatzpunkte für die Verwendung der in diesem Beitrag behandelten Waaggewichte. Sollte zwischen den Gebieten der Saône, der Juraseen und dem Zürichsee ein einheitliches Gewichtssystem bestanden haben, was wie gezeigt theoretisch vorstellbar ist, so hätte dies den gegenseitigen Austausch von Gütern untereinander sicherlich vereinfacht, gefördert und wirtschaftlich rentabel gemacht. Die Existenz von „fremden“ metrologischen Einheiten in der Gruppe von Gewichten, die nicht auszuschließen ist, hätte zudem den Warenverkehr mit über weite Strecken verhandelten Gütern ermöglicht, an erster Stelle mit Kupfer und Zinn.
Feth, Ha B-zeitliche Waaggewichte
Fazit Aufgrund der relativ geringen Anzahl von potenziellen Waaggewichten und dem bisherigen Fehlen einer eindeutigen Vergesellschaftung mit Waagebalken, ist eine metrologische Funktion der vorgestellten Objekte noch immer nicht eindeutig belegbar. Dennoch sprechen die gezeigten typologischen Merkmale der Fundgattung für eine solche Verwendung. Die Suche nach zugrunde liegenden Gewichtssystemen erbrachte die theoretisch errechenbare Existenz zweier Modelle, die sowohl einen Austausch der Ufersiedlungen untereinander als auch mit weit entfernten Regionen ermöglichen würden – besonders im Hinblick auf die Distribution der für die Bronzeherstellung benötigten Rohstoffe Kupfer und Zinn. Da die hohe Masse der Hängegewichte aus Stein und Blei gegen einen Einsatz beim Abwiegen von Edelmetallen bzw. anderer in kleinen Mengen verhandelten Güter spricht, kommt für sie nur eine Rolle im Rohstoff handel, dem Metallguss oder im Vertrieb bzw. der Verteilung von Nahrungsmitteln, Textilien etc. infrage. Demgegenüber könnten die kleinen polierten Flusskiesel als Feingewichte gedient haben. Ihre geringe Masse ist bei der Wertbestimmung kostbarer Materialien dienlich, gleichzeitig eignen sie sich als Wertmaß eines als Gewichtsgeld zu interpretierenden Brucherzes. Für eine zukünftige wissenschaftlich-kritische Auseinandersetzung mit Fragen nach einer jungbronzezeitlichen Metrologie nördlich der Alpen ist jedoch eine erhöhte Sensibilisierung in Bezug auf solch unscheinbare Objekte wie die angeführten Flusskiesel und ihre Gewichtswerte notwendig. Nur mit einer ausreichend großen und statistisch gesicherten Datengrundlage ist es möglich, die tatsächliche Verwendung von Waaggewichten in einem metrologischen System zu rekonstruieren.
Feth, Ha B-zeitliche Waaggewichte
Literatur Cardarelli u. a. 1997 A. Cardarelli/M. Pacciarelli/P. Pallante, Pesi da bilancia dell’età del bronzo? In: M. Bernabò Brea, A. Cardarelli & M. Cremaschi (Hrsg.), Le Terramare, la più antica civiltà padana. Exhibition cat. Modena (Milano 1997) 629–642. Cardarelli u. a. 2001 A. Cardarelli/M. Pacciarelli/P. Pallante u. a., Pesi e bilance dell’età del bronzo italiana. In: C. Corti/N. Giordani (Hrsg.), Pondera: Pesi e misure nell’Anchità.Grandezze e misure della storia (Modena 2001) 33–58. Charnier u. a. 1999 J.-F. Charnier/J. Briard/J.-P. Bouvet u. a., Le dépôt de Saint-Léonarddes-Bois, „Grand Champ du Veau d’Or“ (Sarthe), un nouveau témoignage de relations atlantique/continent au Bronze final. Société Préhistorique Francaise 96, 4, 1999, 569–579. Eberschweiler 1998 B. Eberschweiler, Ein rätselhafter Holzstab aus dem Zürichsee. Arch. Schweiz 21, 3, 1998, 98–102. Forrer 1906 R. Forrer, Die ägyptischen, kretischen, phönikischen etc. Gewichte und Maße der europäischen Kupfer-, Bronze- und Eisenzeit. Grundlagen zur Schaff ung einer prähistorischen Metrologie. Jahrb. Ges. Lothring. Gesch. 18, 1906, 1–77. Forrer 1923 R. Forrer, Nouvelles découvertes et acquisitions du Musée Prehistorique et Gallo-Romain de Strasbourg. Cahiers Arch. et Hist. Alsace 14, 1923, 88–124. Heierli 1886 J. Heierli, Der Pfahlbau Wollishofen. Mittheilungen der Antiquarischen Gesellschaft (der Gesellschaft für vaterländische Alterthümer) in Zürich (Zürich 1886). Kendall 1974 D. G. Kendall, Hunting quanta. Phil. Trans. R. Soc. Lond. A. 276, 1974, 231–266. Medović 1995 P. Medović, Die Waage aus der frühhallstattzeitlichen Siedlung Bordjos (Borjas) bei Novi Becej (Banat). In: B. Hänsel (Hrsg.), Handel, Tausch und Verkehr im bronze- und früheisenzeitlichen Südosteuropa (München/Berlin 1995) 209–218. Nagy 1999 G. Nagy, Ürschhausen-Horn. Keramik und Kleinfunde der spätestbronzezeitlichen Siedlung. Archäologie im Thurgau 6 (Frauenfeld 1999). Pare 1999 C. F. E. Pare, Weigths and Weighing in Bronze Age Central Europe. In: Eliten in der Bronzezeit 2. Ergebnisse zweier Kolloquien in Mainz und Athen. Monogr. RGZM 43 (Mainz 1999) 421–514. Peroni 1998 R. Peroni, Bronzezeitliche Gewichtssysteme im Metallhandel zwischen Mittelmeer und Ostsee. In: B. Hänsel (Hrsg.), Mensch und Umwelt in der Bonzezeit Europas. Abschlußtagung der Kampagne des Europarates: Die Bronzezeit: das erste goldene Zeitalter Europas an der Freien Universität Berlin, 17.–19. März 1997. Beiträge und Ergebnisse (Kiel 1998) 217–224. Petruso 1992 K. M. Petruso, Ayia Irini: The Balance Weights. An Analysis of Weight Measurement in Prehistoric Crete and Cycladic Islands. Keos VIII (Mainz 1992). Primas 2004 M. Primas, Wirtschaft und Gesellschaft urnenfelderzeitlicher Seeufersiedlungen – eine Aktualisierung. In: B. Hänsel (Hrsg.), Parerga Praehistorica. Jubiläumsschrift zur Prähistorischen Archäologie. 15 Jahre Univforsch. Prähist. Arch. (Bonn 2004) 113–133. Primas 2008 M. Primas, Bronzezeit zwischen Elbe und Po. Strukturwandel in Zentraleuropa 2200–800 v. Chr. Univforsch. Prähist. Arch. 150 (Bonn 2008).
129 Rahmstorf 2000 L. Rahmstorf, The concept of weighing during the Bronze Age in the Aegean, the Near East and Europe. In: I. Morley/C. Renfrew (Hrsg.), The archaeology of Measurement. Comprehending Heaven, Earth and Time in Ancient Societies (New York 2000) 88–105. Rahmstorf 2006 L. Rahmstorf, In search of the earliest balance weights, scales and weighing systems from the East Mediterranean, the Near and Middle East. In: M. E. Alberti/E. Ascalone/L. Peyronel (Hrsg.), Weights in context. Bronze age weighing systems of Eastern Mediterranean. Chronology, typology, material and archaeological contexts. Proceedings of the international colloquium, Roma 22nd – 24th November 2004. Studi e materiali/Istitituto Italiano di Numismatica 13 (Rom 2006) 9–45. Seifert 1997 M. Seifert, Die spätbronzezeitlichen Ufersiedlungen von Zug-Sumpf. Die Funde der Grabungen 1952–54 (Zug 1997). Sherratt 1993 A. Sherratt, What would a Bronze-Age world system look like? Relations between temperate Europe and the Mediterranean in later prehistory. Journal of European Archeaology 1.2, 1993, 1–58. Sommerfeld 1994 C. Sommerfeld, Gerätegeld Sichel. Studien zur monetären Struktur bronzezeitlicher Horte im nördlichen Mitteleuropa. Vorgeschichtliche Forschungen Bd. 19 (Berlin/New York 1994). Weidmann 1981 T. Weidmann, Bronzegussformen des unteren Zürichseebeckens. Helvetia Arch. 12, 45/46, 1981, 218–229.
Abbildungsnachweis 1: Autor auf Grundlage Tübinger Stumme Karte Mitteleuropa. – 2,1– 4.10.12; 3,3.5.7.8.10: Foto Autor, ©Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich. – 2,5: Foto Autor, ©Städtisches Museum, Landshut. – 2,6; 3,9: Foto Autor, ©Musée Laténium, Hauterive-Neuchâtel. – 2,7. 8. 11 Foto D. Dubois, ©Musée Denon, Chalon-sur-Saôn. – 2,9; 3,2: Foto Autor, ©Historisches Museum, Bern. – 3,1: nach Forrer 1923, 92 Abb. 73, P. – 3,4 nach Forrer 1923, 92 Abb. 73/M. – 3,6 nach Charnier u. a. 1999, 574 Abb. 5,35. – 3,11 nach Heierli 1886, Taf. 1,2. – 3,12 Foto Autor, ©Museum Schwab, Biel. – 4; 5: Autor
Anschrift Werner Feth M. A., Landesamt für Denkmalpflege, hessenARCHÄOLOGIE Schloss Biebrich/Ostflügel, 65203 Wiesbaden
[email protected]
Neue Forschungen
133
Ines Beilke-Voigt
Das Burgzentrum Lossow im Spiegel seiner Fernkontakte Zusammenfassung Der Burgwall von Lossow wurde als befestigte Siedlung am Übergang von der mittleren zur jüngeren Bronzezeit auf einem markanten Hochufer an der Oder errichtet und zeigte eine Siedlungskontinuität bis an den Beginn der Eisenzeit. Die Ausgrabungen innerhalb der Burgwallsiedlung sowie auch in der Vorburgsiedlung und dem zeitgleichen Brandgräberfeld erbrachten im Fundniederschlag zahlreiche Hinweise auf Fremdgüter und -einflüsse. Es wird davon ausgegangen, dass die Herausbildung von überregionalen Handelsbeziehungen und Fernkontakten durch die verkehrsgeografische Anbindung am Flusslauf der Oder begünstigend beeinflusst wurde. Ausgehend vom archäologischen Fundmaterial wird dieser These im folgenden Beitrag nachgegangen.
Einleitung In einem aktuellen Forschungsprojekt, das 2007 aufgenommen und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wurde, galt als zentrales Anliegen, die Voraussetzungen und Gründe herauszuarbeiten, die zur Herausbildung der Burgwallsiedlung und ihrer Funktionen führten.87 Dabei geht die aktuelle Forschung davon aus, dass es sich in Lossow, Stadt Frankfurt (Oder), um ein Burgzentrum mit zentralörtlichen Funktionen und Aufgaben gehandelt hat und hier in besonderer Weise organisierter Handel und spezialisiertes Handwerk gebündelt waren (Beilke-Voigt 2010 a, 63 ff.; 2010 b, 41 ff.). Im Fundniederschlag wären demnach Importe und besondere Funde zu erwarten, die auf überregionale Kontakte und Fernhandelsbeziehungen hinweisen. Ausgehend von den verkehrsgeografischen und topografischen Gegebenheiten waren in Lossow optimale Voraussetzungen für Fernhandelsverbindungen gegeben. Seine Höhenlage – 30 m über der Oder – erlaubte sowohl flussauf- als auch flussabwärts einen weiten Blick auf die Wasserstraße. Damit konnte der Verkehrs- und Handelsweg in Nord-Süd-Richtung des Flusses kontrolliert werden. Im Weiteren bot die Höhenlage aber auch einen weiten Blick über das Niederungsgebiet östlich des Flusses, und es ist davon auszugehen, dass es an dieser schmalen Stelle der Oder schon in frühen Zeiten einen Übergang gegeben hat, an dem die Flussüberquerung in östliche und westliche Richtung von beiden Seiten des Oderufers möglich war
87 Die Realisierung des Projektes erfolgte in Anbindung an den seinerzeitigen Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte an der HumboldtUniversität zu Berlin und an das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum sowie in fachwissenschaftlicher Einbindung innerhalb des Exzellenzclusters „TOPOI – The Formation and Transformation of Space and Knowledge in Ancient Civilizations“ (Forschergruppe Zentrale Orte).
und weiterführende Land- und Wasserwege genutzt werden konnten. Die Untersuchungen in Lossow waren jedoch nicht nur auf Funde und Befunde innerhalb der befestigten Burgwallsiedlung und deren Deutung beschränkt, sondern bezogen auch das siedlungsgeschichtliche und naturräumliche Umfeld des Burgwalls in die komplexen Untersuchungen mit ein. Im Jahre 2009 wurden Ausgrabungen in der direkt vor dem Burgwall liegenden Vorburgsiedlung sowie 2011 auf dem nur in 800 m Entfernung liegenden zeitgleichen Brandgräberfeld durchgeführt. Erstere war bereits durch eine kleine Sondage aus dem Jahre 1964 lokalisiert worden (Griesa 1965, 138 ff.). Das Gräberfeld dagegen konnte nur über eine intensive Ortsaktenund Literaturrecherche (Weigel 1890, 20 f.) sowie Flurbegehungen auf einer 27 ha großen Verdachtsfläche wieder entdeckt werden. Drei Suchschnitte von 110 qm erbrachten über 34 Befunde, die mehrere Urnengräber, Leichenbrandnester und Leichenbrandschüttungen sowie Branderdegruben beinhalteten. Die verwendete Grabkeramik sowie die Metallbeigaben umfassen eine mittel- bis spätbronzezeitliche Einordnung und weisen auf die zur Burg und Vorburg gehörende Bestattungsgemeinschaft hin (Beilke-Voigt 2012 b, 45 ff.). Das Fundmaterial dieser drei Fundplätze soll Ausgangspunkt für nachfolgende Darlegungen sein.
Archäologische Nachweise von Fernkontakten Beginnend mit dem Fundniederschlag lassen sich für Lossow zunächst Verbindungen in den Nordischen Kulturkreis nachweisen, die seit der jüngeren Bronzezeit bestanden. So sind es in erster Linie Metallobjekte, die Kontakte in den Norden belegen. Zum einen wurde im Bereich der Vorburgsiedlung ein bronzener Doppelknopf entdeckt, der durch Metalldetektoruntersuchungen im Jahre 2010 zutage kam (Abb. 1). Der 13 g schwere Knopf zeichnet sich durch eine schwach gewölbte Kopfplatte und eine kleinere, runde Bodenplatte aus. Der Durchmesser der Kopfplatte beträgt 2,3 cm und ist mit einer eingeritzten Kreuzverzierung versehen, die aus vier Linien besteht. Randbegleitend finden sich zwei umlaufende Reihen von Punkteindrücken. Die geringfügig kleinere Bodenplatte weist eine Größe von 1,5 cm auf. Durch Form und Verzierung ist der Doppelknopf dem Typ A Variante 1c nach Schmidt (1993, 54) zuzuweisen. Als Charakteristikum ist deren Kopfplatte durch ein eingetieftes Kreuz verziert, wie das holsteinische Beispiel von Kollow (UG 5), Kr. Hzgt. Lauenburg, zeigt (Schmidt 1993, 27 Taf. 11,3). Diese Variante findet ihre Verbreitung ausschließlich im Gebiet des Nordischen Kreises mit einer Fundkonzentration im südöstlichen und westlichen Holstein und datiert überwiegend in Periode IV, seltener an-
134
Abb. 1: Bronzener Doppelknopf. Dm. 2,3 cm
Abb. 2: Bronzener Plattenhalskragen (Ausstellungsvorbereitung Herbst 1927)
den Übergang zur Periode V (Schmidt 1993, 54 Karte 30 Liste 30). Zum anderen handelt es sich um den Altfund eines fünfteiligen bronzenen Halskragens, der aus den Ausgrabungsjahren 1926/27 stammt, in denen Wilhelm Unverzagt im Innenbereich des Burgwalls von Lossow Forschungen durchführte. Das
Beilke-Voigt, Burgzentrum Lossow Fundstück ist heute leider verschollen und nur noch als Fotonachweis überliefert (Abb. 2), (Beilke-Voigt/Schopper 2010, 47 ff.). Die Fundzusammenhänge sind unklar und nicht mehr zu rekonstruieren und auch die Archivunterlagen gaben keinerlei Anhaltspunkte auf die seinerzeitigen Fundumstände. Bei dem Halsschmuck handelt es sich um einen Plattenhalskragen, der aus fünf sichelförmigen, übereinanderliegenden Reifen zusammengesetzt ist. Die schmal auslaufenden Reifenplatten enden in nach außen eingerollten Ösen, in denen noch die Verbindungsstifte stecken. Das Schmuckobjekt gehört zu der großen Gruppe der Plattenhalskragen mit Rillenzier, die nach Wrobel Nørgaard (2011, 90 ff.) in zwei Gruppen unterteilt werden können. Der Halskragen aus Lossow kann dem Typ Bebertal Variante C zugeordnet werden. Charakterisierend für diesen Typ und auch analog für den Halskragen aus Lossow ist die großflächige Verzierung mit einem Flechtbandmuster, das an den Ösenenden zu einem Fischgrätenmuster ausläuft. Zwischen beiden Mustern ist eine Gruppe von Querstrichgruppen, einem liegenden Kreuz und einer weiteren Querstrichgruppe eingeschoben. Die einzelnen Sichelreifen besitzen eine gekerbte Krempe. Analoge Verzierungen finden sich auf den beiden Halskragen aus dem Hortfund von Bad Oldesloe, Kr. Stormarn, sowie auf einem Stück aus Bevensen, Kr. Uelzen, dessen Fundumstände unbekannt sind (Wrobel Nørgaard 2011, 94 Taf. 60,472–474). Vergleichsstücke zu dieser Halskragenvariante zeigen auch die drei Kragen aus den Hortfunden von Fredshög bei Vellinge (Grafschaft Schonen), Karritz (Kr. Stendal) und Nassenheide (Kr. Randow), (ebd., Taf. 60,475.476). Nach Sprockhoff (1956, 137) entwickelt sich diese Variante der Plattenhalskragen über mehrere Stufen aus den Halsringen der Periode III, die sich zunächst durch ein enges Flechtbandmuster mit schrägen Liniengruppen und dazwischen liegenden Querstrichzonen auszeichnen (ebd. 138 mit Abb. 36,1–3). In ihrer Verbreitung zeigen die Halskragen der Gruppe Bebertal eine Konzentration im Mittelelberaum in Höhe der Saalemündung und sind in lockerer Streuung vor allem im unteren Elbegebiet bis auf die Höhe Hamburgs vertreten (Wrobel Nørgaard 2011, 96 mit Abb. 58).88 Mit dem Hortfund aus Fredshög in Schonen zeigt sich der einzige Nachweis dieses Typs außerhalb Norddeutschlands. Das neue Fundstück aus Lossow wiederum stellt die östlichste Verbreitung des Typs Bebertal Variante C dar. Alle vorgestellten Vergleichstücke der Variante C datieren in Periode IV. Erst in Periode V ist eine Verlagerung der verschiedenen Typen der Plattenhalskragen nach Osten mit einer Konzentration an der Odermündung und in der nordpommerschen Hortgruppe festzustellen (ebd. 122 f. Abb. 89). Trotz der unklaren Fundumstände für das Lossower Stück kann davon ausgegangen werden, dass es auch aus einem Hortfund stammt. Halskragen, die in den frühen bronzezeitlichen Perioden (I bis III) noch mit einem hohen Stellenwert
88 Vgl. auch Sprockhoff 1956, 137 Karte 26.
Beilke-Voigt, Burgzentrum Lossow als Grabfund auftreten, sind ab der Periode IV nur noch aus Hortfunden bekannt. Diese Änderung des Deponierungsverhaltens wird mit der Aufgabe der Körper- und Manifestierung der Brandbestattung begründet. Dabei lassen sich für die Niederlegung innerhalb dieser jungbronzezeitlichen Depots keine regelhaften Kombinationen erkennen und es kann auch nicht festgestellt werden, ob Halskragen ausschließlich aus Schmuckhorten stammen. Ebenso sind gemischte Horte denkbar, in denen Geräte, Waffen und auch Halskragen gemeinsam niedergelegt wurden (vgl. Wrobel Nørgaard 2011, 136). Vermutlich ebenfalls aus einem Hort stammend, ist als weiteres Fundstück ein Bronzearmring zu nennen, der im Jahre 2007 bei landwirtschaftlichen Pflugarbeiten in Lossow/Güldendorf gefunden wurde (Frehse/Schopper 2009, 80 f.). Er ist mit Riefengruppen verziert und besitzt einen Durchmesser von 11,5 cm (Abb. 3). Das Hauptverbreitungsgebiet derartiger Armringe liegt in Niederschlesien, wo sie hier ebenfalls aus jungbronzezeitlichen Zusammenhängen und zumeist im Kontext von Hortdeponierungen stammen. Auch für den Bronzearmring aus Lossow „liegt eine solche Interpretation über den Vergleich mit den schlesischen Fundverhältnissen nahe“ (ebd., 82). Durch weitere, größtenteils mit dem Metalldetektor getätigte Neufunde deuten sich Hortniederlegungen im direkten Umfeld des Burgwalls von Lossow an (Fpl. 4 a: Bronzebarrenfragment mit dreieckigem Querschnitt, Gusskuchen). Ebenso weist ein Altfund von drei Miniaturknopfsicheln auf eine Hortniederlegung hin (Götze 1920, 34). Aus dem keramischen Material stammend, ist an dieser Stelle auf das Randfragment einer Lappenschale zu verweisen, das zunächst ebenfalls unter dem Aspekt einer nördlichen Herkunft beleuchtet wurde. Es stammt aus der Burgwallsiedlung und ist flächendeckend mit Fingerschüben versehen, die Lappenfläche selbst jedoch ist unverziert. Auf dem Schalenrand befinden sich Einkerbungen, die auch den Randlappen in die dementsprechende Verzierung einbeziehen (Abb. 4).
Abb. 4: Lappenschale. M 1:1
135
Abb. 3: Bronzener Armring. Dm. 11,5 cm
Erstmalig setzte sich Claus (1952) ausführlich mit dem Gefäßtyp der Lappenschalen auseinander, die sich durch „mehrfach lappen- bzw. zipfelförmige Ausgestaltung der Randpartie“ auszeichnen (ebd. 4). Charakteristisch für diese Schalenform ist, dass sie entweder sehr flach gehalten sind und fast tellerartig wirken, genauso gut aber auch tiefer gearbeitet und damit schüsselähnlich sein können. Als Grundformen werden langrechteckige von Formen mit quadratischem Grundriss unterschieden (ebd. 17). Dabei scheinen die verschiedenen Schalenformen keine Entwicklungsreihe aufzuzeigen, son-
136 dern territorial unterschiedlich zu sein. So weisen die langrechteckigen Exemplare in die nordwestliche Altmark, die quadratischen eher in den niedersächsischen bzw. Hamburger Raum nördlich der Elbe (Harck 1981, 164 Abb. 3; Steguweit 1990, 185). Eine zeitliche Einordnung des niedersächsischen Materials konnte Claus (1952, 45) seinerzeit nicht eindeutig klären, stellte jedoch im Vergleich mit den niederländischen Lappenschalen eine zeitliche Gleichsetzung und Datierung in die Periode V bis VI fest. Außerdem verwies er auf das Vorkommen von Lappenschalen im Bereich der niederrheinischen Grabhügelkultur (ebd. 41). Den räumlichen Bezug in die südlichen Niederlande und das Rheintal stellte auch Harck (1981, 161 f.) bei der Behandlung dieser Fundgruppe im unteren Elbebereich heraus. So waren seinerzeit 35 Fundstellen beiderseits der Elbe mit Lappenschalen bekannt, die aus Gräbern und Siedlungen stammen (ebd. Abb. 1). Aber auch im Elb-HavelGebiet tritt dieser Schalentyp auf (Horst 1985, 98 Kartierung Abb. 60; Steguweit 1990, 183). Seine Datierung konzentriert sich hier auf die jüngste Bronzezeit, Periode V. Vereinzelte Funde von Lappenschalen liegen aus dem nördlichen und nordöstlichen Holstein (Schmidt 1993, 87) sowie aus sächsischen Fundstellen im Bereich der Lausitzer Kultur vor, die ebenfalls in Periode V datieren (Claus 1952, 4189; Harck 1981, 167). Zusammenfassend befasste sich in einer jüngsten Untersuchung auch Heske (2002) mit den jungbronzezeitlichen Lappenschalen und stellte als Hauptverbreitungsgebiet nochmals den niederländisch-niedersächsischen Raum mit einer Datierung an den Beginn und die entwickelte Periode V heraus (ebd. 111 ff.). Entgegen dieser Nordausrichtung ist die Fundgruppe der Lappenschalen jedoch auch in einem südlichen Verbreitungsgebiet anzutreffen. Čujanová-Jílková (1970) bildet zahlreiche Beispiele aus Grabstätten der mittleren Bronzezeit in Westböhmen ab90. Zudem formuliert sie, dass „Lappenrandschüsseln“ mit einfachen oder doppelten Lappen häufig im Mitteldonaugebiet auftreten (ebd. 16). Das Fragment der Lappenschale aus Lossow wurde in einem Grubenkontext gefunden, der nach Ausweis einer AMS-Datierung von Holzkohle zwischen 1261–1114 BC datiert91. Diese frühe Datierung lässt für das Lossower Fundstück damit eher eine Verbindung nach Süden (gegebenenfalls nach Böhmen) plausibel erscheinen. Ungeachtet dessen liegt mit dem Fundstück aus Lossow der bislang östlichste Nachweis einer Lappenschale vor. In Anknüpfung an diese Südausrichtung, lassen sich für Lossow generell weitaus mehr Kontakte in Richtung Süden belegen, die nun folgend skizziert werden sollen. Südliche Fernver-
89 Groß-Treben, Kr. Torgau (Sachsen-Anhalt), Niedergurig, Kr. Bautzen (Sachsen). 90 Mit Beispielen ebd.: 33 Abb. 1:12, 48 Abb. 76:13, 50 Abb. 14:12, 84 Abb. 60:18, 85 Abb. 59:16, 92 Abb. 107:13+15, 96 Abb. 111:20, 117 Abb. 94:15, 119 Abb. 97:18, 120 Abb. 96:8, 129 Abb. 68:11. 91 Die Probe wurde gemessen zu 2952±44 Radiokarbonjahren (Erl16309).
Beilke-Voigt, Burgzentrum Lossow bindungen sind bereits in frühbronzezeitlichen Fundkontexten nachweisbar. Es handelt sich hierbei um Keramik mit sog. Noppen- (oder Warzen-)verzierung, die aus der Vorburgsiedlung stammt (Abb. 5; 6). Ihre Herkunft ist im südwestdeutschen Gebiet zu verorten, in dem sie von der frühen Bronzezeit bis in die Urnenfelderzeit verbreitet ist. Größere krugartige Gefäße sind dabei eher älter, tassenartige Gefäße eher jünger zu datieren (Schopper 1993, 96). In Lossow bestätigt sich durch den Zusammenfund mit weiteren Aunjetitzer Gefäßfragmenten sowie durch die AMS-Datierung von Holzkohle aus derselben Siedlungsgrube eine frühbronzezeitliche Einord-
Abb. 5: Noppenkeramik. M 1:1
Abb. 6: Noppenkeramik. M 1:1
Beilke-Voigt, Burgzentrum Lossow nung des Komplexes (1692–1518 BC). Dieser Befund belegt somit für Lossow nicht nur Fernverbindungen in frühen Zeiten, sondern verdeutlicht auch die zeitliche Tiefe der Ansiedlung vor der Burg. Am Ende der mittleren und besonders in der jüngeren Bronzezeit lassen sich vermehrt Kontakte und damit eine bevorzugte Richtung für südliche Handelsbeziehungen und Fremdeinflüsse nachweisen. Das sind zunächst Verbindungen in das Mittelelbe-Saale-Gebiet, wie Funde technischer Keramik, die als Briquetage identifiziert wurde und aus der Burgwallsiedlung sowie aus dem bereits erwähnten Brandgräberfeld von
137
Abb. 7: Kelch- Briquetage. M 1:1
Abb. 8: Hohlkegel- Briquetage. M 1:1
Lossow stammt, zeigen. Diese Keramikgattung ist aus grobkörnig gemagertem, stark sandigem Ton gefertigt und zeigt eine raue, leicht graue bis rötliche Oberfläche. Bei den beiden Stücken aus der Burgwallsiedlung handelt sich um verdickte Randstücke von Briquetage-Gefäßen, die jeweils der Kelchbzw. der Hohlkegel-Briquetage zugeordnet werden können (Abb. 7; 8). Bei Briquetage, auch unter der Bezeichnung Salzgefäße oder Salzkuchenbehälter bekannt, handelt es sich um keramische Spezialgefäße, die der Trocknung, Formung und Normung eines festen Handelssalzes dienten und ab der Bronzezeit nachweisbar sind (Riehm 1969 a, 372). Dabei reihen sich die Lossower Fundstücke in das zu erwartende Fundspektrum außerhalb der Salzsiedezentren ein, deren Fragmente sich fast ausschließlich auf deren Oberteile beschränken. „Offenbar sind die Salzkuchen im Kopf des Siedegefäßes als Behältnis transportiert worden, der Fuß wurde dazu abgetrennt und blieb zurück“ (Bönisch u. a. 2012, 213). Mit diesen Fundstücken liegt also ein direkter Beleg vor, dass Salz nach Lossow verhandelt wurde. Als potenzielles Herkunftsgebiet dieses wertvollen Handelsgutes kommen mehrere Möglichkeiten in Betracht. Nachweislich sind die Salzlagerstätten in der Umgebung von Halle (Saale) und am Dürrnberg bei Hallein seit der Hallstattzeit ausgebeutet worden (Lang 1993, 194). Die Salzproduktion im oberösterreichischen Salzkammergut Hallstatt, Kreis Gmunden, ist ab der mittleren Bronzezeit nachgewiesen (Barth 1998, 123). Auch im Salzbergwerk in Wielkiczka, Kreis Wielkiczka, bei Kraków ist seit dem 13. Jh. v. Chr. Salzabbau archäologisch belegt (Riehm 1969 b, 102 mit Abb. 1; FriesKnoblach 2004, 7 f. 15).
Um die Herkunft der Lossower Briquetage räumlich zu verorten, wurden an dem kelchförmigen Fragment keramikanalytische Untersuchungen durchgeführt und mit Referenzmaterial an Briquetage verglichen, das von fünf anderen Fundorten92 stammt (Daszkiewicz/Schneider 2010; Bönisch u. a. 2012, Abb. 8 a).93 Als Ergebnis konnte für die Probe aus Lossow festgestellt werden, dass sie in ihrem Nachbrennverhalten durch die MGRAnalyse, d. h. das systematische Nachbrennen bei 900 °C, 1150 °C und 1200 °C, auffällige Ähnlichkeiten mit den Briquetage-Scherben aus der bronzezeitlichen Siedlung Bad Lauchstädt, Saalekreis bei Halle aufweist, in der zahlreiche, ebenfalls kelchförmige Briquetage-Keramik gefunden wurde. Dieses könnte als „ein Hinweis auf eine gemeinsame Herkunft“ gedeutet werden (Bönisch u. a. 2012, 207 Abb. 8 b). Große Ähnlichkeiten zeigten sich auch in den makroskopischen Übereinstimmungen der Scherben. Die durchgeführten 92 Außer Lossow handelt es sich um die Fundorte Saalhausen, Kreis Oderspreewald-Lausitz, Klein Jauer, Kreis Bautzen (beide Niederlausitz), Potsdam, Kreis Potsdam (Brandenburg), Bad Lauchstädt und Öchlitz (beide Saalekreis, Sachsen-Anhalt). Die keramikanalytischen Untersuchungen wurden von Dr. Małgorzata Daszkiewicz und Dr. Gerwulf Schneider (Topoi, Freie Universität Berlin) durchgeführt. Bei beiden Kollegen möchte ich mich für die Untersuchung sowie Diskussion herzlich bedanken. Herrn Dr. Eberhard Bönisch danke ich für die Einbeziehung des Lossower Fundstückes in seine Untersuchungsreihe und dessen Finanzierung recht herzlich. 93 Um die Briquetage-Scherben näher zu klassifi zieren und die Aussagefähigkeit der Methodik zu überprüfen, wurden drei voneinander unabhängige Untersuchungsmethoden gewählt. Diese umfassten die Ermittlung der chemischen Zusammensetzung, mikroskopische Untersuchungen über Dünnschliff sowie die Untersuchung des Brennverhaltens der Matrix über die MGR-Analyse. Zur Methodik der MGRAnalyse vgl. Daszkiewicz/Schneider 2001, 25 ff.
138 Dünnschliffuntersuchungen jedoch konnten die Ergebnisse in dieser Auffälligkeit leider nicht bestätigen. Dennoch ist aufgrund der großen Ähnlichkeit der verwendeten Tone sowie des Nachbrandbildes ein Import aus dem „etwa 130 km entferntem Gebiet um Halle a. d. Saale als nächstgelegenes Salzsiedezentrum mit massenhaftem Vorkommen gerade dieses Briquetagetyps in Betracht“ zu ziehen (Bönisch u. a. 2012, 216). Auch die Datierung des Befundes, aus dem die Lossower KelchBriquetage stammt (1212–1109 BC), stützt die bisherigen Beobachtungen von anderen Fundorten. So ist die kelchförmige Briquetage hauptsächlich mit einer zeitlichen Einordnung in die Fremdgruppen- bis Jungbronzezeit nachgewiesen, doch findet sie sich auch in jüngstbronzezeitlichen Kontexten (Bönisch u. a. 2012, 213). Auch aus der zeitgleichen Vorburgsiedlung, die erstmalig in die komplexen Untersuchungen zum Lossower Burgwall einbezogen wurde, gibt es Anzeiger für überregionale Kontakte in das Mittelelbe-Saale-Gebiet und darüber hinaus. So ist an Metallfunden ein bronzenes einschneidiges Rasiermesser zu erwähnen. Mit einer 7,5 cm langen, trapezförmigen Klinge und nahezu geradem Rücken findet es seine Parallelen in den Lausitzer Messern der Typen Lháň und Hrušov, die eine Verbreitung im Mittelelbe-Saale-Gebiet bis zur March aufweisen und in die Bronzezeitperiode III datieren (Jockenhövel 1971, 188 ff.). Mit dem Fund aus Lossow ist das nördlichste Vorkommen dieses Messertyps belegt (Mehner 2010, 85 f. Abb. 7). Im Weiteren sind in dem hier interessierenden Zusammenhang zwei Bronzenadeln vom Lossower Gräberfeld zu nennen, die ebenfalls aus südlich gelegenen Einflussgebieten stammen. Eine Bronzenadel von 11 cm Länge gehört in die große Familie der profilierten Nadeln (Abb. 9; 10). Sie zeichnet sich durch einen konisch gewölbten Kopf aus, der an seiner Oberseite durch drei umlaufende Rillen verziert ist. Unter dem Kopf befindet sich eine flache, doppelkonisch ausgebildete Halsrippe am Nadelschaft. Nahestehende Vergleichsstücke finden sich in der großen Gruppe der Nadeln mit abgerundetem Kopf und Halsrippen und ihren zahlreichen Varianten, wie sie Kubach (1977) erstmalig herausarbeitete. Insbesondere die Nadeln mit pilzförmigem, fein profilierten Kopf und Halsrippen sind hier vergleichend zu nennen, für die eine Verbreitung im östlichen Mitteleuropa mit einer Datierung in die frühe Urnenfelderzeit gegeben ist (ebd. 412 f. Taf. 66,981). Ihre Entsprechungen finden sie in den profilierten Nadeln der Variante Mostkovice, die für den polnischen Raum von Essen (1985) aufgearbeitet wurden. Sie ist durch einen profilierten konischen oder halbkugeligen Kopf gekennzeichnet. Der Hals ist meist mit einem, selten zwei Halsknoten versehen. Oft besteht der Schaft aus einem leicht verdickten Mittelteil (Essen 1985, 54 Taf. 14–15 Nr. 286–327 A). Nach Essen (1985, 58; 64 Karte Taf. 30B) liegen die meisten Funde der profilierten Nadeln im südwestlichen Teil Polens vor: im Bereich der Schlesischen Gruppe, den angrenzenden Gebieten der Oberschlesisch-Kleinpolnischen Gruppe sowie in der Umgebung Krakóws und sind an den Flusslauf der
Beilke-Voigt, Burgzentrum Lossow
Abb. 9: Bronzenadel mit profiliertem Kopf und Halsrippe. o. M.
Abb. 10: Bronzenadel mit profiliertem Kopf und Halsrippe. M. 1:1
Oder gebunden. Vereinzelt finden sich Exemplare in Niederschlesien, im Lebuser Land und Westpommern. Am zahlreichsten ist die Variante Mostkovice im Gräberfeld von Kietrz, woj. Opole, belegt, welche zeitlich der jüngeren Gruppe der frühlausitzer Nadeln angehört. Ähnlichkeit besitzt das Lossower Fundstück mit einer Nadel dieser Variante aus dem Brandgrubengrab 1197 von Kietrz, das in HaB1 bzw. in die zweite Hälfte der Periode IV datiert (Essen 1985, 55; 58 Taf. 14,295).
Beilke-Voigt, Burgzentrum Lossow
Abb. 11: Bronzene Vasenkopfnadel. o. M.
Abb. 12: Bronzene Vasenkopfnadel. M. 1:1
Im mährischen Raum und im Gebiet der Ostalpen gehört die Variante Mostkovice zu den Nadeln mit „böhmischer“ Profilierung, die von Říhovský (1979, 153 ff.) monografisch vorgelegt wurden. Auch sie besitzen einen z. T. reich gegliederten Kopf, unterhalb dessen sich eine oder mehrere Halsrippen anschließen. Nach der Art der Kopfgliederung wird in vier Varianten unterschieden, wobei für die Variante Mostkovice ein gegliederter Kopf, der tendenziell in Form eines Doppelkonus beschrieben wird, kennzeichnend ist. Die Kopfunterseite ist geradlinig-trichterförmig verjüngt, die Oberseite meist stufenartig gegliedert (ebd. Nr. 1157–1213). Vergleichbar mit dem Lossower Fundstück ist die Nadel aus der Siedlung von
139 Bedihošt, Kreis Prostějov (Mähren), deren Kopf durch drei umlaufende Rillen gekennzeichnet ist. Wie auch die Nadel von Kietrz scheinen beide jedoch stärker profiliert zu sein, als das Lossower Fundstück (ebd. 153 Taf. 48.1157). Auch die der Variante Mostkovice nahe stehende Nadel von der mährischen Höhensiedlung Luleč, Bez. Vyškov mit einer Länge von 13,1 cm ist der Lossower Nadel vergleichbar, doch ist der halbkugelige Kopf dieser Nadel nur durch eine umlaufende Rille verziert (ebd. 156 Taf. 49,1215). Auch Říhovský (ebd. 158) konstatierte eine ostmitteleuropäische Verbreitung der Nadeln vom Typ Mostkovice, die ihren räumlichen Schwerpunkt im Gebiet der Lausitzer Kultur in Mittel- und Nordmähren, Nordostböhmen und Schlesien aufweisen und hier in die frühe Urnenfelderzeit datieren (ebd. 156 f.; vgl. auch Essen 1985, 59). Weniger Fundstücke gibt es im mitteldonauländischen Kulturraum Südmährens und Niederösterreichs (Říhovský 1979, 158). Vereinzelt sind Nadeln dieses Typs aus der Slowakei bekannt. Hier sind es die reich profilierten Nadeln mit Pyramidenkopf, die Novotná (1980, 135 f. Taf. 40,880–883) mit vier Beispielen vorstellte, doch auch bei diesen Stücken sind die Köpfe stärker profiliert. Einzelne profilierte Nadeln dieses Typs finden sich außerdem in Sachsen (Coblenz 1952, 99 Taf. 69,3 sowie 112 f. Taf. 47.10; Kaufmann u. a. 1966, 317 Abb. 8,2). Weitere Funde der Nadeln des Typs Mostkovice sind auch aus der Oberpfalz, Bayern, Mitteldeutschland und Nordostungarn bekannt (Říhovský 1979, 158; Essen 1985, 59). Mit der Nadel aus einem Hügelgrab bei Slate, Kreis Parchim in Mecklenburg (Schubart 1956, 64 Abb. 31 g), und einer weiteren Nadel aus dem Grabfund von Refsgård, Amt Th isted in Nordwestjütland (Randsborg 1968, 53 Abb. 27,2), ist wohl die nördlichste Verbreitung profilierter Nadeln mit Halsrippe gegeben. Eine zweite und kleinere Bronzenadel von nur 6,2 cm Länge stellt eine Vasenkopfnadel dar, die sich in einem Leichenbrandnest befand (Abb. 11; 12). Sie zeigte starke Spuren von Feuereinwirkungen und einen alten Bruch, durch den der Kopf vom Nadelschaft abgetrennt worden war. Der leicht doppelkonische Vasenkörper trägt auf dem Umbruch eine schräg gekerbte Verzierung. Vasenkopfnadeln besitzen als gemeinsames Merkmal einen dreiteiligen, vasenförmigen Kopf, der aus einem Körper, einem Hals und einem Kopf besteht, welcher als Scheibe ausgeformt ist. Nach Říhovský (1979, 188 Taf. 56–63) werden sechs Hauptformen von Vasenkopfnadeln unterschieden. Diejenigen mit scharfem Umbruch am Vasenkörper (ebd. Nr. 1483– 1488) können als Parallelen für die Lossower Nadel herangezogen werden. Nadeln dieses Typs zeichnen sich durch einen annähernd doppelkonischen Körper mit meist scharfem, selten abgerundeten Umbruch aus. Dieser kann durch senkrechte Kerben verziert sein, wie die beiden Beispiele aus den mährischen Brandgräberfeldern von Kožušany, Bez. Olomouc bzw. Polkovice, Bez. Přerov, zeigen (ebd. 190 Taf. 56,1483; 1485). Als Zeitstellung gibt Říhovský (ebd.) an, dass die westlich seines Arbeitsgebietes vorkommenden Nadeln mit schar-
140 fem Umbruch der Riegsee-Stufe (Bronzezeit-Stufe D/IIIa) zugewiesen werden. Ihr Verbreitungsschwerpunkt liegt in Oberbayern und Salzburg. Vereinzelt finden sich Nadeln in Böhmen, Oberösterreich, Nordtirol, Mittelfranken und Schwaben. Die von ihm aufgeführten mährischen Funde stammen ausschließlich aus dem Lausitzer Kulturraum (ebd. 191). Ebenso finden sich zu dem Lossower Fundstück Parallelen in den jüngeren Vasenkopfnadeln, deren beiden Hauptgruppen nach Nadeln mit großem bzw. mit kleinem Kopf unterschieden werden, wobei deren Maße nicht definiert und die Übergänge fließend sind. Auch hier finden sich in beiden Gruppen Verzierungen in Form von Schrägstrichreihen am Umbruch des Vasenkörpers. Nach den Untersuchungen Říhovskýs (ebd. 205) setzen Nadeln mit kleinem Vasenkopf an der Wende von der mittleren zur jüngeren Urnenfelderzeit ein. Ihre räumliche Verbreitung zeigen sie in Südmähren und Niederösterreich (ebd. 206). Neben diesen Südkontakten scheint sich zum Ende der jüngsten Bronze- und am Übergang zur frühen Eisenzeit in Lossow eine verstärkte Beeinflussung und Ausrichtung der Beziehungen entlang der Oder nach Osten und damit in den schlesischen Raum abzuzeichnen. So fanden sich im Lossower Keramikmaterial mehrere Scherben mit einer metallisch glänzenden Oberfläche, die durch Graphitierung der Wandung hervorgerufen wurde. Auch auf anderen Fundplätzen der früheisenzeitlichen Billendorfer und Göritzer Gruppe finden sich Funde graphitierter Keramik. Buck (1979, 72; 129) geht davon aus, dass sowohl die Sitte der Graphitierung als auch importierte Graphitgefäße für den Bereich der Billendorfer Gruppe auf Verbindungen zur Mittelschlesischen-Westgroßpolnischen Gruppe zurückzuführen sind (ebd., Abb. 58). Als importierte Gefäße wurden aus Mittelschlesien einzelne Trichterrandvasen und -schalen, aber auch Omphalos- und Henkelschalen sowie Amphoren eingeführt. Sie kommen in diesem Gebiet bereits in der jüngsten Bronzezeit vor. Einheimische Werkstätten im Bereich der Lausitzer Kultur werden nach Buck (ebd.) in der Umgebung von Bautzen in der Oberlausitz vermutet, da hier eine auffallend hohe Konzentration graphitierter Gefäße festzustellen ist. Möglicherweise wurden sie hier als lokale Handwerksprodukte hergestellt und weiterverhandelt. Wie auch an den Lossower Fundstücken war nur die Außenseite dieser Keramik graphitiert. Buck (ebd.) geht davon aus, dass der für die Herstellung einheimischer Keramikware benötigte Graphit vielleicht aus Böhmen eingetauscht worden sein könnte.94 Bei den einheimi94 Sowohl graphitierte Gefäße als auch Funde reiner Graphitstückchen liegen aus jungbronzezeitlichen Siedlungen und vereinzelt aus Gräbern der Knovízer Kultur vor. Dabei sind Rohgraphitnachweise in der Mehrzahl aus Böhmen, weniger aus Mähren bzw. Österreich bekannt (Chvojka 2001, 85 f.). Insbesondere in Südböhmen wurden die Rohgraphitvorkommen aus der Umgebung von Český Krumlov und Umgebung von Týn nad Vltavou seit der älteren Bronzezeit genutzt (ebd. 135). Auch wenn entsprechende Belege nicht zur Verfügung stehen, ist für Chvojka (ebd. 138) nicht auszuschließen, dass Graphit direkt aus Südböhmen ausgeführt wurde.
Beilke-Voigt, Burgzentrum Lossow schen Gefäßen mit Graphitierung handelt es sich um gängige Billendorfer Formen wie Spitzkannen, Omphalosschalen, Amphoren, Doppel- und Kopplungsgefäße sowie Tassen. Sie datieren hier in die ältere Billendorfer Stufe (Ha C1). Auch Griesa (1982, 43) stellte für den peripher gelegenen Bereich der Göritzer Gruppe im unteren Wartagebiet fest, dass hier gelegentlich Graphitierungen an Gefäßen auftreten, die als Importe aus dem mittel- und westpolnischen Gebiet anzusprechen sind. Im Bereich des Oderlaufes wurden von Griesa (1982, Karte 14) seinerzeit keine graphitierten Gefäße dokumentiert, sodass Lossow nunmehr den nördlichsten Fundpunkt entlang der Oder markiert. Im Weiteren ließen sich in Lossow an einer Reihe von Scherben weiße Überzüge feststellen. Um diese näher zu klassifizieren, wurde über die MGR-Analyse, die Matrixzusammensetzung der Scherben zu ermittelt (Daszkiewicz/Schneider 2001). Die Ergebnisse zeigten, dass der weiße Überzug aus einem kalkreichen Tonauftrag bestand, der absichtlich aufgetragen wurde (Daszkiewicz/Schneider 2010). Nicht auszuschließen ist, dass dieser eine Art von Bemalung darstellen sollte. Ebenso wie die Graphitierung sind Anregungen zur Bemalung nach Buck (1979, 129 Kartierung Abb. 98) aus dem mittelschlesischen Gebiet und der dortigen Keramik in unseren Raum gekommen. In diesem Zusammenhang verweist er auf vier einheimisch erzeugte Ofenmodelle, die mit einer weißen Kalkbemalung versehen waren. Diese sowie auch die bemalte Keramik in Mittelschlesien datieren in die Hallstattstufe C. Ihre Verbreitung folgt in der Billendorfer Gruppe den großen Flüssen Oder, Bóbr, Neiße und Spree. Nicht nur über Funde, sondern auch durch den bautechnischen Befund der Wallkonstruktion ist auf eindrucksvolle Weise belegt, dass Fernkontakte im spätbronze-/früheisenzeitlichen Zeithorizont insbesondere zur schlesischen Gruppe bestanden. Dieser bezieht sich auf die Holzkastenkonstruktion, welche die Wallbefestigung von Lossow charakterisiert. Im Osten und Süden durch natürliche Steilhänge bis zu 30 m Höhe gesichert, musste die Burganlage von Lossow lediglich im Norden und Westen künstlich befestigt werden, was sich heute noch im Gelände durch einen gut 6 m hohen Erdwall repräsentiert. Er wurde in zwei Bauphasen errichtet. Eine erste, aus der Bronzezeit stammende Befestigung, wurde in Planken- bzw. Palisadenbauweise erbaut und zeichnete sich durch zwei Reihen großer Pfosten und einer dazwischen liegenden Reihe kleinerer Pfosten aus, die in die alte Oberfläche eingetieft waren (Unverzagt 1969, 337). Diese erste Phase kann durch aktuelle AMS-Datierung von Holzkohle mit einem kalibrierten Alter von 1406–1292 BC angegeben und damit zeitlich an den Übergang von der Mittel- zur jüngeren Bronzezeit (Periode III/IV) datiert werden.95
95 Die Neudatierung basiert auf einer HK-Probe der Grabungen Geislers von 1968. Diese erbrachte seinerzeit ein unkalibriertes C14-Datum von 1035 ±80 v. u. Z. (Geisler 1969, 140). Die Neudatierung der Probe wurde gemessen zu 3065 ±48 Radiokarbonjahren (Erl-16327).
Beilke-Voigt, Burgzentrum Lossow Für die nachfolgende zweite Bauphase konnte bereits Agahd durch seine Ausgrabungen im Jahre 1909 erstmalig eine Holzkastenkonstruktion für die Wallanlage von Lossow nachweisen, die bis dahin von anderen Burganlagen in der Forschung noch nicht bekannt war (Agahd 1911, 308 ff.). Diese Ergebnisse wurden durch die Grabungen von Unverzagt, die er im Jahre 1927 im Bereich des Nordwalls durchführte, bestätigt. Unverzagt (1969, 337) beschrieb, dass es sich um mehrere mit Steinen gefüllte Holzkästen von 3,50 × 1,50 × 1,20 m Höhe gehandelt habe, die diese Konstruktion bildeten. Selbige war in regelmäßigen Abständen mit Schlickbändern überzogen, was wohl ein Abrutschen des Wallkörpers verhindern sollte. Durch die aktuellen Forschungen in Lossow konnte ergänzend festgestellt werden, dass es in diesem Zusammenhang auch zur Anlage eines äußeren Grabens gekommen sein muss, der vor dem Burgwall lag. Dieser konnte durch Bohrkernsondagen als eine ca. 25 bis 30 m breite und 3 m tiefe Eintiefung nachgewiesen werden (Beilke-Voigt 2010 a, 62, Taf. 1.2). Eine Datierung von Holzkohle aus zwei Bohrkernen, die unterhalb der Grabensohle lagen, ergab ein kalibriertes Alter in der zweiten Hälfte des 9. Jh. v. Chr.96 und zeigt somit einen terminus post quem für seine Datierung an. Nach Voß (1987, 22) sind die ältesten Nachweise von Holzkastenkonstruktionen in Burgwällen für das südwestmitteleuropäische Gebiet in der mittleren Bronzezeit (1400 v. Chr.) belegt. Diese dienten als Vorbild für die Träger der mittelschlesischen Gruppe, welche die Bauweise ab der jüngeren Bronzezeit übernahmen. Erst zu Beginn der frühen Eisenzeit wurden auch die Burgwälle nördlich der Neiße in Kastenbauweise errichtet bzw. frühere Befestigungssysteme wie Lossow, Lebus und Swobnica umgebaut. Voß (ebd.) führt diesen sichtbaren Wechsel in der Konstruktionsweise der Wälle auf „verstärkte Kontakte der Göritzer Gruppe mit der mittelschlesischen Gruppe“ zurück. Ähnlich formulierte schon Herrmann (1969, 75) zur Verbreitung der Kastenbauweise, dass sie in Schlesien bereits mit der Periode V nachzuweisen ist, im mittleren Odergebiet und Großpolen dagegen erst seit der Periode VI. Diese Annahme findet Bestätigung in den ausgewiesenen AMS-Daten von Lossow, die einen Befestigungsumbau am Ende der jüngsten Bronzezeit bzw. am Übergang zur frühen Eisenzeit nahe legen. Letztendlich und ebenfalls aus einem früheisenzeitlichen Kontext stammend, soll an dieser Stelle auf den außergewöhnlichen Fund einer kleinen bronzenen Widderfigur aufmerksam gemacht werden, die 2008 innerhalb der Burgwallsiedlung gefunden wurde (ausführlich Beilke-Voigt 2012 a, 341 ff.). Diese kleine Figur von nur 4,5 cm Länge und einer Höhe von 3,5 cm wurde in einem Gussvorgang gefertigt (Abb. 13). Der Widder steht auf vier schlanken, sich leicht nach unten verjüngenden Beinen. Grazile Körperproportionen kennzeichnen die kleine
96 Probe 1 (Erl-12467): 850 BC bis 807 BC. Die Probe 1 wurde gemessen zu 2689 ±40 Radiokarbonjahren. Probe 2 (Erl-12468): 845 BC bis 799 BC. Die Probe 2 wurde gemessen zu 2670 ±40 Radiokarbonjahren.
141 Plastik, die keine weiteren Verzierungen trägt. Lediglich die Augen sind durch zwei schwache Eindellungen und das Maul durch eine Ritzlinie angedeutet. Der Rücken des Tieres trägt eine durchgehende senkrechte Durchlochung. Für eine indirekte zeitliche Einordnung konnte Holzkohle durch AMS-Datierung beprobt werden, die unmittelbar unter der Figur lag. Die Probe ergab ein Alter von 809–732 BC.97 Stilistische Vergleiche mit anderen Tierfiguren dieser Zeit weisen in den südosteuropäischen Raum (mittleres Donaugebiet) bzw. in den griechischen Kulturkreis, wo vergleichbare bronzene Tieranhänger in hallstattzeitlichen Frauenbestattungen bzw. als Statuetten aus Heiligtümern spätgeometrischer Zeit bekannt sind. So erbrachten die Ausgrabungen in Olympia eine Vielzahl bronzener Tierfiguren, die ebenfalls die charakteristische Rückendurchlochung tragen. Einschränkend muss jedoch betont werden, dass es sich hier vornehmlich um Rinder- und Pferdefiguren handelt (Heilmeyer 1979, 196). Analog den Untersuchungen von Heilmeyer konnte auch Kilian-Dirlmeier (1979, 186; 225) feststellen, dass die kleinen freistehenden Widderfiguren im griechischen Kulturkreis aus spätgeometrischen Heiligtümern bekannt und weitaus seltener als die bereits oben erwähnten Vierfüßler sind (ebd. Taf. 59,1128; 1129). Ihre Größen liegen zwischen 2,6 und 4,4 cm, vereinzelt sind sie senkrecht durchlocht. Im Weiteren gibt es einige wenige Widderfiguren, die mit einer Rückenöse versehen sind und als Anhänger getragen wurden (ebd. 188 f.). Diese Tieranhänger stammen in der Regel aus Bestattungen weiblicher Individuen, ohne dass auf einen Status der Frauen zu schließen wäre. Durch deutliche Abnutzungsspuren und Reparaturstellen ist für Kilian-Dirlmeier (ebd. 262) eine funktionale Ansprache als Anhänger unzweifelhaft. Auch wenn sie im Kontext von Heiligtümern gefunden wurden, sind sie neben den Nadeln, Fibeln und Ringen ebenso „zu den Weihungen realen Trachtzubehörs“ zu zählen. Jüngste Bearbeitungen zu Tierfiguren und -anhängern im pannonisch-balkanischen Raum stellten Metzner-Nebelsick (2002, 448 Kartierung in Abb. 199) und Teßmann (2009, 195 mit Abb. 9 Liste 6) zusammen. Beide konnten analog den älteren Forschungen feststellen, dass kleine Widderfiguren auch im Balkangebiet selten anzutreffen sind, dagegen Pferde- und Rinderfigürchen weitaus häufiger vorkommen. Sie finden sich dort zumeist in reichen hallstattzeitlichen Frauengräbern. Als gemeinsames Merkmal tragen alle erfassten Widderfiguren vertikale Rückenösen. Senkrecht durchlochte Anhänger kommen nicht vor. Mit einer bereits durch Kilian-Dirlmeier (1979, 188) erkannten Konzentration von Tierfiguren im spätgeometrischen Mittelgriechenland und Thessalien, lässt sich ein Neufund aus den jüngsten Ausgrabungen des antiken Orakelheiligtums Abai (heutiges Kalapodi), das nördlich von Athen gelegen ist, anführen. Hier wurde eine kleine Widderfigur von ebenfalls nur 4 cm Größe gefunden, die innerhalb von Votivniederlegungen
97 Die Probe wurde gemessen zu 2562 ±40 Radiokarbonjahren (Erl-12472).
142
Beilke-Voigt, Burgzentrum Lossow
Abb. 13: Bronzene Widderfigur. Höhe 3,5 cm
eines Tempels lag, welcher durch ein Erdbeben um 740/730 v. Chr. zerstört wurde (Niemeier 2008, 100 ff. Abb. 7). Während der Widder von Lossow eine Tendenz zu schmal gestreckten Proportionen zeigt, wirkt die Widderfigur von Kalapodi eher gedrungen und kräftig. Dennoch stehen beide Figuren in einem engen stilistischen Zusammenhang und das griechische Exemplar stellt bislang die beste Parallele zum Lossower Fundstück dar. Insbesondere weisen sich beide Tierplastiken durch die senkrecht durchlochte Rückenpartie aus. Diese stilistischen und zeitlichen Parallelen finden zudem ihre Unterstützung in den metallanalytischen Untersuchungen, die für den Lossower Widder durchgeführt wurden.98 Die Analyse ergab, dass es sich um eine niedrig legierte Zinnbronze mit einem geringen Bleizusatz handelt. Dabei weist die chemische Zusammensetzung einschließlich des Spurenelementmusters klare Übereinstimmungen mit spätbronzezeitlichen Objekten aus dem Balkanraum auf.
98 Die Metallanalyse wurde im Curt-Engelhorn-Zentrum für Archäometrie von Prof. Dr. Ernst Pernicka mittels energiedispersiver Röntenfluoreszenzanalyse (EDRFA) vorgenommen (2011). Ihm sei an dieser Stelle recht herzlich für die Untersuchungen und Berichtverfassung gedankt.
Somit ist in Synthese der stilistisch aufgeführten Vergleiche, der zeitgleichen Datierung in das 8. Jh. v. Chr. sowie letztendlich der Metallanalyse für die Lossower Widderfigur ein Herkunftsgebiet im Balkan- bzw. antiken Mittelmeerraum nicht nur in Betracht zu ziehen, sondern unzweifelhaft belegt.
Die Rolle der Oder als Fernhandelsweg Aufgrund des Fundspektrums aus Lossow ist zunächst festzuhalten, dass bereits mit den Anfängen der befestigten Burgwallsiedlung weitreichende Kontakte nachzuweisen sind. Diese Kontakte reichten sowohl in den Nordischen Kreis als auch – und das mehrheitlich – in den Süden. Dabei sind insbesondere die Verbindungen in südlicher Richtung der Oder folgend in das mittelschlesische Gebiet, aber auch in den böhmisch-mährischen Raum, über das Balkangebiet bis in die Ägäis hervorzuheben, welche von einer überregionalen Reichweite der Kontakte zeugen. Zurückkommend auf die Ausgangsthese wurden diese überregionalen Kontakte und Fernhandelsbeziehungen mit der verkehrsgünstigen Lage an der Oder begründet, die optimale Vorraussetzungen für deren Herausbildung bot.
Beilke-Voigt, Burgzentrum Lossow Nach Horst (1982, 240 f.) wurden die Verbindungswege der jüngeren Bronze- und frühen Eisenzeit im nördlichen Mitteleuropa durch das Flusssystem vorgezeichnet. Dabei maß er insbesondere der Oder als östliche Fernhandelsroute und der Oder-Weichsel-Verbindung eine besondere Bedeutung bei, die kontinuierlich von der älteren bis in die jüngere Bronzezeit als Hauptverbindungsweg genutzt wurde und bis in die frühe Eisenzeit ohne Unterbrechungen funktionierte. Als Nord-SüdVerkehrsachse reichte sie sowohl bis an die Ostsee und führte von hier weiter bis in das skandinavische Gebiet als auch in ihrer Südverbindung bis in den Donauraum. Über sie konnte demzufolge auch der Fernhandel abgewickelt werden. Voß (1987, 21 Karte 1) kartierte seinerzeit neben Lossow und Lebus weitere 45 Burgwälle aus der jüngeren Bronze- und frühen Eisenzeit entlang der Oder. Damit reiht sich Lossow in ein Gefüge weiterer Burgwälle aus der Lausitzer Kultur entlang des Flusses und seinen abzweigenden Flusssystemen ein (ebenso Koepke 1996, Karte 5). Vor diesem Hintergrund ist auch Buck (1979, 78 f. Abb. 66) zu verstehen, wenn er formuliert, dass insbesondere der Oderweg für die Stämme der Lausitzer Kultur in Schlesien, Brandenburg und Ostsachsen eine „entscheidende Bedeutung [hatte]. Regional wichtige Straßen zweigten vom Oderweg ab und verliefen entlang der Neiße und der Spree. […] An diesen Wegen finden wir Metallhorte und Importe aus dem mitteldonauländischen Raum, ja selbst aus dem provinzialgriechischen Gebiet.“ Dennoch ist die Rolle der Oder als Fernhandelsweg nicht unumstritten. Ging die ältere Forschung noch von einer großen Bedeutung des Flusses aus (vgl. Voß 1987, 24), so stellt die jüngere Forschung diese Rolle infrage. So konstatierte Maraszek (1998, 12) aus ihren Untersuchungen, dass die Oder „zu den weniger gewichtigen Schwestern in der europäischen Flussfamilie [gehört]. […] Nicht so gewaltig wie die Donau, nicht so zentral gelegen wie die Elbe, längst nicht so beobachtet wie der Rhein“, beschreibt sie den Fluss in diesem Zusammenhang. Und auch im Rahmen der Untersuchungen zum sog. Oder-Projekt wurde für die hier interessierende Bronze- und frühe Eisenzeit zusammenfassend festgehalten, dass „eine besondere Bedeutung des Flusses […] sich nicht erkennen“ lässt (Gringmuth-Dallmer 2007 a, 61). Die insgesamt geringe Bedeutung der Oder wird in diesem Zusammenhang mit den naturräumlichen Gegebenheiten begründet, die sie durch starkes Mäandrieren und durch extrem schwankende Wasserführung „nie zu einer natürlichen Wasserstraße werden“ ließen (ebd. 71). Zwar werden der Oder siedlungs- und kulturverbindende Eigenschaften zugebilligt (ebd. 64) und auch für die lokale Kommunikation soll sie bedeutend gewesen sein, doch „hat sie als Leitlinie für weiträumige Kultureinflüsse und Innovationen nur selten eine bestimmende Rolle gespielt“ (ebd., 66). Ab der frühen Eisenzeit (7. Jh. v. Chr.) wird der Oder jedoch wieder eine gewisse Bedeutung eingeräumt. Die Häufung an früheisenzeitlichen Burgen entlang des Flusslaufes, Importe aus Italien und den Ostalpengebieten sowie Funde bemalter Keramik werden in diesem Zusammenhang als Be-
143 gründung angeführt (Gringmuth-Dallmer 2007 a, 68; 2007 b, 127 f.). Wenn der Oder auch nicht dieselbe Rolle wie anderen großen mitteleuropäischen Flüssen zugesprochen wird, so ist m. E. speziell für Lossow dennoch davon auszugehen, dass sie als große Nord-Süd-Verbindung mit ihren abzweigenden Flusssystemen ihre berechtigte Bedeutung als Fernhandels- und Kommunikationsweg im Lossower Umfeld gehabt hat. In Mähren entspringend, durchfließt sie die Mährische Pforte und durchquert das schlesische Gebiet in Richtung Nordosten bis sie in fast geradliniger Wasserführung nach Norden in die Ostsee mündet. Größere abzweigende Flüsse wie die Noteć – von hier aus war die Weichsel über Landverbindungen erreichbar – im Norden bzw. Bóbr, Neiße und Warta im Süden, aber auch kleinere Flussläufe erweitern das Einzugsgebiet der Oder erheblich und ermöglichten damit Kontakte in Ferngebiete. Eines dieser Ferngebiete war von der Quelle der Oder entlang der Morava über die Donau bis in den Balkan- und Mittelmeerraum gegeben und wird auf eindrucksvolle Weise durch den Widder bekräftigt. Neben der Nord-Süd-Ausrichtung wird jedoch auch der OstWest-Verbindung eine erhöhte Aufmerksamkeit zukommen müssen. Lossow lag an einer geeigneten Übergangsstelle, die eine furtenähnliche Überquerung der hier nur 150 m breiten Oder problemlos ermöglichte. Durch die zumeist geringen Wasserstände war sie leicht zu überschreiten und damit „nie ein Hindernis für den querenden Verkehr“ räumte auch Gringmuth-Dallmer (2007 b, 131) ein. Über Landwege und weiterreichende Gewässer- und Flusssysteme ließen sich von hier aus weitere Räume nach Osten und Westen in der bronze- und früheisenzeitlichen Landschaft erschließen. Bereits Unverzagt (1928, 76) erkannte diese optimalen Gegebenheiten für Lossow und formulierte: „Diese Stelle besitzt eine hervorragende Bedeutung in strategischer und verkehrspolitischer Hinsicht.“ Neben den bedeutenden Oderübergängen von Breslau und Stettin nannte Unverzagt (1930, 307) den Übergang bei Frankfurt am wichtigsten und begründete dies mit den Worten: „weil er die großen Tieftäler des westlichen und nördlichen Deutschland mit den innerpolnischen und -russischen Gebieten verbindet.“ Der Burgwall von Lossow „ist so angelegt, dass er nicht nur eine Beherrschung des Frankfurter Oderübergangs, sondern auch des Flusslaufes südlich davon ermöglicht“, führte er weiter fort. Und auch Goldmann (1982, 212) verwies auf die günstige Lage des Burgwalls und formulierte „Die südliche Trasse verläuft über den Oder-Spree-Kanal. Dessen alte Odermündung liegt direkt am Fuße der Wehranlage von Lossow.“ In Anlehnung an Coblenz (1962, 31), der für die Burgen im südlichen Bereich der Lausitzer Kultur feststellte, dass für sie „selbstverständlich auch eine Bevorzugung wichtiger Knotenpunkte an Straßen und Flussübergängen angenommen werden kann“, ist in Bezug auf Lossow ebenso von einer bewussten Platzwahl in Hinblick auf die Bevorzugung und potenzielle Nutzung des Verkehrsweges an dieser Stelle auszugehen.
144
Gegenwerte zum Fernhandel Letztendlich ist die Frage zu stellen, welchen Gegenwert die Lossower Bevölkerung für die Einfuhr von Fremdgütern zu verhandeln hatte? Auch hier lassen sich aus den aktuellen Untersuchungen in Lossow mögliche Handelsgüter herausstellen, die Absatz im überregionalen Handelsverkehr fanden. So haben die archäozoologischen Untersuchungen, die für das Tierknochenmaterial aus der Burgwallsiedlung durchgeführt wurden, einen gewissen Anteil an Wildtieren (6 %) erbracht, von denen neben Wildschwein, Rothirsch und Reh insbesondere Rotfuchs, Dachs, Wildkatze und Feldhase zu nennen sind.99 Es ist nahe liegend, dass gerade diese Tiere als Pelzlieferanten eine gewisse Wertschätzung erfuhren. Ebenso ist eine Weiterverhandlung von Leder bestimmter Haus- und Wildtiere denkbar. Weitere naturwissenschaftliche Untersuchungen in Lossow bezogen sich auf archäobotanische Auswertungen der Bodenproben.100 Hier konnten neben mehreren Getreidearten, verschiedenen Hülsenfrüchten und Gemüse ebenso Ölsaaten wie Gebauter Lein und Saat-Leindotter nachgewiesen werden. Seinerzeit wurde im Zusammenhang mit dem bereits erwähnten Oder-Projekt aufgrund der botanischen Untersu-
99 Herrn Prof. Dr. Norbert Benecke (Eurasienabteilung, DAI Berlin) sei an dieser Stelle für die Tierknochenbestimmung sowie weiterführende Gespräche recht herzlich gedankt. 100 Für die Untersuchung der makrobotanischen Reste und deren Auswertung danke ich Herrn Dr. Hans-Peter Stika (Universität Hohenheim/Stuttgart) recht herzlich.
Beilke-Voigt, Burgzentrum Lossow chungen abgeleitet, dass der verstärkte Anbau von Faserlein im Laufe des 1. Jts. damit zusammenhängen könnte, „dass sich Leinen oder auch Leinöl vortrefflich als Handelsgut eignen und damit die Möglichkeit eröffnen, z. B. an Geräte aus Eisen oder andere Waren aus handwerklicher Produktion zu gelangen“ (Gringmuth-Dallmer 2002, 407). Möglicherweise ist dieser Wert bereits im bronzezeitlichen Umfeld von Lossow erkannt und genutzt worden.
Fazit Als Fazit der Darlegungen ist davon auszugehen, dass aufgrund der topografischen Lage – direkt an der Nord-Süd-Ausrichtung der Oder sowie ihrer furtenähnlichen Überquerung an dieser Stelle in Ost-West-Richtung – und vor dem Hintergrund der aufgezeigten Importe in Lossow ein Schnittpunkt der Fernhandelswege in alle vier Himmelsrichtungen bestanden hat. Wenn vielleicht auch nicht über große Streckenabschnitte, so wird die Oder aber im Umfeld von Lossow für die hier zu behandelnde Zeit als Transport-, Handels- und Kommunikationsweg ihre berechtigte Bedeutung gehabt und ihre Funktion als Mittler zwischen den Kulturen erfüllt haben.
Beilke-Voigt, Burgzentrum Lossow
Literatur Agahd 1911 R. Agahd, Der Burgwall von Lossow bei Frankfurt a. O. Prähist. Zeitschr. 3, 1911, 308–323. Barth 1998 F. E. Barth, Bronzezeitliche Salzgewinnung in Hallstatt. In: B. Hänsel (Hrsg.), Mensch und Umwelt in der Bronzezeit Europas. Abschlußtagung der Kampagne des Europarates: Die Bronzezeit: das erste goldene Zeitalter Europas. 17.–19. März 1997 (Kiel 1998) 123–128. Beilke-Voigt 2010 a I. Beilke-Voigt, Alt bekannt und neu untersucht. Zum aktuellen Forschungsprojekt und ersten Ergebnissen. In: I. Beilke-Voigt/F. Schopper (Hrsg.), Lossow. Alte Forschungen und neue Projekte. Mat. Arch. Brandenburg 4. Lossower Forsch. 1 (Rahden/Westf. 2010) 60–74. Beilke-Voigt 2010 b I. Beilke-Voigt, Methodische Überlegungen zu bronze-/früheisenzeitlichen Zentralorten mit Bezug auf den Burgwall von Lossow bei Frankfurt (Oder). In: C. Theune/F. Biermann/R. Struwe/G. H. Jeute (Hrsg.), Zwischen Fjorden und Steppe. Festschrift für Johan Callmer zum 65. Geburtstag. Internat. Arch. Stud. honoraria 31 (Rahden/Westf. 2010) 41–56. Beilke-Voigt 2012 a I. Beilke-Voigt, Der Widder von Lossow – Ein langer Weg in den Norden. In: B. Gediga/A. Grossman/W. Piotrowski (Hrsg.), Rytm przemian kulturowych w pradziejach i średniowieczu [Rhythmus der Kulturumwandlungen in der Ur- und Frühgeschichte]. Prace Kom. Arch. (Wrocław) 19 (Biskupin/Wrocław 2012) 339–353. Beilke-Voigt 2012 b I. Beilke-Voigt, Endlich wiederentdeckt. Das Gräberfeld von Lossow, Stadt Frankfurt (Oder). Arch. Berlin u. Brandenburg 2011, 2012, 45–49. Beilke-Voigt/Schopper 2010 I. Beilke-Voigt/F. Schopper, Sichelhalsringe aus Neu Lebus (Polen) sowie Hohenwalde und Lossow, Stadt Frankfurt (Oder). Arch. Berlin u. Brandenburg 2008, 2010, 47–49. Bönisch/Daszkiewicz/Schneider 2012 E. Bönisch/M. Daszkiewicz/G. Schneider, Gefäßausstattung eines jüngstbronzezeitlichen Kammergrabes der Lausitzer Kultur und Briquetage – Interpretation unter Einbeziehung von Keramikana lysen. In: H.-J. Beier/S. Ostritz/M. Küßner/D. Schäfer/V. Schimpff/ K. Wagner/A. Zimmermann (Hrsg.), Finden und Verstehen. Festschrift für Thomas Weber zum sechzigsten Geburtstag. Beitr. Ur- und Frühgesch. Mitteleuropas 66 (Langenweissbach 2012) 195–222. Buck 1979 D.-W. Buck, Die Billendorfer Gruppe. Teil 2, Text. Veröff. Mus. Uru. Frühgesch. Potsdam 13 (Berlin 1979). Chvojka 2001 O. Chvojka, Mittleres und unteres Flußgebiet der Otava. Jung- und Spätbronzezeit in Südböhmen. Fontes Arch. Pragenses 25 (Prag 2001). Claus 1952 M. Claus, Die Lappenschalen der jüngeren Bronzezeit in Niedersachsen. Nachr. Niedersachsens Urgesch. 21, 1952, 3–54. Coblenz 1952 W. Coblenz, Grabfunde der Mittelbronzezeit Sachsens. Veröff. Landesmus. Vorgesch. Dresden (Dresden 1952). Coblenz 1962 W. Coblenz, Burgen der Lausitzer Kultur im Süden der DDR. In: Arbeitstagung „Aufnahme und Erforschung vor- und frühgeschichtlicher Burgen“ des Instituts für Vor- und Frühgeschichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin vom 1.–6. Oktober 1962 (Berlin 1962) 30–32. Čujanová-Jílková 1970 E. Čujanová-Jílková, Mittelbronzezeitliche Hügelgräberfelder in Westböhmen. Archaeologické studijní materiály 8 (Prag 1970). Daszkiewicz/Schneider 2001 M. Daszkiewicz/G. Schneider, Klassifizierung von Keramik durch Nachbrennen von Scherben. Zeitschr. Schweiz. Arch. u. Kunstgesch. 58, 2001, 25–32.
145 Daszkiewicz/Schneider 2010 M. Daszkiewicz/G. Schneider, Ergebnisse der Untersuchung von Keramik aus Saalhausen und Briquetage-Scherben von verschiedenen Orten [unpubl. Untersuchungsbericht], (Berlin 2010). Essen 1985 R. Essen, Die Nadeln in Polen II (Mittlere Bronzezeit). PBF 13,9 (München 1985). Fries-Knoblach 2004 J. Fries-Knoblach, Gerätschaften, Verfahren und Bedeutung der eisenzeitlichen Salzsiederei in Mittel- und Nordwesteuropa. Leipziger Forsch. Ur- u. Frühgesch. Arch. 2 (Leipzig 2004). Frehse/Schopper 2009 D. Frehse/F. Schopper, Dem Boden entrissen. Ein Bronzering aus Lossow oder Güldendorf, Stadt Frankfurt (Oder). Arch. Berlin u. Brandenburg 2007, 2009, 80–81. Geisler 1969 H. Geisler, Notbergung auf dem Burgwall bei Lossow, Kr. Eisenhüttenstadt. Ausgr. u. Funde 14, 1969, 132–140. Götze 1920 A. Götze, Die ur- und frühgeschichtlichen Denkmäler des Kreises Lebus. Beihefte zu: Kunstdenkmäler Provinz Brandenburg 6/1 (Berlin 1920). Goldmann 1982 K. Goldmann, Die Lage der Burgen im Verkehrswegenetz. In: Beiträge zum bronzezeitlichen Burgenbau in Mitteleuropa (Berlin-Nitra 1982) 209–220. Griesa 1965 S. Griesa, Einiges zur Besiedlung vor dem Burgwall von Lossow, Kr. Eisenhüttenstadt. Ausgr. u. Funde 10, 1965, 138–140. Griesa 1982 S. Griesa, Die Göritzer Gruppe. Veröff. Mus. Ur – u. Frühgesch. Potsdam 16 (Berlin 1982). Gringmuth-Dallmer 2002 E. Gringmuth-Dallmer, Mensch und Umwelt im Odergebiet in vergleichender Sicht. In: E. Gringmuth-Dallmer/L. Leciejewicz (Hrsg.), Mensch und Umwelt im Odergebiet. Röm.-Germ. Forsch. 60 (Mainz 2002) 391–416. Gringmuth-Dallmer 2 007 a E. Gringmuth-Dallmer, Das Odergebiet in ur- und frühgeschichtlicher Zeit – ein Wirtschafts- und Kommunikationsraum? In: St. Freund/ M. Hardt/P. Weigel (Hrsg.), Flüsse und Flusstäler als Wirtschafts- und Kommunikationswege. Siedlungsforsch. 25 (Bonn 2007) 57–74. Gringmuth-Dallmer 2 007 b E. Gringmuth-Dallmer, Die Oder in ur- und frühgeschichtlicher Zeit – Leitlinie für Siedlung und Kultureinflüsse? In: K. Schlögel/B. Halicka (Hrsg.), Oder – Odra. Blicke auf einen europäischen Strom (Frankfurt a. M. 2007) 121–135. Harck 1981 O. Harck, Jungbronzezeitliche Lappenschalen im unteren Elbbereich. Offa 38, 1981, 161–173. Heilmeyer 1979 W.-D. Heilmeyer, Frühe olympische Bronzefiguren. Die Tiervotive. Olympische Forschungen 12 (Berlin 1979). Herrmann 1969 J. Herrmann, Burgen und befestigte Siedlungen der jüngeren Bronzeund frühen Eisenzeit in Mitteleuropa. In: K.-H. Otto/J. Herrmann (Hrsg.), Siedlung, Burg und Stadt. Paul Grimm zum 60. Geburtstag. Dt. Akad. Wiss. Berlin, Schr. Sektion Vor- und Frühgesch. 25 (Berlin 1969) 56–94. Heske 2002 I. Heske, Jungbronzezeitliche Lappenschalen im östlichen Braunschweiger Land. Neue Ausgr. und Forsch. in Niedersachsen 23, 2002, 103–124. Horst 1982 F. Horst, Die jungbronze- und früheisenzeitlichen Hauptverbindungswege im nördlichen Mitteleuropa. In: Südzone der Lausitzer Kultur und die Verbindungen dieser Kultur mit dem Süden (Kraków 1982) 231–245. Horst 1985 F. Horst, Zedau. Eine jungbronze- und eisenzeitliche Siedlung in der Altmark. Schr. Ur- u. Frühgesch. 36 (Berlin 1985).
146 Jockenhövel 1971 A. Jockenhövel, Die Rasiermesser in Mitteleuropa. PBF 8,11 (München 1971). Kaufmann u. a. 1966 H. Kaufmann/H. Quietzsch/E. Spehr/R. Spehr, Wichtige Neufunde des Jahres 1964 aus den Bezirken Dresden, Karl-Marx-Stadt und Leipzig. Bronze- und älteste Eisenzeit. Arbeits- und Forschber. Sächs. Bodendenkmalpfl. 14/15, 1966, 314–326. Kilian-Dirlmeier 1979 I. Kilian-Dirlmeier, Anhänger in Griechenland von der mykenischen bis zur spätgeometrischen Zeit. PBF 11,2 (München 1979). Koepke 1996 H. Koepke, Der Burgwall von Zützen, Lkr. Dahme-Spreewald. Veröff. Brandenburg. Landesmus. Ur- u. Frühgesch. 30, 1996, 41–120. Kubach 1977 W. Kubach, Die Nadeln in Hessen und Rheinhessen. PBF 13,3 (München 1977). Lang 1993 A. Lang, Güterverteilung in der Urnenfelderzeit. In: H. Dannheimer/ R. Gebhard (Hrsg.), Das keltische Jahrtausend. Ausstellungskat. Prähist. Staatsslg. München 23 (Mainz 1993) 194–196. Maraszek 1998 R. Maraszek, Spätbronzezeitliche Hortfunde entlang der Oder. Univforsch. Prähist. Arch. 49 (Bonn 1998). Mehner 2010 A. Mehner, Landschaftarchäologische Forschungen im näheren Siedlungsumfeld des Burgwalls von Lossow. Erste Ergebnisse aus dem Bereich der Vorburgsiedlung. In: I. Beilke-Voigt/F. Schopper (Hrsg.), Lossow. Alte Forschungen und neue Projekte. Mat. Arch. Brandenburg 4. Lossower Forsch. 1 (Rahden/Westf. 2010) 75–90. Metzner-Nebelsick 2002 C. Metzner-Nebelsick, Der „Th rako-Kimmerische“ Formenkreis aus der Sicht der Urnenfelder- und Hallstattzeit im südöstlichen Pannonien. Vorgesch. Forsch. 23 (Rahden/Westf. 2002). Niemeier 2008 W.-D. Niemeier, Kalapodi. In: Deutsches Archäologisches Institut. Jahresber. 2007. Arch. Anz. 2008/1 Beih. (München 2008) 99– 102. Novotná 1980 M. Novotná, Die Nadeln in der Slowakei. PBF 13,6 (München 1980). Randsborg 1968 K. Randsborg, Von Periode II zu III. Chronologische Studien über die ältere Bronzezeit Südskandinaviens und Norddeutschlands. Acta Arch. (København) 39, 1968, 1–142. Riehm 1969 a K. Riehm, Aufschlussreiche Neufunde im urgeschichtlichen Salzsiedergebiet der Südbretagne. Jahresschr. Mitteldt. Vorgesch. 53, 1969, 361–374. Riehm 1969 b K. Riehm, Die Produktionstechnik urgeschichtlicher Salzsieder. Neue Ausgr. und Forsch. Niedersachsen 4, 1969, 98–122. Říhovský 1979 J. Říhovský, Die Nadeln in Mähren und im Ostalpengebiet. PBF 13,5 (München 1979). Schmidt 1993 J.-P. Schmidt, Studien zur jüngeren Bronzezeit in Schleswig-Holstein und dem nordelbischen Hamburg. Univforsch. Prähist. Arch. 15 (Bonn 1993). Schopper 1993 F. Schopper, Das urnenfelderzeitliche Gräberfeld von Straubing-Kagers. Jahresb. Hist. Ver. Straubing 95, 1993, 59–210. Schubart 1956 H. Schubart, Ein Hügelgrab der älteren Bronzezeit bei Slate, Kreis Parchim. Jahrb. Bodendenkmalpfl. Mecklenburg 1954, 1956, 61–83. Sprockhoff 1956 E. Sprockhoff, Jungbronzezeitliche Hortfunde der Südzone des Nordischen Kreises (Periode V) Kat. RGZM (Mainz 1956). Steguweit 1990 L. Steguweit, Ein jungbronzezeitliches Gräberfeld von Seethen, Kr. Gardelegen. Ausgr. u. Funde 35, 1990, 179–185.
Beilke-Voigt, Burgzentrum Lossow Teßmann 2009 B. Teßmann, Drei Pferdefigürchen aus dem Berliner Museum für Vorund Frühgeschichte. Zur Verbreitung und Funktion bronzener Tierplastiken der älteren Eisenzeit. Acta Praehist. et Arch. 41, 2009, 189–205. Unverzagt 1928 W. Unverzagt, Fundnachrichten. Ausgrabungen am Burgwall von Lossow, Kr. Lebus. Nachrichtenbl. Dt. Vorzeit IV, 1928, 76–77. Unverzagt 1930 W. Unverzagt, Die vor- und frühgeschichtlichen Befestigungen an der Oderstraße. Prähist. Zeitschr. 21, 1930, 307–308. Unverzagt 1969 W. Unverzagt, Aufbau und Zeitstellung des Burgwalls von Lossow, Kr. Eisenhüttenstadt. In: K.-H. Otto/J. Herrmann (Hrsg.), Siedlung, Burg und Stadt. Paul Grimm zum 60. Geburtstag. Dt. Akad. Wiss. Berlin, Schr. Sektion Vor- und Frühgesch. 25 (Berlin 1969) 335–341. Voß 1987 H.-U. Voß, Lossow, Lebus – Zur Anlage und Funktion jungbronzeund früheisenzeitlicher Befestigungsanlagen im Odergebiet. Frankfurter Beitr. Gesch. 15, 1987, 19–33. Weigel 1890 M. Weigel, Urnengräberfeld und Burgwall von Lossow, Kr. Lebus, Prov. Brandenburg. Nachr. Dt. Altfunde 1, 1890, 20–21. Wrobel Nørgaard 2011 H. Wrobel Nørgaard, Die Halskragen der Bronzezeit im nördlichen Mitteleuropa und Südskandinavien. Univforsch. Prähist. Arch. 200 (Bonn 2011).
Abbildungsnachweis 1; 5: A. Mehner. – 2: SMB-PK/MVF, IXb F 7395. – 3; 9; 11; 13: D. Sommer, BLDAM. – 4; 6–8; 10; 12: T. Stupp
Anschrift PD Dr. habil. Ines Beilke-Voigt, Excellence Cluster TOPOI, Hittorfstr. 18, 14195 Berlin
[email protected]
147
Torsten Wagner
Eine jungbronzezeitliche Siedlungskammer bei Haldensleben (Lkr. Börde, Sachsen-Anhalt) – Fundplätze an der südlichen Peripherie des Nordischen Bronzekreises Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass durch die Grabungen der letzten Jahre in der Region Haldensleben eine prosperierende, intensiv genutzte jungbronzezeitliche Landschaft mit teilweise strukturierten Siedlungen aufgedeckt wurde. Sie profitierte von ihrer strategisch günstigen Lage und ihre Bewohner pflegten ab der Per. IV überregionale Kontakte in den Nordischen Bronzekreis und nach Mähren. Aufgrund ihrer Bedeutung und Charakteristik kann die Haldenslebener Siedlungskammer zu grundlegenden Erkenntnissen in der mitteldeutschen Siedlungsarchäologie beitragen. Gegenstand der weiteren Forschungen wird hauptsächlich die diachrone Entwicklung der Siedlung „Südhafen“ sein. Darauf aufbauend sind das zeitliche Verhältnis der einzelnen Fundplätze sowie die Stellung der Siedlungskammer innerhalb der Kontaktzone der archäologischen Kulturen zu klären. Mit Spannung kann daher die ausstehende Beantwortung der noch offenen Fragen erwartet werden.
Einleitung Zwischen 2008 und 2012 fanden nahe Haldensleben bei Erschließungen neuer Gewerbeflächen, infrastrukturellen Bauvorhaben und Forschungsgrabungen zahlreiche archäologische Untersuchungen statt. Dabei wurden auch mehrere neue Siedlungsplätze der ausgehenden Bronzezeit aufgedeckt. Waren bis dahin aus dieser Zeit einige verstreute Fundstellen in der Region bekannt, ergibt sich nun durch die neuen Grabungen das Bild einer intensiv genutzten jungbronzezeitlichen Siedlungskammer von über 50 km2 Größe.101
zwischen zwei archäologischen Kulturen dar. Die Bördelandschaft zwischen Altmark und Harz nimmt die jungbronzezeitliche Saalemündungsgruppe (Per. IV–V) ein. Die Abgrenzung der verschiedenen archäologischen Kulturgruppen im Harzvorland war wiederholt Gegenstand der Diskussion (vgl. Schunke 2004, 281, mit älterer Literatur). Mit dem Übergang zur frühen Eisenzeit erfolgt eine Benennung der Saalemündungsgruppe als Hausurnenkultur (Per. V–VI). Die Altmark wird indessen der Elb-Havel-Gruppe des Kulturkreises der Nordischen Bronzezeit zugeordnet, dessen Kerngebiet im heutigen Südskandinavien liegt (Sprockhoff 1956, Karte 1; Horst 1972, Abb. 19; Heske 2008, 89). Die Lage in diesem Spannungsfeld der archäologischen Kulturen war im Vorfeld der Grabungen zu berücksichtigen. Die Befunde und Funde der Haldenslebener Siedlungskammer übertrafen die Erwartungen bei Weitem und liefern grundlegende Einblicke in das Beziehungsgeflecht zu den nördlich angrenzenden Kulturräumen.
Die Siedlungskammer Haldensleben Unmittelbar am östlichen Stadtrand von Haldensleben mündet die von Südwesten kommende Beber in die Ohre. Dieses Mündungsgebiet sowie der Unterlauf der Beber scheinen die Kernzone der Siedlungskammer darzustellen (Abb. 2). Ins-
Geografische und kulturelle Lage Die Stadt Haldensleben befindet sich ca. 25 km nordwestlich von Magdeburg in mitten der Niederung der Ohre, einem Fluss, der aus der westlichen Altmark kommend, in die Elbe mündet (Abb. 1). Die Ohre fließt in einem eiszeitlichen Urstromtal und bildet die natürliche Grenze zwischen der Altmark im Norden, einer saaleeiszeitlich geprägten Grundmoränenlandschaft, und der Magdeburger Börde im Süden mit ihren fruchtbaren Lössböden. Der Fluss trennt aber nicht nur zwei deutlich verschiedene Naturräume, sondern stellt auch eine dynamische Kontaktzone 101 Die wissenschaftliche Aufarbeitung erfolgt im Rahmen einer Qualifizierungsarbeit durch den Autor.
Abb. 1: Kartenausschnitt von Sachsen-Anhalt mit Fundplatz
148
Wagner, Siedlungskammer Haldensleben
Abb. 2: Fundstellen der Jungbronzezeit im Raum Haldensleben. 1 Tannenberg; 2 Südhafen; 3 Beberdüker; 4 Hamburger Straße; 5 Kiebitzberg; 6 Dönstedt; 7 Olbetal; 8 Hühnerheide; 9 Nonnenspring; 10 Probsthorn; 11 Klingteich; 12 Glüsig; 13 Schäferberg; 14 Beberdüker; 15 Dönstedt; 16 Galgenberg; 17 Hühnerheide; 18 Hinzenberg; 19 Althaldensleben; 20 Töberheide; 21 Wasserwerk; 22 Trendelberg; 23 Schiefer Berg; 24 Fuchsberg; 25–27 Haldenslebener Moor; 28 Wedringen, genauer Fundort unbekannt
gesamt sind 13 Siedlungsplätze archäologisch erfasst worden, davon reihen sich acht entlang der Beber wie auf einer Schnur auf (Abb. 1,1–8). Die übrigen fünf Fundplätze befinden sich im weiteren Umkreis auf Geländekuppen (Abb. 1,9–13). Acht Fundstellen lokalisierte man durch Ausgrabungen.102 Die restlichen Siedlungsplätze wurden mittels Feldbegehungen identifiziert. Die Größe der jeweiligen Untersuchungsflächen variiert zwischen ca. 1,0 und 6,5 ha. Die Siedlungen „Tannenberg“ (Bock 2011), „Olbetal“, „Probsthorn“ und „Klingteich“ befinden sich auf erhöhten Positionen etwa 25 m oberhalb der Flüsse. Die übrigen Fundplätze „Südhafen“ (Wagner u. a.
102 1 Tannenberg (1979/80); 2 Südhafen (2008–12); 3 Beberdüker (2010–12); 4 Hamburger Straße (1991/92, 2010–12); 5 Kiebitzberg (2002); 7 Olbetal (2009–11); 10 Probsthorn (um 1980); 11 Klingteich (1977).
2012, 70–79), „Beberdüker“ (Wagner u. a. 2012, 79–81), „Hamburger Straße“ (Hille 1997, 252) und „Kiebitzberg“ (Stoffner 2012, 105 f.) liegen dagegen auf Niederterrassen am Rand der Flussaue. Die geborgenen Funde innerhalb der Siedlungen lassen auf eine Belegung von der Periode IV bis VI sowie auf eine Einordnung in die Saalemündungsgruppe und die Hausurnenkultur schließen. Der Siedlungsplatz „Südhafen“ Sind die genannten Siedlungen im Befund meist durch die typischen Konzentrationen von Speichergruben überliefert (Bönisch 2006, 307; Assendorp 2013, 109), fällt die Fundstelle „Südhafen“ durch ihre Binnengliederung auf (Abb. 3). Auf der 6,5 ha großen Ausgrabungsfläche ist eine Dreiteilung der Siedlung in Speicherareal, Wohnbereich und separierte Hofplätze
Wagner, Siedlungskammer Haldensleben
149
Abb. 3: Haldensleben-Südhafen, Gesamtplan. Wohn- und Hofplatzareal liegen getrennt vom Speicherareal
eindeutig fassbar. Im nordöstlichen Teil befindet sich das Speicherareal mit mehr als 300 Vorratsgruben sowie einigen, ehemals obertägig vorhandenen Speicherbauten. Überschneidungen treten trotz der hohen Befunddichte nur vereinzelt auf. Westlich davon, getrennt durch einen 150 m breiten, nahezu befundfreien Korridor, schließt sich das dazugehörige Wohnareal an (Abb. 4). Im Gegensatz zum Speicherareal befinden sich hier nur sehr wenige Siedlungsgruben. Allerdings lassen sich anhand von regelmäßig angeordneten Pfostengruben mindestens acht Hausgrundrisse rekonstruieren. Es handelt sich dabei jeweils um zweischiffige West-Ost bzw. NordwestSüdost ausgerichtete Langhäuser von ca. 20–25 m Länge und 6–7 m Breite. Eine völlig andere Bauweise zeigt dagegen ein neunter Hausgrundriss in Form einer rechtwinkligen, ca. 7 × 5 m großen Schwellbalkenkonstruktion in Nord-Süd-Ausrichtung. Die Überlagerung einzelner Grundrisse sowie unterschiedliche Ausrichtungs- und Konstruktionsweisen sprechen für mehrere Bauphasen und lassen auf eine langfristige Nutzung der Siedlung schließen. Der südliche Abschnitt der Untersuchungsfläche ist indessen durch mindestens zwei separate Hofplätze charakterisiert. Diese werden von sechs orthogonalen Reihen eingefasst, welche aus linear angeordneten Vorratsgruben bestehen. Diese Reihen folgen den vier Himmelsrich-
tungen und haben jeweils eine Kantenlänge von über 80 m. Innerhalb einer der ca. 6500 m2 großen Gehöftstrukturen können mindestens drei Gebäudestandorte identifiziert werden, die in Größe und Ausrichtung mit den Hausgrundrissen des Wohnareals korrespondieren (Abb. 5). Ein drittes Gehöft könnte sich südlich anschließen. Diese drei Gehöfte wurden wahrscheinlich zeitgleich genutzt, da die Grubenreihen aufeinander Bezug nehmen und unmittelbar anschließen. Vergleichbare Strukturen liegen auch aus Mitteldeutschland (Zwenkau, Lkr. Nordsachsen; Brehna, Lkr. Anhalt-Bitterfeld) vor, allerdings befinden sich diese jungbronzezeitlichen Gehöfte nicht in unmittelbarer Nähe von weiteren Siedlungen und sind an den jeweiligen Fundplätzen nur einzeln belegt. Bei den beiden mitteldeutschen Beispielen bilden außerdem Gräbchenstrukturen die Gehöfteinfassungen und Speichergruben fehlen weitgehend im Innenraum (Huth/Stäuble 1998, 211, Abb. 6; v. Rauchhaupt/Schunke 2010, 145–151). Damit sind sie vergleichbar mit den süddeutschen befestigten „Herrenhöfen“ der Hallstattkultur bzw. ihren urnenfelderzeitlichen Vorgängern, welche als lokale Zentren mit Repräsentationsund Machtfunktion interpretiert werden. Für die Haldenslebener Hofplätze kann eine ähnliche Funktion nur vermutet werden, da aufgrund der orthogonalen Grubenreihen eben-
150 falls eine Einhegung angenommen werden kann. Auch das gleichzeitige Auftreten von mehreren Hofplätzen nebeneinander spricht nicht gegen eine Interpretation als „Herrensitz“, wie Beispiele aus Süddeutschland zeigen (Reichenberger 1994, 199; 213 Abb. 9). Grabenwerke und Höhensiedlungen Auf der südlichen Uferseite der Beber wurden zwei Grabenwerke und eine Höhensiedlung nachgewiesen. Die Siedlung „Dönstedt“ wurde durch Feldbegehungen auf einem 4 ha großen Plateau lokalisiert (Abb. 2,6) (Hauer 1986, 8). Etwa 2 km östlich davon befindet sich das Grabenwerk „Olbetal“ (Abb. 2,7). Die Olbe mündet knapp 1 km westlich von Hundisburg in die Beber und bildet mit dieser einen Sporn, auf dem die ca. 0,45 ha große Wall-Grabenanlage angelegt wurde. Die bei einer Sondagegrabung geborgenen Funde aus der Grabenverfüllung datieren diese Befestigung in die ausgehende Bronzezeit (Müller/Rinne 2012, 354; Fritsch u. a. 2012, 57–64). Das zweite Grabenwerk „Beberdüker“ befindet sich in der Talaue der Ohre und in Sichtweite zur offenen Siedlung „Beberdüker“ auf der gegenüberliegenden Uferseite der Beber. Von der im Durchmesser 77 m großen Anlage wurde während der aktuellen Ausgrabungen ein 45 m langes Segment unter-
Wagner, Siedlungskammer Haldensleben sucht, das noch bis zu 1,45 m mächtig war. Der Hauptteil der Funde erlaubt eine Datierung der Grabenanlage in die Per. IV und V (Schrickel 2012 b, 111–113). Hier liegen auch Hinweise für die lokale Metallverarbeitung vor. Am „Beberdüker“ sind das Fragment einer Sichelgiessform sowie ein Gusstiegel eindrucksvolle Indizien des Metallhandwerks (Mehner 2012, 107 f.). Auf dem „Tannenberg“ belegen Schlackefunde sowie weitere Gusstiegel ebenfalls die Metallurgie (Bock 2011, 31). Der Nachweis der Metallverarbeitung in zwei Siedlungen und die damit verbundene Versorgung mit Rohstoffen zeigt, dass die Siedlungskammer an ein überregionales Kommunikationsnetz angeschlossen war. Siedlungen und Gräberfelder Die erwähnten Fundplätze weisen auf eine intensiv aufgesiedelte Landschaft hin, deren feinchronologisches Verhältnis zueinander noch zu erschließen ist. Innerhalb der Siedlungskammer stehen zehn Gräberfelder den 13 Siedlungsplätzen gegenüber. Sechs Bestattungsplätze liegen in unmittelbarer Nachbarschaft zu den bekannten Siedlungen. In Sichtweite zur etwa 300 m entfernten Siedlung „Tannenberg“ befindet sich auf dem „Galgenberg“ ein vom Mittelneolithikum bis ins Mittelalter genutzter Bestattungsplatz mit 13 Grabhügeln
Abb. 4: Haldensleben-Südhafen, Wohnareal. Unterschiedliche Ausrichtungen und Konstruktionen sowie Überschneidungen der Gebäude weisen auf eine Mehrphasigkeit hin
Wagner, Siedlungskammer Haldensleben
151
Abb. 5: Haldensleben-Südhafen, Hofareale. Die Ausrichtungen der Gebäude innerhalb der Hofplätze entsprechen weitgehend den Häusern im Wohnareal
(Abb. 2,16). Bei archäologischen Untersuchungen zweier Hügel in den 1980er-Jahren wurden insgesamt sieben jungbronze-/früheisenzeitliche Urnengräber dokumentiert; weitere Gräber wurden vermutlich durch jüngere Bestattungen gestört (Hauer 1991, 177–179). Ein zweites Hügelgräberfeld wies man auf einer Anhöhe in der Nähe der Siedlung „Dönstedt“ nach (Abb. 2,15). Die etwa 20 Grabhügel untersuchte der lokale Aller-Verein bereits um 1900. Innerhalb der bis zu 3 m hohen und im Durchmesser bis zu 20 m großen Hügel wurden jeweils eine Steinkiste mit z. T. mehreren Urnenbestattungen sowie zahlreiche Nachbestattungen in der Hügelaufschüttung dokumentiert. Das geborgene Inventar datiert die Zentralbestattungen in Per. IV und die Nachbestattungen in die Per. IV und V (Engel 1930, 247–254). Weitere vier Bestattungsplätze (Abb. 2,17–20) wurden in der Peripherie der Siedlungen „Südhafen“, „Beberdüker“ und „Hühnerheide“ angelegt (Abb. 2,2.3.8). Das scheinbare Gleichgewicht zwischen Siedlungen und Gräberfeldern lässt vermuten, dass es innerhalb der Siedlungskammer keine zentrale Nekropole gab. Vielmehr haben die Bewohner der einzelnen Ansiedlungen ihre Toten auf separaten Gräberfeldern bestattet. Diese Annahme lässt darauf schließen, dass die restlichen vier Fundorte (Hauer 1981, 81–83) von Bestattungen im Norden der Siedlungskam-
mer (Abb. 2,21–24) wohl auf weitere bisher unbekannte Siedlungen hinweisen. Ein besonders bemerkenswerter Fund aus dem Umfeld des Gräberfeldes auf dem Galgenberg stammt bereits aus dem Jahr 1884. Bei Schachtarbeiten entdeckte man ein Henkelgefäß, in dem sich neben Asche auch zwei goldene, offene Armringe, sog. Eidringe, befanden. Sie gehören nach Sprockhoff (1956, 181–184 Kat. 19) zur Gruppe mit massivem, im Querschnitt ovalen Körper. Sie besitzen trichterförmige Enden und datieren in Per. V. Zwei weitere goldene Eidringe sind außerdem aus dem Haldenslebener Ortsteil Wedringen bekannt (Abb. 2,28).103 Diese auch im 19. Jh. gefundenen Stücke entsprechen Sprockhoffs Gruppe der Hohlringe aus dünnem Blech und datieren in die Per. V–VI. Das Verbreitungsgebiet der goldenen Eidringe beschränkt sich im Wesentlichen auf Norddeutschland und die dänischen Inseln (Wegener 1898, 82; Sprockhoff 1956, Kat. 21 Karte 37). Aus Sachsen-Anhalt liegen sechs Exemplare vor.104
103 Sprockhoff (1956) erwähnt einen Ring, Wegener (1898) dagegen zwei Ringe. 104 Außer den vier Haldenslebener Ringen liegt jeweils ein Stück aus Schneidlingen und Könnern, beide Salzlandkreis, vor.
152
Wagner, Siedlungskammer Haldensleben
Abb. 6: In Haldensleben nachgewiesene Fremdeinflüsse. Sie haben ihren Ursprung hauptsächlich im Niederelbe-Gebiet und Elbe-Weser-Dreieck
Neben den Siedlungs- und Bestattungsplätzen komplettieren drei jungbronzezeitliche Hortfunde das Bild der Haldenslebener Siedlungskammer (v. Brunn 1968, Kat. 83–85; 87). Wie die Eidringe wurden diese ebenfalls im 19. Jh. entdeckt. Zum ersten Hortfund gehören vier verzierte Fußringe mit dachförmigem Querschnitt. Der zweite Hort beinhaltet verschiedene Bronzen, wie beispielsweise weitere Fußringe, Armstulpen und ein Tüllenbeil. Die Geschlossenheit dieser Funde wird allerdings angezweifelt. Die drei Sicheln des dritten Hortfundes wurden von Sommerfeld (1988, 141; 159) als Knopfsicheln vom Typ Bösel (Per. IV) identifiziert. Dieser Typ kommt hauptsächlich entlang der Unterelbe und am nördlichen Rand der Lüneburger Heide vor. Einige Stücke streuen außerdem über weite Teile Mecklenburgs sowie Brandenburgs. Das Verbreitungsgebiet beschränkt sich dabei auf das Gebiet des Nordischen Bronzekreises (Sommerfeld 1988, 154 Abb. 8). Die Fundgrenze verläuft etwa entlang der Linie Aller-Ohre-Havelseen. Die Haldenslebener Stücke markieren somit die südliche Grenze des Verbreitungsgebietes der Sicheln vom Typ Bösel und stellen mit den goldenen Eidringen erste Hinweise auf Be-
ziehungen ins Niederelbegebiet bzw. den Nordischen Bronzekreis dar (Abb. 6).
Fernkontakte und Mobilität Weitere Funde unterstreichen die überregionale Bedeutung der Haldenslebener Siedlungskammer. Zahlreiche Geweihartefakte weisen beispielsweise auf eine ortsansässige Herstellung hin. Durch die nahe gelegene waldreiche Landschaft der Altmark lag der Rohstoff Geweih beinahe unbegrenzt vor. Die Fundinventare der Siedlungen „Kiebitzberg“ und „Beberdüker“ beinhalten mehr als zehn vollständig erhaltene Geweihäxte und -hacken sowie eine große Anzahl Geweihstangen, die als Rohlinge anzusprechen sind. Die mit fünf Bronzestiften und zahlreichen Kreisaugen verzierte Geweihaxt vom „Beberdüker“ gehört zu den bemerkenswertesten Exemplaren der Haldenslebener Funde (Abb. 7). Geweihäxte mit Kreisaugenverzierung haben ihr Hauptverbreitungsgebiet im Nordischen Bronzekreis (Schmidt 1995, 57 Abb. 1). Die mitteldeutschen Vertreter datieren aufgrund ihrer Fundvergesellschaftung in
Wagner, Siedlungskammer Haldensleben
Abb. 8: Haldensleben-Beberdüker, Miniaturbecken. Bronzebecken und deren keramische Imitationen stehen vermutlich im Kontext kultischer Handlungen. M. 1:2
die Per. V sowie den Übergang von Per. V zu VI. Das 14C-Datum des Haldenslebener Stückes liegt im Zeitraum zwischen dem 10. und 9. Jh. v. Chr. und bestätigt damit die relativchronologische Einordnung.105 Einen weiteren Hinweis auf Kontakte zwischen der Haldenslebener Siedlungskammer und dem nordischen Raum liefert ein keramisches Miniaturbecken (Abb. 8) (Schrickel 2012 a, 93 f.). Die bronzenen Vorbilder treten in Per. IV in Dänemark und Norddeutschland auf. Mit der Per. V verschiebt sich die Südgrenze des Verbreitungsgebietes der Bronzebecken aber bis ins nördliche Harzvorland. Wurde bisher bei den meist verzierten Bronzebecken Sachsen-Anhalts von nordischen Importgütern ausgegangen, gelang es jüngst für die Hünenburg bei Watenstedt, Lkr. Helmstedt, am Nordharz eine heimische Herstellung nachzuweisen. Die Aneignung nordischer Metallurgietechniken während Per. V setzt eine verstärkte Kommunikation in die Ostseegebiete voraus (Heske 2013, 35–37). Diese Anforderung musste auch bei der Haldenslebener Nachbildung, die sicher vor Ort hergestellt wurde, erfüllt sein. Ähnliches kann für die zahlreichen Lappenschalenfragmente angenommen werden. Diese Keramikform ist hauptsächlich im Gebiet der Niederelbe und im Elbe-Weser-Dreieck verbreitet (Abb. 6) (Horst 1985, 99; Hofmann 2008, 348–350). Auf den Haldenslebener Fundplätzen treten sie wie das Miniaturbecken in Per. V in Erscheinung. Ebenfalls ins Niederelbegebiet weisen mehrere Grundrisse von Wandgräbchenhäusern, die auf zwei Haldenslebener Fundplätzen nachgewiesen wurden. Das ca. 20 × 8,4 m große Wandgräbchenhaus mit apsidialen Stirnseiten (Abb. 9) vom „Beberdüker“ gehört zu einem
105 cal BC 970–838; 2 Sigma; MAMS 14152 (Schrickel/Wagner 2011).
153 Haustyp, der auf Siedlungsplätzen an der Niederelbe häufig auftritt (Assendorp 1997, 51–59). Mindestens drei weitere, sich überlagernde Grundrisse dieses Typs konnten in Haldensleben auch in der Siedlung „Hamburger Straße“ dokumentiert werden. Damit liegen anhand von Funden und Befunden vielfache Belege für weit reichende Kontakte nach Norddeutschland vor, welche die Übernahme von Gütern und handwerklichen Techniken anzeigen. In eine andere Richtung weisen dagegen zwei Schalen von der Fundstelle „Südhafen“. Die beiden Stücke besitzen auf ihrer Innenseite jeweils eine sternenartige Verzierung aus girlandenförmigen Rillen und Knubben (Abb. 10). Solche Ornamente sind in der Urnenfelderkultur südlich der Mittelgebirgszone geläufig. Die Haldenslebener Objekte zeigen eine hohe Übereinstimmung mit Mustern mährischer Beispiele (Ha A–B/ Per. IV–V) (Veliacik 1983, 133–135 Taf. 29; Vokolek 2002, 124–126). Hier bleibt zukünftig zu prüfen, ob diese Importkeramik im Rahmen einmaliger oder wiederholter Kontakte aus dem Süden in das Arbeitsgebiet gelangte. Die genannten Beispiele wie Lappenschalen, Bronzesicheln vom Typ Bösel, goldene Eidringe, verzierte Geweihäxte sowie Hausbautraditionen verdeutlichen einen intensiven Kontakt ins Elbe-Weser-Dreieck und Niederelbegebiet, dessen Höhepunkt in Per. V zu finden ist. Die Schalen mit Sternornament weisen dagegen nach Mähren (Abb. 6). Auf welchen Wegen fand dieser Austausch statt und wie fügte sich die Haldenslebener Siedlungskammer in ein bestehendes „Kommunikationsnetz“ ein? Mit Sicherheit nahmen die Flusssysteme, speziell die Nord-Süd verlaufenden Hauptströme Rhein, Weser, ElbeSaale und Oder eine übergeordnete Rolle im mitteleuropäischen Wegenetz ein. Forschungsgeschichtlich bedingt standen die Nord-Süd-Verbindungen im Vordergrund, um den Austausch zwischen dem Nordischen Bronzekreis mit seinen Bernsteinvorkommen und der Urnenfelder- bzw. Hallstattkultur mit ihren Erzlagerstätten nachzuzeichnen (Abb. 11) (Horst 1982, 231–235). West-Ost-Achsen waren eher von lokaler Bedeutung und verliefen nördlich der Mittelgebirge entlang
Abb. 9: Haldensleben-Beberdüker, Wandgräbchenhaus. Zahlreiche vergleichbare Befunde sind aus dem Niederelbe-Gebiet bekannt
154
Abb. 10: Haldensleben-Südhafen, Schale mit Sternornament. Die Kombination von Girlanden und Knubben auf der Innenseite der Schale weist nach Mähren. M. 1:5
Wagner, Siedlungskammer Haldensleben der natürlichen Urstromtäler an kleineren Flussläufen. Horst (1986, 268) rekonstruiert zwischen Oder und Elbe entlang des Finowkanal-Bruchs, der Havel und Ihle eine Querverbindung und vermutet in der Region um Brandenburg/Havel anhand der verkehrsgünstigen Lage und zahlreicher Importfunde ein jungbronzezeitliches Fernhandelszentrum. Unabhängig von Horst rekonstruiert auch Stary (1993, 2) bei seiner Analyse der eisenzeitlichen Transitwege zwischen Alpenraum und Skandinavien anhand von frühhallstattzeitlichen Importen (Ha C/ Per. VI) eine Verbindung zwischen Elbe und Weser entlang der Aller bzw. wie schon von Horst angenommen zwischen Elbe und Oder entlang der Havel. Es zeigt sich, dass die Siedlungskammer Haldensleben im Einzugsgebiet eines Kreuzungspunktes wichtiger natürlicher Transitwege liegt. Dieser wird von der Nord-Süd-Achse Elbe-Saale sowie der West-OstAchse Aller-Ohre-Havelseen gebildet. Beide Routen führen ins Niederelbegebiet bzw. Elbe-Weser-Dreieck und begünstigten dadurch Kontakte, die sich vielfältig in den Haldenslebener Befunden und Funden widerspiegeln.
Abb. 11: Transitwege der Jungbronze- und Früheisenzeit. In der Nähe eines Knotenpunktes verschiedener Kontaktrouten befindet sich die Siedlungskammer Haldensleben
Wagner, Siedlungskammer Haldensleben
Literatur Assendorp 1997 J. J. Assendorp, Die bronzezeitliche Siedlung in Hitzacker, Niedersachsen. In: J. J. Assendorp (Hrsg.), Forschungen zur bronzezeitlichen Besiedlung in Nord- und Mitteleuropa. Internationales Symposium vom 09.– 11. Mai 1996 in Hitzacker. Internat. Arch. 38 (Espelkamp 1997) 51–59. Assendorp 2013 J. J. Assendorp, Grubenwolken: Ein jungbronzezeitliches Siedlungsphänomen im Elbegebiet. In: I. Heske/H.-J. Nüsse/J. Schneeweiß (Hrsg.), „Landschaft, Besiedlung und Siedlung“ Archäologische Studien im nordeuropäischen Kontext. Festschrift K.-H. Willroth. Göttinger Schr. Vor- u. Frühgesch. 33 (Göttingen 2013) 109–118. Bock 2011 A. Bock, Der Tannenberg bei Haldensleben-Hundisburg. Eine Siedlung der späten Bronze- und frühen Eisenzeit. Ungedr. Bachelorarbeit, Univ. Kiel (Kiel 2011) Bönisch 2006 E. Bönisch, Bronzezeitliche Speicherplätze in der Niederlausitz. In: W.-R. Teegen/R. Cordie/O. Dörrer/S. Rieckhoff/H. Steuer (Hrsg.), Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. Festschrift R. Müller. RGA 2, 2006, 305–332. v. Brunn 1968 W. A. v. Brunn, Mitteldeutsche Hortfunde der jüngeren Bronzezeit. Röm.-Germ. Forsch. 29 (Berlin 1968). Engel 1930 C. Engel, Vorzeit an der Mittelelbe (Burg 1930). Fritsch u. a. 2012 B. Fritsch/M. Lindemann/J. Müller/C. Rinne, Entstehung, Funktion und Landschaftsbezug von Großsteingräbern, Erdwerken und Siedlungen der Trichterbecherkulturen in der Region Haldensleben-Hundisburg. Vorarbeiten und erste Ergebnisse. In: Meller (Hrsg.) Zusammengegraben – Kooperationsprojekte in Sachsen-Anhalt. Tagung vom 17. bis 20. Mai 2009 im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale). Arch. Sachsen-Anhalt Sonderbd. 16 (Halle/Saale 2012) 57–64. Hauer 1981 U. Hauer, Ein bronzezeitliches Steinpackungsgrab aus Haldensleben. Jahresschr. Kreismus. Haldensleben 22, 1981, 81–83. Hauer 1986 U. Hauer, Der Burgwall bei Dönstedt. Jahresschr. Kreismus. Haldensleben 27, 1986, 3–14. Hauer 1991 U. Hauer, Der Galgenberg – ein Bestattungsplatz bei Hundisburg, Kr. Haldensleben. Ausgr. u. Funde 39, 1991, 169–179. Heske 2008 I. Heske, Zur Kontinuität und Diskontinuität zwischen Saalemündungsgruppe und Hausurnenkultur. In: F. Falkenstein/M. Schönfelder/ H. Stäuble (Hrsg.), Langfristige Erscheinungen und Brüche von der Bronze- zur Eisenzeit. Sitzung AG Bronzezeit/Eisenzeit 5. Deutscher Archäologenkongress 2005 Frankfurt/Oder. Beitr. Ur- u. Frühgesch. Mitteleuropas 51 (Langenweißbach 2008) 89–95. Heske 2013 I. Heske, Waren und Leben – Skizzen zu einer Mobilität zwischen den Landschaften. In: I. Heske/H.-J. Nüsse/J. Schneeweiß (Hrsg.), „Landschaft, Besiedlung und Siedlung“ Archäologische Studien im nordeuropäischen Kontext. Festschrift K.-H. Willroth. Göttinger Schr. Vor- u. Frühgesch. 33 (Göttingen 2013) 33–44. Hille 1997 A. Hille, Rettungsgrabungen im Bereich der Wüstung Niendorf bei Haldensleben, Ldkr. Ohrekreis. Vorbericht. Jahresschr. Mitteldt. Vorgesch. 79, 1997, 247–254. Hofmann 2008 K. P. Hofmann, Der rituelle Umgang mit dem Tod. Untersuchungen zu bronze- und früheisenzeitlichen Brandbestattungen im Elbe-WeserDreieck. Arch. Ber. des Landkreises Rotenburg (Wümme) 14. Schriftenreihe der Ehemaligen Herzogtümer Bremen und Verden 30 (Oldenburg 2008) 348–350. Horst 1972 F. Horst, Jungbronzezeitliche Formenkreise im Mittelelb-Havel-Gebiet. Jahresschr. Mitteldt. Vorgesch. 56, 1972, 97–165.
155 Horst 1982 F. Horst, Die jungbronze- und früheisenzeitlichen Hauptverbindungswege im nördlichen Mitteleuropa. In: M. Gedl (Hrsg.), Südzone der Lausitzer Kultur und die Verbindungen dieser Kultur mit dem Süden (Krakow 1982) 231–245. Horst 1985 F. Horst, Zedau – eine jungbronzezeitliche und eisenzeitliche Siedlung in der Altmark. Schr. Ur- und Frühgesch. Akad. Wiss. 36 (Berlin 1985). Horst 1986 F. Horst, Ein jungbronzezeitliches Fernhandelszentrum im Gebiet von Brandenburg/Havel. Veröff. Mus. Ur- u. Frühgesch. Potsdam 20, 1986, 267–275. Huth/Stäuble 1998 C. Huth/H. Stäuble, Ländliche Siedlungen der Bronzezeit und älteren Eisenzeit. Ein Zwischenbericht aus Zwenkau. In: H. Küster/A. Lang (Hrsg.), Archäologische Forschungen in urgeschichtlichen Siedlungslandschaften. Festschrift G. Kossak zum 75. Geburtstag (Regensburg 1998) 185–230. Mehner 2012 A. Mehner, Das Bronzehandwerk am Beberdüker. In: Meller 2012, 107–108. Meller 2012 H. Meller (Hrsg.), Haldensleben – VOR seiner ZEIT. Archäologische Ausgrabungen 2008–2012. Arch. Sachsen-Anhalt Sonderbd. 17 (Halle/Saale 2012). Müller/Rinne 2012 J. Müller/C. Rinne, Grabenwerk und Großsteingräber in einer Grenzregion. Erste Ergebnisse des Projektes Haldensleben-Hundisburg. In: M. Hinz/J. Müller (Hrsg.), Siedlung, Grabenwerk, Großsteingrab. Studien zu Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt der Trichterbechergruppen im nördlichen Mitteleuropa. Frühe Monumentalität und soziale Differenzierung 2 (Bonn 2012) 347–375. v. Rauchhaupt/Schunke 2010 R. v. Rauchhaupt/T. Schunke, Die jungbronze- bis früheisenzeitliche Siedlung. In: H. Meller (Hrsg.), Am Rande des Altsiedellandes. Archäologische Ausgrabungen an der Ortsumgehung Brehna. Arch. SachsenAnhalt Sonderbd. 12 (Halle/Saale 2010) 57–161. Reichenberger 1994 A. Reichenberger, „Herrenhöfe“ der Urnenfelder- und Hallstattzeit. In: D.-W. Buck (Hrsg.), Archäologische Untersuchungen zum Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit zwischen Nordsee und Kaukasus. Regensburger Beitr. Prähist. Arch. 1 (Regensburg 1994) 187–215. Schmidt 1995 J.-P. Schmidt, Drei jungbronzezeitliche Geweihäxte aus Schleswig-Holstein. Ein Beitrag zur Geschichte punktkreisverzierter Hirschgeweihäxte. Offa 52, 1995, 57–86. Schrickel 2012 a M. Schrickel, Miniaturbecken. Ein Imitat aus Ton. In: Meller 2012, 93–94. Schrickel 2012 b M. Schrickel, Ein bronzezeitliches Grabenwerk. In: Meller 2012, 111–113. Schrickel/Wagner 2011 M. Schrickel/T. Wagner, Verzierte Hirschgeweihaxt der späten Bronzezeit. Arch. Deutschland 5, 2011, 55. Schunke 2004 T. Schunke, Der Hortfund von Hohenweiden-Rockendorf, Saalkreis, und der Bronzekreis Mittelsaale. Jahresschr. Mitteldt. Vorgesch. 88, 2004, 219–337. Sommerfeld 1988 C. Sommerfeld, Der Sichelfund von Bösel, Kr. Lüchow-Dannenberg, und seine Stellung innerhalb der Lüneburger Bronzezeit. Prähist. Zeitschr. 63, 1988, 140–161. Sprockhoff 1956 E. Sprockhoff, Jungbronzezeitliche Hortfunde der Südzone des Nordischen Kreises (Periode V). Kat. RGZM 16 (Mainz 1956). Stary 1993 P. F. Stary, Der Mittelgebirgsraum als Transit- und Vermittlungszone hallstatt- und latènezeitlicher Kulturelemente aus Mitteleuropa ins westliche Ostseegebiet. Beitr. RGK 74, 1993, 537–565.
156 Stoff ner 2012 S. Stoff ner, Geweihäxte der Siedlung am ‚Kiebitzberg‘. In: Meller 2012, 105–106. Veliacik 1983 L. Veliacik, Die Lausitzer Kultur in der Slowakei (Nitra 1983). Vokolek 2002 V. Vokolek, Das Gräberfeld der Urnenfelderkultur Skalice, Ostböhmen (Prag 2002). Wagner u. a. 2012 T. Wagner/M. Schrickel/A. Mehner/U. Petersen, Hektargroße jungbronzezeitliche Siedlungen. In:Meller 2012, 70–87. Wegener 1898 P. Wegener, Zur Vorgeschichte von Hundisburg bei Neuhaldensleben, Geschichtsbl. Stadt u. Land Magdeburg 33, 1898, 82–102.
Wagner, Siedlungskammer Haldensleben
Abbildungsnachweis 1: Landesamt Denkmalpfl. u. Arch. Sachsen-Anhalt, ergänzt durch Autor. – 2: Autor, Fundstellen aus Lit. sowie Ortsakten Haldensleben I (OA-ID-638) u. II (OA-ID-639), Kartengrundlage GeoBasis-DE/LVermGeo LSA. – 3–5; 9: Landesamt Denkmalpfl. u. Arch. Sachsen-Anhalt. – 6: Autor, ergänzt nach Hofmann 2008; Schmidt 1995; Sommerfeld 1988. – 7; 8: K. Bentele, Landesamt Denkmalpfl. u. Arch. Sachsen-Anhalt. – 10: B. Müller, Landesamt Denkmalpfl. u. Arch. Sachsen-Anhalt. – 11: Autor, ergänzt nach Horst 1986; Stary 1993
Anschrift Torsten Wagner, M. A., Auenring 43, 06258 Schkopau
[email protected]
157
Walter Leclercq
Der Ferne Osten – „Orientalische“ Einflüsse in Keramik- und Metallfunden der belgischen Spätbronzezeit Zusammenfassung Forschungsgeschichtlich bedingte Paradigmen führten in der Vergangenheit vielfach zu Verzerrungen in der Wahrnehmung der belgischen Bronzezeitforschung. So erfolgte eine Anerkennung der Bronzezeit als eigenständige Epoche erst gegen Ende des 19. Jhs., nachdem man bis dahin von einem zeitgleichen Beginn der Verwendung von Bronze und Eisen ausging. Danach galten bis in die sechziger Jahre des 20. Jhs. die Becken von Maas und Schelde als im wesentlichen dem atlantischen Kulturraum zugehörig, bevor im Verlaufe der Spätbronzezeit die Rheinisch-Schweizerisch-Französische Gruppe in diesen Raum ausgriff. Aus der Schelde gebaggerte, in kontinentaler Tradition stehende Bronzen wurden von der Forschung als Einzelfälle verworfen. Diese Sicht der Dinge wirkte sich auch auf die chronologischen Vorstellungen aus, wonach die Mittelbronzezeit in Belgien erst gegen 1100 v. Chr. geendet habe. Unsere Revision des spätbronzezeitlichen Fundbestandes macht dagegen deutlich, dass die fraglichen Bronzen nicht isoliert auftreten, sondern mit entsprechenden Gefäßbeigaben aus Gräbern zu verknüpfen sind. Die 14C-Daten aus dem Brandgräberfeld von Blicquy „Ville d’Anderlecht“ bestätigen dieses Phänomen. Bestattungsplätze vom Urnenfeldertyp treten demnach bereits seit dem 14. Jh. auf. Auch nach dem Ausgreifen der Rheinisch-Schweizerisch-Französischen Gruppe in den Maas-Schelde-Raum brechen die östlichen Kontakte nicht ab. Insbesondere Beziehungen nach Westfalen bleiben in den Keramikbeigaben der Gräber weiterhin sichtbar.
1 Einleitung Bereits lange vor der Formulierung des Dreiperiodensystems durch Christian Jürgensen Thomsen im Jahre 1836 diskutierte man die Frage der Herkunft der spätbronzezeitlichen Bevölkerung Belgiens. Im Mittelpunkt der Gelehrtendiskussion standen dabei in der ersten Hälfte des 19. Jhs. die Gallier. Auch die unterschiedlichen, im Rahmen dieser Diskussion vorgetragenen Hypothesen zur ältesten Besiedlung Galliens beruhten zumeist auf der Überlieferung der antiken Autoren. Neben Caesars stets beliebtem De Bello Gallico und einigen griechischen Werken bildeten vor allem die Schriften des Ammianus Marcellinus, eines lateinischen Autors griechischer Herkunft aus Antiochia, der im 4. Jh. n. Chr. wirkte, eine wichtige Quelle diesbezüglicher Theorien. Dieser, sich auf das Werk des Timagenes von Alexandria stützend und dabei „jede Dunkelheit vermeidend“ (Amm. Marcellinus, I, Liber XV, 9, 2), gibt zahlreiche Theorien zum Ursprung der Völker Galliens wieder. Indem er sich auf die ältesten, nicht namentlich genannten Schriftsteller beruft, erwägt Ammianus die Möglichkeit, dass
die von Titus Livius als erste Einwohner Latiums genannten Aborigines (nach Titus Livius besiedelten jene Latium unter ihrem Oberhaupt, dem König Latinus) auch das ältestes Volk Galliens gewesen seien. Die zweite von Ammianus erwogene Hypothese zum Ursprung der Gallier ist die Ankunft von Doriern, welche dem Herkules folgend ihre Wohnstätten in den Gegenden nahe des Weltenmeeres genommen hätten: oceani locos inhabitasse confines (Amm. Marcellinus, I, Liber XV, 9, 3). Eine dritte Möglichkeit, die der lateinische Autor anführt, indem er sich auf Angaben der Druiden bezieht, ist die Existenz einer Bevölkerung, welche sich teilweise aus Ureinwohnern zusammensetzt, z. T. jedoch auch aus zugewanderten Bevölkerungsteilen, die aus ihren vormaligen Sitzen in den Landstrichen jenseits des Rheins und auf weit entfernten Inseln durch ständige Kriege und Sturmfluten vertrieben worden seien: partem indigenam, sed alios quoque ab insulis extimis confluxisse et tractibus transrhenanis, credibate bellorum et alluvione feruidi maris sedibus suis expulsos (Amm. Marcellinus, I, Liber XV, 9, 4). Die vierte von Ammianus überlieferte Theorie greift traditionelle Konzepte des römischen Gründungsmythos auf, indem sie nach der Zerstörung Trojas versprengte Griechen für die Besiedlung vormals unbewohnter Gegenden verantwortlich macht: Aiunt quidam paucos post excidium Troiae fugitantes Graecos ubique dispersos loca haec occupasse tunc vacua (Amm. Marcellinus, I, Liber XV, 9, 5). Seit dem Beginn des 19. Jhs. schlug der Idee einer trojanischen Herkunft der Bewohner Galliens jedoch dezidierte Ablehnung entgegen (Schayes 1837), ohne dass dies aber unmittelbar zur Übernahme des Begriffes einer „Bronzezeit“ geführt hätte, wie er in den skandinavischen Ländern seit 1836 gebräuchlich wurde. Bis zum Ende des 19. Jhs. hielt sich teilweise die Ansicht, dass Bronze und Eisen stets gemeinsam im Umlauf gewesen seien (Comhaire 1894/95). Die Existenz der Bronzezeit als eigenständige Epoche blieb somit umstritten. Als Gabriel de Mortillet (1821–1898) für die Idee einer fortschreitenden Ausbreitung der Bronzetechnik eintrat, kämpfte er dabei gegen das Konzept einer gleichzeitigen Ankunft beider Metalle in Frankreich ebenso wie in Belgien (Mortillet 1885). Zusätzlich zu den mythologischen Legenden und dem Konzept einer gemeinsamen Ausbreitung der Bronze- und Eisentechnik wurde in den frühen 1880er-Jahren eine neue Idee geboren. Die Veröffentlichung der Funde aus der Höhle von Trou del Leuve (Provinz Namur) warf die Frage nach einer fremden, helvetischen Herkunft bestimmter Fundstücke auf. Der Archäologe Alfred Bequet (1826–1912) meinte, eine enge Beziehung zwischen diesen und den seinerzeit neuesten Entdeckungen aus Schweizer Pfahlbausiedungen erkennen zu können. Selbst der Titel des Artikels von A. Bequet, Une caverne du Bel Âge du Bronze à Sinsin (Bequet 1884), erinnert dabei an
158
Leclercq, Der Ferne Osten
Abb. 1: Im Text erwähnte belgische Fundorte
die Arbeit Edouard Desors (1811–1882), Le Bel Âge du Bronze lacustre en Suisse, aus dem Jahre 1874. Unter seinen Zeitgenossen fand diese Theorie jedoch keineswegs sofortige Akzeptanz. Zu Beginn des 20. Jhs. erbrachte die Ausbaggerung der Schelde zahlreiche bronzezeitliche Funde, die bis heute den Grundstock einer der wichtigsten archäologischen Sammlungen Belgiens darstellen. Durch ihren Eingang in das Musée Royal du Cinquantenaire und durch die Qualität der Stücke spielte sie eine maßgebliche Rolle für die Entwicklung des Konzepts der Bronzezeit in Belgien (Warmenbol u. a. 1992). Erworben von Édouard Bernays (1874–1940), einem Antwerpener Anwalt, umfaßt sie sowohl Schmuckgegenstände, z. B. Nadeln, als auch Angriffs- und Verteidigungswaffen. Wenn die Herkunftsangaben zu einigen dieser Stücke auch fragwürdig erscheinen, so tut dies der Bedeutung der Sammlung für die Problematik der Fernkontakte innerhalb der Urnenfelderkultur und des Güteraustausches über große Entfernungen während dieser Epoche insgesamt doch keinen Abbruch (Abb. 1). Mit den Untersuchungen Wolfgang Kimmigs (1910–2001) zur Verbreitung der Urnenfelderkultur in Westeuropa gewannen entsprechende Forschungsfragen auch für Belgien an Relevanz, wie die beiden 1964 von ihm veröffentlichen Karten zeigen (Abb. 2). Anlässlich des dritten Internationalen Kongresses für Vorund Frühgeschichte in Zürich präsentierte M. E. Mariën (1918–1991) eine knappe Synthese des Fundstoffes der Mittelund Spätbronzezeit aus den Einzugsgebieten von Schelde und Maas. Dabei stellte er zwei große Einflussachsen heraus: Das
Becken der Schelde orientierte sich demzufolge nach Nordostfrankreich sowie England, jenes der Maas hingegen nach Ostfrankreich und der Schweiz (Mariën 1951, 48). Für die vom Autor zwecks Untermauerung seiner Argumentation vorgelegten Verbreitungskarte (Abb. 3), ist festzuhalten, dass die aus der Schelde gebaggerten Stücke der Sammlung Édouard Bernays nicht mitkartiert wurden. Unter diesen verweisen etliche jedoch eindeutig auf Verbindungen nach dem Osten. Mit der Entwicklung seiner Idee von Kontakten zwischen dem Scheldebecken und England übernahm M. E. Mariën für Belgien auch die englische Chronologie, sodass er die Spätbronzezeit erst um 1100 v. Chr. beginnen ließ (Marien 1952, 215). In den 1980er-Jahren war die Idee einer Zuwanderung aus dem schweizerischen, südwest- und süddeutschen Raum immer noch sehr präsent, wie etwa die Überblicksdarstellung La Belgique d’avant les Romains von Sigfried De Laet belegt (1982). Diese Zuwanderung wurde allerdings erst in der Stufe Ha B nach deutscher Chronologie angesetzt. Die wenigen Einzelfunde und Horte der Stufen Bz D und Ha A betrachtete man daher als verstreute Elemente innerhalb eines im wesentlichen noch mittelbronzezeitlichen Kulturmilieus (De Laet 1982, 492–497). Die Annahme einer niedrigen Chronologie hatte nachhaltigen Einfluss auf das Bild der Spätbronzezeit in Belgien. Sie wurde insbesondere von der flämischen Forschung (Abb. 4) vertreten, die sich auf Beziehungen mit Regionen jenseits des Ärmelkanals konzentrierte (Bourgeois/Talon 2009). Allerdings erwog E. Warmenbol anlässlich der Vorlage eines Beilhortes aus
Leclercq, Der Ferne Osten
159
Abb. 2: Verbreitung der Urnenfelderkultur
Abb. 3: Verbreitung bronzezeitlicher Metallfunde im Einzugsgebiet von Maas und Schelde
160
Abb. 4: Übersicht zu den unterschiedlichen Chronologieschemata, auf die der Text Bezug nimmt
Leclercq, Der Ferne Osten
Leclercq, Der Ferne Osten
161
Maaseik auch die Möglichkeit der Existenz einer Stufe Bz D/ Ha A1 (Warmenbol 1989, 290). Der Autor nutzte die Gelegenheit zudem für eine Bestandsaufnahme verschiedener, möglicherweise nach Ha A1 zu stellender Keramik- und Metallfunde.
2 Zum Beitrag der Typochronologie 2.1 Die Metallfunde Helme Zur Sammlung Édouard Bernays, die überwiegend Baggerfunde aus der Schelde umfasst, zählt auch ein bei Schoonaarde (Provinz Ostflandern) entdeckter Bronzehelm, der sich heute in Obhut der Musées Royaux d’Art et d’Histoire de Bruxelles befindet (Abb. 5). Einziges Stück seiner Art aus Belgien, deckt sich seine Patina mit einer Lagerung in feuchtem Milieu (Warmenbol 1992, 100–102), auch wenn die Herkunftsangabe gelegentlich in Zweifel gezogen wurde (Hencken 1971, 126). Die Verzierung des Helmes und sein nach innen gefalzter Rand rücken ihn in die Nähe der Helme von Mantes-laJolie (Yvelines) und Oggiono (Como). Seine Kalottenform sowie seine Maße (207 × 181 mm; Höhe 138 mm) gestatten allerdings auch, ihn mit den Stücken von Thonberg (Kreis Kronach) und Mainz in Verbindung zu bringen, wobei die Fundumstände des letzteren, eines Baggerfundes aus dem Rhein, denen des Helmes von Schoonaarde gleichen. Alle genannten Helme werden einhellig nach Bz D/Ha A1 datiert (Hencken 1971, 124; Warmenbol 1992, 100–103). Beinbergen Bislang liegen aus Belgien nur wenige Funde von Beinbergen vor (Abb. 6). Das einzige vollständige Exemplar – es handelt sich um eine Berge mit gegenständigen Endspiralen – stammt aus Grembergen (Provinz Ostflandern). Theoretisch beim Aus-
Abb. 6: Beinbergen aus Belgien. 1 Zele; 2 Han-sur-Lesse; 3 Grembergen
baggern der Schelde gefunden, weist diese Beinberge eine Patina auf, wie sie für Bronzen aus terrestrischem Milieu typisch ist (Abb. 6,3). Zweifel an ihrer Herkunft erscheinen deshalb angebracht (Mariën 1984; Warmenbol 1992; De Mulder u. a. 2012, 109). Wie bereits von Michel Mariën (1984, 26) betont, findet die Beinberge von Grembergen ihre beste Paralle in einem Stück aus Flörsheim (Main-Taunus Kreis), welches wohl in die Stufe Bz D zu stellen ist (Richter 1970, 59). Diese Form von Beinbergen begegnet vor allem in Hessen (ebd. Taf. 66). Nadeln
Abb. 5: Helm von Schoonaarde
Einen der besten relativchronologischen Indikatoren stellen nach wie vor die Nadelformen der Bronzezeit dar. Im allgemeinen von einfacher Machart, besitzen manche Formen dennoch einen ausgeprägten chronologischen und chorologischen Zeigerwert. Einige geben deutlich ihre Herkunft aus entfernten Gegenden zu erkennen. Neben dem bereits genannten Helm erbrachte die Ausbaggerung der Schelde auch zahlreiche Nadeltypen, darunter auch eine Nadel mit flachem Scheibenkopf (L. 340 mm; Kopfdm. 58,3 mm) (Abb. 7,1). Ihre Patina stimmt mit dem wahrscheinlichen Fundort überein. Man hat sie mit Nadeln mit horizontaler Kopfscheibe verglichen, die insbeson-
162 dere den Stufen Bz D/Ha A1 zuzurechnen sind (Warmenbol 1992, 107). Vier Vertreter der Nadeln mit flachem Scheibenkopf stammen aus dem Tal der Oder, davon wurden drei bei Jordanów Śląski (Gmina Łagiewniki) gefunden (Abb. 7,2–4), eine weitere in „Schlesien“ (Abb. 7,5). Diese Nadeln werden
Leclercq, Der Ferne Osten traditionell der klassischen Phase der Vorlausitzer Kultur zugeschrieben. Die Verbreitungskarte zeigt insbesondere eine Konzentration im Oderbecken (Abb. 7). Ebenfalls in der Sammlung Édouard Bernays vertreten findet sich eine kleinere Variante der Nadeln der Form Schwabsburg
Abb. 7: Scheibenkopfnadeln. 1 Grembergen; 2–4 Jordanów Śląski; 5 „Schlesien“
Leclercq, Der Ferne Osten
163
Abb. 8: Nadeln der Form Schwabsburg. 1–3 Neckarsulm, Grab 18/2; 4;. Neckarsulm, Grab 28; 6 Schoonaarde
(L. 98 mm, Kopfdm. 27 mm) (vgl. Kubach 1977, 452) (Abb. 8). Das Verbreitungsgebiet dieser Nadelform ist relativ ausgedehnt, wobei einige Exemplare bis in die Schweiz zu finden sind, aber auch in Frankreich (Villethierry). Aufgrund seiner Ähnlichkeit mit Exemplaren aus dem Moseltal und aus dem Hort von Villethierry lässt sich das Stück aus der Sammlung Bernays in die Stufe Ha A stellen (Warmenbol 1992, 105). Unter den Körpergräbern von Neckarsulm „Trendpark-Süd“ in Nordwürttemberg (Landkreis Heilbronn), enthielten die Gräber 18 und 28 jeweils einen Vertreter der Form Schwabsburg und sind damit in die Stufe Ha A1 zu datieren (Knöpke 2009, 182 Taf. 41,1; 49,1). In Herstal (Provinz Lüttich), nur wenige Kilometer von der deutschen Grenze, wurde 1965 ein spätbronzezeitliches Gräberfeld ausgegraben, das aus 20 Gräbern bestand (AlenusLecerf 1974). Davon lieferte Grab 10 eine schlecht erhaltene, auf Schulterhöhe gekappte Urne mit einer Nadel, deren Typ zunächst unbestimmt blieb (Alenus-Lecerf 1974, 20). Bei einer Länge von 8 cm besitzt diese Bronzenadel einen gerippten Kegelkopf (Abb. 9,2). Der Hals weist drei Zierregister auf (parallele und gegenständige Linien, die ein Zickzackmuster bilden). Wegen fehlender Vergleiche wurde bei ihrer Veröffentlichung kein Datierungsversuch unternommen. Eine Sichtung der einschlägigen Bände der „Prähistorischen Bronzefunde“ zeigt jedoch eine gewisse Nähe zu den Nadeln des Typs Fels am Wagram, wobei die nächsten Vergleichsstücke aus dem ungarischen Hortfund von Románd, Kr. Zirc, stammen (Abb. 9,3). Für diesen Nadeltyp wird generell eine Datierung nach Bz D vertreten (Řihovský 1983, 39).
Abb. 9: Nadeln des Typs Fels am Wagram. 1; 2 Herstal „Pré Wigier“, Grab 10; 3 Románd
Rädchen, Lappenbeile und Halsringe Unter den Gegenständen, die Zeugnis von Handelsbeziehungen bzw. Fernkontakten ablegen, sei an dieser Stelle auch auf ein vierspeichiges Bleirädchen mit Vogelzier hingewiesen, das aus dem Höhlenkomplex von Han-sur-Lesse (Provinz Namur) stammt (Abb. 10). Wenn seine nächsten Parallelen in typologischer Hinsicht auch aus Italien vorliegen, so gilt das-
164
Leclercq, Der Ferne Osten
Abb. 10: Bleirädchen von Han- sur-Lesse „Trou de Han“
selbe doch nicht für seine chemische Zusammensetzung. Tatsächlich ähneln die Ergebnisse der Bleiisotopenanalyse dieses Stückes (207Pb/206Pb: 0,8551; 208Pb/206Pb: 2,0953) den Werten für die Lagerstätte von Bad Bleiberg in Österreich (207Pb/206Pb: 0,8529; 208Pb/206Pb: 2,0981) (Glansdorff 1984, 92). Im Jahr 1985 veröffentlichte E. Warmenbol einen Artikel betitelt Des faucilles venues de l’Est, auf welchen der Titel des vorliegenden Beitrags Bezug nimmt. Die oberständigen Lappenbeile wie jene des Depots von Berg-en-Terblijt (Provinz Limburg [NL]) treten ab der Stufe Bronze final II auf und sind typologisch in die Nähe von Exemplaren aus Nordwestdeutschland zu stellen, insbesondere aus dem Ruhrgebiet (Warmenbol 1985, Abb. 1 b). Schließlich liegt von Dave (Provinz Namur) ein Hort mit vier Halsringen vor (Vermeren 1984), welcher genauso wie der Halsring aus dem Grabhügel von Grand Gard (ebenfalls Provinz Namur) chronologisch der Stufe Ha A1 zuzuweisen ist, und zu dem die besten Vergleichsstücke aus Nordwest- und Mitteldeutschland namhaft gemacht wurden (Warmenbol 1992, 157).
Abb. 11: Oberständige Lappenbeile aus dem Hortfund von Berg-en-Terbijt
2. 2 Keramik Die im folgenden referierten Ergebnisse sind meiner Doktorarbeit entnommen, deren Gegenstand im wesentlichen das keramische Inventar spätbronzezeitlicher Fundstellen aus dem Einzugsbereich von Maas und Schelde war. Wie bereit der Titel meiner Arbeit verrät (Leclercq 2012), bestand das Hauptziel der Untersuchung darin, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der Spätbronzezeit im Scheldebecken sowie am Mittellauf der Maas nachzuzeichnen. Geografisch entspricht das Arbeitsgebiet damit mehr oder weniger dem heutigen Wallonien. Seine Wahl ist keineswegs dem Zufall geschuldet, sondern zielt konkret darauf ab, zuallererst dem sehr schlechten Forschungsstand zur spätbronzezeitlichen Keramikentwicklung in dieser Region Abhilfe zu schaffen. Der Fundstoff, auf den meine Studie sich stützt, stammt überwiegend von Fundstellen, deren Material z. T. bereits seit dem 19. Jh. unveröffentlicht geblieben war oder nur teilweise publiziert vorlag. Im Gegensatz dazu ist der entsprechende Fundstoff aus
Abb. 12: Zwei der vier Halsringe von Dave
Flandern bereits seit den Forschungen Jacques Nenquins (Nenquin u. a. 1958), vor allem aber durch die Arbeit M. Desitteres (1968) gut bekannt. Das Material unseres Arbeitsgebietes ließ letzterer dabei allerdings unberücksichtigt, mit
Leclercq, Der Ferne Osten Ausnahme einiger ausgewählter Grabfunde, wodurch die betreffenden Inventare auch während der vergangenen vier Jahrzehnte weiterhin dem Vergessen anheim fielen. Ein zweiter Grund für die Wahl dieser Region als Arbeitsgebiet besteht in ihrer Lage am Kreuzungspunkt zwischen atlantischer, kontinentaler und nordischer Welt. Dies bietet uns die Möglichkeit, einen Blick auf ihre besondere Rolle im Geflecht unterschiedlicher kultureller Strömungen und Interaktionssphären im Westen Europas zu richten. Schließlich gestattet unsere Arbeit im Anschluss an die Dissertation Guy de Mulders (Universiteit Gent) zum Scheldebecken sowie an die Doktorarbeit Barbara Temmermans (Vrije Universiteit Brussel) zum Gräberfeld von Neerharen Rekem (Provinz Limburg [B]) die Schließung einer Lücke in den belgischen Forschungen zu dieser Epoche. Um den keramischen Fundbestand zu erfassen, der die Grundlage unserer Arbeit bildet, kombinierten wir im Rahmen unserer Materialaufnahme unterschiedliche Vorgehensweisen. Der Erfassung von Altbeständen aus Grabungen des 19. Jhs. gingen zunächst aufwendige Literaturrecherchen sowie die Sichtung der noch erhaltenen Grabungsunterlagen voraus. Im allgemeinen an jeweils einem einzelnen Verwahrort aufbewahrt, mitunter jedoch auch über verschiedene Sammlungen verstreut, erforderten diese Altbestände in der Regel einen langwierigen Abgleich zwischen den zumeist nur summarischen Veröffentlichungen und dem in den Museen erhaltenen Material. Eine entsprechende Vorgehensweise kam auch bei Neufunden zum Tragen, um sicherzustellen, dass die Beschreibung des Materials den von uns herangezogenen Klassifikationskriterien entsprach: ein Abgleich mit dem originalen Quellenmaterial blieb auch hier notwendig. Die enge Zusammenarbeit mit einigen der in der wallonischen Landesarchäologie tätigen Kollegen gestattete es uns, auch Fundstoff aus aktuellen Grabungen in unsere Auswertung mit einzubeziehen. Die Anwendung eines einheitlichen typologischen Klassifikationssystems für den gesamten Fundbestand, im Verbund mit großräumigen Vergleichsuntersuchungen, erbrachte eine Reihe besonders interessanter Ergebnisse, auf die im folgenden näher einzugehen sein wird.
165 päischen Forschung wird sie selten vom Gefäßtyp des Doppelkonus getrennt, sondern zusammen mit diesem in ein und derselben Kategorie als „doppelkonische Gefäßformen“ zusammengefasst. Die Schale mit eingezogenem Rand aus Grab 1 von Biez (Abb. 13,1) stellt eines von nur zwei Stücken dieses Typs aus dem bronzezeitlichen Fundbestand unseres Arbeitsgebietes dar. Das unverzierte Gefäß besitzt eine leicht einziehende Schulter und diente als Urne zur Aufnahme des Leichenbrandes. Die Originalpublikation verzichtete auf einen näheren Datierungsversuch (Loë 1905). Der zweite Vertreter dieser Form, von St. Vincent, fand sich mit einer Nadel vergesellschaftet und wurde von Mariën (1964, Abb. 27) der Stufe Ha B zugewiesen. Vergleichbare Exemplare stammen vor allem aus Westfalen, in einem weiteren geografischen Umkreis aber auch aus Mecklenburg. Das beste Vergleichsstück, mit ähnlicher Schulterneigung, stammt aus dem Gräberfeld von Telgte „Dovenacker“ (Abb. 13,2) (Wilhemi 1981, Abb. 20, F61). Dieses Gräberfeld erbrachte noch zwei weitere Exemplare, von denen eines (Wilhemi 1981, Taf. 14,353 a) aus einem Befund
Schalen mit eingezogenem Rand Per definitionem besteht der Gefäßkörper dieses Schalentyps aus lediglich zwei tektonischen Elementen: Bauch und Schulter. Seine Benennung als Schale mit eingezogenem Rand wurde von Emil Vogt geprägt (Vogt 1930, 38). Einige Autoren bezeichnen sie auch als Doppelkonus mit scharfem bis gerundetem Umbruch (Wilhemi 1981, 75). Sie entspricht der Form 5–2 von Hauterive-Champréveyres (Borrello 1992, 32). Bereits die Wahl der Bezeichnung „Schale“ (fr. jatte) mag hier potenziell zu Verwirrung führen. Tatsächlich findet dieser Begriff mitunter Verwendung, um eine Form zu benennen, die wir in unserem typologischen System als „konische Schale“ (fr. écuelle) bezeichnen. Im Sprachgebrauch der nordeuro-
Abb. 13: Schalen mit eingezogenem Rand (Auswahl). 1 Biez „Bruyère Marion“; 2 Telgte „Dovelnacker“; 3 Oespeler Bach
166 stammt, der ein Radiokohlenstoffdatum von 1090 ±55 BC erbrachte (Wilhemi 1981, 92 Taf. 16,799)106. Das zweite Exemplar besitzt eine stärker gewölbte Schulter (Wilhemi 1981, Taf. 18, F811). Auch aus anderen westfälischen Gräberfeldern liegen Schalenformen ähnlich dem Stück aus Grab 1 von Biez vor, so etwa aus Buer-Schievenfeld im Stadtkreis Gelsenkirchen. Über einen Vergleich mit verzierten Exemplaren können die Gelsenkirchener Stücke nach Ha B datiert werden (Aschemeyer 1966, Abb. 20,5). Ein weiteres Exemplar liegt aus Neuwarendorf vor und wird dort zwischen das Ende der Periode IV und den Beginn der Periode V datiert (Rüschoff-Thale 2004, 60–62). In den letzten Jahren erbrachten Grabungen in Nordrhein-Westfalen mehrere Neufunde von Schalen mit eingezogenem Rand, von welchen jene aus dem Gräberfeld von Dortmund „Oespeler Bach“ (Abb. 13,3) in die Stufe Ha B1 zu stellen sind (Brink-Kloke u. a. 2006, 67 Abb. 827,1). Eine wesentlich weiter südlich gefundene Parallele stammt aus Grab B von Rafz „Im Fallentor“ (Kanton Zürich). Die Dimensionen der betreffenden Schale sind allerdings deutlich höher (Ruoff 1974, 24 f. Abb. 10,30). Von Lothar Sperber (1987, Taf. 29), wurde sie seinem Typ 137 zugeschlagen. Der Umstand, dass Sperber den Typ 137 in seinen Tafeln der Spätbronzezeit IIc (Ha B1), im Text jedoch der Spätbronzezeit IIIa (Ha B2) zuwies (Sperber 1987, 323), führte bereits in der Vergangenheit zu einiger Verwirrung und erschwert chronologische Vergleiche auf Grundlage dieser Gefäßform. An dieser Stelle muss ein Stück aus dem Gräberfeld von Aulnay-aux-Planches (Dép. Marne) erwähnt werden. Dieses Exemplar, das lediglich eine entfernte Parallele zu unserer Schale aus Biez bietet, stellt ein bezeichnendes Beispiel für die teilweise noch immer bestehende Verwirrung zwischen den Formen der Schale mit eingezogenem Rand und des Doppelkonus dar. Der Autor der Originalpublikation zieht als Vergleiche für diesen Fund jedenfalls deutsche und belgische Stücke mit völlig unterschiedlichen Gefäßprofilen heran (Chertier 1976, Abb. 23,7). Aus der Westschweiz sind noch weitere Vergleichsstücke bekannt (Kimmig 1940, Taf. 17,A1). Im Gegensatz zu den Schweizer Exemplaren fehlt unserer Schale jedoch der Schulterdekor, was die Möglichkeiten einer feinchronologischen Zuordnung einschränkt. Allerdings datieren zwei ebenfalls unverzierte Stücke mit nahezu identischen Profil aus Auvernier (Kanton Neuenburg) eindeutig nach Ha B (Rychner 1979, 91 Taf. 20,1–2). Letztere ähneln einer kammstrichverzierten Form von derselben Fundstelle, wobei diese Verzierungstechnik besonders in Ha B1 vertreten ist, aber durchaus noch während Ha B2 auftritt (Rychner 1979, 91 Taf. 20,6). Eine weitere Entsprechung zu der Schale aus Biez liegt aus Cortaillod-Ost (Kanton Neuenburg) vor und wird dort einem frühen Ha B2 nach der SPM-Chronologie zugewiesen. Hierbei stützen sich 106 Mutmaßlich handelt es sich um ein unkalibriertes Datum. Da der BP-Wert sowie Angaben zur Labornummer jedoch fehlen, wurde hier von einer nachträglichen Kalibration abgesehen.
Leclercq, Der Ferne Osten die Autoren des SPM-Bandes auf Cortaillod-Ost (1010–955 v. Chr.) und Landeron (961–957 v. Chr.) als dendrodatierte Referenzfundstellen (Rychner 1998, 76–77). Ein verziertes Exemplar aus Bereich D von Hauterive-Champréveyres (Kanton Neuenburg) ist aufgrund typologischer Kriterien nach Ha B1 zu stellen; die Fälldaten des Bereichs D beginnen gegen 990 v. Chr. (Egger/Benkert 1986, 491). Terrinen Die simpelste Gefäßform mit komplexem Körper und einfachen Hals bilden die Terrinen. Anders als bei den Doppelkoni zeichnet sich der Schulterbereich hier durch eine leichte Einziehung aus, zumeist verbunden mit einem – oft kaum wahrnehmbaren – Wechsel im Neigungswinkel der oberen Gefäßwandung. Im Gegensatz zu den Doppelkoni, bei welchen Schulter und Hals nicht zu trennen sind, lassen sich diese beiden Elemente aufgrund ihrer unterschiedlichen Neigungswinkel bei den Terrinen klar unterscheiden (Abb. 14). Ein Wechsel in der Gefäßwandneigung führt hier somit zu einer ansatzweisen Halsbildung, wodurch sie als Zwischenform eine Mittlerstellung zwischen den Doppelkoni und den Schüsseln einnehmen. Der Schulterumbruch befindet sich zumeist etwa auf halber Höhe des Gefäßkörpers. Wie im Falle der Schalen mit eingezogenem Rand und der Doppelkoni gilt es auch bei den Terrinen das Fehlen einer Randlippe zu unterstreichen. Beispiele für diese Gefäßform liegen von Gräberfeldern in Brabant und Ostflandern vor. Die drei uns vorliegenden Exemplare mit vollständig erhaltenem Gefäßprofil besitzen einen flachen Boden mit einem Durchmesser zwischen 66 und 95 mm. Das Bauchprofil zeigt sich leicht ausgewölbt oder geradwanding. Der Umbruch liegt auf halber Gefäßhöhe oder leicht darüber und liefert zugleich den Maximaldurchmesser des Gefäßes. Der Randdurchmesser schwankt zwischen 126 und 138 mm. Die Terrine aus Grab 5 von Biez „Bruyère Marion“ (Abb. 14,1) ist gut mit der Urne Nr. 173a aus dem Gräberfeld von Vollmarshausen vergleichbar, welche wegen ihrer flauen Form sowie aufgrund von Vergleichsfunden aus Nordhessen nach Ha C datiert wird (Bergmann 1982, 54). Allerdings weist das Exemplar aus Biez eine noch größere Nähe zu Typ 9a des Vollmarshausener Gräberfeldes auf (Abb. 14,2) den der betreffende Autor nach Ha B1 stellt (Bergmann 1982, 56). Die beste Parallele zu unserem Stück bildet die Urne 833.1 aus dem westfälischen Gräberfeld von Dortmund „Oespeler Bach“ (Abb. 14,3), wenn auch ihre Maße diejenigen unseres Exemplares deutlich übertreffen. Von den Autoren der entsprechenden Gräberfeldpublikation wird sie mit ähnlichen Formen verglichen, z. B. aus Grab 83, für welches ein Radiokohlenstoffdatum von 1208–844 kal BC vorliegt (KN 4767) (Brink-Kloke u. a. 2006, 28). Für die Datierung derartig einfacher und vollständig unverzierter Formen bietet sich daneben auch ein Rückgriff auf vergesellschaftete Metallfunde an. Im Hinblick auf unsere Terrinenform kommt dabei dem Grab von Ammeln besondere
Leclercq, Der Ferne Osten
167
Abb. 14: Terrinen (Auswahl). 1 Biez „Bruyère Marion“; 2 Vollmarshausen; 3 Oespeler Bach
Bedeutung zu, da sie sich hier mit einem Rasiermessers des Typs Eschborn (Griff mit T-förmiger Innenverstrebung) vergesellschaftet findet, der allgemein nach Ha A2/B1 zu datieren ist (Voss 1967, Taf. 20,8.9). Auch das Exemplar aus Grab 31 von Velzeke „Paddestraat“ datiert ganz entsprechend in die Zeit von Ha A2/B1 (De Mulder/Rogge 1995, 29 f.). Diese relativchronologischen Zuweisungen stehen im Einklang mit dem 14C-Datum aus dem Gräberfeld am Oespeler Bach. In Anlehnung an den Datierungsvorschlag J. Bergmanns für entsprechende Formen aus Vollmarshausen, und in Anbetracht des Fehlens einer Radiokohlenstoffdatierung des Leichenbrandes aus dem Grab von Biez, möchten wir hier eine relativ breite Datierungsspanne zwischen Ha B1 und B3 vertreten. Eine Zuweisung zur Stufe Ha A2 erschiene uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt dagegen gewagt. Amphoren Amphoren zeichnen sich in der Regel durch einen komplex aufgebauten Gefäßkörper aus, bestehend aus Bauch, ausgeprägter Schulterpartie und Hals (Abb. 15). Eine weitere Klassifizierung wird durch eine Vielzahl von Variationen in der Ausprägung des Gefäßprofils erschwert. Kleine Amphoren mag man den komplexen Gefäßformen mit einfacher Schulterpartie zurechnen; große Amphoren dagegen können aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu Zylinderhalsgefäßen den Formen mit komplexem Körper und komplexer Halsbildung zugewiesen werden. Wie bereits erwähnt, tritt diese Form unter den spätbronzezeitlichen Keramikinventaren nicht sehr häufig auf. Das Exemplar aus Blicquy „Ville d’Anderlecht“ (Abb. 15,5), welches als charakteristisch für die Untermainisch-Schwäbische
Gruppe gelten darf, steht unter den Gräberfeldern des Scheldebeckens allerdings nicht isoliert dar. In der Nähe von Gent erbrachte der Fundplatz Destelbergen-Eenbeekeinde zwei große Urnen (mit stärker gewölbter Bauchrundung), die als Urnen zur Aufnahme des Leichenbrandes dienten. Das Stück aus Grab 52 besitzt einen Umbruch ähnlich dem Fund aus Blicquy und wurde von den Ausgräbern der Stufe Ha B1 zugewiesen, der zweite Vertreter dieser Form, aus Grab 69, dagegen in die Stufe Ha B2/3 gestellt (De Laet u. a. 1986, 99; 103 Abb. 34; 35). Mit seiner nahezu identischen Girlandenverzierung bietet auch das Exemplar von Huttenheim (Kreis Bruchsal) eine ausgezeichnete Parallele, abgesehen von seinem höheren Hals (Abb. 15,6). Von Kimmig wurde es in die Stufe Ha A gestellt (Kimmig 1940, 68). Die ebenfalls vergleichbare Amphore von Hüfingen (Schwarzwald-Baar-Kreis) schließlich wies U. WelsWeyrauch dem Beginn der mittleren Urnenfelderzeit zu, was einer Datierung nach Ha A2 entspricht (Wels-Weyrauch 1978, 64 Taf. 102). Neben der Urne aus Blicquy „Ville d’Anderlecht“ ist uns noch eine weitere Amphore überliefert, die als Behältnis für den Leichenbrand verwendet wurde, in Grab 1 von Court-SaintÉtienne (Abb. 15,1). Vergesellschaftet mit einer Tasse, kleinen Spiralröllchen und einer Perle aus blauem Glas, verfocht der Autor der betreffenden Gräberfeldpublikation eine Datierung nach Ha B, wobei er zugleich allerdings das Fehlen zuverlässiger Vergleiche für die Amphore betonte (Mariën 1958, 153). Mittlerweile konnte die Datierung nach Ha B durch einen Vergleich mit der Urne aus Grab 39 von Dortmund „Oespeler Bach“ bestätigt werden (Brink-Kloke 2006, 33 Abb. 87). Eine weitere Amphore, vergesellschaftet mit einem amphoroiden Beigefäß und einer Nadel, stammt aus einem Grab bei Nordhemmern (Kreis Minden-Lübbecke), ebenfalls in Nordrhein-
168
Leclercq, Der Ferne Osten
Abb. 15: Amphoren (Auswahl). 1 CourtSaint-Étienne; 2 Solresur-Sambre „La Thure“; 3; 4 Neudorf; 5 Blicquy „Ville d’Anderlecht“; 6 Huttenheim
Westfalen. Dieses Inventar ist chronologisch an das Ende der Spätbronzezeit zu stellen (Lange 1983, 230 Abb. 8.3). Auch in Sachsen haben Grabungen in mehreren Gräberfeldern des Landkreises Bautzen etliche Amphoren ähnlich derjenigen von Court-Saint-Étienne zutage gefördert. Insbesondere zu erwähnen ist hier ein Grab mit zwei Amphoren von NeschwitzNeudorf (Abb. 15,3.4), das der Stufe Niederkaina-1 a zuzuweisen ist, was allgemein der Stufe Bz C bzw. dem Beginn der Stufe Bz D entspricht (Puttkammer 2008, 158 f. Abb. 93).
Schließlich handelt es sich auch bei der Urne, die den Leichenbrand des Grabes 1 von Borsbeek (Provinz Antwerpen) enthielt, um eine Amphore (Abb. 19,1). Während sie bislang nach Ha B bzw. an den Anfang von Ha C gestellt wurde (Van Impe 1972, 21), möchten wir an dieser Stelle eine Datierung nach Ha A verfechten. Tatsächlich bestehen hier deutliche typologische Parallelen zum Gräberfeld von Niederkaina (s. unten).
Leclercq, Der Ferne Osten
169
Abb. 16: Doppelkoni der Stufen Ha B–D: 1 Court-SaintÉtienne; 2 Biez-Cocroux „Bruyère Marion“; 3 Herstal „Pré Wigier“, Grab 15; 4 Oespeler Bach; 5 Temse „Veldemolenwijk“; 6 Budberg
Doppelkoni Unter den Grabbeigaben aus Urnenfeldern des Arbeitsgebietes befinden sich auch mehrere Doppelkoni. Aufgrund der scheinbaren Einfachheit ihrer Form und wegen der regionalen Beschränktheit vergleichender Analysen blieben sie von der belgischen Forschung bislang weitgehend unberücksichtigt. Im Jahre 1985 unternahm A. D. Verlinde eine Seriation der verschiedenen Vorkommen von Doppelkoni in der Provinz Overijssel, was eine Gliederung in drei verschiedene Typen erbrachte. Seit dem Kolloquium von Nemours (Brun/Mordant 1988, 712–713) begegnet der Doppelkonus zumal in der französischsprachigen Literatur auch unter der Bezeichnung „Typ 21“ (doppelkonische Form ohne Rand). Die Benennung als Typ 21 wurde in der belgischen Forschung mit den Arbeiten G. De Mulders zu den Gräberfeldern des Scheldebeckens eingeführt (De Mulder 2011, 338–341). Aufgrund seiner Oberflächenbehandlung schrieb Mariën (1958, 167–170) den Einzelfund 34 von Court-Saint-Étienne bei seiner Erstveröffentlichung der Stufe Ha D zu (Abb. 16,1).
Für den Doppelkonus aus Grab 15 von Herstal „Pré Wigier“ (Abb. 16,3), der eine große Ähnlichkeit zu dem Stück aus Court-Saint-Étienne aufweist, wurde seinerzeit aufgrund des vergesellschafteten Begleitgefäßes eine Datierung in den Übergang von Ha B nach Ha C vorgeschlagen (Alenus-Lecerf 1974, 43 f.). In derselben Region stammen mehrere Exemplare dieses Typs aus dem Gräberfeld von Temse „Veldemolenwijk“ (Abb. 16,5). In Anlehnung an die Ergebnisse der Ausgrabungen J. Mertens (1951) in Langdorp (Provinz Flämisch-Brabant) wurden sie durch M. Desittere (1968, 142) nach Ha C/D datiert. Im selben Zuge datierte er auch Grab 11 aus AalterOostergem, zu dessen Inventar ein zweihenkeliger Doppelkonus zählt, an das Ende von Ha C bzw. den Beginn von Ha D (Desittere 1968, 68). Eines der Exemplare aus der niederländischen Provinz Overijssel datierte A. D. Verlinde (1985, Abb. 115,490) über einen Vergleich mit anderen Formen doppelkonischer Halsgefäße in den Zeitraum zwischen 1130–919 kal BC (GrN-6869: 2860 ±35) und 976–814 kal BC (GrN6685: 2745 ±35 BP) (Lanting/Mook 1977, 133). Allgemein wird für Overijssel von einer Datierung der Doppelkoni in die
170 Periode IV ausgegangen, obwohl der Fundstoff eine chronologische Zuweisung gleichermaßen zur Periode V wie zur Periode IV gestattet (Verlinde 1985, 306). Aus dem Bundesland Nordrhein-Westfalen, das sowohl an die niederländische Provinz Overijssel wie an Belgien grenzt, liegen zahlreiche Vertreter des schlanken Doppelkonus mit entwickelter Schulter vor. Das Hauptverbreitungsgebiet dieser Form ist dabei relativ eng auf einen der Nebenflüsse des Rheins begrenzt: die Ruhr. Nur einen Steinwurf vom Zusammenfluss von Rhein und Ruhr entfernt erbrachte der Fundort Budberg (Kreis Moers) ein den belgischen Stücken sehr ähnliches Exemplar (Abb. 16,6). Wenn bei seiner Erstveröffentlichung durch R. von Uslar (1955/56, Abb. 3,9) auch keine nähere Datierung versucht wurde, nahm M. Desittere (1968, 103) später jedoch eine Zuordnung zur Stufe Ha B vor. In der Nähe von Dortmund lieferte das Gräberfeld von BuerSchievenfeld mehrere Doppelkoni, denen von H. Aschemeyer (1966, 24) „klassische“ nordwestdeutsche Proportion bescheinigt wurde. Ein in die Periode IV datierter Doppelkonus liegt auch aus dem Gräberfeld von Bork-Altenbork in der Gemeinde Selm (Kreis Unna) vor (Eggenstein 1995, Abb. 16.1). Einige Kilometer östlich von Dortmund erbrachte die bereits erwähnte Fundstelle am Oespeler Bach mehrere ähnliche Formen. Ein Stück aus Grab 41 wurde von den Autoren der Gräberfeldpublikation aufgrund der vergesellschafteten Keramik in die Stufe Ha B gestellt (Brink-Kloke u. a. 2006, 33). Für Grab 83, aus welchem der zweite der insgesamt vier Doppelkoni dieses Gräberfeldes stammt, erbrachte die Radiokohlenstoffdatierung des Leichenbrandes ein Datum von 1208–844
Leclercq, Der Ferne Osten kal BC (KN 4767) (Brink-Kloke u. a. 2006, 28). Die beiden anderen Exemplare wurden demselben Zeitraum zugewiesen. Im äußersten Nordosten Westfalens bei Wittenhusen (Kreis Minden-Lübbecke) entdeckte man einen etwas größeren Vertreter desselben Typs, vergesellschaftet mit einem einschneidigen Rasiermesser mit S-förmigem Griff. Letztere datieren allgemein an das Ende der jüngeren Bronzezeit (Ha B2/3), was keinen Widerspruch zu der Zeitstellung der vorstehend genannten Exemplare darstellt (Brink-Kloke u. a. 2006, 33). Eine letzte Art des Doppelkonus, mit niedrigem Umbruch, stammt als Einzelfund aus dem Gräberfeld von Herstal „Pré Wigier“ (Abb. 17,1). Doppelkoni mit niedrigem Umbruch treten im bronzezeitlichen Fundbestand Belgiens nicht sehr häufig auf. Allerdings liegen Parallelen aus Großhöflein (Abb. 17,2), Mala Bela (Abb. 17,3) und Gerlinden (Abb. 17,4) vor, die hier eine Datierung nach Ha A1 nahelegen. Kegelhalsgefäße Die Kegelhalsgefäße zeichnen sich durch einen relativ hohen Körper mit zumeist hoch sitzendem Schulterumbruch aus. Wie bereits der Name andeutet, ist ihr Hals von kegelstumpfförmiger Gestalt. Unter den Kegelhalsgefäßen von Fundstellen unseres Arbeitsgebietes befinden sich sowohl hohe (Han, Blicquy) als auch etwas niedrigere Formen (Saint-George, Provinz Lüttich). Sie weisen einen flachen Boden auf, dessen Durchmesser zwischen 80 mm für die kleineren und 160 mm für die größten Exemplare schwankt. Die Wandung im Bauchbereich verläuft gerade. Der maximale Durchmesser der
Abb. 17: Doppelkoni mit niedrigem Umbruch. 1 Herstal „Pré Wigier“; 2 Großhöflein; 3 Mala Belà; 4 Gerlinden
Leclercq, Der Ferne Osten
171
Abb. 18: Kegelhalsgefäße. 1 Saint George; 2 Han-sur-Lesse, 3; 4 Blicquy „Ville d’Anderlecht“
Kegelhalsgefäße in unserem Fundbestand schwankt zwischen 195 und 255 mm. Ihr Mündungsdurchmesser variiert zwischen 126 und 180 mm. Als einziger Dekor ist eine Riefenverzierung am Übergang zwischen Hals und Schulter zu beobachten. Nur an einem unserer Stücke tritt bislang eine solche Riefenzier auf (Abb. 18,1). Die Exemplare F163 von Blicquy (Abb. 18,3) und Han (Abb. 18,2) weisen mit ihrem leicht ausgewölbtem Hals Ähnlichkeit zu Funden aus dem Neuwieder Becken auf, die dort ohne weitere chronologische Differenzierung in die Stufe Ha A gestellt werden (Ruppel 1990, Beilage 2; Desittere 1968, 12 Abb. 4,1). Von Kimmig (1940, 47) wurden sie zum Formenbestand der Untermainisch-Schwäbischen Gruppe gezählt und darüber hinaus mit charakteristischen Formen der Lausitzer Kultur in Verbindung gebracht. Stärker gedrungene Ausprägungen dieser Form scheinen etwas später zu datieren, wie ein Ha B2/3 zugewiesenes Vergleichsstück aus dem Gräberfeld von Vollmarshausen bezeugt (Bergmann 1982, 51 Nr. 194 a). Auch die in der Provinz Overijssel zutage geförderten Exemplare sind wohl in diesem Zeitraum zu stellen (Verlinde 1985, 339). Die späteste Ausprägung der Kegelhalsgefäße finden sich in den Urnen des Typs Harpsted, welche üblicherweise nach Ha C datiert werden, und von denen ein Vertreter auch im Gräberfeld von Court-Saint-Étienne auftritt (Mariën 1958, 150 Abb. 26). Ein Beispiel für ein in diese Stufe datiertes Kegelhalsgefäß bietet die Urne aus Grab 302a von Vollmarshausen (Bergmann 1982, 51).
Gräberfeld von Borsbeek (Provinz Antwerpen) im Jahr 1965 ein im Verhältnis zum Durchschnitt belgischer Urnenfelderbestattungen außergewöhnliches Keramikinventar (Abb. 19). Sechs Beigefäße begleiteten hier die als Urne zur Aufnahme des Leichenbrandes verwendete Amphore (Van Impe 1972, 8).
3 Ein besonderes Keramikinventar: Grab 1 von Borsbeek Neben dem simplen Vergleich typologischer Einzelelemente bieten sich auch vollständige Grabinventare als Gegenstand einer komparativen Analyse an. So erbrachte Grab 1 aus dem
Abb. 19: Grab I von Borsbeek
172
Leclercq, Der Ferne Osten
Abb. 20: Gegenüberstellung des Grabes 1 von Borsbeek (oben) und des Grabes 1953-C/18 von Niederkaina (unten)
Wie weiter oben bereits angedeutet, finden sich die nächsten Parallelen zu letztgenanntem Gefäß im Bereich der Lausitzer Kultur Ostdeutschlands. Hier ist insbesondere Grab 1953-C/18 von Niederkaina (Landkreis Bautzen) zu erwähnen, aus dem ein der Amphore aus Grab 1 von Borsbeek ähnliches Exemplar
vorliegt (Abb. 20). Das betreffende Grab aus Niederkaina wurde von den Bearbeitern des Gräberfeldes der Stufe NK 2b zugewiesen, d. h. der zweiten Hälfte von Ha A1 bzw. der ersten Hälfte von Ha A2 (Puttkammer 2008, 64). Vor kurzem wurde an den Materialien aus dem Gräberfeld von Borsbeek
Leclercq, Der Ferne Osten eine Reihe von Radiokohlenstoffdatierungen durchgeführt. Die dabei für das Grab 1 ermittelte Zeitstellung von 1130– 920 kal BC (KIA-37896: 2865 ±35 BP) bestätigt die auf typochronologischem Wege gewonnene Datierung (De Mulder u. a. 2012, 583). Neben der Form der Amphore weist auch die Zusammensetzung des übrigen Keramikinventars Ähnlichkeit mit Lausitzer Grabausstattungen auf: Amphoren, konische Schale und Kännchen finden sich hier vergesellschaftet. Eine solche Kombination ist unter den Grabausstattungen im Einzugsgebiet von Schelde und Maas einzigartig.
4 Zum Beitrag der Radiokohlenstoffdatierung Bisher ging die belgische Forschung allgemein recht undifferenziert von einem Belegungsbeginn der Urnenfelder im Arbeitsgebiet im Verlaufe der Stufen Ha A/B aus. Die zahlenmäßige Vervielfachung von Radiokohlenstoffdatierungen an Leichenbrand eröffnet im Verbund mit einer typologischen Neubewertung der vorstehend erwähnten Funde jedoch die Möglichkeit einer neuen Sichtweise sowohl zur Belegung der Gräberfelder als auch zum Besiedlungsgang insgesamt. Die betreffenden Bronzen und Keramikfunde zeigen deutlich das Vorhandensein eines für die Stufen Bz D und Ha A1 charakteristischen Formenbestandes, wie er gelegentlich schon früher verfochten (Warmenbol 1989, 290), von den meisten Autoren jedoch in Abrede gestellt wurde. Allerdings konnte sich die hier vertretene Hypothese bisher lediglich auf typologische Argumente stützen. Erst die Ergebnisse der Ausgrabungen im Gräberfeld von Blicquy „Ville d’Anderlecht“ gestatteten eine Verifizierung auch auf anderem Wege. Unter den 14 radiokohlenstoffdatierten Gräbern (Abb. 21) verweist die Datierung der Strukturen F129 (1520–1410 kal BC) (KIA-23752: 3185 ±30), F125 (1450–1300 kal BC) (KIA-23757: 3110 ±30), F68 (1390–1120 kal BC) (KIA-23758: 3010 ±30) und F26 (1380– 1120 kal BC) (KIA-24014: 3000 ±35) deutlich auf einen Beginn der Belegung während Bz D und Ha A1 (De Mulder u. a. 2007, 504–507). Um die hier geäußerten Thesen zum Belegungsbeginn der belgischen Urnenfelder weiter zu entwickeln, werden in Zukunft freilich noch weitere Untersuchungen notwendig sein.
5 Fazit Ein Vergleich der Keramikinventare unseres Arbeitsgebietes mit Funden einerseits aus dem Rechtsrheinischen, andererseits aus Ostdeutschland erbrachte für Belgien den Nachweis der Existenz einer Stufe Bz D/Ha A1, welche bereits aufgrund der Metallfunde sowie der Radiokohlenstoffdatierungen zu vermuten war. Zuvor datierte man innerhalb des Arbeitsgebietes nur ein oder zwei Gefäße nach Art der leicht gerieften Ware in die Stufe Ha A1. Der Vergleich einer Reihe belgischer Metall- und Keramikfunde mit Inventaren aus Deutschland gestattet es uns, die Zeitstellung mancher Einzelobjekte und Inventare neu zu de-
173 finieren. Ihre Zuweisung zur den Stufen Bz D/Ha A1 erlaubt es, die Existenz eines entsprechenden Materialhorizontes auch für das Arbeitsgebiet zu postulieren. Für einen entsprechenden Beginn der Belegung der belgischen Urnenfelder spricht auch die Radiokohlenstoffdatierung von Leichenbränden aus manchen dieser Gräber. Zweitens ist klar geworden, dass der Einfluss der RheinischSchweizerisch-Französischen Gruppe während Ha B sich nicht als ein monolithischer Block darstellt, der die sozioökonomische Landschaft der Spätbronzezeit in Belgien dauerhaft geprägt hätte. Das Vorhandensein von Fremdeinflüssen in der Ha B1- bis B2-zeitlichen Keramik unseres Arbeitsgebietes, welche eindeutig in Gebieten jenseits der Rheinisch-Schweizerisch-Französischen Gruppe ihren Ursprung haben, erfordert hier ein genaueres Hinsehen sowie eine stärkere Differenzierung, zumal die Schweizer Seeufersiedlungen in diesem Zeitraum deutlich zurückgehen, bevor in der Stufe Ha B3 kurzfristig eine erneute Fund- und Befundvermehrung eintritt. Wie in der Einleitung zu diesem Beitrag ausgeführt, bilden Migrationsbewegungen – seien sie nun aus kriegerischen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Beweggründen erfolgt – das vorherrschende Erklärungsmuster für das Auftreten von Fremdformen in der Spätbronzezeit Belgiens. Generell wird davon ausgegangen, dass Teile des Maas- und Scheldebeckens während Ha A2/B1 unter den Einfluss der Rheinisch-Schweizerisch-Französichen Gruppe gerieten (Warmenbol 1988). Die Existenz eines Materialhorizontes entsprechend den Stufen Bz D sowie Ha A1 im Sinne des deutschen Chronologiegerüstes wurde generell verneint, und der betreffende Zeitabschnitt stattdessen dem Ende der Mittelbronzezeit zugeschlagen (De Laet 1982, 492 f.). Teilweise findet eine entsprechende Terminologie in der Forschung nach wie vor Verwendung (Abb. 4). Die Ausgrabungen der neunziger Jahre im Gräberfeld von Velzeke „Provienciebaan“ (Provinz Ostflandern) schienen diese Ansicht zu bestätigen. Die ältesten Gräber wurden hier den Stufen Ha A2/B1 zugeschrieben (De Mulder/Rogge 1995). In der Folge ermöglichte die Bearbeitung des Gräberfeldes von Blicquy „Ville d’Anderlecht“ jedoch eine Korrelation der dortigen Grabinventare mit den deutschen bzw. schweizerischen Chronolgieschemata. Dies führte einerseits zu einer Revision der belgischen Spätbronzezeitchronologie, andererseits zu einer Neubewertung der sich im Fundstoff äußernden soziokulturellen Affinitäten. Die Beweggründe für das schwerpunktmäßige Auftreten von Fremdformen an bestimmten Fundstellen entziehen sich weitgehend unserer Kenntnis. Durch die Sitte der Brandbestattung gehen uns leider viele Erkenntnismöglichkeiten verloren, die ansonsten durch physisch-anthropologische Untersuchungen zur Verfügung stünden. Daher lassen sich auf dieser Grundlage kaum verbindliche Aussagen zum Vorhandensein oder Fehlen „fremder“ Bevölkerungselemente treffen. Sucht man nach möglichen ökonomischen Motiven für das Auftreten von Fremdformen, so sind neben Handel jedenfalls auch
174
Abb. 21: Blicquy „Ville d’Anderlecht“, Radiokohlenstoffdatierungen
Leclercq, Der Ferne Osten
Leclercq, Der Ferne Osten noch andere Erklärungsmodelle denkbar (Harding 2000, 187). Dies gilt insbesondere für „Pionierfundstellen“, deren Belegung bereits in einem frühen Abschnitt der Spätbronzezeit beginnt. So ließe sich etwa das Gräberfeld von Blicquy „Ville d’Anderlecht“ durchaus plausibel als Zeugnis einer Koloniegründung deuten, ähnlich wie wir sie aus dem mediterranen Raum kennen, z. B. Phokäa (Hermary u. a. 1999). Hierfür ließe sich jedenfalls das Auftreten von Formen wie der Amphoren heranziehen, die ihre nächsten Entsprechungen in weit entfernten Regionen finden. Es wäre freilich eine deutlich brei-
175 tere Materialgrundlage notwendig, als sie uns gegenwärtig zur Verfügung steht, um eine solche Hypothese etweder verifizieren oder falsifizieren zu können.
Danksagung Mein besonderer Dank gilt Dirk Brandherm für seine Hilfe bei der Übersetzung meines Textes aus dem Französischen sowie für seine hilfreichen Kommentare zu den im vorliegenden Beitrag behandelten Fragestellungen.
176
Literatur Ammianus Marcellinus Ammien Marcellin, Histoire I (Paris 1989). Alenus-Lecerf 1974 J. Alenus-Lecerf, Sondages dans un champ d’urnes à Herstal. Arch. Belgica 157 (Bruxelles 1974). Aschemeyer 1966 H. Aschemeyer, Die Gräber der jüngeren Bronzezeit im westlichen Westfalen. Bodenaltertümer Westfalens 9 (Münster 1966). Bergmann 1982 J. Bergmann, Ein Gräberfeld der jüngeren Bronze- und älteren Eisenzeit bei Vollmarshausen, Kr. Kassel. Zur Struktur und Geschichte einer vorgeschichtlichen Gemeinschaft im Spiegel ihres Gräberfeldes. Kasseler Beitr. Vor- und Frühgesch. 5 (Marburg 1982). Borrello 1992 M.-A. Borrello, Hauterive-Champréveyres 6. La céramique du Bronze final: zones D et E. Arch. Neuchâteloise 14 (Saint-laise 1992). Bourgeois/Talon 2009 J. Bourgeois/M. Talon, From Picardy to Flanders. Transmanche Connections in the Bronze Age. In: P. Clark (Hrsg.), Bronze Age Connections. Cultural Contact in Prehistoric Europe (Oxford, Oakville 2009) 38–59. Brink-Kloke u. a. 2006 H. Brink-Kloke/H. Heinrich/U. Bartelt, Das Schlüsselloch-Gräberfeld am Oespeler Bach. Befunde und Funde der jüngeren Bronzezeit am Hellweg in Oespel und Marten, Stadt Dortmund. Bodenaltertümer Westfalens 43 (Mainz am Rhein 2006). Brun/Mordant 1988 P. Brun/C. Mordant (Hrsg.), Le groupe Rhin-Suisse-France orientale et la notion de civilisation des Champs d’Urnes, actes du colloque international de Nemours 1986. Mémoires du Musée de Préhistoire d’Ile-de-France 1 (Nemours 1988). Chertier 1976 B. Chertier, Les nécropoles de la civilisation des Champs d’Urnes dans la région des marais de Saint-Gond (Marne). Gallia Préhist. VIIIe supplément (Paris 1976). Comhaire 1894/95 Ch.-J. Comhaire, Les premiers âges du métal dans les bassins de la Meuse et de l’Escaut. Bull. Soc. Anthr. Bruxelles 13, 1894/95, 97– 226. De Laet 1982 S. J. De Laet, La Belgique d’avant les Romains (Wetteren 1982). De Laet u. a. 1986 S. J. De Laet/H. Thoen/J. Bourgeois, Les fouilles du séminaire d’archéologie de la Rijksuniversiteit te Gent à Destelbergen-Eenbeekeinde (1960–1984) et l’histoire la plus ancienne de la région de Gent (Gand) I. La période préhistorique. Diss. Arch. Gandenses 23 (Brugge 1986). De Mulder 2011 G. De Mulder, Funeraire rituelen in het Scheldebekken tijdens de late bronstijd en de vroege ijzertijd. De grafvelden in hun maatschappelijke en sociale context (ungedr. Diss. Univ. Gent 2011). De Mulder/Rogge 1995 G. De Mulder/M. Rogge, Twee urnengrafvelden te Zottegem-Velzeke. Publicaties van het Provinciaal Archeologisch Museum van Zuid-OostVlaanderen (Zottegem 1995). De Mulder u. a. 2007 G. De Mulder/M. Van Strydonck/M. Boudin/W. Leclercq/N. Paridaens/ E. Warmenbol, Re-evaluation of the Late Bronze Age and Early Iron Age Chronology of the Western Belgian Urnfields Based on 14C-dating of Cremated Bones. Radiocarbon 49,2, 2007, 499–514. De Mulder u. a. 2012 G. De Mulder/M. Van Strydonck/R. Annaert/M. Boudin, A Merovingian Surprise. Early Medieval Radiocarbon Dates on Cremated Bone (Borsbeek, Belgium). Radiocarbon 54, 3/4, 2012, 581–588. Desittere 1968 M. Desittere, De urnenveldenkultuur in het gebied tussen Neder-Rijn en Noordzee (Periodes Ha A en B). Diss. Arch. Gandenses 11 (Brugge 1968).
Leclercq, Der Ferne Osten Desittere/Goossens 1966 M. Desittere/A. Goossens, Twee uitzonderlijke graven van de urnenveldenkultuur uit Borsbeek (Prov. Antwerpen). Helinium 6, 1966, 218–223. Desor 1865 E. Desor, Les palafittes ou constructions lacustres du lac de Neuchâtel (Paris 1865). Destexhe 1987 G. Destexhe, La Protohistoire en Hesbaye centrale. Du Bronze final à la romanisation. Arch. Hesbignonne 6 (Saint-Georges 1987. Eggenstein 1995 G. Eggenstein, Die frühen Ausgrabungen Albert Baums 1897/98 an der Lippe in den Gemeinden Waltrop, Datteln und Selm. Ausgr. u. Funde Westfalen-Lippe 9 b, 1995, 35–94. Egger/Benkert 1986 H. Egger/A. Benkert, Dendrochronologie d’un site du Bronze final, Hauterive Champréveyres (Suisse). Bull. Soc. Préhist. Française 83, 1986, 486–502. Gedl 1983 M. Gedl, Die Nadeln in Polen. PBF 13,7 (München 1983). Glansdorff 1984 B. Glansdorff, Un objet protohistorique exceptionnel de la grotte de Han-sur-Lesse. La rouelle aux oiseaux. In: Actes du XLVIIe Congrès de la Fédération des cercles d’archéologie et d’histoire de Belgique et IIe Congrès de l’Association des cercles francophones d’histoire et d’archéologie de Belgique, 23–26 août 1984, T. 2 (Nivelles 1984) 78–95. Harding 2000 A. F. Harding, European Societies in the Bronze Age (Cambridge 2000). Hencken 1971 H. Hencken, The Earliest European Helmets. Bull. Am. School Prehist. Research 28 (Cambridge/Mass. 1971). Hermary u. a. 1999 A. Hermary/A. Hesnard/H. Tréziny, Marseille grecque. La cité phocéenne (600–49 av. J.-C.) (Paris 1999). Jockenhövel 1971 A. Jockenhövel, Die Rasiermesser in Mitteleuropa (Süddeutschland, Tschechoslowakei, Österreich, Schweiz). PBF 8,1 (München 1971). Kimmig 1940 W. Kimmig, Die Urnenfelderkultur in Baden. Röm.-Germ. Forsch. 14 (Berlin 1940) Knöpke 2009 S. Knöpke, Der urnenfelderzeitliche Männerfriedhof von Neckarsulm. Forsch. u. Ber. Vor- und Frühgesch. Baden-Württemberg 116 (Stuttgart 2009). Kubach 1973 W. Kubach, Die Nadeln in Hessen und Rheinhessen. PBF 13,3 (München 1973). Lange 1983 W. R. Lange, Einflüsse der Urnenfelderkultur auf den Urnenfriedhöfen Ostwestfalens. Arch. Korrbl. 13, 1983, 219–231. Lanting/Mook 1977 J. N. Lanting/W. G. Mook, The Pre- and Protohistory of the Netherlands in Terms of Radiocarbon Dates (Groningen 1977). Leclercq 2012 W. Leclercq, L’âge du Bronze dans les Bassins de l’Escaut et de la Meuse moyenne: culture matérielle et cadre socio-économique (ungedr. Diss. Univ. Libre de Bruxelles 2012). Loë 1905 A. De Loë, Nos recherches et nos fouilles durant le premier semestre de 1905. Bull. Mus. Royaux Arts Décoratifs Bruxelles 5,3, 1905, 89–92. Mariën 1951 M. E. Mariën, Les axes Escaut et Meuse à l’âge du Bronze. Bull. Mus. Royaux Art et Hist. 4e sér., 23, 1951, 46–48. Mariën 1952 M. E. Mariën, Oud-België van de eerste Landbouwers tot de komst van Caesar (Anvers 1952). Mariën 1958 M. E. Mariën, Trouvailles du Champ d’Urnes et des tombelles hallstattiennes de Court-Saint-Etienne. Monogr. Arch. Nat. 1 (Bruxelles 1958).
Leclercq, Der Ferne Osten Mariën 1964 M. E. Mariën, La nécropole à tombelles de Saint-Vincent. Monogr. Arch. Nat. 3 (Bruxelles 1964). Mariën 1984 M. E. Mariën, Han-sur-Lesse: Bronzes de récupération de la civilisation des Champs d’Urnes. Helinium 14, 1984, 18–43. Mertens 1951 J. Mertens, Een urnengrafveld te Aarschot-Langdorp (Brabant). Eigen Schoon en De Brabander 34, 1951, 321–341. Mortillet 1898 G. de Mortillet, Âge du Bronze en Belgique. Revue mensuelle de l’école d’Anthropologie de Paris 8, 1898, 280–283. Nenquin u. a. 1958 J. Nenquin/P. Spitaels/S. J. De Laet, Contributions à l’étude de la civilisation des champs d’urnes en Flandre. Diss. Arch. Gandenses 4 (Brugge 1958). Puttkammer 2008 Th. Puttkammer Das prähistorische Gräberfeld von Niederkaina bei Bautzen 10 (Dresden 2008). Řihovský 1983 J. Řihovský, Die Nadeln in Westungarn I. PBF 13,10 (München 1983). Ruoff 1974 U. Ruoff, Zur Frage der Kontinuität zwischen Bronze- und Eisenzeit in der Schweiz (Basel 1974). Ruppel 1990 Th. Ruppel, Die Urnenfelderzeit in der Niederrheinischen Bucht. Rhein. Ausgr. 30 (Köln 1990). Rüschoff-Thale 2004 B. Rüschoff-Thale, Die Toten von Neuwarendorf in Westfalen. Gräber vom Endneolithikum bis in die Spätlatènezeit. Bodenaltertümer Westfalens 41 (Mainz 2004). Rychner 1979 V. Rychner, L’âge du Bronze à Auvernier (lac de Neuchâtel, Suisse). Typologie et chronologie des anciennes collections conservées en Suisse (Lausanne 1979). Rychner 1998 V. Rychner, Spätbronzezeit in der Westschweiz – L’âge du Bronze final en Suisse occidentale et Valais. In: S. Hochuli/U. Niffeler/V. Rychner (Hrsg.), Bronzezeit – Âge du Bronze – Età del Bronzo. Die Schweiz vom Paläolithikum bis zum frühen Mittelalter 3 (Basel 1998) 70–79. Schayes 1837 A. G. B. Schayes, Les Pays-Bas avant et durant la domination romaine (Bruxelles 1837). v. Uslar 1955/56 R. von Uslar, Gräber der späten Urnenfelderzeit von Budberg (Kreis Moers). Bonner Jahrb. 155/156, 1955/56, 395–403. Van Impe 1972 L. Van Impe, Een urnenveld te Borsbeek. Arch. Belgica 140, 1972, 5–37. Verlinde 1985 A. D. Verlinde, Die Gräber und Grabfunde der späten Bronzezeit und frühen Eisenzeit in Overijssel IV. Ber. ROB 35, 1985, 231–411. Vermeren 1984 F. Vermeren, Quatre torques de l’âge du bronze provenant des rochers de Néveau à Dave (Namur). Ann. Soc. Arch. Namur 63,2, 1984, 133–147. Vogt 1930 E. Vogt, Die spätbronzezeitliche Keramik der Schweiz und ihre Chronologie. Denkschr. Schweizer. Naturforsch. Ges. 66,1 (Zürich 1930). Voss 1967 K. Voss, Die Vor- und Frühgeschichte des Kreises Ahaus. Bodenaltertumer Westfalens 10 (Münster 1967). Warmenbol 1985 E. Warmenbol, Des faucilles venues de l’Est. Quelques réflexions à propos des faucilles et quelques autres objets du Bronze final trouvés dans le Bassin mosan moyen. Helinium 25, 1985, 212–237. Warmenbol 1988 E. Warmenbol, Le groupe Rhin-Suisse-France orientale et les grottes sépulcrales du Bronze final en Haute-Belgique. In: Brun/Mordant 1988, 153–163.
177 Warmenbol 1989 E. Warmenbol, Le dépôt de haches à ailerons de Maaseik (Limburg). Les débuts du Bronze final en Belgique et dans le Sud des Pays-Bas. Jahrb. RGZM 36, 1989, 277–299. Warmenbol 1992 E. Warmenbol, L’âge du Bronze final en Haute Belgique. État de la question. Ann. Soc. Arch. Namur 67,2, 1992, 149–194. Warmenbol u. a. 1992 E. Warmenbol/Y. Cabuy/V. Hurt/N. Cauwe, La collection Édouard Bernays. Néolithique et âge du Bronze, époques gallo-romaines et médiévales. Monogr. Arch. Nat. 6 (Bruxelles 1992). Wels-Weyrauch 1978 U. Wels-Weyrauch, Die Anhänger und Halsringe in Südwestdeutschland und Nordbayern. PBF 11,1 (München 1978). Wilhemi 1981 K. Wilhemi, Zwei bronzezeitliche Kreisgrabenfriedhöfe bei Telgte, Kr. Warendorf. Bodenaltertümer Westfalens 17 (Münster 1981).
Abbildungsnachweis 1; 4; 21: Entwurf Autor. – 2: nach Kimmig 1964, Abb. 7; 18. – 3: nach Mariën 1952, Abb. 248. 5: nach Warmenbol 1992, Abb. 56. – 6,1: ebd. Abb. 70. – 6,2: nach Mariën 1984, Abb. 1. – 6,3: Warmenbol 1992, Abb. 67. – 7,1: ebd. 103. – 7,2–4: nach Gedl 1983, Taf. 19,205 254 257. – 7,5: ebd. Taf. 20,268. – 8,1–3: nach Knöpke 2009, Taf. 41; 8,4.5: ebd. Taf. 49; 8,6: nach Warmenbol 1992, Abb. 58. – 9,1.2: nach Alenus-Lecerf 1974, Abb. 9,10/1. 2.– 9,3: nach Řihovský 1983, Taf. 15,368. – 10: nach Warmenbol 1996, Abb. 11. – 11: nach Warmenbol 1985, Abb. 1 b. – 12: nach Warmenbol 1992, Abb. 1. – 13,1; 14,1; 16,2; 18,2–4: Autor, MRAHKMKG. – 13,2: nach Wilhemi 1981, Taf. 20,F61. – 13,3: nach Brink-Kloke u. a. 2006, Taf. 111,827/1. – 14,2: nach Bergmann 1982, Taf. 248. – 14,3. nach Brink-Kloke u. a. 2006, Taf. 112. – 15,1. nach Mariën 1958, Abb. 26. – 15,2: nach Brulet/Cahen-Delhaye 1972, Abb. 3,D. – 15,3.4: nach Puttkammer 2008, Abb. 93. – 15,5: nach Henton 2005, Abb. 5. – 15,6: nach Kimmig 1940, Taf. 5,C2. – 16,1: nach Mariën 1958, Abb. 30,34. – 16,3: nach Alenus-Lecerf 1974, Abb. 9,15/1. – 16,4: nach Brink-Kloke u. a. 2006, Taf. 100,116.1. – 16,5: nach Desittere 1968, Taf. 93,1. – 16,6. nach v. Uslar 1955/56, Abb. 3,9. – 17,1: nach Alenus-Lecerf 1974, Abb. 12,3.– 17,2: nach Jockenhövel 1971, Taf. 62,B11. – 17,3: ebd. Taf. 67,A17. – 17,4: nach Sperber 1987, Taf. 56,48. – 18,1: nach Destexhe 1987, Taf. 114,397. – 19: nach Desittere/Goossens 1966, Abb. 3. – 20: oben nach ebd. Abb. 1; unten nach Puttkammer 2008, Abb. 106
Anschrift Walter Leclercq, Collaborateur scientifique du Centre de recherches en archéologie et patrimoine, Université libre de Bruxelles, Av. F. D. Roosevelt, 50 CP 175/1, 1050 Bruxelles, Belgique
[email protected]
178
Robert Schumann
Die Siedlungsarchäologie der Bronze- und Urnenfelderzeit in Oberösterreich und die Ausgrabungen von Gilgenberg-Bierberg
107
Zusammenfassung Die Erforschung der Bronzezeit in Oberösterreich war im 20. Jh. ebenso wie in zahlreichen anderen Regionen geprägt von den Quellengattungen der Gräber und Horte. Siedlungen spielten in der Diskussion aufgrund der Quellenlage keine große Rolle. Ungeachtet einiger Fortschritte der letzten Jahrzehnte – zu nennen ist beispielsweise die Untersuchung der frühbronzezeitlichen Höhensiedlung auf der Burgwiese bei Ansfelden – bleiben weiterführende Arbeiten zu bronzezeitlichen Siedlungen außerordentlich selten. Im vorliegenden Beitrag soll daher zunächst der Forschungsstand zu den Siedlungen der Bronzezeit in Oberösterreich umrissen und darauf aufbauend die Ergebnisse der 2005 und 2009 in GilgenbergBierberg durchgeführten Ausgrabungen vorgestellt werden. Durch diese bauvorgreifenden Untersuchungen wird erstmals ein besserer Einblick in die spätbronze- bzw. urnenfelderzeitliche Siedlungstätigkeit in Oberösterreich möglich.
Einleitung Trotz zahlreicher eponymer und international bekannter Fundorte wie Hallstatt oder den Pfahlbaustationen am Mondsee stellt Oberösterreich, im Vergleich zu den gut erforschten Regionen Ostbayern und Niederösterreich, in weiten Teilen einen weißen Fleck auf archäologischen Verbreitungskarten dar. Dies verdeutlicht auch die Bezeichnung als terra incognita in der archäologischen Fachliteratur (Gruber 2008, 10) und gilt in besonderem Maß für die Bronzezeiten. Zwar konnten hier in den letzten Jahren einige Fortschritte erzielt werden, wie beispielsweise die Aufarbeitung fast aller frühbronzezeitlichen Gräbergruppen durch Martina Reitberger (2003; 2004; 2010), Impulse für die Forschung kommen aus Oberösterreich jedoch sehr selten. In den Fokus der Bronzezeitarchäologie rückte die Region in den letzten Jahrzehnten vor allem durch die Entdeckung der bronzezeitlichen Stiege (Reschreiter/ Barth 2005; Reschreiter/Kowarik 2008) und generell der Erforschung des Salzbergbaus von Hallstatt (z. B. Barth 1982; 1998). Zu nennen ist in diesem Zusammenhang auch das Dissertationsprojekt von Kerstin Kowarik, das sich mit den wirtschaftlichen Strukturen des bronze- und eisenzeitlichen Salzbergbaus in Hallstatt beschäftigt (Kowarik 2009; 2011; Kowarik/Reschreiter 2010). Die Quellengattung der Siedlungen stand bei Untersuchungen zur Bronzezeit bis heute stets im Schatten der Gräber oder Horte, wobei in den letzten Jahr107 Für Anmerkungen und Anregungen zum vorliegenden Beitrag danke ich Daniel Neumann (Frankfurt), Jutta Leskovar (Linz) und Peter Trebsche (Asparn a. d. Zaya).
zehnten auch auf dem Gebiet der Siedlungsarchäologie einige Fortschritte erzielt werden konnten. Im Folgenden wird der Forschungsstand zu den Siedlungen der einzelnen bronzezeitlichen Perioden in Oberösterreich umrissen. Darauf aufbauend werden die Ausgrabungen der Jahre 2005 und 2009 in Gilgenberg-Bierberg vorgestellt, die erstmals einen besseren Einblick in die spätbronze- bzw. urnenfelderzeitliche108 Siedlungstätigkeit in Oberösterreich erlauben.
Siedlungen der frühen Bronzezeit Derzeit sind in Oberösterreich insgesamt zehn Siedlungsfundstellen der frühen Bronzezeit bekannt (Abb. 1).109 Das Verbreitungsbild der frühbronzezeitlichen Siedlungen entspricht von der Verteilung der Fundstellen gesehen den Kartierungen für die meisten anderen Epochen in Oberösterreich. Der größte Teil der Fundorte liegt im oberösterreichischen Donauraum, besonders im Großraum Linz. Dies dürfte eher auf die zahlreichen Bauvorhaben und auf die Tatsache, dass hier die meisten Museen mit archäologischen Sammlungen situiert sind, zurückzuführen sein, als auf eine ehemals intensivere Besiedlung dieses Raumes. An frühbronzezeitlicher Siedlungsforschung in der Mitte des letzten Jahrhunderts sind vor allem die
Abb. 1: Verbreitung frühbronzezeitlicher Siedlungen in Oberösterreich 108 Der für Oberösterreich gängigen Einteilung Monika zu Erbachs (1989) folgend wird die Stufe Bz D im Folgenden als späte Bronzezeit und die Stufen Ha A-B als Urnenfelderzeit verstanden. 109 Zur frühbronzezeitlichen Siedlungsarchäologie in Oberösterreich vgl. Reitberger 2011 sowie Trebsche 2008, 96–101.
Schumann, Siedlungsarchäologie in Oberösterreich Vorlage der Funde von St. Florian am Inn und die Untersuchungen in Linz-Reisetbauer zu nennen (Reitinger 1958). In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts waren es vor allem die Ausgrabungen auf der Berglitzl bei Gusen,110 die Impulse für die frühbronzezeitliche Siedlungsforschung brachten.111 An Befunden der frühen Bronzezeit sind hier vor allem einige Gruben zu nennen, an deren Sohle sich unter anderem vollständige Vorratsgefäße fanden. Bedauerlicherweise blieben die frühbronzezeitlichen Befunde von der Berglitzl bis heute fast vollständig unpubliziert, sodass eine detaillierte Beurteilung der Situation derzeit noch nicht möglich ist. Es zeichnen sich jedoch zwei Besiedlungsphasen ab, eine ältere der Unterwölblinger Gruppe und eine jüngere der Věteřov-Gruppe.112 In den letzten Jahrzehnten kamen bei Forschungsgrabungen, die sich eigentlich Befunden anderer Zeitstellungen widmeten, so in Ansfelden, und bei Notbergungen im Großraum Linz einige frühbronzezeitliche Siedlungsspuren zutage, die jedoch bis heute allesamt unpubliziert blieben, so beispielsweise in Tödling.113 Eine Ausnahme stellen hier die Untersuchungen in der Höhensiedlung auf der Burgwiese in Ansfelden bei Linz dar. Im Rahmen des Forschungsprojektes „Höhensiedlungen im Linzer Raum“ (Ruprechtsberger/Urban 2007) fanden zwischen 1999 und 2002 Ausgrabungen statt, die Peter Trebsche leitete und im Rahmen seiner im Jahr 2005 eingereichten Wiener Dissertation auswertete (Trebsche 2008). Anschließend wurden in den Jahren 2006–2008 weitere Untersuchungen durchgeführt (Trebsche u. a. 2006; 2007; 2008). Neben jung- und endneolithischen, hallstattzeitlichen und frühmittelalterlichen Besiedlungsphasen sind auch einige Objekte der frühen Bronzezeit zuzuweisen. Neben zwei parallelen Pfostenreihen, die sich anhand einer Magnetometerprospektion zu einem frühbronzezeitlichen Langhaus rekonstruieren lassen, sind vor allem vier Siedlungsgruben zu nennen. Besonders hervorzuheben ist eine Grube, aus der insgesamt 60 Gefäße geborgen wurden. Es handelt sich bei diesem Befund um eine Keramikdeponierung, da die Gefäße, wie eine Analyse der anpassenden Scherben zeigte (Trebsche 2008, 76–84), bereits im fragmentierten Zustand in die Grube gelangten (Abb. 2). Die frühbronzezeitliche Besiedlung der Burgwiese lässt sich anhand der Analyse der Keramikformen an die Věteřov-Gruppe angliedern. Anhand von Begehungen kann die Ausdehnung der frühbronzezeitlichen Siedlungsphase auf 1,9 ha geschätzt werden. Bei den Grabungen 2006–2008, die bis jetzt nur in Vorberichten publiziert sind, konnte zudem festgestellt werden, dass der innere Wall der Burgwiese in die frühe und mittlere
110 Zunächst von M. Pertlwieser als reiner Kult- bzw. Opferplatz interpretiert (z. B. Pertlwieser 1974; 1974/75). 111 Zur Grabungsgeschichte und der Rezeption der Ergebnisse siehe jüngst Ruprechtsberger 2011. 112 Zur Berglitzl in der frühen Bronzezeit siehe zuletzt zusammenfassend Trebsche 2008, 98 f. 113 Pertlwieser 2001, 579 f. Die frühbronze- und urnenfelderzeitlichen Funde werden von Daniel Neumann und Robert Schumann im Rahmen der sich in Vorbereitung befindlichen Gesamtpublikation der Grabungen des Oberösterreichischen Landesmuseums vorgelegt und ausgewertet.
179
Abb. 2: Frühbronzezeitliche Keramikdeponierung der Siedlung auf der Burgwiese bei Ansfelden
Bronzezeit datiert und mehrere Bauphasen aufweist, da diese mehrmals einem Feuer zum Opfer fiel (Trebsche u. a. 2008).114 Die genannten Fundstellen erlauben erste Einblicke in das Siedlungswesen der frühen Bronzezeit in Oberösterreich und zeigen, dass der Forschung in den letzten Jahren, insbesondere durch die Ausgrabungen auf der Burgwiese bei Ansfelden, deutliche Fortschritte gelungen sind. Während sich der Forschungsstand zu den Gräbern durch die Vorlage der Ausgrabungen in Haid, Rudelsdorf und Hörsching deutlich verbessert hat (Reitberger 2003; 2004; 2010), muss er aber für die Siedlungen der frühen Bronzezeit trotz dieser Fortschritte weiterhin als ungenügend gelten.
Siedlungen der Mittel- und Spätbronzezeit Der Forschungsstand zu den Siedlungen der Mittel- und Spätbronzezeit, hier im Sinne der Stufen Bronzezeit B bis D nach Paul Reinecke, gestaltet sich ähnlich wie der der Frühbronzezeit, lässt jedoch noch weniger detaillierte Einblicke in das Siedlungswesen zu.115 Die Verbreitung der bekannt gewordenen Siedlungen ebenso wie der Grabhügelfelder (Gruber 1999 a, Karte 1) zeigt ein ähnliches Bild mit einem Schwerpunkt im Linzer Raum, jedoch einer etwas breiteren Streuung an Fundstellen (Abb. 3). Bei den elf derzeit bekannten Fundstellen handelt es sich fast ausnahmslos um Lesefundstellen und einige wenige Siedlungen, die im Rahmen von bauvorgreifenden Maßnahmen dokumentiert wurden. Untersuchungen fanden in verschiedenen Siedlungsgattungen statt. Teilweise bereits zu Beginn des 20. Jhs. wurden einige befestigte Höhensiedlungen archäologisch untersucht, wie beispielsweise der Burgstall bei 114 Siehe auch http://homepage.univie.ac.at/peter.trebsche/Grabungsbericht_Burgwiese_2008.pdf, Stand: 3. 1. 2014. 115 Der Forschungsstand zur Mittel- und Spätbronzezeit in Oberösterreich wurde jüngst von H. Gruber zusammenfassend referiert, nach dessen Ausführungen sich die folgende Zusammenstellung richtet. Zur Siedlungsarchäologie siehe insbesondere Gruber 2011, 259–261.
180
Schumann, Siedlungsarchäologie in Oberösterreich Siedlungsbefunde der mittleren Bronzezeit dokumentiert. Es handelt sich hierbei um insgesamt neun Siedlungsgruben, die derzeit jedoch noch einer Publikation harren (Pertlwieser/Tovornik 1989, 194 f.). Auch in Gilgenberg-Bierberg lassen sich einige Befunde der hier behandelten Zeitstellungen aufzeigen (siehe unten). Diese jüngeren Grabungen in mittel- bis spätbronzezeitlichen Siedlungen sind derzeit jedoch, sieht man von einigen Grabungsberichten ab, vollständig unpubliziert. Dezidierte Aussagen zum Siedlungsgeschehen der mittleren und späten Bronzezeit in Oberösterreich sind somit derzeit nicht zu treffen. Für die Siedlungsarchäologie weiter Teile des 2. Jts. v. Chr. in Oberösterreich bleiben zunächst die Vorlage der wenigen Grabungsbefunde und vor allem auch neue feldarchäologische Arbeiten abzuwarten.
Abb. 3: Verbreitung mittel- bis spätbronzezeitlicher Siedlungen in Oberösterreich
Abb. 4: Verbreitung urnenfelderzeitlicher Siedlungen in Oberösterreich
Ratishof im Bezirk Braunau am Inn (Mahr 1919) oder der Kürnberg bei Linz (Willvonseder 1937, 411–413). Die jüngst vom Oberösterreichischen Landesmuseum wieder aufgenommenen Ausgrabungen auf dem Burgstall bei Ratishof erbrachten vorerst keine neuen Erkenntnisse zur bronzezeitlichen Besiedlung. Zu nennen ist auch die Ausgrabung des Paura-Hügels bei Stadl-Paura (Beninger 1961) sowie eine kleinflächige Untersuchung des Walls auf dem Buchberg im Attergau (Eibner 1975). Neben einigen nicht sicher zu beurteilenden Hinweisen auf mittel- bis spätbronzezeitliche Siedlungstätigkeit an den Pfahlbauten in Oberösterreich (Gruber 2011, 260 f.) sind es vor allem Flachlandsiedlungen, die in den letzten Jahrzehnten durch bauvorgreifende Maßnahmen verstärkt in den Blickwinkel der oberösterreichischen Feldarchäologie getreten sind. So wurden beispielsweise in Saxen-Saxendorf im Machland einige
Siedlungen der Urnenfelderzeit und die Ausgrabungen von Gilgenberg-Bierberg Etwas besser gestaltet sich die Lage in der Urnenfelderzeit.116 Hier sind mittlerweile insgesamt 20 Siedlungsstellen bekannt geworden, die die übliche Verteilung von Fundorten in Oberösterreich aufweisen (Abb. 4). Auch wenn die Zahl der bekannten Fundstellen hier signifikant höher ist, führte dies lange Zeit nicht zu einem verbesserten Forschungsstand. Als Monika zu Erbach im Rahmen ihrer Frankfurter Dissertation, die in den späten achziger Jahren erschienen ist, sämtliche Funde der Urnenfelderzeit in Oberösterreich aufarbeitete, konnte sie zwar bereits zwölf Fundstellen zusammentragen, jedoch keine nennenswerten Befunde oder Funde vorlegen (zu Erbach 1989, 30–32). Bei den bis in die 1980er-Jahre bekannten Fundstellen handelte es sich fast ausschließlich um Lesefundstellen, die durch wenige Keramikbruchstücke ausgewiesen sind. Auch hier brachten erst die Untersuchungen im Rahmen des Projektes „Höhensiedlungen im Linzer Raum“ neue Einblicke, wobei für die Urnenfelderzeit insbesondere der Freinberg (Urban 1994) und der Luftenberg (Ruprechtsberger/Urban, 1999; Grömer u. a. 2000; Rebay u. a. 2002; 2002) zu nennen sind. Die Untersuchungen auf diesen Höhensiedlungen beschränkten sich jedoch vorrangig auf Wallschnitte und einige kleinere Flächen im Inneren der Siedlungen. So wurde bei den Untersuchungen auf dem Freinberg anhand eines Wallschnitts eine Dreiphasigkeit der urnenfelderzeitlichen Befestigung festgestellt. Zudem konnte ein kleiner Hortfund im Bereich des Wallschnitts geborgen werden (Ranseder 1994). Beide Höhensiedlungen sind bereits seit dem 19. Jh. durch Hortfunde bekannt,117 die im Rahmen der Untersuchungen nun zumindest ansatzweise in ihren Siedlungskontext eingebunden werden konnten. Die Aussagen bezüglich urnenfelderzeitlicher Siedlungstätigkeit beschränkten sich somit weiterhin auf ext-
116 Zur Siedlungsarchäologie vgl. Schumann 2011. 117 Zu diesen im Kontext der urnenfelderzeitlichen Deponierungen in Oberösterreich siehe zu Erbach-Schönberg 1985; zu Erbach 1989, 32–35; vgl. auch Höglinger 1996, 79–82.
Schumann, Siedlungsarchäologie in Oberösterreich
181
Schnitt 1
V
Barsberger Straße
2240
(Bezirksstraße)
P
Abb. 5: Gilgenberg-Bierberg. Gesamtplan der Ausgrabungen der Jahre 2005 und 2009
rem kleinflächige Eingriffe118 in Höhensiedlungen und Lesefundstellen, vorrangig im Linzer Raum. Einen deutlichen Forschungsfortschritt erbrachten erst die Untersuchungen (Klimesch 2006; 2009), die in den Jahren 2005 und 2009 in Gilgenberg-Bierberg, Gemeinde Gilgenberg am Weilhart, Bezirk Braunau am Inn, durchgeführt wurden.119 Im Rahmen der Errichtung einer Erdgaspipeline von Haidach nach Burghausen durch die RohölaufsuchungsAG wurde der Bau der Pipeline vom Bundesdenkmalamt, Abteilung für Bodendenkmale (jetzt Abteilung für Archäologie) bodendenkmalpflegerisch begleitet. Neben einigen prospektierten Flächen mit Negativbefund konzentrierten sich die archäologischen Ausgrabungen auf die Flächen von GilgenbergBierberg. Die Grabungsfläche liegt an einer Terrassenkante, an der das Gelände verhältnismäßig steil abfällt. Die Grabungsfläche erstreckt sich entlang dieses Geländeeinschnitts und wird im Südosten durch die Barsberger Straße unterbrochen. Unter der Grabungsleitung von Wolfgang Klimesch wurde in beiden Grabungskampagnen in insgesamt 25 Wochen Gra-
118 So beispielsweise auch in Kristein, wo zwei urnenfelderzeitliche Siedlungen im Rahmen bauvorgreifender Ausgrabungen des Bundesdenkmalamtes zutage kamen (siehe Schumann 2012). 119 Die Grabungskampagne 2005 war Gegenstand meiner im Jahr 2009 eingereichten Münchner Magisterarbeit. Die Grabungskampagne des Jahres 2009 konnte im Rahmen eines Werkvertrages mit dem Bundesdenkmalamt aufgearbeitet werden. Die Gesamtpublikation befindet sich in Vorbereitung (Fundber. Österreich, Materialh. A 23).
bungszeit eine Gesamtfläche von ca. 12000 m2 ausgegraben, wobei ca. zwei Drittel der Fläche und der Befunde bei der Grabung 2005 dokumentiert wurden. Der Gesamtplan der Siedlung zeigt eine deutliche Befundhäufung in der zentralen Grabungsfläche (Abb. 5). Im Südosten dürfte die Siedlungsgrenze erreicht worden sein. Die Befunde jenseits der Barsberger Straße lassen sich anhand des Fundmaterials kaum an die bronze- und urnenfelderzeitlichen Befunde anschließen. Im Westen und im Süden begrenzt die Geländekante die Siedlungsfläche. Auch im Osten deutet ein befundleerer Streifen an, dass die Grenze der Siedlungstätigkeit erreicht wurde. Lediglich die Ausdehnung im Norden bleibt derzeit noch offen. Betrachtet man die Befundverteilung beider Grabungskampagnen, lässt sich festhalten, dass insgesamt ca. 1300 prähistorische Befunde dokumentiert wurden. Eine Nutzung des Areals in nach-vorgeschichtlicher Zeit, abgesehen für landwirtschaftliche Tätigkeit, ist in Gilgenberg-Bierberg anhand der Befunde und der Funde nicht nachgewiesen. Erwartungsgemäß entfällt der größte Teil der Befunde auf die Pfostengruben, die mit fast 900 Exemplaren vertreten sind. Über zweihundert Siedlungsgruben, zahlreiche Objektreste, die vorrangig zu den Pfostengruben zu zählen sind, und einige Sonderbefunde runden die Befundsituation ab. Dabei ist vor allem ein ältereisenzeitlicher Keramiktöpferofen hervorzuheben. Eine besondere Befundgattung sind die so genannten Brenngruben, von denen bei der Grabung 2009 insgesamt drei zu-
182
Schumann, Siedlungsarchäologie in Oberösterreich
Abb. 6: Gilgenberg-Bierberg. Lageplan der Brenngruben und Befundfotografie von Objekt 361
tage kamen, die in einer direkten Lagebeziehung zueinander angetroffen wurden. Eine der Brenngruben wurde im rechten Winkel zu den beiden anderen in einer Flucht liegenden Brenngruben angelegt (Abb. 6). Diese Befundgattung zeichnet sich durch eine Verfüllung mit Steinen und teilweise verziegeltem Lehm an den Außenseiten aus. Die Brenngruben von Gilgenberg-Bierberg erbrachten leider kein feinchronologisch datierbares Material, was für diese Befunde durchaus typisch ist. Mit dieser Befundgattung hat sich eingehend Marcel Honeck (2009) in seiner Heidelberger Magisterarbeit beschäftigt. Ähnliche Befunde aus Böhmen und Bayern wurden jüngst auch von O. Chvojka und T. Šálková diskutiert (Chvojka/ Šálková 2012). Die Gilgenberger Brenngruben sind der süddeutschen Variante dieser Befundgattung nach M. Honeck zuzuweisen. Für die Brenngruben wurden bereits verschiedenste Interpretationen vorgeschlagen, so als Feuerstellen, Webgruben, Getreidedarren, als Saunen120 oder auch als Kult-
120 Explizit hierzu anhand eines norddeutschen Befundes Lütjens 1999, 33 f.
feuer121, wobei auch die Gilgenberger Exemplare keine eindeutige Interpretation erlauben. Die Datierung der Brenngruben muss mangels Fundmaterial weitgehend offen bleiben. Da auch einige wenige hallstattzeitliche Befunde auf der Fläche vorliegen, die zudem im Zusammenhang mit der Nutzung von Feuer stehen, kann eine ältereisenzeitliche Datierung nicht ausgeschlossen werden. Aufgrund des deutlichen Schwerpunkts urnenfelderzeitlicher Befunde auf der Grabungsfläche und auch im Bereich der Brenngruben, dürften diese aber wohl eher der Urnenfelderzeit zuzuweisen sein. Insgesamt konnten auf der Grabungsfläche über 40 Hausgrundrisse ermittelt werden,122 wobei hier insbesondere in der zentralen Fläche die große Dichte an Pfostengruben eine Zuweisung zu Gebäudestrukturen oder ähnlichem erschwert bzw. verhindert. Die ermittelten Hausgrundrisse passen sich gut in das bekannte Bild urnenfelderzeitlicher Haustypen
121 Vgl. vor allem Honeck 2009, 21–29; Chvojka/Šá lková 2012, 184–190. 122 Siehe zu den bei der Grabungskampagne 2005 dokumentierten Hausgrundrissen von Gilgenberg-Bierberg im Vergleich zu eisenzeitlichen Gebäudestrukturen in Oberösterreich Trebsche 2010.
Schumann, Siedlungsarchäologie in Oberösterreich ein123 und lassen sich anhand ihrer Orientierung und ihrer gegenseitigen Lagebeziehungen zu verschiedenen Gruppen zusammenfassen. Diese Häusergruppierungen dürften einzelne Gehöfte darstellen, die gemeinsam das Gesamtbild der Siedlung prägen. Besonders deutlich wird dies bei einem isoliert liegenden Gehöft im Westteil der Grabungsfläche, das sich aus einem großen Zehnpfostenbau, drei Sechspfostenbauten und einem zweiphasigen Vierpfostenbau zusammensetzt (Abb. 7). Insgesamt dürften auf dem Areal fünf urnenfelderzeitliche Gehöfte liegen, die gemeinsam die spätbronze-/urnenfelderzeitliche Siedlung bilden. Eine feinchronologische Gliederung und damit eine Entwicklung innerhalb dieser Gehöftstruktur lassen sich mangels aussagekräftiger Funde nur begrenzt erarbeiten. Das Fundmaterial setzt sich, wie in Siedlungskontexten zu erwarten, vorrangig aus Keramik zusammen. Tierknochen fallen als Fundgattung leider fast vollständig aus, was auf den sehr hohen Säuregehalt des Lehmbodens zurückzuführen ist (Klimesch 2006, 15). Lediglich eine Handvoll verbrannter Knochen konnte von Manfred Schmitzberger bearbeitet werden,124 die jedoch aufgrund der geringen Quantität keine signifikanten Ergebnisse erbrachten. Neben den keramischen Funden sind einige metallene und lithische Fundstücke zu nennen. Ohne an dieser Stelle auf feinchronologische Diskussionen und die Typologie der Gilgenberger Keramik einzugehen, sei kurz das chronologische Ergebnis der Fundanalysen zusammengefasst. Die erste Siedlungstätigkeit wird in der frühen Bronzezeit durch einige wenige Funde und Befunde fassbar. Die mittlere Bronzezeit ist durch wenige Streufunde vertreten. Die Spätbronze- und Urnenfelderzeit stellt den mit Abstand größten Teil des Fundmaterials. Es zeigt sich hier eine Besiedlung von der Stufe Bz D bis in die Stufe Ha B mit einem Schwerpunkt in der Urnenfelderzeit. Einige wenige hallstattzeitliche Funde deuten eine mögliche Kontinuität in die Hallstattzeit an, bei gleichzeitig stattfindender Siedlungsverschiebung wohl in den Bereich südlich/südöstlich der Grabungsfläche. Anhand des Fundmaterials lässt sich somit in Gilgenberg-Bierberg eine Nutzung des Areals von der Stufe Bz A bis zur Stufe Ha C mit einem klaren Schwerpunkt in der Urnenfelderzeit (Ha A–B) fassen. Neben keramischen Kleinfunden wie Webgewichten und einem Spinnwirtel wird das Fundmaterial von einigen lithischen und bronzenen Funden abgerundet. An Steinfunden ist neben Reibplatten und Klopfsteinen insbesondere ein Fragment einer Sandsteingussform für Bronzenadeln zu nennen, das gemeinsam mit einigen Gusskuchenfragmenten den Nachweis von Bronzeverarbeitung in der Siedlung gibt (Klimesch 2005, 41 Abb. 52). Die Bronzefunde setzen sich weitgehend aus Trachtbestandteilen, insbesondere Nadelfragmenten, zusammen. Ein außergewöhnlicher Fund ist eine vollständig erhaltene Doppelbrillenfibel vom Typ 123 So beispielsweise im süddeutschen Raum skizziert anhand von Siedlungen aus der Münchner Schotterebene von M. Schefzik (2001, 142). 124 M. Schmitzberger, Die Tierknochenfunde der Ausgrabungen 2005 und 2009 in Gilgenberg-Bierberg. Unpubl. Manuskript (erscheint in Schumann, Gilgenberg-Bierberg [siehe Anm. 118]).
183
Abb. 7: Gilgenberg-Bierberg. 3-D Rekonstruktion des westlichen Gehöfts, gelegen am nordwestlichen Rand der Grabungsfläche Abb. 5. Blick von Westen
Haslau-Regelsbrunn (Betzler 1974, 91–133). Derartige Fibeln treten in Oberösterreich gewöhnlich erst in der Stufe Ha C auf, wie zahlreiche Beispiele aus dem Gräberfeld von Hallstatt zeigen.125 Die Gilgenberger Fibel dürfte jedoch bereits in die Urnenfelderzeit zu stellen sein, da diese aus einem Bereich der Ausgrabung stammt, in dem keine hallstattzeitlichen Funde zu verzeichnen sind. Interessant ist auch eine Bronzepfeilspitze mit Schaftangel und einem eindrücklichen Mittelgrad, die eine direkte und vermutlich gussgleiche Entsprechung im jüngerurnenfelderzeitlichen Gräberfeld von Überackern findet (zu Erbach 1985, Taf. 8,E2; 1986, 212 f.; 1989, 93), das ungefähr 10 km entfernt liegt. Neben den lokalen Bezügen, die selbstverständlich vor allem in der Keramik deutlich werden, lassen sich auch großräumigere Vergleiche aufzeigen, wobei hier insbesondere einige Keramikformen und die bereits erwähnte Fibel vom Typ Haslau-Regelsbrunn zu nennen sind. So stammt aus der Siedlung von Gilgenberg-Bierberg zudem eine Doppelhenkelamphore, die gute Entsprechungen im Fundmaterial des Südostalpenraums findet, hier insbesondere in der Ruše-Gruppe und wohl von diesen Vorbildern beeinflusst wurde. Auch die Brillenfibeln des Typs Haslau-Regelsbrunn sind im Südostalpenraum in der jüngeren Urnenfelderzeit üblich. Auffällig ist dabei, dass ebendiese Kombination aus Doppelbrillenfibeln dieses Typs und Doppelhenkelamphoren, die auf Vorbilder aus dem Südostalpenraum zurück gehen, auch im ca. 20 km entfernten urnenfelderzeitlichen Gräberfeld von Obereching im Bundesland Salzburg auftritt, was Peter Höglinger (1993, 63) bei seiner Bearbeitung im Bezug auf die Doppelhenkelamphoren bereits herausstellen konnte (Abb. 8). Die Siedlung dürfte sich somit in einer noch nicht näher zu spezifizierenden Form an den Verkehrsweg der Salzach anbinden lassen, über den sich Kontakte auch mit dem Südostalpenraum aufzeigen lassen. Interessant ist für die Siedlungsentwicklung auf dieser Terrassenkante auch das direkte Umfeld der Ausgrabung. Bereits im 19. Jh. wurden von Hugo von Preen, dem Begründer der ar125 S. Pabst fasste diese Fibeln in ihrer jüngst erschienenen Studie zu den Brillenfibeln zum Typ Hallstatt zusammen (Pabst 2012, 22–24).
184
Schumann, Siedlungsarchäologie in Oberösterreich
chäologischen Feldforschung im Bezirk Braunau am Inn (vgl. Stroh 1942), hallstattzeitliche Grabhügel in der direkten Umgebung ausgegraben. Es handelt sich hier um diejenigen von Gilgenberg-Gansfuß, die ca. 400 m von der Siedlung entfernt liegen (Stöllner 1994; 1996, 15–34). Diese Grabhügel erbrachten Fundmaterial von überregionaler Bedeutung und bei den wenigen hallstattzeitlichen Befunden von Gilgenberg-Bierberg dürfte es sich um einen Randbereich der zugehörigen Siedlung zu diesen Grabhügeln handeln. Aus Gilgenberg stammt zudem ein bis dato unpublizierter, sich im oberösterreichischen Landesmuseum befindender Dolch der frühen Bronzezeit.126 Interessant für die Archäologie der Eisenzeit ist ferner, dass in ca. 50 m Entfernung von der Grabungsfläche in den neunziger Jahren neben weiteren Siedlungsfunden der Späthallstatt- und Latènezeit eine frühlatènezeitliche Tonschnabelkanne gefunden wurde (Gruber 1999 b; 2001). Nimmt man die metallzeitlichen Fundstellen unter Einbeziehung der hallstattzeitlichen Grabhügel zusammen, lässt sich auf den Geländespornen von Gilgenberg-Bierberg somit seit der Frühbronzezeit eine Nutzung dieser Areale nachweisen, die bis in die jüngere Eisenzeit nachzuverfolgen ist. Interessanterweise liegt einen weiteren Geländesporn weiter eine römische villa rustica (Traxler 2004, 127 f.), die ebenfalls bereits zu Beginn des 20. Jhs. von Hugo von Preen ausgegraben wurde.
Somit sind in der direkten Umgebung über zwei Jahrtausende Siedlungstätigkeit fassbar, deren Charakter aufgrund des Forschungsstandes jedoch bis dato nur in Teilen nachvollzogen werden kann. Richtet man den Blick abschließend in den Kleinraum, so bleibt festzuhalten, dass es sich bei der Siedlung von Gilgenberg-Bierberg nicht nur um die erste flächig gegrabene urnenfelderzeitliche Siedlung in Oberösterreich handelt, sondern dass sie zudem die einzige größerflächig gegrabene Siedlung der Vorgeschichte im oberösterreichischen Innviertel darstellt (Klimesch 2006, 14). Die archäologische Forschungsgeschichte zum Innviertel ist vor allem mit den frühen Grabungen am Ende des 19. und Anfang des 20. Jhs. verknüpft. Diese Grabungen betrafen jedoch fast ausschließlich den Bezirk Braunau am Inn. Die Bezirke Schärding und Ried im Innkreis sind in zahlreichen Epochen noch vollständig fundleer. Da diese frühen Grabungen zudem fast ausschließlich auf prähistorische Grabhügelfelder beschränkt blieben, sind weite Teile der Bronzezeit bislang nur durch wenige Einzelfunde belegt. Die Grabungen Hugo von Preens betrafen vorrangig hallstattzeitliche Grabhügelfelder, mittelbronzezeitliche Grabhügel dieser frühen Phase der Archäologie sind sehr selten, eine Ausnahme sind hier die Grabhügel von Überackern-Ratishof, die von Heinz Gruber vorgelegt wurden (Gruber 1999 a, 128– 136 Taf. 15–22). Nach dieser Initialphase der archäologischen Forschung im westlichen Oberösterreich kam die archäologische Feldforschung bereits in den zwanziger jahren des letzten Jhs. fast vollständig zum Erliegen, wie eine Grabungsstatistik in metallzeitlichen Fundstellen im Bezirk Braunau am Inn klar verdeutlicht (Abb. 9). Thomas Stöllner brachte dies mit dem Tod Hugo von Preens im Jahre 1941 in Verbindung (Stöllner 2002, 24 f.). Erst im vergangenen Jahrzehnt wird nicht nur an metallzeitlichen Fundstellen wieder eine nennenswerte archäologische Feldforschung greifbar, in deren Kontext auch die hier vorgestellte Siedlung zu sehen ist. Aus dem Bezirk Braunau am Inn liegen aufgrund dieser Forschungsgeschichte insgesamt nur verhältnismäßig wenig bronzezeitliche Fundstellen vor, wobei seit den Ausgrabungen von Gilgenberg-Bierberg sämtliche Quellengattungen vertreten sind (Abb. 10). An urnenfelderzeitlichen Fundstellen im Bezirk sind dabei vorrangig das Urnenfeld von Überackern (zu Erbach 1985, Taf. 1–15; 1986, 195–228)127 und das der Hart a. d. Alz-Gruppe zugehörige Fundensemble von Staudach (zu Erbach 1986, 273–277; 1989, 163–165; Müller-Karpe 1956, 71) hervorzuheben. Zu nennen ist auch eine erst 2012 durchgeführte Ausgrabung eines jüngerurnenfelderzeitlichen Gräberfeldes in der Gemeinde Tarsdorf, das gemeinsam mit der Siedlung von Gilgenberg-Bierberg der Erforschung der ausgehenden Bronzezeit im westlichen Oberösterreich, dem seit der Mitte des 20. Jhs. nur wenig Aufmerksamkeit seitens der archäologischen Forschung zuteil wurde, sicherlich neue Impulse liefern kann (Klimesch/Reitberger 2012).
126 Freundliche Mitt. Jutta Leskovar (Linz).
127 Siehe auch Sperber 1987, Taf. 117–133.
1
2
3
4
Abb. 8: Doppelhenkelamphoren und Brillenfibeln aus Obereching (1; 2) und GilgenbergBierberg (3; 4). Bronzen M. 1:2; Keramik M. 1:8
Schumann, Siedlungsarchäologie in Oberösterreich
185
12
8
NP
5 km
GilgenbergBierberg
? ? ?
Grab Siedlung Hort Einzelfund
Früh- und Mittelbronzezeit Spätbronze- und Urnenfelderzeit
Abb. 10: Bronzezeitliche Fundorte im Bezirk Braunau am Inn
²
²
²
Abb. 9: Grabungen in metallzeitlichen Fundstellen im Bezirk Braunau am Inn, Oberösterreich
²
²
²
²
²
²
²
²
²
²
²
²
EL
V
4
186
Zusammenfassung und Ausblick Bis weit in die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts waren der archäologischen Forschung in Oberösterreich Siedlungen der Bronzezeit noch weitestgehend unbekannt. Die Erforschung dieser Epoche erfolgte ausschließlich über Hort- und vor allem Grabfunde. Erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts fanden die ersten planmäßigen Ausgrabungen in Siedlungen dieser Zeitstellung statt, so auf der Berglitzl bei Gusen. Weitere Impulse erfuhr die Erforschung der Quellengattung der Siedlungen jedoch erst Anfang des 21. Jhs. Mit den Ausgrabungen auf der Burgwiese bei Ansfelden wurde erstmals eine befestigte Siedlung der frühen Bronzezeit im Rahmen von Forschungsgrabungen intensiv erforscht und ausgewertet. In Gilgenberg-Bierberg konnten bei bauvorgreifenden Ausgrabungen in den Jahren 2005 und 2009 erstmals Teile einer urnenfelderzeitlichen Flachlandsiedlung großflächig untersucht werden. Diese Ausgrabungen und ihre Be-
Schumann, Siedlungsarchäologie in Oberösterreich arbeitungen bieten erstmals tiefere Einblicke in die bronzezeitliche Siedlungstätigkeit in Oberösterreich, da die meisten anderen Siedlungen entweder noch nicht ausgewertet bzw. publiziert sind oder nur unzureichend erforscht wurden. Die Ausgrabungen und deren Auswertungen bieten somit erste Ansätze zur Entwicklung einer Siedlungsarchäologie der Bronzezeit in Oberösterreich, die derzeit noch auf die Analyse und Vorlage einzelner Fundstellen angewiesen ist, um eine Vergleichsbasis für tatsächliche siedlungsarchäologische Fragestellungen zu schaffen. Insbesondere im westlichen Oberösterreich, das seit der Mitte des letzten Jahrhunderts, nach umfangreichen und erfolgreichen Grabungen um die Wende vom 19. zum 20. Jh., in die archäologische Bedeutungslosigkeit zurückfiel (Stöllner 2002, 25), bleibt zu hoffen, dass die Ausgrabungen von Gilgenberg-Bierberg zu einer deutlichen Reintensivierung der archäologischen Forschung in diesem Gebiet führen werden.
Schumann, Siedlungsarchäologie in Oberösterreich
Literatur Barth 1982 F. E. Barth, Prehistoric Saltmining at Hallstatt. Bull. Inst. Arch. (London) 19, 1982, 31–43. Barth 1998 F. E. Barth, Bronzezeitliche Salzgewinnung in Hallstatt. In: B. Hänsel (Hrsg.), Mensch und Umwelt in der Bronzezeit Europas (Kiel 1998) 123–128. Beninger 1961 E. Beninger, Die Paura an der Traun. Eine Landsiedlung der Pfahlbaukultur und ihre Verkehrslage in ur- und frühgeschichtlicher Zeit. Schriftenr. Oberösterr. Landesbaudir. 17 (Linz 1961). Betzler 1974 P. Betzler, Die Fibeln in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz I (Urnenfelderzeitliche Typen). PBF 14,3 (München 1974). Chvojka/Šá lková 2012 O. Chvojka/T. Šá lková, Zur Deutung der urnenfelderzeitlichen streifenförmigen Siedlungsobjekte. In: Peregrinationes archaeologicae in Asia et Europa Joanni Chochorowski dedicatae (Kraków 2012) 183–191. zu Erbach 1985 M. zu Erbach, Die spätbronze- und urnenfelderzeitlichen Funde aus Linz und Oberösterreich. Tafelteil. Linzer Arch. Forsch. 14 (Linz 1985). zu Erbach 1986 M. zu Erbach, Die spätbronze- und urnenfelderzeitlichen Funde aus Linz und Oberösterreich. Katalogteil. Linzer Arch. Forsch. 15 (Linz 1986). zu Erbach 1989 M. zu Erbach, Die spätbronze- und urnenfelderzeitlichen Funde aus Linz und Oberösterreich. Auswertung. Linzer Arch. Forsch. 17 (Linz 1989). zu Erbach-Schönberg 1985 M. zu Erbach-Schönberg, Bemerkungen zu urnenfelderzeitlichen Deponierungen in Oberösterreich. Arch. Korrbl. 15, 1985, 163–178. Eibner 1975 C. Eibner, Der Ringwall auf dem Buchberg im Attergau. Vorbericht über die Grabung 1974. Jahrb. Oberösterr. Musver. 120,1, 1975, 9–24. Grömer u. a. 2000 K. Grömer/E. M. Ruprechtsberger/O. H. Urban, KG Luftenberg, Fundber. Österreich 39, 2000, 600. Gruber 1999 a H. Gruber, Die mittelbronzezeitlichen Grabfunde aus Linz und Oberösterreich. Linzer Arch. Forsch. 28 (Linz 1999). Gruber 1999 b H. Gruber, Eine frühlatènezeitliche Tonschnabelkanne aus Gilgenberg am Weilhart, VB Braunau am Inn, Oberösterreich. Fundber. Österreich 38, 1999, 267–277. Gruber 2001 H. Gruber, Eine Tonschnabelkanne aus dem oberösterreichischen Innviertel. Arch. Korrbl. 31, 2001, 85–91. Gruber 2008 H. Gruber, Grußwort. In: M. Chytráček/H. Gruber/J. Michálek/M. Rind/ K. Schmotz (Hrsg.), Archäologische Arbeitsgemeinschaft Ostbayern/ West- und Südböhmen/Oberösterreich. 17. Treffen. 13.–16. Juni 2007 in Freistadt. Fines Transire 17 (Rahden/Westf. 2008) 10–11. Gruber 2011 H. Gruber, Die mittlere und späte Bronzezeit (Stufen Bz B-D) in Oberösterreich. Entwicklung und Fortschritte der Forschung 1990–2010. In: M. Chytráček/H. Gruber/J. Michálek/R. Sandner/K. Schmotz (Hrsg.), Archäologische Arbeitsgemeinschaft Ostbayern/West- und Südböhmen/ Oberösterreich. 20. Treffen. 23.–26. Juni 2010 in Eschenbach i. d. Oberpfalz. Fines Transire 20 (Rahden/Westf. 2011) 253–265. Höglinger 1993 P. Höglinger, Das urnenfelderzeitliche Gräberfeld von Obereching. Arch. Salzburg 2 (Salzburg 1993). Höglinger 1996 P. Höglinger, Der spätbronzezeitliche Depotfund von Sipbachzell/ OÖ. Linzer Arch. Forsch., Sonderh. 16 (Linz 1996).
187 Honeck 2009 M. Honeck, Nichts als heiße Steine? Zur Deutung der Brenngruben der späten Bronzezeit und frühen Eisenzeit in Deutschland. Univforsch. Prähist. Arch. 166 (Bonn 2009). Kowarik 2009 K. Kowarik, Aus nah und fern. Zu den Versorgungsstrukturen des bronzezeitlichen Salzbergbaus in Hallstatt. Mitteil. Anthr. Gesellschaft Wien 149, 2009, 105–114. Kowarik/Reschreiter 2010 K. Kowarik/H. Reschreiter, Provisionning a mine. The infrastructure of the Bronze Age saltmines in Hallstatt. In: F. Mandl/H. Stadler (Hrsg.), Archäologie in den Alpen. Alltag und Kult. Forschungsber. ANISA 3/Nearchos 19 (Haus i. E. 2010) 105–116. Kowarik/Reschreiter 2011 K. Kowarik/H. Reschreiter, Hall-Impact. Disentangling Climate and culture impact on the prehistoric salt mines of Hallstatt. In: Ch. Gutjahr/G. Tiefengraber (Hrsg.), Beiträge zur Mittel- und Spätbronzezeit sowie zur Urnenfelderzeit am Rande der Südostalpen. Internat. Arch. AG, Symposium, Tagung, Kongress 15 (Rahden/Westf. 2011) 241–256. Klimesch 2005 W. Klimesch, KG Gilgenberg. Fundber. Österreich 44, 2005, 41. Klimesch 2006 W. Klimesch, Die Erde ist der beste Konservator – nicht nur für Erdöl und Erdgas. Archäologische Funde in Gilgenberg. Der Bundschuh 9, 2006, 9–16. Klimesch 2009 W. Klimesch, KG Gilgenberg. Fundber. Österreich 48, 2009, 392–393. Klimesch/Reitberger 2012 W. Klimesch/M. Reitberger, KG Eichbichl. Fundber. Österreich 51, 2012, 261. Lütjens 1999 I. Lütjens, Langgestreckte Steingruben auf einem jungbronzezeitlichen Siedlungsplatz bei Jürgenshagen, Kreis Güstrow. Off a 56, 1999, 21–44. Mahr 1919 A. Mahr, Bronzezeitgräber beim Ratishof am Weilhartforst. Veröff. Pfl. Braunauer Heimatkde. 12, 1919, 21–28. Müller-Karpe 1956 H. Müller-Karpe, Das urnenfelderzeitliche Wagengrab von Hart an der Alz. Bayer. Vorgeschbl. 21, 1956, 46–74. Pabst 2012 S. Pabst, Die Brillenfibeln. Untersuchungen zu spätbronze- und ältereisenzeitlichen Frauentrachten zwischen Ostsee und Mittelmeer. Marburger Stud. Vor- u. Frühgesch. 25 (Rahden/Westf. 2012). Pertlwieser 1974 M. Pertlwieser, Ein urgeschichtlicher Kultplatz an der oberösterreichischen Donau. Mannus 40, 1974, 257–266. Pertlwieser 1974/75 M. Pertlwieser, Die „Berglitzl“ von Gusen. Ein neolithisch-frühbronzezeitlicher Opferplatz an der oberösterreichischen Donau. Móra Ferenc Múz. Évk. 1974/75,1, 299–310. Pertlwieser 2001 Th. Pertlwieser, KG Gemering. Fundber. Österreich 40, 2001, 579–581. Pertlwieser/Tovornik 1989 M. Pertlwieser/V. Tovornik, KG Saxen. Fundber. Österreich 28, 1989, 194–196. Ranseder 1994 Ch. Ranseder, Depotfunde von Linz-Freinberg. In: O. H. Urban, Keltische Höhensiedlungen an der mittleren Donau vom Linzer Becken bis zur Porta Hungaria 1. Der Freinberg. Linzer Arch. Forsch. 22 (Linz 1994) 211–221. Rebay u. a. 2002 a K. Rebay/E. M. Ruprechtsberger/O. H. Urban, KG Luftenberg. Fundber. Österreich 41, 2002, 605. Rebay u. a. 2002 b K. Rebay/E. M. Ruprechtsberger/O. H. Urban, KG Luftenberg, Fundber. Österreich 41, 2002, 605–607. Reitberger 2003 M. Reitberger, Die frühbronzezeitlichen Gräber von Holzleiten, KG Neubau, OÖ. Jahrb. Oberösterr. Musver. 147, 2003, 47–74.
188 Reitberger 2004 M. Reitberger, Die frühbronzezeitliche Gräbergruppe Rudelsdorf III, KG Hörsching, OÖ. Jahrb. Oberösterr. Musver. 148, 2004, 19–45. Reitberger 2010 M. Reitberger, Das frühbronzezeitliche Gräberfeld von Haid, Oberösterreich. Stud. Kulturgesch. Oberösterreich 20 (Linz 2010). Reitberger 2011 M. Reitberger, Die Frühe Bronzezeit (Bz A) in Oberösterreich. In: M. Chytráček/H. Gruber/J. Michálek/R. Sandner/K. Schmotz (Hrsg.), Archäologische Arbeitsgemeinschaft Ostbayern/West- und Südböhmen/ Oberösterreich. 20. Treffen. 23.–26. Juni 2010 in Eschenbach i. d. Oberpfalz. Fines Transire 20 (Rahden/Westf. 2011) 241–252. Reitinger 1958 J. Reitinger, Linz-Reisetbauer und St. Florian am Inn. Ein Beitrag zur frühen Bronzezeit Oberösterreichs. Arch. Austriaca 23, 1958, 1–50. Reschreiter/Barth 2005 H. Reschreiter/F. E. Barth, Neufund einer bronzezeitlichen Holzstiege im Salzbergwerk Hallstatt. Arch. Österreich 16,1, 2005, 27–32. Reschreiter/Kowarik 2008 H. Reschreiter/K. Kowarik, Die Stiege – technische Perfektion. In: A. Kern/K. Kowarik/A. W. Rausch/H. Reschreiter (Hrsg.), Salz – Reich. 7000 Jahre Hallstatt. Veröff. Prähist. Abt. 2 (Wien 2008) 61–63. Ruprechtsberger 2011 E. M. Ruprechtsberger, Die „Berglitzl“ und ihre Ausgräber – Zur Forschungsgeschichte des Fundplatzes. In: E. M. Ruprechtsberger/ A. Binsteiner, Von der Alt- zur Jungsteinzeit. Die Berglitzl bei Gusen im Spannungsfeld der Forschung. Stud. Kulturgesch. Oberösterr. 29 (Linz 2011) 6–27. Ruprechtsberger/Urban 1999 E. Ruprechtsberger/O. Urban, KG Luftenberg, Fundber. Österreich 38, 1999, 782. Ruprechtsberger/Urban 2007 E. Ruprechtsberger/O. Urban, Linzer Keltenforschung. Ergebnisse der wissenschaftlichen Kooperation zwischen Nordico und Universität Wien 1990–2006. Linzer Arch. Forsch., Sonderh. 36 (Linz 2007). Schefzik 2001 M. Schefzik, Die bronze- und eisenzeitliche Besiedlungsgeschichte der Münchner Schotterebene. Eine Untersuchung zu Gebäude- und Siedlungsformen im süddeutschen Raum. Internat. Arch. 68 (Rahden/ Westf. 2001). Schumann 2011 R. Schumann, 20 Jahre Archäologie der Urnenfelder- und Hallstattzeit in Oberösterreich. In: M. Chytráček/H. Gruber/J. Michálek/ R. Sandner/K. Schmotz (Hrsg.), Archäologische Arbeitsgemeinschaft Ostbayern/West- und Südböhmen/Oberösterreich. 20. Treffen. 23.–26. Juni 2010 in Eschenbach i. d. Oberpfalz. Fines Transire 20 (Rahden/Westf. 2011) 329–352. Schumann 2012 R. Schumann, Zwei Siedlungsgruben der Urnenfelderzeit aus EnnsKristein, Oberösterreich. Fundber. Österreich 51, 2012, 43–50. Sperber 1987 L. Sperber, Untersuchungen zur Chronologie der Urnenfelderkultur im nördlichen Voralpenland von der Schweiz bis Oberösterreich. Antiquitas 3,29 (Bonn 1987). Stöllner 1994 Th. Stöllner, Eine „herrschaftliche“ Familie der Hallstattzeit vom „Gansfuß“ bei Gilgenberg? In: C. Dobiat (Hrsg.), Festschrift für Otto-Herman Frey zum 65. Geburtstag. Marburger Stud. Vor- u. Frühgesch. 16 (Marburg 1994) 625–653.
Schumann, Siedlungsarchäologie in Oberösterreich Stöllner 1996 Th. Stöllner, Die Hallstattzeit und der Beginn der Latènezeit im InnSalzach-Raum. Katalog- und Tafelteil. Arch. Salzburg 3,2 (Salzburg 1996). Stöllner 2002 Th. Stöllner, Die Hallstattzeit und der Beginn der Latènezeit im InnSalzach-Raum. Auswertung. Arch. Salzburg 3,1 (Salzburg 2002). Stroh 1942 F. Stroh, Nachruf auf Hugo von Preen. Jahrb. Oberösterr. Musver. 90, 1942, 16–21. Traxler 2004 S. Traxler, Römische Guts- und Bauernhöfe in Oberösterreich. Passauer Univschr. Arch. 9 (Rahden/Westf. 2004). Trebsche 2008 P. Trebsche, Die Höhensiedlung „Burgwiese“ in Ansfelden (Oberösterreich). Ergebnisse der Ausgrabungen von 1999 bis 2002. Linzer Arch. Forsch. 38 (Linz 2008). Trebsche 2010 P. Trebsche, Eisenzeitliche Architektur in Oberösterreich: Entwurf einer Gebäudetypologie. In: M. Chytráček/H. Gruber/J. Michálek/ R. Sandner/K. Schmotz (Hrsg.), Archäologische Arbeitsgemeinschaft Ostbayern/West- und Südböhmen/Oberösterreich – Archeologická pracovní skupina východní Bavorsko/západní a jižní Čechy/Horní Rakousko. 19. Treffen. 17.–20. Juni 2009 in Prachatice. Fines Transire 19 (Rahden/Westf. 2010) 193–211. Trebsche u. a. 2006 P. Trebsche/E. M. Ruprechtsberger/O. H. Urban, KG Kremsdorf. Fundber. Österreich 45, 2006, 651–652. Trebsche u. a. 2007 P. Trebsche/E. M. Ruprechtsberger/O. H. Urban, KG Kremsdorf. Fundber. Österreich 46, 2007, 642. Trebsche u. a. 2008 P. Trebsche/E. M. Ruprechtsberger/O. H. Urban, KG Kremsdorf. Fundber. Österreich 47, 2008, 538–539. Urban 1994 O. H. Urban, Keltische Höhensiedlungen an der mittleren Donau vom Linzer Becken bis zur Porta Hungaria 1. Der Freinberg. Linzer Arch. Forsch. 22 (Linz 1994). Willvonseder 1937 K. Willvonseder, Die mittlere Bronzezeit in Österreich. Bücher Ur- u. Frühgesch. 3 (Wien 1937).
Abbildungsnachweis 1: Autor, kartiert nach Trebsche 2008, 264 Farbabb. 28 mit Ergänzung. – 2: ebd. 78 Abb. 36,2. – 3: Autor, kartiert nach Gruber 2011, 260 Abb. 8. – 4; 8,3; 9; 10: Autor. – 5: W. Klimesch, Archeonova. – 6: Autor, Foto W. Klimesch, Archeonova. – 7: K. Massy. – 8,1.2: nach Höglinger 1993, 131 Taf. 5 Grab 8,1; 146 Taf. 20 Grab 42,1. – 8,4: I. Ruttner
Anschrift Robert Schumann, Universität Hamburg, Archäologisches Institut, Abt. Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie, Edmund-Siemers-Allee 1, Flügel West, 20146 Hamburg
[email protected]