Religion & Space. Die Konzeptionen von Raum in Religion am Beispiel der Òrìshà-Religion auf Trinidad

June 19, 2017 | Author: Lisa Kottas | Category: Religion, Heterotopia, Space and Place, Cosmology (Anthropology), Social and Cultural Anthropology, Cultural Anthropology, Space, Ifa-Orisa/Orisha Tradition in Africa and the Diaspora, Trinidad, Trinidad and Tobago, Orishas, heterotopia/Foucault, Body as Space, Bachelor Thesis, Afrocaribbean Religion, Anthropology of Religion, World Views, Religion and Space, Reafricanization, Orisha Religion, Cultural Anthropology, Space, Ifa-Orisa/Orisha Tradition in Africa and the Diaspora, Trinidad, Trinidad and Tobago, Orishas, heterotopia/Foucault, Body as Space, Bachelor Thesis, Afrocaribbean Religion, Anthropology of Religion, World Views, Religion and Space, Reafricanization, Orisha Religion
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RELIGION & SPACE Die Konzeptionen von Raum in Religion am Beispiel der Òrìshà-Religion auf Trinidad aus: BSE Theoretische Diskurse (2012W 240060-1) Wintersemester 2012/13 Seminarleiter: Mag. Igor Eberhard

Autorin: Lisa Kottas Bakk. Kultur- & Sozialanthropologie Universität Wien

Wien/Stegersbach, Februar-März 2013

„Das Studium […] ist ein Gebiet, auf dem wir das ganze Leben lang Kinder bleiben dürfen.“ Albert Einstein

Anmerkungen: Dieses Dokument stellt die überarbeitete, weiter korrigierte Version meiner theoretischen Bachelorarbeit (2013) dar und wurde von mir, der Autorin, auf academia.edu bereitgestellt. Die Änderungen betreffen Rechtschreib- und Grammatikfehler sowie Verbesserungen im Ausdruck und das Entfernen persönlicher Daten und Bildern, die ich nicht besitze. Sinn, wissenschaftliche Daten oder Erkenntnisse wurden ausdrücklich nicht geändert und bleiben ident mit dem Originaldokument. [19.11.2016 14:56] Kontakt über: [email protected] Lektorat & Layout erste (2013) und zweite Version (2015): Martin Schwarzenbacher

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Inhaltsverzeichnis

1.

Einleitung

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1.1 Das Paradies Trinidad als Problem(-stellung)

2.

Darstellung des Forschungsfeldes

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2.1 Religionsethnologie

8

2.2 Òrìshà auf Trinidad

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3.

Historischer Kontext

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4.

Raumkonzepte und Räume in der Òrìshà-Religion auf Trinidad

17

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4.0 Was ist Raum? Die soziologische Konzeption von Raum

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4.1 Die kosmologischen Räume

18

4.1.1

18

Der Himmel òrun

4.1.1.1 Die BewohnerInnen von òrun

18

4.1.1.2 Òrun als abstrakter, vorstellbarer Raum

19

4.1.2

Die Erde ayé als konkreter, materieller Raum

20

4.1.3

Die Interdependenz zwischen òrun und ayé

20

4.2 Der heterotrope Raum

23

4.2.1

Was ist eine Heterotopie?

23

4.2.2

Der compound und seine Organisation

25

4.2.3

Der compound als Heterotopie

27

4.3 Veränderbare Räume

28

4.3.1

Die Grundlage für die Transformationen

28

4.3.2

Die Raumtransformationen

30

4.3.2.1 Die Transformationen in der Organisation

30

4.3.2.2 Die Transformationen im kosmologischen Raum

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4.4 Der Körper als Raum der Òrìshà

35

4.4.1

Der Körper in der Anthropologie

35

4.4.2

Der Körper in der Òrìshà-Religion

36

4.4.3

Das Ritual ebo und die Verkörperungsphasen der Òrìshà im Menschen

37

5.

Conclusio

39

6.

Quellenverzeichnis

41

Literaturverzeichnis Internetquellen Abbildungsverzeichnis

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1.

EINLEITUNG

Mit meiner zweiten Bachelor-Arbeit möchte ich einen Zusammenhang von Religion und Raum darstellen, wobei ich dafür als Fallbeispiel die Òrìshà-Religion auf Trinidad verwenden möchte. Anhand dieser afrokaribischen Diaspora-Religion möchte ich durch das Betrachten einiger Raumkonzeptionen Einblick auf eine dynamische Vielfältigkeit des religiösen Raumes geben. In diesem Kontext ist es notwendig den Lesenden den Òrìshà-Glauben auf Trinidad sowie die Konzeption des Raumes in der Sozialwissenschaft zu erläutern, sowie durch die verschiedenen Betrachtungsweisen von Raum bei den Òrìshà-Gläubigen hinzuweisen. Ebenso liegt es mir am Herzen den LeserInnen die Aktualität des Themas vor Augen zu führen und zu zeigen, dass Religion trotz dem vorherrschenden westlich-säkularisierten postmodernen Weltbild auch heute noch nichts an seiner Aktualität verloren hat und eb enso in den Sozialwissenschaften eines Stellenwertes Bedarf, der über den derzeitigen von mir erfahrenen Status Quo am Institut außerhalb der Religions-Bewusstseinsforschung hinausgehen kann und soll. Hierbei werde ich jene Aktualität von Religion in Bezug auf Raum im nächsten Unterpunkt (1.1) aufzeigen. Ich möchte ebenso darauf hinweisen, dass ich bestimmte Kern- oder für die Arbeit relevante (Eigen-)Begriffe in kursiv schreiben werde, um den LeserInnen eine bessere Übersicht zu gewährleisten und Ihnen somit einen Anhaltspunkt für einen roten Faden im jeweiligen Abschnitt zu geben. Meine Arbeit setzt sich aus folgenden Kernpunkten zusammen: Zunächst wird auf die Aktualität des Themas in der Problemstellung verwiesen, sodann folgt die Darstellung des Forschungsfeldes und Forschungsgegenstandes, indem sowohl die Religionsethnologie, al s auch die Grundzüge der Òrìshà-Religion dargestellt wird. Danach wird ein Überblick über den historischen Kontext geli efert. Schließlich beginnt der analytische Teil, der die Frage klären soll, inwiefern sich das religiöse Raumverständnis am Beispiel der Òrìshà-Religion auf Trinidad konstituiert. Wobei gezeigt werden wird, was Raum in der Òrìshà-Religion bedeutet, wie er konzipiert ist, wie er auch anh and von theoretischen Ansätzen bedeutet werden könnte. Abschließend möchte ich noch kurz erklären, warum ich die Òrìshà-Religion als Thema gewählt habe. Einerseits hängt meine Themenwahl mit meinem allgemeinen, persönlichen I nteresse an Religionen und Weltbildern zusammen, was auch dazu geführt hat, dass ich bereits in meiner empirischen BA-Arbeit ein religiöses Thema gewählt habe, namentlich die christlich evangelikale Gruppe der Siebenten-Tags-AdventistInnen. Für meine theoretische Arbeit entscheide ich mich für Lisa Kottas

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eine afrokaribische Religion, da diese mein Hauptinteressenfeld darstellen, ob ihrer in meinen Augen einzigartigen religiösen Weltsicht.

Abbildung 1: Karte der Insel Trinidad (Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/0a/Trinidad_de.png) [08.03.2013]

1.1 Das Paradies Trinidad als Problem(-stellung) „Die zwischen der Karibik und dem Atlantik befindlichen Inseln Trinidad und Tobago bilden einen gemeinsamen Staat. Die Hauptstadt Port of Spain befindet sich dabei auf der weitaus größeren Insel Trinidad. […] Beide Inseln bieten eine ganze Reihe von Ausflugszielen, auch die zahllosen Strände locken viele Besucher und sind traumhafte Orte zum Sonnen, Baden und Entspannen. Ein wahres Inselparadies also, welches es kennen und lieben zu lernen gilt.“ (Rundreisen.de 2013)

In diesem Reisebericht einer touristischen Agentur zeigt sich bei näherer Betrachtung die Aktualität des Religion-Raum-Bezugs, wenn auch in einer neuen Interpretationsform und Verortung. So drückt sich dieser Bezug in der Vorstellung der Karibik inseln als Paradies aus. Schaut man sich den Begriff des Paradieses jedoch genauer an, so zeigt sich sein originär religiöser Inhalt als ein Treffpunkt, ein Ort, wo die diesseitig-menschliche mit der jenseitig-göttlichen Welt kommuniziert und verschmilzt. Nach seiner judeo-christlichen Auffassung im Alten Testament stellt es „eine Art schönen Garten […] [, eine] gedachte Stätte des Friedens, des Glücks und der Ruhe dar. “

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(Duden.de 2013)

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Dieses Beispiel aus dem touristischen Bereich zeigt also sehr deutlich, dass die Verbindung von Raum und Religion, wenn auch in veränderter Form, in de r rezenten Zeit gegeben i st, was die Aktualität des Themas verdeutlichen soll. Während jedoch die ursprüngliche Idee von Paradies die Kommunikation zwischen Menschen- und Götterwelt im Zentrum hat, erfährt der religiöse Inhalt in der touristischen Neuinterpretation eine Erweiterung. So ist zwar immer noch der Ort im Fokus, jedoch wird dieser nicht mehr als ein Treffpunkt für die Kommunikation zwischen Mensch und transzendenter Welt verstanden, sondern als ein Ort, der durch seine natürlichen Gegebenheiten, seine Schönheit und idealen Lebensverhäl tnisse alle Voraussetzungen für ein glückliches und friedliches Dasein bietet. (vgl. Duden.de 2013) Dennoch lässt sich erkennen, dass religiöse Inhalte ( Paradies) auf Raumvorstellungen und reale Räume auch heute noch Anwendung finden. Gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass der Raumbegriff keine normierte und einheitliche Verwe ndung hat, sondern im Gegenteil sehr different und vielfältig angewendet werden kann, der Rau mbegriff also einen breiteren Spiel- und Interpretationsraum enthalten kann. Diese Heterogenität von der Raumkonzeption zeigt sich auch an dem von mir gewählten Fallbeispiel Òrìshà, da hier ein spezifisches Verständnis von Raum, sowie Raumbeziehungen, herrscht. Meine Fragestellung für diese Arbeit lautet daher: Inwiefern konstituiert sich Raum in der religiösen Vorstellung am Beispiel von Òrìshà auf Trinidad?

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2.

DARSTELLUNG DES FORSCHUNGSFELDES

2.1 Religionsethnologie Ich möchte nun zur Verortung meines Forschungsgegenstandes überleiten. Wie oben bereits erlä utert, beschäftige ich mich in meiner Arbeit mit der Verbindung von Religion und Raum, was ich anhand der Òrìshà-Religion erläutern werde. Daher ist mein Thema innerhalb der Religionsethnologie zu verorten, da die afrokaribische Religiosität im Zentrum meiner Bet rachtung liegt. Dieser Zweig der Ethnologie beschäftigt sich mit Religion, wobei innerhalb der Disziplin keine einheitliche Definition darüber herrscht, was Religion genau ist. So gibt es sehr heterogene Meinungen und Ansichten darüber, da Religion in ihre m Verständnis und ihrer Verwendung sehr multipel und vielfältig sein kann, da ihre Inhalte stark kontext- und situationsgebunden sind. Daher ist Religion als ein sozial eingebettetes Phänomen zu betrachten, das nicht standardisiert charakterisierbar ist. D ie Unvereinbarkeit einer einheitlichen Definition von Religion zeigt sich konkret an Gesellschaften, die keine Trennung zwischen dem menschlich-profanen und dem transzendent-göttlichen Bereich ziehen, da in ihrem Verständnis nicht zwischen Menschen- und Geisterwelt getrennt wird, sondern Geister ebenso wie Menschen, Tiere und Pflanzen die diesseitige Welt bewohnen. (vgl. Mischung 2003:199) Auch ist Religion kein neutraler Begriff, da sie politische und moralische Wertunge n impliziert, was damit einhergeht, dass sie je nach Standpunkt und Blickwinkel unterschiedlich interpretiert und betrachtet werden kann. Daneben besitzt sie keinen universalen Charakter, sowie keine universaleinheitliche Verwendung, sondern ist ihrem Ursprung nach eine europäische Konstruktion, was sich daran verdeutlicht, dass viele Gesellschaften keine emische Bezeichnung für Religion haben. (vgl. Ramsey/Ledbetter 2001:2) Während es, wie bereits erläutert, keine einheitliche Definition über Religion nach dem Verständnis der Religionsethnologie gibt, existieren sehr wohl verschiedene Ansätze um Religion zu interpretieren. Da es eine Bandbreite von unterschiedlichen Zugängen gibt, möchte ich mich auf zwei b eschränken, da ich diese für mein Thema als relevant erachte. So betont der phänomenologische Ansatz die Beziehung des Menschen zu einer als transzendent gedachten Größe, wobei die Erfa hrung des Menschen mit dieser göttlichen Entität im Mittelpunkt der phänomenologischen Betrachtung steht. Dieser Zugang verfolgt nicht die Absicht religiöse Erfahrung objektiv erklären zu

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wollen, sondern versucht die Lebenswelt der Gläubigen verstehen zu wollen. (vgl. Ramsey/Ledbitter 2001:10ff) Betrachtet man die Òrìshà-Religion mit ihren religiösen Inhalten näher, so zeigt sich die Notwe ndigkeit eines phänomenologischen Zugangs, um ihrer Komplexität gerecht zu werden, da hier die Beziehung des Menschen zu einer als transzendenten Größe (Òrìshà), sowie die religiöse Erfahrung im Mittelpunkt steht, wobei die Beziehung zur transzendenten Welt in der Lebenswelt der Gläub igen als existent betrachtet wird, als Teil der realen Welt, was der mongba Henry White sehr plastisch in diesem Zitat verdeutlicht: „For example the mountain is an Orisha, […] the thunder and lightning is an Orisha, […] and the very earth is an Orisha.“ (Henry 1991: 109 zit. nach Kment 2005:58)

Neben dem phänomenologischen Ansatz, welcher relevant ist, um die Bedeutung von Òrìshà für die Gläubigen auf Trinidad zu verstehen, verwende ich den funktionalistischen Zugang. Dessen Vertreter ist der französische Soziologe Émile Durkheim, der sich in seinem Werk LES FORMES ÉLÉMENTAIRES DE LA VIE RELIGIEUSE

(1912) die Frage danach stellt, was der Sinn von Religion ist, was

bereits zeigt, dass er die Funktion in den Mittelpunkt seiner Definition stellt. Die funktionalistische stellt im Gegensatz zur phänomenologischen Perspektive nicht die Beziehung und religiöse Erfahrung in den Mittelpunkt, sondern fragt nach der Funktion von Religion. Diese wird als soziales Produkt verstanden, wodurch sich die Gesellschaft auf überindividueller Ebene selbst ausdrückt und verehrt, wobei die Funktion des Religiösen nach Durkheim darin besteht, über die gemeinsame religiöse Erfahrung unter den Gläubigen Zusammenhalt und Gemeinschaftsgefühl zu generieren . (vgl. Mischung 2003:207f)

2.2 Òrìshà auf Trinidad Die Òrìshà-Religion hat ihre Wurzeln in den Texten von Ifá. Diese stellen das Schrift- und Divinationssystem der Yorùbá dar, die zur Zeit des transatlantischen Sklavenhandels im Gebiet Nigeria, Togo und Benin lebten. Zentraler Inhalt der Ifá-Texte ist die Erzählung von der Schöpfung der Welt, wobei die sogenannten Òrìshà hierbei als erste Bewohner der Erde eine wichtige Rolle spielen. Oberste Entität, welche über den Òrìshà steht, ist Olódùmarè: Er gilt als höchster Gott der Yorùbá. Die Òrìshà stehen mit ihm insofern in Beziehung, da sie als seine VermittlerInnen zu den Menschen fungieren und agieren. Wie bereits angesprochen gelten die Òrìshà nicht nur als Vermittlerinstanzen zwischen Olódùmarè und den Menschen, sie sind ebenso die ersten KolonisatorInnen Lisa Kottas

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der Erde, da sie von Olódùmarè auf die Erde geschickt wurden, um diese urbar zu machen. Hierbei hatte jeder Òrìshà eine spezifische Aufgabe zu erfüllen. (vgl. Kment 2005:55) Anzumerken ist, dass Òrìshà transzendente Wesenheiten darstellen, wobei ihre kulturspezifische Entsprechung schwer in westliche Sprachen übersetzt werden kann. Aus diesem Grund werden sie dem westlichen Verständnis nach oft als „Götter“ bezeichnet. Während bereits gesagt wurde, dass Òrìshà als Vermittlerinstanzen zwischen Mensch und höchstem Wesen ( Olódùmarè) konzipiert sind, können sie nicht exklusiv auf diese Rolle reduziert werden, was zeigt, dass Òrìshà auch immanente Wesenheiten sind, nämlich unterschiedliche Aspekte Gottes. Daher soll jeder Mensch nach seiner individuellen Persönlichkeit jenen Òrìshà verehren, der ihm entspricht. Dadurch verdeutlicht sich, dass Òrìshà ebenso Aspekte darstellen, vergleichbar dem Jung‘schen Archetyp. So soll die Verehrung desjenigen Òrìshà, welcher der eigenen Persönlichkeit am besten entspricht , wiederum die eigene Identität der jeweiligen Person stabilisieren und stärken. Jedoch muss sich die entsprechende Verehrung nicht ausschließlich auf eine Entität beschränken, im Gegenteil können mehrere Òrìshà verehrt werden, wobei diese auch aus anderen religiösen Traditionen entnommen sein können. (vgl. Kremser 2005:177)

Abbildung 2: Èshù (Quelle: http://www.orishanet.org/echu2.jpg) [08.03.2013]

Als einer der bekanntesten und mächtigsten Òrìshà gilt Èshù. Er nimmt eine einzigartige Rolle und Funktion ein, da er den Zugang und die Kommunikation zwischen der Menschen- und transzendenten Welt kontrolliert und reguliert. So stellt er eine Art Torwächter der anderen Wirklichkeit da r, was sich dadurch ausdrückt, dass er der Herr der Kreuzung ist. Daneben steht er für die Ambivalenz, verkörpert daher in seiner Tricksterrolle sowohl Chaos als auch Balance. Seine wohl zentralste Funktion liegt aber darin, dass er die Lebenskraft (ashé) kontrolliert und hält. Aus diesem Grund ist die Kommunikation zwischen den beiden Welten von Èshù abhängig, da er der Hüter von ashé ist. Lisa Kottas

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Ohne seine Erlaubnis findet keine Kommunikation statt, da er die Brücke zwischen den Welten darstellt. (vgl. Alvarado 2010:12) Mit der Rolle Èshùs als Hüter der Lebenskraft bzw. göttlichen Energie Olódùmarès illustriert sich das Weltverständnis der Yorùbá. So trennen afrokaribische Religionen nicht zwischen den Welten. Im Gegenteil findet eine permanente Interdependenz und Beziehung zwischen diesen statt, wobei sich beide in einer Wechselwirkung beeinflussen. Die permanente Beziehung zwischen den Welten wird durch den ständigen Transfer und Verteilung von ashé aufrechterhalten, wofür Èshù zuständig ist. Demnach kann die reale Welt nicht ohne die spirituelle Welt existieren (vgl. Kremser 2005:178) Aus diesem spezifischen Weltverständnis von Òrìshà im Besonderen und afrokaribischen Religionen im Allgemeinen erklärt sich der zentrale Stellenwert der Yorùbá, dass eine Balance zwischen den Welten vorherrschen muss, damit die Beziehung nicht gestört ist. Ist eine Störung des Gleic hgewichts vorhanden, so muss ein Ausgleich gefunden werden, der durch das Opfer erzielt werden kann. Dieses hat die Funktion, Konflikte zwischen den Welten zu lösen und das Gleichgewicht wieder herzustellen. Auch kann eine Störung der Balance zwischen der Menschenwelt und tran szendenten Welt der Òrìshà durch persönliche oder familiäre Konflikte ausgelöst werden, sodass die jeweilige Person krank wird. (vgl. Kment 2005:58ff) Mit dem spezifischen Weltkonzept ist eine spezifische Kommunikationsform verbunden, die allen afrokaribischen Religionen gemeinsam ist, nämlich die Possession Trance. Diese stellt ein Phänomen dar, mit welchem sich u.a. Erika Bourguignon beschäftigte, wobei sie diesbezüglich feststellte, dass in beinahe 90 Prozent der von ihr studierten 300 Religionen solche Phänomene vorkommen. Trance stellt demnach eine spezifische Kommunikationsform dar, welche über einen induzierten veränderten Bewusstseinszustand hervorgerufen werden kann , wobei die tranceinduzierende n Werkzeuge sehr unterschiedlich sein können (Fasten, Trommeln, Hyperventil ation, halluzinogene Substanzen). Es zeigt sich, dass die Possession Trance als Kommunikationsform in den afrokaribischen Religionen als legitimer Bewusstseinszustand anerkannt, sozial institutionalisiert und positiv bewertet ist. (vgl. Pollak-Eltz 1995:18f) Merkmal der Possession Trance in der Òrìshà-Religion ist, dass diese Verkörperung in den Gläubigen ebenso positiv und erwünscht wahrgenommen wird, was sich dadurch ausdrückt, dass die Òrìshà bewusst angerufen und eingeladen werden sich zu manifestieren, sodass eine Kommunikat ion zwischen den Welten gegeben ist. Durch die über Trommeln induzierte Trance „fährt“ ein Òrìshà sodann in den Körper einer Person und äußert seine Wünsche über diese. Dieser Òrìshà führt

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im Kontext der „Besetzung“ spezifische Gesten und Bewegungen aus, sodass er von den jeweiligen TeilnehmerInnen identifiziert werden kann. (vgl. Kment 2005:198ff) Abschließend sollen die Grundinhalte der Òrìshà-Religion zusammengefasst werden. Wichtig im Weltbild von Òrìshà ist die Vorstellung, dass die Toten mit den Lebenden verbunden sind, nämlich durch das Konzept des egún-gún. Dieser stellt die Seele Verstorbener dar, die aktiv in das Geschick der Lebenden eingreifen können, sich in Träumen zeigen, um unterschiedliche Interessen zu äußern. So können diese warnen, beschützen, aber auch strafen. Aus diesem Grund ist es wichtig, eine gute Beziehung zu den Verstorbenen zu pflegen, weil sie in das Leben der Hinterbliebenen weiterhin eingreifen können. Eine wichtige Rolle spielt hierfür das jährliche Erinnerungsfest an den Toten, an dem ihm Speiseopfer dargebracht werden. (vgl. ebd.:58f) Als weiteres Element von Òrìshà kann die Wirksamkeit von Tier und Speiseopfern angesehen werden und die damit verbundene Verpflichtung die Òrìshà mit rituellen Speisen zu versorgen, da diese deren Nahrung stellt. Generell wird hier zwischen Dry Food (Öl, Rum, Bohnen, Reis, Obst) und Tieropfern unterschieden. Im Kontext des Dry Food ist jedes Nahrungsmittel mit einer b estimmten symbolischen Eigenschaft verbunden. Reis und Bohnen beispielweise gelten als Zeichen von Fruchtbarkeit. Daneben gilt als Speise der Òrìshà das Blutopfer. Seine Bedeutung ist mit dem Weltbild verwoben und erklärt sich daraus. Wie bereits oben erwähnt , steht im Mittelpunkt der Òrìshà-Religion die wechselseitige und dynamische Beziehung zwischen der Menschenwelt (ayé) und der transzendenten Welt (òrun). Beide Welten beeinflussen sich gegenseitig und können nur in Abhängigkeit zueinander existieren, wobei das Gleichgewicht zwischen ihnen gegeben sein muss. Daher spielt im Beziehungsverhältnis beider Welten die Reziprozität eine wichtige Rolle für das Bestehen beider Sphären. Mit diesem spezifischen Weltbild, das zyklisch und reziprok gedacht ist, ist das Konzept des Blutopfers untrennbar verbunden. (vgl. Kment 2005:58ff) Das Opfer ist notwendig, um das Gleichgewicht zwischen der Menschenwelt und der transzendenten Welt aufrechtzuerhalten und wiederherzustellen. Die durch das Opfer freigesetzte Energie (Blut) wird in die Welt der Òrìshà transportiert, wird dort als Nahrung der Òrìshà verwendet und sodann wieder in Form von ashé zwischen beiden Welten verteilt. Dadurch wird die Beziehung zwischen beiden Welten wieder hergestellt oder verbessert. (vgl. Kremser 2001:272ff) Dieses Prinzip des Blutopfers zeigt die Vorstellung der Yorùbá, dass ein Opfer wichtig ist, um Konflikte lösen und ausgleichen zu können. Das Opfer stellt das Gleichgewicht innerhalb des Kosmos wieder her. Das Tieropfer ist eine Form, um die Òrìshà zu verehren, ihre Hilfe zu erbeten,

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wobei jeder Òrìshà je nach seiner Zuständigkeit eigene bestimmte Opfertiere bevorzugt. (vgl. Kment 2005:58)

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3.

HISTORISCHER KONTEXT

Zur Zeit der Entdeckung Trinidads durch Christoph Kolumbus (1498) war das Land von indigenen Gruppen der Arawaken und Kariben besiedelt, welche die geplante Annexion des Gebietes für die spanische Krone verhinderten. 1592 wurde schließlich vom spanischen Offizier Don Antonio de Berrio y Oruna die erste Siedlung gegründet, um Handelsbeziehungen mit den indigenen Gemeinschaften auf der Insel zu forcieren, wobei die Siedlung 1595 von bri tischen Seefahrern zerstört wurde, sodass Trinidad in Vergessenheit geriet. Schließlich kam erst 1777 u.a Trinidad als Provinz unter die Kontrolle von Kapitän General von Caracas, unter seiner Regierungszeit kommen erstmals afrikanische SklavInnen nach Trinidad. 1780 wird schließlich ein Kolonisationsplan systematisch ausgearbeitet, welche die Emigration von Personen der Nachbarkolonien nach Trinidad fördert. Am Anfang der kolonialen Epoche wird die Missionierung durch den Code Noir geregelt. Dieser enthält die Verpflichtung, dass die Pflanzer die neu erworbenen SklavInnen bei den Behörden melden sowie taufen lassen mussten. Der Code Noir hatte somit im Zentrum die Bekehrung der neu ve rschleppten SklavInnen. (vgl. Bindu 2003:25f) Erste intensive Missionierungen fanden erst Ende des 18. Jahrhunderts durch die Holländer statt und wurden Anfang des 19. Jahrhunderts durch englische und amerikanische Missionare fortg esetzt. Schließlich nach der Beendigu ng des Krieges zwischen Frankreich und England gab die spanische Krone Begünstigungen für Personen, die nach Trinidad auswandern wollten. Daher begann eine Einwanderungswelle von neuen Siedlern, die großteils aus Franzosen bestanden. Als es 1796 zum Krieg zwischen England und Frankreich kommt, landet eine britische Flotte auf Trinidad, um die Insel zur britischen Kolonie ausrufen zu lassen, was wegen der schwachen Opposition gelingt. Unter der britischen Kolonialherrschaft regiert General Picton Trinidad, b is er schließlich 1803 abgesetzt wird. Seine Regierung ist militant, die Bestrafungen grausam, sodass er unter der Bevölkerung gefürchtet war. (vgl. Bindu 2003:26) Man kann sagen, dass Trinidad unter spanischer Herrschaft durch ma ngelnde koloniale Entwicklung geprägt ist, durch Misswirtschaft, Nahrungsmangel, Krankheiten und Konflikten, sodass die spanische Krone kein großes Interesse an Trinidad zeigt. Bereits unter der spanisc hen Herrschaft kommt es jedoch schon zur Dezimierung der einheimischen Bevölkerung, aufgrund von Seuchen, Epidemien und Gewalt von Seiten der Kolonisten, was ihre Ausrottung zur Folge hat. Wegen der Lisa Kottas

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ökonomisch aussichtlosen Situation für die spanische Krone, beginnt diese damit Personen, die nach Trinidad einwandern wollen , zu begünstigen, was die zunehmende Besiedlung Trinidads durch französische, katholische Pflanzer hervorruft. Die Bevölkerungszahl wächst und die koloniale Entwicklung nimmt zu, sodass Trinidad einen Aufschwung als Kol onie erlebt. (vgl. Kment 2005:43f) Unter der britischen Herrschaft kommt es zur intensiven Nachfrage in Europa nach Produkten aus Übersee, vor allem Zucker, Tabak und Kakao. Durch die Ausrottung der indigenen Bevölkerung auf Trinidad ist ein Arbeitskräftemangel entstanden, den man nun versucht aufzufüllen. Deshalb beginnt man ab Mitte des 16. Jahrhunderts mit der Verschleppung afrikanischer SklavInnen von der westafrikanischen Küste, wobei als „goldenes Zeitalter der Sklaverei“ das 18. Jahrhundert gilt. (vgl. Kment 2005:44) Zu berücksichtigen ist, dass die SklavInnen Widerstand organisierten und leisteten. 1808 trafen sich die Councils, da Gerüchte über Sklav Innenaufstände kursierten. Im Tal La Cuesa schließlich begannen SklavInnen die Revolte, indem sie alle EinwohnerInnen töteten und nach Port of Spain marschierten, wobei der Aufstand von der Exekutive gewaltsam niedergeschlagen wurde. (vgl. Bindu 2003:27f) 1807 steht die Kolonie vor dem Bankrott, die Abschaffung der Sklaverei folgt. Das ändert an der Situation der afrikanischen Bevölkerung jedoch wenig, da trotz Importverbot von SklavInnen die Sklaverei bis ins 19. Jahrhundert weiterbesteht. Die ehemaligen SklavInnen beginnen sich nach der Abschaffung in die sich langsam entwickelnden urbanen Zentren Trinidads anzusiedeln und gehen meist handwerklichen und gewerblichen Berufen nach. (vgl. Kment 2005:44f) Die Plantagenbesitzer verlieren den Großteil ihrer Arbeitskräfte und können daher die Plantage nwirtschaft nicht mehr aufrechterhalten. Um der ökonomischen Krise gegenzusteuern, die vor allem die Produktion von Zucker und Kakao betrifft, werden im Jahr 1845 KontraktarbeiterInnen aus Indien auf die Insel geholt. (vgl. Bindu 2003:29) Aufgrund dieser kolonialen Erfahrung sind die meisten karibischen Religionen, wie auch Òrìshà auf Trinidad, ein Zusammenspiel von verschiedenen religiösen Traditionen, die in drei Kontinenten wurzeln, namentlich Amerika, Afrika und Europa. Der durch die Dezimierung der indigenen Gemeinschaften bedingte Arbeitskräftemangel veranla sste die Europäer auf andere Arbeitskräfte auszuweichen, wie oben bereits behandelt. Dies führt zu einer Massendeportation von 11,7 Millionen afrikanischen Menschen, die in die Amerikas verschleppt wurden. Die Mehrheit der SklavInnen, die in die Karibik verschleppt wurden, kam aus den Gebieten Westafrikas (Benin, Nigeria) bis Lisa Kottas

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hin zur Kongo-/Angola-Region Zentralafrikas. Das Einzige, was diese Menschen durch die Ve rschleppung mitnehmen konnten, waren ihre religiösen und kulturellen Traditionen. (vgl. Kremser 2005:175)

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4.

RAUMKONZEPTE UND RÄUME IN DER ÒRÌSHÀ-RELIGION AUF TRINIDAD

4.0 Was ist Raum? Die soziologische Konzeption von Raum Sowohl Zeit als auch Raum sind Themen, die innerhalb der Sozialwissenschaften kaum berücksichtigt wurden. Erst in den letzten Jahre n wurde begonnen, sich dem Raum zu widmen, sodass eine Vielzahl an Arbeiten darüber entstanden ist, w obei alle Arbeiten die relevante Bedeutung des Raumes für die Sozialwissenschaft in den Mittelpunkt stellen. Zu beachten ist, dass diese Theorien und Konzepte zu Raum nicht homogen sind, sondern sehr unte rschiedlich und widersprüchlich in ihren Vorstellungen. Auch zeigt sich, dass der Raum eine abstrakte Größe ist; denkt man nur an den Weltraum, der einen Raum darstellt, der sich durch seine unendliche Ausdehnung schwer fassen lässt. Ebenso wie der Raum abstrakt ist, ist er auch konkret, denkt man an den Lebensraum, den man erlebt, erfährt, betreten kann. Hier zeigt sich bereits, dass der Raum e inen breiten Rahmen für unterschiedlichste Konzepte und Vorstellungen zulässt und kein homogenes und starres Gebilde darstellt. Daher können Raumbegriffe nie den tatsächlichen Raum abbilden, sondern immer nur Vorstellungen, die man sich über den Raum macht. (vgl. Schroer 2012:9f) Gleichzeitig verlangt der ambivalente Charakter des Raums ein Verständnis, dass mit der starren Zuordnung von Raum und Territorium bricht, da sich Raum nicht auf Territorium beschränken lässt. Diese Überlegung, nämlich das Raum und Ort gekoppelt sind, stellen die klassischen Modernisierungstheorien und aktuellen Globalisierungstheorien in den Mittelpunkt und sprechen daher wegen der Globalisierung von der Bedeutungslosigkeit des Raumes. Eben jene Überlegung aber greift zu kurz, da Raum seinem Verständnis nach weiter gefasst werden kann als auf das Territorium bezogen. Betrachtet man die Annahme der Bedeutungslosigkei t des Raums näher, so meint diese eigentlich die stärkere Unabhängigkeit von ökonomischen, politischen und sozialen Prozessen bei bestimmten Orten, wobei Raum hier mit Ort verwechselt wird. Im Gegenteil spielt durch globale Prozesse der Raum eine zunehmende Rolle, da die Kommunikations- und Transporttechnologien immer mehr Räume erschließen und gleichzeitig das ökonomische, soziale und politische Verhältnis zum Ort auflockern. (vgl. ebd.:161ff)

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Entscheidend für die Perspektive auf den Raum nach Schroer ist, dass es nicht den allgemeingültigen, für alle verbindlichen Raumbegriff gibt, sondern das Raum auf sehr vielfältige Weise gedacht wird. Daher spricht er weniger vom Raum, sondern von den Räumen bzw. Raumkonzepten, welche in der raumsoziologischen Betrachtung im Zentrum stehen sollten. Somit geht er von einem dynamisch-flexiblen, heterogenen Raumbegriff aus, was er dadurch zeigt, dass es Raumkonzepte gibt, die mit unterschiedlichen Situationen, Kontexten und unter verschiedenen Funktionen in Verbindung stehen. (vgl. Schroer 2012:179ff) Ich möchte mich an die Überlegungen von Schroer in Bezug auf den Raum anlehnen und diese für die Òrìshà-Religion modifizieren. Schroer geht einerseits davon aus, dass der Raumbegriff sowohl abstrakt, als auch konkret sein kann, somit einen ambivalenten Charakter besitzt, der keine fixe Zuordnung hat (z.B. die fixe Zuordnung zu Ort und Territorium). Auch fasst er den Raum im Sinne von heterogenen Räumen auf, die kontextgebunden, situativ und nach der jeweiligen Funktion verschieden sein können. Die Sozialwissenschaften sollen sich nicht auf die Suche machen, nach dem Raumbegriff, da es diesen nicht geben kann. Stattdessen sollen in den Mittelpunkt die he terogenen Vorstellungen gestellt werden, die man sich über Raum macht. (vgl. ebd.:47ff)

4.1 Die kosmologischen Räume 4.1.1

Der Himmel òrun 4.1.1.1 Die BewohnerInnen von òrun

Im Òrìshà-Glaube existiert der Raum òrun. Er ist die Welt der Òrìshà und wird von diesen bewohnt. In òrun herrscht eine hierarchische Organisation vor, denn Olódùmarè ist die herrschende Instanz dieses Reiches. Er/sie ist die Schöpfergottheit, wobei er/sie keine fixe geschlechtliche Zuordnung besitzt und von weltlichen und göttlichen Angelegenheiten zurückgezogen existiert. Dieses òrun wird neben Olódùmarè von einer Vielzahl an Wesenheiten bevölkert, wobei die Òrìshà die bedeutendsten unter ihnen sind. Daneben existieren Ahnengeister (egúngún, ara òrun) und andere meist negativ besetzte Geistwesen (ajogun, iwin). (vgl. Kremser 2001:69f)

Ein prominenter Bewohner von òrun ist Ògún. Er gilt als der Òrìshà des Krieges, der Metalle und Mineralien. Ebenso ist er Schutzpatron all jener Personen, die beruflich mit diesen Elementen in Kontakt stehen. Er symbolisiert gleichzeitig aber auch den Krieg und die Zerstörung und verkörpert destruktive Aspekte. Genauso wie der Òrìshà Shangó wird Ògún mit der männlichen Vitalkraft Lisa Kottas

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assoziiert, ebenso steht er für Zielstrebigkeit und Fortschritt. Zu seinen Opfergaben gehören Öl, Rum und Blut. Die ihm zugeordnete Farbe ist rot und sein Symbol ist das Schwert bzw. die Machete. (vgl. Kment 2005:162) Neben Ògún bewohnt auch die Òrìshà Oya den transzendenten Raum. Sie ist die Òrìshà des Nigerdeltas, der Winde und aller stehenden Gewässer. Sie wird mit Liebe und Gerechtigkeit assoziiert. Sie ist eine der Frauen von Shangó und steht ebenso für Sexualität, Fruchtbarkeit und die Künste. Zu ihren Opfergaben zählt Geflügel aller Art und Farbe. Ihre Farbe ist grün. (vgl. ebd.:164) Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass mehr als diese beiden Òrìshà den transzendenten Raum bewohnen, weshalb diese knappe Auswahl lediglich als bessere Illustration für den Raum òrun angesehen werden soll.

4.1.1.2 Òrun als abstrakter, vorstellbarer Raum Wie kann òrun nun in seinem Raumverständnis gedeutet werden? Inwiefern lässt sich das Rau mverständnis von Markus Schroer hier verwenden? Òrun kann meiner Meinung nach als abstrakter Raum gedeutet werden. Der Begriff abstrakt leitet sich vom lateinischen abstrahere (abziehen) ab und bedeutet gedanklich, unanschaulich, von den konkreten Dingen abgelöst. Er steht somit dem Konkreten als das Nichtbegriffliche gegenüber. Im weitesten Sinn meint abstrakt alles rein Gedankliche, im Gegensatz zur unmittelbare n Wahrnehmung und Erleben. (vgl. Spree 2013) Òrun stellt somit den abstrakten Teil in der Raumkonzeption von Òrìshà dar. Er ist jener transzendent religiöse Ort, der sich der unmittelbaren Wahrnehmung entzieht, er ist nicht gegenständlich, sondern rein gedanklich. Als abstrakter Raum könnte man òrun mit dem Weltraum vergleichen: „[D]er »Weltraum« [scheint] nicht mehr recht fassbar, weil er sich in seinen unendlichen Weiten und seinen immer noch expandierenden Ausmaßen unserer Erfahrung entzieht.“ (Schroer 2012:10)

Ebenso kann òrun als abstrakter Raum mit diesem verglichen werden, als eine andere „[…] Welt – abstrakt, unendlich und unbegrenzt-, die von spirituellen Wesen besiedelt ist[.]“

(Kremser 2005:178)

Gleichzeitig kann òrun aber nicht nur als abstrakter Raum angesehen werden, sondern auch als vorstellbarer Raum. Lisa Kottas

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Die Unterscheidung innerhalb der Raumsoziologie in vorstellbare und erlebbare Räume spielt eine wichtige Rolle für die unterschiedlichen Theoriekonzepte zu Raum. (vgl. Schroer 2012:10) So werden erlebbare Räume als materielle Räume definiert, im Sinne von physisch -konkreten Strukturen (Haus), während vorstellbare Räume als immaterielle Räume angesehen werden (Idealwelten, Kosmologien, Metaphorik). Beide Arten von Räumen sollen innerhalb der raumsoziologischen Betrachtung gleich relevant angesehen werden. (vgl. Dickhardt/Hauser-Schäublin 2003:28f) Betrachtet man den religiös-transzendenten Raum òrun, als Lebensraum und Wohnort der Òrìshà und unter dem kosmologischen Aspekt, so ist òrun nicht nur ein abstrakter Raum, sondern ein vorstellbarer Raum, der nicht unmittelbar erlebt werden kann. Doch nicht nur der abstrakte Raum spielt im Raumkonzept von Òrìshà eine Rolle, sondern auch der konkrete Raum. Der Begriff konkret steht in Zusammenhang mit dem Abstrakten und leitet sich von concrescere (zusammenwachsen) ab. Es bezeichnet das Materielle, Gegenständliche. (vgl. Preussner 2013)

4.1.2

Die Erde ayé als konkreter, materieller Raum

Ayé stellt nun neben òrun den konkreten Part im Raumverständnis von Òrìshà dar. Sie ist die physische, von Menschen bewohnte Welt. (vgl. Kremser 2005:178) Während der abstrakte Raum òrun von transzendenten Wesenheiten bevölkert wird, wird ayé von Menschen bewohnt und ist im Gegensatz nicht transzendent wie òrun, sondern physisch und konkret, sowie gegenständlich und sichtbar. (ebd.: 67ff) Ayé ist der konkrete Raum innerhalb der Òrìshà-Religion, da er wie erwähnt die Welt darstellt, die den Menschen umgibt. Diese kann durch ihre physische Beschaffenheit erfahren, wahrgenommen und erlebt werden.

4.1.3

Die Interdependenz zwischen òrun und ayé

Das kosmologische Raumverständnis von Òrìshà besteht aus zwei grundlegenden Elementen. Einerseits aus dem abstrakten Raum der Òrìshà, namentlich òrun. Dieser Raum ist unendlich und abstrakt, also nicht gegenständlich und sichtbar. Gekennzeichnet ist er durch Transzendenz. Gleichzeitig zu seiner Abstraktheit kommt hinzu, dass òrun ein rein vorstellbarer Raum ist, da er nicht Lisa Kottas

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physisch gegeben ist, sondern gedanklich -immateriell. Neben òrun gibt es in der Kosmologie jedoch noch den konkreten Raum, dieser heißt ayé und bezeichnet die Erde und den Lebensraum des Menschen. Dieser Raum ist nicht abstrakt, sondern konkret, da er sich physisch wahrnehmen und erleben lässt. Es lässt sich festhalten, dass die räumliche Kosmologie aus zwei Raumteilen besteht (abstrakt-vorstellbar und konkret-erlebbar), wobei der eine Teil als Erde, der andere als Himmel gedeutet werden könnte. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass der Raum in seiner Konzeption ambivalent ist, da er sowohl abstrakt, als auch konkret sein kann, wie es Sc hroer zeigt. (vgl. Schroer 2012:10) Und gerade diese Ambivalenz des Räumlichen zeigt sich auch im kosmologischen Raumkonzept von Òrìshà, da es keinen ausschließlichen abstrakten Raum und keinen ausschließlichen konkreten Raum gibt, sondern beide Teile miteinander verbunden sind. Der Raum ist somit sowohl abstrakt, als auch konkret. Diese Ambivalenz in Form eines sowohl/als auch zeigt sich auf der kosmologischen Ebene bereits durch die Schöpfungsmythe und die Rolle des Menschen darin. Die physische, menschliche Welt war demnach ursprünglich von Wasser bedeckt. Zu dieser myth ischen Zeit lebte Olódùmarè mit den Òrìshà in seinem Reich (òrun) und der Òrìshà Olúkun, der Òrìshà des Meeres, war der Herr über die wasserbedeckte Erde, auf der noch keine Menschen existierten. Jedoch hatte der Òrìshà Obàtálá einen Traum, die wasserbedeckte Erde zu Land zu machen. Er fragte Olódùmarè um Erlaubnis und holte sich nähere Instruktion von Òrúnmìlà. Er brauchte eine Handvoll Erde, Samen und eine lange, eiserne Kette, die ihm Ògún schmiedete. Mit dieser Kette wurde òrun mit ayé verbunden. Auf der Erde angekommen transformierte Obàtálá, in Geleit mit anderen Òrìshà, den Planeten aus Wasser und gab der Erde ihre heutige Form. Danach schuf er im Auftrag von Olódùmarè aus einer Lehmfigur, der er Leben einhauchte, die ersten Menschen. (vgl. Kment 2005:173) Diese Mythe zeigt bereits das relationale Verhältnis zwischen dem abstrakten und konkreten Raum, wobei die Verbindung durch die Kette symbolisiert wird. Das zeigt die von Schroer angesprochene Ambivalenz des Raumes, dass er weder abstrakt, noch konkret sondern abstrakt-konkret ist, also sowohl als auch. Doch zeigt sich dieses Raumverständnis nicht nur am Beispiel der Schöpfungsmythen, sondern auch an der kosmologischen Raumbeziehung selbst. Hier spielt die Tatsache eine Rolle, dass nicht auf der einen Seite die physische, konkrete Welt existiert und auf der anderen Seite die abstrakte, immaterielle und beide Räume separiert voneinander sind. Im Gegenteil sind beide Räume mitei nLisa Kottas

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ander verbunden, nämlich über das Konzept des ashé. Dieses kann in seiner Funktion für die Raumbeziehung als Bindeglied zwischen dem abstrakten und konkreten Raum angesehen werden, zwischen dem Lebensraum Erde (ayé) und dem Weltraum Himmel (òrun). Ashé ist die Lebenskraft, so gesehen die göttliche Energie Olódùmarès, die von ihm gegeben wird und die jedes Lebewesen auf spezifische Art besitzt. So besitzen alle Dinge ashé: Die Òrìshà, die AhnInnen, Menschen, Tiere, Pflanzen. Aber auch Lieder, Worte, Gebete, Flüche und Gespräche. Ashé ist die kosmische Kraft, die für Kreativität und Aktivität steht. (vgl. Kremser 2001:72) Diese kosmische Energie spielt eine wichtige Rolle, um die Verbindung zwischen dem abstrakten Raum und dem konkreten Raum herzustellen. So gibt es eine perm anente Beziehung und Interdependenz zwischen beiden Räumen, wobei ashé ständig zwischen beiden Räumen (òrun und ayé) hin- und hertransferiert und verteilt wird. So gesehen kann ashé als der Leim angesehen werden, der durch seine permanente Aktivität des Flusses und der Umverteilung beide Welten zusammenhält. (vgl. Kremser 2005:178) Dadurch, dass ashé ständig zwischen beiden Welten umverteilt wird, bleibt das kosmische Gleichgewicht aufrechterhalten. Wobei der Òrìshà Èshù in seiner Rolle als Trickster ashé kontrolliert und reguliert und somit für die gleichmäßige Umverteilung von ashé zwischen òrun und ayé zuständig ist. Er gilt daher als der Hüter von ashé, der göttlichen Energie Olódùmarès, die den gesamten Weltraum durchdringt und die Naturgesetzte aufrechterhält. (vgl. Kment 2005:55) Ashé kann im Raumverständnis von Òrìshà als ein Element angesehen werden, dass den abstrakten, gedanklichen Raum (òrun), mit dem materiellen, konkreten Raum (ayé) auf kosmologischer Ebene verbindet. In seiner Funktion verdeutlicht ashé die ambivalente Raumkonzeption innerhalb der Òrìshà-Kosmologie, da der abstrakte mit dem konkreten Raumteil permanent verbunden ist. Der kosmologische Raum wird daher sowohl als auch gedacht, wobei sich durch das relationale Verhältnis beider Räume, durch ein räumliches Dazwischen, die Ambivalenz ausdrückt. Gleichzeitig zeigt sich durch das ambivalente Raumverständnis, dass Raum in der Òrìshà-Kosmologie nicht im Singular, sondern im Plural verstanden wird, also die Räume im Mittelpunkt stehen, wobei diese zwei Räume gleichwertig betrachtet werden. Wodurch zeigt sich die Gleichwertigkeit vom abstrakten und konkreten Raum innerhalb der ÒrìshàKosmologie? Im Weltbild der Yorùbá ist die Tatsache zentral, dass die zwei Ebenen des Daseins, nämlich òrun als jenseitige und ayé als diesseitige Welt im Gleichgewicht sind und miteinander verbunden Lisa Kottas

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bleiben. Versinnbildlicht kann diese Vorstellung mit der Kalebasse werden, die in zwei Hälften geteilt und danach zusammengefügt und verschlossen wird. Sie symbolisiert die permanente, fruchtbare Beziehung zwischen òrun und ayé. (vgl. Kremser 2001:66f) Durch das Bild der Kalebasse kann nun auf die Gleichwertigkeit zwischen dem abstrakten und konkreten Raum geschlossen werden. So ergibt erst das Zusammenspiel beider Räume als gemeinsames, sich ergänzendes Ganzes, das kosmische Gleichgewicht. Das zeigt, dass für das Raumve rständnis der abstrakte und konkrete Raum ebenbürtig behandelt und gedacht werden, anstatt das einer der beiden Räume zu Gunsten des anderen überbetont wird. Erst der sowohl abstrakte (Welt-) Raum, der von den immateriellen Òrìshà bewohnt wird, als auch der konkrete (Lebens-)Raum ayé, der von Tieren, Pflanzen und Menschen bewohnt wird, ergibt den eig entlichen, ganzheitlichen Raum.

4.2 Der heterotrope Raum Markus Schroer weist aber noch auf ein wichtiges Element in seinem Raumverständnis hin, nä mlich, dass Raum nicht an Territorium ausschließlich gebunden sein muss. Er bevorzugt daher für die Raumsoziologie einen flexibleren, dynamischeren Begriff, der Raum weiterfassen kann als Territorium. (vgl. Schroer 2012:172f) Auch in der Raumkonzeption von Òrìshà spielt die Vorstellung eine Rolle, dass Raum nicht auf Ort beschränkt werden kann und nicht allein Territorium bedeutet. Stattdessen wird der Raum zwar konkret mit dem Ort verbunden, dieser geht in seinem Verständnis jedoch weiter, da er immaterielle Elemente mit einschließt. Ich werde daher in Anlehnung an das Raumkonzept von Michel Foucault durch das religiöse Element des compounds versuchen, diesen als mögliche Heterotopie darzustellen. Dadurch wiederum soll gezeigt werden, dass Raum in der Òrìshà-Religion zwar mit Ort verbunden ist, jedoch nicht ausschließlich auf diesen beschränkt ist.

4.2.1

Was ist eine Heterotopie?

Michel Foucault beschreibt in seinem Aufsatz ANDERE RÄUME die Heterogenität von Raum, wobei er Raum als Beziehungsnetzwerk ansieht, in denen über die jeweiligen Beziehungen unterschiedl iche Platzierungen vergeben sind. Als Räume mit besonderen Eigenschaften sieht er jene Anderen Räume, die Heterotopien. (vgl. Foucault 1990:38) Lisa Kottas

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Ebenso beschäftigt sich Foucault in DIE ORDNUNG DER DINGE mit diesen, wobei er hier im Text von Luis Borges, der auf „eine gewisse chinesische Enzyklopädie“ verweist, Heterotopien bei Borges in Form von allerlei phantastischer Wesen, wie Sirenen, Milchschweine, einbalsamierte Tiere, Fabe ltiere aufspürt und dadurch auf die Beziehung von Raum und Sprache hinweist. (vgl. Foucault 1974:17ff) Jedoch enthält das Thema erst in den Radivorträgen von 1967 eine eigenständige B edeutung, was sich in dem Essay ANDERE RÄUME zeigt. Hierbei wird der Heterotopie eine neue Bedeutung gegeben, die sich von den Überlegungen in DIE ORDNUNG DER DINGE unterscheidet, nämlich insofern, dass die Heterotopie jetzt von Foucault als Gegenort, der sich mit realen Räumen verbindet, aufgefasst wird. Diese Gegenorte sind beispielsweise Friedhöfe, Gärten oder Gefängnisse. Heterotopien haben die Funktion Illusionen zu schaffen, die der Wirklichkeit etwas entgegensetzen und eventuell sogar radikal in Frage stellen. (vgl. Ruoff 2009:173f) Diesen Heterotopien stellt er die Utopie als Raum gegenüber. Wobei er damit die Pla tzierungen meint, die keinen wirklichen Ort darstellen. Damit bezeichnet die Utopie unwirklichen Raum. (vgl. Foucault 1990:38f) Von seiner Wortbedeutung leitet sich der Begriff der Utopie vom griechischen ou (nicht) und topos (Ort) ab und meint einen Ort, der nicht real ist, sondern nur in der Vorstellung existiert. Im Zentrum der Utopie steht die Idealvorstellung menschlichen Zusammenlebens, wobei dieses Ideal meist unverwirklicht bleibt. Oft kann die Utopie mit der jeweiligen Gesellschaftskritik verknüpft werden, wobei sie auch in der Form der Dystopie auftreten kann. Diese ist die negative Variante der Utopie, da sie keine Idealisierung anstrebt, sondern pessimistische Zukunftsvisionen fokussiert. Das Konzept der Dystopie und Utopie wird oft in der Science Fiction verwendet. (vgl. Brunner/Höltgen 2012)

Die Heterotopie ist im Gegensatz dazu eine verwirklichte Utopie und stellt wirkliche und wirksame Orte und Räume dar, die in die gesellschaftlichen Verhältnisse hineingezeichnet sind, nämlich als Widerlager oder Gegenplatzierungen. Innerhalb dieser Heterotopie werden dadurch, dass sich so genannte illusorische Gegenwelten mit realen Räumen verbinden, die realen Räume und ihre sozialen Verhältnisse gleichzeitig repräsentiert, bestritten und umgekehrt. So stellen Heterotopien Orte außerhalb aller Orte dar, die jedoch verortet werden können. (vgl. Foucault 1990:39) Heterotopien setzen ein System von Öffnung und Schließung voraus. Daher sind sie institutionell oft geschlossene und abgegrenzte Orte, die eine Gegenwelt der Gesamtgesellschaft abbilden, wobei sie Lisa Kottas

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einer Ordnung unterworfen sind, die der U nordnung der Welt widerspricht. Als Beispiel könnte man die Jesuitenkolonien in Südamerika als Heterotopie nennen, da sie ausgerichtet auf Vollkommenheit penibel geplant und geregelt wurden. Ebenso zählen die amerikanischen Kolonien, welche von den EngländerInnen in Amerika als perfekte, andere Orte konzipiert waren. (vgl. Foucault 1990:44ff) Aber auch letztendlich der Garten stellt eine Heterotopie dar. Das zeigt sich am traditionellen persischen Garten, da er jenen Platz darstellt, wo mehrere Räume, die an sich unvereinbar sind, zusammengelegt werden. So war der Garten den PerserInnen ein geheiligter Raum, der in seinem Rechteck aus vier Teilen bestand, welche die vier Teile der Welt repräsentierten, wobei sich in der Mitte ein noch heiligerer Raum befand, der den Nabel der Welt darstellte. Daher stellt der Garten den kleinsten Teil der Welt dar und gleichzeitig die Totalität der Welt. (vgl. ebd.:42f)

4.2.2

Der compound und seine Organisation

Ich möchte nun anhand des compounds zeigen, ob dieser als Heterotopie gedeutet werden kann, also als ein Ort, der sich mit illusorischen Elementen verbindet und als dieser eine Gegenwelt zu den bestehenden Verhältnissen darstellt. Obwohl es unterschiedliche Versuche gibt, die religiöse und soziale Organisation der ÒrìshàReligion zu standardisieren, besitzt sie auf Trinidad keine regional übergeordnete Instanz oder zentralen Ort der Verehrung. So ist jeder Òrìshà-Schrein (compound) je nach Lebensbiographie und individueller Interpretation religiöser Inhalte seiner mongbas und ìyás (religiöse Führungspersönlichkeiten) sehr heterogen und persönlich gestaltet, ebenso was sein architektonisches Ersche inungsbild betrifft. (vgl. Kment 2005:121) Die sogenannten shrine heads setzen sich aus den mongbas und ìyás zusammen, während die Bezeichnung mongba sich auf die männlichen und ìyá sich auf die weiblichen religiösen Führungspersönlichkeiten bezieht. Deren Aufgabe als shrine heads ist es, diese Schreine für die Òrìshà zu konstruieren, zu erhalten und di e Feste zu organisieren und durchführen zu lassen. (vgl. Houk 1995:125) Die soziale Organisation von Òrìshà auf Trinidad ist sehr lose, denn es herrscht keine hierarchische Organisation vor. Dennoch gibt es soziale und religiöse Ränge innerhalb der Gemeinde. Um in den nächsten Rang aufsteigen zu können, muss eine Initiation durch den jeweiligen mongba oder die jeweilige ìyá durchgeführt werden, da diese eine gewisse Autorität und Wissen besitzen. So ges eLisa Kottas

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hen besteht die Führungsgruppe aus den mongbas und ìyás, sowie oft aus ihren dazugehörigen EhepartnerInnen. Nach dieser religiösen Führungsgruppe folgen innerhalb der Rangordnung die AssistentInnen, die sogenannten elders, also ältere, prestigereiche Mitglieder der Gemeinde, die oft als einflussreiche BeraterInnen fungieren. Zur dritten Gruppe gehören schließlich die Trommler Innen und aktiven Mitglieder des compounds, welche ebenso mit dem religiösen Wissen gut vertraut sind. Neben der dritten Gruppe gibt es noch eine vierte : Diese besteht aus Personen, die über Basiswissen zu Òrìshà verfügen. Daneben gibt es jene, welche einfach nur am Ritual teilnehmen und für den rituellen Ablauf keine Rolle spielen. (vgl. Kment 2005:121f) Betrachtet man nun die soziale Organisation der Òrìshà-Gemeinde in Zusammenhang mit dem compound unter dem Blickpunkt der Heterotopie, so stellt sich die Frage, ob ein bestimmtes El ement der Heterotopie darauf Anwendung finden kann und wenn ja welches? Heterotopien beinhalten, wie bereits oben gesagt, Öffnungen und Schließungen. Nach Foucault ist der Zugang zu heterotopischen Räumen nur durch Erlaubnis oder durch die Vollziehung bestimmter Aktivitäten geregelt. (vgl. Foucault 1990:44) Schaut man sich nun die soziale Organisation der Òrìshà-Religion an, so zeigt sich, dass zumindest die Öffnung zu den höheren religiösen Stufen mit der Vollziehung einer bestimmten Aktivität verknüpft ist, nämlich mit der Initiation durch die mongbas und ìyás. Das zeigt, dass auf dieser Ebene der sozialen Organisation, der Zugang nicht komplett offen ist, sondern durch den notwendigen Vollzug von Aktivitäten und Verhaltensweisen geregelt ist, da erst die Initiationen, die mit den jeweiligen religiösen Rängen verbunde n sind, den Raum öffnen. Wer sich der Initiation nicht unterzieht, kann nicht in den höheren Rang aufsteigen. Gleichzeitig ist der Zugang zum compound darüber geregelt, ob man Mitglied in der religiösen Gemeinde ist, also ob man in eine der oben erwähnten Gruppen fällt, aus denen sich die Gemeinde zusammensetzt (z.B. Gruppe der TrommlerInnen).

Der compound stellt jenen Ort dar, wo die verschiedenen Feste im Laufe des Jahres gefeiert werden. Er ist somit das Zentrum der religiösen und rituellen Verehrung und besteht aus den verschiedenen Verehrungsplätzen der Òrìshà (stools/perogun), dem rituellen Zentrum (palais), der chapelle, sowie dem Wohngebäude. Im compound als religiöses Zentrum der jeweiligen Òrìshà-Gemeinde werden sowohl die großen alljährlichen Opferrituale (ebo), als auch andere Rituale, wie Geburt oder Heirat gefeiert. (vgl. Kment 2005:122) Lisa Kottas

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Der compound setzt sich also aus verschiedenen Teilen zusammen. Einerseits gibt es den perogun, dieser besteht aus mehreren rechteckigen Erdfeldern ( stools) die nebeneinander liegen und durch eine Einfriedung voneinander abgetrennt sind. Jedes Feld gehört einem bestimmten Òrìshà und enthält an seinem Ende eine Fahne in der entsprechenden Farbe des jeweiligen Òrìshà. Der perogun mit seinen Verehrungsplätzen (stools) ist zentral für die rituelle Aktivität, da hier die Opfergaben den Òrìshà gegeben werden. Gleichzeitig wird der perogun in seiner Funktion damit assoziiert, dass er das Portal für den Ein- und Austritt der Òrìshà gilt. Daneben gibt es die chapelle, eine meist kleine aus Mauern bestehende Hütte, die während des Rituals nur der mongba oder die ìyá betreten darf. Hier findet die persönliche Kommunikation dieser mit den Òrìshà statt. Die chapelle beinhaltet auch die diversen Paraphernalien und Symbole der einzelnen Òrìshà. Das palais stellt einen weiteren Teil des compounds dar und ist ein rechteckiger, nach zwei Seiten hin offener Raum. In der Mitte des palais befindet sich der sogenannte centerpost, ein Pfosten der den Nabel der Welt repräsentiert und als Verbindungsachse zwischen der menschlich-physischen und der transzendenten Welt angesehen werden kann. Während der alljährlichen Opferfeste (ebo) ist das palais zentraler Bereich für die gesamten rituellen Aktivitäten der Òrìshà-Gemeinde. (vgl. Kment 2005:126f) Um die zentrale Bedeutung der Weltenachse, welche in Òrìshà durch den eben erwähnten centerpost symbolisiert wird, zu zeigen, will ich erwähnen, dass auch im haitianischen Vodoun die Mittelsäule (poteau mitan) eine Rolle spielt, welche die „Himmelsleiter“ symbolisiert und als Zentrum der Welt zu sehen ist .(vgl. Keller 2000:56)

4.2.3

Der compound als Heterotopie

Kommen wir nun auf den Garten als Heterotopie zurück. Wenn man sich diesen ansieht, besteht die Möglichkeit auch den compound wie den Garten als Heterotopie deuten zu können: Nach Foucault kann der Garten als Heterotopie gesehen werden. Diesbezüglich stellte dieser für die PerserInnen einen heiligen Ort dar, der in seiner Mitte den Nabel der Welt darstellte. Er war der kleinste Teil der Welt und gleichzeitig deren Totalität. (vgl. Foucault 1990:42f) Eben dieses Element, wenn auch in anderer Ausformung, zeigt sich im compound durch das Element des palais. Dieser Ort beinhaltet nämlich den Mittelpfosten, der ebenfalls den Nabel der Welt darstellt, ebenso wie die zentrale Verbindungsachse zwischen der physischen und spirituellen Welt. Durch die rituelle Kommunikation kommt es zur Verschmelzung des Physische n mit dem Transzendenten. Kommt man auf den Garten und seine Funktion als Heterotopie zurück, so zeigt sich in Lisa Kottas

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der rituellen Verschmelzung von Menschenwelt und Welt der Òrìshà einerseits, dass der reale Ort (palais mit compound) zur Weltenmitte wird, da hier sowohl die physische Welt, als auch die göttliche Welt miteinander verschmilzt. „Jedes religiöse Zentrum stellt somit nicht nur das Sinngefüge des Weltbildes einer afroamerikanischen Religion dar, es ist […] eine Welt für sich, ein buchstäblich verkleinertes Abbild des Universums, welches Transparenz und Immanenz in sich vereint.“ (Kment 2005:125)

Vergleicht man den compound, wie er oben charakterisiert wurde, mit dem Garten, so zeigen sich gewisse Ähnlichkeiten. Sowohl der Garten als auch der compound beinhaltet in seinem Zentrum das heiligste Element. Im Falle des compounds ist es das palais. Der Garten wird als Mittelpunkt der Welt verstanden. Auch dieses Element zeigt sic h im compound durch den centerpost, der in der Mitte des palais platziert ist und als Weltenachse oder Nabel der Welt angesehen werden kann. Der Garten stellt die Totalität der Welt dar. Auch dieser Aspekt ist gegeben, da wiederum der Mitte lpfosten im palais als kosmische Verbindungsachse zwischen dem menschlichen und transzendenten Raum fungiert, er steht somit für Totalität. Ebenso stellt der compound einen realen Ort dar, der für seine Mitglieder ebenso als wirksamer Ort gelten kann und in die soziale Organisation hineing ezeichnet ist. Gleichzeitig verbindet sich dieser reale Ort mit utopischen Eigenschaften, was sich dadurch zeigt, dass die einzelnen Òrìshà in Form von stools so gesehen „Behausungen“ besitzen, wo sie verehrt werden und ein gemeinsames Zusammenleben zwischen Mensch (in Form von mongba und ìyá) und Òrìshà stattfindet. Der compound kann daher nicht allein durch seine räumliche Beschaffenheit verstanden werden, stattdessen müssen jene utopischen Elemente, mit denen er eine Verbindung eingeht, mitberücksichtigt werden.

4.3 Veränderbare Räume 4.3.1

Die Grundlage für die Transformationen

Um die Auswirkungen der räumlichen Veränderung auf die Òrìshà-Inhalte auf Trinidad verstehen zu können, muss die historische Erfahrung des transatlantischen Sklavenhandels betrachtet werden, im Zuge dessen eine Vielzahl an afrikanischen Menschen in einen neuen geographischen Raum, in die Karibik, verschleppt wurde. So war dieser transatlantische Sklavenhandel maßgeblich und untrennbar mit der Plantagenwirtschaft verbunden, wobei diese durch Zwangsarbeit strukturiert war. Bereits im 16. Jahrhundert beginnen die Spanier verschleppte AfrikanerInnen als Arbeitskräfte in die Karibik zu deportieren. Lisa Kottas

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Die Holländer, Engländer und Franzosen bringen das Plantagensystem schließlich zur Vollendung. Im Zuge dieses Sklavenhandels werden 9,5 Millionen AfrikanerInnen in diesen neuen geographischen Raum namens Neue Welt verschleppt. (vgl. Böttcher 2005:71) Diese Deportationen in die Karibik haben schließlich zur Folge, dass sich die ehemals afrikanischen religiösen Inhalte auf spezifische Weise ausformen, sodass sie einerseits diasporisch, andererseits synkretistisch in ihrer Erfahrung werden, was ebenso auf die Òrìshà-Religion auf Trinidad zutreffen kann. So bezeichnet der Begriff Diaspora Gemeinschaften, die durch gewaltsame oder freiwillige Migration aus ihrem Heimatland in der Ferne entstehen, wobei ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb und zwischen den Diasporagemeinschaften herrscht, welchem die kollektive Erfahrung von Flucht, Vertreibung und Gewalt zu Grunde liegt. Auch steht die Erinnerung an eine idealisierte, oder erst zu erschaffende Heimat im Mittelpunkt. (vgl. Heiss/Six-Hohenbalken 2011:44f) Der Synkretismus wiederum bezeichnet die Vermischung unterschiedlicher religiöser Elemente, wobei dadurch eine neue Ausformung entsteht. Synkretistische Religionen sind dadurch geprägt, dass sie in Reaktion auf dramatische kulturelle Brüche (Erfahrung der Sklaverei, Missionierung) auf kreative und dynamische Weise neue Identitäten entwickeln. (vgl. Hazod 2011:367) So gesehen können afrokaribische Religionen wie Òrìshà auf Trinidad als afrikanische Diasporareligionen begriffen werden, da sie ihre spirituellen Wurzeln in Afrika haben. Kennzeichen dieser afrikanischen Diasporareligionen ist, dass sie für den gemeinschaftlichen kulturellen Widerstand gegen den Machtapparat der europäischen Kolonialmächte und die Erfahrung der Unterdrückung stehen. In der rezenten Zeit spielen sie eine wichtige Rolle für die Identitätskonstruktion ihrer AnhängerInnen. (vgl. Kremser 2001:205)

Seinen Anfang nimmt die Òrìshà-Religion auf Trinidad mit der Verschleppung der Yorùbá ab den 30er bis Ende der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts. In diesem Zeitraum steigt der Anteil der Yorùbástämmigen Bevölkerung auf Trinidad rasant an. Dieser starke Bevölkerungsschub ist durch mehrere Bürgerkriege zwischen den einzelnen Stadtstaaten der Yorùbá bedingt, wobei die Ereignisse die Reiche bis zum Zusammenbruch trieben, was Flüchtlingsströme nach Süden zur Folge hatte und dazu führte, dass immer mehr Yorùbá als Opfer in den Sklavenhandel gezogen wurden. Da Großbritannien zu dieser Zeit (ab 1803), das allgemeine Verbot des Sklavenhandels, nicht aber das des Sklavenbesitzes erlassen hat, werden viele Yorùbá doppelt verschleppt, von englischen KriegschifLisa Kottas

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fen (slave interceptors), die Jagd auf Sklavenschiffe der Natione n machen, die sich nicht um das von England einseitig erlassene Verbot des Sklavenhandels kümmern. Die SklavInnen wurden von diesen Kriegsschiffen hauptsächlich wegen des permanenten Arbeitskräftemangels in die Karibik verschifft. Da der Großteil der Yorùbá jedoch nach dem allgemeinen Verbot des Sklavenhandels nach Trinidad kommt, kann eine Kontinuität religiöser und kultureller Element e aufrechterhalten werden, was sich bis auf heute ausgewirkt hat. (vgl. Kment 2005:61f)

4.3.2

Die Raumtransformationen 4.3.2.1 Die Transformationen in der Organisation

Es wurde nun gezeigt, dass durch den transatlantischen Sklavenhandel eine Vielzahl an Yorùbá nach Trinidad verschleppt wurde. So gesehen kann man sagen, dass eine geographische und kulturelle Raumänderung stattgefunden hat, welche sich auf die religiösen Inhalte ausgewirkt hat. Diese Auswirkungen sollen nun gezeigt werden, indem die Frage geklärt wird , inwiefern der veränderte Raum die Religion transformiert. Die Veränderung der Religion durch den neuen geographischen Raum zeigt sich bereits durch die soziale Organisation selbst. Bei den Yorùbá in Westafrika wird jeder Familie ein bestimmter Òrìshà zugeordnet und jeder Òrìshà wird von dieser einzeln verehrt. In der Diaspora verändert sich das, denn jetzt werden die Òrìshà nicht wie in Westafrika einzeln verehrt, sie verschmelzen auf Trinidad zu einem gemeinsamen Pantheon und werden nun gemeinsam verehrt. Ebenso zeigt sich die Veränderung innerhalb der sozialen Organisation durch den Zuständigkeitsbereich der mongbas und ìyás. Während in Westafrika die PriesterInnenschaft spezialisiert ist nach unterschiedlichen Bereichen wie Ada-Ushe (Geistervertreibender Schamane), Babalawo (Hohepriester von Ifá) usw. vereinen die mongbas und ìyás auf Trinidad all diese Zuständigkeiten in sich, sodass sie für das gesamte religiöse und soziale Spektrum zuständig sind. (vgl. Kment 2005:69)

4.3.2.2 Die Transformationen im kosmologischen Raum Doch zeigt sich die religiöse Transformation auf Trinidad auch durch die Òrìshà selbst. Ursprünglich gibt es in Westafrika 401 Òrìshà, wobei nicht alle in den neuen Raum mitgewandert sind. Auch die zahllosen Elementarwesen und Naturgeister wurden in Westafrika zurückgelassen. (vgl. ebd.)

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Von diesen 401 Òrìshà sind jedoch die wichtigsten Elemente der Yorùbá-Kosmologie „mitgewandert“ und wurden, wie bereits gesagt, innerhalb eines gemeinsamen Götterpantheons zusammengefasst. Diese Òrìshà stellen folgende Figuren dar: Èshù: Er ist der Herr der Kreuzung und Hüter über ashé, jener Energie, welche für das kosmische Gleichgewicht der physischen und transzendenten Welt zuständig ist. Seine Natur ist ambivalent, was sich auch durch seine Farbzuordnung zeigt (schwarz und rot oder weiß und schwarz). Keine Aktivität findet statt, ohne dass es Èshù erlaubt, weder in der menschlichen Welt, noch in der Welt der Òrìshà. (vgl. OrishaNet 2013) Neben Èshù findet sich im Pantheon, der nach Trinidad transportierten Òrìshà Ògún. Er ist der Òrìshà des Eisens, des Krieges und der Arbeit. Seine Farben sind grün und schwarz, sein Symbol ist die Machete. (vgl. ebd.) Daneben findet sich auch Obàtálá, einer der höchsten Òrìshà auf Trinidad. Er wird als Vater aller Òrìshà und Menschen angesehen und er wird mit dem Bewusstsein und Kopf assoziiert und steht für Weisheit. Seine Farbe ist weiß. (vgl. ebd.) Auch lässt sich die Òrìshà Oya in dem neuen geographischen Raum finden. Sie ist die Herrin der Winde und Stürme und des Friedhofs. Ebenfalls eine weibliche Òrìshà ist Òshun. Sie herrscht über das Süßwasser und Flüsse und verkörpert Liebe und Fruchtbarkeit, sowie Geld. Ihr Symbol ist der Honig, sowie der Pfau und Geier. Ihre Farbe ist gelb und gold. Die dritte der weiblichen Òrìshà ist Yemayá, sie beherrscht die Meere und verkörpert Mutterschaft. Ihre Symbole sind die Fische, welche ihre Kinder darstellen. Die Farbe ist blau und weiß. (vgl. ebd.) Einer der populärsten und mächtigsten Òrìshà, der ebenso nach Trinidad gekommen ist, ist Shangó. Er beherrscht Blitz und Donner, ebenso das Feuer, den Tanz und die Trommeln. Er wird mit männlicher Lebenskraft und Hitzköpfigkeit assoziiert, seine Farben sind rot und weiß, sein Symbol ist die Doppelaxt. (vgl. OrishaNet 2013) Jedoch sind die wichtigsten Òrìshà nicht nur von einem Raum in einen anderen transferiert worden, sie haben sich aufgrund der vorhandenen Umstände in der Diaspora verändert. Shangó beispielsweise war nach der Yorùbá-Kosmologie der König von Oyó, einer Stadt im heutigen westlichen Nigeria, gewesen. Er war dazu bestrebt, seinen Machtbereich immer weiter auszubreiten, sodass er häufig Kriege führte. Auch galt er als tyrannischer König, sodass die unter ihm leidende Bevölkerung rebellierte. Man legte ihm daher nahe, sich selbst zu töten. So gi ng Shangó in den Wald und erhängte sich verkehrt an einem Baum. In der Zwischenzeit war sein Volk Lisa Kottas

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von Unwettern betroffen, sodass man den König suchen ließ. Als man ihn schließlich nach etlichen Tagen erhängt am Baum fand, schnitt man ihn los. In dem Augenblick, wo sein Kopf den Boden berührte, wurde er wieder lebendig und stieg in den Himmel auf. (vgl. Kment 2005:56) In der Diaspora verwandelt sich die mythische, tyrannische Herrscherfigur Shangó in einen heldenhaften Widerstandskämpfer, er wird vom strafenden und unberechenbaren Tyrannen zur Vaterfigur, der die verschleppten SklavInnen vor den Weißen beschützt und ihnen im Widerstandskampf beisteht. (vgl. ebd.:70) Es verändert sich jedoch nich t nur die Identität der Òrìshà, wie es Shangó verdeutlichen soll, sondern die religiöse Tradition selbst. So kommt es nicht nur zu einer Transformation durch Neuinterpretation und Neubewertung bestehender religiöser Inhalte, sondern der neue Raum, der durch die Diaspora repräsentiert ist, führt auch dazu, dass es zu einer Erweiterung kommt. So werden neue religiöse Inhalte in das religiöse System integriert. (vgl. Kment 2005:69ff) Dieser Synkretismus bezieht sich auf katholische Elemente, die religiös inkludiert werden. So war der katholische Einfluss auf die Òrìshà-Religion auf Trinidad durch die vorhandene historische Erfahrung lange Zeit sehr einflussreich. Die lange Dominanz der katholischen Kirche auf der Insel wurde nach der britischen Herrschaft von der anglikanischen Kirche abgelöst, die nun zur „Staatskirche“ erklärt wurde. Die Mehrheit der kolonialen Bevölkerung blieb zwar weiterhin katholisch, doch waren die sozialen Aufstiegsmöglichkeiten mit der anglikanischen Mitgliedschaft verbunden. Der endgültige Streit zwischen der anglikanischen und der katholischen Kirche gipfelte schließlich in der geplanten Erziehungsreform von Gouverneur Lord Harris, welche beinhaltet e, dass die Erziehung der staatlichen und nicht-klerikalen Zuständigkeit übergeben werden sollte, um aus den Söhnen der katholischen Großgrundbesitzer gute britische Bürger zu machen. Aus diesem Streit resultiert die Politisierung der katholischen Kirche auf Trinidad. So gesehen profitierten die Yorùbá indirekt von dem Streit und damit verbundenen Machtkampf zwischen der plantokratisch kreolischen Oberschicht und dem britischen Verwaltungsapparat, da sich aufgrund der gemeinsamen Erfahrung der Unterdrückung durch den britischen Verwaltungsapparat zwischen der katholischen Kirche, der französisch-plantokratischen Oberschicht und den Yorùbá eine Allianz bildete. Hierbei wurde die katholische Kirche in der Funktion eines transkulturellen religiösen Systems von den Yorùbá verwendet. (vgl. Kment 2005:65f) Es kommt zu einer religiösen Annäherung beider Religionen, welche auch durch die Ähnlichkeit von Elementen in beiden religiösen Systemen bedingt ist. Sowohl die Yorùbá-Kosmologie als auch der Katholizismus stellen ein höchstes Wesen in den Mittelpunkt der Verehrung und betonen beide Lisa Kottas

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dieses als Schöpfergott. Auch spielen in beiden Religionen Vermittlerinstanzen eine Rolle, die der Kommunikation der Menschen mit diesem höchsten Gott dienen. Im Katholizismus sind es die Heiligen, bei den Yorùbá die Òrìshà. Ebenso wie die Heiligen sind auch die Òrìshà anthropomorphe Persönlichkeiten, die oft menschliche Charakterzüge zeigen und mit bestimmten Aufgabenb ereichen ausgestattet sind. Sowohl die Heiligen als auch die Òrìshà werden rituell verehrt und werden in der Not von Menschen angerufen. (vgl. ebd.:66f) Es zeigt sich also, dass durch den neuen geographischen Raum neue Elemente zu bestehenden religiösen Inhalten hinzukommen, wobei die Inkorporation von den Yorùbá als eine komplementär erweiterte religiöse Allianz verstanden wurde. (vgl. Kment 2005:68) Besonders illustriert sich diese religiöse Komplementarität durch die Parallelisierung katholischer Heiliger mit den Òrìshà, so wird Ògún mit dem Heiligen Michael assoziiert und Shangó findet seinen katholischen Gegenpart in der Heiligen Barbara. (vgl. ebd.) Die zweite Transformationsphase ist mit der Black Power-Bewegung auf Trinidad verbunden, welche die Reafrikanisierung der Religion anstrebt, sodass ehemals christliche Elemente aus dem religiösen System wieder entkoppelt und entfernt werden sollen und stattdessen die religiösen Inhalte reafrikanisiert werden. Verbunden ist diese Tendenz mit Ideen der Négritude, sowie Denkern wie Marcus Garvey. Die Négritude ist als Begriff erstmals von Aimé Césaire verwendet und spielt eine besondere Rolle für die Reafrikanisierungstendenz des karibischen Raums, da sie ein neues positiv besetztes Afrikabild abseits des europäisch negativ konstruierten für die eigene Identitätsentwicklung der afrikanischstämmigen Bevölkerung in der Diaspora bereitstellt. Vor allem Marcus Garvey betont in seinen zentralen Anliegen die Schaffung einer neuen Religion, die den Bedürfnissen der AfroamerikanerInnen besser entspricht als die etablierten Religionen. Auch übt er Kritik an der katholischen und evangelischen Kirche, da diese die Bibel ausschließlich im Sinne der Weißen Gläubigen auslegen. Er wollte daher für die Diaspora eine neue spirituelle Heimat schaffen. All diese neuen Ideen, werden nach Trinidad transportiert und gestalten sowohl den Raum, als auch die Religion spezifisch um, nämlich im Sinne der Reafrikanisierungstendenz der Black PowerBewegung. (vgl. Kment 2005:71ff) Die dritte Transformation zeigt sich durch das Cyberspace. Hierbei geben die Òrìshà ihre lokale Verortung auf und werden nun im globalen Raum über die modernen Kommunikationstechnologien frei verfügbar. Es verändern sich nun in diesem neuen vernetzten Raum wiederum die Òrìshà selbst, wie es bereits in der ersten Transformation stattgefunden hat, als die Òrìshà ihren Gegenpart in den katholischen Heiligen fanden. (vgl. Kment 2005:211) Lisa Kottas

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Der Raum, in dem sich die Òrìshà nun befinden, ist nicht mehr das lokale Trinidad und dessen compounds, sondern das globale World Wide Web. Dieses stellt ebenso eine Art digitale Diaspora dar, einen medialen Raum, der als globaler gemeinsamer Diskursort für Mitglieder von kulturellen und sozialen Gruppen geworden ist. Auf dieser Ebene können von diesen glo bal ausgerichtete Identitäten entwickelt werden. Diese digitale Diaspora ist dadurch gekennzeichnet, dass sie eine mediale Zwischenwelt herstellt, die weder hier, noch da ist und es dennoch ermöglicht kollektive Identität zu generieren. In diesem medialen Raum zeigt sich die abermalige Transformation der Òrìshà-Religion auf Trinidad und macht ihre religiösen Inhalte gleichzeitig der breiten Öffentlic hkeit zugänglich. (vgl. Kremser 2001:348ff) Ebenso wie sich in d er ersten Transformation durch die Verschmelzung von Christentum und Òrìshà-Religion Anknüpfungspunkte für eine mögliche Annäherung und Integration gefunden hat, gibt es diese auch zwischen den Òrìshà und dem Cyberspace, nämlich in der Form, dass sowohl das Ifá-Orakel als Divinationssystem der Yorùbá, als auch der Computer binäre Codes verwenden. Laut Kremser kann beispielsweise Shangó sowohl als Ausdruck des Donners und Blitzes in der heutigen Zeit, als auch als Strom, sowie als Blitzlichtgewitter im Cyberspace gedeutet werden. (vgl. 2001:361f) Auch der Zuständigkeitsbereich und die Rolle der mongbas und ìyás ändern sich durch den medialen Raum, in den die Òrìshà-Religion getreten ist. Sie sind einerseits für die sozialen, psychischen und spirituellen Belange ihrer eigenen lokalen Òrìshà-Gemeinde auf Trinidad zuständig, andererseits bewegen sie sich im digitalen Raum, wo sie über das World Wide Web ihre religiösen Dienste anbieten, als digitale DivinatorInnen und religiöse UnternehmerInnen am Internetmarkt auftreten. (vgl. Kremser 2001:363ff) Auch zeigt sich durch die Eroberung des digitalen Raums für die Òrìshà, dass sie sich in ihrem Körper wiederum verändert haben, denn sie werden nun zu den binären Codes, da in dieser digitalisierten Form ihr neuer Raum der Cyberspace geworden ist. (vgl. Kment 2005:211)

Abschließend kann gesagt werden, dass s ich die Òrìshà-Religion durch die Veränderung des Raumes mit diesem spezifisch transformiert und sich an ihn angepa sst hat. Vor 1830 werden die Òrìshà von den Yorùbá in Westafrika einzeln von Familien oder BewohnerInnen einzelner Sie dlungsgebiete verehrt, es gibt keinen gemeinsamen Götterpantheon, wo alle Òrìshà vereint verehrt werden. Nach 1830 verändert sich der Raum . Die Yorùbá werden durch den transatlantischen Sklavenhandel in die Karibik, mitunter Trinidad, verschleppt und sind nun mit einer neuen sozioLisa Kottas

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kulturellen Erfahrung der kolonialen Unterdrückung und Gewalt konfrontiert. Der neue geographische Raum wirkt sich auf die religiösen Inhalte, welche zum Teil mit den Yorùbá nach Trinidad mitgewandert sind, insofern aus, sodass sich ein gemeinsames Òrìshà-Pantheon entwickelt, durch welches alle Entitäten gemeinsam verehrt werden. Neue religiöse Traditionen werden in das eigene Glaubenssystem inkorporiert, was sich daran zeigt, dass christliche Elemente aufgenommen we rden. Das geschieht durch die Parallelisierung der Òrìshà und katholischen Heiligen. Ab 1930 werden Inhalte der Kabbala und Spirital Baptists zwar nicht inkorporiert, jedoch angelagert. Im Mittelpunkt steht weiterhin der Synkretismus zwischen den katholischen und eigenen religiösen Elementen. Ab 1960 kommt die Tendenz auf, katholische Elemente wieder zu entfernen, welches ein Resultat der Black Power-Bewegung ist. Gleichzeitig werden hinduistische Elemente für Òrìshà interessant. Mit der Transformation der Òrìshà in den Cyberspace, geben diese ihre lokale Verortung auf, da sie sich nun im Cyberspace öffentlich zugänglich befinden. Die Òrìshà werden hier in ihrer Form zu binären Codes. (vgl. Kment 2005:212)

4.4 Der Körper als Raum der Òrìshà 4.4.1

Der Körper in der Anthropologie

Die Anthropologie hegt schon seit ihren Anfängen ein Interesse am Körper, wobei sie im Laufe der Zeit je nach historischem Kontext unterschiedliche Ideen dazu entwickelt hat. So beschäftigt man sich im 19. Jahrhundert mit dem Körper aus soziokulturell-evolutionistischer Sicht und verknüpft Körper mit „Rasse“, wobei durch ein eurozentristisch, rassistisches Maßstabsmuster eine Dichotomie zwischen europäischem und nicht-europäischem Körper konstruiert wurde. Danach folgt jedoch ein Richtungswechsel, sodass nicht mehr der biologistische Körper im Mittelpunkt steht, sondern der symbolische Körper. Nun tritt die symbolische Bedeutung des Körpers für nichteuropäische Gesellschaften in den Fokus der Betrachtung, w onach jetzt Körper mit Symbol und Kognition verknüpft wird, indem man annimmt, dass man über die Körperrepräsentationen, also über die symbolische Dimension des Körpers in außereuropäischen Gesellschaften auf die universalen Gesetze des Denkens schließen könne. In diesem Zusammenhang steht die Annahme, dass der Geist mit seiner Umwelt interagiert, indem er diese mit Symbole bedeutet und ihr durch diese einen spezifischen Sinn gibt. (vgl. Asad 1997:42f) Der Körper ist ein wichtiges Element in religiösen Systemen und wird in diesen auf je unterschie dliche Weise konzeptualisiert und bedeutet. Es gibt somit kein universal übergeordnetes Körperve rständnis innerhalb der religiösen Traditionen, stattdessen wird Körper und Religi on heterogen Lisa Kottas

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verknüpft, sodass verschiedenste soziale Konstruktionen diesbezüglich bestehen. (vgl. Coakley 1997:1ff) Der Körper stellt gleichsam ein symbolisches und kulturelles Ausdruckssystem dar, sodass er unter diesem Blickpunkt über seine biologistische Reduktion hinausgeht, sondern ebenso eine soziale Ebene enthält. Daher sind Körper auch soziale Konstruktionen, wobei diese in unterschiedlichen Gesellschaften unterschiedlich konstruiert sind. Das zeigt, dass der Körper einerseits eine anthropologische Konstante darstellt, die universal ist, da jeder Mensch einen Körper besitzt. Auf der anderen Seite ist der Körper sozial konstruiert, da dem Körper und seinen einzelnen Körperteilen kulturell unterschiedliche Bedeutung beigemessen werden. (vgl. Doniger 1997:167ff)

4.4.2

Der Körper in der Òrìshà-Religion

Der Kopf in der Òrìshà-Religion wäre ein Körperteil, der auf spezifische kulturelle und religiöse Weise bedeutet wird. Es gibt nach der Yorùbá-Kosmologie den biologischen und den geistigen Kopf, letzterer ist der Sitz des spirituellen Selbst. Dieser spirituelle Kopf entstammt aus òrun, der Welt der Òrìshà, und wird jedem Menschen vor seiner Ge burt dort von Olódùmarè gegeben und beinhaltet seinen individuellen Lebensweg und das persönliche Schicksal, welches von der jeweiligen Qualität eines orí abhängt. Gleichzeitig beinhaltet jeder menschliche Kopf seinen persönlichen guardian spirit in Form desjenigen Òrìshà, dessen Persönlichkeit man entspricht. Nach seiner Geburt vergisst der Mensch seinen Lebensweg wie auch sein Schicksal . Daher steht mit dem Kopf der Òrìshà Òrúnmilà in Zusammenhang. Er war zugegen bei der Schöpfung und kann sich daher erinnern. Deshalb gilt er bei den Yorùbá als Orakel, da er für Weisheit und Wissen steht , und verkörpert sich somit im Ifá-Orakel. Durch dieses gibt er den Menschen Ratschläge, damit diese ihr Schicksal, ihr orí, erfüllen können, da er das Schicksal eines jeden Menschen kennt. (vgl. Awolalu 1979:9ff) Divination kann bei den afrokaribischen Religionen daher nicht als Horoskop versta nden werden, stattdessen dient das Orakel dazu, den Wünschen der Òrìshà zu entsprechen, indem Entscheidungshilfen für bestimmte Situationen gegeben werden. Das Orakel spürt die Ursachen für die Dissonanzen zu den Òrìshà auf, um das Gleichgewicht durch ein Opfer wiederherzustellen. (vgl. Kment 2005:178)

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Ebenso zeigt sich, dass der Körper zum Raum wird und mit diesem untrennbar verbunden ist. So wird der menschliche Körper der Gläubigen im Ritual selbst zum Raum der Òrìshà, da diese im Laufe des Rituals Besitz von diesen ergreifen, was durch die Possession Trance ausgelöst wird. Hierbei überlagert der jeweilige Òrìshà die Persönlichkeit des besessenen Mediums und verkörpert sich in ihm, indem er seine spezifischen Eigenscha ften durch die körperlichen Äußerungen und Handlungen ausdrückt. (vgl. Kremser 2001:76)

4.4.3

Das Ritual ebo und die Verkörperungsphasen der Òrìshà im Menschen

Für Durkheim stellt das Ritual in seiner Funktion einen Raum dar, durch welchen das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Gruppe gestärkt wird. Auch Victor Turner sieht seine gruppenstabilisi erende Funktion in der Antistruktur des Rituals, da es einen kreativen Zustand kreiert, dass im Gegensatz zum Alltag steht, der durch Hierarchie und sozialem Druck bestimmt wird, und einen Ausgleich zu diesem herstellt. Auch spielt die Zeitlichkeit und Räumlichkeit im Ritual eine gewisse Rolle. Im ebo wird auf spezifische Art Raum und Zeit über die Òrìshà verbunden, indem im Ritual die Schöpfung der Welt nachgespielt wird, so wird der Ort des Rituals im ebo zum verkleinerten Abbild des Kosmos. (vgl. Kment 2005:192f) Das ebo stellt eines der wichtigsten Rituale in der Òrìshà-Religion dar und ist ein Fest, welches Tanz, Gesang und Speisen beinhaltet. Das zentrale Element ist hierbei die Possession, im Zuge derer sich die Òrìshà während des Rituals manifestieren, um in unterschiedlicher Weise mit den Gläubigen zu interagieren. (vgl. Houk 1995:157) Bei der Anrufung werden die Òrìshà eingeladen sich von der transzendenten Welt auf die physische Welt zu transferieren, indem der rituelle Raum für diese geöffnet wird. Hierbei verteilt der mongba oder die ìyá Wassertropfen in den vier Ecken des palais. Auch werden die einzelnen Verehrungsstätten (ojúbo) rituell aktiviert, da diese beim ebo als Portale für die Òrìshà verwendet werden. Die Trommeln sowie der Gesang der Anwesenden leiten die Anrufung der Òrìshà ein, sodass diese imstande sind, sich über die Trance manifestieren zu können, nachdem die Raumgrenzen aufgehoben wurden. In der Regel findet nach mehreren Versuchen der Kontaktaufnahme die Manifestation in einem oder mehreren TeilnehmerInnen statt. In dieser Form wird der Òrìshà vom mongba bzw. der ìyá willkommen geheißen und in eine Schärpe in der mit ihm /ihr assoziierten Farbe gewickelt. Nun findet die eigentliche Arbeit des verkörperten Òrìshà statt, indem er mit den Anwesenden tanzt und diese segnet. Er nimmt hierzu die Opfergaben auf dem Altar in der Mitte des palais (centerpost) und reicht diese den Gläubigen. Die Flüssigkeiten werden diesen über den Kopf geschüttet Lisa Kottas

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oder getrunken. Auch werden sie mit den Substanzen eingerieben. Ebenso richten die Òrìshà an manche Gläubige Ratschläge oder Kritik. Danach kommt die Phase, wo die Gläubigen den Òrìshà für ihre Arbeit danken. Hierbei werden sie gut unterhalten, es wird gemeinsam getanzt und gefeiert. Nach dieser „Unterhaltungsphase“ wird der Òrìshà wieder entlassen und scheidet allmählich wieder aus dem rituellen Geschehen aus, sodass die besetzte Person wieder in ihren eigenen Bewusstseinszustand zurückkehrt, wobei der rituelle Zyklus wieder von vorne beginnt und die ganze Nacht andauern kann (Anrufung, Arbeit, Unterhaltung, Entlassung). (vgl. Kment 2005:195ff)

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5.

CONCLUSIO

Der Raum setzt sich im kosmologischen Verständnis aus zwei einander zwar differenten, jedoch permanent miteinander verbundenen Raumbereichen zusammen. Einerseits gibt es die menschliche Welt (ayé), welche von Menschen, Tiere n und Pflanzen bewohnt ist und als Lebenswelt Erde bedeutet wird. Dieser Raum ist dadurch charakterisiert, dass er konkret, materiell, physisch strukturiert ist. So kann die menschliche Welt erfahren, wahrgenommen und erlebt werden. Daneben gibt es den transzendenten Raum (òrun). Dieser ist von spirituellen Entitäten besetzt, den Òrìshà. Er ist dadurch charakterisiert, dass er im Gegensatz zu ayé abstrakt, rein imaginiert und nicht konkret erlebbar ist. Man erkennt, dass sich beide Räume voneinander unterscheiden, so gesehen unvereinbar wären, da der eine abstrakt, der andere konkret konzipiert ist. Jedoch zeigt sich durch die Òrìshà-Religion, dass hier der religiöse Raum sich aus eben diesen beiden unter schiedlichen Räumen zusammensetzt, nämlich in der Weise, dass nicht allein der konkrete Raum oder allein der abstrakte Raum den religiösen Raum ergeben, sondern erst beide zusammen. Die kosmologisch räumliche Totalität ist somit in der Òrìshà-Religion ein Sowohl/Als Auch bzw. ein Dazwischen von konkret-abstrakten Räumen. Wobei beide Räume, sowohl der physisch, konkrete Raum (ayé), als auch der transzendent, abstrakte Raum (òrun) in ihrer Gleichwertigkeit konzipiert sind, da beide Räume nicht ohne einander existieren können und durch die kosmische Energie ashé im permanenten Gleichgewicht zueinander gehalten werden, wodurch sich eine reziproke und interdependente Raumbeziehung zwischen beiden Räumen (konkrete Erde und abstrakter Himmel) ergibt. Raum wird also in religiöser Weise als eine grenzüberschreitende Totalität verstanden, die sich erst aus dem ambivalenten Verhältnis von Materiell- und Sozial-Räumlichem und Transzendent-Imaginiertem ergibt. Erst beide Teile zusammen ergeben den religiösen Raum, welcher aus der Menschenwelt (ayé) und der Götterwelt (òrun) besteht. Dieses kosmologische Raumverständnis zeigt, dass Raum innerhalb der Òrìshà-Religion als Räume verstanden wird, die sowohl konkret-physisch als transzendent-abstrakt sind und eine ambivalente Beziehung ausdrücken. Doch ist der Raum nicht nur heterogen, sondern auch flexibel. Das zeigt sich am religiösen Element des compounds. Ähnlich wie der Garten im Sinne Michel Foucaults ist dieser zwar lokal verortet, doch enthält er seiner Bedeutung nach imaginative Elemente, die mitberücksichtigt werden müssen, Lisa Kottas

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um diesen flexiblen Raum tatsächlich verstehen zu können. So enthält der compound ebenso eine Weltenmitte, welche durch den centerpost im palais repräsentiert werden kann. Dieser ist nicht nur ein bloßer Holzpfosten, sondern verbindet sich mit spezifischen imaginativ religiösen Elementen, wodurch er seine Bedeutung als Nabel der Welt, als Verbindungsachse zwischen òrun und ayé, zwischen dem konkreten und abstrakten Raum erhält. So gesehen kann der religiöse compound als eine Heterotopie aufgefasst werden, als eine Gegenwelt, die in die soziale Institution der ÒrìshàGemeinde hineingezeichnet ist und in der sich auf spezifische Art reale, lokale Elemente mit imaginativen, utopischen Elementen verbinden, sodass erst dadurch der compound als Raum seine spezifische Bedeutung erhält. Hierdurch zeigt sich, dass das religiöse Raumverständnis von Òrìshà nicht nur heterogen, sondern auch flexibel ist. Daneben zeigt sich aber auch, dass der Raum dynamisch ist, was sich dadurch zeigt, dass durch die soziale und geographische Veränderung des Raums, ebenso religiöse Elemente neu transformiert werden, was die Parallelisierung der katholischen Heiligen mit den Òrìshà ebenso zeigen soll, wie die Digitalisierung derselben im Cyberspace. Doch zeigt sich das dynamische Raumverständnis auch in spezifischen Konzeption vom Körperraum, da der menschliche Körper bei der Possession im Kontext eines rituellen Settings, das sich im palais zentriert, selbst zum vorübergehenden Körper der Òrìshà wird, in dem sie sich manifestieren und darüber mit der Òrìshà-Gemeinde interagieren und kommunizieren. Es zeigt sich somit im Raumverständnis von Òrìshà, dass der religiöse Raum heterogen, flexibel und dynamisch ist. Weiters kann gesagt werden, dass die Òrìshà-Religion mit ihrem spezifischen Raumkonzept einen religiösen Glauben darstellt, der auf eigene Art auf Weise, abweichend vom euroamerikanischen räumlichen Selbstverständnis auf kreative Weise Religion und Raum verbindet.

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6.

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Abbildungsverzeichnis ABBILDUNG 1 (S. 10): Karte der Insel Trinidad (Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/0a/Trinidad_de.png) [08.03.2013] ABBILDUNG 2 (S. 14): Èshù (Quelle: http://www.orishanet.org/echu2.jpg) [08.03.2013]

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