Vorwort zur 3. Auflage Der vorliegenden Quellensammlung (QUESA) liegt die gemeinsame Idee der Redakteurin und Redakteure zugrunde, eine einheitliche Arbeitsunterlage für die Pflichtübungen aus Verfassungsgeschichte sowie für die StEOP-Pflichtübungen zur Rechts- und Verfassungsgeschichte zusammenzustellen. Die QUESA enthält daher eine Auswahl wesentlicher, überwiegend normativer Quellen zur österreichischen Verfassungsgeschichte, wie sie an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien verwendet werden. Zusätzlich beinhaltet die QUESA im zweiten Abschnitt ab Quelle 201 die Privatrechtsgeschichtequellen für die StEOP-Pflichtübungen. Die Quellen 1–147 sind für die PÜ-Verfassungsgeschichte relevant. Jene Quellen, die in der StEOP-PÜ bearbeitet werden, sind mit einem * gekennzeichnet. Inhaltlich basiert die QUESA auf älteren und bereits vorhandenen Quellensammlungen des Instituts für Rechts- und Verfassungsgeschichte, die miteinander abgeglichen und auf ihre textliche Korrektheit geprüft wurden. Im Vergleich zur Vorauflage sind noch einige Quellen ergänzt worden. Die chronologische Reihenfolge der Quellen wurde teilweise zugunsten einer thematischen Gliederung aufgegeben, um die Übersichtlichkeit zu erhöhen. Die QUESA soll die Aufbereitung des Lernstoffs, wie er inhaltlich im Manual Rechts- und Verfassungsgeschichte der Arbeitsgemeinschaft Österreichische Rechtsgeschichte dargestellt wird, unterstützen und Studierenden die Arbeit mit den Lerninhalten erleichtern. Die Verweise richten sich nach den Randziffern der 4. bzw. 3. Auflage des Manual Rechts- und Verfassungsgeschichte. Schließlich soll die QUESA auch ein Hilfsmittel zur Vorbereitung auf den verfassungsgeschichtlichen Teil der Modulprüfung aus Rechts- und Verfassungsgeschichte sein. Wien, am 12. September 2016 Georg Grünstäudl Paul Hahnenkamp Johannes Kalwoda Ines Rebhan-Glück Sebastian Spitra
Die Lektüre von Quellentexten ist bei der Beschäftigung mit der Rechts- und Verfassungsgeschichte von zentraler Bedeutung. Wir begrüßen die Benützung dieses Lehrbehelfes und werden daher im Sinne der Vergleichbarkeit der Leistungsfeststellungen in unseren Lehrveranstaltungen für die Klausuren in unseren StEOP- und Verfassungsgeschichte-Pflichtübungen nur diejenigen Texte verwenden, die in dieser Sammlung enthalten sind. Wien, am 16. September 2016 Gerald Kohl Christian Neschwara Thomas Olechowski Ilse Reiter-Zatloukal Thomas Simon Miloš Vec
Wormser Konkordat: Urkunde Papst Kalixtus an Kaiser Heinrich V., 23. September 1122 ............................................................................................................... 6 Privilegium minus 1156 .......................................................................................................... 6 Das Judenprivileg Friedrichs I., Edictum in favorem ludaeorum, 6. April 1157 ..................... 6 Eike von Repgow, Sachsenspiegel, ca. 1225 (Zweischwerterlehre) ..................................... 7 Reichsspruch vom 13. Februar 1282 ..................................................................................... 7 Königliche Urkunde, 27.12.1282 (König Rudolf I. beurkundet die Belehnung seiner Söhne mit Österreich und der Steiermark) ............................................... 7 Meierbrief des Bischofs v. Hildesheim, 3. September 1324 .................................................... 8 Goldene Bulle Kaiser Karls IV. 1356 ...................................................................................... 8 Privilegium maius 1358 .......................................................................................................... 8 Reichskammergerichtsordnung, 7. August 1495 ................................................................... 9 Schreiben Kaiser Friedrichs III. an den Probst von Klosterneuburg 1467 (Landtagseinladung) ............................................................................................................. 10 Augsburger Religionsfrieden, 25. September 1555 ............................................................. 10 Verneuerte Landesordnung für Böhmen, 10. Mai 1627 ....................................................... 10 Friede zu Osnabrück 1648 ................................................................................................... 11 Severinus de Monzambano, De statu imperii Germanici 1667............................................ 12 Tiroler Polizeiordnung 1573.................................................................................................. 12 John Locke, Two Treatises of Government, 1690 ............................................................... 12 * Pactum mutuae successionis 1703 / „Pragmatische Sanktion“ 1713 ................................. 13 Beschluss des Linzer Landtages, 19. April 1720 ................................................................. 13 Politisches Testament Friedrichs II., April/Juli 1752 ............................................................ 14 Einsetzung der Kreishauptleute in Österreich unter der Enns 1753 .................................... 14 Zweites „Politisches Testament“ Maria Theresias 1755/56 ................................................. 14 Jean Jacques Rousseau, Du contrat social, 1762 ............................................................... 14 Brief Maria Theresias an Joseph II. 1777 ............................................................................ 14 Toleranzpatent für Österreich ob der Enns, 13. Oktober 1781 ............................................ 15 Leibeigenschaftspatent für die böhmischen Länder, 1. November 1781 ............................ 15 Franz v. Saurau, Vortrag vom 16. Mai 1797 ........................................................................ 15 US-Supreme Court, Marbury versus Madison, 24. Februar 1803 ....................................... 15 Reichsdeputationshauptschluss 1803 .................................................................................. 16 * Patent Kaiser Franz’ II./I., 11. August 1804 ........................................................................ 16 Erklärung der Rheinbundstaaten, 1. August 1806 ............................................................... 16 * Erklärung Kaiser Franz’ II./I., 6. August 1806 ..................................................................... 17 * Deutsche Bundesakte, 8. Juni 1815.................................................................................... 18 Wiedereinführung der ständischen Verfassung in Tirol 1816 .............................................. 18 Verfassung für das Königreich Bayern 1818........................................................................ 18 Verfassung des Großherzogtums Baden 1818 .................................................................... 19 Deutsches Bundes-Preßgesetz vom 20. September 1819 .................................................. 19 * Wiener Schlussakte, 15. Mai 1820 ...................................................................................... 19 Verfassung des Kurfürstentums Hessen 1831..................................................................... 20 Verfassung für das Königreich Sachsen 1831 ..................................................................... 20 Reichsverfassung der Frankfurter Nationalversammlung, 28. März 1849 .......................... 20 Gasteiner Konvention, 14. August 1865 .............................................................................. 21 Beschluss der Bundesversammlung, 16. Juni 1866 ............................................................ 21 Prager Frieden, 23. August 1866 ......................................................................................... 21 * Verfassungszusage, 15. März 1848 .................................................................................... 21 * Verfassung 1848 (= Pillersdorf’sche Verfassung) ............................................................... 22 Provisorische Wahlordnung für den Reichstag, 9. Mai 1848 ............................................... 25 Verfassungsnovelle, 16. Mai 1848 ....................................................................................... 25 Wahlordnung, 30. Mai 1848 ................................................................................................. 26 * Kremsierer Verfassungsentwurf 1848/49 ............................................................................ 26 * Grundrechtsentwurf 1848/49 ............................................................................................... 33 Auflösung des Kremsierer Reichstags und Verleihung der Reichsverfassung 1849 ............................................................................... 38
* Reichsverfassung 1849 (= Oktroyierte Märzverfassung 1849) ...........................................39 * Grundrechtspatent, 4. März 1849 ........................................................................................46 Provisorisches Gemeindegesetz, 17. März 1849 .................................................................47 Landesverfassung Steiermark 1849 .....................................................................................49 * Reichsratsstatut, 13. April 1851 ...........................................................................................49 Erster Augusterlass, 20. August 1851...................................................................................49 Zweiter Augusterlass, 20. August 1851 ................................................................................50 Dritter Augusterlass, 20. August 1851 ..................................................................................50 * Erstes Silvesterpatent, 31. Dezember 1851 ........................................................................51 * Zweites Silvesterpatent, 31. Dezember 1851 ......................................................................51 * Verfassungsgrundsätze 1852...............................................................................................51 Gemeindegesetz 1859 ..........................................................................................................53 Gesetz über die Ehen der Katholiken im Kaisertum Österreich, 8. Oktober 1856 .....................................................................................................................53 * Verstärkter Reichsrat, 5. März 1860 ....................................................................................54 Kompetenzerweiterung des Reichsrats, 17. Juli 1860..........................................................54 * Oktoberdiplom 1860 .............................................................................................................55 Landesvertretungsstatut Steiermark 1860 ............................................................................56 * Februarpatent, 26. Februar 1861 .........................................................................................57 * Grundgesetz über die Reichsvertretung, 26. Februar 1861 ................................................58 Landesordnung und Landtagswahlordnung Steiermark, 26. Februar 1861 .........................59 Reichsgemeindegesetz, 5. März 1862 ..................................................................................59 * Gemeinde-Wahlordnung für das Land Vorarlberg 1864 ......................................................60 * Sistierungspatent, 20. September 1865 ...............................................................................61 Gesetz über die Ministerverantwortlichkeit, 25. Juli 1867.....................................................61 * Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes über die Reichsvertretung 1867 .......................62 * Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger 1867 ...........................65 * Staatsgrundgesetz über die Einsetzung eines Reichsgerichtes 1867.................................67 * Staatsgrundgesetz über die richterliche Gewalt 1867 .........................................................67 * Staatsgrundgesetz über die Regierungs- und Vollzugsgewalt 1867 ...................................68 * Delegationsgesetz 1867 .......................................................................................................69 * Kundmachungsgesetz Verfassung 1867 .............................................................................71 Verwaltungsorganisationsgesetz 1868 .................................................................................71 * Verfassungsreform 1873 ......................................................................................................72 * Wahlrechtsreform 1896 ........................................................................................................74 * Verfassungsreform Abgeordnetenhaus 1907 ......................................................................74 * Verfassungsreform Herrenhaus 1907 ..................................................................................76 Eherechts-Gesetz der ,,Maigesetze“, 25. Mai 1868..............................................................76 Zur Kündigung des Konkordats: Wiener Zeitung, 31. Juli 1870 ...........................................76 * Kriegswirtschaftliches Ermächtigungsgesetz 1917 ..............................................................77 14-Punkte Rede von Woodrow Wilson, 8. Jänner 1918 .......................................................77 * Kaiserliches Manifest, 16. Oktober 1918 .............................................................................78 * Staatsgründungsbeschluss, 30. Oktober 1918 ....................................................................78 * Verzichtserklärung, 11. November 1918 ..............................................................................80 * Gesetz über die Staats- und Regierungsform, 12. November 1918....................................81 * Gesetz betreffend die Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern, 14. Nov. 1918 .........81 * Gesetz über das Staatsgebiet, 22. November 1918 ............................................................82 Wahlordnung für die Konstituierende Nationalversammlung, 18. Dezember 1918 ...............................................................................................................83 Novelle zum Staatsgründungsbeschluss, 19. Dezember 1918 ............................................83 Gesetz über das besetzte Staatsgebiet, 12. März 1919 .......................................................84 Gesetz über die Volksvertretung, 14. März 1919..................................................................85 Gesetz über die Staatsregierung, 14. März 1919 .................................................................85 Landesordnung Steiermark 1918 ..........................................................................................87 Landesverfassung Vorarlberg 1919 ......................................................................................88 * Vertrag von St. Germain, 10. September 1919....................................................................89 * Bundes-Verfassungsgesetz 1920 ........................................................................................90 * Verfassungs-Übergangsgesetz 1920 ...................................................................................98 Hans Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1920.................................................99 Venediger Protokoll, 13. Oktober 1921 .............................................................................. 100 Genfer Protokolle, 4. Oktober 1922 ................................................................................... 100
Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923 ............................................................. 101 * Verfassungsnovelle 1925 .................................................................................................. 101 * Verfassungsnovelle 1929 .................................................................................................. 102 Korneuburger Eid des Heimatschutzes, 18. Mai 1930....................................................... 104 Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat, 28. Februar 1933 ................................................................................................................ 104 Österreichische Ministerratssitzung vom 7. März 1933 ..................................................... 105 Aufruf der Regierung Dollfuß, 7. März 1933 ...................................................................... 105 Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich (,,deutsches Ermächtigungsgesetz“), 24. März 1933 ........................................................ 106 Verordnung der Bundesregierung betreffend Abänderungen des Verfassungsgerichtshofgesetzes, 23. Mai 1933 ................................................................ 106 Engelbert Dollfuß, „Trabrennplatz-Rede“, 11. September 1933 ........................................ 106 Gesetz über den Neuaufbau des Reichs, 30. Januar 1934 ............................................... 106 Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz, 14. November 1935 .................................... 107 * Verfassung 1934................................................................................................................ 107 * „Ermächtigungsgesetz“ 1934............................................................................................. 119 Aufruf des Bundeskanzlers Schuschnigg, 9. März 1938 ................................................... 120 * „Wiedervereinigungsgesetz“, 13. Mai 1938 ....................................................................... 120 Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums, 31. Mai 1938 ... 121 Verordnung über das Gesetzgebungsrecht im Lande Österreich, 30. April 1938...................................................................................................................... 121 Moskauer Deklaration, 30. Oktober 1943 .......................................................................... 121 * Wiederherstellung des österreichischen Staates, 27. April 1945 ..................................... 122 * Einsetzung der Provisorischen Staatsregierung 1945 ...................................................... 123 * Verfassungs-Überleitungsgesetz 1945 ............................................................................. 123 * Rechts-Überleitungsgesetz 1945 ...................................................................................... 124 * Behörden-Überleitungsgesetz 1945 .................................................................................. 124 * Vorläufige Verfassung 1945 .............................................................................................. 125 Verbotsgesetz 1945 ............................................................................................................ 126 Memorandum des Alliierten Rates, 20. Oktober 1945 ....................................................... 127 Drittes Rückstellungsgesetz, 6. Februar 1947.................................................................... 127 Schuman-Plan, 9. Mai 1950 ............................................................................................... 128 EMRK 1950, Art 6 ............................................................................................................... 128 Moskauer Memorandum 1955............................................................................................ 128 * Staatsvertrag von Wien, 15. Mai 1955 .............................................................................. 129 * Neutralitätsgesetz, 26. Oktober 1955 ................................................................................ 132 Luxemburger Kompromiss, 29. Januar 1966 ..................................................................... 132 Bundesvergabegesetz-Novelle 2000 ................................................................................. 132 * Beitritt zur Europäischen Union („Beitritts-BVG“) 1994 ..................................................... 133
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1. Wormser Konkordat: Urkunde Papst Kalixtus an Kaiser Heinrich V., 23. September 1122 (L. Weinrich, Quellen zur deutschen Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Römisch-Deutschen 4 3 Reiches bis 1250, Darmstadt 1977, Bd. 32, S. 185); (Manual Rz.1054), (Manual Rz. 1054)
Ich, Bischof Kalixt, Knecht der Knechte Gottes, verleihe Dir, meinem geliebten Sohn Heinrich, von Gottes Gnaden Römischer Kaiser, Mehrer des Reiches, daß die Wahlen der Bischöfe und Äbte des Deutschen Königreiches, soweit sie dem Reich zugehören, in Deiner Gegenwart stattfinden, aber ohne Simonie und irgendwelche Gewalt: Wenn daher zwischen den Parteien Streit entsteht, so mögest Du nach Rat und Urteil des Metropoliten und der Mitbischöfe dieser Kirchenprovinz dann der verständigeren Partei Zustimmung und Hilfe zukommen lassen. Der Erwählte aber soll von Dir durch das Zepter die Regalien erhalten, und er soll das leisten, was er Dir aufgrund dessen rechtens schuldet. […]
2. Privilegium minus 1156 (H. Appelt, Privilegium minus. Das staufische Kaisertum und die Babenberger in Österreich, Wien/Köln/Graz 1973, 4 3 S. 97ff); (Manual Rz. 1071, 1079), (Manual Rz. 1070, 1078)
Daher möge[n] die gegenwärtige Generation und die künftige Nachwelt aller Getreuen Christi und unseres Reiches wissen, daß wir [mit Gottes Hilfe] den Rechtsstreit um das Herzogtum Bayern, der zwischen unserem liebsten Oheim, dem Herzog Heinrich von Österreich, und unserem teuersten Vetter, dem Herzog Heinrich von Sachsen, lange Zeit hindurch hin und her wogte, in der Weise beendet haben, daß der Herzog von Österreich uns das Herzogtum Bayern aufgelassen hat, das wir sofort dem Herzog von Sachsen zu Lehen gegeben haben, der Herzog von Bayern aber uns die Mark Österreich aufgelassen hat mit allem ihrem Recht und mit allen Lehen, die einst Markgraf Leopold vom Herzogtum Bayern innehatte. Damit aber dadurch die Ehre und der Ruhm unseres geliebtesten Oheims in keiner Weise gemindert erscheinen, haben wir nach dem Rat und dem Spruch der Fürsten, wobei der erlauchte Herzog Vladislav von Böhmen das Urteil verkündete, und mit der Billigung aller Fürsten die Mark Österreich in ein Herzogtum umgewandelt und dieses Herzogtum mit allem Recht unserem genannten Oheim Heinrich und seiner allerdurchlauchtigsten Gattin Theodora zu Lehen gegeben, indem wir durch immerdar gültiges Gesetz verordneten, daß sie und nach ihnen ihre Kinder, Söhne oder Töchter ohne Unterschied, das Herzogtum Österreich zu erblichem Recht vom Reich innehaben und besitzen mögen. Wenn aber der genannte Herzog von Österreich, unser Oheim, und seine Gattin kinderlos sterben sollten, dann sollen sie die Freiheit haben, das Herzogtum zuzuwenden, wem immer sie wollen. Wir setzen auch fest, daß sich niemand, er sei hohen oder niederen Standes, im Amtsbereich des Herzogtums ohne Zustimmung oder Erlaubnis des Herzogs die Ausübung irgendwelcher Gerichtsbarkeit anmaßen dürfe. Der Herzog von Österreich aber soll dem Reich von seinem Herzogtum keinen anderen Dienst schulden als den Besuch der Hoftage, die der Kaiser in Bayern ansetzt, wenn er geladen ist. Er soll auch keine Heeresfolge schuldig sein außer diejenige, die der Kaiser etwa gegen die Österreich benachbarten Königreiche und Länder anordnet. […]
3. Das Judenprivileg Friedrichs I., Edictum in favorem ludaeorum, 6. April 1157 (L. Weinrich, Quellen zur deutschen Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Römisch-Deutschen 4 3 Reiches bis 1250, Darmstadt 1977, Bd. 32, S. 243); (Manual Rz. 1057), (Manual Rz. 1057)
Wenn aber Diebsgut bei ihnen gefunden wird, und wenn der Jude sagt, er habe es gekauft, soll er durch einen Schwur nach seinem Gesetz beweisen, wie teuer er es gekauft hat, und soviel soll er dafür erhalten und die Habe demjenigen, dem sie zu eigen war, zurückerstatten.
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4. Eike von Repgow, Sachsenspiegel, ca. 1225 (Zweischwerterlehre) 4
(H. C. Hirsch, Eike von Repgow. Der Sachsenspiegel (Landrecht), Berlin/Leipzig 1936); (Manual Rz. 1067), (Ma3 nual Rz. 1066)
1. Buch. Artikel I. Zwei schwerter verleiht Gott auf dem erdenreich, um die christenheit zu beschirmen. Dem papst ist bestimmt das geistliche, dem kaiser das weltliche. Dem papst ist auch bestimmt zu reiten zu gegebener zeit auf einem weißen pferde und der kaiser soll ihm den stegreif [= steigbügel] halten, damit der sattel nicht rutscht, das hat die bedeutung: Was dem papst widersteht und von ihm mit geistlichem gericht nicht bezwungen werden kann, das soll der kaiser mit weltlichem gericht zwingen, dem papst gehorsam zu sein. So soll auch die geistliche gewalt dem weltlichem gericht helfen, wenn es dessen bedarf. Artikel III § 2 In dieser selben weise sind die heerschilde angeordnet, von denen der könig den ersten hat; die bischöfe, äbte und äbtissinnen den zweiten; die laienfürsten den dritten, seitdem sie der bischöfe mannen geworden sind; die freien herren den vierten; die schöffenbaren leute und der freien herren mannen den fünften; deren mannen sodann den sechsten. […] Artikel XVI § 1 Niemand kann erwerben anderes recht, als das ihm angeboren ist. […] 5. Reichsspruch vom 13. Februar 1282 (L. Weinrich, Quellen zur Verfassungsgeschichte des Römisch-Deutschen Reiches im Spätmittelalter, Darmstadt 4 3 1983, Bd. 33, S. 153); (Manual Rz. 1046), (Manual Rz. 1046)
Vor uns ist die Frage gebracht worden […], wenn ein freier Bauer oder eine freie Bäuerin sich mit einem Menschen höheren oder niederen Standes verbindet [verheiratet], welchem Stand die Leibesfrucht folgen soll, die aus einer solchen Verbindung empfangen worden ist. Und es ist beschlossen worden, dass die Leibesfrucht immer dem schlechteren Stand folgen muss. 6. Königliche Urkunde, 27.12.1282 (König Rudolf I. beurkundet die Belehnung seiner Söhne mit Österreich und der Steiermark) (L. Weinrich, Quellen zur Verfassungsgeschichte des Römisch-Deutschen Reiches im Spätmittelalter, Darmstadt 4 3 1983, Bd. 33, S. 159ff); (Manual Rz. 1077), (Manual Rz. 1076)
Rudolf, von Gottes Gnaden Römischer König, allzeit Mehrer des Reiches, allen Getreuen des heiligen Römischen Reiches, die diese Urkunde sehen werden, für immer und ewig. […] mit freier und ausdrücklicher Zustimmung der Fürsten des Reiches, die nach altem Herkommen die Rechte bei der Wahl des Römischen Königs wahrnehmen, die Fürstentümer oder Herzogtümer Österreich, Steiermark, Krain und Windische Mark mit allen ihren Ehren, Rechten, Freiheiten und Zubehörstücken, […] den erlauchten Albrecht und Rudolf, Unseren hochgeliebten Söhnen, zu Augsburg feierlich mit Fahnen und unter der gebührenden Feierlichkeit zu Lehen gegeben, und dabei haben Wir sie der Zahl, Gemeinschaft und Körperschaft der Reichsfürsten beigesellt, ihnen die fürstlichen Rechte verliehen und von ihnen für die genannten Herzogtümer den Eid der Treue und der Mannschaft [= Treue- und Lehenseid] erhalten.
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7. Meierbrief des Bischofs v. Hildesheim, 3. September 1324 (K. Kroeschell/A. Cordes/K. Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte Bd. 2: 1250–1650, Köln/Weimar/Wien 4 3 2008, S. 151); (Manual Rz. 1047ff), (Manual Rz. 1047ff)
Dieselben Meier sollen dem Kloster zugleich den dritten Teil von allen Früchten der Liegenschaften geben. Außerdem sollen sie 12 Schweine […], ferner eine Mark reinen Silbers, 62 Hühner, 12 Gänse und 20 Schock Eier am St. Michaels-Tag [29. September] dem Kloster von den Liegenschaften entrichten und jährlich bereitwillig abliefern. 8. Goldene Bulle Kaiser Karls IV. 1356 (L. Weinrich, Quellen zur Verfassungsgeschichte des Römisch-Deutschen Reiches im Spätmittelalter, Darmstadt 4 3 1983, Bd. 33, S. 335, 345, 381); (Manual Rz. 1064), (Manual Rz. 1064)
Kapitel 2: Die Wahl des Römischen Königs (3) Sobald nun durch die Kurfürsten oder deren Boten solcher Eid in der vorgenannten Form und Art geschworen ist, sollen sie zur Wahl schreiten und sie dürfen sich von dieser Stunde an nicht mehr aus dieser Stadt Frankfurt entfernen, es sei denn, die Mehrheit von ihnen hätte zuvor das zeitliche Haupt für die Welt oder das Christenvolk gewählt, also den Römischen König, der zum Kaiser zu erheben ist. […] Kapitel 7: Die Erbfolge der Kurfürsten (1) […] Und damit unter den Söhnen dieser weltlichen Kurfürsten über Recht, Stimme und Befugnis (wie genannt) in künftigen Zeiten kein Anlaß zu Ärgernis und Zwist aufkommen kann und so das Gemeinwohl durch gefährlichen Aufschub behindert wird, haben Wir in dem Verlangen, künftigen Gefahren mit Gottes Hilfe heilsam vorzubeugen, bestimmt und verfügen kraft kaiserlicher Vollmacht durch gegenwärtiges Gesetz, das für ewige Zeiten gelten soll: Nachdem diese weltliche Kurfürsten oder einer von ihnen verstorben ist, sollen Recht, Stimme und Befugnis zu dieser Wahl auf seinen erstgeborenen, ehelichen Sohn, der Laie ist, frei und ohne Einspruch von irgendwem übergehen, gibt es diesen aber nicht mehr, so auf den Erstgeborenen dieses Erstgeborenen, gleichfalls Laie. […] Kapitel 25: Über die Nachkommen der weltlichen Kurfürsten […] Wir gebieten daher und verfügen durch dieses kaiserliche Gebot, das für ewige Zeiten gelten soll: Von jetzt an dürfen für künftige, ewige Zeiten die hervorragenden und bedeutenden Fürstentümer, und zwar das Königreich Böhmen, die Pfalzgrafschaft bei Rhein, das Herzogtum Sachsen und die Markgrafschaft Brandenburg, die Länder, Gebiete, Mannschaften, Dienstbarkeiten und aller andere Zubehör nicht gespalten, geteilt oder unter irgendwelcher Bedingung aufgegliedert werden, sondern sie sollen vielmehr in ihrer vollkommenen Unversehrtheit für immer und ewig erhalten bleiben; der erstgeborenen Sohn soll darin nachfolgen, im allein soll Recht und Herrschaft zustehen, falls er nicht wahnsinnig oder töricht oder ein anderes sichtbares und offenkundiges Gebrechen hat, dessentwegen er nicht als Fürst über Menschen gebieten darf noch kann. 9. Privilegium maius 1358 (L. Weinrich, Quellen zur Verfassungsgeschichte des Römisch-Deutschen Reiches im Spätmittelalter, Darmstadt 4 3 1983, Bd. 33, S. 397–401); (Manual Rz. 1080), (Manual Rz. 1079)
[…] Aus einzigartiger Huld, die Wir gegenüber Unserem hochgeliebten Oheim Heinrich von Österreich, seiner hochedlen Gemahlin Theodora und ihren Nachfolgern sowie gegenüber dem Land Österreich hegen, das bekanntlich Schild und Herz des heiligen Römischen Reiches ist, haben Wir, mit Rat und Zustimmung der Reichsfürsten den genannten Gatten, ihren Nachfolgern in diesem Herzogtum sowie dem zuvorgenannten Land Österreich die unten aufgeführten Bestimmungen, Verleihungen und Erlaubnisse, die von der kaiserlichen Amtsgewalt zu vollen und ewigen Rechten gemacht wurden, freigiebig geschenkt und schenken es kraft gegenwärtigen Schriftstückes. 8
(1) Erstens also: Der Herzog von Österreich soll ein – ganz gleich zu welchen Hilfsund Dienstleistungen er sonstwie gehalten ist – nicht dem heiligen Römischen Reich noch sonstwem gegenüber verpflichtet sein, lediglich mit der Ausnahme, daß er gehalten ist, dem Reich in Ungarn mit zwölf gewappneten Männern mit einem Monat auf eigene Kosten Dienst zu leisten zum Beweis für die Tatsache, daß er als Reichsfürst angesehen wird. […] (3) Auch ist der Herzog von Österreich nicht gehalten, zu einem vom Reich oder sonstwem gebotenen Hoftag zu erscheinen, es sei denn er täte es von sich aus und aus freiem Willen. […] (4) Auch darf das Reich im Herzogtum Österreich kein sonstiges Lehn haben. […] (5) Alles weltliche Gericht, der Bann über Wälder und Wild, Fischwasser und Forste im Herzogtum Österreich müssen nach Lehnrecht dem Herzog von Österreich unterstehen. (9) Und wenn, was Gott abwenden möge, der Herzog von Österreich ohne eines Sohn als Erben dahinscheiden sollte, dann soll dieses Herzogtum auf die älteste Tochter übergehen, die er hinterlässt. (10) Diese Länder sollen von den Herzögen Österreichs immer dem zum Herren haben, der der älteste ist; auf dessen ältesten Sohn soll die Herrschaft nach Erbrecht übergehen, so jedoch, daß sie nicht diesen Blutstamm verläßt. Das Herzogtum Österreich soll auch zu keiner Zeit den Schnitt einer Teilung erleiden. […] (13) Der Herzog von Österreich soll, angetan mit einem fürstlichen Gewand, den mit einer Zinkenkrone versehenen Herzogshut aufgesetzt, das Zepter in den Händen haltend, hoch zu Roß wie nach Art der anderen Fürsten des Reiches sein Lehen vom Reich empfangen. […] (15) Wenn der Herzog von Österreich auf irgendwelchen Hoftagen des Reiches anwesend ist, ist er als einer der Pfalzerzherzöge zu betrachten und soll gleichfalls bei der Sitzordnung und beim Einzug auf der rechten Seite des Reiches nach den Kurfürsten den ersten Platz haben. (16) Der Herzog von Österreich soll die freie Verfügungsgewalt haben seine Länder, wem er will, zu schenken und zu übertragen, falls er, was ferne sei, ohne Kinder als Erben dahinscheiden sollte; er darf daran nicht durch das Reich irgendwie gehindert werden. […] 10. Reichskammergerichtsordnung, 7. August 1495 (A. Buschmann, Kaiser und Reich, Bd. 1: Vom Wormser Konkordat 1122 bis zum Augsburger Reichsabschied von 4 3 1555, Baden-Baden 1994, S. 176, 180); (Manual Rz. 1092), (Manual Rz. 1091)
§. 3. Item die alle söllen zuvor Unser Koniglicher oder Kaiserlicher Majestät geloben und zu den Hailigen swern: Unserm Koniglichen oder Kaiserlichen Camergericht getrewlich und mit Vleis ob sein und nach des Reichs gemainen Rechten, auch nach redlichen, erbern und leidlichen Ordnungen, Statuten und Gewonhaiten der Fürstenthumb, Herrschaften und Gericht, die für sy pracht werden, dem Hohen und dem Nidern nach seinem besten Verstentnus gleich zu richten und kain Sach sich dagegen bewegen zu lassen […]. §. 16. Item das Camergericht sol in der ersten Instantz oder Rechtvertigung auf niemands Clag oder Ansuchen Ladung erkennen oder geben gegen den jhenen, die Unser Koniglichen oder Kaiserlichen Majestät und dem Reich nit on Mitel underworffen sein und doch sonst iren ordentlichen Richter haben; es wär dann Sach, das er vor denselben ordentlichen undern Gerichten Recht ersucht, und kondtlich versagt oder mit Geverd verzigen wäre.
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11. Schreiben Kaiser Friedrichs III. an den Probst von Klosterneuburg 1467 (Landtagseinladung) (B. Seuffert/G. Kogler, Quellen zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Steiermark – Die ältesten steiri4 3 schen Landtagsakten 1396–1515, Graz/Wien 1958, S. 89f); (Manual Rz. 1082ff), (Manual Rz. 1081ff)
[...] Wir sein warlich underricht, daz in unser furstentumb Osterreich aus den umbligunden landen merklich inzug und krieg fürgenomen werden, ... daraus dann landen und lewten, ob dem nicht pei zeiten furkömen wurd, merer und verderblicher schaden aufersteen möcht, das wir aber mit deiner und andrer unsers getrewn rat, hilf und beistand ze underkömen mainen und daruber ainen gemainen landtag auf den suntag nach dem heiligen Phingstag nagstkünftigen zu halten furgenomen haben. Emphelhen wir dir ernstlich und wellen, das du dich auf dem bemelten suntag gen Kornewnburg […] fuegest, da mitsambt […] andern unsern preleten und landlewten, auch den von stetten desselben unsers furstentumbs Österreich under der Enns […] ze helfen, dieselben und ander des lands sachen und notdurft furzenemen und zu betrachten, damit solh inzug und beschedigung des lands gewendet und land und lewt in frid und gemach gesetzt werden [...] 12. Augsburger Religionsfrieden, 25. September 1555 (H. H. Hofmann, Quellen zum Verfassungsorganismus des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation: 14954 3 1815, Darmstadt 1976, S. 104f); (Manual Rz. 1088f), (Manual Rz. 1087f)
§. 24. Wo aber Unsere, auch der Churfürsten, Fürsten und Stände Unterthanen der alten Religion oder Augspurgischen Confession anhängig, von solcher ihrer Religion wegen aus Unsern, auch der Churfürsten, Fürsten und Ständen des H. Reichs Landen, Fürstenthumen, Städten oder Flecken mit ihren Weib und Kindern an andere Orte ziehen und sich nieder thun wollten, denen soll solcher Ab- und Zuzug, auch Verkauffung ihrer Haab und Güter gegen zimlichen, billigen Abtrag der Leibeigenschafft und Nachsteuer, wie es jedes Orts von Alters anhero üblichen, herbracht und gehalten worden ist, unverhindert männiglichs zugelassen und bewilligt, auch an ihren Ehren und Pflichten allerding unentgolten seyn. […] §. 27. Nachdem aber in vielen Freyen- und Reichs-Städten die beede Religionen, nemlich Unsere alte Religion und [die neue] der [sogenannten] Augspurg. ConfessionVerwandten Religion eine zeithero im Gang und Gebrauch gewesen, so sollen dieselben hinführo auch also bleiben und in denselben Städten gehalten werden und derselben Frey- und Reichs-Städt Bürger und andere Einwohner, geistlichs und weltlichs Stands, friedlich und ruhig bey- und neben einander wohnen und kein Theil des anderen Religion, Kirchengebräuch oder Ceremonien abzuthun oder ihn darvon zu dringen unterstehen, sonder jeder Theil den andern laut dieses Friedens bey solcher seiner Religion, Glauben, Kirchengebräuchen, Ordnungen und Ceremonien, auch seinen Haab und Gütern und allem andern, wie hie oben beeder Religion Reichs-Ständ halben verordnet und gesetzt worden, ruhiglich und friedlich bleiben lassen. 13. Verneuerte Landesordnung für Böhmen, 10. Mai 1627 (Der Röm: Kai: auch zu Hung: und Böhaimb/ [et]c. Königl: Maj: Ferdinandi deß Andern/ [et]c. Vernewerte Landes4 3 Ordnung Deroselben Erb Königreichs Böhaimb, Wien 1627, S. 8); (Manual Rz. 1125), (Manual Rz. 1115)
Wir behalten auch Uns und Unsern Erben nachkommenden Königen außtrücklichen bevor, in diesem Unserm ErbKönigreich Gesätz und Recht zumachen, und alles das jenige, waß das Ius legis ferendae, so Uns als dem König allein zustehet, mit sich bringt.
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14. Friede zu Osnabrück 1648 (H. H. Hofmann, Quellen zum Verfassungsorganismus des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation: 14951815, Darmstadt 1976, S. 179, 181 ,185 ,191; § 34.: R. Hoke/I. Reiter (Hg.), Quellensammlung zur österreichischen und deutschen Rechtsgeschichte, Wien/Köln/Weimar 1993, S. 221); 4 3 (Manual Rz. 1103), (Manual Rz. 1102)
Art. V. §. 30. Die Grafen, die Freiherren, Edelleute, Vasallen, Städte, Stifter, Klöster, Kommenden, Gemeinden und Untertanen, die Reichsunmittelbaren geistlichen oder weltlichen Ständen untergeben sind, haben Freizügigkeit zum Auswandern, wenn sie von der Religion des Landesherrn abweichen, da nur den reichsunmittelbaren Ständen mit dem Recht der Landesherrschaft nach der allgemeinen im ganzen Reich bisher gewohnten Übung, auch das ius reformandi gebührt, und weil im [Augsburger] Religionsfrieden ihnen dies zugestanden war. Zudem war zur Erhaltung größerer Einigkeit zwischen den Ständen vorgebracht worden, daß niemand fremde Untertanen zu seiner Religion hinüberziehen oder deswegen in Schutz und Schirm nehmen oder ihnen sonstwie Vorschub leisten solle. Man kommt deshalb überein, daß diese Bestimmungen auch weiterhin von den Ständen beider Religionen beachtet und keinem Reichsunmittelbaren das Recht gemindert werden soll, das seine Landeshoheit ihm Religionshandlungen gibt. §. 31. Nichtsdestoweniger behalten die landsässigen Adeligen, Lehenleute und alle sonstigen Untertanen katholischer Stände, die zu irgendeinem Zeitpunkt des Stichjahres 1624 die öffentliche oder private Übung der Augsburgischen Konfession – sei es durch einen bestimmten Vertrag oder ein bestimmtes Privileg, sei es nach altem Herkommen oder auch nur nach dem Gewohnheitsrecht dieses Stichjahres – besaßen, diese auch weiterhin, und zwar in dem Umfang, in dem sie dies im Stichjahr ausgeübt haben oder nachweislich ausübten. […] §. 34. Ferner wurde beschlossen, dass die der Augsburgischen Konfession angehörigen Untertanen katholischer Stände wie auch katholische Untertanen von Ständen der Augsburgischen Konfession, die zu keinem Zeitpunkt des Jahres 1624 die öffentliche oder private Religionsausübung hatten, ebenso diejenigen, welche nach der Verkündung des Friedens eine vom Landesherrn verschiedene Konfession annehmen, nachsichtig geduldet und nicht gehindert werden sollen, in Gewissensfreiheit ihre Andacht in ihren Häusern ohne Nachforschung oder Störung privat abzuhalten. […] §. 52. In Sachen der Religion und allen anderen [Reichs-]Handlungen, bei denen die Stände nicht als einheitliche Körperschaft angesehen werden können, sowie auch wenn die katholischen Stände und die Augsburgischer Konfession zu getrennten Verhandlungen auseinandertreten [„itio in partes“], kann ein Schied allein durch gütlichen Vergleich, also ohne Rücksicht auf die Stimmenmehrheit erfolgen. […] Art. VIII. §. 2. […] Vor allem aber steht fortan den einzelnen Ständen rechtmäßig frei, unter sich und mit dem Ausland Bündnisse für ihre Erhaltung und Sicherheit abzuschließen. Dies unterliegt jedoch der Bedingung, daß dergleichen Bündnisse sich nicht gegen Kaiser und Reich, dessen Landfriedenswahrung insonders gegen diesen Friedensvertrag richten. […] §. 4. Bei den allgemeinen wie den besonderen reichsständischen Versammlungen kommt den freien Reichsstädten die gleiche Dezisivstimme zu wie den übrigen Reichsständen. […]
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15. Severinus de Monzambano, De statu imperii Germanici 1667 (Samuel von Pufendorf, Die Verfassung des Deutschen Reiches, hg. v. H. Denzer, Frankfurt a. M./Leipzig 1994, 4 3 S. 199ff); (Manual Rz. 1105), (Manual Rz. 1104)
Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als das deutsche Reich, wenn man es nach den Regeln der Wissenschaft von der Politik klassifizieren will, einen irregulären und einem Monstrum ähnlichen Körper zu nennen, der sich im Laufe der Zeit durch die fahrlässige Gefälligkeit der Kaiser, durch den Ehrgeiz der Fürsten und durch die Machenschaften der Geistlichen aus einer regulären Monarchie zu einer so disharmonischen Staatsform entwickelt hat, daß es nicht mehr eine beschränkte Monarchie, wenngleich der äußere Schein dafür spricht, aber noch nicht eine Föderation mehrerer Staaten ist, vielmehr ein Mittelding zwischen beiden. Dieser Zustand ist die dauernde Quelle für die tödliche Krankheit und die inneren Umwälzungen des Reiches, da auf der einen Seite der Kaiser nach der Wiederherstellung der monarchischen Herrschaft, auf der anderen [Seite] die Stände nach völliger Freiheit streben. […] so wird man auch Deutschland nicht ohne größte Erschütterungen und ohne totale Verwirrung der Verhältnisse zur monarchischen Staatsform zurückführen können; zum Staatenbund [= zu einer Art Föderation] entwickelt es sich dagegen von selbst. 16. Tiroler Polizeiordnung 1573 (R. Hoke/I. Reiter (Hg.), Quellensammlung zur österreichischen und deutschen Rechtsgeschichte, 4 3 Wien/Köln/Weimar 1993, S. 226); (Manual Rz. 1120ff), (Manual Rz. 1112ff)
Wir Ferdinand von Gottes gnaden [...], Gefürster Graf [...] zuo Tirol [...] Denen dise Vnser Policeyordnung [...] fürkumbt, Vnnser gnad vnd alles guots: [...]. So haben wir [...] befunden, [...] das [...] bey allen [...] Stennden [...] alle wahre Gottes Forcht vnd Andacht, Christliche lieb [...] vnd gwissen, vnder vnd gegen ainander schwaerlichen erloschen. Dargegen aber aller hanndt Gottslesterung, Fluchen, Schwoeren, vberflüssigkayt vnnd vnordenlicher Pomp vnnd Pracht, in Fresserey, Trunckenhayt, Klaydungen, Leichtuoerttige Spil, Todschlaeg, Ebruch, Hurerey, Vneeliche aergerliche Beysitz, Wuocherey, Betriegerey, Aigennutzigkait vnd verfortailung des Naechsten neben Christenmenschen, auch Neyd, Haß, vnd dergleichen grewliche Sünd vnd Laster, taeglichen ye mer vnd hefftiger [...] einreissen vnd vberhanndt nemen thuot, [...] Welches Gottloß, verruocht, Sündig vnd vnbuoßfertig Leben dann, billichen auch den gerechten zorn Gott des Allmechtigen, vber sein gantze Christenhait entbrannt, Daß dieselb nu manich Jar her, mit souil erschroecklichen widerwertigkaiten, Straffen, Plagen, Gwalt, Trangsal, Verfolgung, Tyranney, Verhoerung vnd verderbung viler Christenlicher Küngreich vnnd Lannden, von vnserm allgemainen Erbfeind Christlichs namens vnd Glaubens dem Türggen, [...]. manngel vnd abganng der frücht des Erdtrichs, vbermessigen Thewrung, Hungerßnot, vnerhoerten Kranckhaiten, Sterben, erschroecklichen Erdbiden, Wolckenprüch, Wassernot vnd Schaeden [...] vnaufhoerlichen angefochten wirdet [...] Will derowegen vns, als Ewrem von Gott [...] verordneten [...] Landtsfürsten, wol gebüren [...] Euch vnsere Getrewe Landt Stennde [...] vor [...] Ewrem beuorsteenden zeitlichen [...] vnd Ewigen verderben zuuerwarnen vnnd abzuhalten. Vnd haben demnach [...] hienachuolgende Reformacion vnd Policeyordnung, in disem vnserm Lannd der fürstlichen Grafschafft Tirol [...] fürgenommen [...]. 17. John Locke, Two Treatises of Government, 1690 th
(J. Locke, Two Treatises of Government, 5 Edition, London 1728 [Orig. 1690]; 4 3 (Manual Rz. 1386), (Manual Rz. 1382)
The Second Treatise concerning Government. § 87. Man being born […] with a Title to perfect Freedom, and an uncontroulled Enjoyment of all the Rights and Privileges of the Law of Nature, equally with any other Man, or number of Men in the world, hath by nature a Power, not only to preserve his 12
Property, that is, his Life, Liberty, and Estate, against the Injuries and Attempts of other Men; but to judge of, and punish the Breaches of that Law in others, as he is persuaded the Offence deserves, even with Death it self, in Crimes where the heinousness of the Fact, in his Opinion, requires it. […] § 143. And because it may be too great a temptation to human Frailty, apt to grasp at Power, for the same Persons who have the Power of making Laws, to have also in their hands the Power to execute them, whereby they may exempt themselves from Obedience to the Laws they make, and suit the Law, both in its making, and execution, to their own private advantage, and thereby come to have a distinct interest from the rest of the Community, contrary to the end of the Society and Government: […] 18. * Pactum mutuae successionis 1703 / „Pragmatische Sanktion“ 1713 (W. Turba, Die Pragmatische Sanktion. Authentische Texte samt Erläuterungen und Übersetzungen, Wien 1913, 4 3 S. 32f, 51); (Manual Rz. 1110), (Manual Rz. 1109)
[Text des Pactum mutuae successionis verlesen in der Pragmatischen Sanktion] Wir erklären – gemäß dem Übereinkommen, das vor der Zession der spanischen Monarchie eingegangen und bei der Zession selbst als Hauptbedingung wiederholt worden ist, setzen fest und befehlen unter Unserer beiden durchlauchtigsten Söhne erneuerter Einwilligung, Zustimmung und Annahme folgendes als Gesetz, das mit Gottes Segen für alle Ewigkeit gelten soll: In den Königreichen und Ländern der [habsburgisch-]spanischen Herrschaft soll ebenso wie in Unseren anderen [habsburgisch-deutschen] Erbkönigreichen und Ländern die Nachfolge solcher Männer unseres Blutes, die in männlicher Linie aus gesetzmäßiger Ehe stammen – nicht der legitimierten – vor allen Frauen und deren Deszendenten, männlichen und weiblichen, welcher Linie oder welchen Grades sie immer seien, in Ewigkeit Vorzug haben und unter den künftigen Nachfolgern soll die Primogenitur-Regel fortwährend befolgt werden. [Mit der Pragmatischen Sanktion 1713 ergänzt:] [Es sollen diese] Königreiche und Landen […] ohnzertheilt zu verbleiben haben; Auf Ihres Mannlichen stammes abgang aber (so Gott gnädiglich abwenden wolle) auf die eheliche hinterlassende Töchter allezeit nach ordnung und Recht der primo-genitur gleichmäsßig ohnzertheilt kommen […]. 19. Beschluss des Linzer Landtages, 19. April 1720 (W. Turba, Die Pragmatische Sanktion. Authentische Texte samt Erläuterungen und Übersetzungen, Wien 1913, 4 3 S. 96); (Manual Rz. 1110f), (Manual Rz. 1109f)
Dahero Sie Threu gehorsambste Stände Eingangs gemelte Bey den durchleuchtigisten Erzhauß Öessterreich von alter hero eingeführte – Von Ihro ietz glorwürdigist Regierend Kay. Majestet vntern Neunzehenden April A[nno] Ain Tausend Sibenhundert vnd dreyzehen feyrlich widerholt vnd Bestättigte - auch in einem vnd andern Mehrers erleutherte – sonderlich aber Bey abgang deß Männlichen- auf das weibliche geschlecht erstreckhte Successions ordnung, Erb vnd primogenitur Recht nebst der Vorgesehen vnzertrenlichen Beysamben Behaltung sambentlicher Erb Khönigreichen vnnd Landen pro Sanctione pragmatica et Lege in perpetuum valitura mit einhelligen Stimmen freymüethigist annehmen vnd aller willigist erkhennen [...].
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20. Politisches Testament Friedrichs II., April/Juli 1752 4
(R. Dietrich (Bearb.), Die politischen Testamente der Hohenzollern, Köln/Wien 1986, S. 257); (Manual Rz. 1387), 3 (Manual Rz. 1383)
[…] Ich habe mich entschlossen, niemals in den Ablauf der Gerichtsverfahren einzugreifen: in den Gerichten sollen die Gesetze sprechen und der Herrscher hat zu schweigen; aber von Zeit zu Zeit hat mich dieses Schweigen doch nicht gehindert, die Augen offen zu halten und über die Führung der Richter zu wachen, […].
21. Einsetzung der Kreishauptleute in Österreich unter der Enns 1753 4
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(Codex Austriacus, Bd. V, Wien 1777, S. 782f); (Manual Rz. 1398), (Manual Rz. 1394)
Wir Maria Theresia [...] geben euch hiemit gnädigst zu vernehmen: Welchergestalt Wir […] nöthig zu seyn befunden haben, in diesem Unsrem Erzherzogthume Oesterreich unter der Enns, gleich in allen Unsren übrigen deutschen Erbländern bereits ehehin geschehen ist, eigene Kreishauptleute aufzustellen. Und gleichwie das Land von Alters her in gewisse Viertel eingetheilet ist, also haben Wir in jedes derselben einen solchen Kreishauptmann bestimmet, und ihnen insgesammt die Besorgung aller derjenigen Angelegenheiten, welche immer zu dem Publico & Politico, oder zu dem Policeywesen gehörig sind […] eingeräumet [...].
22. Zweites „Politisches Testament“ Maria Theresias 1755/56 (F. Walter (Hg.), Maria Theresia. Briefe und Aktenstücke in Auswahl, Darmstadt 1968, S. 113f); 4 3 (Manual Rz. 1390ff), (Manual Rz. 1386ff)
Nach Maß als entzwischen in Jahren ich zunahme, ware forthin auch währenden Krieg noch meine Obsorge, die Schwäche und Stärke meiner Länder recht zu begreifen, in dem Vorsatz, eine standhaft- und billige Einrichtung, sobald immer die Umstände es zuließen, in selben vorzunehmen; [...] Gar leicht erkannte ich, […] daß nach der bisherigen Regierungsart ungemein viel Zeit es erforderte, bevor das Anbefohlene zu Standen allhier gebracht werden können, und daß diesem ersten Gebrechen der hiesigen Verfassung unmöglich abzuhelfen seie, insolange nicht die Sachen mehrers conzentrieret und durch wenigere Hände und Stellen hinfüro laufen wurden. […]
23. Jean Jacques Rousseau, Du contrat social, 1762 (H. Schulze/I. Paul (Hg.), Europäische Geschichte, München 1994, S. 511); 4 3 (Manual Rz. 1386), (Manual Rz. 1382)
[…] Die Staatsgewalt kann aus demselben Grunde, der ihre Übertragung unmöglich macht, auch nicht in Vertretung ausgeübt werden. Sie besteht ihrem Wesen nach im Gemeinwillen, und der Wille kann nicht vertreten werden; er ist er selbst oder ein anderer, ein Mittelding gibt es nicht. […] Das englische Volk hält sich für frei; es irrt sich gewaltig. Frei ist es nur während der Wahlen zum Parlament; sobald die Mitglieder gewählt sind, ist das Volk Sklave, einfach nichts. […]
24. Brief Maria Theresias an Joseph II. 1777 (F. Walter (Hg.), Maria Theresia. Briefe und Aktenstücke in Auswahl, Darmstadt 1968, S. 410f; R. Hoke/I. Reiter (Hg.), Quellensammlung zur österreichischen und deutschen Rechtsgeschichte, Wien/Köln/Weimar 1993, S. 307); 4 3 (Manual Rz. 1390ff), (Manual Rz. 1386ff)
[…] Wir haben niemand Rechenschaft abzulegen außer demjenigen, der uns an diesen Platz gestellt hat, um nach seinem heiligen Gesetz seine Völker zu regieren, die wir lieben und gegen alle schützen sollen.
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25. Toleranzpatent für Österreich ob der Enns, 13. Oktober 1781 (Handbuch aller unter der Regierung Kaiser Josephs des II. für die k. k. Erbländer ergangenen Verordnungen und 4 3 Gesetze in einer sistematischen Verbindung. Bd. 2, Wien 1785, S. 421); (Manual Rz. 1405), (Manual Rz. 1401)
[…] Den augsburgischen und helvetischen Religionsverwandten, dann den nicht unirten Griechen wird ein ihrer Religion gemässes Privatexerzizium allenthalben gestattet, und es soll der katholischen Religion allein der Vorzug des öffentlichen Religionsexerziziums verbleiben; den beiden protestantischen Religionen aber, so wie der schon bestehenden nicht unirten griechischen ist überall [...] das Privatexerzizium auszuüben erlaubt. Daher 1) den akatholischen Unterthanen, wo hundert Familien existiren [...] ein eigenes Bethaus, iedoch – wo es nicht schon anders ist – ohne Glocken, Thürme und öffentlichen Eingang von der Gasse, nebst einer Schule zu erbauen, auch alle Administrirung ihrer Sakramente und Ausübung des Gottesdienstes [...] erlaubt wird. [...] 2) Können sie ihre eigenen von den Gemeinden zu erhaltenden Schulmeister bestellen [...]. 3) Dürfen sie, wenn selbe ihre Pastoren dotiren und unterhalten, dieselben auswählen [...]. 7) Können die Akatholiken zum Häuser- und Güterankaufe, zum Bürger- und Meisterrechte, zu akademischen Würden und Zivilbedienstungen künftig [...] zugelassen werden [...].
26. Leibeigenschaftspatent für die böhmischen Länder, 1. November 1781 (H. Klueting (Hg.), Der Josephinismus. Ausgewählte Quellen zur Geschichte der theresianisch-josephinischen 4 3 Reform, Darmstadt 1995, S. 258); (Manual Rz. 1399), (Manual Rz. 1395)
Da wir in Erwägung gezogen, daß die Aufhebung der Leibeigenschaft und die Einführung einer gemäßigten, nach dem Beispiele Unserer Oesterreichischen Erblande eingerichteten Untertänigkeit auf die Verbesserung der Landeskultur und Industrie, den nützlichsten Einfluß habe, und daß die Vernunft und Menschenliebe für diese Änderung das Wort sprechen; so haben Wir Uns veranlaßt gefunden, von nun an die Leibeigenschaft gänzlich aufzuheben statt derselben eine gemäßigte Untertänigkeit einzuführen […].
27. Franz v. Saurau, Vortrag vom 16. Mai 1797 (F. Walter (Bearb.), Die österreichische Zentralverwaltung 2. Abt., Bd. 5, Wien 1956, S. 59); 4 3 (Manual Rz. 1455), (Manual Rz. 1445)
Alles, was das peinliche verfahren in sich begreift, alles, was das eigenthumsrecht nach dem strengsten, aber ächten begriffe der jurisprudenz in sich begreift, gehört vor die gerichtshöfe der justizverwaltung; alles übrige muss dem wirkungskreise der politischen behörden ausschliessend zugewiesen seyn und jenes, was der landesfürst kraft seiner obersten gewalt, ich darf sagen, kraft seiner obersten pflicht unternimmt, muss unangetastet bleiben, da er davon nur gott allein rechenschaft schuldig ist. […]
28. US-Supreme Court, Marbury versus Madison, 24. Februar 1803 4
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(Marbury v. Madison, 5 U.S. 177 (1803)); (Manual Rz. 1856), (Manual Rz. 1833)
[…] The constitution is either a superior, paramount law, unchangeable by ordinary means, or it is on a level with ordinary legislative acts, and, like other acts, is alterable when the legislature shall please to alter it. If the former part of the alternative be true, then a legislative act contrary to the Constitution is not law; if the latter part be true, then written constitutions are absurd attempts on the part of the people to limit a power in its own nature illimitable. Certainly all those who have framed written Constitutions contemplate them as forming the fundamental and paramount law of the nation, and consequently the theory of every
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such government must be that an act of the Legislature repugnant to the Constitution is void.
29. Reichsdeputationshauptschluss 1803 (E. R. Huber (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1,Stuttgart 1978, S. 1); 4 3 (Manual Rz. 1422-1424), (Manual Rz. 1414-1416)
Hauptschluß der außerordentlichen Reichsdeputation vom 25. Februar 1803 Die Austheilung und endliche Bestimmung der Entschädigungen geschieht wie folgt: § 1. Sr. Majestät dem Kaiser, Könige von Ungarn und Böhmen, Erzherzog von Oesterreich, für die Abtretung der Landvogtei Ortenau: die Bisthümer Trient und Brixen, mit ihren sämmtlichen Gütern, Einkünften, eigentümlichen Besitzungen, Rechten und Vorrechten, ohne irgendeine Ausnahme; und die in diesen beiden Bisthümern gelegenen Kapitel, Abteyen und Klöster; unter der Verbindlichkeit jedoch, sowohl für den lebenslänglichen Unterhalt der beiden jetzt lebenden Fürstbischöfe und der Mitglieder der beiden Domkapitel, nach einer mit solchen zu treffenden Übereinkunft, als auch für die hierauf erfolgende Dotation der bei diesen beiden Diözesen anzustellenden Geistlichkeit, nach dem in den übrigen Provinzen der Oesterreichischen Monarchie bestehenden Fuße zu sorgen. […] 30. * Patent Kaiser Franz’ II./I., 11. August 1804 4
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(PGS XXII, Nr. 20, S. 71ff; JGS 677, S. 21ff); (Manual Rz. 1411), (Manual Rz. 1407)
Neue Titulatur und Wapen Seiner Römisch- und Oesterreichisch-Kaiserlichauch Königlich-Apostolischen Majestät, nach den durch den Luneviller Friedensschluß herbey geführten Veränderungen. […] Obschon Wir durch göttliche Fügung und durch die Wahl der Churfürsten des Römisch-Deutschen Reiches zu einer Würde gediehen sind, welche Uns für Unsere Person keinen Zuwachs an Titel und Ansehen zu wünschen übrig läßt; so muß doch Unsere Sorgfalt, als Regent des Hauses und der Monarchie von Oesterreich, dahin gerichtet seyn, daß jene vollkommene Gleichheit des Titels und der erblichen Würde mit den vorzüglichsten Europäischen Regenten und Mächten aufrecht erhalten und behauptet werde. […] Wir sehen Uns demnach zur dauerhaften Befestigung dieser vollkommenen RangsGleichheit veranlaßt und berechtiget, nach den Beyspielen, welche in dem vorigen Jahrhunderte der Rußisch-Kaiserliche Hof, und nunmehr auch der neue Beherrscher Frankreichs gegeben hat, dem Hause von Österreich, in Rücksicht auf dessen unabhängige Staaten, den erblichen Kaiser-Titel gleichfalls beizulegen. In Gemäßheit dessen, haben Wir, nach gepflogener reiflichen Ueberlegung, beschlossen, für Uns und für Unsere Nachfolger in dem unzertrennlichen Besitze Unserer unabhängigen Königreiche und Staaten, den Titel und die Würde eines erblichen Kaisers von Oesterreich (als den Nahmen Unseres Erzhauses) dergestalt feyerlichst anzunehmen und festzusetzen […]. 31. Erklärung der Rheinbundstaaten, 1. August 1806 (E. R. Huber (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1,Stuttgart 1978, S. 35); 4 3 (Manual Rz. 1425), (Manual Rz. 1417)
Austrittserklärung der Rheinbundstaaten […] Bei dem Drange dieser wichtigen Betrachtungen haben die Souverains und Fürsten des mittäglichen und westlichen Deutschlands sich bewogen gefunden, einen neuen, den Zeitumständen angemessenen Bund zu schließen. Indem sie sich durch 16
gegenwärtige Erklärung von ihrer bisherigen Verbindung mit dem deutschen Reichskörper lossagen, befolgen sie bloß das durch frühere Vorgänge und selbst durch Erklärungen der mächtigeren Reichsstände aufgestellte System. […] 32. * Erklärung Kaiser Franz’ II./I., 6. August 1806 (E. R. Huber (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1,Stuttgart 1978, S. 37); 4 3 (Manual Rz. 1426), (Manual Rz. 1418)
Niederlegung der Kaiserkrone durch Kaiser Franz II […] Nach dem Abschlusse des Preßburger Friedens war Unsere ganze Aufmerksamkeit und Sorgfalt dahin gerichtet, allen Verpflichtungen, die Wir dadurch eingegangen hatten, mit gewohnter Treue und Gewissenhaftigkeit das vollkommenste Genüge zu leisten, [...] und zu erwarten, ob die durch diesen Frieden herbeigeführten wesentlichen Veränderungen im deutschen Reiche es Uns ferner möglich machen würden, den nach der kaiserlichen Wahlcapitulation Uns als Reichs-Oberhaupt obliegenden schweren Pflichten genug zu thun. Die Folgerungen, welche mehreren Artikeln des Preßburger Friedens gleich nach dessen Bekanntwerdung und bis jetzt gegeben worden, und die allgemein bekannten Ereignisse, welche darauf im deutschen Reiche Statt hatten, haben uns aber die Ueberzeugung gewährt, daß es unter den eingetretenen Umständen unmöglich seyn werde, die durch den Wahlvertrag eingegangenen Verpflichtungen ferner zu erfüllen; und, wenn noch der Fall übrig blieb, daß sich nach fördersamer Beseitigung eingetretener politischer Verwickelungen ein veränderter Stand ergeben dürfte, so hat gleichwohl die am 12. Julius zu Paris unterzeichnete, und seit dem von den betreffenden Theilen begnehmigte Uebereinkunft mehrerer vorzüglicher Stände zu ihrer gänzlichen Trennung von dem Reiche und ihrer Vereinigung zu einer besonderen Conföderation, die gehegte Erwartung vollends vernichtet. Bei der hierdurch vollendeten Ueberzeugung von der gänzlichen Unmöglichkeit, die Pflichten Unseres kaiserlichen Amtes länger zu erfüllen, sind Wir es Unsern Grundsätzen und Unserer Würde schuldig, auf eine Krone zu verzichten, welche nur so lange Werth in Unsern Augen haben konnte, als Wir dem von Churfürsten, Fürsten und Ständen und übrigen Angehörigen des deutschen Reichs Uns bezeigten Zutrauen zu entsprechen und den übernommenen Obliegenheiten ein Genüge zu leisten im Stande waren. Wir erklären demnach durch Gegenwärtiges, dass Wir das Band, welches Uns bis jetzt an den Staatskörper des deutschen Reiches gebunden hat, als gelöst ansehen, daß Wir das reichsoberhauptliche Amt und Würde durch die Vereinigung der conföderirten rheinischen Stände als erloschen und Uns dadurch von allen übernommenen Pflichten gegen das deutsche Reich losgezählt betrachten und die von wegen desselben bis jetzt getragene Kaiserkrone und geführte kaiserliche Regierung, wie hiermit geschieht, niederlegen. Wir entbinden zugleich Churfürsten, Fürsten und Stände und alle Reichsangehörigen, insonderheit auch die Mitglieder der höchsten Reichsgerichte und die übrige Reichsdienerschaft, von ihren Pflichten, womit sie an Uns, als das gesetzliche Oberhaupt des Reichs, durch die Constitution gebunden waren. Unsere sämmtlichen deutschen Provinzen und Reichsländer zählen Wir dagegen wechselseitig von allen Verpflichtungen, die sie bis jetzt, unter was immer für einem Titel, gegen das deutsche Reich getragen haben, los […].
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33. * Deutsche Bundesakte, 8. Juni 1815 (E. R. Huber (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1978, S. 84f); 4 3 (Manual Rz. 1430), (Manual Rz. 1422)
Art. 1. Die souverainen Fürsten und freien Städte Deutschlands mit Einschluß Ihrer Majestäten des Kaisers von Oesterreich und der Könige von Preußen, […] Dänemark und […] Niederlande, […] vereinigen sich zu einem beständigen Bunde, welcher der deutsche Bund heißen soll. Art. 2. Der Zweck desselben ist Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten. Art. 4. Die Angelegenheiten des Bundes werden durch eine Bundesversammlung besorgt, in welcher die Glieder desselben durch ihre Bevollmächtigten theils einzelne, theils Gesammtstimmen […] führen. Art. 5. Oesterreich hat bey der Bundesversammlung den Vorsitz […]. Art. 13. In allen Bundesstaaten wird eine Landständische Verfassung stattfinden. Art. 16. Die Verschiedenheit der christlichen Religions-Partheien kann in den Ländern und Gebiethen des deutschen Bundes keinen Unterschied in dem Genusse der bürgerlichen und politischen Rechte begründen. […] 34. Wiedereinführung der ständischen Verfassung in Tirol 1816 (PGS 127/1816; I. Reiter/A Cieger/P. Vogt (Hg.), Verfassungsdokumente Österreichs, Ungarns und Liechtensteins 1791–1849, als Reihenband in: H. Dippel (Hg.), Verfassungen der Welt vom späten 18. Jahrhundert bis Mitte des 4 3 19. Jahrhunderts. Europa: Bd. 2, München 2005, S. 215ff); (Manual Rz. 1415), (Manual Rz. 1411)
[...] haben Wir den Beschluß gefaßt, die unter der vorigen Regierung aufgehobene ständische Verfassung auf der Grundlage derjenigen Privilegien und Freyheitsbriefe, welche Unsere in Gott ruhende Vorfahren und Wir selbst dem Lande aus besonderer Gnade verliehen haben, herzustellen [...]. In dieser Absicht finden Wir hiermit folgende Bestimmungen festzusetzen: 1) Das Land Tyrol wird durch vier Stände, nämlich: den Prälaten-, den Herrn- und Ritter-, den Bürger- und den Bauernstand repräsentirt. 3) Zugleich erklären Wir die vormahligen Bezirke Trient und Brixen auch in Hinsicht auf die ständische Verfassung als Landestheile Unserer getreuen Provinz Tyrol […]. 7) Das Recht der Besteuerung selbst wollen Wir aber Uns seinem ganzen Umfange nach, vorbehalten wissen; jedoch werden wir die beschlossene Ausschreibung der Grundsteuer den vier Ständen [...] jährlich bekanntgeben. 8) Den Ständen soll das Recht unbenommen bleiben, in ihren gesetzmäßigen Versammlungen Bitten und Vorstellungen im Namen des Landes, entweder unmittelbar an Uns einzusenden, oder dem Landes-Gubernium zu überreichen, welches solche Eingaben Unseren Hofstellen vorzulegen verpflichtet ist. […] 35. Verfassung für das Königreich Bayern 1818 4
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(Gesetzblatt für das Königreich Baiern 1818, S. 104); (Manual Rz. 1432), (Manual Rz. 1424)
Titel II. Von dem Könige und der Thronfolge, dann der Reichs-Verwesung §. 1. Der König ist das Oberhaupt des Staats, vereinigt in sich alle Rechte der Staats-Gewalt, und übt sie unter den von Ihm gegebenen in der gegenwärtigen Verfassungs-Urkunde festgesetzten Bestimmungen aus. Seine Person ist heilig und unverletzlich. Titel VII. Von dem Wirkungskreise der Stände-Versammlung §. 2. Ohne den Beyrath und die Zustimmung der Stände des Königreichs kann kein allgemeines neues Gesetz, welches die Freyheit der Person oder des Eigenthum der 18
Staatsangehörigen betrifft, erlassen, noch ein schon bestehendes abgeändert, authentisch erläutert oder aufgehoben werden. 36. Verfassung des Großherzogtums Baden 1818 4
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(Großherzogliches Staats- und Regierungs-Blatt 1818, S. 103f); (Manual Rz. 1432), (Manual Rz. 1424)
§. 15. Niemand darf in CriminalSachen seinem ordentlichen Richter entzogen werden. Niemand kann anders als in gesetzlicher Form verhaftet und länger als zweimal 24 Stunden […] festgehalten werden, ohne über den Grund seiner Verhaftung vernommen zu sein. Der Großherzog kann erkannte Strafen mildern oder ganz nachlassen, aber nicht schärfen.
37. Deutsches Bundes-Preßgesetz vom 20. September 1819 (E. R. Huber (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1978, S. 102); 4 3 (Manual Rz. 1436ff), (Manual Rz. 1428f)
Bundes-Preßgesetz („Provisorische Bestimmungen hinsichtlich der Freiheit der Presse“) vom 20. September 1819 §. 1. So lange als der gegenwärtige Beschluß in Kraft bleiben wird, dürfen Schriften, die in der Form täglicher Blätter oder heftweise erscheinen, deßgleichen solche, die nicht über 20 Bogen im Druck stark sind, in keinem deutschen Bundesstaate ohne Vorwissen und vorgängige Genehmhaltung der Landesbehörden zum Druck befördert werden. […] 38. * Wiener Schlussakte, 15. Mai 1820 (E. R. Huber (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1978, S. 91ff); (W. Grewe, Fontes Historiae Iuris Gentium, Bd. 3/1, 1815–1945, Berlin/New York 1992, S. 178f); 4 3 (Manual Rz. 1430), (Manual Rz. 1422)
Art. 1. Der deutsche Bund ist ein völkerrechtlicher Verein der deutschen souverainen Fürsten und freien Städte zur Bewahrung der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit ihrer im Bunde begriffenen Staaten und zur Erhaltung der inneren und äußeren Sicherheit Deutschlands. Art. 2. Dieser Verein besteht in seinem Innern als eine Gemeinschaft selbständiger unter sich unabhängiger Staaten, […] in seinen äußern Verhältnissen aber als eine in politischer Einheit verbundene Gesammt-Macht. Art. 26. Wenn in einem Bundesstaate durch Widersetzlichkeit der Unterthanen gegen die Obrigkeit die innere Ruhe unmittelbar gefährdet, und eine Verbreitung aufrührerischer Bewegungen zu fürchten, oder ein wirklicher Aufruhr zum Ausbruch gekommen ist, und die Regierung selbst […] den Beistand des Bundes anruft, so liegt der Bundes-Versammlung ob, die schleunigste Hülfe zur Wiederherstellung der Ordnung zu veranlassen. Sollte im letztgedachten Fall die Regierung notorisch außer Stande seyn, den Aufruhr durch eigene Kräfte zu unterdrücken, [sowie auch] die Hülfe des Bundes zu begehren, so ist die Bundes-Versammlung nichts desto weniger verpflichtet, auch unaufgerufen zur Wiederherstellung der Ordnung und Sicherheit einzuschreiten. […] Art. 31. Die Bundes-Versammlung hat das Recht und die Verbindlichkeit, für die Vollziehung der Bundes-Acte und übrigen Grundgesetze des Bundes […] zu sorgen, auch zu diesem Ende […] die erforderlichen Executions-Maßregeln […] in Anwendung zu bringen. Art. 57. Da der deutsche Bund, mit Ausnahme der freien Städte, aus souveränen Fürsten besteht, so muß dem hierdurch gegebenen Grundbegriffe zufolge die gesamte Staats-Gewalt in dem Oberhaupte des Staates vereinigt bleiben, und der Souverän kann durch eine landständische Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden. 19
39. Verfassung des Kurfürstentums Hessen 1831 4
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(Sammlung von Gesetzen für Kurhessen 1831, S. 13); (Manual Rz. 1432), (Manual Rz. 1424)
§. 73. Die Abgeordneten sind nicht an Vorschriften eines Auftrages gebunden, sondern geben ihre Abstimmungen, gemäs den Pflichten gegen ihren Landesfürsten und ihre Mitbürger überhaupt, nach ihrer eigenen Ueberzeugung, wie sie es vor Gott und ihrem Gewissen zu verantworten gedenken. […] 40. Verfassung für das Königreich Sachsen 1831 4
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(Gesetzsammlung für das Königreich Sachsen vom Jahre 1831, S. 250); (Manual Rz. 1432), (Manual Rz. 1424)
§. 43. Alle Verfügungen in Regierungsangelegenheiten, welche der König unterzeichnet, müssen von dem Vorstande eines Ministerial-Departements, welcher bei der Beschlußnahme wirksam gewesen ist, in der Reinschrift, zum Zeichen seiner Verantwortlichkeit für die Zweckmäßigkeit und Übereinstimmung derselben mit den Gesetzen und der Verfassung des Landes, kontrasigniert werden. […] 41. Reichsverfassung der Frankfurter Nationalversammlung, 28. März 1849 (E. R. Huber (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1978, S. 375); 4 3 (Manual Rz. 1577), (Manual Rz. 1562)
Die deutsche verfassunggebende Nationalversammlung hat beschlossen und verkündigt als Reichsverfassung: Verfassung des deutschen Reiches Abschnitt I: Das Reich Artikel I. § 1. Das deutsche Reich besteht aus dem Gebiete des bisherigen deutschen Bundes. Die Festsetzung der Verhältnisse des Herzogthums Schleswig bleibt vorbehalten. § 2. Hat ein deutsches Land mit einem nichtdeutschen Lande dasselbe Staatsoberhaupt, so soll das deutsche Land eine von dem nichtdeutschen Lande getrennte eigene Verfassung, Regierung und Verwaltung haben. In die Regierung und Verwaltung des deutschen Landes dürfen nur deutsche Staatsbürger berufen werden. Die Reichsverfassung und die Reichsgesetzgebung hat in einem solchen deutschen Lande dieselbe verbindliche Kraft, wie in den übrigen deutschen Ländern. § 3. Hat ein deutsches Land mit einem nichtdeutschen Lande dasselbe Staatsoberhaupt, so muß dieses entweder in seinem deutschen Lande residiren, oder es muß auf verfassungsmäßigem Wege in demselben eine Regentschaft niedergesetzt werden, zu welcher nur Deutsche berufen werden dürfen. Abschnitt III: Das Reichsoberhaupt Artikel I. § 68. Die Würde des Reichsoberhauptes wird einem der regierenden deutschen Fürsten übertragen. Abschnitt IV: Der Reichstag Artikel II. § 88. Die Mitglieder des Staatenhauses werden zur Hälfte durch die Regierung und zur Hälfte durch die Volksvertretung der betreffenden Staaten ernannt. In denjenigen deutschen Staaten, welche aus mehreren Provinzen oder Ländern mit abgesonderter Verfassung oder Verwaltung bestehen, sind die durch die Volksvertretung dieses Staates zu ernennenden Mitglieder des Staatenhauses nicht von der allgemeinen Landesvertretung, sondern von den Vertretungen der einzelnen Länder oder Provinzen (Provinzialständen) zu ernennen. […] 20
Abschnitt VI: Die Grundrechte des deutschen Volkes § 130. Dem deutschen Volke sollen die nachstehenden Grundrechte gewährleistet sein. Sie sollen den Verfassungen der deutschen Einzelstaaten zur Norm dienen, und keine Verfassung oder Gesetzgebung eines deutschen Einzelstaates soll dieselben je aufheben oder beschränken können. 42. Gasteiner Konvention, 14. August 1865 (W. Grewe, Fontes Historiae Iuris Gentium, Bd. 3/1, 1815–1945, Berlin/New York 1992, S. 70f); 4 3 (Manual Rz. 1581), (Manual Rz. 1566)
[…] Ihre Majestäten der König von Preussen und der Kaiser von Oesterreich haben sich überzeugt, dass das bisher bestandene Kondominium in den von Dänemark […] 1864 abgetretenen Ländern zu Unzukömmlichkeiten führt, welche gleichzeitig das gute Einvernehmen zwischen Ihren Regierungen und die Interessen der Herzogthümer gefährden. Ihre Majestäten sind desshalb zu dem Entschlusse gelangt, die Ihnen […] zufliessenden Rechte fortan nicht mehr gemeinsam auszuüben, sondern bis auf weitere Vereinbarung die Ausübung derselben geographisch zu theilen. […] 43. Beschluss der Bundesversammlung, 16. Juni 1866 (E. R. Huber (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2, Stuttgart 1978, S. 242); 4 3 (Manual Rz. 1581), (Manual Rz. 1566)
[…] Die Bundesversammlung faßt den Beschluß: zu erklären, daß die in der letzten Sitzung erfolgte Austrittserklärung Preußens rechtlich ungültig ist, und daß die Beschlüsse der Bundesversammlung für Preußen fortwährend verpflichtend sind. […] 44. Prager Frieden, 23. August 1866 (W. Grewe, Fontes Historiae Iuris Gentium, Bd. 3/1, 1815–1945, Berlin/New York 1992, S. 76); 4 3 (Manual Rz. 1581), (Manual Rz. 1566)
Art. IV. Seine Majestät der Kaiser von Oesterreich erkennt die Auflösung des bisherigen deutschen Bundes an, und gibt seine Zustimmung zu einer neuen Gestaltung Deutschlands ohne Betheiligung des österreichischen Kaiserstaates. Ebenso verspricht Seine Majestät das engere Bundesverhältnis anzuerkennen, welches Seine Majestät der König von Preußen nördlich von der Linie des Mains begründen wird, und erklärt Sich damit einverstanden, daß die südlich von dieser Linie gelegenen deutschen Staaten in einen Verein zusammentreten, dessen nationale Verbindung mit dem norddeutschen Bunde der näheren Verständigung zwischen beiden vorbehalten bleibt, und der eine internationale unabhängige Existenz haben wird. 45. * Verfassungszusage, 15. März 1848 4
Wir Ferdinand der Erste, von Gottes Gnaden Kaiser von Oesterreich […] haben nunmehr solche Verfügungen getroffen, die Wir als zur Erfüllung der Wünsche Unserer treuen Völker erforderlich erkannten. Die Preßfreyheit ist durch Unsere Erklärung der Aufhebung der Censur in derselben Weise gewährt, wie in allen Staaten, wo sie besteht. Eine Nationalgarde, errichtet auf den Grundlagen des Besitzes und der Intelligenz, leistet bereits die ersprießlichsten Dienste. Wegen Einberufung von Abgeordneten aller Provinzial-Stände und der CentralCongregationen des lombardisch-venetianischen Königreiches i n d e r m ö g l i c h s t k ü r z e s t e n F r i s t mit verstärkter Vertretung des Bürgerstandes und unter Berücksichtigung der bestehenden Provinzial-Verfassungen zum Behufe der von Uns beschlossenen C o n s t i t u t i o n d e s V a t e r l a n d e s ist das Nöthige verfügt. […] 21
Verfassungsurkunde des österreichischen Kaiserstaates. I. Allgemeine Bestimmung. §. 1. Sämmtliche zum österreichischen Kaiserstaate gehörige Länder bilden eine untrennbare constitutionelle Monarchie. §. 2. Die Verfassungsurkunde hat auf folgende Länder des Kaiserreiches Anwendung, nähmlich: auf die Königreiche Böhmen, Galizien, Lodomerien mit Auschwitz und Zator und der Bucowina, Illyrien (bestehend aus den Herzogthümern Kärnthen und Krain und dem Gubernial-Gebiethe des Küstenlandes), auf das Königreich Dalmatien, auf das Erzherzogthum Oesterreich ob und unter der Enns, die Herzogthümer Salzburg, Steiermark, Ober- und Nieder-Schlesien, das Markgrafthum Mähren, die gefürstete Grafschaft Tyrol mit Vorarlberg. §. 4. Allen Volksstämmen ist die Unverletzlichkeit ihrer Nationalität und Sprache gewährleistet. §. 5. Die Krone ist nach dem Grundsatze der pragmatischen Sanction vom 19. April 1713 in dem Hause Habsburg-Lothringen erblich. II. Der Kaiser. §. 8. Die Person des Kaisers ist geheiligt und unverletzlich. Er ist für die Ausübung der Regierungsgewalt unverantwortlich; seine Anordnungen bedürfen aber zur vollen Giltigkeit der Mitfertigung eines verantwortlichen Ministers. §. 10. Dem Kaiser gebührt die vollziehende Gewalt allein, und er übt die gesetzgebende Gewalt im Vereine mit dem Reichstage aus. §. 14. Alle Rechtspflege geht vom Kaiser aus, und wird in seinem Namen ausgeübt. §. 16. Er beruft jährlich den Reichstag und kann ihn vertagen oder auflösen, in welchem Falle unter Einhaltung der Frist von neunzig Tagen ein neuer Reichstag einberufen wird. In dem Falle des Ablebens des Kaisers hat sich der Reichstag inner der Frist von vier Wochen zu versammeln. III. Staatsbürgerliche und politische Rechte der Staatseinwohner. §. 17. Allen Staatsbürgern ist die volle Glaubens- und Gewissens- so wie die persönliche Freyheit gewährleistet. §. 18. Niemand kann anders als in Befolgung der gesetzlichen Form, mit Ausnahme der Anhaltung auf der That, verhaftet werden. Binnen 24 Stunden nach der Gefangennehmung muß jeder Verhaftete über den Grund seiner Verhaftung gehört, und seinem Richter zugewiesen werden. Hausdurchsuchungen können nur in den Fällen und in der Form, welche das Gesetz vorausbezeichnet, vorgenommen werden.
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§. 19. Die Freyheit der Rede und Presse ist nach vollkommener Auflassung der Censur durch die Verfassungsurkunde gesichert. Die Bestrafung der Mißbräuche wird durch ein von dem ersten Reichstage zu erlassendes Gesetz geregelt werden. §. 20. Das Briefgeheimniß ist unverletzlich. §. 21. Die im §. 17 bis 20 bezeichneten Freyheiten genießen auch die Fremden, welche noch keine staatsbürgerlichen Rechte erworben haben. §. 22. Das Petitionsrecht und das Recht zur Bildung von Vereinen steht allen Staatsbürgern zu. Besondere Gesetze werden die Ausübung dieser Rechte regeln. §. 23. Der Freyheit der Auswanderung darf von den Behörden kein Hinderniß in den Weg gelegt werden. §. 24. Jeder Staatsbürger kann Grundbesitzer werden, jeden gesetzlich erlaubten Erwerbszweig ergreifen, und zu allen Aemtern und Würden gelangen. §. 25. Die Wirksamkeit des Gesetzes ist gleich für alle Staatsbürger, sie genießen einen gleichen persönlichen Gerichtsstand, unterliegen der gleichen Wehr- und Steuerverpflichtung, und keiner kann gegen seinen Willen seinem ordentlichen Richter entzogen werden. §. 27. Die Beseitigung der, in einigen Theilen der Monarchie noch gesetzlich bestehenden Verschiedenheiten der bürgerlichen und politischen Rechte einzelner ReligionsConfessionen, so wie die Aufhebung der, der Erwerbung aller Arten von Grundbesitz noch entgegenstehenden Beschränkungen werden den Gegenstand, dem ersten Reichstage vorzulegender Gesetzesvorschläge bilden. §. 28. Die Richter können nur durch ein Erkenntniß der Gerichtsbehörden entlassen, im Dienste zurückgesetzt, oder gegen ihren Wunsch an einen anderen Dienstort oder in Ruhestand versetzt werden. §. 31. Allen in der Monarchie durch die Gesetze anerkannten christlichen Glaubensbekenntnissen und dem israelitischen Cultus ist die freye Ausübung des Gottesdienstes gesichert. IV. Die Minister. §. 32. Die Minister sind für alle Handlungen und Anträge in ihrer Amtsführung verantwortlich. §. 33. Diese Verantwortlichkeit, so wie die Bestimmung der anklagenden und richtenden Behörde wird durch ein besonderes Gesetz geregelt. V. Der Reichstag. §. 34. Der Reichstag, welcher im Vereine mit dem Kaiser die gesetzgebende Gewalt ausübt, ist in zwey Kammern, den Senat und die Kammer der Abgeordneten, getheilt. Die Dauer des Reichstages wird auf fünf Jahre mit jährlicher Einberufung desselben festgesetzt. 23
§. 35. Der Senat besteht: a) aus Prinzen des kaiserlichen Hauses nach vollendetem 24. Jahre; b) aus den von dem Kaiser ohne Rücksicht auf Stand und Geburt für ihre Lebensdauer ernannten Mitgliedern; c) aus hundertfünfzig Mitgliedern, welche von den bedeutendsten Grundbesitzern für die ganze Dauer der Wahlperiode aus ihrer Mitte gewählt werden. §. 36. Die Kammer der Abgeordneten besteht aus dreyhundert drey und achtzig Mitgliedern. Die Wahl sämmtlicher Mitglieder der Kammer der Abgeordneten beruht auf der Volkszahl und auf der Vertretung aller staatsbürgerlichen Interessen. VI. Wirksamkeit des Reichstages. §. 45. Alle Gesetze bedürfen der Zustimmung beyder Kammern und der Sanction des Kaisers. §. 48. Beyde Kammern können Gesetzvorschläge machen, oder unter Nachweisung der Gründe bey der Regierung auf die Vorlage eines Gesetzentwurfes antragen. Sie können Petitionen annehmen und zur Verhandlung bringen; jedoch dürfen solche Petitionen von Privaten und Korporationen nicht persönlich überreicht, sondern sie müssen durch ein Mitglied der Kammer vorgelegt werden. §. 50. Gesetzesvorschläge, durch welche die Bestimmungen der Verfassungsurkunde ergänzt, erläutert oder abgeändert werden sollen, bedürfen in jeder der beyden Kammern die Zustimmung von zwey Drittheilen der anwesenden Mitglieder. §. 51. Bey allen anderen Gesetzesvorschlägen genügt die absolute Stimmenmehrheit. VII. Provinzial-Stände. §. 54. In den einzelnen Ländern haben Provinzial-Stände zur Wahrnehmung der ProvinzialInteressen und zur Besorgung der für diese Interessen sich ergebenden Erfordernisse, so weit solche nicht unter den allgemeinen Staats-Erfordernissen begriffen sind, zu bestehen. Den bisherigen Provinzial-Ständen wird, insoferne die Verfassungsurkunde keine Aenderung enthält, ihre Einrichtung und Wirksamkeit erhalten. §. 55. Eine der ersten Aufgaben des Reichstages wird es seyn, die Prüfung und Würdigung der, von den Provinzial-Ständen vorzulegenden zeitgemäßen Aenderungen ihrer bisherigen Verfassungen und der Vorschläge über die Art der Ersatzleistung der ablösbar erklärten Grundlasten in Verhandlung zu nehmen. §. 56. Zur Wahrnehmung der besonderen Interessen der Kreise und Bezirke in jeder Provinz wird die Gesetzgebung eigene Municipal-Einrichtungen festsetzen. §. 57. Die Gemeinde-Verfassungen sind nach dem Grundsatze zu ordnen, daß in denselben alle Interessen der Gemeinde und ihrer Glieder vertreten werden.
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47. Provisorische Wahlordnung für den Reichstag, 9. Mai 1848 4
Provisorische Wahlordnung für den ersten österreichischen Reichstag. Wir Ferdinand der Erste, von Gottes Gnaden Kaiser von Oesterreich […] Nach Genehmigung der, unterm heutigen Tage erscheinenden provisorischen Wahlordnung für den ersten Reichstag und nach dem Antrage Unseres Ministerrathes finden Wir den 26. Junius 1848 als den Tag der Eröffnung des ersten Reichstages festzusetzen. Indem wegen Einleitung der Wahlen für die beyden Kammern auf Grundlage der provisorischen Wahlordnung die nöthigen Verfügungen getroffen werden, laden Wir sämmtliche, zur Theilnahme an dem Reichstage berufene Mitglieder beyder Kammern ein, sich längstens am Vorabende dieses Tages in Unserer Haupt- und Residenzstadt einzufinden. […] §. 1. Der Senat, dessen Mitglieder die Zahl von 200 nicht übersteigen werden, besteht: 1. Aus Prinzen des kaiserlichen Hauses nach vollendetem 24. Lebensjahre, welche der Kaiser von Fall zu Fall zu Mitgliedern des Senats ernennt. 2. Aus den von dem Kaiser ohne Rücksicht auf Stand und Geburt für ihre Lebensdauer ernannten Mitgliedern. 3. Aus 150 Mitgliedern, welche von den bedeutendsten Grundbesitzern für die ganze Dauer der Wahlperiode aus ihrer Mitte gewählt werden. §. 18. Die Kammer der Abgeordneten besteht aus 383 Mitgliedern, die Wahl derselben beruht auf der Volkszahl und auf der Vertretung aller staatsbürgerlichen Interessen. §. 24. Die Wahl der Mitglieder zur Kammer der Abgeordneten geschieht durch gewählte Wahlmänner. §. 31. Bey Ernennung der Wahlmänner sind stimmfähig und wählbar: a) alle österreichischen Staatsbürger ohne Unterschied der Confession, die das 24. Lebensjahr zurückgelegt haben; […] Arbeiter gegen Tag- oder Wochenlohn, Dienstleute und Personen, die aus öffentlichen Wohlthätigkeits-Anstalten Unterstützungen genießen, können nicht als Wähler auftreten. 48. Verfassungsnovelle, 16. Mai 1848 4
Proclamation. Erklärung des ersten Reichstages als einen constituirenden nur mit einer Kammer und angeordnete Abänderung der früheren Wahlordnung. Zur Beruhigung der am 15. May 1848 in Unserer Residenzstadt Wien entstanden Aufregung und zur Verhüthung gewaltsamer Ruhestörungen, wurde von Unserem Ministerrathe die Zurücknahme des für Unsere Nationalgarde am 13. May 1848 erlassenen Tagsbefehles in Betreff der Vorgänge des politischen Central-Comité’s beschlossen, und ebenso wurde bereits den von der Nationalgarde gestellten zwey Bitten die Gewährung zugesagt, daß nähmlich die Stadtthore und die Burgwache gemeinschaftlich von dem Militär und der Nationalgarde nach allen ihren Abteilungen besetzt werden sollen, und daß das Militär nur in jenen Fällen des erforderlichen Beystandes herbeyzurufen sey, wo die Nationalgarde selbst es ansucht. Diesen Beschlüssen fügen Wir noch, um alle übrigen Anlässe zu Missvergnügen und Aufregung zu beseitigen, nach dem Einrathen Unseres Ministerrathes die weitere Bestimmung bey, daß die Verfassung vom 25. April 1848 vorläufig der Berathung des
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Reichstages unterzogen werden soll, und die Anordnungen des Wahlgesetzes, welche Bedenken hervorgerufen haben, in einer neuerlichen Prüfung zu erwägen seyen. Damit die Feststellung der Verfassung durch die constituirende Reichsversammlung auf die zuverlässigste Weise bewirkt werde, haben Wir beschlossen, für den ersten Reichstag nur Eine Kammer wählen zu lassen, wornach also für die Wahlen gar kein Census bestehen und jeder Zweifel einer unvollkommenen Volksvertretung entfallen wird. […] 49. Wahlordnung, 30. Mai 1848 4
Von Seiner k. k. Majestät angeordnete Aenderungen der provisorischen Wahlordnung. Zur Ausführung der in der Proclamation Sr. Majestät ddo. 16. May 1848 enthaltenen Bestimmung, daß die Verfassungsurkunde vom 25. April 1848 vorläufig der Berathung des Reichstages unterzogen, daß daher der erste Reichstag eine constituirende Reichsversammlung zu bilden habe, somit für selben nur Eine Kammer ohne Rücksicht auf einen Census und unter Garantien zu wählen sey, welche jeden Zweifel einer vollkommenen Volksvertretung entfernt zu halten geeignet sind, werden auf Grundlage eines Ministerialraths-Beschlusses in Folge Eröffnung des Ministeriums des Innern, folgende Anordnungen zu Wahl der Mitglieder dieser constituirenden Kammer getroffen. […] 50. * Kremsierer Verfassungsentwurf 1848/49 (H. Fischer/G. Silvestri (Hg.), Texte zur österreichischen Verfassungs-Geschichte. Von der Pragmatischen Sankti4 3 on zur Bundesverfassung (1713–1966), Wien 1970, S. 15–39); (Manual Rz. 1596ff), (Manual Rz. 1581ff)
Entwurf der Constitutionsurkunde nach den Beschlüssen des Verfassungsausschusses. I. Das Staatsgebiet und dessen Eintheilung. §. 1. Das Kaiserthum Oesterreich ist eine untheilbare constitutionelle Erbmonarchie. §. 2. Die Länder des Kaiserreiches, für welche diese Constitution zu gelten hat, sind: 1. das Königreich Böhmen, 2. das Königreich Galizien und Lodomerien sammt Krakau, 3. das Königreich Dalmatien, 4. das Erzherzogthum Oesterreich unter der Enns, 5. das Erzherzogthum Oesterreich ob der Enns ohne Innviertel, 6. das Herzogthum Salzburg sammt Innviertel, 7. das Herzogthum Steiermark, 8. das Herzogthum Kärnthen, 9. das Herzogthum Krain, 10. das Herzogthum Schlesien, 11. die Markgrafschaft Mähren, 12. die gefürstete Grafschaft Tirol sammt Vorarlberg, 13. das Küstenland, 14. die Bukowina. §. 3. Galizien und Lodomerien sammt Krakau wird in zehn, Böhmen in neun, Mähren in vier, Oesterreich unter der Enns in drei, Tirol sammt Vorarlberg in drei (Deutschtirol, Wälschtirol, Voralberg), Steiermark in zwei Kreise getheilt. Die Abgränzung dieser
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Kreise wird mit möglichster Rücksicht auf Nationalität durch ein Reichsgesetz festgestellt. Ein jedes der übrigen Reichsländer bildet einen Kreis. §. 6. Die Aufnahme eines neuen Landes in den Reichsverband, für welchen diese Constitution gilt, kann ohne Zustimmung der gesetzgebenden Reichsgewalt nicht erfolgen. II. Staatsbürgerliche Grundrechte. [§7–§32Geplanter Ort der Grundrechte.]
III. Die Regierungsgewalten überhaupt. §. 34. Die Regierungsgewalten sind bezüglich des Umfanges: 1. die Central- oder Reichsregierungsgewalten, welche sich auf das ganze Reich, 2. die Landesregierungsgewalten, welche sich auf ein einzelnes Reichsland erstrecken. Im Zweifel über die Competenz der Reichs- und der Landesregierungsgewalten spricht die Vermuthung für die Centralgewalt. §. 35. Die gesetzgebende Reichsgewalt wird vom Kaiser gemeinschaftlich mit dem Reichstage, die jedem Lande überlassene gesetzgebende Gewalt vom Kaiser als Landesoberhaupt gemeinschaftlich mit dem Landtage oder dem Kreistage ausgeübt. §. 36. Das Recht, Gesetze vorzuschlagen, hat jeder Theilnehmer an der gesetzgebenden Gewalt. §. 37. Die authentische Auslegung der Gesetze gebührt nur der gesetzgebenden Gewalt. §. 38. Die vollziehende Gewalt steht dem Kaiser allein zu, und wird durch verantwortliche Minister ausgeübt. §. 39. Die richterliche Gewalt wird im ganzen Reiche nach gleichen Gesetzen von unabsetzbaren Richtern im Namen des Staatsoberhauptes gehandhabt. 1. Die Reichs-Centralgewalt. A. Der Kaiser. §. 40. Die österreichische Kaiserkrone ist nach dem Grundsatze der pragmatischen Sanction vom Jahre 1713 im Hause Habsburg-Lothringen erblich. §. 41. Die dem Kaiser zustehenden Rechte und Gewalten sind durch die Constitution festgestellt. §. 42. Die Person des Kaisers ist geheiligt und unverletzlich; er ist für die Ausübung der Regierungsgewalt nicht verantwortlich. §. 43. Der Kaiser legt nach erfolgter Annahme dieser Constitution und jeder Nachfolger unmittelbar nach seinem Regierungsantritte vor dem versammelten Reichstage folgenden Eid ab: „Ich schwöre die Constitution des Reiches fest und unverbrüchlich zu halten, und in Uebereinstimmung mit derselben und den Gesetzen zu regieren. So wahr mir Gott helfe.“
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§. 44. Kein Regierungsact des Kaisers hat Kraft, wenn er nicht von einem Minister gegengezeichnet ist. Die Gegenzeichnung macht den Minister für diesen Act verantwortlich. §. 45. Der Kaiser ernennt und entläßt die Minister, und besetzt alle Staatsämter unter Beobachtung der durch die Constitution und die Gesetze festgestellten Bestimmungen. Er führt den Oberbefehl über die Land- und Seemacht. §. 46. Der Kaiser sanctionirt die Gesetze, macht sie bekannt, und trifft die zu deren Vollziehung nöthigen Anordnungen, ohne jemals diese Gesetze suspendiren, oder Einzelne von deren Befolgung befreien zu können. B. Der Reichsminister. §. 64. Die Leitung der Reichsregierung liegt dem Reichs-Ministerium ob. Die Ernennung der Reichsminister, die Bestimmung ihrer Zahl und die Vertheilung der Geschäfte unter die Ministerien steht dem Kaiser allein zu. §. 65. Die Minister sind für ihre Amtsführung verantwortlich. §. 72. Die Bildung eines dem Ministerium berathend zur Seite stehenden Reichsrathes, und die Normirung seiner Wirksamkeit wird einem besonderen Reichsgesetze vorbehalten. C. Der Reichstag. §. 73. Der Reichstag besteht aus zwei Kammern, der Volks- und der Länderkammer. §. 74. Der Reichstag tritt regelmäßig jedes Jahr am fünfzehnten des Monates März zusammen, wenn ihn der Kaiser nicht früher einberuft. §. 85. Zur Giltigkeit eines Beschlusses ist in jeder Kammer die Anwesenheit der Mehrzahl ihrer Mitglieder und die absolute Stimmenmehrheit der Anwesenden nothwendig. Abweichende Bestimmungen hinsichtlich der von jeder Kammer vorzunehmenden Wahlen bleiben der Geschäftsordnung vorbehalten. §. 86. Nur durch Uebereinstimmung beider Kammern kommt ein Reichstagsbeschluß zu Stande. §. 87. Ertheilt der Kaiser einem Reichstagsbeschlusse die Sanction, so tritt derselbe als Reichsgesetz in volle Kraft. Wird die Sanction nicht ertheilt, so darf derselbe Gesetzesvorschlag in der nämlichen Sitzungsperiode nicht wieder vorgebracht werden. Die Erklärung der Krone über die Sanction eines Reichstagsbeschlusses muß jedenfalls vor dem Schlusse der Sitzungsperiode erfolgen, in welcher er gefaßt wurde. §. 88. Wird derselbe Gesetzesvorschlag in der folgenden ordentlichen Jahressession abermals unverändert angenommen und wieder nicht sanctionirt, so muß der Reichstag aufgelöst werden. Nimmt der neuzusammentretende Reichstag denselben Gesetzesvorschlag wieder unverändert an, so darf die kaiserliche Sanction nicht verweigert werden.
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a) Die Volkskammer. §. 94. Die Volkskammer besteht aus 360 Abgeordneten. Die im Wahlgesetze zu bestimmenden größeren Orte sammt ihrem Weichbilde senden achtzig, die übrige Bevölkerung aber zweihundert achtzig Abgeordnete. §. 95. Das active Wahlrecht steht jedem österreichischen Staatsbürger zu, welcher: a) das 24. Lebensjahr vollendet hat, b) sich im vollen Genusse der staatsbürgerlichen Rechte befindet, und c) eine directe Steuer in dem vom Wahlgesetze bestimmten Minimum entrichtet, oder einen Pacht- oder Miethzins zahlt, von welchem eine directe Steuer gleichen Betrages entfällt. Das im Wahlgesetze festzustellende Minimum der directen Steuer darf den Betrag von fünf Gulden C. M. nicht übersteigen. §. 97. Die Erfordernisse des passiven Wahlrechtes (der Wählbarkeit) sind: 1. das österreichische Staatsbürgerrecht, 2. der Vollgenuß der staatsbürgerlichen Rechte, 3. ein Alter von wenigstens 28 Jahren, und 4. der ordentliche Wohnsitz von wenigstens Einem Jahre im Reiche. b) Die Länderkammer. §. 99. Die Länderkammer besteht: 1. aus je sechs Abgeordneten jedes einzelnen Reichslandes, welche durch die Landtage gewählt werden; 2. aus je einem durch den Kreistag zu wählenden Abgeordneten jedes Kreises der Länder, welche aus zwei oder mehreren Kreisen bestehen. §. 100. Die Abgeordneten der Länderkammer werden auf sechs Jahre gewählt. Alle drei Jahre hat die Hälfte der Abgeordneten eines jeden Reichslandes und die Hälfte der Kreisabgeordneten auszutreten. §. 101. Als Abgeordneter in die Länderkammer ist derjenige wählbar, welcher die Erfordernisse der Wählbarkeit in den Landtag und das 33. Lebensjahr vollendet hat. 2. Die Landesregierungs-Gewalt. A. Die Landesverwaltung. §. 102. An der Spitze der Verwaltung eines jeden Reichslandes steht ein, vom Kaiser ernannter, dem Reichsministerium für den Vollzug der Reichsgesetze und für die Ausübung der Reichsregierungs-Gewalt verantwortlicher Chef, welcher in Reichsländern, die aus zwei oder mehreren Kreisen bestehen, S t a t t h a l t e r , in Reichsländern, die aus einem Kreise bestehen, L a n d e s h a u p t m a n n (Gouverneur) genannt wird. §. 104. Der Landeshauptmann (Gouverneur), der Statthalter, oder falls ihm verantwortliche Räthe zur Seite stehen, das contrasignirende Mitglied des Statthalterei-Rathes ist dem Landtage für den Vollzug der Landesgesetze verantwortlich. […] §. 105. Der Landtag hat das Recht, den Landeshauptmann (Gouverneur), den Statthalter oder die Statthalterei-Räthe in Anklagestand zu versetzen; die Aburtheilung steht dem obersten Reichsgerichte zu.
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B. Die Landtage. §. 110. Jedes Reichsland hat das Recht, einen eigenen Landtag abzuhalten. §. 111. Die durch constituirende Landtage festzustellenden Landesverfassungen treten erst dann in Kraft, wenn sie von der gesetzgebenden Reichsgewalt bestätigt worden sind. Dasselbe gilt auch von einer später vorzunehmenden Revision der Landesverfassung; jedoch darf diese Bestätigung vom Reichstage nicht verweigert werden, wenn die Bestimmungen derselben mit den in der Reichs-Constitution aufgestellten Grundsätzen nicht im Widerspruche stehen. §. 112. In den Landesverfassungen sind folgende grundgesetzliche Bestimmungen festzuhalten: 1. Die Abgeordneten sind nach der Volkszahl, vorbehaltlich der Bestimmungen über die besondere Vertretung größerer Orte, direct zu wählen; 2. für das active und passive Wahlrecht dürfen, außer einem einjährigen ordentlichen Wohnsitze im betreffenden Reichslande, keine anderen oder größeren Beschränkungen festgestellt werden, als das Gesetz für die Wahlen zur Volkskammer anordnet; 3. die Wahlbezirke sind mit möglichster Berücksichtigung der Nationalität zu bilden; 4. die Verhandlungen sind öffentlich, unter Anerkennung der gleichen Berechtigung der Landessprachen; 5. der den Landesgewalten durch diese Constitution zuerkannte autonome Wirkungskreis darf nicht überschritten werden. §. 113. Reichsländern von gemischter Nationalität bleibt vorbehalten, eine Institution in die Landesverfassung aufzunehmen, durch welche Angelegenheiten von rein nationeller Natur nach Art eines Schiedsgerichtes zu entscheiden sind. §. 114. Zur selbstständigen gesetzgebenden Gewalt der Landtage gehören: 1. Das Landesfinanzwesen: a) die Verfügung mit den Landesfonden und Landesgütern, b) die Landesauflagen zur Deckung der Landesausgaben, c) das Landesschuldenwesen, d) die Festsetzung des jährlichen Landesbudgets; e) die Abnahme, Prüfung und Erledigung der Landesrechnungen. 2. Politische Landesangelegenheiten: a) die Beförderung der Künste und Wissenschaften; b) die Ueberwachung der frommen Stiftungen; c) das Armenwesen, die Kranken- und Humanitätsanstalten; d) Gesinde-, Feuerlösch- und Bauordnungen. 3. Staatswirthschaftliche Angelegenheiten: a) die Hebung der Urproduction, des Gewerbsfleißes und des Verkehrs im Inneren des Landes; b) die Errichtung von Sparcassen, Leihanstalten und Hypothekenbanken; c) das Landescommunicationswesen durch Straßen und Kanäle, dann Flußregulirungen und sonstige Wasserbauten; d) öffentliche Bauten zu Landeszwecken.
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§. 115. Der Landtag hat ferner innerhalb der durch Reichsgesetze festgestellten Beschränkungen zu regeln: 1. das Unterrichts- und Volkserziehungswesen; 2. die Cultus- und kirchlichen Angelegenheiten; 3. die Landespolizei in allen im §. 114. nicht aufgeführten Zweigen. §. 116. Der Landtag hat ferner alle jene innern Angelegenheiten zu regeln, welche ihm durch Reichsgesetze zugewiesen werden. §. 117. Landtagsbeschlüsse erhalten erst durch die Sanction des Kaisers die Kraft verbindender Landesgesetze. C. Die Kreistage und Gemeinden. §. 123. Die Kreistage werden aus Abgeordneten des betreffenden Kreises gebildet, die gleichzeitig mit den Landtagsabgeordneten auf dieselbe Weise und Dauer in doppelter Anzahl gewählt werden. Sollte nach dieser Bestimmung die Anzahl der Abgeordneten eines Kreises größer ausfallen, als die Gesammtzahl der Abgeordneten des betreffenden Landtages, so hat es bei der einfachen Anzahl zu verbleiben. §. 125. In den Wirkungskreis der Kreistage gehören: 1. Gemeindeangelegenheiten, und zwar: a) die Entwerfung der Gemeindeordnung unter Beobachtung des Reichsgemeindegesetzes, sowie die Bestätigung der Statuten der einzelnen Gemeinden; b) die Ueberwachung und Controlle aller Gemeinden in der Gebahrung mit dem Stammvermögen; c) die Entscheidung über alle Streitigkeiten zwischen Gemeinden oder Gemeinde[mit]gliedern und Vorständen im Berufungswege nach den Bestimmungen des Gemeindegesetzes; d) die Entscheidung über Heimatsrechte und verweigerte Aufnahme eines Staatsbürgers in den Gemeindeverband. Gegen die Entscheidung des Kreises in Gemeindeangelegenheiten ist keine weitere Berufung zulässig. 2. Die Kreisstraßen- und sonstigen Kreiscommunicationsmittel; 3. die Errichtung von Sparcassen und Leihanstalten, 4. die Besorgung aller Angelegenheiten, welche nur die Kreisgemeinde oder mehrere Bezirke derselben betreffen. §. 126. Außerdem wird dem Kreistage, wenn er es im Interesse des Kreises für nothwendig findet, innerhalb der Schranken der Reichs- und Landesgesetze zur Regelung und Verwaltung überlassen: a) das Volksunterrichts- und Erziehungswesen mit dem Rechte der Bestimmung der Unterrichtssprache und der Sprachgegenstände, jedoch mit gleich gerechter Beachtung der Sprachen des Kreises; b) das Armenwesen; c) die Kranken- und Humanitätsanstalten; d) die localen frommen Stiftungen; e) die Anstalten zur Hebung des Ackerbaues. §. 128. In jenen Reichsländern, die nur einen Reichskreis bilden, hat der Landtag zugleich die Functionen des Kreistages. 31
§. 129. Dem Landes-Chef steht das Recht zu, Kreistage, die nicht zugleich Landtage sind, unter Ausschreibung neuer Wahlen aufzulösen. §. 130. Den Gemeinden wird die Selbstbestimmung in allen Angelegenheiten, welche ausschließlich das Gemeinde-Interesse betreffen, und deren Selbstverwaltung innerhalb der durch das Reichsgemeinde-Gesetz und durch die Gemeinde-Ordnung festgesetzten Gränzen zugesichert. §. 131. Das Gemeinde-Gesetz muß jeder Gemeinde als unveräußerliche Rechte gewährleisten: a) die freie Wahl ihrer Vorsteher und Vertreter; b) die Aufnahme neuer Mitglieder in den Gemeindeverband; c) die selbstständige Verwaltung ihrer Angelegenheiten und die Handhabung der Ortspolizei; d) die Veröffentlichung ihres Haushaltes, und in der Regel Oeffentlichkeit der Verhandlungen. Die Beschränkungen des Rechtes, die Aufnahme in den Gemeindeverband zu verweigern, und des Rechtes, das Gemeindegut oder das Stammvermögen der Gemeinde zu veräußern oder zu belasten, enthält das Gemeindegesetz. IV. Die richterliche Gewalt. §. 132. Die Gerichtsbarkeit wird selbstständig durch vom Staate bestellte Gerichte ausgeübt. Cabinets- und Ministerial- Justiz ist unstatthaft. Patrimonialgerichte dürfen nicht bestehen. §. 135. Die Richter werden auf Lebenszeit ernannt. Sie können nur durch einen Urtheilsspruch des obersten Reichsgerichtes von ihrem Amte entfernt oder an Rang und Gehalt beeinträchtiget, suspendirt, und nur mit ihrer eigenen Zustimmung an einen anderen Posten versetzt werden. §. 137. Rechtspflege und Verwaltung sollen getrennt und von einander unabhängig sein. Der Sicherheitsbehörde steht keine Gerichtsbarkeit zu. Ueber Competenzconflicte zwischen den Gerichts- und Verwaltungsbehörden entscheidet ein durch das Gesetz zu bestimmender Gerichtshof. §. 138. Wegen Verletzung der durch die Constitution festgestellten staatsbürgerlichen Rechte durch Bedienstete des Staates in Ausübung ihrer Amtsgewalt kann der Verletzte durch eine Civilklage vom Staate volle Genugthuung fordern. Diese Civilklage schließt die strafrechtliche Verfolgung des Schuldtragenden nicht aus. §. 140. Das oberste Reichsgericht hat als einzige Instanz das Richteramt auszuüben: 1. bei Klagen auf Genugthuung wegen Verletzung constitutioneller Rechte durch Amtshandlungen der Staatsbediensteten (§. 138); 2. wenn es sich um Absetzung, Suspension oder Versetzung eines Richters handelt; 3. in allen Streitigkeiten zwischen den Reichsländern unter einander und in Competenzstreitigkeiten der Central- und Länder-Regierungsgewalten; 4. bei Anklagen gegen die Minister, Länder-Chefs und Statthaltereiräthe; 5. bei Verschwörungen oder Attentaten gegen die Person des Staatsoberhauptes, gegen den Reichstag oder gegen einen Landtag. 32
VI. Die Finanzen. §. 142. Alle Einnahmen und Ausgaben des Reiches müssen für jedes Jahr vorhinein veranschlagt und auf den Staatshaushaltsetat gebracht werden. Letzterer wird jährlich durch ein Gesetz, welches die Volkskammer allein votirt, festgestellt. VII. Die bewaffnete Macht. […] VIII. Allgemeine Bestimmungen. §. 156. Jeder Fremde, welcher sich auf österreichischem Gebiete befindet, genießt den Schutz, welcher den Personen und Gütern im Allgemeinen vom Staate gewährt wird, mit Vorbehalt der durch das Gesetz zu bestimmenden Ausnahmen. §. 157. Die Constitution kann weder ganz noch theilweise aufgehoben werden; nur in Fällen des Krieges oder Aufruhrs, und nur von der verantwortlichen Regierungsgewalt, mit Zustimmung der legislativen Gewalt, oder, falls diese einzuholen unmöglich wäre, gegen nachträgliche Rechtfertigung vor derselben, darf eine theilweise Suspension der constitutionellen Rechte, verfügt werden. Unter welchen Bedingungen, und mit welchen Folgen dies geschehen dürfte, hat ein besonderes Gesetz zu bestimmen. IX. Revision der Constitution. §. 158. Die gesetzgebende Gewalt hat das Recht zu erklären, daß irgend eine Bestimmung dieser Constitution der Revision bedürfe. Eine solche Erklärung hat die Auflösung des Reichstages und die unverzügliche Einberufung eines neuen unmittelbar zur Folge. §. 159. Der neue Reichstag beschließt sodann über die der Revision unterzogenen Punkte. Zur Gültigkeit eines Beschlusses, der eine wirkliche Veränderung herbeiführen soll, ist es nothwendig, daß in jeder der beiden Kammern wenigstens drei Viertheile ihrer Mitglieder anwesend seien, und wenigstens zwei Drittheile der Anwesenden in jeder Kammer zugestimmt haben. Die Abstimmung muß über Namensaufruf mündlich geschehen. §. 160. Bei Reichstagsbeschlüssen über Aenderungen in der Constitution, durch welche die verfassungsmäßigen Rechte der Krone geschmälert werden, steht dem Kaiser das absolute Veto zu. 51. * Grundrechtsentwurf 1848/49 (H. Fischer/G. Silvestri (Hg.), Texte zur österreichischen Verfassungs-Geschichte. Von der Pragmatischen Sanktion zur Bundesverfassung (1713–1966), Wien 1970, S. 41–46; Extra-Blatt zur Abend-Beylage der Wiener Zeitung 4 3 am 23. December 1848); (Manual Rz. 1595, 1599), (Manual Rz. 1580, 1584), Die hier abgedruckten Bestimmungen sollten als §§ 7ff in den Verfassungstext integriert werden.
Entwurf der Grundrechte des österreichischen Volkes §. 1. Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich. Die Constitution und das Gesetz bestimmen, unter welchen Bedingungen die österreichische Staatsbürgerschaft erworben, ausgeübt und verloren wird. Die Gesammtheit der Staatsbürger ist das Volk. Alle Standesvorrechte sind abgeschafft. Adelsbezeichnungen jeder Art werden vom Staate weder verliehen noch anerkannt.
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Die öffentlichen Aemter und Staatsdienste sind für alle dazu befähigten Staatsbürger gleich zugänglich. Ausländer sind vom Eintritte in Civildienste und in die Volkswehr ausgeschlossen. Ausnahmen werden durch besondere Gesetze bestimmt. Zu öffentlichen Auszeichnungen oder Belohnungen berechtigt nur das persönliche Verdienst. Keine Auszeichnung ist vererblich. Amtstitel dürfen nicht als bloße Ehrentitel verliehen werden. §. 2. Die Freiheit der Person ist gewährleistet. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden; privilegirte und Ausnahmsgerichte dürfen nicht bestehen. Niemand darf verhaftet werden, außer kraft eines richterlichen, mit Gründen versehenen Befehles, den Fall der Betretung auf der That ausgenommen. Der Verhaftungsbefehl muß dem Verhafteten sogleich oder spätestens 24 Stunden nach der Verhaftung zugestellt werden. Jeder von den Organen für die öffentliche Sicherheit Angehaltene muß binnen 24 Stunden an sein ordentliches Gericht abgeführt oder freigelassen werden. Jeder Angeschuldigte ist gegen eine vom Gerichte nach dem Gesetze zu bestimmende Bürgschaft oder Caution auf freiem Fuße zu untersuchen, die Fälle ausgenommen, welche das Strafgesetz bestimmt. §. 3. Das Verfahren vor dem erkennenden Gerichte in Civil- und Strafsachen ist öffentlich und mündlich. Die Ausnahmen bestimmt das Gesetz. In Strafsachen gilt der Anklageprozeß. Schwurgerichte haben jedenfalls bei Verbrechen, bei politischen und Preßvergehen zu erkennen. Niemand darf wegen einer strafbaren Handlung, rücksichtlich deren er bereits durch das Geschwornengericht für nicht schuldig erklärt wurde, nochmals in Untersuchung gezogen werden, ausgenommen den Fall der Cassation des ganzen Verfahrens. §. 4. Eine Strafe kann nur durch gerichtlichen Spruch nach einem zur Zeit der strafbaren Handlung schon bestandenen Gesetze verhängt werden. Die Todesstrafe ist abgeschafft. Die Strafen der öffentlichen Arbeit, der öffentlichen Ausstellung, der körperlichen Züchtigung, der Brandmarkung, des bürgerlichen Todes und der VermögensEinziehung dürfen nicht angewendet werden. §. 5. Das Hausrecht ist unverletzlich. Eine Durchsuchung der Wohnung und der Papiere oder eine Beschlagnahme der letzteren ist nur über richterliche Verordnung oder über Auftrag des Gemeindevorstandes, in den gesetzlich bestimmten Fällen und Formen zulässig. Die Unverletzlichkeit des Hausrechtes ist kein Hinderniß der Verhaftung eines auf frischer That Betretenen oder gerichtlich Verfolgten. §. 6. Das Briefgeheimniß darf nicht verletzt, und die Beschlagnahme von Briefen nur auf Grund eines richterlichen Befehles und nach den Bestimmungen des Gesetzes vorgenommen werden. §. 7. Das Recht der Petition und der Sammlung von Unterschriften auf Petitionen ist unbeschränkt. §. 8. Die Freizügigkeit der Person und des Vermögens innerhalb des Staatsgebietes unterliegt nur den in den Gemeindeordnungen enthaltenen Beschränkungen. Von 34
Staatswegen wird die Freiheit der Auswanderung nicht beschränkt. Es darf kein Abfahrtsgeld, Fälle der Nothwendigkeit der Reciprocität ausgenommen, gefordert werden. §. 9. Die österreichischen Staatsbürger haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln; jedoch sind Volksversammlungen unter freiem Himmel vorläufig der Sicherheitsbehörde anzuzeigen, dürfen aber nur in Fällen dringender Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit untersagt werden. Keine Abtheilung der Volkswehr darf als solche über politische Fragen berathen oder Beschlüsse fassen. §. 10. Die österreichischen Staatsbürger haben das Recht, ohne alle behördliche Bewilligung Vereine zu bilden, insoferne Zwecke und Mittel der Vereinigung weder rechtswidrig noch staatsgefährlich sind. Die Regelung dieses Rechtes darf nur durch ein Gesetz geschehen §. 11. Den österreichischen Staatsbürgern ist die Freiheit des Glaubens gewährleistet. Sie sind unbeschränkt in der häuslichen und öffentlichen Ausübung ihrer Religion, soweit diese Ausübung weder rechts- noch sittenverletzend ist, noch auch den bürgerlichen oder staatsbürgerlichen Pflichten widerstreitet. §. 12. Keine Religionsgesellschaft (Kirche) genießt vor anderen Vorrechte durch den Staat. Niemand kann zu religiösen Handlungen oder Feierlichkeiten überhaupt oder insbesondere zu den Verpflichtungen eines Cultus, zu welchem er sich nicht bekennt, vom Staate gezwungen werden. Ebensowenig darf zur Einhaltung von Verpflichtungen, die Jemand durch geistliche Weihen oder Ordensgelübde übernommen hat, ein Zwang angewendet werden. §. 13. Das Verhältniß des Staates zu den einzelnen Religionsgesellschaften (Kirchen) ist durch ein organisches Gesetz zu regeln, welchem folgende Bestimmungen zur Grundlage dienen sollen: a) Jede Kirche steht, wie alle Gesellschaften und Gemeinden im Staate unter dem Gesetze und Schutze des Staates. b) Jede Kirche ordnet und verwaltet ihre inneren Angelegenheiten selbständig. c) Das Recht, die Kirchenvorsteher durch freie Wahl zu bestellen, wird den kirchlichen Gemeinden und Synoden, zu welchen auch die Gemeinden Vertreter senden, eingeräumt. d) Das Kirchenvermögen wird durch Organe, welche von den kirchlichen Gemeinden, oder nach Umständen von Diöcesan- oder Provinzial-Synoden zu wählen sind, unter dem Schutze des Staates verwaltet. Bis zur organischen Regelung des Kirchenwesens auf diesen Grundlagen werden die bisher in dieser Beziehung vom Staate oder von einzelnen Personen ausgeübten Rechte und die denselben entsprechenden Verbindlichkeiten aufrecht erhalten. [Bis hierher wurden die „Grundrechte“ in der Plenarversammlung des Reichstages berathen und angenommen]
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§. 14. Keine Religionsgesellschaft (Kirche) genießt vor anderen Vorrechte durch den Staat. Niemand kann zu religiösen Handlungen und Feierlichkeiten überhaupt oder insbesondere zu den Verpflichtungen eines Cultus, zu welchem er sich nicht bekennt, vom Staate gezwungen werden. §. 15. Die Verhältnisse zwischen Staat und Kirche […] werden durch besondere Gesetze bestimmt. §. 16. Die Religionsverschiedenheit begründet keinen Unterschied in den Rechten und Pflichten der Staatsbürger. §. 17. Die bürgerliche Giltigkeit der Ehe ist bedingt durch die förmliche Einwilligung beider Brautleute vor der vom Staate zur Aufnahme des Ehevertrages bestellten Behörde. Eine kirchliche Trauung kann erst nach Schließung der Civil-Ehe stattfinden. Die Religionsverschiedenheit ist kein bürgerliches Ehehinderniß. §. 18. Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. Jede vorgreifende Maßregel gegen die Lehrfreiheit ist untersagt. Die Unterdrückung des Mißbrauchs wird durch ein Gesetz geregelt. §. 19. Dem österreichischen Staatsbürger wird durch genügende öffentliche Anstalten das Recht auf allgemeine Volksbildung gewährleistet. Der öffentliche Unterricht wird auf Staatskosten unentgeltlich ertheilt, und durch ein Gesetz geregelt. Niemand darf seine Kinder oder Pflegebefohlenen ohne den zur allgemeinen Volksbildung erforderlichen Unterricht lassen. Unterrichts- und Erziehungsanstalten zu gründen, und an solchen Unterricht zu ertheilen, steht jedem Staatsbürger frei, wenn er seine sittliche, wissenschaftliche und technische Befähigung der competenten Behörde nachgewiesen hat. Der häusliche Unterricht unterliegt keiner solchen Beschränkung. Keiner religiösen Gesellschaft darf ein leitender Einfluß auf öffentliche Lehranstalten eingeräumt werden. §. 20. Jedermann hat das Recht, seine Gedanken frei auszusprechen, und durch Schrift, Druck oder bildliche Darstellung zu veröffentlichen. Dieses Recht darf unter keinen Umständen und in keiner Weise, namentlich weder durch Censur, noch durch Concessionen, weder durch Sicherheitsleistungen, noch durch Staatsauflagen, weder durch Beschränkungen des Buchdrucks und Buchhandels, noch endlich durch Postverbothe und ungleichmäßigen Postsatz, oder durch andere gewerbliche oder sonstige Hemmungen des freien Verkehres beschänkt, suspendirt oder aufgehoben werden. Der Mißbrauch dieses Rechtes wird nach den allgemeinen Gesetzen und bis zur Erlassung eines revidirten Strafgesetzes nach besonderen Preßvorschriften bestraft. §. 21. Alle Volksstämme des Reiches sind gleichberechtiget. Jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität überhaupt, und seiner Sprache insbesondere. Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben wird vom Staate gewährleistet. 36
§. 22. Das Eigenthum ist unter dem Schutze des Staates. Niemand darf aus seinem Eigenthume verdrängt werden, außer a) in Vollzug eines richterlichen Erkenntnisses, oder b) durch Enteignung (Expropriation) aus Gründen des öffentlichen Wohles. Letztere darf nur nach den Bestimmungen des Gesetzes, und gegen angemessene, in der Regel vorausgehende, Schadloshaltung vorgenommen werden. §. 23. Die Theilung des Eigenthumes in ein Ober- und Nutzungseigenthum ist für immer untersagt. Das Eigenthum darf weder durch das Lehensverhältniß noch durch das Institut des Familien-Fideicommisses beschränkt sein. Die Auflösung des Lehenbandes und der Familien-Fideicommisse wird durch besondere Gesetze geregelt. §. 24. Jedermann hat nach Maßgabe seines Vermögens und Einkommens zu den Lasten des Staates beizutragen. §. 25. Jeder Staatsbürger und jedes Grundstück muß einem Gemeindeverbande angehören. Die Grundrechte jeder Gemeinde sind: a) die freie Wahl ihrer Vorsteher und Vertreter; b) die Aufnahme neuer Mitglieder in den Gemeindeverband; c) die selbständige Verwaltung ihrer Angelegenheiten und die Handhabung der Ortspolizei; d) die Veröffentlichung ihres Haushaltes und in der Regel Oeffentlichkeit der Verhandlungen. Die Beschränkungen des Rechtes, die Aufnahme in den Gemeindeverband zu verweigern, und des Rechtes, das Gemeindegut oder das Stammvermögen der Gemeinde zu veräußern oder zu belasten, enthält das Gemeindegesetz [Gemeindeordnungen]. §. 26. Zum Schutze des Staates und der Constitution besteht die Volkswehr, welche in das Heer und die Nationalgarde getheilt, und durch besondere Gesetze geregelt wird. Die Volkswehr wird auf die Constitution beeidet, und kann zur Unterdrückung innerer Unruhen nur über Aufforderung der Civil-Behörden in den gesetzlich bestimmten Fällen und Formen verwendet werden. §. 27. Jeder Staatsbürger ist zum Dienste im Heere persönlich verpflichtet. Ausnahmen davon werden durch das Heergesetz bestimmt. §. 28. Das Heer untersteht den bürgerlichen Gesetzen und Gerichten. Militärgesetze und Militärgerichte haben nur im Kriege und bei Disciplinarvergehen in Wirksamkeit zu treten. §. 29. Alle wehrhaften Staatsbürger, die nicht im Heere dienen, haben in der Regel ein gleiches Recht und eine gleiche Pflicht zum Dienste in der Nationalgarde. Die näheren Bestimmungen und Ausnahmen von dieser Regel enthält das Nationalgardegesetz.
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52. Auflösung des Kremsierer Reichstags und Verleihung der Reichsverfassung 1849 4
Kaiserliches Manifest vom 4. März 1849, wodurch der Reichstag von Kremsier aufgelöset, und den Völkern Oesterreichs aus eigener Macht des Kaisers eine Reichsverfassung für das gesammte Kaiserthum Oesterreich verliehen wird. In dem Manifeste vom 2. December [1848] hatten Wir die Hoffnung ausgesprochen, daß es Uns mit Gottes Beistand und im Einverständnisse mit den Völkern gelingen werde, alle Lande und Stämme der Monarchie zu einem großen Staatskörper zu vereinigen. Allenthalben in Unserem weiten Reiche fanden diese Worte freudigen Anklang […]. In der Wiedergeburt der Gesammtmonarchie […] erkennt der gesunde Sinn des Volkes die erste Bedingung für die Wiederkehr der gestörten Ordnung […] sowie die sicherste Bürgschaft für eine gesegnete und glorreiche Zukunft. Mittlerweile berieth zu Kremsier der von Kaiser Ferdinand dem Ersten berufene Reichstag eine Verfassung für einen Theil der Monarchie. […] Nach mehrmonatlicher Verhandlung ist das Verfassungswerk zu keinem Abschlusse gediehen. Erörterungen aus dem Gebiete der Theorie, welche nicht nur mit den thatsächlichen Verhältnissen der Monarchie im entschiedenen Widerspruche stehen, sondern überhaupt der Begründung eines geordneten Rechtszustandes im Staate entgegentreten, haben die Wiederkehr der Ruhe, der Gesetzlichkeit und des öffentlichen Vertrauens in die Ferne gerückt, in den wohlgesinnten Staatsbürgern trübe Befürchtungen erzeugt, und der durch Gewalt der Waffen zu Wien eben erst geschlagenen, in einem anderen Theile Unseres Reiches noch nicht gänzlich besiegten Partei des Umsturzes neuen Muth und neue Thätigkeit verliehen. Dadurch ward auch die Hoffnung wesentlich erschüttert, daß dieser Versammlung, trotz der höchst achtbaren Elemente, die sie enthält, die Lösung ihrer Aufgabe gelingen werde. Inzwischen ist durch die siegreichen Fortschritte Unserer Waffen in Ungarn das große Werk der Wiedergeburt eines einheitlichen Oesterreich, das Wir Uns zu Unserer Lebensaufgabe gestellt, seiner Begründung näher gerückt und die Nothwendigkeit unabweislich geworden, die Grundlagen dieses Werkes auf eine dauerhafte Weise zu sichern. Eine Verfassung, welche nicht bloß die in Kremsier vertretenen Länder, sondern das ganze Reich im Gesammtverbande umschließen soll, ist es, was die Völker Oesterreichs mit gerechter Ungeduld von Uns erwarten. Hiedurch ist das Verfassungswerk über die Gränzen des Berufes dieser Versammlung hinausgetreten. Wir haben daher beschlossen, für die Gesammtheit des Reiches: Unseren Völkern diejenigen Rechte, Freiheiten und politischen Institutionen aus freier Bewegung und eigener kaiserlicher Macht zu verleihen, welche Unser erhabener Oheim und Vorfahr Kaiser Ferdinand I. und Wir selbst ihnen zugesagt, und die Wir nach Unserem besten Willen und Gewissen als die heilsamsten und förderlichsten für das Wohl Oesterreichs erkannt haben. Wir verkündigen demnach unter heutigem Tage die Verfassungs-Urkunde für das einige und untheilbare Kaiserthum Oesterreich, schließen hiedurch die Versammlung des Reichstages zu Kremsier, lösen denselben auf, und verordnen, daß dessen Mitglieder sofort nach Veröffentlichung dieses Beschlusses auseinander gehen.
Kaiserliches Patent vom 4. März 1849, die Reichsverfassung für das Kaiserthum Oesterreich enthaltend. Reichsverfassung für das Kaiserthum Oesterreich. I. Abschnitt. Von dem Reiche. §. 1. Das Kaiserthum Oesterreich besteht aus folgenden Kronländern: Dem Erzherzogthume Oesterreich ob und unter der Enns, dem Herzogthume Salzburg, dem Herzogthume Steiermark, dem Königreiche Illirien, bestehend: aus dem Herzogthume Kärnthen, dem Herzogthume Krain, der gefürsteten Grafschaft Görz und Gradiska, der Markgrafschaft Istrien und der Stadt Triest mit ihrem Gebiete, – der gefürsteten Grafschaft Tirol und Vorarlberg, dem Königreiche Böhmen, der Markgrafschaft Mähren, dem Herzogthume Ober- und Nieder-Schlesien, den Königreichen Galizien und Lodomerien mit den Herzogthümern Auschwitz und Zator und dem Großherzogthume Krakau, dem Herzogthume Bukowina, den Königreichen Dalmatien, Croatien und Slavonien mit dem croatischen Küstenlande, der Stadt Fiume und dem dazu gehörigen Gebiete, dem Königreiche Ungarn, dem Großfürstenthume Siebenbürgen, mit Inbegriff des Sachsenlandes und der wiedereinverleibten Gespanschaften Kráßna, Mittel-Szolnok und Zárand, dann dem Districte Kövár und der Stadt Ziláh (Zillenmarkt), den Militärgrenzgebieten und dem lombardisch-venetianischen Königreiche. §. 2. Diese Kronländer bilden die freie, selbständige, untheilbare und unauflösbare constitutionelle österreichische Erbmonarchie. §. 4. Den einzelnen Kronländern wird ihre Selbständigkeit innerhalb jener Beschränkungen gewährleistet, welche diese Reichsverfassung feststellt. §. 5. Alle Volksstämme sind gleichberechtiget und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache. §. 7. Das ganze Reich ist Ein Zoll- und Handelsgebiet. Binnenzölle dürfen unter keinem Titel eingeführt werden, und wo solche zwischen einzelnen Gebietstheilen des Reiches gegenwärtig bestehen, hat deren Aufhebung sobald als möglich zu erfolgen. Die Aussonderung einzelner Orte oder Gebietstheile aus dem Zollgebiete und der Einschluß fremder Gebiete in dasselbe bleibt der Reichsgewalt vorbehalten. II. Abschnitt. Von dem Kaiser. §. 9. Die Krone des Reiches und jedes einzelnen Kronlandes ist, in Gemäßheit der pragmatischen Sanktion und der österreichischen Hausordnung, erblich in dem Hause Habsburg-Lothringen. §. 13. Der Kaiser beschwört bei der Krönung die Verfassung, welcher Schwur von seinen Nachfolgern bei der Krönung, sowie von dem Regenten bei Antritt der Regentschaft geleistet wird. §. 14. Der Kaiser ist geheiligt, unverletzlich und unverantwortlich. §. 18. Der Kaiser verkündet die Gesetze und erläßt die bezüglichen Verordnungen. Jede Verfügung bedarf der Gegenzeichnung eines verantwortlichen Ministers. 39
§. 19. Der Kaiser ernennt und entläßt die Minister, besetzt die Aemter in allen Zweigen des Staatsdienstes, und verleiht den Adel, Orden und Auszeichnungen. §. 20. Im ganzen Reiche wird im Namen des Kaisers Recht gesprochen. III. Abschnitt. Von dem Reichsbürgerrechte. §. 23. Für alle Völker des Reiches gibt es nur Ein allgemeines österreichisches Reichsbürgerrecht. Ein Reichsgesetz wird bestimmen, unter welchen Bedingungen das österreichische Reichsbürgerrecht erworben, ausgeübt und verloren wird. §. 24. In keinem Kronlande darf zwischen seinen Angehörigen und jenen eines anderen Kronlandes ein Unterschied im bürgerlichen oder peinlichen Rechte, im Rechtsverfahren oder in der Vertheilung der öffentlichen Lasten bestehen. Die rechtskräftigen Urtheile der Gerichte aller österreichischen Kronländer sind in allen solchen gleich wirksam und vollziehbar. §. 25. Die Freizügigkeit der Person innerhalb der Reichsgränzen unterliegt keiner Beschränkung. Die Freiheit der Auswanderung ist von Staatswegen nur durch die Wehrpflicht beschränkt. §. 26. Jede Art von Leibeigenschaft, jeder Unterthänigkeits- oder Hörigkeitsverband ist für immer aufgehoben. Die Betretung des österreichischen Bodens oder eines österreichischen Schiffes macht jeden Sclaven frei. §. 27. Alle österreichischen Reichsbürger sind vor dem Gesetze gleich, und unterstehen einem gleichen persönlichen Gerichtsstande. §. 28. Die öffentlichen Aemter und Staatsdienste sind für alle zu denselben Befähigten gleich zugänglich. §. 29. Das Eigenthum steht unter dem Schutze des Reiches; es kann nur aus Gründen des öffentlichen Wohles, gegen Entschädigung nach Maßgabe des Gesetzes, beschränkt oder entzogen werden. §. 30. Jeder österreichische Reichsbürger kann in allen Theilen des Reiches Liegenschaften jeder Art erwerben, sowie jeden gesetzlich erlaubten Erwerbszweig ausüben. §. 31. Die Freizügigkeit des Vermögens innerhalb der Reichsgränzen unterliegt keiner Beschränkung. Abfahrtsgelder von den in das Ausland abziehenden Vermögenschaften dürfen nur in Anwendung der Reciprocität erhoben werden. §. 32. Jede aus dem Unterthänigkeits- oder Hörigkeitsverbande, oder aus dem Titel des getheilten Eigenthums auf Liegenschaften haftende Schuldigkeit oder Leistung ist ablösbar, und es darf für die Zukunft bei Theilung des Eigenthums keine Liegenschaft mit einer unablösbaren Leistung belastet werden. IV. Abschnitt. Von der Gemeinde. §. 33. Der Gemeinde werden als Grundrechte gewährleistet: 40
a) die Wahl ihrer Vertreter; b) die Aufnahme neuer Mitglieder in den Gemeindeverband; c) die selbständige Verwaltung ihrer Angelegenheiten; d) die Veröffentlichung der Ergebnisse ihres Haushaltes, und in der Regel e) die Oeffentlichkeit der Verhandlungen ihrer Vertreter. Die nähere Bestimmung dieser Grundrechte der Gemeinden, und insbesondere die Bedingungen für die Aufnahme in den Verband einer Gemeinde, enthalten die Gemeindegesetze. §. 34. Die Einrichtung von Bezirks- und Kreisgemeinden zur Versorgung ihrer gemeinsamen inneren Angelegenheiten wird ein besonderes Gesetz bestimmen. V. Abschnitt. Von den Landesangelegenheiten. §. 35. Als Landesangelegenheiten werden erklärt: I. Alle Anordnungen in Betreff 1. der Landescultur; 2. der öffentlichen Bauten, welche aus Landesmitteln bestritten werden; 3. der Wohlthätigkeitsanstalten im Lande; 4. des Voranschlages und der Rechnungslegung des Landes; a) sowohl hinsichtlich der Landeseinnahmen aus der Verwaltung des dem Lande gehörigen Vermögens, der Besteuerung für Landeszwecke, und der Benützung des Landescredits, als b) rücksichtlich der Landesausgaben, der ordentlichen wie der außerordentlichen. II. Die näheren Anordnungen inner der Gränzen und der Reichsgesetze in Betreff 1. der Gemeindeangelegenheiten; 2. der Kirchen- und Schulangelegenheiten; 3. der Vorspannsleistung, dann der Verpflegung und Einquartierung des Heeres; endlich III. die Anordnungen über jene Gegenstände, welche durch Reichsgesetze dem Wirkungskreise der Landesgewalt zugewiesen werden. VI. Abschnitt. Von den Reichsangelegenheiten. §. 36. Als Reichsangelegenheiten werden erklärt: a) alle das regierende Kaiserhaus und die Rechte der Krone betreffenden Angelegenheiten; b) die völkerrechtliche Vertretung des Reiches und aller seiner Interessen, insbesondere der Abschluß von Verträgen mit fremden Staaten; c) die Beziehungen des Staates zur Kirche; d) das höhere Unterrichtswesen; e) das gesammte Heerwesen zu Land und die Seemacht; f) der Reichshaushalt, einschließlich der Krongüter und Reichsdomänen, unter welchen das bisher durch Bennnungen: Staats-, Cameral- oder Fiscalgüter bezeichnete Vermögen verstanden wird; die Reichsbergwerke, dann die Reichsmonopole, der Reichscredit, und alle Steuern und Abgaben zu Reichszwecken; g) alle Gewerbs- und Handelsangelegenheiten, einschließlich der Schiffahrt, der Zölle und Banken, des Münz- und Bergwesens und der Regelung von Maß und Gewicht; h) die Reichsverbindungen durch Wasser- und Landstraßen, Eisenbahnen, Post und Telegraphen, überhaupt alle Reichsbauten; 41
i) alle die Wahrung der inneren Sicherheit des Reiches betreffenden Einrichtungen und Maßregeln; endlich k) alle Angelegenheiten, welche nicht durch die Reichsverfassung oder Reichsgesetze als Landesangelegenheiten erklärt werden. VII. Abschnitt. Von der gesetzgebenden Gewalt. §. 37. Die gesetzgebende Gewalt wird in Bezug auf die Reichsangelegenheiten von dem Kaiser im Vereine mit dem Reichstage, in Ansehung der Landesangelegenheiten von dem Kaiser im Vereine mit den Landtagen ausgeübt. VIII. Abschnitt. Von dem Reichstage. §. 38. Der allgemeine österreichische Reichstag soll aus zwei Häusern: dem Oberhause und dem Unterhause bestehen, und wird alljährlich im Frühjahre von dem Kaiser berufen. §. 40. Das Oberhaus wird gebildet aus Abgeordneten, welche für jedes Kronland von dessen Landtage gewählt werden. §. 41. Die Zahl der Abgeordneten für das Oberhaus beträgt die Hälfte der verfassungsmäßigen Zahl des Unterhauses. Die Vertheilung dieser Zahl wird durch das Wahlgesetz dergestalt bestimmt werden, daß jedes Kronland zwei Mitglieder seines Landtages als Abgeordnete zu senden hat, und die übrige Zahl nach dem Verhältnisse der Bevölkerung unter alle Kronländer vertheilt wird. §. 42. Die beiden aus jedem Kronlande zum Reichstage abgeordneten Landtagsmitglieder müssen im Vollgenusse der bürgerlichen und politischen Rechte, österreichische Reichsbürger wenigstens seit fünf Jahren, und mindestens vierzig Jahre alt seyn. Die anderen Mitglieder des Oberhauses können von den Landtagen nur aus jenen Reichsbürgern gewählt werden, welche die vorstehenden allgemeinen persönlichen Eigenschaften besitzen, und im Reiche wenigstens 500 Gulden Conventions-Münze an directer Steuer bezahlen. […] §. 43. Das Unterhaus wird durch directe Volkswahl gebildet. Wahlberechtigt ist jeder österreichische Reichsbürger, welcher großjährig, im Vollgenusse der bürgerlichen und politischen Rechte ist, und welcher entweder den durch das Wahlgesetz bestimmten Jahresbetrag an directer Steuer bezahlt, oder ohne Zahlung einer directen Steuer, nach seiner persönlichen Eigenschaft in einer Gemeinde eines österreichischen Kronlandes das active Wahlrecht besitzt. §. 44. Die Wahlen für das Unterhaus geschehen nach den Bezirken, und an den Orten, welche das Wahlgesetz bestimmt; dasselbe setzt auch die Zahl der Abgeordneten nach der Bevölkerung fest. Diese Zahl ist dergestalt zu bestimmen, daß auf je Einhunderttausend Seelen wenigstens Ein Abgeordneter entfällt. Das Wahlgesetz wird den im vorstehenden Paragraphe erwähnten Jahresbetrag der direkten Steuer in jedem Kronlande mit Beachtung der eigenthümlichen Verhältnisse desselben festsetzen, und dabei als Grundsatz festhalten, daß derselbe für das Land und für die Städte bis zehntausend Seelen [nicht unter fünf Gulden ConventionsMünze, und für die Städte über zehntausend Seelen] 1 nicht unter zehn Gulden Con1
Ein im RGBl. fehlender Teil wurde anhand der Wiener Zeitung, Nr. 57, 8.3.1849, S. 671 ergänzt.
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ventions-Münze betragen, und in keinem Fall höher als mit zwanzig Gulden Conventions-Münze bestimmt werden darf. §. 45. Um in das Unterhaus gewählt werden zu können, muß man selbst wahlberechtigt, im Vollgenusse der bürgerlichen und politischen Rechte, österreichischer Reichsbürger wenigstens seit fünf Jahren, und mindestens 30 Jahre alt seyn. §. 46. Jede Stimmgebung bei den Wahlen zum Ober- und Unterhause ist mündlich und öffentlich. §. 58. Ein Beschluß kann nur durch absolute Stimmenmehrheit zu Stande kommen. Bei Stimmengleichheit ist der in Berathung gezogene Antrag als verworfen anzusehen. §. 65. Dem Kaiser, sowie jedem der beiden Häuser, steht das Recht zu, Gesetze vorzuschlagen. §. 66. Die Uebereinstimmung des Kaisers und der beiden Häuser des Reichstages ist zu jedem Gesetze erforderlich. Anträge auf Erlassung von Gesetzen, welche durch eines der beiden Häuser oder durch den Kaiser abgelehnt worden sind, können in derselben Session nicht wieder vorgebracht werden. §. 67. Dem Reichstage steht die Theilnahme an der Gesetzgebung über jene Angelegenheiten zu, welche in dieser Reichsverfassung als Reichsangelegenheiten bezeichnet sind. §. 69. Der Kaiser vertagt und schließt den Reichstag, kann auch zu jeder Zeit die Auflösung des ganzen Reichstages oder eines seiner Häuser anordnen. […] IX. Abschnitt. Von den Landesverfassungen und den Landtagen. §. 70. Die im §. 1 aufgeführten Kronländer werden in den Angelegenheiten, welche die Reichsverfassung oder die Reichsgesetze als Landesangelegenheiten erklären, von den Landtagen vertreten. §. 71. Die Verfassung des Königreiches Ungarn wird in so weit aufrecht erhalten, daß die Bestimmungen, welche mit dieser Reichsverfassung nicht im Einklange stehen, außer Wirksamkeit treten, und daß die Gleichberechtigung aller Nationalitäten und landesüblichen Sprachen in a l l e n Verhältnissen des öffentlichen und bürgerlichen Lebens durch geeignete Institutionen gewährleistet wird. Ein besonderes Statut wird diese Verhältnisse regeln. §. 72. Der Woiwodschaft Serbien werden solchen Einrichtungen zugesichert, welche sich zur Wahrung ihrer Kirchengemeinschaft und Nationalität auf ältere Freiheitsbriefe und kaiserliche Erklärungen der neuesten Zeit stützen. Die Vereinigung der Woiwodschaft mit einem anderen Kronlande wird, nach Einvernehmung der Abgeordneten derselben, durch eine besondere Verfügung festgestellt werden. §. 73. In den Königreichen Croatien und Slavonien, mit Einschluß des dazu gehörigen Küstenlandes, dann der Stadt Fiume und dem dazu gehörigen Gebiete, werden deren eigenthümliche Institutionen, innerhalb des durch diese Reichsverfassung festgestellten Verbandes dieser Länder mit dem Reiche, in völliger Unabhängigkeit derselben 43
von dem Königreiche Ungarn aufrecht erhalten. Abgeordnete aus Dalmatien werden mit der Landescongregation dieser Königreiche, unter Vermittlung der vollziehenden Reichsgewalt, über den Anschluß und die Bedingungen desselben verhandeln, und das Ergebniß der Sanction des Kaisers unterziehen. §. 74. Die innere Gestaltung und Verfassung des Großfürstenthumes Siebenbürgen wird nach dem Grundsatze der völligen Unabhängigkeit von dem Königreiche Ungarn und der Gleichberechtigung aller das Land bewohnenden Nationen, im Einklange mit dieser Reichsverfassung, durch ein neues Landesstatut festgestellt werden. Die Rechte der sächsischen Nation werden innerhalb dieser Reichsverfassung aufrecht erhalten. §. 75. Das zum Schutze der Integrität des Reiches bestehende Institut der Militärgränze wird in seiner militärischen Organisation aufrecht erhalten, und bleibt als ein integrirender Bestandtheil des Reichsheeres der vollziehenden Reichsgewalt unterstellt. Ein eigenes Statut wird den Bewohnern der Militärgränze in Bezug auf ihre Besitzverhältnisse dieselben Erleichterungen gewährleisten, welche den Angehörigen der übrigen Kronländer ertheilt wurden. §. 76. Ein besonderes Statut wird die Verfassung des lombardisch-venetianischen Königreiches und das Verhältniß dieses Kronlandes zum Reiche feststellen. §. 77. Alle übrigen Kronländer erhalten eigene Landesverfassungen. Die ständischen Verfassungen treten außer Wirksamkeit. §. 78. Die Zusammensetzung der Landtage hat mit Beachtung aller Landesinteressen zu geschehen. Die Abgeordneten zu denselben werden durch directe Wahl berufen. §. 79. Die zum Wirkungskreise der Landesvertretung gehörigen Befugnisse werden entweder durch die Landtage selbst, oder durch die von ihnen gewählten Landesausschüsse geübt. §. 80. Jedem Landtage wird das Recht der Teilnahme an der Gesetzgebung in Landesangelegenheiten und des Gesetzesvorschlages, sowie das Recht, die Ausführung der Landesgesetze zu überwachen, gewährleistet. Die Uebereinstimmung des Kaisers und des Landtages ist zu jedem Landesgesetze erforderlich. X. Abschnitt. Von der vollziehenden Gewalt. §. 84. Die vollziehende Gewalt im ganzen Reiche und in allen Kronländern ist Eine und untheilbar. Sie steht ausschließend dem Kaiser zu, der sie durch verantwortliche Minister und die denselben untergeordneten Beamten und Bestellten ausübt. §. 87. Wenn der Reichstag oder der Landtag nicht versammelt ist, und dringende, in den Gesetzen nicht vorhergesehene Maßregeln mit Gefahr auf dem Verzuge für das Reich oder für ein Kronland erforderlich sind; so ist der Kaiser berechtiget, die nöthigen Verfügungen, unter Verantwortlichkeit des Ministeriums, mit provisorischer Gesetzeskraft zu treffen, jedoch mit der Verpflichtung, darüber dem Reichs- oder beziehungsweise Landtage die Gründe und Erfolge darzulegen.
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§. 91. Ueber die Verantwortlichkeit der Minister, über das gerichtliche Verfahren gegen dieselben, dann über deren Bestrafung im Falle der Verurtheilung, wird ein besonderes Gesetz bestimmen. §. 92. Für die einzelnen Kronländer ernennt der Kaiser Statthalter, welche als Organe der vollziehenden Gewalt die Handhabung der Reichs- und Landesgesetze zu überwachen, und die Leitung der inneren Angelegenheiten in dem Umfange ihres ämtlichen Gebietes zu besorgen berufen und verpflichtet sind. XI. Abschnitt. Von dem Reichsrathe. §. 96. An die Seite der Krone und der vollziehenden Reichsgewalt wird ein Reichsrath eingesetzt, dessen Bestimmung ein berathender Einfluß auf alle jene Angelegenheiten seyn soll, worüber er von der vollziehenden Reichsgewalt um sein Gutachten angegangen wird. §. 97. Die Mitglieder des Reichsrathes werden von dem Kaiser ernannt; bei deren Ernennung ist auf die verschiedenen Theile des Reiches mögliche Rücksicht zu nehmen. §. 98. Ein besonderes Gesetz wird die Einrichtung und den Wirkungskreis des Reichsrathes regeln. XII. Abschnitt. Von der richterlichen Gewalt. §. 99. Die richterliche Gewalt wird selbständig von den Gerichten geübt. §. 100. Alle Gerichtsbarkeit geht vom Reiche aus. Es sollen in Hinkunft keine PatrimonialGerichte bestehen. §. 101. Kein vom Staate bestellter Richter darf nach seiner definitiven Bestellung, außer durch richterlichen Spruch, von seinem Amte zeitweilig entfernt oder entlassen, noch auch ohne sein Ansuchen an einen anderen Dienstort überwiesen oder in den Ruhestand versetzt werden. […] §. 102. Rechtspflege und Verwaltung sollen getrennt und von einander unabhängig gestellt werden. Ueber Competenz-Conflicte zwischen den Verwaltungs- und Gerichtsbehörden entscheidet die durch das Gesetz zu bestimmende Behörde. XIII. Abschnitt. Von dem Reichsgerichte. §. 106. Es soll ein oberstes Reichsgericht eingesetzt werden, welches von Amtswegen oder auf geführte Klage in folgenden Fällen einzuschreiten haben wird: I. Als Schiedsgericht: bei Streitfragen zwischen dem Reiche und den einzelnen Kronländern oder zwischen einzelnen Kronländern unter sich, in so ferne der Gegenstand nicht in den Bereich der gesetzgebenden Rechtsgewalt gehört. II. Als oberste Instanz: bei Verletzungen der politischen Rechte. III. Als untersuchende und oberste richtende Behörde: a) bei Anklagen gegen die Minister und Statthalter, dann b) bei Verschwörungen und Attentaten gegen den Monarchen oder Regenten und in Fällen von Hoch- oder Landesverrath.
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XVI. Abschnitt. Allgemeine Bestimmungen. §. 120. In so lange die durch diese Reichsverfassung bedingten organischen Gesetze nicht im verfassungsmäßigen Wege zu Stande gekommen sind, werden die entsprechenden Verfügungen im Verordnungswege erlassen. §. 123. Änderungen dieser Reichsverfassung können im ersten Reichstage im gewöhnlichen Wege der Gesetzgebung beantragt werden. In den folgenden Reichstagen ist zu einem Beschlusse über solche Abänderungen in beiden Häusern die Gegenwart von mindestens drei Viertheilen aller Mitglieder, und die Zustimmung von mindestens zwei Drittheilen der Anwesenden erforderlich. So gegeben in Unserer königlichen Hauptstadt Olmütz den vierten März im Jahre des Heils Eintausend Acht Hundert Neun und Vierzig, Unserer Reiche im Ersten. 54. * Grundrechtspatent, 4. März 1849 4
Kaiserliches Patent vom 4. März 1849, für die Kronländer Oesterreich ob und unter der Enns, Salzburg, Steiermark, Kärnthen, Krain, Görz und Gradiska, Istrien, Triest, Tirol und Vorarlberg, Böhmen, Mähren, Schlesien, Galizien und Lodomerien, Krakau, Bukowina und Dalmatien, über die, durch die constitutionelle Staatsform gewährleisteten politischen Rechte. §. 1. Die volle Glaubensfreiheit und das Recht der häuslichen Ausübung des Religionsbekenntnisses ist Jedermann gewährleistet. Der Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte ist von dem Religionsbekennisse unabhängig, doch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntniß kein Abbruch geschehen. §. 2. Jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft hat das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsübung, ordnet und verwaltet ihre Angelegenheit selbständig, bleibt im Besitze und Genusse der für ihre Cultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonde, ist aber wie jede Gesellschaft den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen. §. 3. Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. Unterrichts- und Erziehungs-Anstalten zu gründen und an solchen Unterricht zu ertheilen, ist jeder Staatsbürger berechtigt, der seine Befähigung hierzu in gesetzlicher Weise nachgewiesen hat. Der häusliche Unterricht unterliegt keiner solchen Beschränkung. §. 4. Für allgemeine Volksbildung soll durch öffentliche Anstalten, und zwar in den Landestheilen, in denen eine gemischte Bevölkerung wohnt, der Art gesorgt werden, daß auch die Volksstämme, welche die Minderheit ausmachen, die erforderlichen Mittel zur Pflege ihrer Sprache und zur Ausbildung in derselben erhalten. Der Religionsunterricht in den Volksschulen wird von der betreffenden Kirche oder Religionsgesellschaft besorgt. Der Staat führt über das Unterrichts- und Erziehungswesen die Oberaufsicht. §. 5. Jedermann hat das Recht durch Wort, Schrift, Druck oder bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern. Die Presse darf nicht unter Censur gestellt werden. Gegen den Mißbrauch der Presse wird ein Repressivgesetz erlassen.
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§. 6. Das Petitionsrecht steht Jedermann zu. Petitionen unter einem Gesammtnamen dürfen nur von Behörden und gesetzlich anerkannten Körperschaften ausgehen. §. 7. Die österreichischen Staatsbürger haben das Recht sich zu versammeln und Vereine zu bilden, in soferne Zweck, Mittel oder Art und Weise der Versammlung oder Vereinigung weder rechtswidrig noch staatsgefährlich sind. Die Ausübung dieses Rechtes, so wie die Bedingungen, unter welchen Gesellschaftsrechte erworben, ausgeübt oder verloren werden, bestimmt das Gesetz. §. 8. Die Freiheit der Person ist gewährleistet. Die Verhaftung einer Person soll, außer im Falle der Ergreifung auf frischer That, nur in Kraft eines mit Gründen versehenen Befehles geschehen, welcher von dem Richter oder von einer, richterliche Function gesetzlich ausübenden, Behörde ergangen ist. Jeder solche Verhaftsbefehl ist dem Verhafteten sogleich bei seiner Anhaltung, oder spätestens vier und zwanzig Stunden nach derselben zuzustellen. §. 9. Die Sicherheitsbehörde muß Jeden, den sie in Verwahrung genommen hat, binnen acht und vierzig Stunden freilassen, oder dem zuständigen Gerichte überweisen. §. 10. Das Hausrecht ist unverletzlich. Eine Durchsuchung der Wohnung und der Papiere oder eine Beschlagnahme der letzteren ist nur in den gesetzlich bestimmten Fällen und Formen zulässig. §. 11. Das Briefgeheimniß darf nicht verletzt, und die Beschlagnahme von Briefen nur in Kriegsfällen oder auf Grund eines richterlichen Befehls vorgenommen werden. §. 12. Im Falle eines Krieges oder bei Unruhen im Innern können die Bestimmungen der vorstehenden §§. 5 bis einschließlich 11 zeitweilig und örtlich außer Wirksamkeit gesetzt werden. Ein Gesetz wird das Nähere hierüber bestimmen. 55. Provisorisches Gemeindegesetz, 17. März 1849 4
Provisorisches Gemeindegesetz. Allgemeine Bestimmungen. I. Die Grundfeste des freien Staates ist die freie Gemeinde. II. Der Wirkungskreis der freien Gemeinde ist: a) der natürliche, b) ein übertragener. III. Der natürliche umfaßt Alles, was das Interesse der Gemeinde zunächst berührt, und innerhalb ihrer Gränzen vollständig durchführbar ist. Er erhält nur mit Rücksicht auf das Gesammtwohl durch das Gesetz die nothwendigen Beschränkungen. Der übertragene umfaßt die Besorgung bestimmter öffentlicher Geschäfte, welche der Gemeinde vom Staate im Delegationswege zugewiesen werden.
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Erstes Hauptstück. Von der Ortsgemeinde. I. Abschnitt. Constituirung. §. 1. Unter der Ortsgemeinde versteht man in der Regel die als selbständiges Ganze vermessene Katastral-Gemeinde, in soferne nicht mehrere derselben bereits factisch eine einzige selbständige Ortsgemeinde bilden. II. Abschnitt. Von dem Wirkunsgkreise der Ortsgemeinde. §. 126. Der übertragene Wirkungskreis wird durch den Bürgermeister oder dessen Stellvertreter ausgeübt. Die Regierung kann denselben ganz oder theilweise auch durch von ihr bestellte Beamte versehen lassen. Zweites Hauptstück. Von der Bezirksgemeinde. I. Abschnitt. Constituirung. §. 142. Der Inbegriff sämmtlicher in einem Bezirke liegender Ortsgemeinden bildet die Bezirksgemeinde, und die Bezirkseintheilung fällt mit der untersten politischen Eintheilung zusammen. §. 143. Die Interessen des Bezirkes werden verwaltet durch den Bezirksausschuß unter der Leitung eines Obmannes. II. Abschnitt. Von dem Wirkungskreise des Bezirksausschusses. §. 149. Gegenstand der Verhandlung und Schlußfassung des Bezirksausschusses bilden alle Angelegenheiten, welche die Interessen des ganzen Bezirkes oder mehrerer zu demselben gehörender Ortsgemeinden innerhalb ihres natürlichen Wirkungskreises betreffen. Drittes Hauptstück. Von der Kreisgemeinde. I. Abschnitt. Constituirung. §. 159. Der Inbegriff sämmtlicher im Kreisgebiete liegenden Bezirksgemeinden bildet die Kreisgemeinde. §. 160. Die Interessen des Kreises werden verwaltet durch die Kreisvertretung unter der Leitung eines Obmannes. II. Abschnitt. Von dem Wirkungskreise der Kreisvertretung. §. 166. Gegenstand der Verhandlung und Schlußfassung der Kreisvertretung sind jene Angelegenheiten, welche den ganzen Kreis oder mehrere Bezirke betreffen, oder ihr vermöge der Orts- und Bezirksgemeinde-Verfassung vorbehalten sind.
Landesverfassung für das Herzogthum Steyermark. I. Vom Lande. §. 1. Das Herzogthum Steyermark ist ein untrennbarer Bestandtheil der österreichischen Erbmonarchie und ein Kronland dieses Kaiserthums. II. Von der Landesvertretung überhaupt. §. 7. Das Herzogthum Steyermark wird in den Landesangelegenheiten vom Landtage vertreten. III. Von dem Landtage. §. 11. Der Landtag des Herzogthums Steyermark wird mit Beachtung aller Landesinteressen zusammengesetzt, und besteht aus sechzig Abgeordneten, nämlich: a) aus zwanzig Abgeordneten der Höchstbesteuerten des Landes; b) aus zwanzig Abgeordneten der durch die Wahlordnung bezeichneten Städte und Märkte; c) aus zwanzig Abgeordneten der übrigen Gemeinden. §. 34. Der Kaiser im Vereine mit dem Landtage übt die gesetzgebende Gewalt in Landesangelegenheiten. §. 36. Zu jedem Landesgesetze ist die Uebereinstimmung des Kaisers und des Landtages erforderlich. […] 57. * Reichsratsstatut, 13. April 1851 4
Kaiserliches Patent vom 13. April 1851, wodurch das Statut für den Reichsrath erlassen und kundgemacht wird. Erster Abschnitt. Bestimmung und Stellung des Reichsrathes. §. 1. Der Reichsrath ist zur Berathung aller jener Angelegenheiten bestimmt, über welche er im Sinne des §. 7 dieses Statutes einen berathenden Einfluß auszuüben berufen, oder von Uns befragt, oder von Unserem Ministerrathe um sein Gutachten angegangen wird. §. 2. Die vorzügliche Aufgabe des Reichsrathes ist, Uns und Unser Ministerium durch seine Einsichten, Kenntnisse und Erfahrungen zu unterstützen, damit in der Gesetzgebung gediegene Reife und Einheit der leitenden Grundsätze erzielt werde. §. 3. Der Reichsrath ist ausschließend und unmittelbar Uns untergeordnet; seine Stellung zu Unserem Ministerium ist jene der Nebenordnung. §. 7. Der Reichsrath wird in allen Fragen der Gesetzgebung gehört, und die Anhörung desselben in der Kundmachung der Gesetze erwähnt. 58. Erster Augusterlass, 20. August 1851 4
Allerhöchstes Cabinetschreiben Seiner Majestät des Kaisers an den Ministerpräsidenten vom 20. August 1851. Lieber Fürst Schwarzenberg! Da die dermalen ausgesprochene Verantwortlichkeit des Ministeriums einer gesetzlichen Deutlichkeit und jeder genauen Bezeichnung ermangelt, so fühle Ich Mich durch Meine Regentenpflicht bestimmt, das Ministerium aus seinen zweifelhaften politischen Beziehungen in die ihm als Meinem Rathe und Meinem obersten Vollziehungsorgane zustehende gehörige Stellung zu bringen, dasselbe als allein und ausschließend ge49
genüber dem Monarchen und dem Throne verantwortlich zu erklären und es der Verantwortlichkeit gegenüber jeder anderen politischen Autorität zu entheben. […] 3. Das Ministerium und jeder Minister in seinem Zweige ist Mir für die genaue Beobachtung der bestehenden Gesetze und kaiserlichen Anordnungen in der Verwaltung verantwortlich. […] 4. Die ministerielle Gegenzeichnung hat sich von nun an auf die Kundmachung der Gesetze und kaiserlichen Verordnungen zu beschränken [...]. Diese Gegenzeichnung hat die Bedeutung der Gewährleistung, daß die bestimmten Formen beobachtet und die kaiserlichen Beschlüsse genau und richtig aufgenommen sind. [...] 59. Zweiter Augusterlass, 20. August 1851 4
Allerhöchstes Cabinetschreiben Seiner Majestät des Kaisers an den Reichsrathspräsidenten vom 20. August 1851. Lieber Freiherr von Kübeck! […] 1. Der Reichsrath ist von nun an nur als Mein Rath und als Rath der Krone anzusehen. 2. In Folge dieser Erklärung können Gesetz- und Verordnungsentwürfe oder sonstige Angelegenheiten künftig nicht mehr von dem Ministerium an den Reichsrath um sein Gutachten geleitet werden, sondern sind stets an Mich zu richten. Ich behalte Mir vor, von dem Reichsrathe mit Beachtung des §. 7 seines Statutes die Meinungen abzufordern, und die Erörterungen darüber entweder unter Meinem unmittelbaren Vorsitze oder unter jenem des Präsidenten anzuordnen. […] 3. Die Beiziehungen von Ministern oder ihrer Stellvertreter zu den Berathungen des Reichrathes behalte Ich Mir vor nach Umständen oder Erforderniß anzuordnen. 60. Dritter Augusterlass, 20. August 1851 4
Allerhöchstes Cabinetschreiben Seiner Majestät des Kaisers an den Ministerpräsidenten vom 20. August 1851. Lieber Fürst Schwarzenberg! Als unmittelbare Folge der Beschlüsse, welche Ich über die politische Stellung Meines Ministeriums gefaßt habe, finde Ich es eben so nothwendig als dringend, die Frage über den Bestand und die Möglichkeit der Vollziehung der Verfassung vom 4. März 1849 in reife und eindringliche Erwägung zu ziehen. Um über die Art und Weise, in welcher Ausdehnung diese Frage aufzufassen, welcher Gang der Untersuchung derselben zu beobachten, und in welchen Formen sie zu berathen sei, ein Gutachten zu erhalten, haben Sie mit Meinem Reichsrathspräsidenten Rücksprache zu pflegen, und Mir sobald als möglich die gemeinschaftlichen Vorschläge zu erstatten. Bei Erörterung dieser Frage, sowie bei jeder folgenden Verhandlung, ist das Princip und der Zweck der Aufrechthaltung aller Bedingungen der monarchischen Gestaltung und der staatlichen Einheit Meines Reiches unverrückt im Auge zu behalten, und als unabweisliche Grundlage aller Arbeiten anzusehen.
KAISERLICHES PATENT VOM 31. DECEMBER 1851, wirksam für den ganzen Umfang des Reiches. Wir Franz Joseph der Erste, von Gottes Gnaden Kaiser von Oesterreich; […] In Folge Unserer Anordnungen vom 20. August 1851, haben eindringende Untersuchungen der Verfassungs-Urkunde vom 4. März 1849, in Unserem Minister- und in Unserem Reichsrathe stattgefunden. Da nach dem Ergebnisse der gepflogenen Berathungen die bezogene Verfassungs-Urkunde weder in ihren Grundlagen den Verhältnissen des österreichischen Kaiserstaates angemessen, noch in dem Zusammenhange ihrer Bestimmungen ausführbar sich darstellt, so finden Wir Uns nach sorgfältiger Erwägung aller Gründe durch Unsere Regentenpflicht gedrungen, die erwähnte Verfassungs-Urkunde vom 4. März 1849 hiermit außer Kraft und gesetzliche Wirksamkeit zu erklären. Die Gleichheit aller Staatsangehörigen vor dem Gesetze, sowie die Unzulässigkeit und die durch besondere Gesetze gegen billige Entschädigung der früher Berechtigten erfolgte Abstellung jedes [...] Unterthänigkeits- oder Hörigkeits-Verbandes und der damit verbundenen Leistungen werden ausdrücklich bestätiget. […] 62. * Zweites Silvesterpatent, 31. Dezember 1851 4
KAISERLICHES PATENT VOM 31. DECEMBER 1851. Wir Franz Joseph der Erste, von Gottes Gnaden Kaiser von Oesterreich; […] In Folge der Gründe, welche Uns durch Vernehmung des Minister- und des Reichsrathes vorgetragen wurden, sehen Wir Uns bestimmt, das erwähnte Patent vom 4. März 1849 und die darin für die bezeichneten Kronländer verkündeten Grundrechte hiermit ausser Kraft und gesetzliche Wirksamkeit zu setzen. In so ferne über die einzelnen Puncte jener Grundrechte nicht bereits besondere Bestimmungen erfolgt sind, behalten Wir Uns es vor, solche durch eigene Gesetze zu regeln. Wir erklären jedoch durch gegenwärtiges Patent ausdrücklich, dass Wir jede in den Eingangs erwähnten Kronländern gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft in dem Rechte der gemeinsamen öffentlichen Religionsübung, dann in der selbständigen Verwaltung ihrer Angelegenheiten, ferner im Besitze und Genusse der für ihre Cultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeits-Zwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonde erhalten und schützen wollen, wobei dieselben den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen bleiben. […] 63. * Verfassungsgrundsätze 1852 4
Allerhöchstes Cabinetschreiben Seiner Majestät des Kaisers vom 31. December 1851, an den Minister-Präsidenten, wodurch die für die organische Gesetzgebung des Reiches festgestellten Grundsätze mit dem Auftrage mitgetheilt werden, dass ohne alle Verzögerung von den Ministerien zu den Arbeiten der Ausführung geschritten und die Resultate sofort Seiner Majestät vorgelegt werden sollen. Lieber Fürst Schwarzenberg! Mit Beziehung auf das Patent vom heutigen Tage erhalten Sie in der Beilage die von Mir nach Anhörung Meines Minister- und Meines Reichsrathes in den zunächst wichtigsten und dringendsten Richtungen der organischen Gesetzgebung festgestell51
ten Grundsätze, mit dem Auftrage, dafür zu sorgen, dass ohne alle Verzögerung von den Ministerien, die es betrifft, zu den Arbeiten der Ausführung in angemessener Weise geschritten und die Resultate Mir vorgelegt werden. Wien am 31. December 1851. Franz Joseph m. p. [Beilage] Grundsätze für organische Einrichtungen in den Kronländern des österreichischen Kaiserstaates. 1. Die unter den alten historischen oder neuen Titeln mit dem österreichischen Kaiserstaate vereinigten Länder bilden die untrennbaren Bestandtheile der österreichischen kaiserlichen Erb-Monarchie. 4. In jedem Kronlande sind landesfürstliche Bezirksämter (unter den üblichen Landesbenennungen) in angemessenen Bereichen aufzustellen und in denselben so viel als möglich die verschiedenen Verwaltungszweige inner bestimmten Gränzen der Wirksamkeit zu vereinigen. 19. Die Trennung der Justizpflege von den Verwaltungsbehörden soll bei den Justiz-Collegialgerichten, dann den zweiten und dritten Instanzen allgemein, bei den ersten Instanzen aber im lombardisch-venetianischen Königreiche und dort, wo es als unerläßlich anerkannt wird, stattfinden. Sonst ist bei den Einzelgerichten als ersten Instanzen die Vereinigung mit der Verwaltung im Bezirksamte anzunehmen. In der inneren Einrichtung dieser Bezirksämter (s. Punct 4) kann aber nach Umständen ein eigener Gerichts- oder politischer Beamter zugetheilt werden, je nachdem die Verhältnisse es erfordern. 25. Bei Uebertretungen und Vergehen, insoferne die letzteren den Bezirksämtern zugewiesen sind, findet das inquisitorische Verfahren in möglichst einfacher Form Statt. 26. In den Strafsachen, welche von den Collegialgerichten zu verhandeln sind, ist der Grundsatz der Anklage, der Bestellung eines Vertheidigers für den Angeklagten und der Mündlichkeit im Schlußverfahren zu beobachten. 27. Das Verfahren ist nicht öffentlich, es wird aber bei der mündlichen Verhandlung in erster Instanz dem Angeklagten mit Bewilligung des Präsidenten, sowie dem letzteren das Recht eingeräumt, Zuhörer bis auf eine bestimmte Zahl zuzulassen. 28. Die Anklage ist durch die Staatsanwaltschaft zu vermitteln, deren Wirkungskreis auf den Strafprozeß zu beschränken ist. 29. Die Schwurgerichte sind zu beseitigen. 33. Das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch soll als das gemeinsame Recht für alle Angehörige des österreichischen Staates auch in jenen Ländern, in welchen es dermalen noch nicht Geltung hat, nach und mit den angemessenen Vorbereitungen, dann mit Beachtung der eigenthümlichen Verhältnisse derselben, eingeführt, und ebenso das Strafgesetz für den ganzen Umfang des Reiches in Wirksamkeit gesetzt werden. 34. In den Kronländern werden eigene Statute über den ständischen oder den mit einem zu bestimmenden Grundbesitze versehenen Erbadel, seine Vorzüge und Pflichten errichtet, […] Bei der Bauernschaft sind dort, wo besondere Vorschriften zur Erhaltung ihrer Gütercomplexe bestehen, solche aufrecht zu erhalten. 35. Den Kreisbehörden und Statthaltereien werden berathende Ausschüsse aus dem besitzenden Erbadel, dem großen und kleinen Grundbesitze und der Industrie mit gehöriger Bezeichnung der Objecte und des Umfanges ihrer Wirksamkeit an die Seite gestellt. […]
Gemeinde-Gesetz. Erster Theil. Bestimmung, Bildung und Erhaltung der Ortsgemeinden. Erstes Hauptstück. Von den Ortsgemeinden im Allgemeinen. §. 1. Die Ortsgemeinde ist bestimmt, sowohl: a) die inneren Gemeinde-Angelegenheiten, d.h. die ihr als Körperschaft und deren Gliedern zustehenden gemeinschaftlichen Interessen wahrzunehmen und zu befördern, als auch b) diejenigen öffentlichen Angelegenheiten zu besorgen, die ihr das Gesetz oder besondere Anordnungen für den Umfang der Gemeindegemarkung übertragen. §. 2. In den Ländern, in denen das Gemeindegesetz vom 17. März 1849 zur Ausführung gelangt ist, haben die in Folge desselben als Ortsgemeinden anerkannten Gemeinden fortan als Ortsgemeinden zu bestehen. [...] Zweites Hauptstück. Von den örtlichen (Territorial-) Beziehungen der Ortsgemeinden und Gutsgebiete. §. 13. Der vormals herrschaftliche Grundbesitz in den im §. 2 nicht begriffenen, jedoch dem gegenwärtigen Gesetze unterliegenden Ländern, der bis zum Jahre 1848 keinen Bestandtheil einer ehemals unterthänigen oder einer städtischen Gemeinde ausmachte, ist vom Gemeindeverbande gesondert zu belassen, wenn die Bedingungen dieser Sonderung eintreten und der Besitzer die Einverleibung in eine oder mehrere Gemeinden nicht ansucht. Wurde in den gedachten Ländern ein solcher Grundbesitzer in Folge der seit dem Jahre 1848 in der Einrichtung der Gemeinden eingetretenen Aenderungen oder in den im §. 2 begriffenen Ländern ein vormals herrschaftlicher Grundbesitz in Folge der Ausführung des Gemeindegesetzes vom 17. März 1849 einer oder mehreren Gemeinden einverleibt, so kann, wenn die Erfordernisse der gesonderten Behandlung dieses Grundbesitzes erfüllt sind, der letztere aus dem Gemeindeverbande wieder ausgeschieden werden. 65. Gesetz über die Ehen der Katholiken im Kaisertum Österreich, 8. Oktober 1856 4
[Kundmachungspatent] ... Um die Vorschriften des bürgerlichen Rechtes über die Ehen der Katholiken mit den Anordnungen der katholischen Kirche in Einklang zu setzen, haben Wir infolge unseres Patentes vom 5. November 1855 (Nr. 195 des ReichsGesetz-Blattes) und in Ausführung [...] Unserer, mit dem heiligen Stuhle getroffenen Vereinbarung, nach Vernehmung Unserer Minister und Anhörung Unseres Reichsrathes, beschlossen, über die Eheangelegenheiten Unserer katholischen Unterthanen, insoweit sie dem Bereiche der bürgerlichen Gesetzgebung angehören, das nachstehende Gesetz [...] für den ganzen Umfang Unseres Reiches zu erlassen, und verordnen zur allgemeinen Darnachachtung, wie folgt: Anhang I. Gesetz Über die Ehen der Katholiken im Kaiserthume Oesterreich. §. 3. Es ist keinem Katholiken erlaubt, sich im Kaiserthume Oesterreich anders zu verehlichen, als mit Beobachtung aller Vorschriften, welche das Kirchengesetz über die Giltigkeit der Ehe aufstellt. [...] 53
Kaiserliches Patent vom 5. März 1860, womit eine Verstärkung des Reichsrathes durch außerordentliche Reichsräthe angeordnet wird, und die Bestimmungen über die Zusammensetzung und den Wirkungskreis des verstärkten Reichsrathes getroffen werden. §. 1. Zu außerordentlichen Reichsräthen, welche diesen periodischen Berathungen beizuwohnen haben, werden Wir ernennen: 1. Erzherzoge Unseres kaiserlichen Hauses; 2. einige der höheren kirchlichen Würdenträger; 3. einige Männer, welche sich in Unserem Zivil- und Militärdienste oder in anderer Weise ausgezeichnet haben; 4. Achtunddreißig Mitglieder der Landesvertretungen und zwar: aus dem Königreiche Ungarn sechs, […] aus dem Erzherzogthume Oesterreich unter der Enns zwei, aus dem Erzherzogthume Oesterreich ob der Enns Einen, aus dem Herzogthume Salzburg Einen, aus dem Herzogthume Steiermark Einen, aus dem Herzogthume Kärnthen Einen, aus der gefürsteten Grafschaft Tirol zwei und für Vorarlberg Einen […]. §. 2. Der verstärkte Reichsrath wird von Uns periodisch zur Berathung der im folgenden Paragraphe ihm zugewiesenen Gegenstände einberufen werden. §. 3. Der Berathung in dem verstärkten Reichsrathe sind zu unterziehen: 1. Feststellung des Staatsvoranschlages, Prüfung der Staats-Rechnungsabschlüsse, die Vorlagen der Staats-Schuldencommission; 2. alle wichtigeren Entwürfe in Sachen der allgemeinen Gesetzgebung; 3. die Vorlagen der Landesvertretungen. Wir behalten Uns vor auch andere Angelegenheiten den Berathungen des verstärkten Reichsrathes zuzuweisen. §. 4. Dem verstärkten Reichrathe steht eine Initiative zur Vorlegung von Gesetz- oder Verordnungsvorschlägen nicht zu. Sollte er jedoch bei Berathung einer ihm zugewiesenen Vorlage Anlaß finden, Lücken, Mängel oder Bedürfnisse in der auf dieselbe bezüglichen Gesetzgebung hervorzuheben, so ist er berufen, sie gleichzeitig mit der Abgabe seines Gutachtens bei Uns zur Sprache zu bringen. 67. Kompetenzerweiterung des Reichsrats, 17. Juli 1860 4
Allerhöchstes Handschreiben Seiner Majestät des Kaisers an den durchlauchtigsten Herrn Erzherzog-Reichraths-Präsidenten vom 17. Juli 1860. Lieber Herr Vetter Erzherzog Rainer! Ich habe beschlossen, künftig die Einführung neuer Steuern und Auflagen, dann die Erhöhung der bestehenden Steuer- und Gebührensätze bei den directen Steuern, bei der Verzehrungssteuer und bei den Gebühren von Rechtsgeschäften, Urkunden, Schriften und Amtshandlungen, endlich die Aufnahme neuer Anlehen, nur mit Zustimmung Meines verstärkten Reichsrathes anzuordnen, und Mir eine Ausnahme 54
hievon bloß im Falle einer Kriegsgefahr in soferne vorzubehalten, als Ich Mich mit Rücksicht auf die Verhältnisse zu einer außerordentlichen Einberufung Meines verstärkten Reichsrathes nicht bestimmt finden sollte. […] 68. * Oktoberdiplom 1860 4
Kaiserliches Diplom vom 20. October 1860, zur Regelung der inneren staatsrechtlichen Verhältnisse der Monarchie. Wir Franz Joseph der Erste, von Gottes Gnaden Kaiser von Oesterreich; […] thun hiermit Jedermann zu wissen: Nachdem Unsere Vorfahren glorreichen Andenkens in weiser Sorgfalt in Unserem durchlauchtigsten Hause eine bestimmte Form der Erbfolge aufzurichten bestrebt waren, hat die von weiland Seiner k. k. Apostolischen Majestät Kaiser Carl dem VI. am 19. April 1713 endgiltig und unabänderlich festgesetzte Successionsordnung in dem unter dem Namen der pragmatischen Sanction bekannten, von den gesetzlichen Ständen Unserer verschiedenen Königreiche und Länder angenommenen in Kraft bestehenden Staats-, Grund- und Hausgesetze, ihren Abschluß gefunden. […] Im Interesse Unseres Hauses und Unserer Unterthanen ist es Unsere Regentenpflicht, die Machtstellung der österreichischen Monarchie zu wahren und ihrer Sicherheit die Bürgschaften klar und unzweideutig feststehender Rechtszustände und einträchtigen Zusammenwirkens zu verleihen. Nur solche Institutionen und Rechtszustände, welche dem geschichtlichen Rechtsbewußtsein, der bestehenden Verschiedenheit Unserer Königreiche und Länder und den Anforderungen ihres untheilbaren und unzertrennlichen kräftigen Verbandes gleichmäßig entsprechen, können diese Bürgschaften im vollen Maße gewähren. In Berücksichtigung, daß die Elemente gemeinsamer organischer Einrichtungen und einträchtigen Zusammenwirkens durch die Gleichheit Unserer Unterthanen vor dem Gesetze, die Allen verbürgte freie Religionsübung, die von Stand und Geburt unabhängige Aemterfähigkeit und die Allen obliegende gemeinsame und gleiche Wehrund Steuerpflichtigkeit, durch die Beseitigung der Frohnen und die Aufhebung der Zwischenzoll-Linie in Unserer Monarchie sich erweitert und gekräftigt haben; – in Erwägung ferner, daß bei der Concentrirung der Staatsgewalt in allen Ländern des europäischen Festlandes die gemeinsame Verhandlung der höchsten Staatsaufgaben für die Sicherheit Unserer Monarchie und die Wohlfahrt ihrer einzelnen Länder eine unabweisliche Nothwendigkeit geworden ist, – haben Wir zur Ausgleichung der früher zwischen Unseren Königreichen und Ländern bestandenen Verschiedenheiten und behufs einer zweckmäßig geregelten Theilnahme Unserer Unterthanen an der Gesetzgebung und Verwaltung auf Grundlage der pragmatischen Sanction und Kraft Unserer Machtvollkommenheit Nachstehendes als ein beständiges und unwiderrufliches Staatsgrundgesetz zu Unserer eigenen, so auch zur Richtschnur Unserer gesetzlichen Nachkommen in der Regierung zu beschließen und zu verordnen befunden: I. Das Recht, Gesetze zu geben, abzuändern und aufzuheben, wird von Uns und Unseren Nachfolgern nur unter Mitwirkung der gesetzlich versammelten Landtage, beziehungsweise des Reichsrathes, ausgeübt werden, zu welchem die Landtage die von Uns festgesetzte Zahl Mitglieder zu entsenden haben. II. Es sollen alle Gegenstände der Gesetzgebung, welche sich auf Rechte, Pflichten und Interessen beziehen, die allen Unseren Königreichen und Ländern gemeinschaftlich sind, namentlich die Gesetzgebung über das Münz-, Geld- und Creditwesen über die Zölle und Handelssachen; ferner über die Grundsätze des Zettelbankwesens; die Gesetzgebung in Betreff der Grundsätze des Post-, Telegraphen- und Eisenbahnwesens; über die Art und Weise und die Ordnung der Militärpflichtigkeit in Zukunft in und mit dem Reichsrathe verhandelt und unter seiner Mitwirkung verfassungsmäßig erle55
digt werden, sowie die Einführung neuer Steuern und Auflagen, dann die Erhöhung der bestehenden Steuern und Gebührensätze, insbesondere die Erhöhung des Salzpreises und die Aufnahme neuer Anlehen, gemäß Unserer Entschließung vom 17. Juli 1860; desgleichen die Convertirung bestehender Staatsschulden und die Veräußerung, Umwandlung oder Belastung des unbeweglichen Staatseigenthumes, nur mit Zustimmung des Reichsrathes angeordnet werden soll; – endlich die Prüfung und Feststellung der Voranschläge der Staatsauslagen für das zukünftige Jahr, sowie die Prüfung der Staatsrechnungsabschlüsse und der Resultate der jährlichen Finanzgebahrung unter Mitwirkung des Reichsrathes zu erfolgen hat. III. Alle anderen Gegenstände der Gesetzgebung, welche in den vorhergehenden Puncten nicht enthalten sind, werden in und mit den betreffenden Landtagen und zwar in den zur ungarischen Krone gehörigen Königreichen und Ländern im Sinne ihrer früheren Verfassungen, in Unseren übrigen Königreichen und Ländern aber im Sinne und in Gemäßheit ihrer Landesordnungen verfassungsmäßig erledigt werden. Nachdem jedoch mit Ausnahme der Länder der ungarischen Krone auch in Betreff solcher Gegenstände der Gesetzgebung, welche nicht der ausschließlichen Competenz des gesammten Reichsrathes zukommen, seit einer langen Reihe von Jahren für Unsere übrigen Länder eine gemeinsamen Behandlung und Entscheidung stattgefunden hat, behalten Wir Uns vor, auch solche Gegenstände mit verfassungsmäßiger Mitwirkung des Reichsrathes unter Zuziehung der Reichsräthe dieser Länder behandeln zu lassen. Eine gemeinsame Behandlung kann auch stattfinden, wenn eine solche in Betreff der der Competenz des Reichsrathes nicht vorbehaltenen Gegenstände von dem betreffenden Landtage gewünscht und beantragt werden sollte. IV. Dieses kaiserliche Diplom soll sofort in den Landes-Archiven Unserer Königreiche und Länder aufbewahrt, seiner Zeit in die Landesgesetze im authentischen Texte und in den Landessprachen eingetragen werden. Unsere Nachfolger haben dasselbe Diplom sogleich bei Ihrer Thronbesteigung in gleicher Weise mit Ihrer kaiserlichen Unterschrift versehen, an die einzelnen Königreiche und Länder auszufertigen, wo dasselbe in die Landesgesetze einzutragen ist. […] 69. Landesvertretungsstatut Steiermark 1860 4
Kaiserliches Patent vom 20. October 1860, womit das Statut über die Landesvertretung im Herzogthume Steiermark erlassen wird. Statut über die Landesvertretung des Herzogthums Steiermark. Erstes Hauptstück. Zusammensetzung des Landtages. §. 1. Im Herzogthume Steiermark hat als Landesvertretung zur Berathung und Besorgung der in diesem Statute bezeichneten Landesangelegenheiten der Landtag und der ständige Landtagsausschuß zu bestehen. §. 2. Der Landtag besteht aus Vertretern A. der Geistlichkeit, B. des begüterten Adels und des sonstigen großen Grundbesitzes, C. der Städte, sowie der Handels- und Gewerbekammern, und D. der übrigen Gemeinden.
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Zweites Hauptstück. Ueber die Wirksamkeit des Landtages. §. 24. Der Landtag ist berechtiget, in den die Wohlfahrt und Bedürfnisse Steiermarks betreffenden Gegenständen nach bestem Wissen und Gewissen die Wünsche oder Beschwerden des Landes auszusprechen und die Anträge und Bitten entweder unmittelbar oder nach eigenem Ermessen im Wege des Statthalters an den Kaiser gelangen zu lassen. 70. * Februarpatent, 26. Februar 1861 4
Patent vom 26. Februar 1861. I. Rücksichtlich der Zusammensetzung des zur Reichsvertretung berufenen Reichsrathes und des ihm in Unserem Diplome vom 20. October 1860 vorbehaltenen Rechtes der Mitwirkung bei der Gesetzgebung, genehmigen Wir das beiliegende Gesetz über die Reichsvertretung und verleihen ihm hiemit für die Gesammtheit Unserer Königreiche und Länder die Kraft eines Staats-Grundgesetzes. II. In Bezug auf Unsere Königreiche Ungarn, Kroatien und Slawonien, sowie auf Unser Großfürstenthum Siebenbürgen, haben Wir in Absicht auf die Wiederherstellung der früheren Landesverfassungen im Einklange mit Unserem erwähnten Diplome und innerhalb der in demselben festgesetzten Gränzen, mittelst Unserer Handschreiben vom 20. October 1860 bereits die geeigneten Verfügungen getroffen. III. Für Unsere Königreiche: Böhmen, Dalmatien, Galizien und Lodomerien mit den Herzogthümern Auschwitz und Zator und dem Großherzogthume Krakau; Unsere Erzherzogthümer: Oesterreich unter der Enns, und Oesterreich ob der Enns; Unsere Herzogthümer: Krain, Bukowina; Unsere Markgrafschaft: Mähren; Unser Herzogthum: Ober- und Nieder-Schlesien; Unsere Markgrafschaft Istrien sammt den gefürsteten Grafschaften Görz und Gradiska und der Stadt Triest mit ihrem Gebiete; und für das Land Vorarlberg finden Wir, um die Rechte und Freiheiten der getreuen Stände dieser Königreiche und Länder nach den Verhältnissen und Bedürfnissen der Gegenwart zu entwickeln, umzubilden, und mit den Interessen der Gesammtmonarchie in Einklang zu bringen, die beiliegenden Landesordnungen und Wahlordnungen zu genehmigen und verleihen jeder einzelnen für das betreffende Land die Kraft eines Staats-Grundgesetzes. […] VI. Nachdem theils durch die vorausgängigen Grundgesetze, theils durch die wieder ins Leben gerufenen, theils durch die mittelst der neuen Grundgesetze geschaffenen Verfassungen das Fundament der staatsrechtlichen Verhältnisse Unseres Reiches festgestellt, und insbesondere die Vertretung Unserer Völker gegliedert, auch ihre Theilnahme an der Gesetzgebung und Verwaltung geordnet ist, – so verkünden Wir hiemit diesen ganzen Inbegriff von Grundgesetzen als die Verfassung Unseres Reiches, wollen und werden unter dem Schutze des Allmächtigen diese hiemit feierlich verkündeten und angelobten Normen nicht nur selbst unverbrüchlich befolgen und halten, sondern verpflichten auch Unsere Nachfolger in der Regierung sie unverbrüchlich zu befolgen, zu halten, und dieß auch bei ihrer Thronbesteigung in dem darüber zu erlassenden Manifeste anzugeloben. […]
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71. * Grundgesetz über die Reichsvertretung, 26. Februar 1861 4
Grundgesetz über die Reichsvertretung. §. 1. Zur Reichsvertretung ist der Reichsrath berufen. Der Reichsrath besteht aus dem Herrenhause und dem Hause der Abgeordneten. §. 10. Der Wirkungskreis des gesammten Reichsrathes umfaßt nach dem Art. II des Diploms vom 20. October 1860 alle Gegenstände der Gesetzgebung, welche sich auf Rechte, Pflichten und Interessen beziehen, die allen Königreichen und Ländern gemeinschaftlich sind. Solche sind namentlich: a) Alle Angelegenheiten, welche sich auf die Art und Weise, sowie auf die Ordnung der Militärpflicht beziehen; b) alle Angelegenheiten, welche die Regelung des Geld-, Credits-, Münz- und Zettelbankwesens, die Zölle und Handelssachen, die Grundsätze des Post-, Eisenbahn- und Telegraphenwesens betreffen; c) alle Angelegenheiten der Reichsfinanzen überhaupt; insbesondere die Voranschläge des Staatshaushaltes, die Prüfung der Staatsrechnungsabschlüsse und der Resultate der Finanzgebarung, die Aufnahme neuer Anleihen, die Convertirung bestehender Staatsschulden, die Veräußerung, Umwandlung, Belastung des unbeweglichen Staatsvermögens, die Erhöhung bestehender und die Einführung neuer Steuern, Abgaben und Gefälle. Die Steuern, Abgaben und Gefälle werden nach den bestehenden Gesetzen eingehoben, in solange diese nicht verfassungsmäßig geändert werden. Die Staatsschuld ist unter die Controle des Reichsrathes gestellt. §. 11. Gegenstände der Gesetzgebung, welche allen Königreichen und Ländern, mit Ausnahme der Länder der ungarischen Krone, gemeinsam sind, gehören nach dem III. Artikel des Diploms vom 20. October 1860 zum verfassungsmäßigen Wirkungskreise des Reichsrathes ohne Zuziehung der Mitglieder aus den Ländern der ungarischen Krone. Zu diesem engeren Reichsrathe gehören demnach, mit Ausnahme der im §. 10 aufgezählten Angelegenheiten, alle Gegenstände der Gesetzgebung, welche nicht ausdrücklich durch die Landesordnungen den einzelnen im engeren Reichsrathe vertretenen Landtagen vorbehalten sind. Dasselbe gilt auch rücksichtlich solcher den Landtagen vorbehaltener Gegenstände in dem Falle, wenn die gemeinsame Behandlung von dem betreffenden Landtage beantragt wird. Bei vorkommenden Zweifeln rücksichtlich der Competenz des engeren Reichsrathes in gemeinsamen Gesetzgebungsangelegenheiten gegenüber der Competenz eines einzelnen, im engeren Reichsrathe vertretenen Landtages, entscheidet auf Antrag des engeren Reichsrathes der Kaiser.
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72. Landesordnung und Landtagswahlordnung Steiermark, 26. Februar 1861 4
Landes-Ordnung und Landtags-Wahlordnung für das Herzogthum Steiermark. Landes-Ordnung. Erstes Hauptstück. Von der Landesvertretung überhaupt. §. 1. Das Herzogthum Steiermark wird in Landesangelegenheiten vom Landtage vertreten. §. 2. Die zum Wirkungskreise der Landesvertretung gehörigen Befugnisse werden entweder durch den Landtag selbst, oder durch den Landesausschuß ausgeübt. §. 3. Der Landtag besteht aus dreiundsechzig Mitgliedern, nämlich: a) den Fürstbischöfen von Seckau und von Lavant; b) dem Rector magnificus der Gratzer Universität, dann c) aus sechzig gewählten Abgeordneten, und zwar: I. aus zwölf Abgeordneten des großen Grundbesitzes, II. aus fünfundzwanzig Abgeordneten der durch die Wahlordnung bezeichneten Städte und Märkte, dann der Handels- und Gewerbekammern, III. aus dreiundzwanzig Abgeordneten der übrigen Gemeinden des Herzogthums Steiermark. Zweites Hauptstück. Wirkungskreise der Landesvertretung. I. Wirkungskreis des Landtages. §. 16. Der Landtag ist berufen, bei der Ausübung der gesetzgebenden Gewalt nach Maßgabe der Bestimmungen des kaiserlichen Diploms vom 20. October 1860, Nr. 226 R. G. B. mitzuwirken und hat die durch §. 6 des Grundgesetzes über die Reichsvertretung festgesetzte Zahl von dreizehn Mitgliedern in das Haus der Abgeordneten des Reichsrathes zu entsenden. […] 73. Reichsgemeindegesetz, 5. März 1862 4
Gesetz vom 5. März 1862, […] womit die grundsätzlichen Bestimmungen zur Regelung des Gemeindewesens vorgezeichnet werden. Artikel I. Jede Liegenschaft muß zum Verbande einer Ortsgemeinde gehören. Ausgenommen hievon sind die zur Wohnung oder zum vorübergehenden Aufenthalte des Kaisers und des Allerhöchsten Hofes bestimmten Residenzen, Schlösser und andere Gebäude nebst den dazu gehörigen Gärten und Parkanlagen. Das Landesgesetz bestimmt, ob und unter welchen Bedingungen der Großgrundbesitz von dem Verbande einer Ortsgemeinde geschieden behandelt werden könne. Jedenfalls darf diese Behandlung nur unter der Bedingung Platz greifen, daß der geschiedene Grundbesitz die Pflichten und Leistungen einer Ortsgemeinde übernimmt, ohne daß ihm eine andere Amtswirksamkeit, als zur erfüllung dieser Pflichten und Leistungen nothwendig ist, zugewiesen werden kann. Artikel IV. Der Wirkungskreis der Gemeinde ist ein doppelter: a) ein selbständiger, und b) ein übertragener. 59
Artikel V. Der selbständige, das ist derjenige Wirkungskreis, in welchem die Gemeinde mit Beobachtung der bestehenden Reichs- und Landesgesetze nach freier Selbstbestimmung anordnen und verfügen kann, umfaßt überhaupt Alles, was das Interesse der Gemeinde zunächst berührt und innerhalb ihrer Gränzen durch ihre eigenen Kräfte besorgt und durchgeführt werden kann. […] Artikel VI. Den übertragenen Wirkungskreis der Gemeinden, das ist die Verpflichtung derselben zur Mitwirkung für die Zwecke der öffentlichen Verwaltung, bestimmen die allgemeinen Gesetze und innerhalb derselben die Landesgesetze. Artikel VIII. Die Gemeinde wird in ihren Angelegenheiten durch einen Gemeindeausschuß und einen Gemeindevorstand vertreten. Die Gemeinde wählt periodisch ihre Vertretung. Das Landesgesetz bestimmt, ob und in wieferne auch ohne Wahl Gemeindemitglieder, sei es persönlich oder durch Stellvertreter, an der Gemeindevertretung Theil nehmen können. 74. * Gemeinde-Wahlordnung für das Land Vorarlberg 1864 4
§. 1. Wahlberechtigt sind nachstehende Gemeindeglieder, insoferne sie österreichische Staatsbürger sind: 1. Die im §. 6 der Gemeindeordnung, Z. 1, aufgeführten Bürger, wenn sie eine directe Steuer zahlen, oder von der Gemeinde zur Vermögensteuer einbezogen werden, und die Ehrenbürger. 2. Von den in §. 6 der Gemeindeordnung, Z. 2, bezeichneten Gemeindegliedern folgende: [Seelsorger der christlichen Konfessionen, Rabbiner, Beamte, pensionierte Officiere, „Doctoren, welche ihren akademischen Grad an einer inländischen Universität erhalten haben“, Oberlehrer/Leiter der Volksschulen, Lehrer an höheren Lehranstalten]. §. 12. Zum Behufe der Wahl des Gemeindeausschusses ist vom Gemeindevorsteher ein genaues Verzeichniß aller wahlberechtigten Gemeindeglieder in der Art anzufertigen, daß darin zu oberst die Ehrenbürger, dann die im §. 1 sub 2 bezeichneten Gemeindeglieder unter Angabe ihrer allfälligen in der Gemeinde vorgeschriebenen Jahresschuldigkeit an directen Steuern, dann die übrigen wahlberechtigten Gemeindemitglieder nach der Höhe der auf jeden entfallenden, in der Gemeinde vorgeschriebenen Jahresschuldigkeit an directen Steuern in absteigender Ordnung gereiht angesetzt und diesen diejenigen beigesetzt werden, welche nur in die Vermögensteuer einbezogen werden. Neben den Namen sind die bezüglichen Steuerbeträge ersichtlich zu machen. Kommen zwei oder mehrere Wahlberechtigte mit gleicher Steuerschuldigkeit vor, so ist der an Jahren Aeltere dem Jüngeren vorzusetzen. Am Schlusse des Verzeichnisses ist die Summe aller Steuer-Jahresschuldigkeiten zu ziehen. §. 13. Auf Grundlage dieses Verzeichnisses ist zur Bildung der Wahlkörper zu schreiten. In der Regel sind drei Wahlkörper zu bilden, nur ausnahmsweise, wenn die Zahl der Wahlberechtigten gering und der Abstand zwischen den einzelnen Steuerschuldigkeiten unbedeutend ist, können nach dem Ermessen der Gemeindevertretung zwei Wahlkörper gebildet werden. 60
Die Entscheidung hierüber steht dem Landesausschusse zu. Behufs der Bildung der Wahlkörper ist die im obigen Verzeichnisse ausgewiesene Gesammtsteuersumme in drei, beziehungsweise zwei gleiche Theile zu theilen. Die Wahlberechtigten, welche nach den fortlaufenden Zahlen des gedachten Verzeichnisses das erste Drittel der Gesammtsteuersumme entrichten, gehören in den ersten, jene, welche das zweite Drittel dieser Summe entrichten, in den zweiten, alle übrigen Wahlberechtigten in den dritten Wahlkörper. […] 75. * Sistierungspatent, 20. September 1865 4
Kaiserliches Patent vom 20. September 1865, womit die Wirksamkeit des durch das kaiserliche Patent vom 26. Februar 1861 kundgemachten Grundgesetzes über die Reichsvertretung sistirt wird. Wir Franz Joseph der Erste, von Gottes Gnaden Kaiser von Oesterreich;[…] thun kund und zu wissen: In Erwägung der unabweislichen Nothwendigkeit, zur Gewinnung dauernder Grundlagen für eine verfassungsmäßige Rechtsgestaltung des Reiches den Weg der Verständigung mit den legalen Vertretern der Länder der ungarischen Krone zu betreten, und zu diesem Ende den betreffenden Landtagen das Diplom vom 20. October 1860 und das mit dem Patente vom 26. Februar 1861 kundgemachte Gesetz über die Reichsvertretung zur Annahme vorzulegen; in weiterer Erwägung, daß eine gleichzeitige Behandlung dieser Urkunden als allgemein bindendes Reichsgesetz hiedurch ausgeschlossen wird, verordnen Wir nach Anhörung Unseres Ministerrathes, wie folgt: Erstens: Die Wirksamkeit des Grundgesetzes über die Reichsvertretung wird mit dem Vorbehalte sistirt, die Verhandlungsresultate des ungarischen und des kroatischen Landtages, falls sie eine mit dem einheitlichen Bestande und der Machtstellung des Reiches vereinbare Modification der erwähnten Gesetze in sich schließen würden, vor Unserer Entschließung den legalen Vertretern der anderen Königreiche und Länder vorzulegen, um ihren gleichgewichtigen Ausspruch zu vernehmen und zu würdigen. Zweitens: In solange die Reichsvertretung nicht versammelt ist, hat Unsere Regierung die unaufschieblichen Maßregeln und unter diesen insbesondere jene zu treffen, welche das finanzielle und volkswirthschaftliche Interesse des Reiches erheischt. 76. Gesetz über die Ministerverantwortlichkeit, 25. Juli 1867 4
Gesetz vom 25. Juli 1867, über die Verantwortlichkeit der Minister für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder. Mit Zustimmung beider Häuser Meines Reichsrathes finde Ich zu verordnen, wie folgt: §. 1. Jeder Regierungsact des Kaisers bedarf zu seiner Giltigkeit der Gegenzeichnung eines verantwortlichen Ministers. §. 2. Die Mitglieder des Ministerrathes können vom Reichsrathe zur Verantwortung gezogen werden für alle innerhalb ihres amtlichen Wirkungskreises denselben zu Last fallenden Handlungen und Unterlassungen, wodurch sie vorsätzlich oder aus grober Fahrlässigkeit die Verfassung der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder, die Landesordnungen eines derselben oder ein anderes Gesetz verletzen. §. 7. Das Recht zur Anklage steht jedem der beiden Häuser des Reichsrathes zu. Ein hierauf gerichteter Antrag muß schriftlich überreicht werden, und im Herrenhause von 20, im Abgeordnetenhause von 40 Mitgliedern unterzeichnet sein. Der Antrag hat 61
die Thatsachen, auf welche er gestützt wird, und die Pflichtverletzung, die Gegenstand der Anklage ist, genau zu bezeichnen. §. 16. Die Verhandlung und Entscheidung über die Anklage erfolgt bei dem Staatsgerichtshofe. Der Staatsgerichtshof ist in der Art zu bilden, daß jedes der beiden Häuser des Reichtsrathes aus den im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern zwölf unabhängige und gesetzkundige Staatsbürger, welche jedoch keinem der beiden Häuser des Reichsrathes angehören dürfen, für die Dauer von sechs Jahren als Mitglieder des Staatsgerichtshofes wählt. Die gewählten Mitglieder haben den Vorsitzenden aus ihrer Mitte zu wählen. 77. * Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes über die Reichsvertretung 1867 4
Gesetz vom 21. December 1867, wodurch das Grundgesetz über die Reichsvertretung vom 26. Februar 1861 abgeändert wird. Wirksam für Böhmen, Dalmatien, Galizien und Lodomerien mit Krakau, Oesterreich unter und ob der Enns, Salzburg, Steiermark, Kärnthen, Krain, Bukowina, Mähren, Schlesien, Tirol und Vorarlberg, Istrien, Görz und Gradiska, dann die Stadt Triest mit ihrem Gebiete. §. 1. Zur gemeinsamen Vertretung der Königreiche Böhmen, Dalmatien, Galizien und Lodomerien mit dem Großherzogthume Krakau, des Erzherzogthumes Oesterreich unter und ob der Enns, der Herzogthümer Salzburg, Steiermark, Kärnthen, Krain und Bukowina, der Markgrafschaft Mähren, des Herzogthumes Ober- und NiederSchlesien, der gefürsteten Grafschaft Tirol und des Landes Vorarlberg, der Markgrafschaft Istrien, der gefürsteten Grafschaft Görz und Gradiska und der Stadt Triest mit ihrem Gebiete ist der Reichsrath berufen. Der Reichsrath besteht aus dem Herrenhause und dem Hause der Abgeordneten. Niemand kann gleichzeitig Mitglied beider Häuser sein. §. 2. Mitglieder des Herrenhauses sind durch Geburt die großjährigen Prinzen des kaiserlichen Hauses. §. 3. Erbliche Mitglieder des Herrenhauses sind die großjährigen Häupter jener inländischen Adelsgeschlechter, welche in den durch den Reichsrath vertretenen Königreichen und Ländern durch ausgedehnten Grundbesitz hervorragen und welchen der Kaiser die erbliche Reichsrathswürde verleiht. §. 4. Mitglieder des Herrenhauses vermöge ihrer hohen Kirchenwürde in den durch den Reichsrath vertretenen Königreichen und Ländern sind alle Erzbischöfe und jene Bischöfe, welchen fürstlicher Rang zukommt. §. 5. Dem Kaiser bleibt vorbehalten, aus den im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern ausgezeichnete Männer, welche sich um Staat oder Kirche, Wissenschaft oder Kunst verdient gemacht haben, als Mitglieder auf Lebensdauer in das Herrenhaus zu berufen. §. 6. In das Haus der Abgeordneten kommen durch Wahl 203 Mitglieder, und zwar in der für die einzelnen Königreiche und Länder auf folgende Art festgesetzten Zahl: [Böhmen 54, Dalmatien 5, Galizien und Lodomerien sowie Krakau 38, Oesterreich unter der Enns 18, Oesterreich ob der Enns 10, Salzburg 3, Steiermark 13, Kärnthen 5, Krain 6, Bukowina 5, Mähren 22, Ober- und Niederschlesien 6, Tirol 10, Vorarlberg 2, Istrien 2, Görz und Gradiska 2, Triest 2]. §. 7. Die für jedes Land festgesetzte Zahl der Mitglieder wird von seinem Landtage durch unmittelbare Wahl entsendet. Die Wahl hat durch absolute Stimmenmehrheit in der Art zu geschehen, daß die nach Maßgabe des Anhanges zur Landesordnung auf bestimmte Gebiete, Städte, Körperschaften entfallende Zahl von Mitgliedern des Abgeordnetenhauses aus den Landtagsmitgliedern derselben Gebiete, derselben Städte, 62
derselben Körperschaften hervorgehen. Aenderungen in der Feststellung der Gruppen, beziehungsweise Gebiete, Städte, Körperschaften und in der Vertheilung der zu wählenden Abgeordneten unter die einzelnen Gruppen erfolgen über Antrag der Landtage durch ein Reichsgesetz. Dem Kaiser bleibt vorbehalten, den Vollzug der Wahl unmittelbar durch die Gebiete, Städte und Körperschaften anzuordnen, wenn ausnahmsweise Verhältnisse eintreten, welche die Beschickung des Hauses der Abgeordneten durch einen Landtag nicht zum Vollzuge kommen lassen. Diese unmittelbare Wahl hat in der Art zu geschehen, daß die nach Maßgabe der Landesordnungen auf bestimmte Gruppen entfallende Zahl von Mitgliedern des Abgeordnetenhauses durch die Landtagswahlberechtigten derselben Gruppe gewählt wird. Die näheren Bestimmungen zur Durchführung solcher unmittelbaren Wahlen, sowie die Feststellung der Wahlbezirke werden durch ein Reichsgesetz gegeben. §. 9. Der Kaiser ernennt den Präsidenten und die Vicepräsidenten des Herrenhauses aus dessen Mitgliedern für die Dauer der Session. Das Abgeordnetenhaus wählt aus seiner Mitte den Präsidenten und die Vicepräsidenten. Die übrigen Functionäre hat jedes Haus selbst zu wählen. §. 10. Der Reichsrath wird vom Kaiser alljährlich, wo möglich in den Wintermonaten, einberufen. §. 11. Der Wirkungskreis des Reichsrathes umfaßt alle Angelegenheiten, welche sich auf Rechte, Pflichten und Interessen beziehen, die allen im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern gemeinschaftlich sind, insoferne dieselben nicht in Folge der Vereinbarung mit den Ländern der ungarischen Krone zwischen diesen und den übrigen Ländern der Monarchie gemeinsam zu behandeln sein werden. Es gehören daher zum Wirkungskreise des Reichsrathes: a) die Prüfung und Genehmigung der Handelsverträge und jener Staatsverträge, die das Reich oder Theile desselben belasten, oder einzelne Bürger verpflichten, oder eine Gebietsänderung der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder zur Folge haben; b) alle Angelegenheiten, welche sich auf die Art und Weise, sowie auf die Ordnung und Dauer der Militärpflicht beziehen, und insbesondere die jährliche Bewilligung der Anzahl der auszuhebenden Mannschaft und die allgemeinen Bestimmungen in Bezug auf Vorspannsleistung, Verpflegung und Einquartierung des Heeres; c) die Feststellung der Voranschläge des Staatshaushaltes, und insbesondere die jährliche Bewilligung der einzuhebenden Steuern, Abgaben und Gefälle; die Prüfung der Staatsrechnungsabschlüsse und Resultate der Finanzgebarung, die Ertheilung des Absolutoriums; die Aufnahme neuer Anlehen, Convertirung der bestehenden Staatsschulden, die Veräußerung, Umwandlung und Belastung des unbeweglichen Staatsvermögens, die Gesetzgebung über Monopole und Regalien und überhaupt alle Finanzangelegenheiten, welche den im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern gemeinsam sind; d) die Regelung des Geld-, Münz- und Zettelbankwesens, der Zoll- und Handelsangelegenheiten, sowie des Telegraphen-, Post-, Eisenbahn-, Schiffahrts- und sonstigen Reichs-Communicationswesens; e) die Credit-, Bank-, Privilegien- und Gewerbsgesetzgebung, mit Ausschluß der Gesetzgebung über die Propinationsrechte, dann die Gesetzgebung über Maß und Gewicht, über Marken- und Musterschutz; f) die Medicinalgesetzgebung, sowie die Gesetzgebung zum Schutze gegen Epidemien und Viehseuchen; g) die Gesetzgebung über Staatsbürger- und Heimatsrecht, über Fremdenpolizei und Paßwesen, sowie über Volkszählung; h) über die confessionellen Verhältnisse, über Vereins- und Versammlungsrecht, über die Presse und den Schutz des geistigen Eigenthums; 63
i) die Feststellung der Grundsätze des Unterrichtswesens bezüglich der Voksschulen und Gymnasien, dann die Gesetzgebung über die Universitäten; k) die Strafjustiz- und Polizeistraf-, sowie die Civilrechtsgesetzgebung mit Ausschluß der Gesetzgebung über die innere Einrichtung der öffentlichen Bücher und über solche Gegenstände, welche auf Grund der Landesordnungen und dieses Grundgesetzes in den Wirkungskreis der Landtage gehören, ferner die Gesetzgebung über Handels- und Wechselrecht, See-, Berg- und Lehenrecht; l) die Gesetzgebung über die Grundzüge der Organisirung der Gerichts- und Verwaltungsbehörden; m) die zur Durchführung der Staatsgrundgesetze über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, über das Reichsgericht, über die richterliche, Regierungs- und Vollzugsgewalt zu erlassenden und dort berufenen Gesetze; n) die Gesetzgebung über jene Gegenstände, welche sich auf Pflichten und Verhältnisse der einzelnen Länder unter einander beziehen; o) die Gesetzgebung, betreffend die Form der Behandlung der durch die Vereinbarung mit den zur ungarischen Krone gehörigen Ländern als gemeinsam festgestellten Angelegenheiten. §. 12. Alle übrigen Gegenstände der Gesetzgebung, welche in diesem Gesetze dem Reichsrathe nicht ausdrücklich vorbehalten sind, gehören in den Wirkungskreis der Landtage der im Reichrathe vertretenen Königreiche und Länder und werden in und mit diesen Landtagen verfassungsmäßig erledigt. Sollte jedoch irgend ein Landtag beschließen, daß ein oder der andere ihm überlassene Gegenstand der Gesetzgebung im Reichsrathe behandelt und erledigt werde, so übergeht ein solcher Gegenstand für diesen Fall und rücksichtlich des betreffenden Landtages in den Wirkungskreis des Reichsrathes. §. 13. Gesetzesvorschläge gelangen als Regierungsvorlagen an den Reichsrath. Auch diesem steht das Recht zu, in Gegenständen seines Wirkungskreises Gesetze vorzuschlagen. Zu jedem Gesetze ist die Uebereinstimmung beider Häuser und die Sanction des Kaisers erforderlich. Kann in einem Finanzgesetze über einzelne Posten desselben oder im Recrutengesetze über die Höhe des auszuhebenden Contingentes trotz wiederholter Berathung keine Uebereinstimmung zwischen beiden Häusern erzielt werden, so gilt die kleinere Ziffer als bewilligt. §. 14. Wenn sich die dringende Nothwendigkeit solcher Anordnungen, zu welchen verfassungsmäßig die Zustimmung des Reichsrathes erforderlich ist, zu einer Zeit herausstellt, wo dieser nicht versammelt ist, so können dieselben unter Verantwortung des Gesammtministeriums durch kaiserliche Verordnung erlassen werden, in soferne solche keine Abänderung des Staatsgrundgesetzes bezwecken, keine dauernde Belastung des Staatsschatzes und keine Veräußerung von Staatsgut betreffen. Solche Verordnungen haben provisorische Gesetzeskraft, wenn sie von sämmtlichen Ministern unterzeichnet sind und mit ausdrücklicher Beziehung auf diese Bestimmung des Staatsgrundgesetzes kundgemacht werden. Die Gesetzeskraft dieser Verordnungen erlischt, wenn die Regierung unterlassen hat, dieselben dem nächsten nach deren Kundmachung zusammentretenden Reichsrathe, und zwar zuvörderst dem Hause der Abgeordneten binnen vier Wochen nach diesem Zusammentritte zur Genehmigung vorzulegen, oder wenn dieselben die Genehmigung eines der beiden Häuser des Reichsrathes nicht erhalten. Das Gesammtministerium ist dafür verantwortlich, daß solche Verordnungen, sobald sie ihre provisorische Gesetzeskraft verloren haben, sofort außer Wirksamkeit gesetzt werden. §. 15. Zu einem giltigen Beschlusse des Reichsrathes ist in dem Hause der Abgeordneten die Anwesenheit von hundert, im Herrenhause von vierzig Mitgliedern und in beiden die absolute Stimmenmehrheit der Anwesenden nothwendig.
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Aenderungen in diesem Grundgesetze, sowie in den Staatsgrundgesetzen über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder, über die Einsetzung eines Reichsgerichtes, über die richterliche, sowie über die Ausübung der Regierungs- und der Vollzugsgewalt können nur mit einer Mehrheit von wenigstens zwei Dritteln der Stimmen giltig beschlossen werden. §. 16. Die Mitglieder des Hauses der Abgeordneten haben von ihren Wählern keine Instructionen anzunehemen. […] §. 17. Alle Mitglieder des Reichsrathes haben ihr Stimmrecht persönlich auszuüben. §. 19. Die Vertagung des Reichsrathes, sowie die Auflösung des Hauses der Abgeordneten erfolgt über die Verfügung des Kaisers. Im Falle der Auflösung wird im Sinne des §. 7 neu gewählt. §. 20. Die Minister und Chefs der Centralstellen sind berechtigt, an allen Berathungen Theil zu nehmen und ihre Vorlagen persönlich oder durch einen Abgeordneten zu vertreten. Jedes Haus kann die Anwesenheit der Minister verlangen. Sie müssen auf Verlangen jedesmal gehört werden. Das Recht, an der Abstimmung Theil zu nehmen, haben sie, in soferne sie Mitglieder eines Hauses sind. §. 21. Jedes der beiden Häuser des Reichsrathes ist berechtigt, die Minister zu interpelliren, in Allem, was sein Wirkungskreis erfordert, die Verwaltungsacte der Regierung der Prüfung zu unterziehen, von derselben über eingehende Petitionen Auskunft zu verlangen, Commissionen zu ernennen, welchen von Seite der Ministerien die erforderliche Information zu geben ist, und seinen Ansichten in Form von Adressen oder Resolutionen Ausdruck zu geben. 78. * Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger 1867 4
Staatsgrundgesetz vom 21. December 1867, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder. Artikel 1. Für alle Angehörigen der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder besteht ein allgemeines österreichisches Staatsbürgerrecht. Das Gesetz bestimmt, unter welchen Bedingungen das österreichische Staatsbürgerrecht erworben, ausgeübt und verloren wird. Artikel 2. Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich. Artikel 3. Die öffentlichen Aemter sind für alle Staatsbürger gleich zugänglich. Für Ausländer wird der Eintritt in dieselben von der Erwerbung des österreichischen Staatsbürgerrechtes abhängig gemacht. Artikel 4. Die Freizügigkeit der Person und des Vermögens innerhalb des Staatsgebietes unterliegt keiner Beschränkung. Allen Staatsbürgern, welche in einer Gemeinde wohnen und daselbst von ihrem Realbesitze, Erwerbe oder Einkommen Steuer entrichten, gebührt das active und passive Wahlrecht zur Gemeindevertretung unter denselben Bedingungen, wie den Gemeindeangehörigen. Die Freiheit der Auswanderung ist von Staatswegen nur durch die Wehrpflicht beschränkt. Abfahrtsgelder dürfen nur in Anwendung der Reciprocität erhoben werden. Artikel 5. Das Eigenthum ist unverletzlich. Eine Enteignung gegen den Willen des Eigenthümers kann nur in den Fällen und in der Art eintreten, welche das Gesetz bestimmt. Artikel 6. Jeder Staatsbürger kann an jedem Orte des Staatsgebietes seinen Aufenthalt und Wohnsitz nehmen, Liegenschaften jeder Art erwerben und über dieselben frei verfügen, sowie unter den gesetzlichen Bedingungen jeden Erwerbszweig ausüben. Für die todte Hand sind Beschränkungen des Rechtes, Liegenschaften zu erwerben und über sie zu verfügen, im Wege des Gesetzes aus Gründen des öffentlichen Wohles zulässig. 65
Artikel 7. Jeder Unterthänigkeits- und Hörigkeitsverband ist für immer aufgehoben. Jede aus dem Titel des getheilten Eigenthums auf Liegenschaften haftende Schuldigkeit oder Leistung ist ablösbar, und es darf in Zukunft keine Liegenschaft mit einer derartigen unablösbaren Leistung belastet werden. Artikel 8. Die Freiheit der Person ist gewährleistet. Das bestehende Gesetz vom 27. October 1862 (Reichs-Gesetz-Blatt Nr. 87) zum Schutze der persönlichen Freiheit wird hiemit als Bestandtheil dieses Staatsgrundgesetzes erklärt. Jede gesetzwidrig verfügte oder verlängerte Verhaftung verpflichtet den Staat zum Schadenersatze an den Verletzten. Artikel 9. Das Hausrecht ist unverletzlich. Das bestehende Gesetz vom 27. October 1862 (Reichs-Gesetz-Blatt Nr. 88) zum Schutze des Hausrechtes wird hiemit als Bestandtheil dieses Staatsgrundgesetzes erklärt. Artikel 10. Das Briefgeheimnis darf nicht verletzt und die Beschlagnahme von Briefen, außer dem Falle einer gesetzlichen Verhaftung oder Haussuchung, nur in Kriegsfällen oder auf Grund eines richterlichen Befehles in Gemäßheit bestehender Gesetze vorgenommen werden. Artikel 11. Das Petitionsrecht steht Jedermann zu. Petitionen unter einem Gesammtnamen dürfen nur von gesetzlich anerkannten Körperschaften oder Vereinen ausgehen. Artikel 12. Die österreichischen Staatsbürger haben das Recht, sich zu versammeln und Vereine zu bilden. Die Ausübung dieser Rechte wird durch besondere Gesetze geregelt. Artikel 13. Jedermann hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern. Die Presse darf weder unter Censur gestellt, noch durch das Concessions-System beschränkt werden. Administrative Postverbote finden auf inländische Druckschriften keine Anwendung. Artikel 14. Die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit ist Jedermann gewährleistet. Der Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte ist von dem Religionsbekenntnisse unabhängig; doch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntniß kein Abbruch geschehen. Niemand kann zu einer kirchlichen Handlung oder Theilnahme an einer kirchlichen Feierlichkeit gezwungen werden, in soferne er nicht der nach dem Gesetze hiezu berechtigten Gewalt eines Anderen untersteht. Artikel 15. Jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft hat das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsübung, ordnet und verwaltet ihre inneren Angelegenheiten selbständig, bleibt im Besitze und Genusse ihrer für Cultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonde, ist aber, wie jede Gesellschaft den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen. Artikel 16. Den Anhängern eines gesetzlich nicht anerkannten Religionsbekenntnisses ist die häusliche Religionsübung gestattet, in soferne dieselbe weder rechtswidrig, noch sittenverletzend ist. Artikel 17. Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. Unterrichts- und Erziehungsanstalten zu gründen und an solchen Unterricht zu ertheilen, ist jeder Staatsbürger berechtigt, der seine Befähigung hiezu in gesetzlicher Weise nachgewiesen hat. Der häusliche Unterricht unterliegt keiner solchen Beschränkung. Für den Religionsunterricht in den Schulen ist von der betreffenden Kirche oder Religionsgesellschaft Sorge zu tragen. Dem Staate steht rücksichtlich des gesammten Unterrichts- und Erziehungswesens das Recht der obersten Leitung und Aufsicht zu. Artikel 18. Es steht Jedermann frei, seinen Beruf zu wählen und sich für denselben auszubilden, wie und wo er will. Artikel 19. Alle Volksstämme des Staates sind gleichberechtigt, und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und 66
Sprache. Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben wird vom Staate anerkannt. In den Ländern, in welchen mehrere Volksstämme wohnen, sollen die öffentlichen Unterrichtsanstalten derart eingerichtet sein, daß ohne Anwendung eines Zwanges zur Erlernung einer zweiten Landessprache jeder dieser Volksstämme die erforderlichen Mittel zur Ausbildung in seiner Sprache erhält. Artikel 20. Ueber die Zulässigkeit der zeitweiligen und örtlichen Suspension der in den Artikeln 8, 9, 10, 12 und 13 enthaltenen Rechte durch die verantwortliche Regierungsgewalt wird ein besonderes Gesetz bestimmen. 79. * Staatsgrundgesetz über die Einsetzung eines Reichsgerichtes 1867 4
Staatsgrundgesetz vom 21. December 1867, über die Einsetzung eines Reichsgerichtes. Artikel 1. Zur Entscheidung bei Competenzconflicten und in streitigen Angelegenheiten öffentlichen Rechtes wird für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder ein Reichsgericht eingesetzt. Artikel 2. Das Reichsgericht hat endgiltig zu entscheiden bei Competenzconflicten: a) zwischen Gerichts- und Verwaltungsbehörden über die Frage, ob eine Angelegenheit im Rechts- oder Verwaltungswege auszutragen ist, in den durch das Gesetz bestimmten Fällen; b) zwischen einer Landesvertretung und den obersten Regierungsbehörden, wenn jede derselben das Verfügungs- oder Entscheidungsrecht in einer administrativen Angelegenheit beansprucht; c) zwischen den autonomen Landesorganen verschiedener Länder in den ihrer Besorgung und Verwaltung zugewiesenen Angelegenheiten. Artikel 3. Dem Reichsgerichte steht ferners die entgiltige Entscheidung zu: a) über Ansprüche einzelner der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder an die Gesammtheit derselben und umgekehrt, dann über Ansprüche eines dieser Königreiche und Länder an ein anderes derselben, endlich über Ansprüche, welche von Gemeinden, Körperschaften oder einzelnen Personen an eines der genannten Königreiche und Länder oder an die Gesammtheit derselben gestellt werden, wenn solche Ansprüche zur Austragung im ordentlichen Rechtswege nicht geeignet sind; b) über Beschwerden der Staatsbürger wegen Verletzung der ihnen durch die Verfassung gewährleisteten politischen Rechte, nachdem die Angelegenheit im gesetzlich vorgeschriebenen administrativen Wege ausgetragen worden ist. Artikel 4. Ueber die Frage, ob die Entscheidung eines Falles dem Reichsgerichte zusteht, erkennt einzig und allein das Reichsgericht selbst […]. 80. * Staatsgrundgesetz über die richterliche Gewalt 1867 4
Staatsgrundgesetz vom 21. December 1867, über die richterliche Gewalt. Artikel 1. Alle Gerichtsbarkeit im Staate wird im Namen des Kaisers ausgeübt. Die Urtheile und Erkenntnisse werden im Namen des Kaisers ausgefertigt. Artikel 4. Die Gerichtsbarkeit bezüglich der Uebertretungen der Polizei- und der Gefälls-Strafgesetze wird durch Gesetze geregelt. Artikel 5. Die Richter werden vom Kaiser oder in dessen Namen definitiv und auf Lebensdauer ernannt. 67
Artikel 6. Die Richter sind in Ausübung ihres richterlichen Amtes selbständig und unabhängig. Sie dürfen nur in den vom Gesetze vorgeschriebenen Fällen und nur auf Grund eines förmlichen richterlichen Erkenntnisses ihres Amtes entsetzt werden; die zeitweise Enthebung derselben vom Amte darf nur durch Verfügung des Gerichtsvorstandes oder der höheren Gerichtsbehörde unter gleichzeitiger Verweisung der Sache an das zuständige Gericht, die Versetzung an eine andere Stelle oder in den Ruhestand wider Willen nur durch gerichtlichen Beschluß in den durch das Gesetz bestimmten Fällen und Formen erfolgen. […] Artikel 10. Die Verhandlungen vor dem erkennenden Richter sind in Civil- und Strafrechts- Angelegenheiten mündlich und öffentlich. Die Ausnahmen bestimmt das Gesetz. Im Strafverfahren gilt der Anklageproceß. Artikel 11. Bei den mit schweren Strafen bedrohten Verbrechen, welche das Gesetz zu bezeichnen hat, sowie bei allen politischen oder durch den Inhalt einer Druckschrift verübten Verbrechen und Vergehen entscheiden Geschworne über die Schuld des Angeklagten. Artikel 13. Der Kaiser hat das Recht Amnestie zu ertheilen und die Strafen, welche von den Gerichten ausgesprochen wurden, zu erlassen oder zu mildern, sowie die Rechtsfolgen von Verurtheilungen nachzusehen, mit Vorbehalt der im Gesetze über die Verantwortlichkeit der Minister enthaltenen Beschränkungen. […] Artikel 14. Die Rechtspflege wird von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt. Artikel 15. […] Wenn außerdem Jemand behauptet, durch eine Entscheidung oder Verfügung einer Verwaltungsbehörde in seinen Rechten verletzt zu sein, so steht ihm frei, seine Ansprüche vor dem Verwaltungs-Gerichtshofe im öffentlichen mündlichen Verfahren wider einen Vertreter der Verwaltungsbehörde geltend zu machen. 81. * Staatsgrundgesetz über die Regierungs- und Vollzugsgewalt 1867 4
Staatsgrundgesetz vom 21. December 1867, über die Ausübung der Regierungs- und Vollzugsgewalt. Artikel 1. Der Kaiser ist geheiligt, unverletzlich und unverantwortlich. Artikel 2. Der Kaiser übt die Regierungsgewalt durch verantwortliche Minister und die denselben untergeordneten Beamten und Bestellten aus. Artikel 3. Der Kaiser ernennt und entläßt die Minister Minister und besetzt über Antrag der betreffenden Minister alle Aemter in allen Zweigen des Staatsdienstes, insoferne nicht das Gesetz ein Anderes verordnet. Artikel 4. Der Kaiser verleiht Titel, Orden und sonstige staatliche Auszeichnungen. Artikel 5. Der Kaiser führt den Oberbefehl über die bewaffnete Macht, erklärt Krieg und schließt Frieden. Artikel 6. Der Kaiser schließt die Staatsverträge ab. Zur Giligkeit der Handelsverträge und jener Staatsverträge, die das Reich oder Theile desselben belasten oder einzelne Bürger verpflichten, ist die Zustimmung des Reichsrathes erforderlich. Artikel 8. Der Kaiser leistet beim Antritte der Regierung in Gegenwart beider Häuser des Reichsrathes das eidliche Gelöbniß: „Die Grundgesetze der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder unverbrüchlich zu halten und in Uebereinstimmung mit denselben und den allgemeinen Gesetzen zu regieren.“ Artikel 9. Die Minister sind für die Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit der in die Sphäre ihrer Amtswirksamkeit fallenden Regierungsacte verantwortlich. Diese Verantwortlichkeit, die Zusammensetzung des über die Ministeranklage erkennenden Gerichtshofes und das Verfahren vor demselben sind durch ein besonderes Gesetz geregelt.
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Artikel 10. Die Kundmachung der Gesetze erfolgt im Namen des Kaisers mit Berufung auf die Zustimmung der verfassungsmäßigen Vertretungskörper und unter Mitfertigung eines verantwortlichen Ministers. Artikel 11. Die Staatsbehörden sind innerhalb ihres amtlichen Wirkungskreises befugt, auf Grund der Gesetze Verordnungen zu erlassen und Befehle zu ertheilen, und sowohl die Beobachtung dieser letzteren als der gesetzlichen Anordnungen selbst gegenüber den hiezu Verpflichteten zu erzwingen. […] 82. * Delegationsgesetz 1867 4
Gesetz vom 21. December 1867, betreffend die allen Ländern der österreichischen Monarchie gemeinsamen Angelegenheiten und die Art ihrer Behandlung. §. 1. Nachfolgende Angelegenheiten werden als den im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern und den Ländern der ungarischen Krone gemeinsam erklärt: a) Die auswärtigen Angelegenheiten mit Einschluß der diplomatischen und commerziellen Vertretung dem Auslande gegenüber, sowie die in Betreff der internationalen Verträge etwa nothwendigen Verfügungen, wobei jedoch die Genehmigung der internationalen Verträge, in soweit eine solche verfassungsmäßig nothwendig ist, den Vertretungskörpern der beiden Reichshälften (dem Reichsrathe und dem ungarischen Reichstage) vorbehalten bleibt; b) das Kriegswesen mit Inbegriff der Kriegsmarine, jedoch mit Ausschluß der Recrutenbewilligung und der Gesetzgebung über die Art und Weise der Erfüllung der Wehrpflicht […]; c) das Finanzwesen rücksichtlich der gemeinschaftlich zu bestreitenden Auslagen, insbesondere die Festsetzung des dießfälligen Budgets und die Prüfung der darauf bezüglichen Rechnungen. §. 2. Außerdem sollen nachfolgende Angelegenheiten zwar nicht gemeinsam verwaltet, jedoch nach gleichen von Zeit zu Zeit zu vereinbarenden Grundsätzen behandelt werden: 1. Die commerziellen Angelegenheiten, speciell die Zollgesetzgebung; 2. die Gesetzgebung über die mit der industriellen Production in enger Verbindung stehenden indirecten Abgaben; 3. die Feststellung des Münzwesens und des Geldfußes; 4. Verfügungen bezüglich jener Eisenbahnlinien, welche das Interesse beider Reichshälften berühren; 5. die Feststellung des Wehrsystems. §. 3. Die Kosten der gemeinsamen Angelegenheiten (§. 1) sind von beiden Reichstheilen nach einem Verhältnisse zu tragen, welches durch ein vom Kaiser zu sanctionirendes Uebereinkommen der beiderseitigen Vertretungskörper (Reichsrath und Reichstag) von Zeit zu Zeit festgesetzt werden wird. Sollte zwischen beiden Vertretungen kein Uebereinkommen erzielt werden, so bestimmt der Kaiser dieses Verhältniß, jedoch nur für die Dauer Eines Jahres. […] §. 5. Die Verwaltung der gemeinsamen Angelegenheiten wird durch ein gemeinsames verantwortliches Ministerium besorgt, welchem jedoch nicht gestattet ist, nebst den gemeinsamen Angelegenheiten auch die besonderen Regierungsgeschäfte einer der beiden Reichstheile zu führen. Die Anordnungen in Betreff der Leitung, Führung und inneren Organisation der gesammten Armee stehen ausschließlich dem Kaiser zu. §. 6. Das den Vertretungskörpern beider Reichshälften (dem Reichsrathe und dem ungarischen Reichstage) zustehende Gesetzgebungsrecht wird von denselben, in
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soweit es sich um die gemeinsamen Angelegenheiten handelt, mittelst zu entsendender Delegationen ausgeübt. §. 7. Die Delegation des Reichsrathes zählt sechzig Mitglieder, wovon ein Drittheil dem Herrenhause und zwei Drittheile dem Hause der Abgeordneten entnommen werden. §. 10. Die Wahl der Delegirten […] wird von den beiden Häusern des Reichsrathes alljährlich erneuert. Bis dahin verbleiben die Delegirten […] in ihrer Function. Die abgetretenen Mitglieder der Delegation können in dieselbe wieder gewählt werden. §. 11. Die Delegationen werden alljährlich vom Kaiser einberufen; der Versammlungsort wird vom Kaiser bestimmt. §. 14. Regierungsvorlagen gelangen durch das gemeinsame Ministerium an jede der beiden Delegationen abgesondert. Auch steht jeder Delegation das Recht zu, in Gegenständen ihres Wirkungskreises Vorschläge zu machen. §. 15. Zu allen Gesetzen in Angelegenheiten des Wirkungskreises der Delegationen ist die Uebereinstimmung beider Delegationen oder bei mangelnder Uebereinstimmung der in einer gemeinschaftlichen Plenarsitzung beider Delegationen gefaßte zustimmende Beschluß und in jedem Falle die Sanction des Kaisers erforderlich. §. 16. Das Recht, das gemeinsame Ministerium zur Verantwortung zu ziehen, wird von den Delegationen geübt. Bei Verletzung eines für die gemeinsamen Angelegenheiten bestehenden verfassungsmäßigen Gesetzes kann jede Delegation einen der anderen Delegation mitzutheilenden Antrag auf Anklage des gemeinsamen Ministeriums oder eines einzelnen Mitgliedes desselben stellen. Die Anklage ist rechtskräftig, wenn sie von jeder Delegation abgesondert oder in einer gemeinschaftlichen Plenarsitzung beider Delegationen beschlossen wird. §. 19. Jede der beiden Delegationen verhandelt, berathet und beschließt für sich in abgesonderten Sitzungen. Den Ausnahmefall enthält der §. 31. §. 20. Zur Beschlußfähigkeit der Delegation des Reichsrathes ist außer dem Vorsitzenden die Anwesenheit von wenigstens dreißig Mitgliedern und zur Giltigkeit eines Beschlusses die absolute Stimmenmehrheit der Anwesenden erforderlich. §. 28. […] Die Delegation hat das Recht, an das gemeinsame Ministerium oder an ein einzelnes Mitglied desselben Fragen zu richten und von demselben Antwort und Aufklärung zu verlangen […]. §. 30. Beide Delegationen theilen sich ihre Beschlüsse, sowie erforderlichen Falles deren Motive gegenseitig mit. Dieser Verkehr findet schriftlich statt auf Seite der Delegation des Reichsrathes in deutscher, auf Seite der Delegation des Reichstages in ungarischer Sprache und beiderseits unter Anschluß einer beglaubigten Uebersetzung in der Sprache der anderen Delegation. §. 31. Jede Delegation ist berechtigt, zu beantragen, daß die Frage durch gemeinschaftliche Abstimmung entschieden werde, und kann dieser Antrag, sobald ein dreimaliger Schriftenwechsel erfolglos geblieben ist, von der andern Delegation nicht abgelehnt werden. Die beiderseitigen Präsidenten vereinbaren Ort und Zeit einer Plenarsitzung beider Delegationen zum Zwecke der gemeinschaftlichen Abstimmung. §. 36. Die Vereinbarung in Betreff jener Gegenstände, welche zwar nicht als gemeinsame behandelt, jedoch nach gemeinsamen Grundsätzen geregelt werden sollen, erfolgt entweder dadurch, daß die verantwortlichen Ministerien im gemeinschaftlichen Einvernehmen einen Gesetzentwurf ausarbeiten und den betreffenden Vertretungskörpern beider Theile zur Beschlußfassung vorlegen und die übereinstimmenden Bestimmungen beider Vertretungen dem Kaiser zur Sanction vorgelegt werden, oder 70
daß die beiden Vertretungskörper jeder aus seiner Mitte eine gleich große Deputation wählen, welche unter Einflußnahme der betreffenden Ministerien einen Vorschlag ausarbeiten, welcher Vorschlag dann durch die Ministerien jedem Vertretungskörper mitgetheilt, von denselben ordnungsmäßig behandelt und die übereinstimmenden Beschlüsse beider Vertretungen dem Kaiser zur Sanction unterbreitet werden. Der zweite Vorgang ist speciell bei der Vereinbarung über das Beitragsverhältnis zu den Kosten der gemeinsamen Angelegenheiten einzuhalten. 83. * Kundmachungsgesetz Verfassung 1867 4
Gesetz vom 21. December 1867, womit der Zeitpunkt bestimmt wird, mit welchem [die Gesetze RGBl. 141–146/1867] in Wirksamkeit zu treten haben. §. 1. Die nachbenannten Gesetze, als: Das Gesetz, wodurch das Grundgesetz über die Reichsvertretung vom 26. Februar 1861 abgeändert wird; das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder; das Staatsgrundgesetz über die Einsetzung eines Reichsgerichtes; das Staatsgrundgesetz über die richterliche Gewalt; das Staatsgrundgesetz über die Ausübung der Regierungs- und der Vollzugsgewalt; das Gesetz, betreffend die allen Ländern der österreichischen Monarchie gemeinsamen Angelegenheiten und die Art ihrer Behandlung, treten mit dem Tage der Kundmachung durch das Reichs-Gesetz-Blatt in Wirksamkeit. §. 2. Dieses Gesetz, welches ebenfalls mit dem Tage der Kundmachung in Wirksamkeit tritt, ist mit den obbenannten Gesetzen gleichzeitig in das Reichs-Gesetz-Blatt einzurücken. §. 3. Mit dem Vollzuge dieses Gesetzes wird Mein Ministerium beauftragt. 84. Verwaltungsorganisationsgesetz 1868 4
Gesetz vom 19. Mai 1868, über die Einrichtung der politischen Verwaltungsbehörden. §. 1. Die politische Verwaltung ist in allen Instanzen von der Rechtspflege getrennt zu führen. (Artikel 14 des Staats-Grundgesetzes vom 21. December 1867 über die richterliche Gewalt.) §. 2. An der Spitze der politischen Verwaltung in den Königreichen und Ländern stehen die Landeschefs. Ihnen obliegt die Repräsentation des Landesfürsten bei feierlichen Gelegenheiten. Sie vertreten die kaiserliche Regierung gegenüber der Landesvertretung. §. 4. Unter der Leitung der Landeschefs werden die Angelegenheiten der politischen Verwaltung von den politischen Landesbehörden, dann von landesfürstlichen politischen Bezirksbehörden und den Communalämtern der mit eigenen Statuten versehenen Gemeinden besorgt. §. 5. Die Landeschefs führen in Salzburg, Kärnthen, Krain, Schlesien und der Bukowina den Titel „Landespräsident“, in allen übrigen Ländern den Titel „Statthalter“. Die politischen Landesbehörden, welche der Leitung von Statthaltern unterstellt sind, werden „Statthaltereien“, jene, die unter der Leitung von Landespräsidenten stehen, werden „Landesregierungen“ genannt. 71
§. 10. Jedes Land wird in politische Amtsbezirke eingetheilt. Diese Amtsbezirke [...] sollen die Gränzen der Gerichtssprengel der einzelnen und der zu einer gemeinschaftlichen Geschäftsführung vereinigten Ortsgemeinden, dann der Gutsgebiete durch die Gränzen der politischen Amtsbezirke nicht durchschnitten werden. [...] §. 11. Die landesfürstlichen politischen Bezirksbehörden führen die Benennung „Bezirkshauptmannschaften“. An der Spitze einer jeden solchen Behörde steht ein Bezirkshauptmann. [...] 85. * Verfassungsreform 1873 4
Gesetz vom 2. April 1873, wodurch das Grundgesetz über die Reichsvertretung vom 21. December 1867 (R.G.Bl. Nr. 141) abgeändert wird. Artikel I. Die §§. 6, 7, 15 und 18 des Grundgesetzes über die Reichsvertretung vom 21. Dezember 1867 (R.G.Bl. Nr 141) treten in ihrer gegenwärtigen Fassung außer Wirksamkeit und haben zu lauten: §. 6. In das Haus der Abgeordneten kommen durch Wahl 353 Mitglieder, und zwar in der für die einzelnen Königreiche und Länder auf folgende Art festgesetzten Zahl: für das Königreich Böhmen 92 für das Königreich Dalmatien 9 für das Königreich Galizien und Lodomerien mit dem Großherzogthume Krakau 63 für das Erzherzogthum Oesterreich unter Enns 37 für das Erzherzogthum Oesterreich ob der Enns 17 für das Herzogthum Salzburg 5 für das Herzogthum Steiermark 23 für das Herzogthum Kärnthen 9 für das Herzogthum Krain 10 für das Herzogthum Bukowina 9 für die Markgrafschaft Mähren 36 für das Herzogthum Ober- und Nieder-Schlesien 10 für die gefürstete Grafschaft Tirol 18 für das Land Vorarlberg 3 für die Markgrafschaft Istrien 4 für die gefürstete Grafschaft Görz und Gradiska 4 für die Stadt Triest mit ihrem Gebiete 4 §. 7. A. Die für jedes Land festgesetzte Zahl der Mitglieder wird unter die in den Landesordnungen enthaltenen Wählerclassen a) des großen (landtäflichen, lehentäflichen) Grundbesitzes, der Höchstbesteuerten in Dalmatien, des adeligen großen Grundbesitzes sammt den in §. 3, I der Landesordnung bezeichneten Personen in Tirol; b) der Städte (Städte – Märkte – Industrialorte – Orte); c) der Handels- und Gewerbekammern und d) der Landgemeinden vertheilt, und es sind zu wählen: Im Königreiche Böhmen 23 Mitglieder von der Wählerclasse a 32 Mitglieder von der Wählerclasse b 7 Mitglieder von der Wählerclasse c 30 Mitglieder von der Wählerclasse d […] 72
Im Erzherzogthume Oesterreich unter der Enns 8 Mitglieder von der Wählerclasse a 17 Mitglieder von der Wählerclasse b 2 Mitglieder von der Wählerclasse c 10 Mitglieder von der Wählerclasse d […] Im Herzogthume Salzburg 1 Mitglied von der Wählerclasse a 2 Mitglieder von der Wählerclasse b und c 2 Mitglieder von der Wählerclasse d […] Im Lande Vorarlberg 1 Mitglied von der Wählerclasse b und c 2 Mitglieder von der Wählerclasse d. […] B. Die Vertheilung der in jeder Wählerclasse zu wählenden Mitglieder des Abgeordnetenhauses auf die einzelnen Wahlbezirke und Wahlkörper wird durch die Reichsraths-Wahlordnung bestimmt. C. Die Abgeordneten werden in der Wählerclasse der Landgemeinden durch, von den Wahlberechtigten gewählte Wahlmänner und in den anderen Wählerclassen durch die Wahlberechtigten unmittelbar gewählt. Die Wahl der Wahlmänner und der Abgeordneten hat durch absolute Stimmenmehrheit zu geschehen. […] D. Wahlberechtigt ist jeder österreichische Staatsbürger, der das 24. Lebensjahr zurückgelegt hat, eigenberechtigt ist und den sonstigen, durch die ReichsrathsWahlordnung festgestellten Erfordernissen entspricht. E. Wählbar in jedem der im §. 6 angeführten Länder sind alle Personen männlichen Geschlechtes, welche das österreichische Staatsbürgerrecht seit mindestens drei Jahren besitzen, das 30. Lebensjahr zurückgelegt haben und in einem dieser Länder nach der Bestimmung des Absatzes D wahlberechtigt oder in den Landtag wählbar sind. §. 15. Zu einem giltigen Beschlusse des Reichsrathes ist in dem Hause der Abgeordneten die Anwesenheit von hundert, im Herrenhause von vierzig Mitgliedern, und in beiden die absolute Stimmenmehrheit der Anwesenden nothwendig. Aenderungen in diesem Grundgesetze, sowie in den Staatsgrundgesetzen über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder, über die Einsetzung eines Reichsgerichtes, über die richterliche, sowie über die Ausübung der Regierungs- und Vollzugsgewalt können nur mit einer Mehrheit von wenigstens zwei Dritteln der Stimmen der Anwesenden, und im Abgeordnetenhause nur bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder giltig beschlossen werden. §. 18. Die Mitglieder des Hauses der Abgeordneten werden auf die Dauer von sechs Jahren gewählt. Nach Ablauf dieser Wahlperiode, sowie im Falle der Auflösung des Abgeordnetenhauses, erfolgen allgemeine Neuwahlen. Gewesene Abgeordnete können wieder gewählt werden. […]
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86. * Wahlrechtsreform 1896 4
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(RGBl. 168/1896 und 169/1896); (Manual Rz. 1670-1672), (Manual Rz. 1650-1652)
Gesetz vom 14. Juni 1896, wodurch das Grundgesetz über die Reichsvertretung [1867 idF 1873 bzw 1886] abgeändert und ergänzt wird. Artikel I Zu den 353 Mitgliedern, welche im Grunde der §§. 6 und 7 des Grundgesetzes über die Reichsvertretung […] in das Haus der Abgeordneten von den in den Landesordnungen enthaltenen Wählerclassen zu wählen sind, kommen weitere 72 Mitglieder, welche von einer mit e zu bezeichnenden allgemeinen Wählerclasse gewählt werden. Die für diese Wählerclasse festgesetzte Zahl von Mitgliedern wird auf die einzelnen Königreiche und Länder aufgeteilt, und es sind von dieser Wählerclasse zu wählen [in Böhmen 18, Dalmatien 2, Galizien und Lodomerien sowie Krakau 15, Österreich unter der Enns 9, Österreich ob der Enns 3, Salzburg 1, Steiermark 4, Kärnten 1, Krain 1, Bukowina 2, Mähren 7, Ober- und Niederschlesien 2, Tirol 3, Vorarlberg 1, Istrien 1, Görz und Gradiska 1, Triest 1] […] Artikel II […] Die Abgeordneten werden in der Wählerclasse der Landgemeinden, dann in den ausschließlich aus Gerichtsbezirken gebildeten Wahlbezirken der allgemeinen Wählerclasse durch von den Wahlberechtigten gewählte Wahlmänner, in den anderen Wählerclassen, dann in den übrigen Wahlbezirken der allgemeinen Wählerclasse durch die Wahlberechtigten unmittelbar gewählt. […] Gesetz vom 14. Juni 1896, wodurch die Reichsrathswahlordnung abgeändert, beziehungsweise ergänzt wird. […] §. 9a. In der allgemeinen Wählerclasse ist jeder eigenberechtigte Staatsbürger männlichen Geschlechtes, welcher das 24. Lebensjahr vollstreckt hat und vom Wahlrechte nicht ausgeschlossen ist […], in jener Gemeinde wahlberechtigt, in welcher er am Tage der Ausschreibung der Wahl seit wenigstens sechs Monaten seßhaft ist. […] §. 17. Das Wahlrecht in den im §. 7 A des Grundgesetzes über die Reichsvertretung bezeichneten Wählerclassen a, b, c und d schließt die Ausübung des Wahlrechtes in der allgemeinen Wählerclasse desselben Landes nicht aus. […] 87. * Verfassungsreform Abgeordnetenhaus 1907 4
Gesetz vom 26. Jänner 1907, wodurch das Grundgesetz über die Reichsvertretung abgeändert wird. §1 […] Die gemäß den §§. 3 und 5 in das Herrenhaus berufenen Mitglieder können ins Abgeordnetenhaus gewählt werden. Im Falle der Annahme einer solchen Wahl ruht für die Dauer dieses Mandates die Mitgliedschaft im Herrenhause. Wird ein Abgeordneter gemäß den §§. 3 oder 5 in das Herrenhaus berufen, so ruht seine Mitgliedschaft im Herrenhause, so lange er sein Mandat als Abgeordneter nicht zurückgelegt hat. § 6. In das Haus der Abgeordneten kommen durch Wahl 516 Mitglieder, und zwar in der für die einzelnen Königreiche und Länder auf folgende Art festgesetzten Zahl: Für das Königreich Böhmen …….…………………………………………… für das Königreich Dalmatien ………………………………………...............
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130 11
für das Königreich Galizien und Lodomerien mit dem Großherzogthume Krakau für das Erzherzogthum Oesterreich unter der Enns …………………………... für das Erzherzogthum Oesterreich ob der Enns ………………………………. für das Herzogthum Salzburg .………………………….................................... für das Herzogthum Steiermark…………………………................................... für das Herzogthum Kärnthen ..………………………………………………….. für das Herzogthum Krain ……………………………........................................ für das Herzogthum Bukowina……………………………………………………. für die Markgrafschaft Mähren…………………………………………………….. für das Herzogthum Ober- und Nieder-Schlesien ……………………………… für die gefürstete Grafschaft Tirol ...…………………..………………………….. für das Land Vorarlberg ..………………..………………………………………… für die Markgrafschaft Istrien..…………………..………………………………… für die gefürstete Grafschaft Görz und Gradiska ..……………………………… für die Stadt Triest mit ihrem Gebiete ..…………………..………………………
106 64 22 7 30 10 12 14 49 15 25 4 6 6 5
Die Vertheilung der hienach zu wählenden Mitglieder des Abgeordnetenhauses auf die einzelnen Wahlbezirke wird durch die Reichsrathswahlordnung bestimmt. § 7. Wahlberechtigt zur Wahl eines Abgeordneten ist jede Person männlichen Geschlechtes, welche das 24. Lebensjahr zurückgelegt hat, die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, nach den Bestimmungen der Reichsratswahlordnung vom Wahlrechte nicht ausgenommen oder ausgeschlossen ist und innerhalb der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder in der Gemeinde (Gutsgebiet), in welcher das Wahlrecht auszuüben ist, am Tage der Ausschreibung der Wahl seit mindestens einem Jahre ihren Wohnsitz […] hat. Wählbar als Abgeordneter ist jede Person männlichen Geschlechtes, welche die österreichische Staatsbürgerschaft seit mindestens drei Jahren besitzt, das 30. Lebensjahr zurückgelegt hat und nach den Bestimmungen der Reichsratswahlordnung nicht vom Wahlrechte ausgenommen oder ausgeschlossen ist. […] Die näheren Vorschriften über die Ausübung des Wahlrechtes und die Durchführung der Wahlen enthält die Reichsrathswahlordnung. § 12. Alle übrigen Gegenstände der Gesetzgebung, welche in diesem Gesetze dem Reichsrate nicht ausdrücklich vorbehalten sind, gehören in den Wirkungskreis der Landtage der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder und werden in und mit diesen Landtagen verfassungsmäßig erledigt. In Angelegenheiten, welche hienach auf Grund der Landesordnungen und dieses Staatsgrundgesetzes zum Wirkungskreise der Landesgesetzgebung gehören, kann letztere die zur Regelung des Gegenstandes erforderlichen Bestimmungen auch auf dem Gebiete der Strafjustiz- und Polizeistraf- sowie der Zivilrechtsgesetzgebung treffen. In den Wirkungskreis der Landesgesetzgebung gehören auch solche Verfügungen über die Organisation der staatlichen Verwaltungsbehörden, welche durch die Kompetenz der Landesgesetzgebung zur Organisation der autonomen Verwaltungsbehörden bedingt sind und sich innerhalb der gemäß § 11, lit. I) dieses Staatsgrundgesetz der Reichsgesetzgebung vorbehaltenen Grundzüge bewegen. Sollte jedoch irgend ein Landtag beschließen, daß ein oder der andere ihm überlassene Gegenstand der Gesetzgebung im Reichsrate behandelt und erledigt werde, so übergeht ein solcher Gegenstand für diesen Fall und rücksichtlich des betreffenden Landtages in den Wirkungskreis des Reichsrathes.
Gesetz vom 26. Jänner 1907, wodurch der §. 5 des Grundgesetzes über die Reichsvertretung […] abgeändert wird. Artikel I Der § 5 des Grundgesetzes über die Reichsvertretung […] tritt in seiner gegenwärtigen Fassung außer Kraft und hat in Hinkunft zu lauten: § 5. Dem Kaiser bleibt es vorbehalten, aus den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern ausgezeichnete Männer, welche sich um Staat oder Kirche, Wissenschaft oder Kunst verdient gemacht haben, als Mitglieder auf Lebensdauer in das Herrenhaus zu berufen. Die Zahl dieser Mitglieder darf 170 nicht überschreiten und nicht unter 150 verbleiben. 89. Eherechts-Gesetz der ,,Maigesetze“, 25. Mai 1868 4
Gesetz vom 25. Mai 1868 […] Mit Zustimmung der beiden Häuser des Reichsrathes finde Ich das folgende Gesetz zu erlassen, wodurch die Vorschriften des zweiten Hauptstückes des allg. bürgerl. Gesetzbuches über das Eherecht für Katholiken wieder hergestellt, die Gerichtsbarkeit in Ehesachen den weltlichen Gerichtsbehörden überwiesen und Bestimmungen über die bedingte Zulässigkeit der Eheschließung vor weltlichen Behörden eingeführt werden. Art. II. Wenn einer der nach den Vorschriften des allg. bürgerl. Gesetzbuches zum Aufgebote der Ehe berufenen Seelsorger die Vornahme des Aufgebotes oder einer von den zur Entgegennahme der feierlichen Erklärung der Einwilligung berufenen Seelsorgern, welcher von den Brautleuten deßhalb angegangen wurde, die Vornahme des Aufgebotes oder die Entgegennahme der feierlichen Erklärung der Einwilligung zur Ehe aus einem durch die Gesetzgebung des Staates nicht anerkannten Hinderungsgrunde verweigert, so steht es den Brautleuten frei, das Aufgebot ihrer Ehe durch die weltliche Behörde zu veranlassen und die feierliche Erklärung der Einwilligung zur Ehe vor dieser Behörde abzugeben. 90. Zur Kündigung des Konkordats: Wiener Zeitung, 31. Juli 1870 4
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(Wiener Zeitung, Nr. 174, 31.7.1870, S. 2); (Manual Rz. 1709), (Manual Rz. 1689)
Aus Anlaß der Infallibilitätserklärung des päpstlichen Stuhles haben in den bezüglichen Ministerien eingehende Berathungen stattgefunden. Dieselben haben zu dem Ergebnisse geführt, daß das mit dem kaiserl. Patente vom 5. November 1855 […], kundgemachte, mit Sr. Heiligkeit Papst Pius IX. am 18. August 1855 abgeschlossene Uebereinkommen (Concordat) in Folge der neuesten Erklärung des heil. Stuhles über die Machtvollkommenheit des Oberhauptes der katholischen Kirche nicht länger aufrecht zu halten und daher außer Wirksamkeit zu setzen sei. Demzufolge hat der Herr Reichskanzler die erforderlichen Schritte eingeleitet, um die formelle Aufhebung dieses Uebereinkommens dem päpstlichen Stuhle zu notificiren und haben Se. k. und k. Apostolische Majestät den Herrn Minister für Cultus und Unterricht beauftragt, diejenigen Gesetzesvorlagen für den Reichsrath vorzubereiten, welche sich als nothwendig darstellen, um die noch geltenden Vorschriften des k. Patents vom 5. November 1855 zur Regelung der katholischen Kirche in Oesterreich
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nach Maßgabe der Staatsgrundgesetze und mit Rücksicht auf historische gegebene Verhältnisse abzuändern. 91. * Kriegswirtschaftliches Ermächtigungsgesetz 1917 4
Gesetz vom 24. Juli 1917, mit welchem die Regierung ermächtigt wird, aus Anlaß der durch den Kriegszustand verursachten außerordentlichen Verhältnisse diese notwendigen Verfügungen auf wirtschaftlichem Gebiete zu treffen. §. 1. Die Regierung wird ermächtigt, während der Dauer der durch den Krieg hervorgerufenen außerordentlichen Verhältnisse durch Verordnung die notwendigen Verfügungen zur Förderung und Wiederaufrichtung des wirtschaftlichen Lebens, zur Abwehr wirtschaftlicher Schädigungen und zur Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und anderen Bedarfsgegenständen zu treffen. […] §. 3. Die Regierung ist verpflichtet, die auf Grund der Kaiserlichen Verordnung vom 10. Oktober 1914, R.G.Bl. Nr. 274, erlassenen Verordnungen dem Reichsrat vorzulegen und über sein Verlangen außer Wirksamkeit zu setzen. Das gleiche gilt für die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen, welche dem Reichsrate, falls er versammelt ist, spätestens am Ende jedes Kalendervierteljahres, sonst bei seinem Zusammentritt vorzulegen sind. §. 5. Die auf Grund dieses Gesetzes oder der Kaiserlichen Verordnungen vom 10. Oktober 1914, R.G.Bl. Nr. 274, erlassenen Verordnungen bleiben, soweit sie nicht zeitlich begrenzt sind, so lange in Kraft, als sie nicht durch neue, auf Grund dieses Gesetzes oder auf Grund einer anderen gesetzlichen Ermächtigung erlassene Verordnungen oder über Verlangen des Reichsrates nach § 3 dieses Gesetzes abgeändert oder außer Wirksamkeit gesetzt werden. Auch sind die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen außer Wirksamkeit zu setzen, wenn sie dem Reichsrat zu dem im § 3 dieses Gesetzes bezeichneten Termin nicht vorgelegt werden. 92. 14-Punkte Rede von Woodrow Wilson, 8. Jänner 1918 (W. Grewe, Fontes Historiae Iuris Gentium, Bd. 3/1, 1815–1945, Berlin/New York 1992, S. 670ff); 4 3 (Manual Rz. 1790, 1802), (Manual Rz. 1768, 1779)
Kongreßansprache des Präsident Wilson (14 Punkte) vom 8. Januar 1918 […] Das Programm des Weltfriedens ist daher unser Programm, und dieses, nach unserem Dafürhalten das einzig mögliche Programm, ist das folgende: Punkt zehn: Den Völkern von Oesterreich-Ungarn, deren Platz unter den andren Nationen wir sichergestellt zu sehen wünschen, müßte die erste Gelegenheit einer autonomen Entwicklung gegeben werden. Punkt vierzehn: Es muß eine allgemeine Vereinigung der Nationen mit bestimmten Vertragsbedingungen gebildet werden, zum Zwecke gegenseitiger Garantieleistung für die politische Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit der großen sowie der kleinen Nationen.
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93. * Kaiserliches Manifest, 16. Oktober 1918 4
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(Extra-Ausgabe der Wiener Zeitung, Nr. 240, 17.10.1918); (Manual Rz. 1797), (Manual Rz. 1774)
An meine getreuen österreichischen Völker! […] Österreich soll, dem Willen seiner Völker gemäß, zu einem Bundesstaate werden, in dem jeder Volksstamm auf seinem Siedlungsgebiete sein eigenes staatliches Gemeinwesen bildet. Der Vereinigung der polnischen Gebiete Österreichs mit dem unabhängigen polnischen Staate wird hiedurch in keiner Weise vorgegriffen. Die Stadt Triest samt ihrem Gebiete erhält, den Wünschen ihrer Bevölkerung entsprechend, eine Sonderstellung. Diese Neugestaltung, durch die die Integrität der Länder der ungarischen heiligen Krone in keiner Weise berührt wird, soll jedem nationalen Einzelstaate seine Selbständigkeit gewährleisten; sie wird aber auch gemeinsame Interessen wirksam schützen und überall dort zur Geltung bringen, wo die Gemeinsamkeit ein Lebensbedürfnis der einzelnen Staatswesen ist. […] Bis diese Umgestaltung auf gesetzlichem Wege vollendet ist, bleiben die bestehenden Einrichtungen zur Wahrung der allgemeinen Interessen unverändert aufrecht. Meine Regierung ist beauftragt, zum Neuaufbaue Österreichs ohne Verzug alle Arbeiten vorzubereiten. An die Völker, auf deren Selbstbestimmung das neue Reich sich gründen wird, ergeht Mein Ruf, an dem großen Werke durch Nationalräte mitzuwirken, die – gebildet aus den Reichsratsabgeordneten jeder Nation – die Interessen der Völker zueinander sowie im Verkehr mit Meiner Regierung zur Geltung bringen sollen. 94. * Staatsgründungsbeschluss, 30. Oktober 1918 4
Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich vom 30. Oktober 1918 über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt. § 1. Vorbehaltlich der Beschlüsse der konstituierenden Nationalversammlung wird einstweilen die oberste Gewalt des Staates Deutschösterreich durch die auf Grund des gleichen Wahlrechtes aller Bürger gewählte Provisorische Nationalversammlung ausgeübt. § 2. Die gesetzgebende Gewalt wird von der Provisorischen Nationalversammlung selbst ausgeübt. § 3. Mit der Regierungs- und Vollzugsgewalt betraut die Provisorische Nationalversammlung einen Vollzugsausschuß, den sie aus ihrer Mitte bestellt. Der Vollzugsausschuß führt den Titel „Deutschösterreichischer Staatsrat“. § 4. Der Staatsrat besteht nebst den drei Präsidenten der Nationalversammlung, die ihm kraft dieses Amtes angehören, aus weiteren zwanzig Mitgliedern und ebensovielen Ersatzmännern, die verhältnismäßig aus dem Hause gewählt werden. Der Staatsrat ist ständig. Er bleibt im Amt, bis die neugewählte Nationalversammlung den neuen Staatsrat eingesetzt hat. § 5. Der Staatsrat konstituiert sich unter dem Vorsitze der Präsidenten, bestellt aus seiner Mitte den Leiter seiner Kanzlei, der für die Führung der Staatsratsprotokolle verantwortlich ist, und den Notar des Staatsrates, der die Ausfertigungen des Staatsrates beurkundet. 78
Die drei Präsidenten, der Leiter der Kanzlei und der Notar bilden das geschäftsführende Staatsratsdirektorium. § 6. Die Präsidenten vertreten den Staatsrat nach außen, somit vor den Staatsbürgern wie vor den Vertretern anderer Staaten und Nationen. Ausfertigungen des Staatsrates sind ungültig, wenn sie nicht von einem der Präsidenten gefertigt und vom Leiter der Kanzlei und dem Notar des Staatsrates mitgezeichnet sind. § 7. Der Staatsrat berät die Vorlagen an die Nationalversammlung vor, beurkundet deren Beschlüsse, macht sie kund und erläßt die nötigen Vollzugsanweisungen. § 8. Der Staatsrat führt die Geschäfte der Staatsverwaltung nicht unmittelbar, sondern durch Beauftragte. Diese Beauftragten bilden in ihrer Gesamtheit die Staatsregierung. § 9. Die Beauftragten sind jeder einzeln und alle vereint für die Befolgung der Beschlüsse der Nationalversammlung, die Erfüllung der Aufträge und die Einhaltung der Vollmachten, die ihnen der Staatsrat erteilt, dem Staatsrat und der Nationalversammlung verantwortlich. Das Gesetz vom 25. Juli 1867, RGBl. 101, über die Verantwortlichkeit der Minister der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder findet auf die Staatsbeauftragten sinngemäß mit der vorläufigen Maßgabe Anwendung, daß an die Stelle des Staatsgerichtshofes ein 20gliedriger Ausschuß der Provisorischen Nationalversammlung tritt. § 10. Die Beauftragten bestellt der Staatsrat, er setzt dabei im Rahmen der Beschlüsse der Nationalversammlung (§ 12) den Umfang der erteilten Aufträge und Vollmachten fest. Die Beauftragung ist jederzeit durch Beschluß des Staatsrates widerruflich. § 11. Jedem Beauftragten ist ein besonderes Amt mit allen nötigen persönlichen und sachlichen Erfordernissen unterstellt. Ein solches Amt trägt die Bezeichnung „Staatsamt“. Der Beauftragte führt als Vorsteher dieses Amtes den Titel „Staatssekretär“ unter Beifügung des Zusatzes (§13), der das unterstellte Amt bezeichnet. § 12. Die allgemeinen ständigen Aufträge und Vollmachten der Staatsämter werden durch Beschluß der Nationalversammlung festgestellt und abgegrenzt. Bis auf weiteres, bis die Nationalversammlung die Zahl der Staatsämter verringert und deren Aufträge und Vollmachten neu regelt, wird Auftrag und Vollmacht jedes Staatssekretärs und Staatsamts vorläufig – vorbehaltlich der im § 13 getroffenen Änderungen – nach Umfang und Grenzen ebenso festgestellt, wie die derzeitige Zuständigkeit der für die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder bestehenden Ministerien. § 13. Demnach werden einstweilen eingerichtet: ein Staatsamt des Äußern mit der Zuständigkeit des bisherigen k. u. k. Ministeriums des Äußern und mit Auftrag und Vollmacht, auch die auswärtigen Beziehungen zu den auf dem Boden der bisherigen österreichisch-ungarischen Monarchie entstehenden souveränen Nationalstaaten zu regeln und zu pflegen;
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ein Staatsamt für Heerwesen, das in sich die Aufträge und Vollmachten des k. u. k. Kriegsministeriums einschließlich der Marinesektion und des k. k. Ministeriums für Landesverteidigung vereinigt; ein Staatsamt des Innern; ein Staatsamt für Unterricht; ein Staatsamt für Justiz; ein Staatsamt der Finanzen; ein Staatsamt für Landwirtschaft, entsprechend dem k.k. Ackerbauministerium; ein Staatsamt für Gewerbe, Industrie und Handel, entsprechend dem k.k. Handelsministerium; ein Staatsamt für öffentliche Arbeiten; ein Staatsamt für Verkehrswesen, entsprechend dem k.k. Eisenbahnministerium; ein Staatsamt für Volksernährung, entsprechend dem k.k. Amte für Volksernährung; ein Staatsamt für soziale Fürsorge; ein Staatsamt für Volksgesundheit; ein Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft mit Auftrag und Vollmacht, die planmäßige, rasche und stetige Zusammenarbeit der volkswirtschaftlichen und sozialen Ämter während der Kriegs- und Übergangszeit zu sichern. § 14. Der Staatsrat kann auch für verwandte Staatsämter gemeinsam einen Staatssekretär bestellen und bei Bedarf die gemeinsame Beauftragung wieder teilen. § 15. Der Staatsrat betraut einen der Staatssekretäre mit dem Vorsitz in der Staatsregierung. § 16. Insoweit Gesetze und Einrichtungen, die in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern in Kraft stehen, durch diesen Beschluß nicht aufgehoben oder abgeändert sind, bleiben sie bis auf weiteres in vorläufiger Geltung. § 17. Mit dem Vollzug dieses Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung ist der Deutschösterreichische Staatsrat betraut. 95. * Verzichtserklärung, 11. November 1918 4
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(Extra-Ausgabe der Wiener Zeitung, Nr. 261, 11.11.1918); (Manual Rz. 1798-1800), (Manual Rz.1775-1777)
Der Kaiser hat folgende Kundgebung erlassen: Seit Meiner Thronbesteigung war ich unablässig bemüht, Meine Völker aus den Schrecknissen des Krieges herauszuführen, an dessen Ausbruch Ich keinerlei Schuld trage. Ich habe nicht gezögert, das verfassungsmäßige Leben wieder herzustellen, und habe den Völkern den Weg zu ihrer selbständigen staatlichen Entwicklung eröffnet. Nach wie vor von unwandelbarer Liebe für alle Meine Völker erfüllt, will Ich ihrer freien Entfaltung Meine Person nicht als Hindernis entgegenstellen. Im voraus erkenne Ich die Entscheidung an, die Deutschösterreich über seine künftige Staatsform trifft. Das Volk hat durch seine Vertreter die Regierung übernommen. Ich verzichte auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften. Gleichzeitig enthebe Ich Meine österreichische Regierung ihres Amtes. […]
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96. * Gesetz über die Staats- und Regierungsform, 12. November 1918 4
Gesetz vom 12. November 1918 über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich. Kraft Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung verordnet der Staatsrat, wie folgt: Artikel 1. Deutschösterreich ist eine demokratische Republik. Alle öffentlichen Gewalten werden vom Volke eingesetzt. Artikel 2. Deutschösterreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik. Besondere Gesetze regeln die Teilnahme Deutschösterreichs an der Gesetzgebung und Verwaltung der Deutschen Republik sowie die Ausdehnung des Geltungsbereiches von Gesetzen und Einrichtungen der Deutschen Republik auf Deutschösterreich. Artikel 3. Alle Rechte, welche nach der Verfassung der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder dem Kaiser zustanden, gehen einstweilen, bis die konstituierende Nationalversammlung die endgültige Verfassung festgesetzt hat, auf den deutschösterreichischen Staatsrat über. Artikel 4. Die k. u. k. Ministerien und die k. k. Ministerien werden aufgelöst. Ihre Aufträge und Vollmachten auf dem Staatsgebiete von Deutschösterreich gehen unter ausdrücklicher Ablehnung jeder Rechtsnachfolge auf die deutschösterreichischen Staatsämter über. Den andern Nationalstaaten, die auf dem Boden der österreichisch-ungarischen Monarchie entstanden sind, bleiben ihre Ansprüche an die erwähnten Ministerien wie auf das von diesen verwaltete Staatsvermögen gewahrt. […] Artikel 5. Alle Gesetze und Gesetzesbestimmungen, durch die dem Kaiser und den Mitgliedern des kaiserlichen Hauses Vorrechte zugestanden werden, sind aufgehoben. Artikel 6. Die Beamten, Offiziere und Soldaten sind des dem Kaiser geleisteten Treueides entbunden. Artikel 7. Die Übernahme der Krongüter wird durch ein Gesetz durchgeführt. Artikel 8. Alle politischen Vorrechte sind aufgehoben. Die Delegationen, das Herrenhaus und die bisherigen Landtage sind abgeschafft. Artikel 9. Die konstituierende Nationalversammlung wird im Jänner 1919 gewählt. Die Wahlordnung wird noch von der Provisorischen Nationalversammlung beschlossen, sie beruht auf der Verhältniswahl und auf dem allgemienen, gleichen, direkten und geheimen Stimmrecht aller Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts. 97. * Gesetz betreffend die Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern, 1918 4
Gesetz vom 14. November 1918, betreffend die Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern. § 1. An Stelle der bisherigen Landtage, deren Bestand auf Grund des Kaiserlichen Patentes vom 26. Februar 1861, R.G.Bl. Nr. 20, durch die Landesordnungen und die hierzu erlassenen abändernden und ergänzenden Vorschriften geregelt ist, treten in
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Deutschösterreich bis zum Inkrafttreten neuer, durch Gesetz erlassener Landesordnungen die provisorischen Landesversammlungen. § 2. An Stelle der bisherigen Landesausschüsse treten die von den provisorischen Landesversammlungen gewählten „Landesräte“. Ihre Mitglieder führen den Titel „Landesräte“. § 3. Jede provisorische Landesversammlung wählt aus ihrer Mitte mit Stimmenmehrheit den Landeshauptmann und durch Verhältniswahlen zwei bis vier Stellvertreter. Der Landeshauptmann und seine Stellvertreter führen in der provisorischen Landesversammlung den Vorsitz und leiten deren Verhandlungen sowie die Amtsführung des Landesrates. § 4. Der Landeshauptmann und seine Stellvertreter bilden die „Landesregierung“. Die Landesregierung übernimmt alle Amtsgeschäfte, die durch die geltenden Gesetze dem Landeschef […] übertragen sind. Jene Amtsgeschäfte des Landeschefs, die zum Wirkungskreise des Finanzministeriums gehören, werden durch einen vom Landesrate mit Genehmigung des Staatsrates eigens hierzu berufenen Stellvertreter des Landeshauptmannes versehen. Der Landesregierung untersteht die bisherige Landesbehörde (Statthalterei oder Landesregierung). Die k. k. Statthalter und k. k. Landespräsidenten werden abberufen. § 5. Der Landeshauptmann ist Vorsitzender der Landesregierung. […] § 8. Die Landesregierung ist [...] an die Dienstesanweisungen der deutschösterreichischen Staatsregierung gebunden und dieser verantwortlich. § 9. Die Teilung der öffentlichen Verwaltung in landesfürstliche und autonome ist aufgehoben. Bis zur Durchführung der entsprechenden Verwaltungsreform bleiben die Geschäfte des Landesrates und der Landesregierung voneinander getrennt. Der Landeshauptmann kann jedoch verfügen, daß Amtsabteilungen des Landesrates und der Landesregierung, die mit derselben Sache befaßt sind, unmittelbar zusammenarbeiten. § 12. Aufgehoben sind die Vorschriften der geltenden Landesordnungen: wonach kein Landtag mit einer anderen Landesvertretung in Verkehr treten darf, wonach Abordnungen in die Versammlungen des Landtages nicht zugelassen und Bittschriften vom Landtage nur angenommen werden dürfen, wenn sie durch ein Mitglied überreicht werden. 98. * Gesetz über das Staatsgebiet, 22. November 1918 4
Gesetz vom 22. November 1918 über Umfang, Grenzen und Beziehungen des Staatsgebietes von Deutschösterreich. § 1. Die Republik Deutschösterreich übt die Gebietshoheit über das geschlossene Siedlungsgebiet der Deutschen innerhalb der bisher im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder aus. Die Republik umfaßt: Die Länder Österreich unter der Enns einschließlich des Kreises Deutsch-Südmähren und des deutschen Gebietes um Neubistritz, Österreich ob der Enns einschließlich des Kreises Deutsch-Südböhmen, Salzburg, Steiermark und Kärnten mit Ausschluß der geschlossenen jugoslawischen Sied82
lungsgebiete, die Grafschaft Tirol mit Ausschluß des geschlossenen italienischen Siedlungsgebietes, Vorarlberg, Deutschböhmen und Sudetenland, sowie die deutschen Siedlungsgebiete von Brünn, Iglau und Olmütz. § 2. Kraft dieser Gebietshoheit unterstehen alle Personen, die im Staatsgebiete weilen, und alle beweglichen und unbeweglichen Sachen, die sich im Staatsgebiete vorfinden, den Gesetzen und Behörden von Deutschösterreich. [...] § 3. Die Gerichtsbezirke, Gemeinden und Ortschaften, die das Staatsgebiet bilden, werden durch den Staatsrat bestimmt und kundgemacht. 99. Wahlordnung für die Konstituierende Nationalversammlung, 18. Dezember 1918 4
Gesetz vom 18. Dezember 1918 über die Wahlordnung der konstituierenden Nationalversammlung Die Provisorische Nationalversammlung der Republik Deutschösterreich hat beschlossen: III. Wahlrecht und Wählbarkeit § 11. Wahlberechtigt ist jeder deutschösterreichische Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechtes, der vor dem 1. Jänner 1919 das zwanzigste Lebensjahr überschritten hat. Die Landesgesetzgebung kann bestimmen, daß die innerhalb des betreffenden Landes Wahlberechtigten verpflichtet seien, bei der Wahl der Mitglieder der konstituierenden Nationalversammlung das aktive Wahlrecht auszuüben. In diesem Falle ist die Erlassung näherer Vorschriften über die Wahlpflicht, insbesondere die Erlassung von Durchführungs- und Strafbestimmungen unter Einführung des Mandatverfahrens der Landesgesetzgebung vorbehalten § 12. Wählbar ist ohne Unterschied des Geschlechtes jeder wahlberechtigte deutschösterreichische Staatsbürger, der vor dem 1. Jänner 1919 das neunundzwanzigste Lebensjahr überschritten hat. 100. Novelle zum Staatsgründungsbeschluss, 19. Dezember 1918 4
Gesetz vom 19. Dezember 1918, womit einige Bestimmungen des [Staatsgründungsbeschlusses] abgeändert oder ergänzt werden. § 1. Die von der Provisorischen Nationalversammlung gewählten drei Präsidenten sind gleichberechtigt. Sie führen den Vorsitz in der Nationalversammlung (Präsident im Hause), leiten die Verhandlungen des Staatsrates (Präsident im Rate) und stehen der Staatsregierung vor (Präsident im Kabinett). § 2. Die Präsidenten wechseln in ihrer Dienstverwendung in vereinbarter Reihenfolge von Woche zu Woche ab. Der eine Präsident ist jeweils mit der Präsidentschaft im Hause, der andere mit der Präsidentschaft im Rate, der dritte mit der Präsidentschaft im Kabinett betraut. Im Falle der Verhinderung eines Präsidenten vertreten ihn in vereinbarter Reihenfolge die beiden anderen Präsidenten. § 3. (1) Dem Staatsrate unterstehen unmittelbar die Staatskanzlei und das Staatssiegelamt. 83
(2) Der Leiter der Staatskanzlei führt den Titel Staatskanzler, der Leiter des Staatssiegelamtes den Titel Staatsnotar. Beide sind nach Maßgabe des § 9 des Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt vom 30. Oktober 1918, St.G.Bl. Nr. 1, verantwortlich. (3) Die Ausfertigungen des Staatsrates werden vom Präsidenten gefertigt. Sie bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Staatskanzlers oder eines Staatssekretärs. Ihre Beurkundung erfolgt durch den Staatsnotar. (4) § 6, Absatz 2, des Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918, St.G.Bl. Nr. 1, wird aufgehoben. […] § 5. (1) Staatsverträge bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Genehmigung durch den Staatsrat. (2) Nur Handelsverträge und solche Staatsverträge, die eine Veränderung des Staatsgebietes zur Folge haben, bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Genehmigung durch die Provisorische Nationalversammlung. (3) Die Ratifikation der Staatsverträge erfolgt durch den Präsidenten im Kabinett unter Gegenzeichnung des Staatskanzlers, des Staatssekretärs für Äußeres und des dem Gegenstande des Vertrages nach zuständigen Staatssekretärs. § 6. (1) Die drei Präsidenten bilden unter dem Vorsitz des jeweiligen Präsidenten im Kabinett das Staatsratsdirektorium. (2) Seine Beschlüsse bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Staatskanzlers. Sie werden vom Staatsnotar beurkundet. (3) § 5, Absatz 2, des Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt vom 30. Oktober 1918, St.G.Bl. Nr. 1, wird aufgehoben. […] § 8. Dem Staatsratsdirektorium obliegt die Leitung und Verwendung der Wehrmacht. § 12. Die Staatskanzlei besorgt alle mit dem Dienste des Staatsrates zusammenhängenden Amtsgeschäfte. […]
101. Gesetz über das besetzte Staatsgebiet, 12. März 1919 4
Gesetz vom 12. März 1919, über das besetzte Staatsgebiet. Artikel 1. Die konstituierende Nationalversammlung erhebt gegen die gewaltsame Besetzung der Länder Deutschböhmen und Sudetenland, des Kreises Znaim und des Böhmerwaldgaues, der Einschlußgebiete von Brünn, Iglau und Olmütz, ferner der südlichen Grenzgebiete von Steiermark und Kärnten feierlichen Einspruch; sie erklärt diese Länder und Gebiete sowie jenen Teil von Deutsch-Südtirol und Kärnten, der vom Königreich Italien auf Grund des Waffenstillstandsvertrages besetzt ist, kraft des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen und kraft eigener freier Beitrittserklärungen als unverzichtbare Bestandteile der Republik Deutschösterreich. Artikel 2. Die konstituierende Nationalversammlung legt entschieden Verwahrung dagegen ein, daß diese Gebiete an der freien Wahl behindert und dadurch ihrer Vertretung in der konstituierenden Nationalversammlung durch rechtswidrige Gewalt beraubt worden sind und behält das in § 40 der Wahlordnung vorgesehene Recht, Vertreter dieser besetzten Gebiete einzuberufen, sich selbst vor. Die verfassungsmäßige Tätigkeit der konstituierenden Nationalversammlung wird durch die gewaltsame rechtswidrige Verhinderung der Wahl eines Teiles ihrer Vertreter nicht beeinträchtigt.
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102. Gesetz über die Volksvertretung, 14. März 1919 4
Gesetz vom 14. März 1919 über die Volksvertretung. Die Konstituierende Nationalversammlung hat beschlossen: Artikel 1. (1) Die vom Volke Deutschösterreichs gewählte konstituierende Nationalversammlung übernimmt als höchstes Organ des Volkes die oberste Gewalt der Republik. Sie allein hat das Recht, Krieg zu erklären und Friedensverträge zu genehmigen. Alle öffentlichen Gewalten beruhen auf den von ihr beschlossenen Gesetzen. (3) Die provisorische Verfassung der Republik Deutschösterreich bleibt, soweit sie nicht durch die folgenden Bestimmungen abgeändert wird, in Geltung. Die konstituierende Nationalversammlung tritt an Stelle der provisorischen. […] Artikel 4. (1) Gesetzesvorschläge gelangen an das Haus entweder als Vorlagen der Staatsregierung oder als Anträge der Mitglieder des Hauses. Artikel 5. (1) Hat die Staatsregierung Bedenken, einen von der Nationalversammlung gefaßten Beschluß zu vollziehen, so kann sie gegen ihn vor der Kundmachung binnen 14 Tagen unter Angabe der Gründe bei der Nationalversammlung Vorstellung erheben. (2) Beharrt die Nationalversammlung auf ihrem ursprünglichen Beschlusse, so ist dieser unverzüglich kundzumachen. […] Artikel 10. (1) Zur Regelung der Arbeiten des Hauses, zur ständigen Verbindung zwischen Gesetzgebung und Vollziehung sowie zur Mitwirkung an der Bestellung der Staatsregierung (Artikel 2 des Gesetzes über die Staatsregierung) wählt das Haus aus seiner Mitte einen Hauptausschuß. (2) Der Hauptausschuß besteht aus dem Präsidenten der Nationalversammlung, der den Vorsitz führt, aus dem zweiten und dritten Präsidenten, die ihn im Vorsitze vertreten, und aus elf auf Grund der Verhältniswahl gewählten Mitgliedern. […] Artikel 12. Die Gesetzgebung über alle Gegenstände, die nach der bestehenden Verfassung der Landesgesetzgebung unterliegen, wird von den Landesversammlungen der einzelnen Länder nach den jeweils geltenden Landesordnungen und den durch Landesgesetze eingeführten Geschäftsordnungen ausgeübt. Artikel 13. Die Landesregierungen sind verpflichtet, alle Gesetzesbeschlüsse der Landesversammlungen vor ihrer Kundmachung der Staatsregierung mitzuteilen. Artikel 14. (1) Hat die Staatsregierung gegen einen solchen Beschluß der Landesversammlungen Bedenken, so kann sie gegen ihn binnen 14 Tagen nach Einlangen der Mitteilung bei der Landesversammlung im Wege der Landesregierung Vorstellung erheben. […] 103. Gesetz über die Staatsregierung, 14. März 1919 4
Gesetz vom 14. März 1919, über die Staatsregierung. Artikel 1. (1) Mit der Ausübung der Regierungs- und Vollzugsgewalt werden nach den folgenden Bestimmungen Volksbeauftragte, und zwar der Staatskanzler und die Staatssekretäre betraut. (2) Sie bilden in ihrer Gesamtheit die Staatsregierung. Den Vorsitz in dieser führt der Staatskanzler und in seiner Vertretung der Vizekanzler. 85
Artikel 2. (1) Zur Erstattung von Vorschlägen über die Bestellung der Staatsregierung ist der von der Nationalversammlung aus ihrer Mitte gewählte Hauptausschuß berufen. (Artikel 10 des Gesetzes über die Volksvertretung.) (2) Die Staatsregierung wird über einen solchen Vorschlag des Hauptausschusses von der Nationalversammlung gewählt. Die Nationalversammlung nimmt die Wahl der Staatsregierung durch namentliche Abstimmung über den Gesamtvorschlag des Hauptausschusses vor. […] Artikel 4. (1) Versagt das Haus der Staatsregierung oder einzelnen Mitgliedern derselben durch ausdrückliche Entschließung sein Vertrauen, so ist eine neue Regierung zu bestellen, beziehungsweise der betreffende Staatssekretär seines Amtes zu entheben. […] (2) Zu einem Beschlusse, mit welchem das Vertrauen versagt wird, ist die Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder der Nationalversammlung erforderlich. […] Artikel 5. Die Mitglieder der Staatsregierung sind nach Maßgabe des § 9 des Beschlusses vom 30. Oktober 1918 über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt, St.G.Bl. Nr. 1, der Nationalversammlung verantwortlich. Artikel 6. (1) Die Geschäfte des Staatsrates und des Staatsratsdirektoriums gehen auf die Staatsregierung über, soweit gesetzlich nicht anders bestimmt ist. […] Artikel 7. Die […] Ernennungen und Bestätigungen von Beamten und sonstigen öffentlichen Organen sowie die Verleihungen von Amtstiteln vollzieht der Präsident der Nationalversammlung über Vorschlag der Staatsregierung. […] Artikel 8. Der Präsident der Nationalversammlung vertritt die Republik Deutschösterreich nach außen […]. Artikel 11. (1) Zur Vertretung des Staatskanzlers wird ein Vizekanzler bestellt. Das Amt des Vizekanzlers kann einem mit der Führung eines Staatsamtes beauftragten oder einem mit bloß persönlichem Wirkungskreise betrauten Staatssekretär [...] übertragen werden. (2) Das Amt des Staatsnotars und das ihm bisher unterstellte Staatssiegelamt sind aufgehoben. Artikel 14. Dem Staatskanzler und den Staatssekretären können zur Unterstützung in der politischen Geschäftsführung und zur parlamentarischen Betretung von der Nationalversammlung oder gemäß Artikel 2, Absatz 2, vom Hauptausschusse Unterstaatssekretäre beigegeben werden, welche die ihnen übertragenen Geschäfte im Einvernehmen mit dem verantwortlichen Leiter des Staatsamtes zu besorgen haben.
Gesetz vom 6. Dezember 1918, wirksam für das Land Steiermark, womit eine Landesordnung für das Land Steiermark erlassen wird. Landesordnung für das Land Steiermark. I. Hauptstück. Von der Landesvertretung überhaupt. § 1. Das Land Steiermark wird in Landesangelegenheiten von der provisorischen Landesversammlung vertreten. § 2. Die zum Wirkungskreise der Landesvertretung gehörigen Befugnisse werden entweder durch die provisorische Landesversammlung selbst oder durch den Landesrat ausgeübt. § 3. Die provisorische Landesversammlung besteht aus sechzig durch Vereinbarung der politischen Parteien des Landes Steiermark bestimmte Mitglieder. § 4. Die provisorische Landesversammlung wählt aus ihrer Mitte mit Stimmenmehrheit den Landeshauptmann und durch Verhältniswahlen zwei Stellvertreter, ferner ebenfalls aus ihrer Mitte in einem Wahlgange neun weitere Mitglieder des Landesrates, die den Titel „Landesräte“ führen; der Landeshauptmann und seine Stellvertreter sind Mitglieder des Landesrates, sie führen in der provisorischen Landesversammlung den Vorsitz und leiten deren Verhandlungen sowie die Amtsführung des Landesrates. § 7. Der Landeshauptmann und seine Stellvertreter bilden die Landesregierung. Der Landeshauptmann ist Vorsitzender der Landesregierung. Er leistet einem der Präsidenten des Staatsrates in Gegenwart der übrigen Mitglieder des geschäftsführenden Staatsdirektoriums die Angelobung auf die deutschösterreichische Republik. […] § 8. Die Teilung der öffentlichen Verwaltung in landesfürstliche und autonome ist aufgehoben. Bis zur Durchführung der entsprechenden Verwaltungsreform bleiben die Geschäfte des Landesrates und der Landesregierung von einander getrennt. […] II. Hauptstück. Wirkungskreis der Landesvertretung § 12. Die provisorische Landesversammlung ist berufen, bei der Ausübung der gesetzgebenden Gewalt innerhalb des ihr auf Grund der geltenden Gesetze zustehenden Wirkungskreises mitzuwirken. § 13. Die provisorische Landesversammlung ist berufen: 1. Zu beraten und Anträge zu stellen a) über kundgemachte allgemeine Gesetze und Einrichtungen bezüglich ihrer besonderen Rückwirkung auf das Wohl des Landes und b) auf Erlassung allgemeiner Gesetze und Einrichtungen, welche die Bedürfnisse und die Wohlfahrt des Landes erheischen. 2. Vorschläge abzugeben über alle Gegenstände, worüber sie vom Staatsrate zu Rate gezogen wird. […]
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§ 19. Der Landesrat besorgt die gewöhnlichen Verwaltungsgeschäfte des Landesvermögens, der Landesfonds und Anstalten und leitet und überwacht die Dienstleistung der ihm untergebenen Beamten und Diener. Er hat hierüber sowie über die Ausführung der vollziehbaren Beschlüsse der provisorischen Landesversammlung dieser Rechenschaft zu geben und Anträge für die Landesversammlung über ihren Auftrag oder aus eigenem Antrieb vorzubereiten. Die Landesregierung und der Landesrat sind der Landesversammlung für ihre Geschäftsführung verantwortlich; soweit sie nicht im bloßen Vollzuge von Gesetzgeber oder auf Grund von Gesetzen erlassenen Verordnungen, Verfügungen und Weisungen handeln, und zwar unbeschadet der Verantwortlichkeit der Landesregierung gegenüber der deutschösterreichischen Staatsregierung nach § 8 des Gesetzes vom 14. November 1918, St.G.Bl. Nr. 24. […] § 22. Der Landesrat hat überdies auch alle übrigen Geschäfte des bisherigen Landesausschusses zu besorgen, soweit diese nicht an andere Organe übergehen oder infolge der geänderten Verhältnisse aufhören. 105. Landesverfassung Vorarlberg 1919 4
Gesetz vom 14. März 1919 über die Verfassung des Landes Vorarlberg. I. Rechte des gesamten Volkes. § 1. Das Land ist selbständig, soweit seine Selbständigkeit nicht durch die Verfassung des Bundesstaates beschränkt ist; es übt als selbständiges Land alle Rechte aus, die nicht ausdrücklich der Gewalt des Bundesstaates vorbehalten sind. § 2. Die gesetzgebende und Vollzugsgewalt des Landes steht der Gesamtheit des Vorarlberger Volkes zu; sie wird ausgeübt teils unmittelbar durch Abstimmung des Volkes, teils mittelbar durch Landtag, Landesrat und Landesregierung. § 3. Die Stimmberechtigten üben ihre verfassungsmäßigen Rechte aus: a) durch Annahme oder Verwerfung der Verfassung und ihrer Abänderungen; b) durch Begehren einer Abänderung der Verfassung; c) durch Wahl des Landtages; d) durch Genehmigung oder Verwerfung von Gesetzen; e) durch Volksbegehren. […] § 4. Alle Gesetze, die nicht dringlicher Natur sind, unterliegen der Abstimmung des Volkes, wenn binnen 21 Tagen nach Erlaß des Gesetzes 10.000 Wähler, deren Stimmberechtigung beglaubigt ist, unterschriftlich die Abstimmunge verlangen. § 10. Der Landsrat besteht aus dem Landeshauptmann als Vorsitzedendem und 8 vom Landtage nach Verhältniswahl aus seiner Mitte entsandten Mitgliedern, die den Titel „Landesräte“ führen. […] § 11. Die Landesregierung besteht aus dem Landeshauptmanne als Vorsitzendem und zwei Mitgliedern des Landesrates als Beisitzern, die den Titel „Erster und Zweiter Landeshauptmann-Stellvertreter“ führen. […]
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§ 13. Der Landtag wird auf 5 Jahre gewählt. […] III. Befugnisse der vom Volke gewählten Vertretungen und Behörden. § 15. Als oberste gesetzgebende Körperschaft des Landes erläßt und erläutert der Landtag die Gesetze, insoweit sie nicht der bundesstaatlichen Gesetzgebung vorbehalten sind, unter Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte des Volkes. § 23. Der Landesrat ist der Vollzugsausschuß des Landtages; er vollzieht die Gesetze und Beschlüsse des Landtages und führt die Landesverwaltung. […] § 25. Er besorgt mit Verantwortlichkeit gegen den Landtag die gesamte Landesverwaltung und ist demnach auf allen jenen Gebieten, die nicht ausdrücklich der Gewalt des Bundesstaates vorbehalten sind, oberste Behörde. […] § 29. Die Landesregierung ist jene Behörde, die die Gesetze und Verordnungen des Bundesstaates im Lande durchführt. V. Rechte der Volksgenossen. § 35. Alle Volksgenossen sind vor dem Gesetze gleich. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist jedermann gewährleistet. § 36. Die im Lande verbreiteten und anerkannten christlichen Konfessionen[...] genießen Gewährleistung und Schutz des Landes für ihre Einrichtungen. Die freie Ausübung gottesdienstlicher Handlungen ist auch allen anderen Konfessionen innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und öffentlichen Ordnung gewährleistet. § 37. Die deutsche Sprache als die Sprache des Volkes genießt die Gewährleistung und den Schutz des Landes. Sie ist die Amtssprache des Landes. § 38. Das Eigentum ist unverletzlich. In Fällen, wo das öffentliche Wohl die Abtretung von Grundeigentum oder von anderen Privatrechten erfordert, steht dem Lande gegen gerechte und billige Entschädigung das Recht der Enteignung zu. §. 39. Keine Liegenschaft kann als unveräußerlich erklärt werden oder darf mit einer Leistung beschwert sein, die nicht nach dem Gesetze ablösbar wäre. § 40. Jeder stimmberechtigte und stimmfähige Volksgenosse ist, verpflichtet, an allen verfassungsmäßigen Wahlen und Abstimmungen des Landes teilzunehmen. 106. * Vertrag von St. Germain, 10. September 1919 4
Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye vom 10. September 1919 Art 27. Die Grenzen Österreichs werden wie folgt festgesetzt […] 2. Gegen Italien:[…] die Linie der Wasserscheide zwischen den Becken des Inn im Norden und der Etsch im Süden […] 6. Gegen den tschechoslowakischen Staat: Von dem vorbezeichneten Punkte bis zur Biegung der alten Grenze von 1867 zwischen Österreich und Ungarn […] von dort gegen Westnordwesten bis zu einem Punkte der alten politischen Grenze zwischen Niederösterreich und Mähren […].
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Art 49. Die Einwohner des Gebietes von Klagenfurt werden nach Maßgabe des folgenden berufen werden, durch Abstimmung den Staat zu bezeichnen, an den ihrem Wunsche nach dieses Gebiet angegliedert werden soll. […] Art 63. […] (2) Alle Einwohner Österreichs haben das Recht, öffentlich oder privat jede Art Glauben, Religion oder Bekenntnis frei zu üben, sofern deren Übung nicht mit der öffentlichen Ordnung oder mit den guten Sitten unvereinbar ist. Art 88. Die Unabhängigkeit Österreichs ist unabänderlich, es sei denn, dass der Rat des Völkerbundes einer Abänderung zustimmt. […] 107. * Bundes-Verfassungsgesetz 1920 4
Gesetz vom 1. Oktober 1920, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (Bundes-Verfassungsgesetz). Erstes Hauptstück. Allgemeine Bestimmungen. Artikel 1. Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus. Artikel 2. (1) Österreich ist ein Bundesstaat. (2) Der Bundesstaat wird gebildet aus den selbständigen Ländern: Burgenland, Kärnten, Niederösterreich (Niederösterreich-Land und Wien), Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg. Artikel 7. (1) Alle Bundesbürger sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen. (2) Den öffentlichen Angestellten, einschließlich der Angehörigen des Bundesheeres, ist die ungeschmälerte Ausübung ihrer politischen Rechte gewährleistet. Artikel 10. Bundessache ist die Gesetzgebung und die Vollziehung in folgenden Angelegenheiten: […] Artikel 11. (1) Bundessache ist die Gesetzgebung, Landessache die Vollziehung in folgenden Angelegenheiten: […] Artikel 12. (1) Bundessache ist die Gesetzgebung über die Grundsätze, Landessache die Erlassung von Ausführungsgesetzen und die Vollziehung in folgenden Angelegenheiten: […] Artikel 13. (1) Bundessache ist die Gesetzgebung und die Vollziehung hinsichtlich der Regelung, welche Abgaben dem Bund, den Ländern und den Gemeinden zustehen, der Regelung der Anteilnahme der Länder und der Gemeinden an den Einnahmen des Bundes und der Regelung der Beiträge und Zuschüsse aus Bundesmitteln zu den Ausgaben der Länder und der Gemeinden. (2) Landessache ist die Gesetzgebung und die Vollziehung hinsichtlich der Regelung, welche Abgaben der Länder den Gemeinden übertragen werden, der Regelung der Anteilnahme der Gemeinden an den Einnahmen der Länder und der Regelung der Beiträge und der Zuschüsse aus Landesmitteln zu den Ausgaben der Gemeinden.
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Artikel 14. Auf dem Gebiet des Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesens wird der Wirkungsbereich des Bundes und der Länder durch ein besonderes Bundesverfassungsgesetz geregelt. Artikel 15. (1) Soweit eine Angelegenheit nicht ausdrücklich durch die Bundesverfassung der Gesetzgebung oder auch der Vollziehung des Bundes übertragen ist, verbleibt sie im selbständigen Wirkungsbereich der Länder. […] Artikel 18. (1) Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden. (2) Jede Verwaltungsbehörde kann im Rahmen der Gesetze innerhalb ihres Wirkungsbereiches Verordnungen erlassen. Artikel 19. (1) Mit der Leitung der Vollziehung des Bundes und der Länder sind Volksbeauftragte betraut, die von den Vertretungen des Volkes im Bund und in den Ländern bestellt werden. Volksbeauftragte sind der Bundespräsident, die Bundesminister, die Staatssekretäre und die Mitglieder der Landesregierungen. (2) Die Geschäftsführung der Volksbeauftragten steht unter der Aufsicht der Volksvertretung, von der sie bestellt sind. (3) Sie können wegen ihrer Handlungen und Unterlassungen, soweit es die Bundesverfassung oder die Landesverfassungen bestimmen, vor dem Verfassungsgerichtshof zur Verantwortung gezogen werden. Artikel 23. (1) Alle mit Aufgaben des Bundes-, Landes- oder Gemeindeverwaltung oder der Gerichtsbarkeit betrauten Personen sind für jeden bei der Ausübung ihrer Tätigkeit durch vorsätzliche oder grobfahrlässige Rechtsverletzung wem immer zugefügten Schaden haftbar. Der Bund, die Länder oder die Gemeinden haften für die Rechtsverletzungen der von ihnen bestellten Personen. Zweites Hauptstück. Gesetzgebung des Bundes. A. Nationalrat. Artikel 24. Die Gesetzgebung des Bundes übt der vom ganzen Bundesvolk gewählte Nationalrat gemeinsam mit dem von den Landtagen gewählten Bundesrat aus. Artikel 26. (1) Der Nationalrat wird vom Bundesvolk auf Grund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Wahlrechtes der Männer und Frauen, die vor dem 1. Jänner des Jahres der Wahl das zwanzigste Lebensjahr überschritten hatten, nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Artikel 28. Der Nationalrat kann nur durch seinen Beschluß vertagt werden. Artikel 29. Vor Ablauf der Gesetzgebungsperiode kann der Nationalrat durch einfaches Gesetz seine Auflösung beschließen. B. Bundesrat. Artikel 34. (1) Im Bundesrat sind die Länder im Verhältnis zur Bürgerzahl […] vertreten. (2) Für die Vertretung und Stellung im Bundesrat gelten Wien und NiederösterreichLand (Artikel 108 bis 114) als selbständige Länder. (3) Das Land mit der größten Bürgerzahl entsendet zwölf […] Mitglieder […] Jedem Land gebührt jedoch eine Vertretung von wenigstens drei Mitgliedern. […] 91
C. Bundesversammlung. Artikel 38. Nationalrat und Bundesrat treten als Bundesversammlung in gemeinsamer öffentlicher Sitzung zur Wahl des Bundespräsidenten und zu dessen Angelobung, ferner zur Beschlußfassung über eine Kriegserklärung am Sitz des Nationalrates zusammen. Artikel 39. (1) Die Bundesversammlung wird […] vom Bundespräsidenten einberufen. […] D. Der Weg der Bundesgesetzgebung. Artikel 41. (1) Gesetzesvorschläge gelangen an den Nationalrat entweder als Anträge seiner Mitglieder oder als Vorlagen der Bundesregierung. Der Bundesrat kann durch Vermittlung der Bundesregierung Gesetzesanträge im Nationalrat stellen. (2) Jeder von 200.000 Stimmberechtigten oder von je der Hälfte der Stimmberechtigten dreier Länder gestellte Antrag (Volksbegehren) ist von der Bundesregierung dem Nationalrat zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung vorzulegen. Das Volksbegehren muß in Form eines Gesetzentwurfes gestellt werden. Artikel 42. (1) Jeder Gesetzesbeschluß des Nationalrates ist unverzüglich durch dessen Präsidenten dem Bundeskanzler zu übermitteln, der ihn sofort dem Bundesrat bekanntzugeben hat. (2) Ein Gesetzesbeschluß kann, soweit nicht verfassungsgesetzlich anderes bestimmt ist, nur dann beurkundet und kundgemacht werden, wenn der Bundesrat gegen diesen Beschluß keinen mit Gründen versehenen Einspruch erhoben hat. […] (4) Wiederholt der Nationalrat seinen ursprünglichen Beschluß bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder, so ist dieser zu beurkunden und kundzumachen. Beschließt der Bundesrat, keinen Einspruch zu erheben, oder wird innerhalb der im Absatz 3 festgesetzten Frist kein mit Begründung versehener Einspruch erhoben, so ist der Gesetzesbeschluß zu beurkunden und kundzumachen. […] Artikel 43. Einer Volksabstimmung ist jeder Gesetzesbeschluß des Nationalrates vor seiner Beurkundung durch den Bundespräsidenten zu unterziehen, wenn der Nationalrat es beschließt oder die Mehrheit der Mitglieder des Nationalrates es verlangt. Artikel 44. (1) Verfassungsgesetze oder in einfachen Gesetzen enthaltene Verfassungsbestimmungen können vom Nationalrat nur in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden; sie sind als solche („Verfassungsgesetz“, „Verfassungsbestimmung“) ausdrücklich zu bezeichnen. (2) Jede Gesamtänderung der Bundesverfassung, eine Teiländerung aber nur, wenn dies von einem Drittel der Mitglieder des Nationalrates oder des Bundesrates verlangt wird, ist nach Beendigung des Verfahrens gemäß Artikel 42, jedoch vor der Beurkundung durch den Bundespräsidenten, einer Abstimmung des gesamten Bundesvolkes zu unterziehen. Artikel 47. (1) Das verfassungsmäßige Zustandekommen der Bundesgesetze wird durch die Unterschrift des Bundespräsidenten beurkundet. […] (3) Die Beurkundung ist vom Bundeskanzler und von den zuständigen Bundesministern gegenzuzeichnen.
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Drittes Hauptstück. Vollziehung des Bundes. A. Verwaltung. 1. Bundespräsident. Artikel 60. (1) Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung gemäß Artikel 38 in geheimer Abstimmung gewählt. (2) Sein Amt dauert vier Jahre. Eine Wiederwahl für die unmittelbar folgende Funktionsperiode ist nur einmal zulässig. (3) Zum Bundespräsidenten kann nur gewählt werden, wer das Wahlrecht zum Nationalrat hat und vor dem 1. Jänner des Jahres das fünfunddreißigste Lebensjahr überschritten hat. (4) Ausgeschlossen von der Wählbarkeit sind Mitglieder regierender Häuser oder solcher Familien, die ehemals regiert haben. (5) Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte aller abgegebenen Stimmen für sich hat. Die Wahlgänge werden so lange wiederholt, bis sich eine unbedingte Mehrheit für eine Person ergibt. Artikel 64. (1) Wenn der Bundespräsident verhindert oder wenn seine Stelle dauernd erledigt ist, gehen alle Funktionen des Bundespräsidenten auf den Bundeskanzler über. (2) Dieser hat im Fall der dauernden Erledigung der Stelle des Bundespräsidenten sofort die Bundesversammlung zur Neuwahl des Bundespräsidenten einzuberufen. Artikel 65. (1) Der Bundespräsident vertritt die Republik nach außen, empfängt und beglaubigt die Gesandten, genehmigt die Bestellung der fremden Konsuln, bestellt die konsularischen Vertreter der Republik im Ausland und schließt die Staatsverträge ab. […] Artikel 68. (1) Der Bundespräsident ist für die Ausübung seiner Funktionen der Bundesversammlung gemäß Artikel 142 verantwortlich. (2) Zur Geltendmachung dieser Verantwortung ist die Bundesversammlung auf Beschluß des Nationalrates oder des Bundesrates vom Bundeskanzler einzuberufen. […] 2. Bundesregierung. Artikel 69. (1) Mit den obersten Verwaltungsgeschäften des Bundes sind, soweit diese nicht dem Bundespräsidenten übertragen sind, der Bundeskanzler, der Vizekanzler und die übrigen Bundesminister betraut. Sie bilden in ihrer Gesamtheit die Bundesregierung unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers. (2) Der Vizekanzler ist zur Vertretung des Bundeskanzlers in dessen gesamtem Wirkungsbereich berufen. Artikel 70. (1) Die Bundesregierung wird vom Nationalrat in namentlicher Abstimmung auf einen vom Hauptaussschuß zu erstattenden Gesamtvorschlag gewählt. (2) In die Bundesregierung kann nur gewählt werden, wer zum Nationalrat wählbar ist; die Mitglieder der Bundesregierung müssen nicht dem Nationalrat angehören. […] Artikel 74. (1) Versagt der Nationalrat der Bundesregierung oder einzelnen ihrer Mitglieder durch ausdrückliche Entschließung das Vertrauen, so ist die Bundesregierung oder der betreffende Bundesminister des Amtes zu entheben. (2) Zu einem Beschluß des Nationalrates, mit dem das Vertrauen versagt wird, ist die Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder des Nationalrates erforderlich. […]
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Artikel 76. (1) Die Mitglieder der Bundesregierung (Artikel 69 und 71) sind dem Nationalrat gemäß Artikel 142 verantwortlich. […] Artikel 77. (1) Zur Besorgung der Geschäfte der Bundesverwaltung sind die Bundesministerien und die ihnen unterstellten Ämter berufen. (2) Die Zahl der Bundesministerien, ihr Wirkungsbereich und ihre Einrichtung werden durch Bundesgesetz bestimmt. […] Artikel 78. […] (2) Den Bundesministern können zur Unterstützung in der Geschäftsführung und zur parlamentarischen Vertretung Staatssekretäre beigegeben werden, die in gleicher Weise wie die Bundesminister bestellt werden und aus dem Amt scheiden. (3) Der Staatssekretär ist dem Bundesminister unterstellt und an seine Weisungen gebunden. 3. Bundesheer. Artikel 80. (1) Über das Heer verfügt der Nationalrat. […] B. Gerichtsbarkeit. Artikel 82. (1) Alle Gerichtsbarkeit geht vom Bund aus. (2) Die Urteile und Erkenntnisse werden im Namen der Republik verkündet und ausgefertigt. Artikel 85. Die Todesstrafe im ordentlichen Verfahren ist abgeschafft. Artikel 87. (1) Die Richter sind in Ausübung ihres richterlichen Amtes unabhängig. […] Artikel 91. (1) Das Volk hat an der Rechtsprechung mitzuwirken. (2) Bei den mit schweren Strafen bedrohten Verbrechen, die das Gesetz zu bezeichnen hat, sowie bei allen politischen Verbrechen und Vergehen entscheiden Geschworne über die Schuld des Angeklagten. (3) Im Strafverfahren wegen anderer strafbarer Handlungen nehmen Schöffen an der Rechtsprechung teil, wenn die zu verhängende Strafe ein vom Gesetz zu bestimmendes Maß überschreitet. Artikel 94. (1) Die Justiz ist von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt. Viertes Hauptstück. Gesetzgebung und Vollziehung der Länder. A. Allgemeine Bestimmungen. Artikel 95. (1) Die Gesetzgebung der Länder wird von den Landtagen ausgeübt. Deren Mitglieder werden auf Grund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Verhältniswahlrechtes aller nach den Landtagswahlordnungen wahlberechtigten männlichen und weiblichen Bundesbürger gewählt, die im Land ihren ordentlichen Wohnsitz haben. […] Artikel 97. (1) Zu einem Landesgesetz ist der Beschluß des Landtages, die Beurkundung und Gegenzeichnung nach den Bestimmungen der Landesverfassung und die Kundmachung durch den Landeshauptmann im Landesgesetzblatt erforderlich. (2) Insoweit ein Landesgesetz bei der Vollziehung die Mitwirkung von Bundesbehörden vorsieht, muß zu dieser Mitwirkung die Zustimmung der Bundesregierung eingeholt werden. […] 94
Artikel 98. (1) Alle Gesetzesbeschlüsse der Landtage sind unmittelbar nach der Beschlußfassung und vor ihrer Kundmachung vom Landeshauptmann dem zuständigen Bundesministerium bekanntzugeben. (2) Wegen Gefährdung von Bundesinteressen kann die Bundesregierung gegen den Gesetzesbeschluß eines Landtages binnen acht Wochen von dem Tag, an dem der Gesetzesbeschluß beim zuständigen Bundesministerium eingelangt ist, einen mit Gründen versehenen Einspruch erheben. In diesem Fall darf der Gesetzesbeschluß nur kundgemacht werden, wenn ihn der Landtag bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder wiederholt. […] Artikel 99. (1) Die durch Landesgesetz zu erlassende Landesverfassung kann, insoweit dadurch die Bundesverfassung nicht berührt wird, durch Landesgesetz abgeändert werden. […] Artikel 100. (1) Jeder Landtag kann auf Antrag der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates vom Bundespräsidenten aufgelöst werden. […] Artikel 101. (1) Die Vollziehung jedes Landes übt eine vom Landtag zu wählende Landesregierung aus. (2) Die Mitglieder der Landesregierung müssen nicht dem Landtag angehören. Jedoch kann in die Landesregierung nur gewählt werden, wer zum Landtag wählbar ist. (3) Die Landesregierung besteht aus dem Landeshauptmann, der erforderlichen Zahl von Stellvertretern und weiteren Mitgliedern. […] Artikel 102. (1) Im Bereich der Länder üben die Vollziehung des Bundes, soweit nicht eigene Bundesbehörden bestehen (unmittelbare Bundesverwaltung), der Landeshauptmann und die ihm unterstellten Landesbehörden aus (mittelbare Bundesverwaltung). (2) Folgende Angelegenheiten können im Rahmen des verfassungsmäßig festgestellten Wirkungsbereiches unmittelbar von Bundesbehörden versehen werden: […] (3) Dem Bund bleibt es vorbehalten, auch in den im Absatz 2 aufgezählten Angelegenheiten den Landeshauptmann mit der Vollziehung des Bundes zu beauftragen. (4) Die Errichtung von eigenen Bundesbehörden für andere als die im Absatz 2 bezeichneten Angelegenheiten kann nur mit Zustimmung der beteiligten Länder erfolgen. […] Artikel 103. In den Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung ist der Landeshauptmann an die Weisungen der Bundesregierung sowie der einzelnen Bundesministerien gebunden; der administrative Instanzenzug geht in diesen Angelegenheiten, wenn nicht durch Bundesgesetz ausdrücklich anderes bestimmt ist, bis zu den zuständigen Bundesministerien. Artikel 105. (1) Der Landeshauptmann vertritt das Land. Er trägt in den Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung die Verantwortung gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 142. Der Geltendmachung dieser Verantwortung steht die Immunität nicht im Weg. (2) Die Mitglieder der Landesregierung sind dem Landtag gemäß Artikel 142 verantwortlich. […] Artikel 106. Zur Leitung des inneren Dienstes des Amtes der Landesregierung wird ein rechtskundiger Verwaltungsbeamter als Landesamtsdirektor bestellt. Er ist auch in den An95
gelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung das Hilfsorgan des Landeshauptmannes. Artikel 107. Vereinbarungen der Länder untereinander können nur über Angelegenheiten ihres selbständigen Wirkungsbereiches getroffen werden und sind der Bundesregierung unverzüglich zur Kenntnis zu bringen. B. Die Bundeshauptstadt Wien und das Land Niederösterreich. Artikel 108. (1) Der Landtag von Niederösterreich gliedert sich in zwei Kurien. Die eine (Kurie Land) wird gebildet von den Abgeordneten des Landes ausschließlich Wien. Die Wahl der anderen (Kurie Stadt) wird durch die Verfassung der Bundeshauptstadt Wien geregelt. Artikel 114. Ein selbständiges Land Wien kann durch übereinstimmende Gesetze des Wiener Gemeinderates und des Landtages von Niederösterreich-Land gebildet werden. C. Gemeinden. Artikel 115. Die allgemeine staatliche Verwaltung in den Ländern wird gemäß den nachfolgenden Bestimmungen nach dem Grundsatz der Selbstverwaltung eingerichtet. Artikel 116. (1) Verwaltungssprengel und Selbstverwaltungskörper, in die sich die Länder gliedern, sind die Ortsgemeinden und die Gebietsgemeinden. (2) Die Ortsgemeinden sind den Gebietsgemeinden und diese den Ländern untergeordnet. Artikel 117. (1) Ortsgemeinden mit mehr als 20.000 Einwohnern sind auf ihren Antrag zu Gebietsgemeinden zu erklären. Bei ihnen fällt die Bezirksverwaltung mit der Gemeindeverwaltung zusammen. (2) Die bisherigen Städte mit eigenem Statut werden Gebietsgemeinden. Artikel 119. (1) Die Organe der Ortsgemeinde sind die Ortsgemeindevertretung und das Ortsgemeindeamt, die Organe der Gebietsgemeinde die Gebietsgemeindevertretung und das Gebietsgemeindeamt. (2) Die Wahlen in alle Vertretungen finden auf Grund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Verhältniswahlrechtes aller Bundesbürger statt, die im Bereich der zu wählenden Vertretung ihren ordentlichen Wohnsitz haben. […] Artikel 120. (1) Die Festsetzung der weiteren Grundsätze für die Organisation der allgemeinen staatlichen Verwaltung in den Ländern nach den Artikeln 115 bis 119 ist Sache der Bundesverfassungsgesetzgebung; die Ausführung liegt den Landesgesetzgebungen ob. […] Fünftes Hauptstück. Rechnungskontrolle des Bundes. Artikel 121. (1) Zur Überprüfung der Gebarung der gesamten Staatswirtschaft des Bundes, ferner der Gebarung der von Organen des Bundes verwalteten Stiftungen, Fonds und Anstalten ist der Rechnungshof berufen. Ihm kann auch die Überprüfung der Gebarung von Unternehmungen übertragen werden, an denen der Bund finanziell beteiligt ist. (2) Der Rechnungshof verfaßt den Bundesrechnungsabschluß und legt ihn dem Nationalrat vor. […]
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Artikel 122. (1) Der Rechnungshof untersteht unmittelbar dem Nationalrat. […] Artikel 127. Durch die Landesverfassungsgesetze können dem Rechnungshof die ihm nach diesem Gesetz bezüglich der Gebarung des Bundes zustehenden Funktionen auch bezüglich der Gebarung des Landes übertragen werden. […] Sechstes Hauptstück. Garantien der Verfassung und Verwaltung A. Verwaltungsgerichtshof. Artikel 129. (1) Wer durch eine rechtswidrige Entscheidung oder Verfügung einer Verwaltungsbehörde in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, kann nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erheben. […] Artikel 135. Der Präsident, der Vizepräsident und die Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofes werden auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten ernannt. Der Vorschlag der Bundesregierung bedarf bezüglich des Präsidenten und der Hälfte der Mitglieder der Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates, bezüglich des Vizepräsidenten und der anderen Hälfte der Mitglieder der Zustimmung des Bundesrates. B. Verfassungsgerichtshof. Artikel 137. Der Verfassungsgerichtshof erkennt über alle Ansprüche an den Bund, die Länder oder die Gemeinden, die im ordentlichen Rechtsweg nicht auszutragen sind. Artikel 138. Der Verfassungsgerichtshof erkennt ferner über Kompetenzkonflikte a) zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden; b) zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und den Gerichten, insbesondere auch zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und dem Verfassungsgerichtshof selbst; c) zwischen den Ländern untereinander sowie zwischen einem Land und dem Bund. Artikel 139. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen einer Bundes- oder Landesbehörde. […] Artikel 140. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Verfassungswidrigkeit von Landesgesetzen auf Antrag der Bundesregierung, über Verfassungswidrigkeit von Bundesgesetzen auf Antrag einer Landesregierung, sofern aber ein solches Gesetz die Voraussetzung eines Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes bilden soll, von Amts wegen. Artikel 141. Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Anfechtungen von Wahlen zum Nationalrat, zum Bundesrat, zu den Landtagen, und allen anderen allgemeinen Vertretungskörpern und auf Antrag eines dieser Vertretungskörper auf Erklärung des Mandatsverlustes eines seiner Mitglieder. Artikel 142. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über die Anklage, mit der die verfassungsmäßige Verantwortlichkeit der obersten Bundes- und Landesorgane für die durch ihre Amtstätigkeit erfolgten schuldhaften Rechtsverletzungen geltend gemacht wird. […]
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Artikel 144. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Beschwerden wegen Verletzung der verfassungsmäßig gewährleisteten Rechte durch die Entscheidung oder Verfügung einer Verwaltungsbehörde nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges. (2) Das stattgebende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes bewirkt die Aufhebung der verfassungswidrigen Entscheidung oder Verfügung. Artikel 147. (3) Der Präsident, der Vizepräsident sowie die Hälfte der Mitglieder und Ersatzmitglieder werden vom Nationalrat, die andere Hälfte der Mitglieder und Ersatzmitglieder vom Bundesrat auf Lebensdauer gewählt. Siebentes Hauptstück. Schlußbestimmungen. Artikel 149. (1) Neben diesem Gesetze haben im Sinne des Artikels 44, Absatz 1, unter Berücksichtigung der durch dieses Gesetz bedingten Änderungen als Verfassungsgesetze zu gelten: Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867, R.G.Bl. Nr. 142, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichrate vertretenen Königreiche und Länder; Gesetz vom 27. Oktober 1862, R.G.Bl. Nr. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit; Gesetz vom 27. Oktober 1862, R.G.Bl. Nr. 88, zum Schutze des Hausrechtes; Beschluß der provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918, St.G.Bl. Nr. 3; Gesetz vom 3. April 1919, St.G.Bl. Nr. 209, betreffend die Landesverweisung und die Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen; Gesetz vom 3. April 1919, St.G.Bl. Nr. 211, über die Aufhebung des Adels, der weltlichen Ritter- und Damenorden und gewisser Titel und Würden; Gesetz vom 8. Mai 1919, St.G.Bl. Nr. 257, über das Staatswappen und das Staatssiegel der Republik Deutschösterreich mit den durch die Artikel 2, 5 und 6 des Gesetzes vom 21. Oktober 1919, St.G.Bl. Nr. 484, bewirkten Änderungen; Abschnitt V des III. Teiles des Staatsvertrages von St. Germain vom 10. September 1919 St.G.Bl. Nr. 303 aus 1920. (2) Artikel 20 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, R.G.Bl. Nr. 142, sowie das auf Grund dieses Artikels erlassene Gesetz vom 5. Mai 1869, R.G.Bl. Nr. 66, treten außer Kraft. 108. * Verfassungs-Übergangsgesetz 1920 4
Verfassungsgesetz vom 1. Oktober 1920, betreffend den Übergang zur bundesstaatlichen Verfassung. § 1. Alle Gesetze und Vollzugsanweisungen (Verordnungen) des Staates – einschließlich der Reichsgesetze des ehemaligen Staates Österreich, die gemäß § 16 des Beschlusses über die grundlegende Einrichtungen der Staatsgewalt vom 30. Oktober 1918, St.G.Bl. Nr. 1, für die Republik in Geltung gesetzt wurden – sowie alle Gesetze und Vollzugsanweisungen (Verordnungen) der Länder gelten weiter, insoweit sie nicht mit den Bestimmungen des Gesetzes vom 1. Oktober 1920, St.G.Bl. Nr. 450, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (BundesVerfassungsgesetz), in Widerspruch stehen. § 7. […] (2) Die nach dem Gesetz vom 24. Juli 1917, R. G. Bl. Nr. 307, mit welchem die Regierung ermächtigt wird, aus Anlaß der durch den Kriegszustand verursachten au98
ßerordentlichen Verhältnisse die notwendigen Verfügungen auf wirtschaftlichem Gebiete zu treffen, der Regierung zustehenden Befugnisse gehen sowohl auf die Bundesregierung als auch auf die einzelnen Bundesminister über. § 42. (1) Die Artikel 10 bis einschließlich 13 und der Artikel 15 des BundesVerfassungsgesetzes werden, soweit es sich nicht um Angelegenheiten der ehemals autonomen Verwaltung der Länder handelt, erst an dem Tag wirksam, an dem die folgenden Gesetze in Geltung getreten sind: 1. das Verfassungsgesetz des Bundes über die finanzielle Auseinandersetzung zwischen dem Bund und den Länder, beziehungsweise der Gemeinden; 2. das Verfassungsgesetz des Bundes über den Wirkungsbereich des Bundes und der Länder auf dem Gebiet des Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesens (Artikel 14 des Bundes-Verfassungsgesetzes); 3. das Verfassungsgesetz des Bundes über die Organisation der allgemeinen staatlichen Verwaltung in den Länder (Artikel 120 des Bundes-Verfassungsgesetzes). (2) Bis dahin gelten nachstehende Bestimmungen: a) Auf dem Gebiet der Gesetzgebung und Vollziehung wird die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern gegenüber der bestehenden zwischen Staat und Ländern nicht geändert. b) Alle Angelegenheiten der ehemals autonomen Verwaltung werden von den Ländern im selbständigen Wirkungsbereich vollzogen. c) Alle übrigen Angelegenheiten der Vollziehung werden von den Ländern als Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung im Sinne des BundesVerfassungsgesetzes geführt, soweit sie nicht in den Wirkungsbereich der eigenen Bundesbehörden (Artikel 102 des Bundes-Verfassungsgesetzes) fallen; […]. 109. Hans Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1920 (H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, Tübingen 1920, S. 12f); 4 3 (Manual Rz. 1853f), (Manual Rz. 1830f)
Seinen vollendetsten Ausdruck findet der echt demokratische Gedanke des Minoritätenschutzes innerhalb der repräsentativen Demokratie im Grundsatze der Proportionalität. […] Darum […] wählen die einzelnen Parteien ihre Vertrauensmänner ins Parlament, in dem jede Partei und so auch die Minoritäten im Verhältnis zu ihrer ziffernmäßigen Stärke vertreten sind. Bei den Abstimmungen des Parlamentes freilich kann der Gedanke der Proportionalität keine Anwendung mehr finden; hier tritt das Majoritätsprinzip wieder in seine Geltung. Und darum möchte es beinahe gleichgültig scheinen, ob eine Minorität mehr oder weniger stark vertreten ist, wenn schließlich ja doch der Wille der Majorität siegt. Allein, wenn auch nicht juristisch, so ist es doch psychologisch von größter Bedeutung, daß die Minorität neben der Majorität überhaupt und daß sie möglichst stark vertreten sei. […] Je nachhaltiger die Kritik, je zielbewußter die Opposition ist, die von der Minorität ausgeht, desto mehr erhalten die Beschlüsse der Majorität den Charakter von Kompromissen. Und gerade das Kompromiß kennzeichnet die Politik der Demokratie.
Protokoll, unterzeichnet in Venedig am 13. Oktober 1921, betreffend die Regelung der westungarischen Frage. II. Sobald das in Rede stehende Gebiet von den Banden gesäubert sein wird, soll es in voller Ruhe und Sicherheit von Österreich besetzt und in Besitz genommen werden. […] Acht Tage, nachdem die alliierte Generalskommission konstatiert haben wird, daß sich das Land im Zustande völliger Ruhe befindet, wird in der Stadt Ödenburg und Umgebung eine Volksbefragung erfolgen. 111. Genfer Protokolle, 4. Oktober 1922 4
Protokoll I. [...] Die königlich großbritannische Regierung, die Regierung der Französischen Republik, die Regierung Seiner Majestät des Königs von Italien und die Regierung der Tschecho-slowakischen Republik einerseits ... erklären feierlich: daß sie die politische Unabhängigkeit, die territoriale Integrität und die Souveränität Österreichs achten werden; daß sie keinerlei besonderen oder ausschließlichen Vorteil wirtschaftlicher oder finanzieller Art zu erlangen trachten werden, welcher diese Unabhängigkeit direkt oder indirekt beeinträchtigen könnte; daß sie sich jeder Handlung enthalten werden, welche gegen den Geist der zum Zwecke der wirtschaftlichen und finanziellen Wiederaufrichtung Österreichs abgeschlossenen Übereinkommen verstoßen [...] könnte [...]. Die Regierung der Republik Österreich andererseits verpflichtet sich gemäß dem Wortlaute des Artikels 88 des Vertrages von SaintGermain, ihre Unabhängigkeit nicht aufzugeben; sie wird sich jeder Verhandlung und jeder wirtschaftlichen oder finanziellen Bindung enthalten, welche geeignet wäre, diese Unabhängigkeit direkt oder indirekt zu beeinträchtigen. Diese Verpflichtung läßt Österreich unter Wahrung der Bestimmungen des Vertrages von Saint-Germain seine Freiheit in bezug auf Zolltarife, Handels- und Finanzabkommen und im allgemeinen hinsichtlich aller sein Wirtschaftssystem und seine Handelsbeziehungen betreffenden Angelegenheiten. Vorausgesetzt ist jedoch, daß Österreich seine wirtschaftliche Unabhängigkeit nicht dadurch antastet, daß es irgendeinem Staate ein Sondersystem oder ausschließliche Vorteile zugesteht, die geeignet wären, diese Unabhängigkeit zu gefährden. [...] Protokoll II. In der Absicht, Österreich bei dem Werke seines wirtschaftlichen und finanziellen Wiederaufbaues zu helfen, haben die großbritannische, französische, italienische, tschecho-slowakische und österreichische Regierung im gemeinsamen Einvernehmen nachstehende Beschlüsse gefaßt: Artikel 1. Die österreichische Regierung wird unter der Garantie, die sich aus dem vorliegenden Abkommen ergibt, Staatsobligationen im notwendigen Ausmaß ausgeben können, um einen wirklichen Gesamtertrag von höchstens 650 Millionen Goldkronen zu erreichen. Das Kapital und die Interessen der so ausgegebenen Staatsobligationen werden frei sein von allen Steuern, Abgaben oder Belastungen zugunsten des österreichischen Staates.
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Protokoll III. 2. Die österreichische Regierung wird innerhalb eines Monates in Zusammenarbeit, sei es mit dem Generalkommissär, dessen Wirkungskreis im nachstehenden § 4 umschrieben ist, sei es mit einer provisorischen Delegation des Völkerbundes, die zu diesem Zwecke wird ernannt werden können, ein Reform- und Sanierungsprogramm ausarbeiten das stufenweise durchzuführen ist. Dieses Programm ist bestimmt, Österreich binnen zwei Jahren die Herstellung eines dauernden Gleichgewichtes in seinem Budget zu ermöglichen; [...]. 3. Die österreichische Regierung wird dem österreichischen Parlament sofort einen Gesetzentwurf vorlegen, der jede Regierung, die während der nächsten zwei Jahre im Amte sein wird, bevollmächtigt, ohne neuerlich an das Parlament herantreten zu müssen, innerhalb der Grenzen dieses Programmes alle Maßnahmen zu ergreifen, die nach ihrer Meinung notwendig sind, um bis zum Ende dieses Zeitabschnittes das budgetäre Gleichgewicht wiederherzustellen. 4. Österreich stimmt zu, daß der Völkerbundrat einen Generalkommissär ernenne, der diesem verantwortlich ist und von ihm abberufen werden kann. [...] Seine Aufgabe wird es sein, auf der Durchführung des Reformprogrammes zu bestehen und sie zu überwachen. [...] 112. Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923 4
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(A. Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, Leipzig/Wien 1923, S. 213; 219); (Manual Rz. 1856), (Manual Rz. 1833)
So baut sich das System der Rechtsformen im modernen Staate aus einer ganzen nicht nur vielgliedrigen sondern in dieser Gliederung auch mehrstufigen Reihe typischer Rechtserscheinungen oder Staatsakte auf. […] Die stufenweise Rechtserzeugung vollzieht sich auf die Weise, daß objektives Recht einer bestimmten Stufe gewissermaßen in die Subjektivität des zur Erzeugung von Recht der nächsten Stufe berufenen Organes eingeht, worauf aus diesem Subjekt in einem Willens- und Denkprozesse objektives Recht der nächstniederen Stufe in die Rechtswelt austritt. […] 113. * Verfassungsnovelle 1925 4
Bundesverfassungsgesetz vom 30. Juli 1925, betreffend einige Abänderungen des Bundes-Verfassungsgesetzes vom 1. Oktober 1920, B.G.Bl. Nr. 1 (BundesVerfassungsnovelle) [Novellierung unter anderem folgender Artikel des B-VG:] Artikel 2. (2) Der Bundesstaat wird gebildet aus den selbständigen Ländern: Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg, Wien. Artikel 13. Die Zuständigkeiten des Bundes und der Länder auf dem Gebiete des Abgabenwesens werden durch ein eigenes Bundesverfassungsgesetz („FinanzVerfassungsgesetz“) geregelt. Artikel 18. (2) Jede Verwaltungsbehörde kann auf Grund der Gesetze innerhalb ihres Wirkungsbereiches Verordnungen erlassen. Artikel 103. (1) In den Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung ist der Landeshauptmann an die Weisungen der Bundesregierung sowie der einzelnen Bundesminister gebunden (Artikel 20) und verpflichtet, um die Durchführung solcher Weisungen zu bewirken, auch die ihm in seiner Eigenschaft als Organ des selbständigen Wirkungsbereiches des Landes zu Gebote stehenden Mittel anzuwenden. 101
(2) Die Landesregierung kann bei Aufstellung ihrer Geschäftsordnung beschließen, daß einzelne Gruppen von Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung wegen ihres sachlichen Zusammenhanges mit Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches des Landes im Namen des Landeshauptmannes von Mitgliedern der Landesregierung zu führen sind. In diesen Angelegenheiten sind die betreffenden Mitglieder der Landesregierung an die Weisungen des Landeshauptmannes ebenso gebunden (Artikel 20) wie dieser an die Weisungen der Bundesregierung oder der einzelnen Bundesminister. (3) Nach Absatz 1 ergehende Weisungen der Bundesregierung oder der einzelnen Bundesminister sind auch in den Fällen des Absatzes 2 an den Landeshauptmann zu richten. […] (4) Der administrative Instanzenzug in den Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung geht, wenn nicht durch Bundesgesetz ausdrücklich anderes bestimmt ist, bis zu den zuständigen Bundesministern. [Entfall der Artikel 108 bis 114.] Artikel 127. (1) Der Rechnungshof hat auch die Gebarung der Länder zu überprüfen. […] Artikel 138. (2) Der Verfassungsgerichtshof stellt weiters auf Antrag der Bundesregierung oder einer Landesregierung fest, ob ein Akt der Gesetzgebung oder Vollziehung gemäß Artikel 10 bis 15 in die Zuständigkeit des Bundes oder der Länder fällt. 114. * Verfassungsnovelle 1929 4
Bundesverfassungsgesetz vom 7. Dezember 1929, betreffend einige Abänderungen des Bundes-Verfassungsgesetzes vom 1. Oktober 1920 in der Fassung des B.G.Bl. Nr. 367 von 1925 (Zweite Bundes-Verfassungsnovelle) [Novellierung unter anderem folgender Artikel des B-VG:] Artikel 18. (3) Wenn die sofortige Erlassung von Maßnahmen, die verfassungsgemäß einer Beschlußfassung des Nationalrates bedürfen, zur Abwehr eines offenkundigen, nicht wieder gutzumachenden Schadens für die Allgemeinheit zu einer Zeit notwendig wird, in der der Nationalrat nicht versammelt ist, nicht rechtzeitig zusammentreten kann oder in seiner Tätigkeit durch höhere Gewalt behindert ist, kann der Bundespräsident auf Vorschlag der Bundesregierung unter seiner und deren Verantwortlichkeit diese Maßnahmen durch vorläufige gesetzändernde Verordnungen treffen. Die Bundesregierung hat ihren Vorschlag im Einvernehmen mit dem vom Hauptausschuß des Nationalrates einzusetzenden ständigen Unterausschuß (Artikel 55, Absatz 2) zu erstatten. Eine solche Verordnung bedarf der Gegenzeichnung der Bundesregierung. (4) Jede nach Absatz 3 erlassene Verordnung ist von der Bundesregierung unverzüglich dem Nationalrat vorzulegen, den der Bundespräsident, falls der Nationalrat in diesem Zeitpunkt keine Tagung hat, während der Tagung aber der Präsident des Nationalrates für einen der der Vorlage folgenden acht Tage einzuberufen hat. Binnen vier Wochen nach der Vorlage hat der Nationalrat entweder an Stelle der Verordnung ein entsprechendes Bundesgesetz zu beschließen oder durch Beschluß das Verlangen zu stellen, daß die Verordnung von der Bundesregierung sofort außer Kraft gesetzt wird. (5) Die im Absatz 3 bezeichneten Verordnungen dürfen nicht eine Abänderung bundesverfassungsgesetzlicher Bestimmungen bedeuten und weder eine dauernde finanzielle Belastung des Bundes, noch eine finanzielle Belastung der Länder, Bezirke 102
oder Gemeinden, noch finanzielle Verpflichtungen der Bundesbürger, noch eine Veräußerung von Staatsgut, noch Maßnahmen in den im Artikel 10, Z. 11, bezeichneten Angelegenheiten, noch endlich solche auf dem Gebiet des Koalitionsrechtes oder des Mieterschutzes zum Gegenstand haben. Artikel 19. (1) Die obersten Organe der Vollziehung sind der Bundespräsident, die Bundesminister und Staatssekretäre sowie die Mitglieder der Landesregierungen. Artikel 24. Die Gesetzgebung des Bundes übt der Nationalrat gemeinsam mit dem Länder- und Ständerat aus. Artikel 28. (1) Der Bundespräsident beruft den Nationalrat in jedem Jahr zu zwei ordentlichen Tagungen ein, und zwar zu einer Frühjahrstagung und zu einer Herbsttagung. […] (2) Der Bundespräsident kann den Nationalrat auch zu außerordentlichen Tagungen einberufen. (3) Der Bundespräsident erklärt die Tagungen des Nationalrates auf Grund Beschlusses des Nationalrates für beendet. […] Artikel 29. (1) Der Bundespräsident kann den Nationalrat auflösen, er darf dies jedoch nur einmal aus dem gleichen Anlaß verfügen. […] (2) Vor Ablauf der Gesetzgebungsperiode kann der Nationalrat durch einfaches Gesetz seine Auflösung beschließen. […] B. Länder und Ständerat. Artikel 34. Der Länder- und Ständerat gliedert sich in den Länderrat (Gruppe der Ländervertreter) und den Ständerat (Gruppe der Ständevertreter). Artikel 35. Der Ständerat besteht aus Vertretern der Berufsstände des Bundesvolkes; seine Zusammensetzung und die Grundsätze über seine Bestellung werden durch ein besonderes Bundesverfassungsgesetz geregelt. Artikel 38. Der Nationalrat und der Länder- und Ständerat treten als Bundesversammlung in gemeinsamer öffentlicher Sitzung zur Angelobung des Bundespräsidenten, ferner zur Beschlußfassung über eine Kriegserklärung am Sitz des Nationalrates zusammen. Artikel 55. (1) Der Nationalrat wählt aus seiner Mitte nach dem Grundsatz der Verhältniswahl den Hauptausschuß; […]. Der Hauptausschuß ist auch außerhalb der Tagungen des Nationalrates (Artikel 28) einzuberufen, wenn sich die Notwendigkeit hiezu ergibt. (2) Der Hauptausschuß wählt aus seiner Mitte einen ständigen Unterausschuß, dem die in diesem Gesetz vorgesehenen Befugnisse obliegen. Die Wahl erfolgt nach dem Grundsatz der Verhältniswahl; […]. Wird der Nationalrat nach Artikel 29, Absatz 1, vom Bundespräsidenten aufgelöst, so obliegt dem ständigen Unterausschuß die Mitwirkung an der Vollziehung, die nach diesem Gesetz sonst dem Nationalrat (Hauptausschuß) zusteht. Artikel 60. (1) Der Bundespräsident wird vom Bundesvolk in unmittelbarer und geheimer Wahl gewählt. Stimmberechtigt ist jeder zum Nationalrat Wahlberechtigte. […] (2) Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte aller gültigen Stimmen für sich hat. Ergibt sich keine solche Mehrheit, so findet ein zweiter Wahlgang statt. Bei diesem können gültigerweise nur für einen der beiden Wahlwerber, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten haben, Stimmen abgegeben werden; es kann jedoch jede der zwei Wählergruppen, die diese beiden Wahlwerber aufgestellt haben, für den zweiten Wahlgang an Stelle des von ihr aufgestellten Wahlwerbers eine andere Person namhaft machen. […] (3) Zum Bundespräsidenten kann nur gewählt werden, wer das Wahlrecht zum Nationalrat hat und vor dem 1. Jänner des Jahres der Wahl das 35. Lebensjahr überschritten hat. Ausgeschlossen von der Wählbarkeit sind Mitglieder regierender Häuser oder solcher Familien, die ehemals regiert haben. 103
(5) Das Amt des Bundespräsidenten dauert sechs Jahre. […] (6) Vor Ablauf der Funktionsperiode kann der Bundespräsident durch Volksabstimmung abgesetzt werden. Die Volksabstimmung ist durchzuführen, wenn die Bundesversammlung es verlangt. Die Bundesversammlung ist zu diesem Zweck vom Bundeskanzler einzuberufen, wenn der Nationalrat einen solchen Antrag beschlossen hat. […] Durch einen derartigen Beschluß des Nationalrates ist der Bundespräsident an der ferneren Ausübung seines Amtes verhindert. Die Ablehnung der Absetzung durch die Volksabstimmung gilt als neue Wahl und hat die Auflösung des Nationalrates (Artikel 29, Absatz 1) zur Folge. Auch in diesem Fall darf die gesamte Funktionsperiode des Bundespräsidenten nicht mehr als zwölf Jahre dauern. Artikel 69. Sind der Bundeskanzler und der Vizekanzler gleichzeitig verhindert, betraut der Bundespräsident ein Mitglied der Bundesregierung mit der Vertretung des Bundeskanzlers. Artikel 70. (1) Der Bundeskanzler und auf seinen Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung werden vom Bundespräsidenten ernannt. Zur Entlassung des Bundeskanzlers oder der gesamten Bundesregierung ist ein Vorschlag nicht erforderlich; die Entlassung einzelner Mitglieder der Bundesregierung erfolgt auf Vorschlag des Bundeskanzlers. […] Artikel 80. (1) Den Oberbefehl über das Bundesheer führt der Bundespräsident. (2) Soweit nicht nach dem Wehrgesetz der Bundespräsident über das Heer verfügt, steht die Verfügung dem zuständigen Bundesminister innerhalb der ihm von der Bundesregierung erteilten Ermächtigung zu. (3) Die Befehlsgewalt über das Bundesheer übt der zuständige Bundesminister (Artikel 76, Absatz 1) aus. B. Die Bundeshauptstadt Wien. Artikel 108. (1) Für die Bundeshauptstadt Wien als Land hat der Gemeinderat auch die Funktion des Landtages, der Stadtsenat auch die Funktion der Landesregierung, der Bürgermeister auch die Funktion des Landeshauptmannes, der Magistrat auch die Funktion des Amtes der Landesregierung und der Magistratsdirektor auch die Funktion des Landesamtsdirektors. […] Artikel 109. Für den Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung im Land Wien werden die Geschäfte der Bezirks- und Landesinstanz vom Bürgermeister als Landeshauptmann und dem ihm unterstellten Magistrat in einer Instanz geführt. […] 115. Korneuburger Eid des Heimatschutzes, 18. Mai 1930 4
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(Reichspost, Nr. 137, Jg. 37, 19.5.1930, S. 2); (Manual Rz. 1885), (Manual Rz. 1862)
Wir wollen Oesterreich von Grund aus erneuern. Wir wollen den Volksstaat der Heimatwehren. […] W ir verwerfen den westlichen dem okratischen Parlam entarism us und den Parteistaat. Wir wollen an seine Stelle die Selbstverwaltung der Stände setzen und eine starke Staatsführung, die nicht aus Parteienvertretern, sondern aus den führenden Personen der großen Stände und aus den fähigsten und bewährtesten Männern unserer Volksbewegung gebildet wird.
116. Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat, 28. Februar 1933 4
Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 Auf Grund des Artikels 48 Abs. 2 der Reichsverfassung wird zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte folgendes verordnet:
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§1 Die Artikel 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 der Verfassung des Deutschen Reichs werden bis auf weiteres außer Kraft gesetzt. Es sind daher Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen und von Beschlagnahmen sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig.
117. Österreichische Ministerratssitzung vom 7. März 1933 (G. Enderle-Burcel (Bearb.), Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik Abt.VIII, Bd. 2, Wien 1982, S. 393); 4 3 (Manual Rz. 1877-1882), (Manual Rz. 1854-1859)
Der Vorsitzende führt aus, daß der Ausgang der jüngsten Reichstagswahlen im Deutschen Reich bereits deutliche Auswirkungen auf Österreich zu zeigen beginne, indem sich eine verstärkte Agitations- und Propagandatätigkeit der nationalsozialistischen Partei bemerkbar mache, die in der nächsten Zeit durch die massenhafte Veranstaltung von Versammlungen mit reichsdeutschen Rednern noch eine weitere Steigerung erfahren dürfte. Da diese Erscheinungen die zur Wiederaufrichtung der heimischen Wirtschaft unerläßliche Ruhe im Innern gefährdeten, sei es notwendig, rechtzeitig Abwehrmaßnahmen zu ergreifen. Durch den Rücktritt der drei Präsidenten des Nationalrates sei jedoch das Parlament lahmgelegt; die Regierung müsse daher von den ihr selbst zu Gebote stehenden Mitteln Gebrauch machen, um für das Gemeinwohl schädliche Auswüchse, die namentlich auf dem Gebiet des Versammlungswesens wie nicht minder auf dem Gebiet der Presse zu besorgen stünden, von Anbeginn an mit aller Energie hintanzuhalten. […]
118. Aufruf der Regierung Dollfuß, 7. März 1933 4
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(Wiener Zeitung, Nr. 56, Jg. 230, 8.3.1933, S. 1); (Manual Rz. 1877ff), (Manual Rz. 1854ff)
An Österreichs Volk! [...] Infolge schwerer Meinungsverschiedenheiten über die Gültigkeit einer Abstimmung am Samstag, den 4. März d. J., legten alle drei Präsidenten ihre Stellen nieder. Dieser Fall ist in der Verfassung und in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen, es besteht daher zur Zeit eine schwere Krise des Parlaments. Die Regierung wünscht nicht, daß das Land dauernd einer aktionsfähigen, dem allgemeinen Wohl dienenden Volksvertretung entbehrt. Die Führung eines Staates liegt aber nicht allein bei der Gesetzgebung, sondern ebenso beim Staatsoberhaupt und der Regierung. Die vom Herrn Bundespräsidenten ernannte gesetzmäßige Regierung ist im Amte. Sie ist von der Parlamentskrise, die ohne ihr Zutun heraufbeschworen wurde, nicht berührt, es gibt daher keine Staatskrise! [...] Um in dieser aufgeregten Zeit die Ruhe und Ordnung zu sichern, hat die Bundesregierung bis auf weiteres alle Aufmärsche und Versammlungen verboten und durch eine Verordnung auf Grund des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes zum Pressegesetz die Möglichkeit geschaffen, staats- und volksschädliche Mißbräuche der Pressefreiheit sowie Verstöße gegen die öffentliche Sittlichkeit zu verhindern und zu bestrafen.
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119. Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich (,,deutsches Ermächtigungsgesetz“), 24. März 1933 4
Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich. Gesetz vom 24. März 1933. Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird, nachdem festgestellt ist, daß die Erfordernisse verfassungändernder Gesetzgebung erfüllt sind: Artikel 1 Reichsgesetze können außer in dem in der Reichsverfassung vorgesehenen Verfahren auch durch die Reichsregierung beschlossen werden. [...] Artikel 2 Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze können von der Reichsverfassung abweichen, soweit sie nicht die Einrichtung des Reichstags und des Reichsrats als solche zum Gegenstand haben. Die Rechte des Reichspräsidenten bleiben unberührt. 120. Verordnung der Bundesregierung betreffend Abänderungen des Verfassungsgerichtshofgesetzes, 23. Mai 1933 4
Verordnung der Bundesregierung vom 23. Mai 1933, betreffend Abänderungen des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1930 Auf Grund des Gesetzes vom 24. Juli 1917, R. G. Bl. Nr. 307, wird verordnet, wie folgt: ... 2. Als neuer Absatz 3 ist folgende Bestimmung anzufügen: (3) Die auf Vorschlag des Nationalrates oder auf Vorschlag des Bundesrates ernannten Mitglieder und Ersatzmitglieder dürfen nur dann an Sitzungen und Verhandlungen teilnehmen und hiezu eingeladen werden, wenn und solange dem Verfassungsgerichtshof sämtliche Mitglieder und Ersatzmitglieder angehören, die auf Grund solcher Vorschläge ernannt worden sind.
121. Engelbert Dollfuß, „Trabrennplatz-Rede“, 11. September 1933 4
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(Reichspost, Nr. 256, Jg. 40, 12.9.1933, S. 3); (Manual Rz. 1893-1895), (Manual Rz. 1870-1872)
[…] Die Zeit des kapitalistischen Systems, die Zeit kap[i]talistisch-liberalistischer Wirtschaftsordnung ist vorüber. Die Zeit marxistischer, materialistischer Volksführung und Volksverführung ist gewesen! Die Zeit der Parteienherrschaft ist vorbei! (Frenetischer Beifall.) Wir lehnen Gleichschalterei und Terror ab, wir wollen den sozialen, christlichen deutschen Staat Oesterreich auf ständischer Grundlage, unter starker autoritärer Führung! (Minutenlanger Beifall.) […] Ständischer Neubau ist die Aufgabe, die uns in diesen Herbstm onaten gestellt ist. Der Berufsstand ist die Ablehnung klassenmäßiger Zusammenfassung des Volkes. […] Im Bauernhause, wo der Bauer mit seinen Knechten nach gemeinsamer Arbeit abends am gleichen Tisch, aus der gleichen Schüssel seine Suppe ißt, da ist berufsständische Zusammengehörigkeit, berufsständische Auffassung. Und verschönert wird das Verhältnis noch, wenn sie beide noch nach Feierabend zum Rosenkranz sich niederknien. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl muß in uns wieder wach werden. […]
122. Gesetz über den Neuaufbau des Reichs, 30. Januar 1934 4
Gesetz über den Neuaufbau des Reichs. Vom 30. Januar 1934. Die Volksabstimmung und die Reichstagswahl vom 12. November 1933 haben bewiesen, daß das deutsche Volk über alle innenpolitischen Grenzen und Gegensätze hinweg zu einer unlöslichen, inneren Einheit verschmolzen ist. Der Reichstag hat daher einstimmig das folgende Gesetz beschlossen, das mit einmütiger Zustimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird, nachdem festgestellt ist, daß die Erfordernisse verfassungändernder Gesetzgebung erfüllt sind.
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Artikel 1 Die Volksvertretungen der Länder werden aufgehoben. Artikel 2 (1) Die Hoheitsrechte der Länder gehen auf das Reich über. (2) Die Landesregierungen unterstehen der Reichsregierung. Artikel 3 Die Reichsstatthalter unterstehen der Dienstaufsicht des Reichsministers des Innern. Artikel 4 Die Reichsregierung kann neues Verfassungsrecht setzen.
123. Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz, 14. November 1935 4
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(Dt.RGBl. I 125/1935); (Manual Rz. 1940f), (Manual Rz. 1917f)
Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 §2 (2) Jüdischer Mischling ist, wer von einem oder zwei der Rasse nach volljüdischen Großelternteilen abstammt, sofern er nicht nach § 5 Abs. 2 als Jude gilt. Als volljüdisch gilt ein Großelternteil ohne weiteres, wenn er der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat. §4 (1) Ein Jude kann nicht Reichsbürger sein. Ihm steht ein Stimmrecht in politischen Angelegenheiten nicht zu; er kann ein öffentliches Amt nicht bekleiden. §5 (2) Als Jude gilt auch der von zwei volljüdischen Großeltern abstammende staatsangehörige jüdische Mischling, a) der beim Erlaß des Gesetzes der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat oder danach in sie aufgenommen wird, b) der beim Erlaß des Gesetzes mit einem Juden verheiratet war oder sich danach mit einem solchen verheiratet, c) der aus einer Ehe mit einem Juden im Sinne des Absatzes 1 stammt [...], d) der aus dem außerehelichen Verkehr mit einem Juden im Sinne des Absatzes 1 stammt und nach dem 31. Juli 1936 außerehelich geboren wird.
124. * Verfassung 1934 4
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(BGBl. I 239/1934, BGBl. II 1/1934); (Manual Rz. 1892-1910), (Manual Rz.1869-1887)
BGBl. I-239. BGBl. II-1. Verordnung der Bundesregierung Kundmachung der Bundesregierung vom 24. April 1934 über die Verfassung vom 1. Mai 1934, womit die Verfassung des Bundesstaates Österreich 1934 verlautbart wird. Auf Grund des Gesetzes vom 24. Juli 1917, Auf Grund der mit Artikel II des BundesverR.G.Bl. Nr. 307, wird verordnet: fassungsgesetzes vom 30. April 1934, B. Die Bestimmungen der in der Anlage kund- G. Bl. Nr. 255, erteilen Ermächtigung wird gemachten Verfassungsurkunde bilden die in der Anlage die Verfassung 1934 kundVerfassung des Bundesstaates Österreich. gemacht. Im Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische Volk für seinen christlichen, deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese Verfassung. Erstes Hauptstück. Grundsätzliche Bestimmungen. Artikel 1. Österreich ist ein Bundesstaat. Artikel 2. Der Bundesstaat ist ständisch geordnet und besteht aus der bundesunmittelbaren Stadt Wien und den Ländern: Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg.
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Artikel 4. (1) Das Bundesgebiet umfaßt das Gebiet der Stadt Wien und die Gebiete der Länder. (2) Eine Änderung des Bundesgebietes, die zugleich Änderung eines Landesgebietes ist, ebenso die Änderung von Landesgrenzen innerhalb des Bundesgebietes kann – abgesehen von Friedensverträgen – nur durch übereinstimmende Verfassungsgesetze des Bundes und der Länder erfolgen, deren Gebiet geändert wird. Diese Bestimmungen sind auf das Gebiet der Stadt Wien sinngemäß anzuwenden. Artikel 7. Die deutsche Sprache ist die Staatssprache. Die den sprachlichen Minderheiten eingeräumten Rechte werden dadurch nicht berührt. Artikel 9. (1) Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden. (2) Jede Verwaltungsbehörde kann innerhalb ihres Wirkungsbereiches zur näheren Durchführung der Gesetze und überdies, soweit sie durch ein Gesetz hiezu ausdrücklich ermächtigt wird, Verordnungen erlassen. Artikel 10. (1) Die obersten Organe der Vollziehung sind: der Bundespräsident, die Bundesregierung und die Bundesminister, der Präsident des Rechnungshofes, die Landesregierungen und deren Mitglieder sowie der Bürgermeister von Wien. […] Zweites Hauptstück. Allgemeine Rechte der Staatsbürger. Artikel 15. (1) Es besteht eine allgemeine österreichische Bundesbürgerschaft und in jedem Land eine Landesbürgerschaft. Mit der Bundesbürgerschaft wird die Landesbürgerschaft des Landes erworben, in dem der Bundesbürger das Heimatrecht erwirbt. (2) Voraussetzung für die Verleihung der Bundesbürgerschaft ist die Zusicherung des Heimatrechtes in einer Ortsgemeinde; diese Zusicherung kann von der Gemeinde nur mit Zustimmung der Landesregierung erteilt werden. (3) Jeder Bundesbürger hat in jedem Lande die gleichen Rechte und Pflichten wie die Bürger des Landes selbst. (4) Das Heimatrecht in einer Ortsgemeinde kann nur an Bundesbürger verliehen werden; die Bestimmung des Absatzes 2 wird hiedurch nicht berührt. Artikel 16. (1) Alle Bundesbürger sind vor dem Gesetze gleich. Sie dürfen in den Gesetzen nur insoweit ungleich behandelt werden, als es sachliche Gründe rechtfertigen. Insbesondere sind Vorrechte der Geburt, des Standes oder der Klasse ausgeschlossen. (2) Frauen haben die gleichen Rechte und Pflichten wie die Männer, soweit nicht durch Gesetz anderes bestimmt ist. (3) Die öffentlichen Ämter sind allen vaterlandstreuen Bundesbürgern, die den vorgeschriebenen Erfordernissen entsprechen, gleich zugänglich. (4) Den öffentlichen Angestellten ist die ungeschmälerte Ausübung ihrer politischen Rechte gewährleistet, sofern nicht diese Verfassung selbst Ausnahmen enthält. (5) Für Personen, die in der bewaffneten Macht dienen oder berufsmäßig für sie Dienste leisten, ferner für Staatsbedienstete, die im öffentlichen Sicherheitsdienste tätig sind, kann das Gesetz Beschränkungen politischer oder sonst verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte einführen. Artikel 17. Die Freizügigkeit der Person und des Vermögens ist allen Bundesbürgern im ganzen Bundesgebiet gewährleistet. Ausnahmen bestimmt das Gesetz. Artikel 18. (1) Die Auswanderung von Bundesbürgern kann nur durch Bundesgesetz beschränkt werden. (2) Der Bund gewährt allen Bundesbürgern Schutz gegenüber dem Ausland. Artikel 19. (1) Die Freiheit der Person ist gewährleistet. Eine Beeinträchtigung oder Entziehung der persönlichen Freiheit durch die öffentliche Gewalt ist nur auf Grund von Gesetzen zulässig. (2) Eine Person darf nur kraft eines richterlichen mit Gründen versehenen Befehles verhaftet werden. Dem richterlichen Haftbefehl ist im Verwaltungsstrafverfahren die Anordnung der Verhaftung durch die gesetzlich berufene Behörde gleichzuhalten. Haftbefehle müssen dem Verhafteten längstens binnen 24 Stunden zugestellt werden.
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(3) Die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt dürfen zwar in den vom Gesetze bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen; sie müssen aber jeden, den sie in Verwahrung genommen haben, innerhalb 48 Stunden entweder freilassen oder an die zuständige Behörde abliefern. Zuständig ist die Behörde, der nach dem Gesetz das weitere Verfahren zukommt. Artikel 20. Kein Bundesbürger darf einer ausländischen Regierung zur Verfolgung oder Bestrafung überliefert werden. Artikel 21. Niemand darf wegen eines Verhaltens bestraft werden, das gegen keine rechtsgültige Strafandrohung verstößt und dessen Strafbarkeit nicht schon vorher gesetzlich bestimmt war. Artikel 22. (1) Die Wohnung jedes Bundesbürgers ist seine Freistatt. (2) Eine Hausdurchsuchung, das ist die Durchsuchung der Wohnung oder sonstiger zum Hauswesen gehöriger Räume, darf in der Regel nur kraft eines mit Gründen versehenen richterlichen Befehles vorgenommen werden. Der Befehl ist den Beteiligten längstens binnen 24 Stunden zuzustellen. (3) Für Zwecke des strafgerichtlichen Verfahrens kann bei Gefahr im Verzuge auch ohne richterlichen Befehl der Staatsanwalt oder die Sicherheitsbehörde eine Hausdurchsuchung anordnen. Der zur Vornahme Abgeordnete ist mit einer schriftlichen Ermächtigung zu versehen, die er dem Beteiligten vorzuweisen hat. (4) Für Zwecke des strafgerichtlichen Verfahrens können auch die Sicherheitsorgane aus eigener Macht eine Hausdurchsuchung vornehmen, wenn gegen jemand ein Vorführungs- oder Haftbefehl erlassen oder wenn jemand auf der Tat betreten, durch öffentliche Nacheile oder öffentlichen Ruf einer strafbaren Handlung verdächtig bezeichnet oder im Besitze von Gegenständen betreten wird, die auf die Beteiligung an einer solchen hinweisen. (5) Für Zwecke des Verwaltungsstrafverfahrens sowie der polizeilichen oder finanziellen Aufsicht dürfen Hausdurchsuchungen nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen vorgenommen werden. Bezüglich der Ermächtigung und ihres Nachweises gelten die Bestimmungen des Absatzes 3. (6) In den Fällen der Absätze 3 bis 5 ist dem Beteiligten auf sein Verlangen binnen 24 Stunden eine Bescheinigung über die Vornahme der Hausdurchsuchung und deren Gründe zuzustellen. Artikel 23. Das Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis sind unverletzlich. Ausnahmen verfügt das Gesetz. Artikel 24. Die Bundesbürger haben innerhalb der gesetzlichen Schranken das Recht, sich zu versammeln und Vereine zu bilden. Artikel 25. Das Recht, sich mit Bitten und Beschwerden an die zuständige Behörde zu wenden, steht jedem Bundesbürger zu. Unter einem Gesamtnamen darf aber dieses Recht nur von juristischen Personen oder gesetzlich anerkannten Personenvereinigungen ausgeübt werden. Artikel 26. (1) Jeder Bundesbürger hat das Recht, seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern. (2) Durch Gesetz können insbesondere angeordnet werden: a) zur Verhütung von Verstößen gegen die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit oder gegen die Strafgesetze eine vorgängige Prüfung der Presse, ferner des Theaters, des Rundfunks, der Lichtspiele und ähnlicher öffentlicher Darbietungen, verbunden mit der Befugnis der Behörde, solche Darbietungen zu untersagen; b) Maßnahmen zur Bekämpfung der Unsittlichkeit oder grober Verstöße gegen den Anstand; c) Maßnahmen zum Schutze der Jugend; d) Maßnahmen zur Wahrung sonstiger Interessen des Volkes und des Staates. Artikel 27. (1) Alle religionsmündigen Einwohner Österreichs genießen volle Glaubensund Gewissensfreiheit sowie die Freiheit der häuslichen und öffentlichen Religionsübung, sofern diese nicht mit der öffentlichen Ordnung oder den guten Sitten unvereinbar ist.
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(2) Durch das religiöse Bekenntnis darf den staatsbürgerlichen Pflichten kein Abbruch geschehen. Der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Stellungen, Ämtern und Würden ist vom Religionsbekenntnis unabhängig. Für den Schuldienst können Ausnahmen von diesem Grundsatze durch Gesetz aufgestellt werden. (3) Niemand kann zu einer kirchlichen Handlung oder zur Teilnahme an einer kirchlichen Feierlichkeit gezwungen werden. Die Verpflichtung, die sich aus der Familien-, aus der Erziehungs- oder aus einer anderen gesetzlich begründeten Gewalt ergeben, werden hiedurch nicht berührt, ebensowenig Verpflichtungen zur Anwesenheit bei kirchlichen Veranstaltungen aus Rücksichten des öffentlichen Dienstes. Artikel 28. (1) Die Anhänger eines in Österreich nicht als Religionsgesellschaft gesetzlich anerkannten Religionsbekenntnisses können sich zur rechtlich organisierten Übung und sonstigen Betätigung ihres Bekenntnisses zusammenschließen. Dieser Zusammenzuschluß ist von der staatlichen Zulassung des Religionsbekenntnisses als Religionsgemeinschaft abhängig. Durch diese Zulassung erlangt die Religionsgemeinschaft die bürgerliche Rechtsfähigkeit und den staatlichen Schutz ihrer Religionsübung, wird aber auch einer staatlichen Aufsicht unterstellt. (2) Das Nähere regelt das Gesetz. (3) Unter welchen Voraussetzungen und unter welchen Bedingungen eine zugelassene Religionsgemeinschaft als Religionsgesellschaft anerkannt werden kann, wird ebenfalls durch Gesetz bestimmt. Artikel 29. (1) Die katholische Kirche und die anderen gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften genießen öffentlich-rechtliche Stellung. (2) Jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft hat für ihre Religionsangehörigen das ausschließliche Recht der öffentlichen gemeinsamen Religionsübung; sie ordnet und verwaltet ihre inneren Angelegenheiten selbständig; sie bleibt im Besitz und Genuß ihrer für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds. Ihr Eigentum sowie ihre anderen Vermögensrechte sind gewährleistet. Hiebei sind unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 30 die für Alle geltenden Gesetze anzuwenden. (3) Jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft ist berechtigt, Abgaben einzuheben, die zur Erfüllung ihrer kirchlichen (religionsgesellschaftlichen) Aufgaben dienen. Zur Hereinbringung dieser Abgaben und sonstiger Leistungen ihrer Mitglieder wird der staatliche Beistand gewährt, sofern sie im Einvernehmen mit der Staatsgewalt auferlegt wurden oder aus sonstigen Titeln zu Recht bestehen. Artikel 30. (1) Die Angelegenheiten der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften, die auch die staatlichen Interessen berühren, werden besonders geregelt. (2) Hiebei können der einzelnen Kirche oder Religionsgesellschaft je nach ihrer Eigenart oder allgemeinen Bedeutung im Staate auch noch andere als die im Artikel 29 genannten Rechte zuerkannt werden. (3) Für die katholische Kirche erfolgt diese Regelung grundsätzlich durch Vereinbarung zwischen dem Bund und dem Heiligen Stuhle. (4) Die Artikel […] des am 5. Juni 1933 unterzeichneten Konkordates zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich haben mit dem Tage seiner Kundmachung die Kraft von Verfassungsbestimmungen. (5) Bei den anderen gesetzlich anerkannten Kirchen oder Religionsgesellschaften erfolgt diese Regelung nach gepflogenem Einvernehmen mit ihnen durch Gesetz. Artikel 31. (1) Der Staat pflegt und fördert die Wissenschaft und die Kunst. (2) Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. Die Pflichten eines öffentlichen Amtes werden hiedurch nicht berührt. (3) Unterrichts- und Erziehungsanstalten zu gründen und schulmäßig Unterricht zu erteilen oder erteilen zu lassen, sind alle Bundesbürger sowie jede inländische juristische Person berechtigt, sofern sie die vom Gesetze hiefür geforderten Voraussetzungen erfüllen.
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(4) Der häusliche Unterricht unterliegt keiner solchen Beschränkung. (5) Jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft hat das Recht, ihren Angehörigen in den Schulen Religionsunterricht zu erteilen und die unmittelbare Aufsicht darüber zu führen. (6) Dem Staate steht rücksichtlich des gesamten Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesens das Recht der obersten Leitung und Aufsicht zu, unbeschadet der im Artikel 30 eingeräumten Rechte. Hiebei kommt dem Staat insbesondere die Aufgabe zu, darüber zu wachen, daß die Kinder religiös-sittlich erzogen und ihnen die Grundlagen des Wissens vermittelt werden, die für ihre Heranbildung zu tüchtigen Menschen und guten Bürgern erforderlich sind. Artikel 32. (1) Jeder Bundesbürger darf seinen Beruf frei wählen. (2) Den Berufsständen wird durch Gesetz die Selbstverwaltung ihrer berufseigenen Angelegenheiten unter der Aufsicht des Staates ermöglicht. (3) Die Heranbildung zum Beruf und die Berufsausübung unterliegen den Gesetzen und den auf Grund der Gesetze erlassenen Satzungen der öffentlich-rechtlichen Berufskörperschaften. Drittes Hauptstück. Bund und Länder. Artikel 34. (1) Bundessache sind die Gesetzgebung und die Vollziehung, diese, soweit sie nicht nach den Gesetzen durch Selbstverwaltungskörper im eigenen Wirkungskreis unter der Aufsicht des Bundes besorgt wird, in folgenden Angelegenheiten: […] Artikel 36. (1) Bundessache ist die Gesetzgebung über die Grundsätze, Landessache die Erlassung von Ausführungsgesetzen und die Vollziehung, diese, soweit sie nicht nach den Gesetzen durch Selbstverwaltungskörper in ihrem eigenen Wirkungskreis unter der Aufsicht des Landes besorgt wird, in folgenden Angelegenheiten: […] Artikel 40. (1) Soweit die Verfassung die Gesetzgebung oder die Gesetzgebung und die Vollziehung einer Angelegenheit nicht ausdrücklich als Bundessache erklärt, verbleibt die Angelegenheit in selbständigen Wirkungsbereich der Länder. […] Artikel 41. (1) Der Bund kann durch Bundesgesetz seine Zuständigkeit zur Gesetzgebung oder zur Grundsatzgesetzgebung in einer bestimmten Angelegenheit den Ländern oder einzelnen Ländern übertragen. (2) Die Länder können ihre Zuständigkeit zur Gesetzgebung für eine bestimmte Angelegenheit dem Bund übertragen. […] Viertes Hauptstück. Gesetzgebung des Bundes. Erster Abschnitt. Die Organe der Bundesgesetzgebung. Artikel 44. Die Gesetzgebung des Bundes übt nach Vorberatung der Gesetzentwürfe durch den Staatsrat, den Bundeskulturrat, den Bundeswirtschaftsrat und den Länderrat (vorberatende Organe) der Bundestag (beschließendes Organ) aus. A. Die vorberatenden Organe. Artikel 45. Die in den Artikeln 46 bis 49 angeführten vorberatenden Organe sind zur Erstattung der nach dieser Verfassung von ihnen verlangten Gutachten und zu allen anderen Aufgaben zuständig, die ihnen nach dieser Verfassung obliegen. 1. Der Staatsrat. Artikel 46. (1) In den Staatsrat beruft der Bundespräsident auf die Dauer von zehn Jahren verdiente, charaktervolle Bundesbürger, von denen nach ihrem bisherigen Verhalten und nach ihren bisherigen Leistungen volles Verständnis für die Bedürfnisse und für die Aufgaben des Staates zu erwarten ist. […] (5) Die Zahl der Mitglieder des Staatsrates (Staatsräte) darf nicht über fünfzig betragen und nicht unter vierzig verbleiben. 2. Der Bundeskulturrat. Artikel 47. (1) Der Bundeskulturrat besteht aus 30 bis 40 Vertretern von gesetzlich anerkannten Kirchen- und Religionsgesellschaften, des Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesens, der Wissenschaft und der Kunst.
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(2) Mitglied des Bundeskulturrates kann jeder Bundesbürger sein, der das 26. Lebensjahr vollendet hat und durch das im Absatze 4 vorgesehene Bundesgesetz von der Mitgliedschaft nicht ausgeschlossen ist. (3) Bei der Regelung der Zusammensetzung des Bundeskulturrates ist insbesondere auch darauf Bedacht zu nehmen, daß bei der Vertretung des Erziehungswesens die Elternschaft entsprechend berücksichtigt wird. (4) Die Berufung der Mitglieder des Bundeskulturrates (Bundeskulturräte) regelt das Bundesgesetz nach Grundsätzen, die die Beschickung des Bundeskulturrates mit vaterlandstreuen Mitgliedern gewährleisten. 3. Der Bundeswirtschaftsrat. Artikel 48. (1) Der Bundeswirtschaftsrat besteht aus 70 bis 80 aus den Berufsständen entsendeten Vertretern. (2) Mitglied des Bundeswirtschaftsrates kann jeder Bundesbürger sein, der das 26. Lebensjahr vollendet hat und durch das im Absatz 3 vorgesehene Bundesgesetz von der Mitgliedschaft nicht ausgeschlossen ist. (3) Die Entsendung der Mitglieder des Bundeswirtschaftsrates (Bundeswirtschaftsräte) regelt das Bundesgesetz nach Grundsätzen, die die Beschickung des Bundeswirtschaftsrates mit vaterlandstreuen Mitgliedern gewährleisten. (4) Als berufsständische Hauptgruppen, aus denen Vertreter zu entsenden sind, sind in diesem Gesetze vorzusehen: die Land- und Forstwirtschaft, die Industrie und der Bergbau, das Gewerbe, der Handel und Verkehr, das Geld-, Kredit- und Versicherungswesen, die freien Berufe und der öffentliche Dienst. (5) Die Verteilung der aus den Berufsständen zu entsendenden Vertreter auf die berufsständischen Hauptgruppen erfolgt unter Berücksichtigung der Zahl ihrer (selbständigen und unselbständigen) Berufsangehörigen mit der Maßgabe, daß jede Hauptgruppe mindestens drei Vertreter erhält. 4. Der Länderrat. Artikel 49. (1) In den Länderrat entsendet jedes Land den Landeshauptmann und das mit der Führung der Landesfinanzen betraute Mitglied der Landesregierung, die Stadt Wien den Bürgermeister und einen von ihm bestellten weiteren Vertreter, der mit den Finanzen der Stadt vertraut sein soll. (2) Wenn der Landeshauptmann selbst die Landesfinanzen führt, so bestimmt er, wer an zweiter Stelle in den Länderrat entsendet werden soll. […] B. Der Bundestag. Artikel 50. (1) Der Bundestag besteht aus 20 Abgeordneten des Staatsrates, 10 Abgeordneten des Bundeskulturrates, 20 Abgeordneten des Bundeswirtschaftsrates und 9 Mitgliedern des Länderrates. (2) Die Abgeordneten des Staatsrates, des Bundeskulturrates und des Bundeswirtschaftsrates werden von diesen Organen nach den Bestimmungen des Geschäftsordnungsgesetzes aus ihrer Mitte gewählt. Unter den entsendeten Mitgliedern müssen sich auch die Vorsitzenden dieser Organe befinden. Das zur Vertretung des Landes (der Stadt Wien) im Bundestag berufene Mitglied des Länderrates wird für jedes Land (für die Stadt Wien) vom Landeshauptmann (Bürgermeister der Stadt Wien) bestimmt. Artikel 51. Der Bundestag ist zuständig zur Beschlußfassung: 1. über Gesetzesvorlagen der Bundesregierung, betreffend Gesetze im materiellen Sinne; 2. über Gesetzesvorlagen der Bundesregierung, die betreffen: a) den Bundesvoranschlag; […]
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c) die Verfügung über Bundesvermögen; 3. über Vorlagen der Bundesregierung, betreffend gesetzändernde und solche Staatsverträge, die den Bund zur Erlassung von Gesetzen verpflichten; 4. über Vorlagen des Rechnungshofes, betreffend die Genehmigung des Bundesrechnungsabschlusses; 5. über Berichte des Rechnungshofes. C. Bundesversammlung. Artikel 52. Der Staatsrat, der Bundeskulturrat, der Bundeswirtschaftsrat und der Länderrat treten als Bundesversammlung in gemeinsamer öffentlicher Sitzung zur Erstattung des Dreiervorschlages für die Wahl des Bundespräsidenten, zur Beeidigung des gewählten Bundespräsidenten, ferner zur Beschlußfassung über eine Kriegserklärung und zur Ausübung der der Bundesversammlung durch diese Verfassung weiter verliehenen Zuständigkeiten am Sitze des Bundestages zusammen. Artikel 53. (1) Die Bundesversammlung wird, soweit nicht in dieser Verfassung anderes bestimmt ist, vom Bundespräsidenten einberufen. Den Vorsitz führt der Präsident (Vizepräsident) des Bundestages. […] Zweiter Abschitt. Nähere Bestimmungen. Artikel 60. (1) Zu einem Beschluß der vorberatenden Organe der Bundesgesetzgebung, des Bundestages und der Bundesversammlung ist, soweit in der Verfassung nicht anderes bestimmt ist, die Anwesenheit von mindestens einem Drittel der Mitglieder und die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich. (2) Über Bundesverfassungsgesetze und über die Genehmigung von Staatsverträgen, durch die ein Bundesverfassungsgesetz geändert oder der Bund zur Erlassung eines Bundesverfassungsgesetzes verpflichtet würde, kann der Bundestag nur bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschließen. Bundesverfassungsgesetze sind als solche („Bundesverfassungsgesetze“) ausdrücklich zu bezeichnen. Dritter Abschnitt. Weg der Bundesgesetzgebung. Artikel 61. (1) Die Bundesregierung hat die Entwürfe der im Artikel 51, Zahl 1, bezeichneten Vorlagen durch den Bundeskanzler den vorberatenden Organen der Bundesgesetzgebung zu übermitteln. (2) Der Staatsrat ist verpflichtet, innerhalb der von der Bundesregierung bestimmten Frist Gutachten zu diesen Gesetzentwürfen zu erstatten und sie dem Bundeskanzler mitzuteilen. Diese Pflicht trifft bei Entwürfen, die von der Bundesregierung als solche von ausschließlich oder vorwiegend kultureller Bedeutung bezeichnet werden, den Bundeskulturrat und bei Entwürfen, die von ihr als solche von ausschließlich oder vorwiegend wirtschaftlicher Bedeutung bezeichnet werden, den Bundeswirtschaftsrat (Pflichtgutachten). (6) Bei der Begutachtung […] äußert sich der Staatsrat dahin, ob der Entwurf den Anforderungen der Staatshoheit und des Gemeinwohles wie auch jenen einer zweckmäßigen Gesetzesvollziehung entspricht. Der Bundeskulturrat gibt seine Gutachten vom Standpunkte der kulturellen, der Bundeswirtschaftsrat vom Standpunkte der wirtschaftlichen Interessen ab. Der Länderrat äußert sich vom Standpunkte der Länderinteressen. Artikel 62. (1) Nach Einlangen der im Artikel 61 vorgesehenen Gutachten oder Ablauf der gesetzten Frist kann die Bundesregierung durch den Bundeskanzler ihre Gesetzesvorlage im Bundestag einbringen. (2) Die Bundesregierung bestimmt eine Frist für die Beschlußfassung des Bundestages. (3) Im Bundestag wird die Vorlage durch einen Berichterstatter erläutert und begründet. Ein Gegenbericht ist zulässig. Eine weitere Verhandlung findet nicht statt. Der Bundestag beschließt durch Abstimmung die unveränderte Annahme der Vorlage oder ihre Ablehnung. (4) Die Bundesregierung kann vor der Abstimmung jederzeit ihre Vorlage zurückziehen oder Abänderungen der Vorlage vornehmen, die nach ihrer Auffassung das Wesen der Vorlage nicht berühren.
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Artikel 65. (1) Das Volk wird zur Abstimmung gerufen, wenn die Bundesregierung beschließt: a) eine vom Bundestag abgelehnte Vorlage über ein Gesetz im materiellen Sinne einer Volksabstimmung zu unterziehen; b) die Entscheidung des Bundesvolkes anzurufen, ob dem Entwurf eines bestimmten Bundesgesetzes zugestimmt werde; c) eine bestimmte Frage der Bundesgesetzgebung dem Bundesvolke zur grundsätzlichen Entscheidung vorzulegen. (2) Stimmberechtigt sind alle Bundesbürger, die das 24. Lebensjahr vollendet haben und durch das im Absatz 7 vorgesehene Bundesgesetz vom Stimmrecht nicht ausgeschlossen sind. (3) Abgestimmt wird mit Ja oder Nein. (4) Die absolute Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen entscheidet. (5) Der Bundespräsident ordnet die Volksabstimmung an. (6) Die Bundesregierung hat eine Vorlage oder einen Entwurf (Absatz 1, Punkt a und b), wofür sich das Bundesvolk ausgesprochen hat, ohne weiteres Verfahren der Beurkundung und Kundmachung zuzuführen. Lehnt der Bundestag im Falle des Absatzes 1, Punkt c, eine dem Ergebnis der Volksabstimmung entsprechende Gesetzesvorlage ab, so kann die Bundesregierung diese Frage in dem durch die Volksabstimmung entschiedenen Sinne durch gesetzändernde Verordnung regeln. (7) Die nähere Regelung trifft ein Bundesgesetz. Artikel 66. (1) Das verfassungsmäßige Zustandekommen der Bundesgesetze wird durch die Unterschrift des Bundespräsidenten beurkundet. (2) Die Vorlage zur Beurkundung erfolgt durch den Bundeskanzler. (3) Die Beurkundung ist vom Bundeskanzler und von den zuständigen Bundesministern gegenzuzeichnen. Fünfter Abschnitt. Stellung der Mitglieder der Organe der Bundesgesetzgebung. Artikel 72. (1) Niemand kann gleichzeitig zwei oder mehreren vorberatenden Organen der Gesetzgebung des Bundes angehören. […] Fünftes Hauptstück. Vollziehung des Bundes. Erster Abschnitt. Verwaltung. A. Der Bundespräsident. Artikel 73. (1) Der Bundespräsident wird von den Bürgermeistern aller Ortsgemeinden des Bundesgebietes auf Grund eines Dreiervorschlages der Bundesversammlung in geheimer Abstimmung gewählt. (2) In den Dreiervorschlag kann die Bundesversammlung nur Bundesbürger aufnehmen, die das 35. Lebensjahr überschritten haben. Die Bestimmung der aufzustellenden drei Personen geht in mehreren Wahlgängen vor sich, wobei jedes Mitglied der Bundesversammlung immer nur eine Person vorschlagen kann und im letzten Wahlgang die relative Mehrheit entscheidet. (3) Die Bürgermeister treten zur Wahl des Bundespräsidenten in der Bundeshauptstadt Wien zusammen. Es erscheint jene der drei im Dreiervorschlag enthaltenen Personen gewählt, die im ersten und einzigen Wahlvorgang die meisten der gültig abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt hat. Das Ergebnis der Wahl ist vom Bundeskanzler amtlich kundzumachen. (4) Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. (5) Das Amt des Bundespräsidenten dauert sieben Jahre. Wiederwahl ist zulässig. Artikel 74. (1) Der Bundespräsident darf während seiner Amtstätigkeit keinem Organ der Gesetzgebung oder der Vollziehung angehören und keinen anderen Beruf ausüben. Artikel 77. (1) Ist der Bundespräsident verhindert oder die Präsidentschaft dauernd erledigt, gehen seine Obliegenheiten auf den Bundeskanzler über.
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(2) Der Bundeskanzler hat im Falle der dauernden Erledigung der Präsidentschaft ohne Verzug die Bundesversammlung zur Erstattung eines Dreiervorschlages für die Wahl des Bundespräsidenten und zur Beeidigung des neugewählten Bundespräsidenten einzuberufen. B. Bundesregierung. Artikel 81. (1) Mit den obersten Verwaltungsgeschäften des Bundes sind, soweit sie nicht dem Bundespräsidenten übertragen sind, der Bundeskanzler, der Vizekanzler und die übrigen Bundesminister betraut. Sie bilden in ihrer Gesamtheit die Bundesregierung unter der Führung des Bundeskanzlers. (2) Der Bundeskanzler wird bei seiner Verhinderung in seinem gesamten Wirkungsbereich durch den Vizekanzler vertreten. Sind der Bundeskanzler und der Vizekanzler gleichzeitig verhindert, so betraut der Bundespräsident ein Mitglied der Bundesregierung mit der Vertretung des Bundeskanzlers. Artikel 82. (1) Der Bundeskanzler und auf seinen Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung werden vom Bundespräsidenten ernannt. […] Artikel 88. (1) Die Mitglieder der Bundesregierung sind für die durch ihre Amtsführung erfolgten schuldhaften Rechtsverletzungen verantwortlich […]. (2) Zu einem Beschluß, mit dem eine Anklage […] erhoben wird, bedarf es der Anwesenheit von mehr als der Hälfte der Mitglieder des Bundestages und einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen. Artikel 92. (1) Den Bundesministern können zu ihrer Vertretung in dem vom Bundespräsidenten zu bestimmenden Umfang Staatssekretäre beigegeben werden, die in derselben Weise wie die Bundesminister bestellt werden und aus dem Amte scheiden. (2) Der Staatssekretär ist dem Bundesminister unterstellt und an seine Weisungen gebunden. Artikel 93. Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister den ihm anvertrauten Geschäftszweig selbständig. Zweiter Abschnitt. Gerichtsbarkeit. Artikel 98. (1) Alle Gerichtsbarkeit geht vom Bund aus. (2) Die Urteile und Erkenntnisse werden im Namen des Bundesstaates Österreich verkündet und ausgefertigt. Artikel 99. Die Justiz ist von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt. Artikel 100. (1) Die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte wird durch Bundesgesetz festgelegt. (2) Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. (3) Ausnahmsgerichte sind nur in den von den Gesetzen im voraus bestimmten Fällen zulässig. Artikel 101. (1) Alle Richter sind in Ausübung ihres richterlichen Amtes unabhängig. […] Artikel 107. (1) Oberste Instanz in Zivil- und Strafrechtssachen ist der Oberste Gerichtshof, soweit durch Gesetz nicht anderes bestimmt ist. (2) Dem Obersten Gerichtshof können Mitglieder der Bundesregierung, einer Landesregierung, eines vorberatenden Organs der Gesetzgebung des Bundes, eines Landtages oder eines Gemeindetages nicht angehören. Sechstes Hauptstück. Gesetzgebung der Länder. Artikel 108. (1) Die Gesetzgebung der Länder wird von den Landtagen ausgeübt. (2) Die Landtage bestehen aus Vertretern von gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften, des Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesens, der Wissenschaft und der Kunst sowie aus Vertretern der Berufsstände des Landes. Artikel 109. (1) Der Landtag hält begutachtende Sitzungen ab, bei denen die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist. Er hält ferner beratende und beschließende Sitzungen ab, die öffentlich sind, soweit die Öffentlichkeit nicht durch Beschluß des Landtages ausgeschlossen wird. Sitzungen der Ausschüsse sind nicht öffentlich.
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(2) Entwürfe von Gesetzen in materiellem Sinne hat die Landesregierung dem Landtage als begutachtendem Körper zu übermitteln. Der Landtag ist verpflichtet, innerhalb der von der Landesregierung bestimmten Frist Gutachten zu diesen Gesetzentwürfen zu erstatten und sie der Landesregierung mitzuteilen. (3) Nach Einlangen der Gutachten oder Ablauf der gesetzten Fristen kann die Landesregierung ihre Gesetzesvorlage im Landtage einbringen; sie bestimmt hiebei eine Frist für die Beschlußfassung. Wenn der Landtag nicht innerhalb dieser Frist Beschluß faßt, so kann der Landeshauptmann unter seiner Verantwortung die in der Vorlage enthaltenen Bestimmungen durch Verordnung in Kraft setzen. […] (4) Im Landtage wird die Vorlage durch einen Berichterstatter erläutert und begründet. Ein Gegenbericht ist zulässig. Eine weitere Verhandlung findet nicht statt. Der Landtag beschließt durch Abstimmung die unveränderte Annahme der Vorlage oder ihre Ablehnung. (5) Die Landesregierung kann vor der Abstimmung jederzeit ihre Vorlage zurückziehen oder Abänderungen der Vorlage vornehmen, die nach ihrer Auffassung das Wesen der Vorlage nicht berühren. Artikel 112. (1) Die Landesverfassungen dürfen nicht im Widerspruch zur Bundesverfassung stehen. (2) Ein Landesverfassungsgesetz kann nur bei Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder des Landtages und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden. Artikel 113. (1) Jeder Landtag kann auf Antrag der Bundesregierung nach Einholung von Gutachten des Staatsrates und des Länderrates vom Bundespräsidenten aufgelöst werden. (2) Im Falle der Auflösung ist unverzüglich das Verfahren zur Neubestellung des Landtages einzuleiten. Siebentes Hauptstück. Verwaltung in den Ländern. Artikel 114. (1) Zur Vertretung des Landes ist der Landeshauptmann berufen. (2) Die Verwaltung in den Ländern obliegt, soweit sie nicht durch eigene Bundesbehörden […] oder nach den Gesetzen durch Selbstverwaltungskörper unter der Aufsicht des Bundes oder des Landes besorgt wird, in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes dem Landeshauptmann, in den Angelegenheiten der Vollziehung des Landes der Landesregierung und in beiden Fällen den dem Landeshauptmann unterstellten Landesbehörden. (3) Die Landesregierung besteht aus dem Landeshauptmann, dem Landesstatthalter (Landeshauptmannstellvertreter) und höchstens fünf weiteren Mitgliedern (Landesräten). (4) Der Landeshauptmann wird vom Bundespräsidenten auf Grund von Dreiervorschlägen des Landtages ernannt.[…] (9) Der Landeshauptmann und die übrigen Mitglieder der Landesregierung sind für die durch ihre Amtsführung erfolgten schuldhaften Rechtsverletzungen dem Landtage verantwortlich. […] Artikel 115. (1) Die Behörden (Ämter) der Verwaltung in den Ländern sind, soweit die Verwaltung nicht im Sinne des Artikels 120 durch eigene Bundesbehörden (Dienststellen des Bundes) oder durch Selbstverwaltungskörper besorgt wird, Behörden (Ämter) der Länder (Dienststellen der Länder). (2) Zur Unterstützung des Landeshauptmannes in seinem gesamten Wirkungsbereiche sowie zur Unterstützung der Landesregierung ist die Landeshauptmannschaft berufen. Zur Leitung des inneren Dienstes dieses Amtes bestellt der Landeshauptmann einen rechtskundigen Verwaltungsbeamten, der den Vorschriften über die Befähigung zur Ausübung des politischen Dienstes entspricht, als Regierungsdirektor. […] (4) In Unterordnung unter den Landeshauptmann als Vorstand der Landeshauptmannschaft führen die Bezirkshauptmannschaften und die anderen Landesbehörden und ämter sowie die Ortsgemeinden und die anderen Selbstverwaltungskörper nach den Best-
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immungen der Gesetze die Geschäfte der Verwaltung im Lande, soweit sie nicht durch eigene Bundesbehörden besorgt werden. […] Artikel 116. Die Verwaltung des Bundes üben im Bereiche der Länder, soweit sie nicht durch eigene Bundesbehörden (unmittelbare Bundesverwaltung) oder nach den Gesetzen durch Selbstverwaltungskörper unter der Aufsicht des Bundes besorgt werden, der Landeshauptmann und die ihm unterstellten Landesbehörden aus (mittelbare Bundesverwaltung). Soweit in Angelegenheiten, die in mittelbarer Bundesverwaltung besorgt werden, Bundesbehörden, insbesondere Bundespolizeibehörden, mit der Vollziehung betraut sind, unterstehen diese Bundesbehörden in diesen Angelegenheiten dem Landeshauptmann und sind an dessen Weisungen [...] gebunden. […] Artikel 122. Vereinbarungen der Länder untereinander dürfen nur über Angelegenheiten ihres selbständigen Wirkungsbereiches getroffen werden und sind der Bundesregierung unverzüglich mitzuteilen. Achtes Hauptstück. Verwaltungsbezirke, Ortsgemeinden und Ortsgemeindenverbände. Artikel 123. (1) Verwaltungssprengel innerhalb der Länder sind die Verwaltungsbezirke und die Ortsgemeinden. […] (3) Die Ortsgemeinden sind den Verwaltungsbezirken und diese den Ländern untergeordnet. (4) Durch Landesgesetz können Ortsgemeinden für bestimmte Zwecke zu Ortsgemeindenverbänden zusammengefaßt und unmittelbar der Landesregierung untergeordnet werden. (5) Auch können durch Landesgesetz Bestimmungen über die Vereinigung mehrerer Ortsgemeinden zu einer gemeinsamen Geschäftsführung getroffen werden. (6) Jede Liegenschaft muß zu einer Ortsgemeinde gehören. Artikel 124. Städte mit mehr als 30.000 Einwohnern können durch Landesgesetz eigene Stadtrechte erhalten, in denen sie mit der Besorgung der Bezirksverwaltung betraut werden (landesunmittelbare Städte). Artikel 126. (1) Die Organe der Ortsgemeinden sind der Gemeindetag und der Bürgermeister. Durch Landesgesetz kann dem Bürgermeister ein Gemeinderat an die Seite gegeben werden, der aus höchstens fünf Mitgliedern (Gemeinderäten) bestehen darf. Diese Gemeinderäte (Stadträte) werden vom Gemeindetag aus seinen Mitgliedern (Gemeindevertretern) gewählt. Ihr Wirkungskreis wird durch Landesgesetz bestimmt. […] Artikel 127. (1) In Ortsgemeinden, in denen die Gliederung der Bevölkerung es zuläßt, besteht der Gemeindetag aus Vertretern von gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften, des Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesens, der Wissenschaft und der Kunst sowie aus Vertretern der Berufsstände in der Gemeinde. (2) Für Ortsgemeinden, bei denen die Gliederung der Bevölkerung eine solche Zusammensetzung des Gemeindetages nicht zuläßt, regelt die Landesgesetzgebung die Bestellung des Gemeindetages in möglichster Anlehnung an die Bestimmung des Absatz 1. […] Artikel 128. (1) Der Wirkungskreis der Ortsgemeinde ist: a) ein eigener, b) ein vom Bund oder vom Land übertragener. (2) Der eigene Wirkungskreis umfaßt die im Artikel 125 angeführten Rechte und überdies die Angelegenheiten, die durch Bundes- oder Landesgesetz dem eigenen Wirkungskreise der Ortsgemeinde zugewiesen werden. Im eigenen Wirkungskreis kann die Ortsgemeinde mit Beobachtung der Bundes- und Landesgesetze nach freier Selbstbestimmung anordnen und verfügen. (3) Den übertragenen Wirkungskreis der Ortsgemeinde, das ist ihre Verpflichtung zur Mitwirkung bei der Bundes- oder Landesvollziehung, bestimmen die Gesetze des Bundes oder des Landes.
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Artikel 130. (1) Der Gemeindetag wählt den Bürgermeister. Er ist bei dieser Wahl nicht auf seine Mitglieder beschränkt, kann aber nur eine Person wählen, die zum Gemeindetag entsendbar ist und das 26. Lebensjahr vollendet hat. Durch die Wahl wird der Gewählte Mitglied des Gemeindetages. (2) Die Wahl der Bürgermeister der landesunmittelbaren Städte bedarf der Bestätigung des Landeshauptmannes, die Wahl der übrigen Bürgermeister der Bestätigung des Bezirkshauptmannes. […] Artikel 131. Der Bürgermeister ist für seine Amtshandlungen der Ortsgemeinde und bezüglich des übertragenen Wirkungskreises dem Bunde und dem Lande verantwortlich. Artikel 134. Die landesunmittelbaren Städte unterstehen unmittelbar der Landesregierung, bezüglich des ihnen vom Bund übertragenen Wirkungskreises unmittelbar dem Landeshauptmann. Neuntes Hauptstück. Gesetzgebung und Verwaltung in der bundesunmittelbaren Stadt Wien. Artikel 136. Die bundesunmittelbare Stadt Wien ist eine Gebietskörperschaft besonderen Rechtes. Sie vereinigt in sich die Wirkungskreise, die nach dieser Verfassung einer landesunmittelbaren Stadt und einem Lande zukommen. Artikel 137. (1) Die Organe der Stadt Wien sind: a) der Bürgermeister, in seiner Vertretung ein Vizebürgermeister, b) als Stadtvertretung die „Wiener Bürgerschaft“, c) die Bezirkshauptmänner und die leitenden Beamten für besondere Angelegenheiten der Verwaltung […], d) besondere kollegiale Verwaltungsbehörden […], e) die Bezirksvorsteher, f) die Bezirksvertretungen. […] Zehntes Hauptstück. Notrechte der Verwaltung. Artikel 147. (1) Wenn zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, zur Wahrung wichtiger wirtschaftlicher Interessen der Bevölkerung oder staatsfinanzieller Interessen des Bundes, insbesondere zur Sicherung des Bundeshaushaltes, die sofortige Erlassung von Maßnahmen, die verfassungsmäßig der Beschlußfassung des Bundestages bedürfen, notwendig wird, sofortige Beschlußfassung des Bundestages aber nach den gegebenen Verhältnissen nicht zu erwarten ist, kann die Bundesregierung unter ihrer Verantwortlichkeit diese Maßnahmen durch vorläufige gesetzändernde Verordnungen treffen (Notrecht der Bundesregierung). In einer solchen Verordnung können auch besondere Bundesorgane mit der Vollziehung von Bundesangelegenheiten betraut werden, deren Besorgung sonst anderen Organen zusteht. (2) Die im Absatz 1 bezeichneten Verordnungen dürfen nicht eine Abänderung verfassungsgesetzlicher Bestimmungen enthalten. […] (5) Jede Notverordnung der Bundesregierung ist von der Bundesregierung unverzüglich dem Bundestag mitzuteilen. Die Verordnung ist von der Bundesregierung sofort außer Kraft zu setzen, wenn der Bundestag bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen die Aufhebung verlangt. In diesem Falle darf aus demselben Anlaß eine inhaltlich gleichartige Verordnung nicht mehr erlassen werden. […] (6) Jede nach Absatz 1 erlassene Verordnung tritt spätestens nach Ablauf von drei Jahren außer Kraft. Sie kann jedoch, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen zu ihrer Erlassung gegeben sind, neuerlich erlassen werden. (7) Unter welchen Voraussetzungen die Bundesregierung die Geltung der Artikel 19, 22, 23, 24 und 26, zeitweilig und örtlich, ganz oder zum Teil, beschränken kann und inwieweit in einem solchen Fall beschränkende polizeiliche Anordnungen auch gesetzändernden Inhaltes auf bestimmten Rechtsgebieten getroffen werden können, bestimmt ein Bundesgesetz.
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Artikel 148. (1) Wenn dem Staat oder einem seiner Teile unmittelbar eine Gefahr droht, zur Abwendung dieser Gefahr die sofortige Erlassung von Maßnahmen der im Artikel 147, Absatz 1, bezeichneten Art notwendig wird, jedoch nach den gegebenen Verhältnissen weder die sofortige Beschlußfassung durch den Bundestag zu erwarten ist, noch auch die erforderlichen Maßnahmen auf Grund des Notrechtes der Bundesregierung getroffen werden können, kann der Bundespräsident diese Maßnahmen auf Vorschlag der Bundesregierung unter seiner und deren Verantwortlichkeit durch vorläufige gesetzändernde Verordnungen treffen (Notrecht des Bundespräsidenten). Eine solche Notverordnung des Bundespräsidenten bedarf der Gegenzeichnung der Bundesregierung. […] (2) Die im Absatz 1 bezeichneten Verordnungen können auch einzelne verfassungsgesetzliche Bestimmungen abändern, nicht aber Abänderungen treffen, die eine Gesamtänderung der Verfassung bedeuten. Weiters dürfen diese Verordnungen weder die Staatsform betreffen noch Bestimmungen enthalten, die den Bestand des Bundesgerichtshofes und dessen Zuständigkeit zur Prüfung von Gesetzen und Verordnungen berühren oder ihn in dieser Prüfung behindern, noch Verfügungen treffen, die die Abänderung gerichtlicher Erkenntnisse zum Gegenstande haben. […] Zwölftes Hauptstück. Der Bundesgerichtshof. Artikel 163. Zur Sicherung der Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ist der Bundesgerichtshof berufen. Artikel 179. (1) In der Geschäftseinteilung des Bundesgerichtshofes ist ein Senat zu bestimmen, dem die Rechtssachen anfallen, in denen der Bundesgerichtshof auf Grund der Bestimmungen der Artikel 168 bis 175 angerufen wird (Verfassungssenat).
125. * „Ermächtigungsgesetz“ 1934 4
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(BGBl. I 255/1934); (Manual Rz. 1889f), (Manual Rz. 1866f)
Bundesverfassungsgesetz vom 30. April 1934 über außerordentliche Maßnahmen im Bereich der Verfassung Der Nationalrat hat beschlossen: Artikel I. Die Bestimmungen des Artikels 44, Absatz 2, und des Artikels 50 des BundesVerfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 werden aufgehoben. Artikel II. Die in der Anlage der Verordnung der Bundesregierung vom 24. April 1934, BGBl Nr. 239, kundgemachte Verfassungsurkunde des Bundesstaates Österreich wird unter Bekräftigung ihres rechtlichen Bestandes als Bundesverfassungsgesetz auch im Sinne der gegenwärtig geltenden Bundesverfassung erklärt. Die Bundesregierung wird ermächtigt, diese Verfassungsurkunde als „Verfassung 1934“ in einem am 1. Mai 1934 beginnenden zweiten Teil des Bundesgesetzblattes 1934 als erste Verlautbarung kundzumachen. Artikel III. (1) Der Nationalrat und der Bundesrat sind mit dem auf die Verlautbarung der Verfassung 1934 (Artikel II) folgenden Tag aufgelöst. Mit diesem Tage sind die Funktionen des Nationalrates und des Bundesrates erloschen. (2) Alle dem Nationalrat oder dem Bundesrat oder einem ihrer Ausschüsse oder Organe auf Grund des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 oder eines anderen Gesetzes zustehenden Befugnisse, insbesondere die Zuständigkeit zur Gesetzgebung des Bundes einschließlich der Verfassungsgesetzgebung sowie die Zuständigkeit zu den im Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung 1929 vorgesehenen Akten der Mitwirkung des Nationalrates und des Bundesrates an der Vollziehung des Bundes, werden auf die Bundesregierung übertragen. Die Bundesregierung ist insbesondere auch befugt, den Übergang zu der durch die Verfassung 1934 geschaf119
fenen Neuordnung [...] zu regeln und gemäß dem Artikel 182, Absatz 2, dieser Verfassung den Zeitpunkt des Beginnes der Wirksamkeit der Verfassung 1934 zu bestimmen. [...] 126. Aufruf des Bundeskanzlers Schuschnigg, 9. März 1938 4
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(Neue Freie Presse, Nr. 26400, 10.3.1938, S. 1); (Manual Rz. 1919), (Manual Rz. 1896)
Aufruf des Bundeskanzlers zur Volksbefragung: Volk von Österreich! Zum ersten Male in der Geschichte unseres Vaterlandes verlangt die Führung des Staates ein offenes Bekenntnis zur Heimat. Sonntag, der 13. März 1938 ist der Tag der Volksbefragung! Ihr alle, welchem Berufsstand, welcher Volksschichte ihr angehört, Männer und Frauen im freien Österreich, ihr seid aufgerufen, euch vor der ganzen Welt zu bekennen; ihr sollt sagen, ob ihr den Weg, den wir gehen, der sich die soziale Eintracht und Gleichberechtigung, die endgültige Überwindung der Parteienzerklüftung, den deutschen Frieden nach innen und außen, die Politik der Arbeit zum Ziele setzt - ob ihr diesen Weg mitzugehen gewillt seid! Die Parole lautet: Für ein freies und deutsches, unabhängiges und soziales, für ein christliches und einiges Österreich! Für Friede und Arbeit und die Gleichberechtigung aller, die sich zu Volk und Vaterland bekennen. […] Darum, Volksgenossen, zeigt, daß es euch ernst ist mit dem Willen, eine neue Zeit der Eintracht im Interesse der Heimat zu beginnen; die Welt soll unseren Lebenswillen sehen; darum, Volk von Österreich, stehe auf wie ein Mann und stimme mit Ja! Front-Heil! Österreich! Schuschnigg 127. * „Wiedervereinigungsgesetz“, 13. Mai 1938 4
Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich 13. März 1938 Auf Grund des Artikels III, Absatz 2, des Bundesverfassungsgesetzes über außerordentliche Maßnahmen im Bereich der Verfassung, BGBl I, Nr. 255/1934, hat die Bundesregierung beschlossen: Artikel 1. Österreich ist ein Land des Deutschen Reiches. Artikel 2. Sonntag, den 10. April 1938, findet eine freie und geheime Volksabstimmung der über 20 Jahre alten deutschen Männer und Frauen Österreichs über die Wiedervereinigung mit dem Deutschen Reiche statt. Artikel 3. Bei der Volksabstimmung entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Artikel 4. Die zur Durchführung und Ergänzung dieses Bundesverfassungsgesetzes erforderlichen Vorschriften werden durch Verordnung getroffen.
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128. Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums, 31. Mai 1938 4
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(GBlfdLÖ Nr. 160/1938); (Manual Rz. 1961), (Manual Rz. 1938)
Kundmachung des Herrn Reichsstatthalters in Österreich, wodurch die Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums vom 31. Mai 1938 bekanntgemacht wird. Der Reichsminister des Innern und der Reichsminister der Justiz haben auf Grund des Gesetzes über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reiche vom 13. März 1938 (Reichsgesetzbl. I S. 237) folgendes verordnet: § 1. Diese Verordnung findet auf alle Personen Anwendung, die am 13. März 1938 öffentliche Bedienstete im Lande Österreich waren. § 3. (1) Jüdische Beamte, Beamte, die jüdische Mischlinge sind, und Beamte, die mit einer Jüdin (einem Juden) oder mit einem Mischling ersten Grades verheiratet sind, sind in den Ruhestand zu versetzen. [...] (2) Beamtenanwärter (Gleichgestellte) und Aspiranten, auf die einer der Voraussetzungen des Abs.1 zutrifft, sind durch Auflösung ihres Dienstverhältnisses aus dem Dienst auszuscheiden. [...] § 4. (1) Beamte, die nach ihrem bisherigen politischen Verhalten nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat eintreten, können in den Ruhestand versetzt werden; dies gilt vor allem für Beamte, die gegen die nationalsozialistische Bewegung und ihre Anhänger gehässig aufgetreten sind oder ihre dienstliche Stellung dazu mißbraucht haben, um völkisch gesinnte Volksgenossen zu verfolgen, zurückzusetzen oder sonst zu schädigen. [ ... ] 129. Verordnung über das Gesetzgebungsrecht im Lande Österreich, 30. April 1938 4
Kundmachung des Reichsstatthalters in Österreich, wodurch die Verordnung über das Gesetzgebungsrecht im Lande Österreich vom 30. April 1938 bekanntgemacht wird. Der Führer und Reichskanzler hat auf Grund des Gesetzes über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich vom 13. März 1938 (Reichsgesetzbl. I G. 237) verordnet: § 1. Soweit nicht Reichsrecht im Lande Österreich gilt, übt der Reichsstatthalter (Österreichische Landesregierung) im Lande Österreich im bisherigen Rahmen die Gesetzgebung aus. 130. Moskauer Deklaration, 30. Oktober 1943 (St. Verosta (Hg.), Die internationale Stellung Österreichs. Eine Sammlung von Erklärungen und Verträgen aus 4 3 den Jahren 1938 bis 1947, Wien 1947, S. 52f); (Manual Rz. 1965-1667), (Manual Rz. 1942-1944)
Moskauer Erklärung über Österreich vom 30. Oktober 1943, veröffentlicht am 1. November 1943 Die Regierungen des Vereinigten Königreiches, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika sind darin einer Meinung, daß Österreich, das erste freie Land, das der typischen Angriffspolitik Hitlers zum Opfer fallen sollte, von deutscher Herrschaft befreit werden soll. Sie betrachten den Anschluss („annexation“) Österreichs durch Deutschland am 15. März 1938 [sic!] als null und nichtig. Sie betrachten sich durch keinerlei Änderungen, die in Österreich seit diesem Zeitpunkt durchgeführt wurden, als irgendwie gebunden. Sie erklären, daß sie wünschen, ein freies unabhängiges Österreich wiederhergestellt zu sehen und dadurch ebensosehr den Österreichern selbst wie den Nachbarstaaten, die sich ähnlichen Problemen gegenübergestellt sehen werden, die Bahn zu ebnen, 121
auf der sie die politische und wirtschaftliche Sicherheit finden können, die die einzige Grundlage für einen dauernden Frieden ist. Österreich wird aber auch daran erinnert, daß es für die Teilnahme am Kriege an der Seite Hitler-Deutschlands eine Verantwortung trägt, der es nicht entrinnen kann, und daß anläßlich der endgültigen Abrechnung Bedachtnahme darauf, wieviel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen haben wird, unvermeidlich sein wird. 131. * Wiederherstellung des österreichischen Staates, 27. April 1945 4
Proklamation [über die Selbstständigkeit Österreichs] Angesichts der Tatsache, daß der Anschluß des Jahres 1938 nicht, wie dies zwischen zwei souveränen Staaten selbstverständlich ist, zur Wahrung aller Interessen durch Verhandlungen von Staat zu Staat vereinbart und durch Staatsverträge abgeschlossen, sondern durch militärische Bedrohung von außen und den hochverräterischen Terror einer nazifaschistischen Minderheit eingeleitet, einer wehrlosen Staatsleitung abgelistet und abgepreßt, endlich durch militärische kriegsmäßige Besetzung des Landes dem hilflos gewordenen Volke Österreichs aufgezwungen worden ist, […] und endlich angesichts der Tatsache, daß die nationalsozialistische Reichsregierung Adolf Hitlers kraft dieser völligen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Annexion des Landes das macht- und willenlos gemachte Volk Österreichs in einen sinnund aussichtslosen Eroberungskrieg geführt hat, den kein Österreicher jemals gewollt hat, […] angesichts dieser Tatsachen und im Hinblick darauf, daß durch die drei Weltmächte in wiederholten feierlichen Deklarationen insbesondere in der Deklaration der Krimkonferenz und in der Konferenz der Außenminister Hull, Eden und Molotow zu Moskau Oktober 1943 festgelegt worden ist: „Die Regierungen Großbritanniens, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika kamen überein, daß Österreich, das erste freie Land, das der Hitlerschen Aggression zum Opfer gefallen ist, von der deutschen Herrschaft befreit werden muß. Sie betrachten den Anschluß, der Österreich am 15. März 1938 von Deutschland aufgezwungen worden ist, als null und nichtig. Sie geben ihrem Wunsche Ausdruck, ein freies und wiederhergestelltes Österreich zu sehen und dadurch dem österreichischen Volke selbst, ebenso wie anderen benachbarten Staaten, vor denen ähnliche Probleme stehen werden, die Möglichkeit zu geben, diejenige politische und wirtschaftliche Sicherheit zu finden, die die einzige Grundlage eines dauerhaften Friedens ist.“ Angesichts der angeführten Tatsachen und im Hinblick auf die feierlichen Erklärungen der drei Weltmächte, denen sich inzwischen beinahe alle Regierungen des Abendlandes angeschlossen haben, erlassen die unterzeichneten Vertreter aller antifaschistischen Parteien Österreichs ausnahmslos die nachstehende Unabhängigkeitserklärung. Art. I: Die demokratische Republik Österreich ist wiederhergestellt und im Geiste der Verfassung von 1920 einzurichten. Art. II: Der im Jahre 1938 dem österreichischen Volke aufgezwungene Anschluß ist null und nichtig. Art. III: Zur Durchführung dieser Erklärung wird unter Teilnahme aller antifaschistischen Parteirichtungen eine Provisorische Staatsregierung eingesetzt und vorbehaltlich der Rechte der besetzenden Mächte mit der vollen Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt betraut. 122
132. * Einsetzung der Provisorischen Staatsregierung 1945 4
Kundmachung über die Einsetzung einer provisorischen Staatsregierung. Im Einvernehmen ausnahmslos aller antifaschistischen Parteien Österreichs und damit im Sinn und Willen der großen Mehrheit des österreichischen Volkes und in Übereinstimmung mit der Deklaration der Moskauer Konferenz: „Die Regierungen Großbritanniens, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika geben ihrem Wunsche Ausdruck, ein freies und unabhängiges Österreich wiederhergestellt zu sehen“, wurde mit der Aufgabe, die selbständige und unabhängige Republik Österreich auf den Trümmern des Hitlerregimes wieder aufzurichten, die nachfolgende Provisorische Regierung eingesetzt: 1. Staatskanzlei (Präsidium, auswärtige Angelegenheiten, Heerwesen): Staatskanzler: Dr. Karl Renner. Politischer Beirat des Staatskanzlers: Staatssekretäre ohne Portefeuille: Dr. Adolf Schärf, Ing. Leopold Figl, Johann Koplenig. Unterstaatssekretär für Heerwesen: Oberstleutnant Franz Winterer. […] Die Provisorische Regierung wird sofort die Vorbereitungen zur Berufung einer Volksvertretung im Wege allgemeiner, gleicher und freier Wahlen treffen, wird diese, sobald die Kriegsumstände es gestatten, durchführen und der Volksvertretung ohne Verzug Rechenschaft ablegen. […] 133. * Verfassungs-Überleitungsgesetz 1945 4
Verfassungsgesetz vom 1. Mai 1945 über das neuerliche Wirksamwerden des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 (Verfassungs-Überleitungsgesetz – V-ÜG.) Die Provisorische Staatsregierung hat beschlossen: Artikel 1. Das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 sowie alle übrigen Bundesverfassungsgesetze und in einfachen Bundesgesetzen enthaltenen Verfassungsbestimmungen nach dem Stande der Gesetzgebung vom 5. März 1933 werden im Sinne der Regierungserklärung, St.G.Bl. Nr. 3 von 1945, wieder in Wirksamkeit gesetzt. Artikel 2. Alle nach dem 5. März 1933 erlassenen Bundesverfassungsgesetze, in einfachen Bundesgesetzen enthaltenen Verfassungsbestimmungen und verfassungsrechtliche Vorschriften enthaltenden Verordnungen sowie alle für den Bereich der Republik Österreich von der Deutschen Reichsregierung erlassenen Gesetze, Verordnungen und sonstige Anordnungen verfassungsrechtlichen Inhalts sind aufgehoben. Artikel 3. Aufgehoben sind daher insbesondere: 1. die Verfassung 1934 […]; das Bundesverfassungsgesetz vom 30. April 1934, B. G. Bl. I Nr. 255, über außerordentliche Maßnahmen im Bereich der Verfassung; […] 2. das Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich vom 13. März 1938 […].
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Artikel 4. (1) An die Stelle der Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929, die infolge der Lahmlegung des parlamentarischen Lebens in Österreich seit 5. März 1933, infolge der gewaltsamen Annexion Österreichs oder infolge der kriegerischen Ereignisse tatsächlich undurchführbar geworden sind, treten einstweilen die Bestimmungen des Verfassungsgesetzes über die vorläufige Einrichtung der Republik Österreich (Vorläufige Verfassung). […] 134. * Rechts-Überleitungsgesetz 1945 4
Verfassungsgesetz vom 1. Mai 1945 über die Wiederherstellung des Rechtslebens in Österreich (Rechts-Überleitungsgesetz – R-ÜG) Die Provisorische Staatsregierung hat beschlossen: § 1. (1) Alle nach dem 13. März 1938 erlassenen Gesetze und Verordnungen sowie alle einzelnen Bestimmungen in solchen Rechtsvorschriften, die mit dem Bestand eines freien und unabhängigen Staates Österreich oder mit den Grundsätzen einer echten Demokratie unvereinbar sind, die dem Rechtsempfinden des österreichischen Volkes widersprechen oder typisches Gedankengut des Nationalsozialismus enthalten, werden aufgehoben. (2) Die Provisorische Staatsregierung stellt mittels Kundmachung fest, welche Rechtsvorschriften im Sinne des Abs. 1 als aufgehoben zu gelten haben. Alle Gerichte und Verwaltungsbehörden sind an die Feststellungen dieser Kundmachungen gebunden. (3) Die Kundmachung kann auch bestimmen, ob und in welchem Umfang frühere Rechtsvorschriften an Stelle der aufgehobenen in Geltung treten. (4) Die Kundmachungen sind im Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich zu verlautbaren. § 2. Alle übrigen Gesetze und Verordnungen, die nach dem 13. März 1938 für die Republik Österreich oder ihre Teilbereiche erlassen wurden, werden bis zur Neugestaltung der einzelnen Rechtsgebiete als österreichische Rechtsvorschriften in vorläufige Geltung gesetzt. 135. * Behörden-Überleitungsgesetz 1945 4
Gesetz vom 20. Juli 1945 über die Überleitung der Verwaltungs- und Justizeinrichtungen des Deutschen Reiches in die Rechtsordnung der Republik Österreich (Behörden-Überleitungsgesetz – Behörden-ÜG) Die Provisorische Staatsregierung hat beschlossen: Abschnitt I. Liquidierung der Einrichtungen des Deutschen Reiches in der Republik Österreich. § 1. (1) Die für das Gebiet der Republik Österreich oder deren Teilbereiche bestehenden Behörden, Ämter, Anstalten, Unternehmungen und sonstigen Einrichtungen des Deutschen Reiches sind aufgelöst. Ihre Aufgaben gehen nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen auf die entsprechenden Stellen der Republik Österreich über. § 70. (1) Die Oberlandesgerichte bleiben nach der am 13. März 1938 bestandenen Sprengeleinteilung bestehen. (2) Das Oberlandesgericht in Linz bleibt vorläufig bestehen.
Verfassungsgesetz vom 1. Mai 1945 über die vorläufige Einrichtung der Republik Österreich (Vorläufige Verfassung). I. Abschnitt. Allgemeine Bestimmungen. § 1. (1) Österreich wird wieder als eine demokratische Republik eingerichtet. § 4. (1) Die künftige frei gewählte Volksvertretung wird zu bestimmen haben, ob und wie weit die bundesstaatliche Organisationsform nach den Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 wieder in volle Geltung treten wird. (2) Bis zu diesem Zeitpunkt muß die Provisorische Staatsregierung im Hinblick auf die durch die gewaltsame Annexion Österreichs und die kriegerischen Ereignisse geschaffene besondere Lage die einheitliche Leitung der staatlichen Gesetzgebung und der obersten staatlichen Vollziehung für alle Teilbereiche des Staates für sich in Anspruch nehmen. § 5. (1) Für die Republik Österreich besteht vorläufig eine einheitliche österreichische Staatsbürgerschaft. II. Abschnitt. Staatsregierung. § 7. Bis zum Zusammentritt der auf Grund des allgemeinen, gleichen, unmittelbaren und geheimen Verhältniswahlrechtes neu bestellten Volksvertretung ist die Provisorische Staatsregierung das oberste Organ der Republik Österreich. § 9. (1) Der Staatskanzler führt den Vorsitz in der Provisorischen Staatsregierung. Er leitet die Staatskanzlei. (2) Den Staatssekretären sind die Staatsämter unterstellt. Zur Unterstützung in der Geschäftsführung sind dem Staatskanzler und den Staatssekretären Unterstaatssekretäre beigegeben […] § 10. Zur ständigen Beratung in allen politischen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung sind dem Staatskanzler Staatssekretäre ohne Portefeuille beigegeben. Sie bilden mit dem Staatskanzler als dem Vorsitzenden den Politischen Kabinettsrat. III. Abschnitt. Gesetzgebung. § 18. Bis zum Zusammentritt einer frei gewählten Volksvertretung übt die Provisorische Staatsregierung die nach dem Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 dem Bunde und den Ländern zustehende Gesetzgebung aus. IV. Abschnitt. Verwaltung. a) Oberste staatliche Verwaltung. § 23. Die folgenden Aufgaben der obersten staatlichen Verwaltung sind dem Politischen Kabinettsrat vorbehalten: die Vertretung der Republik nach außen; […]. § 27. Soweit die Aufgaben der obersten staatlichen Verwaltung nicht dem Politischen Kabinettsrat vorbehalten sind, obliegt ihre Führung der Provisorischen Staatsregierung. b) Verwaltung in den Ländern. § 30. (1) Die staatliche Verwaltung in den Ländern wird, soweit nicht staatliche Sonderbehörden eingerichtet sind, in Unterordnung unter die zuständigen Staatsämter in jedem Land durch den Landeshauptmann und seine Stellvertreter und die dem Landeshauptmann unterstellte Landeshauptmannschaft geführt. (2) Der Landeshauptmann wird von der Provisorischen Staatsregierung auf Grund eines von den Vorständen der politischen Parteien des Landes erstatteten Vorschlages ernannt. […] 125
§ 31. (1) Die Verwaltung der den Ländern als Selbstverwaltungskörpern nach der
Überlieferung zustehenden wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Angelegenheiten obliegt in jedem Land einem Provisorischen Landesausschuß. (2) Dem Provisorischen Landesausschuß gehören der Landeshauptmann und seine Stellvertreter und vier bis neun weitere Mitglieder an, die der Landeshauptmann mit Zustimmung der Provisorischen Staatsregierung auf Grund der Vorschläge der Vorstände der politischen Parteien des Landes zu ihrem Amt beruft. Den Vorsitz im Provisorischen Landesausschuß führt der Landeshauptmann. […] § 32. (1) In Unterordnung unter die zuständige Landeshauptmannschaft wird die unterste staatliche Verwaltung in den Verwaltungsbezirken durch die Bezirkshauptmannschaften, in den Städten mit eigenem Statut durch die Bürgermeister geführt. […] § 33. (1) Die Verwaltungsbezirke werden zur Besorgung der ihnen eigenen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Angelegenheiten als Selbstverwaltungskörper ausgestaltet. (2) Zur Besorgung der den Verwaltungsbezirken in Selbstverwaltung überlassenen Angelegenheiten wird in jedem Verwaltungsbezirk eine Provisorische Bezirksvertretung errichtet. Die Provisorische Bezirksvertretung wählt aus ihrer Mitte einen Bezirksausschuß. […] V. Abschnitt. Gerichtsbarkeit. § 40. Die Richter sind in Ausübung ihres richterlichen Amtes unabhängig. 137. Verbotsgesetz 1945 4
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(StGBl. Nr. 13/1945); (Manual Rz. 1980), (Manual Rz. 1957)
Verfassungsgesetz vom 8. Mai 1945 über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz). Die Provisorische Staatsregierung hat beschlossen: Artikel I: Verbot der NSDAP. § 1. Die NSDAP, ihre Wehrverbände (SS, SA, NSKK, NSFK) ihre Gliederungen und angeschlossenen Verbände sowie alle nationalsozialistischen Organisationen und Einrichtungen überhaupt sind aufgelöst; ihre Neubildung ist verboten. Ihr Vermögen ist der Republik verfallen. § 3. Es ist jedermann untersagt, sich, sei es auch außerhalb dieser Organisationen, für die NSDAP oder ihre Ziele irgendwie zu betätigen. Wer weiterhin dieser Partei angehört oder sich für sie oder ihre Ziele betätigt, macht sich eines Verbrechens schuldig und wird hiefür mit dem Tode und dem Verfalle des gesamten Vermögens bestraft. In besonders berücksichtigungswürdigen Fällen kann statt auf die Todesstrafe auf schweren Kerker in der Dauer von zehn bis zwanzig Jahren erkannt werden. Artikel II: Registrierung der Nationalsozialisten. § 4. Alle Personen mit dem ordentlichen Wohnsitz oder dem dauernden Aufenthalt im Gebiet der Republik Österreich, die zwischen dem 1. Juli 1933 und dem 27. April 1945 der NSDAP oder einem ihrer Wehrverbände (SS, SA, NSKK, NSFK) angehört haben, wenngleich diese Angehörigkeit nur eine zeitweise war, ferner alle Parteianwärter und Personen, die sich um die Aufnahme in die SS (Schutzstaffel) beworben haben, werden in besonderen Listen verzeichnet. Die Dauer der Parteizugehörigkeit, Parteiauszeichnungen, Zugehörigkeit zu einem Wehr verband und Funktionen sind hiebei besonders zu vermerken.
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138. Memorandum des Alliierten Rates, 20. Oktober 1945 (St. Verosta (Hg.), Die internationale Stellung Österreichs. Eine Sammlung von Erklärungen und Verträgen aus 4 3 den Jahren 1938 bis 1947, Wien 1947, S. 97); (Manual Rz. 1969), (Manual Rz. 1946)
Memorandum des Alliierten Rates an den Staatskanzler Dr. Renner, betreffend die Anerkennung der Provisorischen Regierung, vom 20. Oktober 1945 1. Der Alliierte Rat hat […] zur Kenntnis genommen, [dass] Dr. Renner die übereinstimmenden Beschlüsse der Länderkonferenz mitteilte, welche vom 24. bis 26. September 1945 tagte. Die Mitglieder des Alliierten Rates stellen mit Vergnügen fest, daß ihre Regierungen ihre Empfehlungen genehmigt haben, daß die Autorität der Provisorischen Oesterreichischen Regierung, erweitert durch das Ergebnis der Länderkonferenz [...] sich über ganz Oesterreich ausdehnen soll, und zwar unter den unten angeführten Bedingungen. 3. Eine der ersten Pflichten der Provisorischen Oesterreichischen Regierung wird die sein, sobald als möglich und nicht später als am 31. Dezember, freie Wahlen abzuhalten. 4. Die Provisorische Oesterreichische Regierung ist ermächtigt, Gesetze zu beschließen, die sich auf ganz Oesterreich anwenden lassen, vorausgesetzt, daß sie vorher dem Alliierten Rat zur Zustimmung unterbreitet werden […]. 139. Drittes Rückstellungsgesetz, 6. Februar 1947 4
Bundesgesetz vom 6. Februar 1947 über die Nichtigkeit von Vermögensentziehungen (Drittes Rückstellungsgesetz). § 1. (1) Gegenstand dieses Bundesgesetzes ist Vermögen, das während der deutschen Besetzung Österreichs, sei es eigenmächtig, sei es auf Grund von Gesetzen oder anderen Anordnungen, insbesondere auch durch Rechtsgeschäfte und sonstige Rechtshandlungen, dem Eigentümer (Berechtigten) – im folgenden Eigentümer genannt – im Zusammenhange mit der nationalsozialistischen Machtübernahme entzogen worden ist. § 2. (1) Eine Vermögensentziehung im Sinne des § 1, Abs. (1), liegt insbesondere vor, wenn der Eigentümer politischer Verfolgung durch den Nationalsozialismus unterworfen war und der Erwerber des Vermögens nicht dartut, daß die Vermögensübertragung auch unabhängig von der Machtergreifung des Nationalsozialismus erfolgt wäre. (3) Als Erwerber gilt jeder Besitzer nach der Entziehung. § 3. (1) Vermögensentziehungen [§ 1, Abs. (1)] sind nichtig. Soweit dieses Bundesgesetz nicht etwas anderes bestimmt, sind die Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes, insbesondere über die Nichtigkeit von Verträgen wegen ungerechter und gegründeter Furcht, anzuwenden. (2) Auf eine nach gesetzlichen Vorschriften etwa eingetretene Verjährung und Ersitzung sowie beim Rückgriff zwischen mehreren Erwerbern auf den Ablauf der Gewährleistungsfristen ist kein Bedacht zu nehmen. § 6. (1) Der geschädigte Eigentümer hat als Gegenleistung nur das rückzustellen, was er zu seiner freien Verfügung erhalten hat. […]
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140. Schuman-Plan, 9. Mai 1950 4
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(Keesing‘s Archiv der Gegenwart 1950, S. 2372); (Manual Rz. 1993), (Manual Rz. 1970)
[Regierungserklärung von Außenminister Robert Schuman] Die französische Regierung schlägt vor, die Gesamtheit der französisch-deutschen Produktion von Kohle und Stahl unter eine gemeinsame oberste Autorität innerhalb einer Organisation zu stellen, die der Mitwirkung anderer Staaten Europas offen steht. […] Die Solidarität der Produktion, die auf diese Weise hergestellt werden wird, wird dartun, daß jeder Krieg zwischen Frankreich und Deutschland nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich wird. Die Schaffung dieser mächtigen Einheit der Produktion, die allen Ländern offen steht, die daran teilzunehmen wünschen und die bezweckt allen Ländern, die sich in ihr vereinigen die grundsätzlichen Elemente der Produktion zu gleichen Bedingungen zu liefern, wird die wahrhaften Grundsteine ihrer wirtschaftlichen Vereinigung legen. 141. EMRK 1950, Art 6 4
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Artikel 6 (1) Jedermann hat Anspruch darauf, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht [tribunal], das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen [civil rights and obligations] oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. 142. Moskauer Memorandum 1955 (G. Stourzh, Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 4 3 1945–1955, Wien/Köln/Graz 2005, S. 667); (Manual Rz. 1988), (Manual Rz. 1965)
Memorandum über die Ergebnisse der Besprechungen zwischen der Regierungsdelegation der Republik Österreich und der Regierungsdelegation der Sowjetunion I. Im Zuge der Besprechungen über den ehesten Abschluß des österreichischen Staatsvertrages in Moskau vom 12. bis 15. April 1955 wurde zwischen der sowjetischen und der österreichischen Delegation Einverständnis darüber erzielt, daß im Hinblick auf die von den Mitgliedern der sowjetischen Regierung – dem Herrn Stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR und Außenminister der UdSSR W. M. Molotow und dem Herrn Stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR A. I. Mikojan – abgegebenen Erklärungen, Herr Bundeskanzler Ing. Julius Raab, Herr Vizekanzler Dr. Adolf Schärf, Herr Außenminister Dr. h.c. Ing. Leopold Figl, Herr Staatssekretär Dr. Bruno Kreisky im Zusammenhang mit dem Abschluß des österreichischen Staatsvertrages für die Herbeiführung folgender Beschlüsse und Maßnahmen der österreichischen Bundesregierung Sorge tragen werden. 1.) Im Sinne der von Österreich bereits auf der Konferenz von Berlin im Jahre 1954 abgegebenen Erklärung, keinen militärischen Bündnissen beizutreten und militärische Stützpunkte auf seinem Gebiet nicht zuzulassen, wird die österreichische Bundesregierung eine Deklaration in einer Form abgeben, die Österreich international dazu verpflichtet, immerwährend eine Neutralität der Art zu üben, wie sie von der Schweiz gehandhabt wird. 2.) Die österreichische Bundesregierung wird diese österreichische Deklaration gemäß den Bestimmungen der Bundesverfassung dem österreichischen Parlament unmittelbar nach Ratifikation des Staatsvertrages zur Beschlußfassung vorlegen.
Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich Präambel Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland, die Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich, in der Folge die Alliierten und Assoziierten Mächte genannt, einerseits und Österreich anderseits; Im Hinblick darauf, daß Hitler-Deutschland am 13. März 1938 Österreich mit Gewalt annektierte und sein Gebiet dem Deutschen Reich einverleibte; Im Hinblick darauf, daß in der Moskauer Erklärung, verlautbart am 1. November 1943, die Regierung der Sozialistischen Sowjetrepubliken, des Vereinigten Königreiches und der Vereinigten Staaten von Amerika erklärten, daß sie die Annexion Österreichs durch Deutschland am 13. März 1938 als null und nichtig betrachten, und ihrem Wunsche Ausdruck gaben, Österreich als einen freien und unabhängigen Staat wiederhergestellt zu sehen und daß das Französische Komitee der Nationalen Befreiung am 16. November 1943 eine ähnliche Erklärung abgab; Im Hinblick darauf, daß als ein Ergebnis des alliierten Sieges Österreich von der Gewaltherrschaft Hitler-Deutschlands befreit wurde; Im Hinblick darauf, daß die Alliierten und Assoziierten Mächte und Österreich unter Berücksichtigung der Bedeutung der Anstrengungen, die das österreichische Volk zur Wiederherstellung und zum demokratischen Wiederaufbau seines Landes selbst machte und weiter zu machen haben wird, den Wunsch hegen, einen Vertrag abzuschließen, der Österreich als einen freien, unabhängigen und demokratischen Staat wiederherstellt, wodurch sie zur Wiederaufrichtung des Friedens in Europa beitragen; Im Hinblick darauf, daß die Alliierten und Assoziierten Mächte den Wunsch haben, durch den vorliegenden Vertrag in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit alle Fragen zu regeln, die im Zusammenhange mit den oberwähnten Ereignissen einschließlich der Annexion Österreichs durch Hitler-Deutschland und seiner Teilnahme am Kriege als integrierender Teil Deutschlands noch offenstehen; und Im Hinblick darauf, daß die Alliierten und Assoziierten Mächte und Österreich zu diesem Zwecke den Wunsch hegen, den vorliegenden Vertrag abzuschließen, um als Grundlage freundschaftlicher Beziehungen zwischen ihnen zu dienen und um damit die Alliierten und Assoziierten Mächte in die Lage zu versetzen, die Bewerbung Österreichs um Zulassung zur Organisation der Vereinten Nationen zu unterstützen; Haben daher die unterfertigten Bevollmächtigen ernannt, welche nach Vorweisung ihrer Vollmachten, die in guter und gehöriger Form befunden wurden, über die nachstehenden Bestimmungen übereingekommen sind: Teil I Politische und territoriale Bestimmungen Artikel 1. Wiederherstellung Österreichs als freier und unabhängiger Staat Die Alliierten und Assoziierten Mächte anerkennen, daß Österreich als ein souveräner, unabhängiger und demokratischer Staat wiederhergestellt ist. Artikel 2. Wahrung der Unabhängigkeit Österreichs Die Alliierten und Assoziierten Mächte erklären, daß sie die Unabhängigkeit und territoriale Unversehrtheit Österreichs, wie sie gemäß dem vorliegenden Vertrag festgelegt sind, achten werden. Artikel 3. Anerkennung der Unabhängigkeit Österreichs durch Deutschland Die Alliierten und Assoziierten Mächte werden in den deutschen Friedensvertrag Bestimmungen aufnehmen, welche die Anerkennung der Souveränität und Unabhän129
gigkeit Österreichs durch Deutschland und den Verzicht Deutschlands auf alle territorialen und politischen Ansprüche in bezug auf Österreich und österreichisches Staatsgebiet sichern. Artikel 4. Verbot des Anschlusses 1. Die Alliierten und Assoziierten Mächte erklären, daß eine politische oder wirtschaftliche Vereinigung zwischen Österreich und Deutschland verboten ist. Österreich anerkennt voll und ganz seine Verantwortlichkeiten auf diesem Gebiete und wird keine wie immer geartete politische oder wirtschaftliche Vereinigung mit Deutschland eingehen. 2. Um einer solchen Vereinigung vorzubeugen, wird Österreich keinerlei Vereinbarung mit Deutschland treffen oder irgendeine Handlung setzen oder irgendwelche Maßnahmen treffen, die geeignet wären, unmittelbar oder mittelbar eine politische oder wirtschaftliche Vereinigung mit Deutschland zu fördern oder seine territoriale Unversehrtheit oder politische oder wirtschaftliche Unabhängigkeit zu beeinträchtigen. Österreich verpflichtet sich ferner, innerhalb seines Gebietes jede Handlung zu verhindern, die geeignet wäre, eine solche Vereinigung mittelbar oder unmittelbar zu fördern, und wird den Bestand, das Wiederaufleben und die Tätigkeit jeglicher Organisationen, welche die politische oder wirtschaftliche Vereinigung mit Deutschland zum Ziele haben, sowie großdeutsche Propaganda zugunsten der Vereinigung mit Deutschland verhindern. Artikel 5. Grenzen Österreichs Die Grenzen Österreichs sind jene, die am 1. Jänner 1938 bestanden haben. Artikel 6. Menschenrechte 1. Österreich wird alle erforderlichen Maßnahmen treffen, um allen unter österreichischer Staatshoheit lebenden Personen ohne Unterschied von Rasse, Geschlecht, Sprache oder Religion den Genuß der Menschenrechte und der Grundfreiheiten einschließlich der Freiheit der Meinungsäußerung, der Presse und Veröffentlichung, der Religionsausübung, der politischen Meinung und der öffentlichen Versammlung zu sichern. 2. Österreich verpflichtet sich weiters dazu, daß die in Österreich geltenden Gesetze weder in ihrem Inhalt noch in ihrer Anwendung zwischen Personen österreichischer Staatsangehörigkeit auf Grund ihrer Rasse, ihres Geschlechtes, ihrer Sprache oder ihrer Religion, sei es in bezug auf ihre Person, ihre Vermögenswerte, ihre geschäftlichen, beruflichen oder finanziellen Interessen, ihre Rechtsstellung, ihre politischen oder bürgerlichen Rechte, sei es auf irgendeinem anderen Gebiete, diskriminieren oder Diskriminierungen zur Folge haben werden. Artikel 7. Rechte der slowenischen und kroatischen Minderheiten 1. Österreichische Staatsangehörige der slowenischen und kroatischen Minderheiten in Kärnten, Burgendland und Steiermark genießen dieselben Rechte auf Grund gleicher Bedingungen wie alle anderen österreichischen Staatsangehörigen einschließlich des Rechtes auf ihre eigenen Organisationen, Versammlungen und Presse in ihrer eigenen Sprache. 2. Sie haben Anspruch auf Elementarunterricht in slowenischer oder kroatischer Sprache und auf eine verhältnismäßige Anzahl eigener Mittelschulen; in diesem Zusammenhang werden Schullehrpläne überprüft und eine Abteilung der Schulaufsichtsbehörde wird für slowenische und kroatische Schulen errichtet werden. 3. In den Verwaltungs- und Gerichtsbezirken Kärntens, des Burgenlandes und der Steiermark mit slowenischer, kroatischer oder gemischter Bevölkerung wird die slowenische oder kroatische Sprache zusätzlich zum Deutschen als Amtssprache zugelassen. In solchen Bezirken werden die Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur sowohl in slowenischer oder kroatischer Sprache wie in Deutsch verfasst.
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4. Österreichische Staatsangehörige der slowenischen und kroatischen Minderheiten in Kärnten, Burgenland und Steiermark nehmen an den kulturellen, Verwaltungsund Gerichtseinrichtungen in diesen Gebieten auf Grund gleicher Bedingungen wie andere österreichische Staatsangehörige teil. 5. Die Tätigkeit von Organisationen, die darauf abzielen, der kroatischen oder slowenischen Bevölkerung ihre Eigenschaft und ihre Rechte als Minderheit zu nehmen, ist zu verbieten. Artikel 8. Demokratische Einrichtungen Österreich wird eine demokratische, auf geheime Wahlen gegründete Regierung haben und verbürgt allen Staatsbürgern ein freies, gleiches und allgemeines Wahlrecht sowie das Recht, ohne Unterschied von Rasse, Geschlecht, Sprache, Religion oder politische Meinung zu einem öffentlichen Amte gewählt zu werden. Artikel 9. Auflösung nazistischer Organisationen 1. Österreich wird die bereits durch die Erlassung entsprechender und von der Alliierten Kommission für Österreich genehmigter Gesetze begonnenen Maßnahmen zur Auflösung der nationalsozialistischen Partei und der ihr angegliederten und von ihr kontrollieren Organisationen einschließlich der politischen, militärischen und paramilitärischen auf österreichischem Gebiet vollenden. Österreich wird auch die Bemühungen fortsetzen, aus dem österreichischen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben alle Spuren des Nazismus zu entfernen, um zu gewährleisten, daß die obgenannten Organisationen nicht in irgendeiner Form wieder ins Leben gerufen werden, und um alle nazistische oder militärische Tätigkeit und Propaganda in Österreich zu verhindern. 2. Österreich verpflichtet sich, alle Organisationen faschistischen Charakters aufzulösen, die auf seinem Gebiete bestehen, und zwar sowohl politische, militärische und paramilitärische, als auch alle anderen Organisationen, welche eine irgendeiner der Vereinten Nationen feindliche Tätigkeit entfalten oder welche die Bevölkerung ihrer demokratischen Rechte zu berauben bestrebt sind. 3. Österreich verpflichtet sich, unter der Androhung von Strafsanktionen, die umgehend in Übereinstimmung mit den österreichischen Rechtsvorschriften festzulegen sind, das Bestehen und die Tätigkeit der obgenannten Organisationen auf österreichischem Gebiete zu untersagen. Artikel 10. Besondere Bestimmungen über die Gesetzgebung (1) Österreich verpflichtet sich, die Grundsätze, die in den von der österreichischen Regierung und vom österreichischen Parlament seit dem 1. Mai 1945 angenommenen und von der Alliierten Kommission für Österreich genehmigten, auf die Liquidierung der Überreste des Naziregimes und auf die Wiederherstellung des demokratischen Systems abzielenden Gesetze und Verordnungen enthalten sind, aufrechtzuerhalten und ihre Durchführung fortzusetzen, die seit dem 1. Mai 1945 bereits getroffenen oder eingeleiteten gesetzgeberischen und administrativen Maßnahmen zu vollenden und die in den Artikeln 6, 8 und 9 des vorliegenden Vertrages festgelegten Grundsätze zu kodifizieren und in Kraft zu setzen und, soweit dies nicht schon geschehen ist, alle gesetzgeberischen und administrativen Maßnahmen, die zwischen dem 5. März 1933 und dem 30. April 1945 getroffen wurden und die in Widerspruch mit den in den Artikeln 6, 8 und 9 festgelegten Grundsätzen stehen, aufzuheben oder abzuändern. (2) Österreich verpflichtet sich ferner, das Gesetz vom 3. April 1919, betreffend das Haus Habsburg-Lothringen, aufrechtzuerhalten. Artikel 20. Zurückziehung der Alliierten Streitkräfte 1. Das Übereinkommen über den Kontrollapparat in Österreich vom 28. Juni 1946 verliert mit dem Inkrafttreten des vorliegenden Vertrages seine Wirksamkeit. 2. Mit dem Inkrafttreten des vorliegenden Vertrages hört die gemäß Paragraph 4 des Abkommens über Besatzungszonen in Österreich und die Verwaltung der Stadt 131
Wien vom 9. Juli 1945 errichtete interalliierte Kommandantur auf, irgendwelche Funktionen hinsichtlich der Verwaltung der Stadt Wien auszuüben. Das Übereinkommen über die Besatzungszonen in Österreich tritt mit der Beendigung der Räumung Österreichs durch die Streitkräfte der Alliierten und Assoziierten Mächte gemäß Paragraph 3 dieses Artikels außer Kraft. 3. Die Streitkräfte der Alliierten und Assoziierten Mächte und die Mitglieder der Alliierten Kommission für Österreich werden innerhalb von neunzig Tagen, angefangen vom Inkrafttreten des vorliegenden Vertrages, soweit irgend möglich, spätestens bis zum 31. Dezember 1955, aus Österreich zurückgezogen. 5. Die Alliierten und Assoziierten Mächte verpflichten sich, der österreichischen Regierung nach Inkrafttreten dieses Vertrages und innerhalb der in Paragraph 3 dieses Artikels vorgesehenen Frist zurückzustellen: a) alles Geld, das den Alliierten und Assoziierten Mächten für Okkupationszwecke kostenlos zur Verfügung gestellt worden und im Zeitpunkt der Beendigung der Zurückziehung der alliierten Streitkräfte unverausgabt geblieben ist; b) alles österreichische Eigentum, das von alliierten Streitkräften oder von der Alliierten Kommission requiriert wurde und sich noch in deren Besitz befindet. 144. * Neutralitätsgesetz, 26. Oktober 1955 4
Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 über die Neutralität Österreichs Der Nationalrat hat beschlossen: Artikel I (1) Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen. (2) Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen. Artikel II Mit der Vollziehung dieses Bundesverfassungsgesetzes ist die Bundesregierung betraut. 145. Luxemburger Kompromiss, 29. Januar 1966 4
3
(Bulletin der EWG 1966, Nr. 3, S. 9); (Manual Rz. 1998), (Manual Rz. 1975)
Schlußkommuniqué der außerordentlichen Tagung des Ministerrats Stehen bei Beschlüssen, die mit Mehrheit auf Vorschlag der Kommission gefaßt werden können, sehr wichtige Interessen eines oder mehrerer Partner auf dem Spiel, so werden sich die Mitglieder des Rats innerhalb eines angemessenen Zeitraums bemühen, zu Lösungen zu gelangen, die von allen Mitgliedern des Rats unter Wahrung ihrer gegenseitigen Interessen und der Interessen der Gemeinschaft gemäß Artikel 2 des Vertrags angenommen werden können. […] 146. Bundesvergabegesetz-Novelle 2000 4
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(BGBl. I 125/2000); (Manual Rz. 2027), (Manual Rz. 2004)
Bundesgesetz, mit dem das Bundesvergabegesetz 1997 geändert wird Das Bundesvergabegesetz 1997 (BVergG), BGBl. I Nr. 56/1997, in der Fassung der Kundmachung BGBl. I Nr. 200/1999 wird wie folgt geändert: 5. (Verfassungsbestimmung) Nach § 126 wird folgender § 126a eingefügt: 132
„§ 126a. (Verfassungsbestimmung) Die am 1. Jänner 2001 in Geltung stehenden landesgesetzlichen Bestimmungen betreffend die Organisation und Zuständigkeit von Organen, denen der Rechtsschutz hinsichtlich der Vergabe öffentlicher Aufträge obliegt, gelten als nicht bundesverfassungswidrig.“ 147. * Beitritt zur Europäischen Union („Beitritts-BVG“) 1994 4
Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union Auf Grund des Ergebnisses der Volksabstimmung wird kundgemacht: Artikel I Mit der Zustimmung des Bundesvolkes zu diesem Bundesverfassungsgesetz werden die bundesverfassungsgesetzlich zuständigen Organe ermächtigt, den Staatsvertrag über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union entsprechend dem am 12. April 1994 von der Beitrittskonferenz festgelegten Verhandlungsergebnis abzuschließen. Artikel II Der Staatsvertrag über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union darf nur mit Genehmigung des Nationalrates und der Zustimmung des Bundesrates hiezu abgeschlossen werden. Diese Beschlüsse bedürfen jeweils der Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen. Artikel III Mit der Vollziehung dieses Bundesverfassungsgesetzes ist die Bundesregierung betraut.
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Quellensammlung
StEOP Privatrechtsgeschichte
Auflage
3.
QUESA 135
Quellenübersicht StEOP-Privatrechtsgeschichte 201. * Josefinisches Erbfolgepatent, 11. Mai 1786 ........................................................... 137 202. * F. A. Tiller, Sistem der bürgerlichen Rechtslehre […] 1787..................................... 138 203. * J. L. v. Banniza, Gründliche Anleitung zu dem allg. bürg. Gesetzbuche 1787 ................................................................................. 138 204. * Hofdekret, 14. Dezember 1790............................................................................... 139 205. * K. A. Martini, Lehrbegriff des Naturrechts 1797 ...................................................... 139 206. * Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch 1811 .......................................................... 139 207. * F.C. v. Savigny, Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1815................. 142 208. * Justizhofdekret, 31. Jänner 1844 ............................................................................ 142 209. * J. Unger, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts 1856 .................. 143 210. * Ehegattenerbrecht 1811 mit Novellen 1914 & 1978 ................................................ 143 211. * Ehegesetz, 6. Juli 1938 .......................................................................................... 145 212. * Wohnungseigentumsgesetz 1948 / 2002 ................................................................ 145
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201. * Josefinisches Erbfolgepatent, 11. Mai 1786 4
Zum gemeinschaftlichen Besten der Unterthanen wird in den gesammten Deutschen Erbländern eine allgemeine, für alle Stände ohne Unterschied gleiche Ordnung der gesetzlichen Erbfolge (successionis ab intestato) des frey vererblichen Vermögens eingeführet. In dieser Absicht demnach soll bey erledigten Erbschaften folgendes Gesetz beobachtet werden: §. 1. Wenn jemand stirbt, der nach Vorschrift des Gesetzes über sein Vermögen keine Anordnung gemacht hat, soll dasselbe denjenigen zufallen, die zur Zeit seines Todes seine nächsten Verwandten sind. §. 2. Diese Erbfolge soll bey allen in den vorgenannten Ländern offen werdenden Erbschaften dergestalt die Richtschnur abgeben, daß das hinterlassene Vermögen denjenigen allezeit zufalle, welche nach Anordnung dieses Gesetzes die nächsten sind; sie mögen nun Inwohner eben dieser Erbländer, Unterthanen aus anderen Staaten, oder auch erbsfähige Ausländer seyn. §. 3. Für die nächsten Anverwandten sind stets diejenigen zu halten, die mit den Erblasser durch die nächste Linie verwandt sind. Zur ersten Linie gehören die, welche sich unter dem Erblasser als ihrem Stamme vereinigen, nähmlich seine Kinder und weiteren Nachkömmlinge. Zur zweyten Linie gehören Vater und Mutter sammt jenen, so sich mit dem Erblasser unter Vater und Mutter vereinigen, nähmlich seine Geschwister und deren Nachkömmlinge. Zur dritten Linie gehören die Großältern, sammt den Geschwistern der Ältern und deren Nachkömmlinge. Zur vierten Linie gehören des Erblassers Urgroßältern, sammt ihren Nachkömmlingen. Zur fünften Linie gehören des Erblassers zweyte Urgroßältern, sammt jenen, die von denselben abstammen. Zur sechsten Linie gehören des Erblassers dritte Urgroßältern, sammt jenen, die von denselben entsprossen sind. §. 5. Wenn aber ein Kind des Erblassers vor ihm gestorben ist, und von demselben Enkel vorhanden sind, so wird der Anteil, der auf das vorgestorbene Kind gefallen wäre, unter die von demselben nachgelassenen Enkel gleich getheilet; und wenn von diesen Enkeln ebenfalls einer gestorben ist, und Urenkel nachgelassen hat, so wird der Antheil, der dem verstorbenen Enkel gebühret hätte, unter die von demselben nachgelassenen Urenkel wieder gleich getheilet. Eben so soll es auch gehalten werden, wenn sich ereignete, daß von einem Erblasser noch entferntere Nachkömmlinge vorhanden wären. §. 23. Hingegen berufen Wir auf den Fall, wo kein Anverwandter des Erblassers in den oberwähnten sechs Linien vorhanden ist, dessen hinterlassenen Ehegatten zur Erbfolge; und nur dann, wenn auch kein Ehegatte des Erblassers am Leben seyn sollte, ist die Verlassenschaft als ein erbloses Gut zu betrachten, und zu Händen Unserer 137
Kammer, oder derjenigen einzuziehen, denen Wir zur Einziehung erbloser Güter ein Recht verliehen haben. §. 24. Ehegatten haben außer dem in dem vorausgehenden §. bestimmten Falle, wechselweise an die rechtliche Erbfolge zu dem Vermögen ihrer Gatten keinen Anspruch. Nur gebühret dem Ueberlebenden, ohne Unterschied, ob er Vermögen besitze oder nicht, in so lange er nicht zur zweyten Ehe schreitet, wofern drey oder mehrere Kinder vorhanden sind, von dem rückgebliebenen Vermögen zu seinem Unterhalte mit jedem Kinde gleicher Genußtheil: falls aber keine, oder weniger, als drey Kinder vorhanden sind, der Genuß von dem vierten Theile des hinterlassenen Vermögens. In beyden Fällen wird, wenn ein Heirathsbrief errichtet worden, was dem überlebenden Ehegatten daraus zuzukommen hat, in diesen Theil eingerechnet. 202. * F. A. Tiller, Sistem der bürgerlichen Rechtslehre […] 1787 (F. A. Tiller, Sistem der bürgerlichen Rechtslehre aus dem sammentlichen römischen Rechte, mit Bezug auf die österreichischen Gesetze [...] 1. Von Personen, und ihren Rechten, Graz 1787, S. IX–X); 4 3 (Manual Rz. 1511ff), (Manual Rz. 1501ff)
[Es ist] unterm 8ten Merz d. Jahrs den Lehrern des bürgerlichen Rechtes auf unseren Akademien der Auftrag gemacht worden: daß sie bey dem Vortrage des römischen Rechtes auch zugleich das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, in so weit es für die Erblande schon kund gemacht worden, und nach und nach herauskommen wird, zum Unterrichte ihrer Zuhörer anwenden sollen. Und man darf mit Grunde dafürhalten, daß diese Verordnungen nie aufgehoben werden, weil: […] der bereits publizierte erste Theil unseres allgemeinen Gesetzbuches selbst, wie es den Rechtsverständigen ganz klar auffällt, eben das benutzte römische Recht zum Grunde, wenigstens zum Vorbilde gelegt, und [man hat] nur die für unsere Staatsverfassung ganz unbrauchbare Dinge weggelassen, den übrigen aber eine veränderte Gestalt gegeben, und dieselbe einfacher gemacht […]. 203. * J. L. v. Banniza, Gründliche Anleitung zu dem allg. bürg. Gesetzbuche 1787 (J. L. V. Banniza, Gründliche Anleitung zu dem allg. bürgerl. Gesetzbuche I, Wien 1787, Vorrede); 4 3 (Manual Rz. 1511ff), (Manual Rz. 1501ff)
Damit aber diese allgmeine[n] bürgerliche Gesetze von den künftigen Rechtsbefliessenen desto gründlicher erlernet, und von den unstudirten desto leichter verstanden werden können, habe ich nicht für unnöthig erachtet, eine Anleitung hierüber abzufassen, und selbe der Presse zu überlassen. Zu diesem Ende habe ich allzeit den wahren Begrif von jeder Materie, über welche diese allgemeine bürgerliche Gesetze ergangen sind, vorausgesetzet, die Grundsätze, woraus diese fliessen, überall angezeiget, und manche Gesetze, die nicht von einem jeden verstanden werden können, mit einleuchtenden Beispielen begreiflicher zu machen gesucht. Ferner habe ich die nämliche Ordnung der Paragraphen, wie selbe in dem allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuche vorkommen, genau beobachtet; jedoch aber überall, wo es möglich war, die Paragraphen mit den vorausgesetzten verbunden, selbe öfters zergliedert, und die Regeln und Ausnahmen davon auseinander gesetzt, damit dadurch die Deutlichkeit, und der Zusammenhang der Gesetze desto leichter am Tage liegen. Nicht minder habe ich verschiedene allerhöchste Anordnungen und Gesetze, welche in die vorkommenden Materien einschlagen, und mit denselben einen nothwendigen Zusammenhang haben, angeführet, und überall eingeschaltet.
Hofdecret vom 14ten December 1790, an das Galizische Appellations-Gericht, über den von der obersten Justizstelle einvernehmlich mit den vereinten Hofstellen erstatteten Vortrag vom 29sten November. Wo bey einem Hause mehrere Eigenthümer eintreten, sind dieselben insgesammt in dem Grundbuche einzutragen, und zwar bey einem unzertheilten Gute mit gleichem Rechte; bey einem getheilten Hause aber nach jener Art, wie die Abtheilung geschehen ist, nähmlich mit der Bemerkung, entweder was für einen Antheil des Ganzen, oder was für specifiquen, jedem eigends zugewiesenen Bestandtheile des Hauses jedem einzelnen Eigenthümer angehörig sey. Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch für die gesammten deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie vom 1. Junius 1811 Miteigenthum. §. 361. Wenn eine noch ungetheilte Sache mehrern Personen zugleich zugehört; so entsteht ein gemeinschaftliches Eigenthum. In Beziehung auf das Ganze werden die Miteigenthümer für eine einzige Person angesehen; in so weit ihnen aber gewisse, obgleich unabgesonderte Theile angewiesen sind, hat jeder Miteigenthümer das vollständige Eigenthum des ihm gehörigen Theiles. 205. * K. A. Martini, Lehrbegriff des Naturrechts 1797 (K. von Martini, Lehrbegriff des Naturrechts zum Gebrauch der öffentlichen Vorlesungen in den k. k. Staaten, Wien 4 3 1797, S. 37); (Manual Rz. 1444ff), (Manual Rz. 1434ff)
§ 122. Die natürlichen Gesetze sind wie mathematische Wahrheiten nach den Regeln der Vernunft aus unläugbaren Grundsätzen hergleitet worden; sie sind also mathematisch gewiß. § 123. Sie sind unveränderlich, weil die bedingte oder unbedingte Wesenheit des Menschen und der übrigen Dinge, und weil die vollkommenste göttliche Natur es auch ist. Ohne jene Wesenheit gäbe es kein Naturgesetz, und ohne diese vollkommenste Natur keine Vergleichung der menschlichen Handlungen mit derselben, in wiefern sie damit übereinstimmen oder nicht. 206. * Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch 1811 4
Patent vom 1ten Junius 1811. [Kundmachung des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches] […] Dadurch wird das bis jetzt angenommene gemeine Recht, der am 1. November 1786 kund gemachte erste Theil des bürgerlichen Gesetzbuches, das für Galizien gegebene bürgerliche Gesetzbuch, sammt allen auf die Gegenstände dieses allgemeinen bürgerlichen Rechtes sich beziehenden Gesetzen und Gewohnheiten, außer Wirksamkeit gesetzt. […] Auch bleiben die über politische, Cameral- oder Finanz-Gegenstände kund gemachten, die Privat-Rechte beschränkenden, oder näher bestimmenden Verordnungen, obschon in diesem Gesetzbuche sich darauf nicht ausdrücklich bezogen würde, in ihrer Kraft. §. 6. Einem Gesetze darf in der Anwendung kein anderer Verstand beygelegt werden, als welcher aus der eigenthümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhange und aus der klaren Absicht des Gesetzgebers hervorleuchtet. 139
§. 7. Läßt sich ein Rechtsfall weder aus den Worten, noch aus dem natürlichen Sinne eines Gesetzes entscheiden, so muß auf ähnliche, in den Gesetzen bestimmt entschiedene Fälle, und auf die Gründe anderer damit verwandten Gesetze Rücksicht genommen werden. Bleibt der Rechtsfall noch zweifelhaft; so muß solcher mit Hinsicht auf die sorgfältig gesammelten und reiflich erwogenen Umstände nach den natürlichen Rechtsgrundsätzen entschieden werden. §. 8. Nur dem Gesetzgeber steht die Macht zu, ein Gesetz auf eine allgemein verbindliche Art zu erklären. Eine solche Erklärung muß auf alle noch zu entscheidende Rechtsfälle angewendet werden, dafern der Gesetzgeber nicht hinzufügt, daß seine Erklärung bey Entscheidung solcher Rechtsfälle, welche die vor der Erklärung unternommenen Handlungen und angesprochenen Rechte zum Gegenstande haben, nicht bezogen werden solle. §. 10. Auf Gewohnheiten kann nur in den Fällen, in welchen sich ein Gesetz darauf beruft, Rücksicht genommen werden. §. 11. Nur jene Statuten einzelner Provinzen und Landesbezirke haben Gesetzeskraft, welche nach der Kundmachung dieses Gesetzbuches von dem Landesfürsten ausdrücklich bestätiget werden. IV. Aus dem Verhältnisse einer moralischen Person §. 26. Die Rechte der Mitglieder einer erlaubten Gesellschaft unter sich werden durch den Vertrag oder Zweck und die besondern für dieselben bestehenden Vorschriften bestimmt. Im Verhältnisse gegen Andere genießen erlaubte Gesellschaften in der Regel gleiche Rechte mit den einzelnen Personen. Unerlaubte Gesellschaften haben als solche keine Rechte, weder gegen die Mitglieder, noch gegen Andere, und sie sind unfähig, Rechte zu erwerben. Unerlaubte Gesellschaften sind aber diejenigen, welche durch die politischen Gesetze ins besondere verbothen werden, oder offenbar der Sicherheit, öffentlichen Ordnung oder den guten Sitten widerstreiten. §. 27. In wie fern Gemeinden in Rücksicht ihrer Rechte unter einer besonderen Vorsorge der öffentlichen Verwaltung stehen, ist in den politischen Gesetzen enthalten. §. 75. Die feyerliche Erklärung der Einwilligung muß vor dem ordentlichen Seelsorger eines der Brautleute, er mag nun, nach Verschiedenheit der Religion, Pfarrer, Pastor oder wie sonst immer heißen, oder vor dessen Stellvertreter in Gegenwart zweyer Zeugen geschehen. [Wirkung der gültigen Ehe. Rechte und Verbindlichkeiten der Ehegatten.] §. 89. Die Rechte und Verbindlichkeiten der Ehegatten entstehen aus dem Zwecke ihrer Vereinigung, aus dem Gesetze und den geschlossenen Verabredungen. Hier werden nur die Personen-Rechte der Ehegatten; hingegen die aus den Ehe-Pacten entspringenden Sachenrechte in dem zweyten Theile bestimmt. [Abweichungen von der allgemeinen Erbfolgeordnung.] §. 761. Die Abweichungen von der in diesem Hauptstücke bestimmten gesetzlichen Erbfolge in Rücksicht auf Bauerngüter, und die Verlassenschaft geistlicher Personen sind in den politischen Gesetzen enthalten. §. 825. So oft das Eigenthum der nähmlichen Sache, oder ein und dasselbe Recht mehreren Personen ungetheilt zukommt; besteht eine Gemeinschaft. Sie gründet sich auf eine zufällige Ereignung; auf ein Gesetz; auf eine letzte Willenserklärung; oder auf einen Vertrag. §. 829. Jeder Theilhaber ist vollständiger Eigenthümer seines Antheiles. In so fern er die Rechte seiner Mitgenossen nicht verletzt, kann er denselben, oder die Nutzun140
gen davon willkührlich und unabhängig verpfänden, vermachen, oder sonst veräußern (§. 361.). [Besondere Verhältnisse zwischen Gutsbesitzern und Unterthanen.] §. 1146. In wie fern die Nutzungseigenthümer gegen die Obereigenthümer noch in anderen Verhältnissen stehen, und welche Rechte und Verbindlichkeiten ins besondere zwischen den Gutsbesitzern und den Gutsunterthanen bestehen, ist aus der Verfassung jeder Provinz, und den politischen Vorschriften zu entnehmen. Von den Ehe-Pacten. §. 1217. Ehe-Pacte heißen diejenigen Verträge, welche in Absicht auf die eheliche Verbindung über das Vermögen geschlossen werden, und haben vorzüglich das Heirathsgut; die Widerlage; Morgengabe; die Gütergemeinschaft; Verwaltung und Fruchtnießung des eigenen Vermögens; die Erbfolge, oder die auf den Todesfall bestimmte lebenslange Fruchtnießung des Vermögens, und den Witwengehalt zum Gegenstande. [1) Heirathsgut] §. 1218. Unter Heirathsgut versteht man dasjenige Vermögen, welches von der Ehegattinn oder für sie von einem Dritten dem Manne zur Erleichterung des mit der ehelichen Gesellschaft verbundenen Aufwandes übergeben oder zugesichert wird. [Dessen Bestellung.] § 1219. Wenn die Braut eigenes Vermögen besitzt, und volljährig ist; so hängt es von ihr und dem Bräutigame ab, wie sie sich wegen des Heirathsgutes, und wegen anderer wechselseitigen Gaben mit einander verstehen wollen. Ist aber die Braut noch minderjährig; so muß der Vertrag von dem Vater oder Vormunde, mit Genehmigung des vormundschaftlichen Gerichtes, geschlossen werden. §. 1220. Besitzt die Braut kein eigenes, zu einem angemessenen Heirathsgute hinlängliches Vermögen; so sind Aeltern oder Großältern nach der Ordnung, als sie die Kinder zu ernähren und zu versorgen verpflichtet sind, verbunden, den Töchtern oder Enkelinnen bey deren Verehelichung ein ihrem Stande und Vermögen angemessenes Heirathsgut zu geben, oder dazu verhältnißmäßig beyzutragen (§. 141 u. 143). Eine uneheliche Tochter kann nur von ihrer Mutter ein Heirathsgut verlangen. §. 1234. Die Gütergemeinschaft unter Ehegatten wird in der Regel nur auf den Todesfall verstanden. Sie gibt dem Ehegatten das Recht auf die Hälfte dessen, was von den der Gemeinschaft wechselseitig unterzogenen Gütern nach Ableben des andern Ehegatten noch vorhanden seyn wird. [5) Verwaltung und Nutznießung des ursprünglichen oder erworbenen Vermögens.] §. 1237. Haben Eheleute über die Verwendung ihres Vermögens keine besondere Uebereinkunft getroffen, so behält jeder Ehegatte sein voriges Eigenthumsrecht, und auf das, was ein jeder Theil während der Ehe erwirbt, und auf was immer für eine Art überkommt, hat der andere keinen Anspruch. Im Zweifel wird vermuthet, daß der Erwerb von dem Manne herrühre. §. 1238. So lange die Ehegattin nicht widersprochen hat, gilt die rechtliche Vermuthung, daß sie dem Manne als ihrem gesetzmäßigen Vertreter die Verwaltung ihres freyen Vermögens anvertrauet habe.
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207. * F.C. v. Savigny, Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1815 ([F. C. v.] Savigny, Ueber den Zweck dieser Zeitschrift, in: Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1, 4 3 Berlin 1815, S. 1–17, hier: S. 5f); (Manual Rz. 1727ff), (Manual Rz. 1708ff)
Wenden wir diese allgemeine Darstellung des Gegensatzes zwischen geschichtlicher und ungeschichtlicher Ansicht auf die Rechtswissenschaft an, so wird es nicht schwer seyn, den Character der zwey […] Schulen zu bestimmen. Die geschichtliche Schule nimmt an, der Stoff des Rechts sey durch die gesammte Vergangenheit der Nation gegeben, doch nicht durch Willkühr, so daß er zufällig dieser oder ein anderer seyn könnte, sondern aus dem innersten Wesen der Nation selbst und ihrer Geschichte hervorgegangen. Die besonnene Thätigkeit jedes Zeitalters aber müsse darauf gerichtet werden, diesen mit innerer Nothwendigkeit gegebenen Stoff zu durchschauen, zu verjüngen und frisch zu erhalten. – Die ungeschichtliche Schule dagegen nimmt an, das Recht werde in jedem Augenblick durch die mit der gesetzgebenden Gewalt versehenen Personen mit Willkühr hervorgebracht, ganz unabhängig von dem Rechte der vorhergehenden Zeit, und nur nach bester Ueberzeugung, wie sie der gegenwärtige Augenblick gerade mit sich bringe. […] 208. * Justizhofdekret, 31. Jänner 1844 4
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch für die gesammten deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie vom 1. Junius 1811 §. 8. Nur dem Gesetzgeber steht die Macht zu, ein Gesetz auf eine allgemein verbindliche Art zu erklären. Eine solche Erklärung muß auf alle noch zu entscheidende Rechtsfälle angewendet werden, dafern der Gesetzgeber nicht hinzufügt, daß seine Erklärung bey Entscheidung solcher Rechtsfälle, welche die vor der Erklärung unternommenen Handlungen und angesprochenen Rechte zum Gegenstande haben, nicht bezogen werden solle. §. 762. Die Personen, welche der Erblasser in der letzten Anordnung mit einem Erbtheile bedenken muß, sind seine Kinder; und in deren Ermanglung, seine Aeltern. §. 764. Der Erbtheil, welchen diese Personen zu fordern berechtigt sind, heißt: Pflichttheil; sie selbst werden in dieser Rücksicht Notherben genannt. Justiz-Hofdekret vom 31. Jänner 1844, an sämmtliche Appellationsgerichte; sämmt-lichen Länderstellen bekannt gemacht mit Hofkanzlei-Decret vom 7. Februar 1844. Ueber die Frage, ob der Pflichttheilnehmer seinen Antheil in Natur aus den Gegenständen des Nachlasses fordern könne, haben Seine k. k. Majestät über allerunterthänigsten Vortrag der obersten Justizstelle vom 16. October 1843 mit Allerhöchster Entschließung vom 2. Jänner 1844 die nachstehende Erläuterung zu genehmigen geruht: Der Notherbe hat nach dem §. 784 des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches keinen Anspruch auf verhältnißmäßige Antheile an den einzelnen, zur Verlassenschaft gehörigen beweglichen und unbeweglichen Sachen, sondern nur auf den nach gerichtliche Schätzung berechneten Werth seines Erbtheiles.
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209. * J. Unger, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts 1856 (J. Unger, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, Bd. 1, Leipzig 1856, S. III, V, X); 4 3 (Manual Rz. 1748), (Manual Rz. 1729)
Vorrede. Es ist bekannt, welcher bedeutende Umschwung nunmehr auch in Österreich in der Auffassung des Rechts und der Aufgabe der Rechtswissenschaft eingetreten ist. Man begnügt sich nicht mehr weder mit der exegetischen Methode selbst noch mit den dürftigen zusammenhangslosen Resultaten derselben; man findet das Erkären des Gesetzbuches aus sich selbst heraus, das paraphrasirende Fortschreiten von einem Gesetzesparagraph zum andern unzugänglich […]. Zwei Wege sind es, welche bei dem gegenwärtigen Stande unserer Rechtswissenschaft mit Erfolg eingeschlagen werden können: der eine Weg ist der monographischer Darstellung der einzelnen Rechtsinstitute, der andere der systematischer Bearbeitung des ganzen Rechtsstoffs. […] In Monographieen wird der einzelne Rechtssatz um seine Herkunft und seine innere Berechtigung gefragt; eingehende dogmengeschichtliche Untersuchungen machen mit dem Schicksal bekannt, welches die einzelne Rechtsregel von ihrem Entstehen an bei ihrer Wanderung durch verschiedene Länder und Zeiten hindurch bis auf unsere Tage herauf erfahren hat; hieran schließt sich die dogmatische Darstellung, welche der Rechtsregel ihr praktisches Gebiet anweist und uns lehrt in welchem Umfang der fragliche Rechtssatz zu gelten habe, welche Consequenzen aus demselben abzuleiten seien und in welchem inneren Zusammenhang er mit anderen Rechtssätzen stehe. Durch solche wissenschaftliche Arbeiten werden die einzelnen Rechtsinstitute erst in ihr gehöriges Licht gestellt; Rechtsregeln welche bisher in unbezweifelter Geltung standen werden als falsch und verwerflich erkannt, mancher Rechtssatz auf ein engeres Gebiet beschränkt, mancher Rechtsnorm ein weiterer Umfang angewiesen. […] wo ein Gesetzbuch wie das österreichische in einer dürftigen Anzahl von Paragraphen kaum die nothwendigsten Bestimmungen enthält und die Literatur arm an Monographieen sich bloß an eine Besprechung dieser Bestimmungen gehalten hat, […] sollen die herrschenden Irrthümer aufgedeckt, die gangbaren Unwahrheiten beseitigt, die halbwahren Begriffe gereinigt werden, sollen die Bestimmungen des Gesetzbuchs einer motivirten Kritik unterzogen, die neuen Behauptungen begründet und gegen Widerspruch so viel als möglich sichergestellt werden, […]. 210. * Ehegattenerbrecht 1811 mit Novellen 1914 & 1978 4
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch für die gesammten deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie vom 1. Junius 1811 Dreyzehntes Hauptstück. Von der gesetzlichen Erbfolge. […] [Gesetzliches Erbrecht der Ehegatten] §. 757: Dem überlebenden Ehegatten des Erblassers gebührt, ohne Unterschied, ob er ein eigenes Vermögen besitze oder nicht, wofern drey oder mehrere Kinder vorhanden sind, mit jedem Kinde ein gleicher Erbtheil; wenn aber weniger als drey Kinder vorhanden sind, der vierte Theil der Verlassenschaft zum lebenslangen Genusse; das Eigenthum davon bleibt den Kindern. §. 758: Ist kein Kind, aber ein anderer gesetzlicher Erbe vorhanden, so erhält der überlebende Ehegatte das unbeschränkte Eigenthum auf den vierten Theil der Ver143
lassenschaft. Doch wird sowohl in diesem, als in dem Falle des §. 757 dasjenige, was gemäß der Ehe=Pacten, eines Erbvertrages, oder einer letzt[willig]en Anordnung dem überlebenden Ehegatten aus dem Vermögen des andern zukommt, in den Erbtheil eingerechnet. §. 759: Wenn aber weder ein Verwandter des Erblassers in den oben angeführten sechs Linien, noch ein anderer aus den in den §§. 752–756 berufenen Erben [legitimierte Kinder, uneheliche Kinder, Wahlkinder] vorhanden ist; so fällt dem Ehegatten die ganze Erbschaft zu. […] Kaiserliche Verordnung vom 12. Oktober 1914 Auf Grund des § 14 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, R. G. Bl. Nr. 141, finde ich anzuordnen, wie folgt: Artikel I. Zur Änderung und Ergänzung einiger Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (a. b. G. B.) werden die nachfolgenden Bestimmungen erlassen: […] § 68. § 757 a. b. G. B. hat zu lauten: Der überlebende Ehegatte des Erblassers ist neben Kindern des Erblassers und deren Nachkommen zu einem Viertel des Nachlasses, neben den Eltern des Erblassers und deren Nachkommen oder neben Großeltern zur Hälfte des Nachlasses gesetzlicher Erbe. […] Sind weder gesetzliche Erben der ersten oder zweiten Linie noch Großeltern vorhanden, so erhält der überlebende Ehegatte die ganze Erbschaft. § 69. § 758 a. b. G. B. hat zu lauten: Außer dem Erbteile gebühren dem überlebenden Ehegatten als Vorausvermächtnis die zum ehelichen Haushalt gehörenden beweglichen Sachen, neben Kindern des Erblassers jedoch nur das für seinen eigenen Bedarf Nötige. Bundesgesetz vom 15.Juni 1978 über Änderungen des Ehegattenerbrechts, des Ehegüterrechts und des Ehescheidungsrechts Der Nationalrat hat beschlossen: Artikel I Änderungen des allgemeinen bürgelichen Gesetzbuchs Das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch vom 1. Juni 1811, JGS Nr. 946, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 403/1977, wird wie folgt geändert: 2. Der Abs. 1 des § 757 hat zu lauten: „Der Ehegatte des Erblassers ist neben ehelichen Kindern des Erblassers und deren Nachkommen zu einem Drittel des Nachlasses, neben Eltern des Erblassers und deren Nachkommen oder neben Großeltern zu zwei Dritteln des Nachlasses gesetzlicher Erbe. […]“
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211. * Ehegesetz, 6. Juli 1938 4
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(Dt.RGBl. I 807/1938); (Manual Rz. 2047ff), (Manual Rz. 2022ff)
Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen Reichsgebiet vom 6. Juli 1938 §4 Das Verbot von Eheschließungen zwischen Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes und Personen artfremden Blutes und die Wirkungen dieses Verbots bestimmen sich ausschließlich nach dem Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. September 1935 (Reichsgesetzbl. I S. 1146) und den zu diesem Gesetz ergangenen Durchführungsverordnungen. § 17 (1) Die Ehe wird dadurch geschlossen, daß die Verlobten vor dem Standesbeamten persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit erklären, die Ehe miteinander eingehen zu wollen. § 47 (1) Ein Ehegatte kann Scheidung begehren, wenn der andere die Ehe gebrochen hat. § 53 (1) Ein Ehegatte kann Scheidung begehren, wenn der andere nach der Eheschließung vorzeitig unfruchtbar geworden ist. (2) Die Scheidung ist ausgeschlossen, wenn die Ehegatten miteinander erbgesunde eheliche Nachkommenschaft oder ein gemeinschaftlich an Kindes Statt angenommenes erbgesundes Kind haben. § 55 (1) Ist die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit drei Jahren aufgehoben und infolge einer tiefgreifenden unheilbaren Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht zu erwarten, so kann jeder Ehegatte die Scheidung begehren. (2) Hat der Ehegatte, der die Scheidung begehrt, die Zerrüttung ganz oder überwiegend verschuldet, so kann der andere der Scheidung widersprechen. […] 212. * Wohnungseigentumsgesetz 1948 / 2002 4
Bundesgesetz über das Wohnungseigentum (Wohnungseigentumsgesetz 2002 – WEG 2002) § 2. (1) Wohnungseigentum ist das dem Miteigentümer einer Liegenschaft oder einer Eigentümerpartnerschaft eingeräumte dingliche Recht, ein Wohnungseigentumsobjekt ausschließlich zu nutzen und allein darüber zu verfügen. Vorläufiges Wohnungseigentum ist das nach den Regelungen im 10. Abschnitt beschränkte Wohnungseigentum, das unter den dort umschriebenen Voraussetzungen vom Alleineigentümer einer Liegenschaft begründet werden kann. Bundesgesetz vom 8. Juli 1948, betreffend das Eigentum an Wohnungen und Geschäftsräumen (Wohnungseigentumsgesetz – WEG.). § 3. Das Wohnungseigentum ist mit dem Miteigentumsanteil untrennbar verbunden. Es kann nur mit diesem zusammen beschränkt, belastet, veräußert, von Todes wegen übertragen und der Zwangsvollstreckung unterworfen werden. 145