Recht auf Konflikt – Neue Labels im Wiener Wohnbau: MigrantInnen als Zielgruppe auf dem öffentlichen Wohnungsmarkt

August 31, 2017 | Author: Gabu Heindl | Category: Urban Planning, Migration, Housing, Migration Studies, Urban Sociology, Architektur, Theorie der stadtplanung, Markt Und Wohnen, Stadtplanung, Architektur, Theorie der stadtplanung, Markt Und Wohnen, Stadtplanung
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in: Kulturrisse. Zeitschrift für Radikaldemokratische Kulturpolitik, 02/2011

Recht auf Konflikt Neue Labels im Wiener Wohnbau: MigrantInnen als Zielgruppe auf dem öffentlichen Wohnungsmarkt Gabu Heindl Im folgenden geht es um die Rolle von Kultur, Sozialem bzw. Migration in der stadtplanerischen Debatte und Praxis in Wien. Im Fokus steht der Soziale Wohnbau, denn Stadtplanung findet in Wien derzeit beinah ausschließlich anhand geförderten Wohnbaus statt. Multikulturell, Interkulturell, International Zunächst gilt es der Beobachtung nachzugehen, dass Migration und mit ihr einhergehende demographische Veränderung zum stadtplanerischen Thema und MigrantInnen als Zielgruppe für den Wohnungsmarkt entdeckt wurden. In letzter Zeit wurden Planungen von gefördertem Wohnbau mit neuen „Labels“ bedacht: Zunächst war die Rede von „multikulturellem“ oder „multi-ethnischem“ Wohnen; derzeit heißt es „interkulturelles Wohnen“ (in Deutschland manchmal auch „Internationales Wohnen“). Aus dem „Multi“ wurde „Inter“, geblieben ist ein reduktionistischer Kulturbegriff, der Menschen auf ihre ethnische Herkunft reduziert. So wird propagiert, dass sich die geplanten Wohnanlagen besonders für eine „gute Nachbarschaft und lebendiges Miteinander von einheimischen und ‚neuen’ WienerInnen eignen.“ (www.wien.gv.at/rk/msg/2011/03/02006.html) Die Betonung von Interkulturalität ändert allerdings klarerweise nichts an nationalstaatlicher Einwanderungspolitik und struktureller/institutioneller Diskriminierung und Benachteilung; sie verfestigt kulturalistische Stereotype durch die Unterstellung, es gebe eine homogene Gruppe von einheimischen WienerInnen und eine Gruppe der „Neuen“, synonym für „ethnisch anders“ – das alles in einer Stadt, die seit Jahrhunderten Zuwanderungsstadt ist. Die offensive Auseinandersetzung mit Migration im Rahmen des Wiener WohnbauProgramms kommt nicht von ungefähr: Der wohnfonds_wien hat vor kurzem seinen

Kriterienkatalog erweitert und „soziale Nachhaltigkeit“ als vierte Säule verankert: Sie fungiert neben architektonischer Qualität & Innovation, Ökonomie und Ökologie als Kriterium für öffentliche Förderung, um „maßgeschneiderte Wohnlösungen, die den soziodemographischen Veränderungen und den unterschiedlichen Bedürfnissen der Menschen in allen Lebenslagen entsprechen“, zu gewährleisten. (www.wohnfonds.wien) Es gab nun einige Bauträgerwettbewerbe mit dem deklarierten Ziel „Interkulturellen Wohnens“, was auch die Zusammenstellung der Planungteams beeinflusste: Neben ArchitektInnen und LandschaftsplanerInnen musste mindestens ein/e SoziologIn mitplanen. Die Motivation für die Teilnahme der Bauträger selbst an der Bewerbung für ein derartiges Vorhaben mag sozialpolitisches Interesse an neuen Bau- und Wohnformen sein; kommerzielle Ziele stehen aber wohl im Vordergrund, da diese Projekte mit öffentlichen Mitteln subventioniert werden und sich nicht in erster Linie an die einkommensschwächsten Haushalte richten. Zahlungskräftige NeuWienerInnen bilden also eine Marktnische auf dem Mietwohnungsmarkt, die es aber noch zu erschließen gilt. So zitiert die Presse Wohnungsstadtrat Ludwig: „Menschen mit Migrationshintergrund fehlt es weniger an Eigenmitteln als am Wissen, dass es so etwas gibt“ – dies in Zusammenhang mit 627 Wohnungen, die bis 2013/14 auf den Mautner-Markhof-Gründen in Simmering mit Hilfe der Wiener Wohnbauförderung unter dem Motto „Interkulturelles Wohnen“ entstehen sollen. Jeder Bauplatz wirbt mit speziellen Zusatzprogrammen: So entstehen interkulturelle Cafés und Grillplätze auf Dachterrassen; „Veranstaltungen in den Gemeinschaftsräumlichkeiten, wie Ausstellungen, sollen von Anfang an zu einem guten Miteinander der BewohnerInnen beitragen.“ (www.wien.gv.at/rk/msg/2011/03/02006.html) Soviel Umsicht und Vorsicht lässt aufhorchen – und Rassismen durchhören: Aufgrund der erwarteten BewohnerInnenstruktur werden mehr Probleme und Konflikte als üblich vorprogrammiert; entsprechend wird intensiver als in „normalen“ Wohnanlagen versucht, planerisch gegenzuwirken. Gleichzeitig klingt es, als ob mit dem Label „Interkulturell“ versucht würde, besonders „tolerante“ WienerInnen als MitbewohnerInnen der Zugereisten anzuwerben.

Temporäre Waffenstillstände Jedoch: Konflikt ist ein grundlegender Aspekt jeglichen Wohnens und jeden Teil(en)s von Stadt. 1970 sprach Architekturtheoretiker/Soziologe Lucius Burckhardt von „Waffenstillstand“: „Eine Familie ist kein harmonisches Gebilde; auch die glückliche Familie beruht auf einem Waffenstillstand – der unter den erschwerenden Bedingungen rasch heranwachsender und so das Kräfteverhältnis verschiebender Kontrahenten aufrechterhalten werden muss. Ihr Friede beruht auf einem Status quo, und dazu gehört die Gegebenheit der Wände.“ In anderem Kontext fragt 1978 Architekturhistoriker Robin Evans, was der Plan eigentlich beschreibt. Antwort: die Art der zwischenmenschlichen Beziehungen. So bezeichnet die Linie im Plan eine Trennlinie im Gebauten, Türen sind Verbindungs- oder Konfliktmomente. Da trifft der domestizierte, private Raum auf den kollektiven, öffentlichen Raum: Bewohnerinnen der Innenräume treffen auf „Gäste“, die in ihrer Wohnung „nicht geladen“ wären. Ein Anlass im Juni 2007 illustriert das auf anschaulichste und schauerlichste Weise: In einem Gemeindebau in Wien-Favoriten (ohne Label „interkulturell“) schießt ein Wiener Gemeindebaubewohner aus einem Wohnungsfenster auf türkische Kinder im Hof – und meint später, er hätte den Lärm der spielenden Kinder nicht mehr ausgehalten. Er findet Verständnis bei einem Teil der MitbewohnerInnen, und auch Printmedien versuchen, Gründe zu erläutern: „47 Kinder wohnen derzeit in der Anlage. Zur Verfügung stehen ihnen zwei kleine Spielflächen, nicht größer als 60 Quadratmeter, eingepfercht zwischen den Bauten. `Das sind zu viele Kinder auf zu kleinem Raum`, orten die Hausbewohner das Problem. `Es sind die Ausländer, die sich nicht an die Regeln halten`, wettert einer der Bewohner." (Kleine Zeitung 16.6.07) In beiden feindlich gestimmten Aussagen spannt sich ein RaumBenutzerInnen-Verhältnis auf: Haben die BewohnerInnen, im Speziellen die als „Ausländer“ benannten, oder hat eher die Architektur Schuld an der Konfliktsituation, weil sie zu kleinen Raum für zu viele Kinder bietet? Nach Verhaftung des Schützen schrieben Zeitungen über den sich einstellenden „Waffenstillstand“, und selbst die für diesen Gemeindebau zuständige Gebietsbetreuung bezeugte im Rahmen der ORFBerichterstattung, es gebe keinen Konflikt mehr; man sei einen Schritt weiter in Richtung Toleranz und Harmonie.

Gegner, nicht Feinde Doch um ein Idyll von Harmonie und Toleranz geht es eben nicht, sondern um einen virtuellen, nie vollständig erreichbaren „Waffenstillstand“, der immer in sensibler Balance erhalten werden muss: zwischen den „anderen“ und „uns“ (Gruppen, die in jeweiligen Konstellationen diese Positionen einnehmen bzw. zugewiesen bekommen). Anerkennung der Differenz zwischen „denen“ und „uns“, als Gruppen, die sich einen symbolischen Raum teilen, würde erst ermöglichen, nicht Feinde – auf die man im Extremfall schießt – sondern Gegner anzuerkennen, mit denen ein Streitfall auszuhandeln wäre. Es geht darum, Konflikt anzuerkennen und zu legitimieren. Unter der Chiffre „Agonismus“ als Basis für Demokratie kritisiert Chantal Mouffe die „post-politische“ Tendenz von Harmonieseligkeit und Moralisieren: „Despite what many liberals want us to believe, the specificity of democratic politics is not the overcoming of the we/they opposition but the different way in which it is established. What democracy requires is drawing the we/they distinction in a way compatible with the recognition of pluralism.“ (Mouffe 2005) Mouffes Votum steht in Gegensatz zur Idee, BewohnerInnen und ihre Bedürfnisse aufgrund ihrer Herkunft zu klassifizieren und ihnen ethnisierte Raumfunktionen zu bauen, unter Missachtung ökonomischer, sozialer, altersbezogener, geschlechtlicher etc. Kriterien ihres Wohnens. Recht auf genügend Raum Es geht aber, egal nach welchen Kriterien, nicht um vordefinierbare Raumnutzung, sondern um Pluralität von Nutzungen, und da sind andere Qualitäten von Raum notwendig (wie etwa eine entsprechende Größe des Spiel-Raums für Kinder im Gemeindebau). Noch einmal Burckhardt: Wichtig wäre, ein „zweckfreies Zimmer“ einzubauen, eine „Gute Stube“ oder ein „Raumpolster“. Und schließlich wohnen wir, Burckhardt zufolge, immer auch in symbolischen Einrichtungen, in Rechts- und SinnBeziehungen wie dem Mietvertrag, der Hausordnung oder dem „Ruf“ einer Siedlung. Neben materiellen Komponenten nennt er etwa „Ruhe“ als Subsystem, das aus Messbarem und Unmessbarem besteht. Wie wird „Ruhe“ gestaltet? Es ist kein Wunder, dass die „Käfige“, mit Metallzäunen umschlossene Ballspielplätze, laut sind. Zwischen den sechs Spuren einer Autostraße macht diese kostengünstige und effiziente Methode, Ballspielraum zu gestalten, Sinn; nicht jedoch im Innenhof eines

Wohnblocks (ungeachtet wie die Kinder heißen, die da spielen wollen). Da geht es nicht darum, „interkulturell“ zu bauen, sondern darauf zu achten, dass es generell nicht an Raum fehlt: für Spielbereiche im öffentlichen, halböffentlichen, aber auch privaten Außenbereich, etwa auf Terrassen. Grundsätzlich könnte man über die Relativität von Lärm nachdenken: Warum wird der Lärm der Autostraße (der nicht einmal nachts aufhört) auf der einen Hausseite leichter akzeptiert als der Klang von spielenden Kindern auf der Hofseite? Sozialer Wohnbau, der Anforderungen differenzierter urbaner Bevölkerungen gerecht wird, hängt also ab von der Sozietät stiftenden Infrastruktur, von Teilhabe an der Planung, vom Zugang zu öffentlichen Förderungen, von Möglichkeiten der RaumAneignung und des kollektiven Verstehens von Raum-Verhältnissen und deren Konflikt-Potenzial. Während mit den angesprochenen Vorhaben zumindest erreicht wird, die Wohnbedürfnisse von MigrantInnen öffentlich zu machen, tut weiterhin antirassistische Raumplanung und wirklich sozialer Wohnbau not – was bedeutet, dass Konflikt nicht nur möglich ist, sondern untrennbar als Qualität dichter Urbanität verstanden wird: Man kann und muss in der Stadt eben nicht unter Seinesgleichen bleiben, selbst dort nicht, wo nicht „interkulturell“, „multikulturell“ oder „multi-ethnisch“ draufsteht.

________________________ LITERATUR Burckhardt, Lucius (2004): Wer plant die Planung? Architektur, Politik und Mensch. Hg. von Jesko Fezer und Martin Schmitz, Berlin Evans, Robin (1996): „Menschen, Türen, Korridore“. Arch+ 134-135 Mouffe, Chantal (2005): On The Political. London, New York LINKS www.wien.gv.at www.wohnfonds.wien.at



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