Politische Macht transnationaler Unternehmen in Räumen begrenzter Staatlichkeit

May 24, 2017 | Author: Andreas Oldenbourg | Category: Corporate Social Responsibility, Political Theory, Human Rights, Global Business and Human Rights, Business and human rights, Political Theory of Corporations
Report this link


Description

thomas meyer udo vorholt (hrsg.)

dortmunder politisch-philosophische diskurse

globales regieren als alternative zum nationalstaat?

Band 13

projektverlag.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:/ I dnb.d-nb.de abrufbar.

Herausgeberinformation : Univ.-Prof. Dr. Thomas Meyerwar Inhaber der Professur für Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dortmund Prof. Dr. Udo Vorholt ist Professor im Institut für Philosophie und Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dortmund

ISSN 1613-7256 ISBN 978-3-89733 -380-2

© projekt verlag, Bochum/Freiburg 2015 www.projektverlag.de Umschlaggestaltung: PUNKTKOMMASTRICH, Freiburg www.punkt-komma-strich.de

ln haltsverzeichn is

Einleitung

7

Mark Arenhövel Weltordnungsvorstellungen im Wandel. Von der nationalen zur postnationalen Konstellation - und zurück?

11

Matthias Heise I Christoph Schuck Humanitäre Interventionen und Human Security: theoretische und empirische Befunde

39

Karina Strübbe Ideen für die Gegenwart? Leonard Nelson und seine Konzeption von Staatenbünden

71

Andreas Oldenbourg Politische Macht transnationaler Unternehmen in Räumen begrenzter Staatlichkeit

93

Steve Schlegel Neopatrimoniale Herrschaft in schwachen Staaten -das Beispiel Kirgisistan 1991-2010

127

Autorenverzeichnis

159

Einleitung Mit dieser Publikation legen wir die zwölfte Tagungsdokumentation der Dortmunder politisch-philosophischen Diskurse vor. Jährliche wissenschaftliche Arbeitstagungen zu politisch-philosophischen Themen, die von besonderer öffentlicher Bedeutung sind, dienen dafür als Grundlage. Abseits von den tagespolitischen Auseinandersetzungen bieten wir einen Raum, in dem politische Grundlagenthemen von Experten verschiedener Wissenschaftsdisziplinen vorgestellt und in einem Forum mit Wissenschaftlern und Bürgern handlungsorientiert erörtert werden. Die Dortmunder politisch -philosophischen Diskurse werden seit dem Jahr 2003 gemeinsam von der Politikwissenschaft der Technischen Universität Dortmund und der Philosophisch-Politischen Akademie e. V. veranstaltet. Die Philosophisch-Politische Akademie wurde 1922 von Leonard Nelson 1 - Inhaber einer Professur an der Universität Göttingen - gegründet. Nelson (1882-1927), Philosoph, Politiker und Pädagoge, schuf eine integrale philosophisch-politische Theorie auf der Grundlage der kritischen Philosophie, die nicht nur die akademische Diskussion bereichern sollte, sondern am Maßstab der Bürgerverantwortung orientiert war. 2 Schüler und Anhänger führten die Arbeit der Philosophisch-Politischen Akademie nach Nelsons Tod fort. Nach der Zerschlagung der Akademie durch die Nationalsozialisten 1933 wurde sie 1949 als eingetragener Verein wieder gegründet. Die Akademie dient heute der Weiterentwicklung der Kritischen Philosophie, eigener Beiträge zur politischen Öffentlichkeit sowie der Durchführung von sokratischen Seminaren. Die Dokumentation der ersten Tagung zum Thema ,Menschenbild und Politik- zur Aktualität der politischen Anthropologie' im Jahr 2003 liegt als Veröffentlichung vor. 3 Die zweite Tagung fand im Juli 2004 zum Thema ,Zivil-

1

Vgl. Nelson, Leonard (1970 f.): Gesammelte Schriften, 9 Bände, Hamburg; Leonard Nelson: Ausgewählte Schriften (1992), herausgegeben von Heinz·Joachim Heydorn, Frankfurt am Main . ' Vgl. Meyer, Thomas (2003) : Leonard Nelson, in: Metzler Philosophen Lexikon, herausgegeben von Bernd Lutz, 3. Aufl., Stuttgart; Vorhalt, Udo (2015) : Leonard Nelson, in : Deutsche Philosophie im 21. Jahrhundert. Ein Autorenhandbuch, 2. Aufl., Darmstadt; Vorhalt, Udo (1998): Die politische Theorie Leonard Nelsons. Eine Fallstudie zum Verhältnis von philosophisch-politischer Theorie und konkret-politischer Praxis, BadenBaden . 3 Meyer, Thomas; Vorhalt, Udo (Hrsg.) (2004): Menschenbild und Politik, Bochum/Freiburg.

7

gesel!schaft und Gerechtigkeit' statt. 4 Die dritte Tagung thematisierte im Juli 2005 das Verhältnis von ,Freiheit und kulturellen Differenzen' 5• Die vierte Tagung im Juli 2006 führte politikwissenschaftliche und philosophische Ansichten zum Thema ,Positive und Negative Freiheit' zusammen. 6 Die fünfte Tagung beschäftigte sich im Juni 2007 mit der ,Identität in Europa'. 7 Die sechste Tagung diskutierte im November 2008 das Thema ,Menschenrechte, universelle Grundrechte und Demokratie'. 8 Die siebte Tagung der Dortmunder politisch-philosophischen Diskurse wurde im November 2009 zum Thema ,Demokratie und Erziehung' durc hgeführt.9 Die achte Tagu ng im Dezemb er 2010 fokussierte das Th em a , Bi ldun gsgerech tigkeit als pol itisch e Aufgabe •.to Die neunte Tagung im Dezemb er 201 1 erörterte die Fragest el lung ,Freiheit contra Sicherheit?'.11 Die zehnte Tagung im November 2012 behandelte die Thematik ,Ethik, Moral und Politik'Y Die elfte Tagung beschäftigte sich im Juni 2014 mit dem Thema ,Verhandlungsdemokratie- Dialogische Entscheidungsverfahren in der Politik'. 13 Die letzte Veranstaltung der Dortmunder politisch-philosophischen Diskurse fand im Mai 2015 zu der Fragestellung ,Globales Regieren - Staatenbünde vs . fragile Staaten?' statt. Die Ergebnisse sind in diesem Band dokumentiert. Mark Arenhövel hinterfragt in seinem grundlegenden Aufsatz die Rolle des Staates im Wandel der Zeit. Dabei stellt er vor dem Hintergrund politischer Theorien die Souveränität von Nationen zur Debatte und diskutiert deren Einflussbereich im Spannungsfeld von staatlicher Selbstbestimmung und humanitären Interventionen. 4

5

6

Meyer, Thomas; Vorhalt, Udo (Hrsg.) (2004): Zivilgesellschaft und Gerechtigkeit, Bochum/Freiburg. Meyer, Thomas; Vorhalt, Udo (Hrsg.) (2006): Freiheit und kulturelle Differenzen, Bochum/Freiburg. Meyer, Thomas; Vorhalt, Udo (Hrsg.) (2007) : Positive un d negative Freiheit, Bochum / Freiburg.

Matthias Heise und Christoph Schuck stellen in ihrem Beitrag die Legitimität und Durchführung humanitärer Intervention, insbesondere aus empirischer und theoretischer Sicht dar. Besondere Aufmerksamkeit kommt dabei dem Human-Security-Konzept zu. Karina Strübbe erörtert in ihrem Aufsatz Leonard Nelsons Vorstellungen von Staatenbünden und den dabei essentiellen Bestandteil der Verwirklichung eines Rechtszustandes. Anschließend überträgt sie die Ideen sowie deren lmplikationen auf die Gegenwart in der Europäischen Union und diskutiert ihre Anschlussfähigkeit Andreas Oldenbourg untersucht die Relevanz von transnationalen Unternehmen und wirft die Frage auf, inwiefern deren Handeln politisch ist oder sein soll. Die Position dieser Unternehmen wird insbesondere in Räumen begrenzter Staatlichkeit beleuchtet. Steve Schlegel bietet mit Hinblick auf das State-Leader's-Dilemma und auf neopatrimoniale Herrschaftssysteme einen exemplarischen Überblick über die politische Entwicklung des schwachen Staates Kirgisistan nach dem Zerfall der Sowjetunion. Die Herausgeber danken den Mitarbeiterinnen der Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dortmund Julia Pferdekämper, Susanne Romanowski und Karina Strübbe für ihre engagierte Mithilfe bei der Vorbereitung und Organisation der Tagung und der Erstellung dieser Publikation sowie der Philosophisch-Politischen Akademie e. V. für ihre finanzielle Unterstützung.

Themas Meyer

Udo Vorholt

; Meyer, Th omas; Verholt, Udo (Hrsg.) (2008): Identitä t in Europ a, Bochum/Freiburg. Meyer, Themas : Verholt, Udo (Hrsg.) (2009) : Menschenrec hte, un iverselle Grundrechte und Demokratie, Bochum/Frei burg. 9 Meyer, Themas; Verho lt, Udo (Hrsg.) (2010): Demokratie durch Erziehu ng?, Bochum/ Freiburg. 10

11

Meyer, Thomas; Vorhalt, Udo (Hrsg.) (2011): Bildungsgerechtigkeit als politische Aufgabe, Bochum/Freiburg. Meyer, Thomas; Vorhalt, Udo (Hrsg.) (2012): Freiheitcontra Sicherheit?, Bochum/Freiburg.

:: Meyer, Themas; Vorhalt, Udo (Hrsg.) (2013): Ethik, Moral und Politik, Bochum / Freiburg. Meyer, Themas; Vorhalt, Udo (Hrsg.) (2014): Die Verhandlun gsdemokratie. Dialogische Entscheidungsverfahren in der Politik, Bochum / Freiburg.

8

9

Andreas Oldenbourg

Politische Macht transnationaler Unternehmen in Räumen begrenzter Staatlichkeil 1. Einleitung ln öffentlichen Debatten wird häufig eine zunehmende Macht transnationaler Unternehmen beklagt. Damit werden zweierlei Urteile impliziert: Erstens wird auf einer beschreibenden Ebene behauptet, dass transnationale Unternehmen in vielfältigen Formen Macht haben und diese Macht in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat. Zweitens ist auf einer wertenden Ebene gemeint, dass diese zunehmende Macht etwas Schlechtes ist. Die erste, empirische Bedeutung ist angesichts von Globalisierungsprozessen nicht verwunderlich. Unter dem Schlagwort der Globalisierung werden alle möglichen sozialen oder sozial bedingten Phänomene erfasst, die nationalstaatliche Grenzen überschreiten und politische Herausforderungen darstellen. Primär ist damit jedoch das Wirtschaftssystem gemeint, da sich hier die Globalisierung am weitesten vollzogen hat. Die grundlegende Herausforderung ist, dass sich zwar auf internationaler Ebene zahlreiche Organisationen herausgebildet haben, diese jedoch über keine hinreichenden Kapazitäten zur Regulierung der sich globalisierende Wirtschaft verfügen (Held 2007). Gerade aufgrund dieser mangelnden Regulierungskapazitäten sind transnationale Unternehmen zentrale Akteure in einer sich globalisierenden Wirtschaft. Transnational sind diese Unternehmen, weil es sich um nicht-staatliche Akteure handelt, die über nationalstaatliche Grenzen hinweg operieren. Als international werden hingegen gemeinhin Beziehungen zwischen Staaten und deren Kooperation in internationalen Organisationen bezeichnet (Risse 2013). Wenn dann aber die internationale Politik transnationale Unternehmen nicht hinreichend regulieren kann, verfügen transnationale Unternehmen über eine zunehmende Macht. Mit dieser Beschreibung bleiben zweierlei Fragen allerdings ungeklärt. Erstens: Worin genau besteht denn diese Macht? Zweitens: Warum stellt sie eigentlich ein Übel dar? ln diesem Aufsatz will ich zeigen, dass zur theoretischen Erfassung der Macht transnationaler Unternehmen der Machtbegriff der Beherrschung besonders gut geeignet ist, wie er in neueren Theorien

93

des Republikanismus entwickelt wird . 1 Zugleich bietet dieser Ansatz die Möglichkeit zu begründen, warum es sich dabei um ein Übel handelt und durch welche Maßnahmen diesem Übel Abhilfe verschafft werden kann. Unter Beherrschung verstehe ich die Macht zu unkontrollierten Eingriffen (Pettit 2012: 58). Ein zentrales Beispiel dafür ist ein autokratischer Staat. Dieser greift in viele Belange der ihm unterworfenen Bürger ein, was zweifellos ein Übel darstellt. Eine Beherrschung liegt aber auch dann vor, wenn staatliche Akteure nicht eingreifen, sie aufgrund ihrer Machtposition hierzu aber die Möglichkeit haben, ohne dass dies von den Bürgern kontrolliert werden kann. Eine solche Macht kann sehr unterschiedliche Grade annehmen. Im Falle von TNUs wird dies von einem autokratischen Staat mit einem umfassenden Souveränitätsanspruch weit entfernt sein. Dennoch ist von Beherrschung zu sprechen, wenn TNUs die Macht haben, unkontrolliert in die Handlungssphäre von Bürgern oder auch von ganzen Staatsvölkern einzugreifen. Eine solche Macht kann etwa eine Unternehmensleitung gegenüber ihren Mitarbeitern in einem unzureichend regulierten Arbeitsmarkt haben oder ein transnationales Unternehmen gegenüber einer staatlichen Regierung in einer globalisierten Wirtschaft. Diese beiden Beispiele werde ich im weiteren Verlauf näher erläutern. Sie deuten jedoch bereits eine weitere Eingrenzung an, die ich in diesem Aufsatz vornehme, indem ich von der genuin politischen Macht transnationaler Unternehmen spreche. Politische Macht zeichnet sich dadurch aus, dass sie auf allgemeinverbindliche Entscheidungen gerichtet ist. Eine solche Macht wird durch transnationale Unternehmen insbesondere dann ausgeübt, wenn sie Einfluss auf politische Entscheidungen einer Regierung nehmen. Wenn jedoch eine Unternehmensleitung in einer Beherrschungsbeziehung zu ihren Mitarbeitern steht, würden wir normalerweise nicht von einer politischen Machtbeziehung sprechen. Dies liegt darin begründet, dass die Entscheidungen der Unternehmensleitung zwar verbindlich sind, aber nicht für die Allgemeinheit, worunter wir normalerweise die Allgemeinheit eines Staates verstehen. Darüber hinaus ließe sich sicherlich diskutieren, ob die Beziehungen innerhalb von TNUs nicht auch eine politische Dimension annehmen kann . Meiner Ansicht nach ist dies zumindest dann der Fall, wenn TNUs Aufgaben übernehmen, die normalerweise in die Zuständigkeit von Staaten fallen. Selbst wenn eine solche Macht allerdings nicht selbst unmittelbar 1

Vgl. Schink 2011 für einen konzisen Überblick über die unterschiedlichen Strömungen des Republikanismus.

94

politisch ist, bleibt sie politisch relevant. Die grundlegende Überlegung der republikanischen Theoriebildung ist nämlich, dass der zentrale Zweck politischen Handeins ist, jegliche Beherrschungsbeziehungen zu unterbinden. Dies verweist auf den weiteren Vorteil eines solchen Beherrschungsbegriffs. Dieser liegt darin begründet, dass sich mit seiner Hilfe auch die zweite Frage beantworten lässt, warum eine zunehmende Macht transnationaler Unternehmen ein Übel darstellt. Mit dem Beherrschungsbegriff wird unsere Intuition erfasst, dass wir es für grundlegend problematisch halten, wenn andere Akteure die Macht zu unkontrollierten Eingriffen in unsere Handlungssphäre haben. Zugleich formuliert er aber ein normatives Ideal, an dem wir uns in unserem politischen Handeln orientieren können. Dieses Ideal liegt in der Gewährleistung von Nicht-Beherrschung, die ein spezifisches Verständnis von Freiheit darstellt. Dass TNUs beherrschende Akteure sind oder sein können, wurde bereits von einigen Autorinnen angeführt (vgl. etwa Laborde/Ronzoni 2015: 4 f.). Betont wird dies insbesondere auch von Philip Pettit (2015: 133 f., 214), der die wichtigsten Beiträge zum Ideal der Freiheit als Nicht-Beherrschung geleistet hat und auf dessen Theorie ich mich hier vornehmlich stütze. 2 Allerdings wurde die Beherrschung durch TNUs bislang nicht systematisch ausgearbeitet. Das erste Ziel dieses Aufsatzes ist daher, einen Überblick über zentrale Beherrschungsformen durch TNUs zu geben. Hierbei ist meiner Ansicht nach zentral, die diversen Beherrschungsformen nicht voneinander isoliert zu betrachten. Darüber hinaus bleibt in der republikanischen Theoriebildung umstritten, wie solchen Beherrschungsformen entgegengetreten werden sollte. Eine breit geteilte Ansicht ist, dass die Freiheit als Nicht-Beherrschung am besten durch demokratische Staaten gewährleistet werden kann, die extern nicht beherrscht werden. Globales Regieren ist daher vornehmlich als internationale Kooperation zwischen freien Staatsvölkern zu konzeptionalisieren (Laborde/Ronzoni 2015; Pettit 2015: Kap. 6). Einige Autoren schlagen hingegen vor, von der Fokussierung auf Staaten Abstand zu nehmen und sich stattdessen stärker auf die transnationalen Beziehungen von Individuen zu diversen politischen Institutionen auf nationaler und internationaler Ebene 2

ln diesem Aufsatz verweise ich zumeist auf Pettits (2015) Buch Gerechte Freiheit. Ein moralischer Kompass für eine komplexe Welt, auch wenn er zahlreiche Punkte in anderen Veröffentlichungen ausführlicher behandelt. Ich tue das hier deshalb, da Pettit seine Theorie mit diesem, den jüngsten Stand zusammenfassenden Buch, einem breiteren Publikum zugänglich machen will und es in deutscher Übersetzung vorliegt.

95

zu konzentrieren (vgl. etwa Bohman 2004). Hierbei stellt sich allerdings die Frage, inwieweit dies unter gegebenen Bedingungen möglich ist und ob dadurch nicht bereits erlangte Standards der Nicht-Beherrschung unterlaufen werden könnten. Ich teile die Auffassung, dass man bei bereits erlangten Standards der Nicht-Beherrschung innerhalb von Staaten ansetzen sollte, die Nicht-Beherrschung von Staatsvölkern aber ohne den Ausbau von diversen Formen des globalen Regierens nicht zu haben sein wird (Laborde/Ronzoni 2015; Niederberger 2009: Kap. 7). Gerade wenn man diese Position vertritt, stellen Räume begrenzter Staatlichkeit allerdings eine besondere Herausforderung dar. Räume begrenzter Staatlichkeit sind dadurch charakterisiert, dass sie sich zwar in internatio· nal anerkannten Staaten befinden, die Fähigkeit der staatlichen Akteure zur Setzung und Durchsetzung allgemeinverbindlicher Regeln in bestimmten Territorien oder Politikfeldern jedoch eingeschränkt ist (Draude, et al. 2012: 9-11). Dies ist keineswegs nur in zerfallenden Staaten der Fall, sondern auch -wenngleich in entsprechend abgeschwächter Form - in vielen anderen Staaten dieser Welt. Dieses Phänomen begrenzter Staatlichkeit wird dann umso problematischer, wenn die mangelnde Fähigkeit mit einem mangelnden politischen Willen zur Gewährleistung von Nicht-Beherrschung einhergeht, insbesondere weil es an demokratischen Strukturen mangelt. Auch ohne ein autokratisches Regime sind Räume begrenzter Staatlichkeit für die Gewährleistung selbst basaler Standards der Nicht-Beherrschung jedoch ein fundamentales Problem. Der naheliegende Vorschlag zum Umgang mit diesem Problem ist der Aufbau nicht-beherrschender, staatlicher Strukturen im Rahmen einer internationalen Kooperation (Pettit 2015: 203-204, 231-235). Ein solcher Aufbau ist jedoch alles andere als einfach. Darüber hinaus kann er selbst mit einer Beherrschung durch externe Akteure einhergehen (Gädeke 2014). Aus dieser Problematik ergibt sich das zweite Ziel dieses Aufsatzes. Es ist zu untersuchen, inwieweit auf einer genuin transnationalen Ebene Formen der Nicht-Beherrschung aufgebaut werden können und sollen. Diese würden dann insbesondere die Beziehungen von TNUs zu ihren Mitarbeitern und ihrem lokalen Umfeld aber auch Nicht-Regierungsorganisationen umfassen. Dazu werde ich folgende These vertreten: Unter gegenwärtigen Bedingungen ist ein Aufbau transnationaler Formen der Nicht-Beherrschung nötig. Selbst die basalen Standards der Menschenrechte lassen sich dadurch allein aber kaum auf eine nicht-beherrschende Art und Weise gewährleisten. Deshalb müssen transnationale Politiken in einem umfassenden Rahmen einer in-

96

ternationalen Gerechtigkeit eingebettet werden, in dem Staaten und internationale Organisationen die zentrale Rolle spielen. Um meine beiden Ziele zu erreichen, gehe ich in drei Schritten vor. Zunächst gilt es das Ideal der Freiheit als Nicht-Beherrschung näher zu erläutern. Hierbei werde ich genauer erklären, worin das Übel der Beherrschung besteht und warum bei der Abhilfe gegen dieses Übel Staaten so wichtig sind (2.). Im zweiten Schritt wende ich diese allgemeinen Überlegungen dann auf transnationale Unternehmen an. Hierbei stelle ich zunächst allgemeine Formen der Beherrschung dar, bevor ich näher auf die spezifischen Herausforderungen in Räumen begrenzter Staatlichkeit eingehe (3.). Nach einer Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse, schließe ich mit einem Ausblick (4.).

2. Freiheit als Nicht-Beherrschung ln diesem Abschnitt sollen die theoretischen Grundlagen des hier vertretenen Ansatzes dargelegt werden. Es ist nötig, sich zunächst über die allgemeine Theorie im Klaren zu sein, bevor man diese auf das Beispiel der TNUs anwendet. Allerdings werde ich mich in der Darstellung von vorneherein auf Aspekte konzentrieren, die auch für die Beherrschung durch TNUs zentral sind. Daher erläutere ich den Beherrschungsbegriff und das Freiheitsideal der Nicht-Beherrschung am Beispiel von modernen Arbeitsbeziehungen (2.1). Bei den daraus folgenden institutionellen Erfordernissen konzentriere ich mich zunächst auf die staatliche Ordnung. Hierbei wird sich zeigen, warum diese für die Freiheit als Nicht-Beherrschung zentral ist (2.2). Abschließend diskutiere ich die globale Dimension der Nicht-Beherrschung. Dort werde ich auch darauf eingehen, welche Herausforderungen TNUs für eine republikanische Theorie internationaler Gerechtigkeit darstellen (2.3).

2.1 Grundlagen republikanischer Freiheit Um das Ideal der Freiheit als Nicht-Beherrschung zu erklären, ist es hilfreich, den Begriff der Beherrschung genau zu bestimmen. Im Anschluss an Analysen von Pettit (2012: Kap. 1) und Frank Lovett (2010: Teil I) vertrete ich folgende Definition: Ein Akteur A beherrscht einen anderen Akteur B, wenn A in einer sozialen Beziehung zu 8 steht, von der 8 abhängig ist und deren Struktur A die Macht zu unkontrollierten Eingriffen in den Handlungsspielraum von 8 verleiht. Aus dieser allgemeinen Definition folgen zwei

97

zentrale Charakteristika der Freiheit als Nicht-Beherrschung. Erstens liegt die Unfreiheit von B auch dann vor, wenn A keine Eingriffe in den Handlungsspielraum von B vornimmt. Entscheidend für Beherrschung ist vielmehr, dass A die Macht zu derartigen Eingriffen hat. Zweitens wird B durch Eingriffe von A nicht beherrscht, wenn diese Eingriffe von B kontrolliert werden können oder B nicht von der sozialen Beziehung abhängig ist, da ihm adäquate Austrittsoptionen aus der Beziehung zur Verfügung stehen. Während diese beiden Eigenschaften republikanischer Freiheit üblicherweise betont werden, ist darüber hinaus noch eine dritte Eigenschaft wichtig. Diese ergibt sich daraus, dass die Macht zu unkontrollierten Eingriffen von A in der Struktur seiner sozialen Beziehungen zu B begründet liegt. ln der sozialen Beziehung zwischen beiden Akteuren besteht eine Machtasymmetrie, da A über ungleich mehr Machtressourcen verfügt als B (Lovett 2010: 40-47). Diese Asymmetrie ergibt sich aus gesellschaftlichen Strukturen, die nicht selbst unmittelbar und umfassend durch A kontrolliert werden können (Pettit 2012: 44, 63 f.). Die obige Definition darf daher nicht dahingehend missverstanden werden, dass Beherrschung auf Beziehungen zwischen zwei Akteuren beschränkt ist. Vielmehr besteht Unfreiheit in den Beziehungen zwischen Akteuren, die sich aus gesellschaftlichen Strukturen ergeben, die über eine spezifische Beziehung weit hinausgehen. Diese drei Eigenschaften republikanischer Freiheit stellen sich am Beispiel einer Beherrschungsbeziehung zwischen einer Arbeitgeberin und einem Arbeitnehmer wie folgt dar. Beherrschend ist eine solche Beziehung beispielsweise dann, wenn eine Arbeitgeberin einen Arbeitnehmer jederzeit entlassen kann. Eine solche Entlassung bringt für den Arbeitnehmer normalerweise hohe Kosten mit sich, während eine Arbeitgeberin damit sogar Kosten einsparen oder bei Bedarf einen anderen Arbeitnehmer einstellen kann. ln einem solchen Fall ist ein Arbeitnehmer in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt, da er versucht sein wird, einem derartigen Eingriff in seinen Handlungsspielraum zuvor zu kommen. Dies führt häufig zu einem unterwürfigen Verhalten gegenüber der Arbeitgeberin. Die erste Eigenschaft republikanischer Freiheit besteht nun darin, dass der Arbeitnehmer auch dann unfrei bleibt, wenn die Arbeitgeberin nicht durch eine Entlassung in seinen Handlungsspielraum eingreift. Wäre dies der Fall, könnte sich der Arbeitnehmer gleichsam befreien, wenn er möglichen Eingriffen der Arbeitgeberin zuvor kommt, indem er sich zum Beispiel gut mit ihr stellt (Pettit 2015: 76-82) . Und selbst wenn er hierfür kein unterwürfiges Verhalten an den Tag legen muss, da er das Glück hat, eine sehr

98

wohlwollende Arbeitgeberin zu haben, bleibt er von eben ihrem guten Willen abhängig und damit auf eine grundlegende Art und Weise unfrei. 3 Die zweite Eigenschaft ist, dass die Eingriffe einer Arbeitgeberin nicht beherrschend wären, wenn der Arbeitnehmer das Handeln der Arbeitgeberin kontrollieren könnte. Alternativ wäre es auch möglich, dass ihm eine adäquate Austrittsoption zur Verfügung steht oder er eine Gegenmacht zur Arbeitgeberin aufbauen kann. Eine Austrittsoption läge beispielsweise vor, wenn der Arbeitnehmer selbst hinreichende andere Optionen hätte, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten (Lovett 2010: 53). Eine Gegenmacht bestünde zum Beispiel darin, dass ein Arbeitnehmer die Machtasymmetrie ausgleichen kann, indem er sich gewerkschaftlich mit anderen Arbeitnehmern zusammenschließt und diese dann kollektiv mit Streiks drohen können (Pettit 1997: 140-143). Eine solche Gegenmacht kann im weiteren Verlauf auch zur der Kontrolle der Arbeitgeberin führen, etwa indem Arbeitnehmer durch einen Betriebsrat einen effektiven Einfluss auf ihr Handeln nehmen.4 Für alle solche Maßnahmen werden allerdings staatliche Eingriffe nötig sein. Die hierfür nötigen staatlichen Maßnahmen müssen dann selbst wiederum nicht-beherrschend sein. Dies ist der Fall, wenn alle Bürgerinnen und Bürger an der gleich geteilten Kontrolle dieses staatlichen Handeins teilnehmen können. Es ist zu betonen, dass dafür nicht alle Bürger selbst diese Kontrolle im Einzelfall ausüben müssen. Vielmehr kann dies durch gewählte oder nicht-gewählte Vertreter geschehen (Pettit 2015: 175-179). Auch kann vermittelt durch staatliche Institutionen die Kontrolle des Arbeitgeberinnenhandelns auch verzögert eintreten, etwa wenn sich Gewerkschaften im Rechtsstaat gegen die Verletzung von Arbeitnehmerrechten effektiv zu Wehr setzen können (Pettit 2008: 109 f.). An dieser Erläuterung der ersten beiden Eigenschaften wird zugleich die Relevanz der dritten Eigenschaft deutlich. Entscheidend für das Vorliegen

3

4

Das Problem dieser Abhängigkeit lässt sich daher nicht auf die erhöhte Wahrscheinlichkeit von Eingriffen durch die Arbeitnehmerin reduzieren. Selbst wenn diese Eingriffe nämlich aufgrund ihres guten Willens unwahrscheinlich sein mögen, bleibt die Beherrschungsbeziehung bestehen (vgl. hierzu Pettit 2008; Skinner 2008). Einige Autoren sind der Ansicht, dass auch derartige Maßnahmen nicht für die Gewährleistung republikanischer Freiheit hinreichen, sondern letztlich eine Demokratie am Arbeitsplatz erforderlich ist, die eine grundlegende Veränderung der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung verlangt. Da ich mich in diesem Aufsatz auf einschlägige Beherrschungsformen durch TNUs konzentriere, würde eine Diskussion dieser weitergehenden Vorschläge jedoch zu weit führen (vgl. dazu Gourevitch 2013).

99

oder die Abwesenheit von Beherrschungsbeziehungen sind gesellschaftli che Strukturen, die in einem Fall in einem kaum regulierten und im anderen Fall in einem umfassend regulierten Arbeitsmarkt bestehen. Im nächsten Schritt gilt es nun die institutionellen Vorkehrungen für die Freiheit als Nicht-Beherrschung näher zu erläutern. Diese Vorkehrungen unterteile ich im Anschluss an Pettit (2015: Teil II) anhand von drei Beherrschungsgefahren. Die horizontale Beherrschung zwischen Personen und Akteuren untereinander verlangt nach der Konstituierung freier Beziehungen zwischen diesen Akteure durch staatliches Handeln. Staatliches Handeln ruft jedoch die Gefahr einer vertikalen Beherrschung hervor, weshalb dieses Handeln demokratisch kontrolliert werden muss. Da beide Beherrschungsgefahren an einen Staat gebunden sind, werde ich sie zusammen behandeln. Sodann wende ich mich der dritten Gefahr einer externen Beherrschung durch auswärtige Akteure zu, die durch entsprechend ausgestaltete, internationale Institutionen zu unterbinden ist.

2.2 Staatliche Institutionen republikanischer Freiheit Der zentrale Zweck politischen Handeins besteht aus republikanischer Sicht in der vertikal nicht-beherrschenden Unterbindung von horizontalen Beherrschungsbeziehungen. Dieses Kriterium zu erfüllen ist anspruchsvoll. Nach Cecile Laborde (2010: 51) handelt es sich hierbei um optimale NichtBeherrschung. Das normative Ziel ist dann die bestmögliche Form der NichtBeherrschung, die unter gegebenen Bedingungen erreichbar ist. Darüber, was dies verlangt, lässt sich mit guten Gründen streiten. Daher betont Laborde, dass die konkrete Ausformung letztlich Prozessen der kollektiven Selbstbestimmung in demokratischen Staaten überlassen bleibt. Dies macht allerdings einen bescheideneren Maßstab erforderlich, den alle Staaten erfüllen sollten. Ein solcher Maßstab lässt sich im Anschluss an Laborde als basale Nicht-Beherrschung bezeichnen. Basale Nicht-Beherrschung besteht meiner Ansicht nach in einer demokratischen Gewährleistung der Menschenrechte. Wie ich im Folgenden näher ausführen will, macht nämlich auch eine basale Nicht-Beherrschung demokratische Prozesse kollektiver Selbstbestimmung erforderlich . 5 5

Von Labordes Verständnis basaler Nicht-Beherrschung weicht das insofern ab, als es ihr um die Bedingungen für den Aufbau einer optimalen Nicht-Beherrschung geht (Laborde 2010: 51 f.; Laborde/ Ronzoni 2015: 10 f.). Dies ist meiner Ansicht nach ein zu sch waches Kriterium, da solche Bedingungen sehr minimal verstanden werden

100

Die allgemeine Grundlage ist die Norm einer gleichen Beachtung, nach der alle Personen einen gleichen moralischen Status haben. Ungleichheit ist in horizontaler Hinsicht dann problematisch, wenn sie bestimmten Personen oder Akteuren die Macht zu unkontrollierten Eingriffen in den Handlungsspielraum von anderen Personen gibt (Pettit 2015: 119-123). Durch welche Institutionen kann dies jedoch erreicht werden? Pettit (2015: 121-124) zufolge sind gleiche Grundfreiheiten erforderlich, die mit hinreichenden Ressourcen zu ihrer Ausübung versehen sind und effektiv geschützt werden. Mit Grundfreiheiten sind letztlich jene Freiheiten gemeint, wie wir sie in der Bundesrepublik Deutschland bereits kennen : Im sozioökonomischen Bereich wären etwa die Freiheit des Eigentums und der Berufswahl sowie die für die Gründung von Gewerkschaften so wichtige Assoziationsfreiheit zu nennen (ebd.: 108-113, 124-127). Diese gleichen Grundfreiheiten müssen allerdings mit hinreichenden Ressourcen ausgestattet werden, damit sie von allen tatsächlich genutzt werden können. Wenn etwa die Möglichkeit zur Berufswahl für niedrigere soziale Schichten weitgehend eingeschränkt ist, dann ist dem beispielsweise durch ein öffentliches Bildungssystem Abhilfe zu verschaffen . Schließlich müssen diese Freiheiten effektiv geschützt werden. Dies bedeutet, dass die Gewährleistung dieser gleichen und mit hinreichenden Ressourcen ausgestatteten Grundfreiheiten nicht vom guten Willen anderer Akteure abhängig sein darf. Konkret sollten daher insbeson dere Ressourcen , die zur Ausübung von Grundfreiheiten nötig sind , nicht durch wohltätige Organisationen bereitgestellt werden. Auf derartige karitative Wohltaten können sich die Betroffenen nämlich nicht verlassen. Anders ist dies, wenn Ressourcen in öffentlichen Institutionen effektiv einklagbar sind (ebd.: 127-133). Solche mit Ressourcen ausgestattete und geschützte Grundfreiheiten können auf sehr unterschiedliche Art und Weise verwirklicht werden. Um zu bestimmen, ob sie hinreichen, um Nicht-Beherrschung zu gewährleisten, schlägt Pettit einen Blickwechseltest vor (ebd.: 141-145). Dieserverlangt "dass Menschen in dem Maße ausreichend Ressourcen haben und bei der Ausübung ihrer Grundfreiheiten geschützt sind, wie sie nach den anspruchsvollsten landesüblichen Maßstäben fähig sind, einander ohne Grund zur Furcht oder Ergebenheit in die Augen zu schauen - von übertriebener Schüchternheit oder dergleichen einmal abgesehen. Sie

können, damit dann aber eine mangelnde Gewährleistung von Menschenrechten einherginge.

101

sind in der Lage, den aufrechten Gang zu gehen, wie wir sagen, und genießen eine kollektive Form der Anerkennung, der zufolge sie mehr oder weniger vor der Einmischung anderer geschützt sind; in diesem Sinne erheischen sie den Respekt alter." (ebd.: 142) Dieser Test ist normativ anspruchsvoll. Nimmt man ihn ernst, spricht viel dafür, dass er in der Bundesrepublik Deutschland nicht erfüllt ist. Man denke hier beispielsweise an das beträchtliche Stigma, das mit dem Bezug von Arbeitslosengeld II, besser bekannt als Hartz IV, verbunden ist. Hinzu kommen die zahlreichen Bedingungen, an die der Bezug von Hartz IV geknüpft ist und die den zuständigen Behörden weitreichende Eingriffsmöglichkeiten in den Handlungsspielraum der Empfängerinnen geben. Welche Ansichten man aber auch immer zu diesen Fragen sozialer Gerechtigkeit vertritt und welche Maßnahmen auch immer ma·n stattdessen vorschlagen würde. ln jedem Fall müssen diese auf eine nicht-beherrschende Art und Weise umgesetzt werden. Andernfalls läge eine vertikale Form der Beherrschung vor. Deshalb bleibt es Prozessen kollektiver Selbstbestimmung in einem Staat überlassen, welche Form der Gewährleistung von Nicht-Beherrschung ein Staatsvolk für angemessen hält. Eine solche Form interner Selbstbestimmung ist allerdings selbst anspruchsvoll. Nach Pettit verlangt sie nach einer gleich geteilten Kontrolle staatlichen Handeins durch alle Staatsbürger. Um eine solche gleich geteilte Kontrolle zu erreichen, entwickelt er eine elaborierte Demokratietheorie, deren Darstellung hier zu weit führen würde. 6 Auch ohne eine solche Da rstellung lässt sich aber in Frage stellen, ob eine gleich geteilte Kontrolle hierzulande erfüllt ist. Ein Beispiel für einen solchen Zweifel ist der Umstand, dass die Kontrolle staatlichen Handeins im Hinblick auf unterschiedliche soziale Schichten sehr ungleich verteilt ist (Offe 2014). 7 6

7

Vgl. hierzu (Pettit 2012: Kap. 3·5; 2015: Kap. 5). Dem ist hinzuzufügen, dass auch und gerade Pettits Theorie dafür kritisiert wird , demokratischer Selbstbestimmung keinen hinreic henden Raum zu geben (Cellkates 2014). Die~e unglei~ h e Vertei lung zeigt sich etwa an der geringen Wahlbeteiligu ng niedrigerer soz 1aler Schichten. Laut Offe hängt diese ungleiche Partizipation eng mit der mangel n~en soz!alen Gerechtigkeit zusammen: "Those who do not, or do not fully, partici~~te 1n po~it1ca l life f~ll to do so because they perceive the state, governrnents, and polltlcal part1es as lackmg bo th the necessary means and the credib le intent to make a difference' an matters (such as employm ent, equality, education, the Iabor ma;ket so cial security, financial market regulation) which form the core concerns of those ~ho da not participate; they fail to participate because they have come to perfectly weil u~dersta nd that Iack. Roughly speaking, their ,lived experienc e' is that of living in a d1sempowered state, or in one that is overpowered by the poderes facticos of cerparate market actors. Their negative response is proportional to their perception of the

102

Worin besteht nun aber der Maßstab basaler Nicht-Beherrschung, der in jedem Fall erfüllt sein sollte und in konsolidierten Demokratien auch erfüllt ist? Wie eingangs angeführt, bilden hierfür die bereits bestehenden Praktiken der Menschenrechte den Maßstab. Fundamental sind zunächst das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Weitere Menschenrechte lassen sich rekonstruieren, indem man Pettits Verständnis optimaler NichtBeherrschung so interpretiert, dass sie grundlegende Voraussetzungen ei nes nicht-beherrschten Bürgerstatus formulieren. Bei den Grundfreiheiten handelt es sich dann um Menschenrechte, wenn man sie nicht als möglichst weitgehend zu verwirklichende normative Ansprüche auf eine gleiche Freiheit versteht, sondern als menschenrechtliche Anforderungen, die auf eine minimal vernünftige Art und Weise interpretiert werden müssen. Für das Beispiel der Freiheit der Berufswahl bedeutet dies folgendes: Versteht man diese als anspruchsvolle Gerechtigkeitsanforderung, verlangt sie, dass keine Bürgerin im Hinblick auf ihre Berufswahl diskriminiert werden darf. Als ein Menschenrecht verlangt sie hingegen zumindest, dass jedem die Chance gegeben sein sollte, für sein eigenes Auskommen zu sorgen . Analog sind dann soziale Teilhaberechte als Ressourcen zu verstehen, die notwendige Voraussetzungen für die Ausübung der Freiheitsrechte bilden: Statt anspruchsvoller sozialstaatlicher Regelungen, die bis zu einem bedingungslosen Grundeinkommen reichen können, müssen zumindest Subsistenzrechte gewahrt werden. Darüber hinaus müssen diese Rechte effektiv geschützt werden . Dies macht auch strafrechtlich relevante Prozessrechte erforderlich, wenn Rechte verletzt worden sind. Wie bei der optimalen Nicht-Beherrschung auch, reicht es jedoch nicht aus, wenn die für diese Rechte notwendigen Güter in welcher Form auch immer bereitgestellt werden. Als Rechte liegen sie aus republikanischer Perspektive nämlich erst dann vor, wenn ihre Gewährleistung nicht vom guten Willen anderer Akteure abhängt (Halldenius 2010). Deshalb ist zentral, dass auf diese Rechte im Rahmen einer Rechtsordnung für alle Personen unabhängig von ihrer sozialen Position ein effektiver Anspruch besteht. Hierfür bedarf es rechtstaatlicher Strukturen, damit dieser Status in einem politischen Gemeinwesen tatsächlich gewährleistet ist (Pettit 2015: 93-96). Im Rahmen einer staatlichen Gewaltteilung verlangt dies nach einer Judikative, die geltendes Recht auf Einzelfälle anwenden und in deren Rahmen Bürger ihre Rechte einklagen können. Dies muss dann durch eine Exekutive zuverstate's disempowerment." (ebd. : 10, Hervorh. i. 0.). Diese Diagnose verweist offenkundig auf cjen zweiten Teil dieses Aufsatzes.

103

lässig durchgesetzt werden . Darüber hinaus dürfen sich diese Rechte aber nicht allein aus einer theoretischen Rechtfertigung ergeben. Wie gut diese auch immer sein mag, bliebe sie in dem Sinne willkürlich, als sie von den Betroffenen nicht kontrolliert werden könnte. Dies ist deshalb problematisch, da sich nicht nur über die optimale Nicht-Beherrschung, sondern auch über den spezifischen Gehalt von Menschenrechten streiten lässt (Waldron 1999: 212). Daher ist es erforderlich, dass diese Rechte durch eine demokratische Legislative bestimmt werden. Gegenläufige Ansprüche lassen sich demnach nur durch demokratisches Handeln in einem Rechtsstaat so vermitteln, dass die Voraussetzungen eines gleichen, nicht-beherrschten Bürgerstatus tatsächlich gewährleistet werden (Besson 2012: 242-244). Aus diesen beiden Erfordernissen yon Rechtsstaat und Demokratie ergeben sich als individuelle Bürgerrechte demokratische Teilnahme- und weitere juridische Prozessrechte. Auch wenn man diese wiederum basal versteht, lassen sie sich durch zwei weitere Vorkehrungen konkretisieren durch die vermieden werden soll, dass im Namen der vermeintlichen Selbst: bestimmung eines Kollektivs Mitglieder dieses Kollektivs beherrscht werden. Neben einer wie immer ausgestalteten Gewaltenteilung ist erstens eine Machtteilung erforderlich, durch die sich die diversen gesellschaftlichen Gruppen wechselseitig kontrollieren können. Darüber hinaus sollte neben ~inem. wie immer spezifizierten, freiem und gleichem Wahlrecht, die Möglichkelt zur Anfechtung von politischen Entscheidungen bestehen (Pettit 2015:171 f.). Diese demokratischen Rechte sind nicht nur für die Interpretation der Menschenrechte wichtig. Zentral sind sie auch aus dem bereits genannten Grund, dass sie nicht vom guten Willen mächtiger Akteure abhängen dürfen. Deshalb müssen Bürgerinnen und Bürger durch ihr politisches Handeln dafür Sorge tragen, dass ihre Rechte tatsächlich gewahrt bleiben. Genau dies lässt sich nun als eine Form der internen Selbstbestimmung verstehen (vgl. zum Folgenden ebd.: 179-191). Kurzfristig verlangt die Gewährleistung von Rechten nach der Wachsamkeit der Bürger und der Kontrolle staatlicher Entscheidungen durch politische Handlungen. Diese politischen Handlungen können von der Stimmabgabe bis hin zu einem zivilen Ungehorsam reichen. Eine solche Kontrolle muss jedoch nicht unbedingt von jedem Bürger selbst vorgenommen werden. Vielmehr kann sie beispielsweise auch Aufgabe zivilgesellschaftlicher Akteure sein, die sich in einem spezifischen Bereich gut auskennen und Fehlentwicklungen entsprechend gut kritisieren können. Damit eine solche Kritik die Mitbürger erreicht, werden alle politischen Ak104

teure unweigerlich auf soziale Normen Bezug nehmen, die in einer bestimmten politischen Gemeinschaft allgemein geteilt sind. Grundlegend ist dafür zunächst die Norm der gleichen Beachtung. Darüber hinaus werden sich aber auch viele weitere soziale Normen herausbilden, auch wenn diese sehr unterschiedlich interpretiert werden. Daraus entstehende Kontroversen müssen in den jeweils zuständigen Institutionen entschieden werden. Langfristig können derartige Prozesse das staatliche Handeln aber in eine Richtung lenken, die für alle akzeptabel ist und die dann insofern Ausdruck der kollektiven Selbstbestimmung einer bestimmten politischen Gemeinschaft ist.

2.3 Zur globalen Dimension der Nicht-Beherrschung Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass Menschenrechte nur dann auf eine nicht-beherrschende Art und Weise bestimmt und gesichert werden können, wenn sie durch Prozesse kollektiver Selbstbestimmung gewährleistet werden. Derartige Prozesse kollektiver Selbstbestimmung sind auf absehbare Zeit jedoch nur im Rahmen von Staaten möglich. Selbst wenn sie dort verwirklicht werden, bleibt die Gefahr der externen Beherrschung aber bestehen. Eine solche Beherrschung besteht in einem nicht kontrollierten Einfluss externer Akteure auf staatliches Handeln, durch das dann letztlich die individuellen Mitglieder eines Staatsvolks beherrscht werden (Pettit 2015: Kap . 6). Wenn auf der staatlichen Ebene das Vorliegen von Beherrschungsbeziehungen den Aufbau von Institutionen verlangt, die Nicht-Beherrschung gewährleisten, dann ist es nur konsequent, einen solchen normativen Grund auch für die globale Ebene anzuführen. 8 Zentrale Beispiele für beherrschende, externe Akteure sind andere, mächtigere Staaten, transnationale Unternehmen sowie internationale Organisationen. Auch wenn internationale Organisationen beherrschend sein können, spielen gerade diese aber für die Unterbindung einer externen Beherrschung eine zentrale Rolle. Man denke hier etwa an die Vereinten Nationen (United Nations, UN), in denen primär die Staaten der Welt organisiert 8

Vgl. dazu auch (Pettit 2015: 240). Pettit (2015: 228-231) selbst vertritt allerdings die bescheidenere Position, dass sich die Gewährleistung basaler Nicht-Beherrschung mit einer globalen Reichweite aus bereits vorherrschenden Normen der Nothilfe sowie dem langfristigen Eigeninteresse der jeweiligen Staatsvölker ergeben soll. Dies halte ich fUr nicht hinreichend, da dies einerseits keine zuverlässige Grundlage für eine globale Gewährleistung basaler Nicht-Beherrschung ist und andererseits nicht deutlich wird, dass gerade Mitglieder mächtiger Staatsvölker oftmals genuine Gerechtigkeitspflichten gegenüber schwächeren Staatsvölkern haben (vgl. dazu Laborde 2010: 54; Laborde/Ronzoni 2015:9 f.; Valentini 2011: Kap. 8).

105

sind und in deren Rahmen völkerrechtliche Standards für internationale Beziehungen festgeschrieben werden. Auf Basis dieser Normen hat sich so etwas wie eine internationale deliberative Praxis herausgebildet. Sofern Normen verletzt werden, führt dies zumindest zu öffentlicher Empörung. ln vielen Fällen können aber auch Gegenmaßnahmen verhängt werden. Angesichts der zahlreichen Machtasymmetrien in dieser Welt ist es allerdings fraglich, ob die bestehende deliberative Praxis zur Erfüllung der externen Nicht-Beherrschung aller Staatsvölker hinreicht (Pettit 2015: 217 -221). Äquivalent zur Grundnorm der Gleichheit aller Bürgerinnen in demokratischen Staaten ist zunächst die formale Gleichheit von Staaten zentral, wie sie in der Charta der UN festgeschrieben ist. Ein Problem dieser Norm ist allerdings, dass sie häufig als eine Souveränität von Staaten verstanden wird, die weitgehend unabhängig von ih~er internen Verfasstheit das Recht auf die Freiheit von externen Eingriffen hat. Anstatt einer unhinterfragten Souveränität von Staaten ist daher die externe Nicht-Beherrschung von Staatsvölkern, die intern eine basale Nicht-Beherrschung erfüllen, normativ entscheidend (Pettit 2015: 202-206). Sofern Standards basaler Nicht-Beherrschung nicht erfüllt werden, sollten Staatsvölker dahingehend unterstützt werden. Dies kann auch eine beherrschende Einflussnahme externer Akteure erlauben. Das gilt meiner Ansicht nach aber keineswegs für alle der im vorangegangen Abschnitt genannten Menschenrechte. Menschenrechte sind nämlich aus republikanischer Sicht zunächst als Bürgerrechte im je ei genen Staat zu verstehen (Forst 2011: 59-61, 72-79). 9 Die Verbindung von Menschenrechten und demokratischer Staatlichkeit findet auch im geltenden Völkerrecht ihren Niederschlag (Besson 2012). Die beiden Menschenrechtspakte über bürgerliche und politische Rechte und über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Iisten nämlich zum einen auf, welche Rechte Bürgern innerhalb ihrer Staaten zukommen sollen. Zum anderen bestimmen sie aber auch, dass dies durch Prozesse kollektiver Selbstbestimmung vor sich gehen sollte. ln Art. 1 der beiden Menschenrechtspakte ist nämlich das Selbstbestimmungsrecht der Völker festgeschrieben. Laut dieser Norm haben alle Völker das Recht "in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung" zu gestalten. 9

Pettit (2015: 207-209, 233-235) ist hingegen der Ansicht, dass Menschenrechte unweigerlich das Recht zu externen Einflussnahmen zu ihrer Förderung mit sich bringen. Deshalb meint er auch, dass basale Nicht-Beherrschung im Rahmen der internationalen Ordnung nicht notwendigerweise nach demokratischer Staatlichkeit verlangt Das jedoch ergibt sich meiner Ansicht nach nicht aus dem Begriff der Menschenrechte und ist normativ inkonsequent

106

Aus republikanischer Sicht lässt sich dies als Recht auf interne und externe Nicht-Beherrschung interpretieren. Ob Menschenrechte durch äußere Beherrschung gefördert werden sollten, ist dann eine weitere Frage. Das allgemeine Kriterium hierfür ist meiner Ansicht nach, dass die Abhilfe _geg~n interne Beherrschung die externe Beherrschung aufwiegen muss. D1es 1st sicherlich eine schwierige Abwägungsfrage. Genau deshalb verlangt die Förderung der basalen Nicht-Beherrschung aber selbst nach verstärkter internationaler Kooperation, in der eine solche Abwägung vorgenommen werden kann. Sofern Staatsvölker hingegen die Bedingungen basaler Nicht-Beherrschung erfüllen, haben sie in jedem Fall ein Recht darauf, extern nicht ~e­ herrscht zu werden. Diese Nicht-Beherrschung kann durchaus externe Eingriffe erlauben. Diese müssen dann aber von den betroffenen Staatsvölkern kontrolliert werden können (Young 2007: Kap. 2). Bevor ich im Folgenden auf Basis dieser Theorie internationaler Gerechtigkeit den beherrschenden Einfluss von TNUs diskutiere, ist vorweg eine grundlegende Herausforderung dieses Ansatzes zu benennen. Wenn Beherrschungsbeziehungen Staatsgrenzen überschreiten, tragen gerade jen~, mächtigeren Akteure eine besondere Verantwortung, zum Aufbau von Instltutionen beizutragen, durch die diese Beherrschungsbeziehungen minimiert werden. Dies wird auch von weiteren Akteuren abhängen, die durch den Aufbau einer entsprechenden Gegenmacht mächtige Akteure dazu anhalten können. Hierbei wird zu Recht immerwieder auf die zentrale Rolle von NichtRegierungs-Organisationen verwiesen (Non-Governmental Organisations, NGOs), die danach streben, in bestimmten Politikfeldern schwerwiegende Ungerechtigkeiten abzubauen, etwa indem sie die mangelnde Verwirklichung international bereits anerkannter Menschenrechtsnormen anprangern (so auch Pettit 2015: 222 f.). Auf diese Weise wird dann auch das Verhalten von TNUs durch NGOs immer wieder kritisiert (Deitelhoff/Wolf 2013). Dies wirft allerdings eine weitere Frage auf. Sowohl TNUs als auch NGOs sind keine staatlichen Akteure. Zugleich stehen beide Akteure in Beziehungen zu Betroffenen, die teilweise derart unmittelbar sind, dass es nicht sinnvoll erscheint, sie als Beziehungen zu ganzen Staatsvölkern zu verstehen. Dann stellt sich allerdings die Frage, ob sich hierbei nicht genuin transnationale Gerechtigkeitsforderungen ergeben, die den hier umrissenen Rahmen internationaler Gerechtigkeit überschreiten.

107

3. Zur Beherrschung durch transnationale Unternehmen Um die Macht transnationaler Unternehmen als Beherrschung zu erfassen, ist es hilfreich, zunächst die oben angeführte Beherrschungsdefinition in Erinnerung zu rufen. Bei Beherrschung handelt es sich um die Macht eines Akteurs A, der aufgrund der Struktur seiner sozialen Beziehung zu einem anderen Akteur B unkontrolliert in den Handlungsspielraum von B eingreifen kann. Um von einer Beherrschung durch TNUs sprechen zu können, ist es demnach nötig, dass es sich um Akteure handelt. Tatsächlich werden im geltenden Recht TNUs- wie andere Unternehmensformen auch -als korporative Akteure behandelt. Indem man ein Unternehmen gründet, gründet man nämlich eine juristische Person, die von ihren Eigentümern und Managern unterschieden ist. Daher stellen TNUs Akteure dar, die Handlungen vollziehen, indem sie beispielsweise Verträge eingehen (Muchlinski 2014). 10 Warum nehmen TNUs nun aber eine solche beherrschende Position tatsächlich ein? Hierfür lässt sich an einem weiteren Bestandteil der obigen Beherrschungsdefinition ansetzen. Zwar können nach dieser Definition nur Akteure beherrschen, deren Beherrschungsposition ergibt sich jedoch nicht naturwüchsig, sondern liegt in gesellschaftlichen Strukturen begründet, aufgrund derer Akteure über eine solche Beherrschungsposition verfügen. Diese gesellschaftlichen Strukturen lassen sich im Falle von TNUs an einer kapitalistische Wirtschaftsordnung festmachen, die nationalstaatliche Grenzen überschreitet. TNUs spielen in dieser Wirtschaftsordnung eine zentrale Rolle, da sie über sehr viel Kapital verfügen, das sie in einem nicht-hinreichend regulierten, transnationalen Raum investieren können. Oben habe ich angeführt, dass derartige gesellschaftliche Strukturen nicht von einzelnen Akteuren kontrolliert werden können. Das gilt auch für TNUs, da diese nicht allein für diese gesellschaftlichen Strukturen verantwortlich sind. Vielmehr sind hieran viele weitere Akteure von mächtigen Staaten bis hin zu einzelnen Konsumenten mit verantwortlich (Valentin i 2011: 193-198; Young 2007: 168-172). Umso problematischer ist es allerdings, wenn TNUs selbst

10

Wie Pettit in Zusamm enarbeit mit Christian List gezeigt hat, werden TNUs auf Basis einer solchen Inkorporation auch in einem ontologisc.hen Sinne zu eigenständigen Akteuren (llst/Pettit 2011). Aus der internen Struktur von Unternehmen als korporativen Akteu ren ergeben sich dann spezifische GrUnde fUr die Beherrschung durch TNUs (Pettit 2015: 133 f.). Dies hier Im Einzelnen auszufüh ren , würde jedoch zu weil führen, da es schwierige sozialontologische und organisationstheoretische Fragen aufwirft (vgl. dazu Neuhäuser 2011) . Ic h belasse es daher bei der Feststellung, dass TNUs korporative Akteure sind die aufgrunddieser Eigenschaft beherrschen können .

einen besonders großen Einfluss auf eben jene Strukturen haben, aufgrund derer sie eine Beherrschungsposition haben und durch die sie eben diese weiter stärken können . Im Folgenden werde ich zunächst die allgemeinen Formen der Beherrschung von Staatsvölkern -oder der meisten ihrer Mitglieder- durch transnationale Unternehmen erläutern. Allgemein sind diese Beherrschungsformen deshalb, da sie zwar in Räumen begrenzter Staatlichkeit besonders ausgeprägt sind, im Prinzip aber auch für konsolidierte Staaten gelten (3.1). Sodann gehe ich näher auf die besonde re Herausforderung ein, dass die Beherrschung durch TNUs in Räumen begrenzter Staatlichkeit bis hin zu einer mangelnden Gewährleistung von Menschenrechten in ihren transnationalen Beziehungen zu einzelnen Individuen reicht (3.2). Abschließend diskutiere ich das wichtigste Regelwerk auf internationaler Ebene, dieser Beherrschung Einhalt zu gebieten (3.3). in diesem Zusammenhang gilt es, auf die spezifischen Probleme einzugehen, die sich aus transnationalen Gerechtigkeitsforderungen ergeben.

3.1 Allgemeine Formen der Beherrschung Wie bei anderen Akteuren auch, kann die Beherrschung durch TNUs zweierlei Formen annehmen : erstens beherrschende Eingriffe, zweitens eine ein griffslose Beherrschung. Um einen beherrschenden Eingriff handelt es sich beispielsweise dann, wenn Unternehmen unmittelbaren Einfluss auf politi sche Entscheidungen nehmen und dadurch die gleich geteilte Kontrolle der Bürgerinnen und Bürger unterlaufen wird. Dies ist insbesondere der Fall, wenn korporative Akteure, die bestimmte gesellschaftliche Gruppen vertreten, anderen Akteuren oder Gruppen strukturell überlegen sind. Eine solche Überlegenheit lässt sich insbesondere darauf zurückführen, dass ein zentrales Kriterium für die Bewertung des Erfolgs einer demokratisch gewählten Regierung das Wirtschaftswachstum ist und viele Regierungen glauben, dass hierbei Unternehmen -oder ihre Verbände- besonders gute Ratgeber sind (Crouch 2010: 15 5; 2011: 179 f.). 11 Um von einer Beherrschung durch

11

Als ein Belspiel nennt Crouch (2008: 63) die Senkung des Unterneh.mens~te~ersatzes unter der rot-grünen Regierung, bei der Unternehmensvertreter eme Wichtige Rolle spielten. Das häufig als Rechtfertigung angefUh rte Wirtschaftswachstum ist insofern eine wichtige Größe, als dadurch nötige Ressourcen erwirtschaftet ':"erden. ~as Prob· lem ist allerdings, dass der Grad des Wirtschaftswachstums noch mchts darüber aussagt, ob dadurch tatsächlich eine gleiche Freiheit gefördert wird (vgl. dazu Sen 2010: Kap. 13).

109 108

transnationale Unternehmen zu sprechen, ist ein Nachweis von beherrschenden Eingriffen allerdings nicht notwendig. Vielmehr reicht dafür ihre eingriffslose Beherrschung hin. Genauer gesagt lassen sich die beherrschenden Eingriffe im Einzelfall darauf zurückführen, dass TNUs über eine Machtposition verfügen, aufgrund derer sie in vielen Fällen derartige Eingriffe nicht einmal nötig haben (Crouch 2010: 161-168; 2011: 185-189; Streeck 2013: 46-60). Dies wird am sogenannten race to the bottarn besonders deutlich. Diese These beruht auf der Annahme, dass transnationale Unternehmen bei der Entscheidung über eine Investition in eine Betriebseinheit sich für die besten Investitionsbedingungen entscheiden werden, die ihnen ein Staat bietet. Soweit Staaten bei der Festlegung von Investitionsbedingungen nicht im Rahmen internationaler Organisatio~en kooperieren, befinden sie sich in einem Wettbewerb um die besten Bedingungen. Diese Bedingungen sind aber normalerweise nicht jene, durch die Beherrschungsbeziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern am besten unterbunden werden können, da dafür nötige Regeln Kosten für die Unternehmen mit sich bringen. Darüber hinaus ist insbesondere auch der Unternehmenssteuersatz relevant: Ein niedrigerer Satz gibt Unternehmen einen Anreiz, dort zu investieren, wo dieser gilt. Solche Prozesse haben dann zur Folge, dass Staaten, die sich in einem Wettbewerb um Investitionen befinden, sich beim Abbau von kostspieligen Regularien für TNUs wechselseitig unterbieten werden . Viele empirische Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass ein race to the bottarn nicht in der Form zutrifft, dass alle Staaten aufgrund von Globalisierungsprozessen sich dem jeweils niedrigsten Standard der sozialstaatlichen Absicherung und des Unternehmenssteuersatzes annähern. Vielmehr bestehen Unterschiede zwischen den Staaten weiterhin (Swank 2010). Colin Crouch (2010: 156 f.; 2011: 118) führt dies zum einen auf den Umstand zurück, dass bestehende Betriebseinheiten sich nicht ohne weiteres verlagern lassen. Zum anderen investieren TNUs keineswegs immer dort, wo arbeitsrechtliche Standards und weitere Regulierungen am niedrigsten sind. Teilweise bedürfen TNUs nämlich hochqualifizierter Arbeitskräfte und einer gut ausgebauten Infrastruktur. Wie Crouch jedoch betont, verfügen TNUs auch in diesem Fall über politische Macht, die hier nun als beherrschend zu bezeichnen ist, da TNUs dennoch einen großen Einfluss auf die politische Agenda von staatlichen Regierungen nehmen. Duane Swank (2010: 321 f., 326) führt demgegenüber an, dass innerstaatliche Institutionen, die auch die Möglichkeiten der politischen Einflussnahme durch andere Akteure umfassen, weiterhin einen Unterschied 110

machen. Auch dies ist aus republikanischer Sicht eine wichtige Erkenntnis, da sie zeigt, dass der Beherrschung durch TNUs auch durch staatliche Institutionen entgegengetreten werden kann. Derartige Maßnahmen werden jedoch nicht hin reichen. Unbestritten ist nämlich, dass ein gewisser Absenkungstrend mit der zunehmenden Globalisierung einhergeht (ebd.: 318) .12 Dies bedeutet zunächst nur, dass beide Aspekte korrelieren, also miteinander einhergehen, nicht jedoch, dass die Absenkung durch die Globalisierung kausal bewirkt wird. Um eine solche Kausalität zu begründen, untersuchen quantitative Ansätze, ob das Ausmaß eines Abbaus, mit dem Ausmaß an der Beteiligung an einer Handelsliberalisierung und der globalen Kapitalmobilität korreliert. Derartige Effekte lassen sich nicht vorfinden (ebd.: 324). Es erscheint mir allerdings fraglich, ob der Nachweis derartiger Effekte überhaupt notwendig ist. Es könnte ja beispielsweise auch sein, dass es Staaten trotz der Absenkung nicht gelingt, ausländische Direktinvestitionen zu gewinnen. Auch scheint mir die These nicht plausibel, dass die beobachtbare Korrelation zwischen einer allgemeinen Globalisierung und einer allgemeinen Senkung von Standards überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Jedenfalls wird in politischen Diskursen mit Verweis auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit für eine Senkung von Standards argumentiert. Entscheidend ist nun, dass es sich bereits dann um eine Beherrschung durch TNUs handelt. Hierfür bedarf es nämlich gar nicht des Nachweises, dass eine zunehmende Beteiligung an globalen Wirtschaftsprozessen sich nur um den Preis einer Absenkung von Sozialstandards und Steuersätzen erkaufen lässt. Vielmehr reicht es hin, dass bereits die Gefahr derart negativer Auswirkungen zu einem zuvorkommenden Regierungshandeln führt. Um von einer Beherrschung zu sprechen bedarf es schließlich nicht des Nachweises bestimmter Eingriffe, vielmehr reicht eine Macht zu derartigen Eingriffen hin, während die Eingriffe selbst gar nicht vorgenommen werden müssen. Mit diesen beherrschenden Einflüssen von TNUs wird letztlich die kollektive Selbstbestimmung der betroffenen Staatsvölker untergraben. Diese können dann nämlich nicht mehr frei entscheiden, wie genau sie ihre wirtschaftliche Entwicklung gestalten wollen, sondern müssen hierbei die Beherrschungsposition von TNUs berücksichtigen. 13 Im Prinzip lässt sich eine 12

13

Das gilt auch für Unternehmenssteuersätze. Hinzu kommen diverse Maßnahmen, um die reale Steuerlast zu reduzieren (Dietsch/Rixen 2012: 153-156). Dem ist hinzuzufügen, dass dabei Unterschiede zwischen den Mitgliedern von Staatsvölkern bestehen. Insofern die umrissenen Entwicklungen im Interesse von Kapitaleignern stehen, werden diese in ihrem Einfluss auf bestimmte Politiken gestärkt (vgl.

111

solche Beherrschung für alle Staaten feststellen. Sie gilt auch für konsolidierte Demokratien und ist deshalb auch dann allgemein, wenn sich zwischen diesen Staaten Unterschiede im Einzelfall ausmachen lassen. ln besonderer Weise sind von einer solchen Beherrschung aber Räume begrenzter Staatlichkeit betroffen. Dort sind nämlich die staatlichen Kapazitäten zur allgemeinen Regelsetzung auch abgesehen von einer wirtschaftlicher Globalisierung bereits eingeschränkt. Aufgrund dieser Schwäche staatlicher Strukturen sind Räume begrenzter Staatlichkeit der Beherrschung durch TNUs besonders ausgesetzt (Koenig-Archibugi 2004: 244). Erschwerend hinzu kommt darüber hinaus die Beherrschung durch andere, mächtigere Staaten. Dieser beherrschende Einfluss kann hier daran festgemacht werden, dass sie TNUs, die in diesen mächtigeren Staaten ihren Hauptsitz haben, Geschäftsfelder eröffnen wollen. Hierbei greifen sie beispielsweise auf bilaterale Investitionsabkommen zurück.' Diese Abkommen stärken wiederum die Beherrschungsposition von TNUs, da sie ihnen weitreichende Rechte im Umgang mit schwächeren Staaten verleihen (Hofmann 2011; Ruggie 2013: 182-187). Alle diese Beherrschungsformen werfen die Frage auf, wie ihnen entgegengetreten werden kann. Als zentral wird immer wieder der Ausbau internationaler Organisationen genannt. So könnte beispielsweise ein Abkommen geschlossen werden, mit dem der Steuerwettbewerb zwischen Staaten zumindest eingeschränkt wird (Dietsch/Rixen 2012: 166-177). Darüber hinaus könnten statt auf bilaterale Handelsabkommen zurückzugreifen, multilaterale Handelsabkommen so ausgebaut werden, dass das Problem der Machtasymmetrie zwischen mächtigeren und schwachen Staaten gemildert wird. Diese und viele weitere Maßnahmen sind zweifellos zentral. Ein Punkt bleibt hierbei jedoch zu berücksichtigen: Gerade im Hinblick auf internationale Organisationen wird häufig ein starker Einfluss von TNUs beklagt. Eine solche Beherrschung ist besonders problematisch, wenn sie zu Regelungen führt, durch die TNUs weiter begünstigt werden. So wird etwa im Rahmen der Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) ein besonders großer Einfluss von TNUs am sogenannten Abkommen über handelsbezogene Aspekte des Rechts auf geistiges Eigentum (Trade-Related Aspects of Property Rights, TRIPS) festgemacht, von dem insbesondere große PharCrouch 2008: 60-63). Zum einen ändert dies aber nichts an dem Umstand, dass die Selbstbestimmung von Staatsvölkern als Kollektiven durch die Beherrschungsposition von TNUs eingeschränkt wird. Zum anderen verlangt kollektive Selbstbestimmung nach Demokratie, die hier als eine gleich geteilte Kontrolle verstanden und daher gerade bei Unterschieden zwischen den Mitgliedern eines Demos untergraben wird.

112

maunternehmen stark profitieren (McGuire 2012: 328- 330; Pogge 2011: 296-274). Dies ist dann ein Beispiel dafür, wie TNUs gerade aufgrundihrer politischen Macht ihre beherrschende Position weiter stärken. Wenn man daher auf die Notwendigkeit internationaler Regelungen verweist, muss man mit beachten, dass auch hier Gegenmacht gegenüber TNUs aufgebaut werden muss. Dies gilt auch für das folgende Beispiel, das ich ausführlicher diskutieren möchte: die Rolle von TNUs im Hinblick auf die Menschenrechte in Räumen begrenzter Staatlichkeit.

3.2 Transnationale Beherrschung in Räumen begrenzter Staatlichkeit Besonders problematisch ist die Beherrschung durch TNUs, wenn in Räumen begrenzter Staatlichkeit die Fähigkeit eingeschränkt ist, Menschenrechte zu gewährleisten. Der beherrschende Einfluss kann dann nämlich dazu führen, dass TNUs selbst Menschenrechte verletzen oder an solchen Verletzungen beteiligt sind. Bevor ich darauf näher eingehe, ist eine Vorbemerkung nötig: Vor dem Hintergrund des staatszentrierten Menschenrechtsverständnisses, wie ich es im ersten Teil entwickelt habe, ließe sich in Frage stellen, ob TNUs selbst überhaupt Menschenrechte verletzen können. Bedarf es nicht vielmehr einer öffentlichen Rolle, die wir normalerweise staatlichen Akteuren zuschreiben, um von Menschenrechtsverletzungen zu sprechen? Schließlich würden wir nicht von Menschenrechtsverletzungen sprechen, wenn es zu einer Kneipenschlägerei kommt, während das durchaus der Fall ist, wenn Polizisten einen Tatverdächtigen verprügeln (Pogge 2011: 75-84). Diese öffentliche Rolle ist meiner Ansicht nach zumindest dann nicht nötig, wenn in Räumen begrenzter Staatlichkeit TNUs eine weitreichende Beherrschungsposition einnehmen. Unter diesen Bedingungen gehen ihre Handlungen und Unterlassungen, die zu einer Verletzung menschenrechtlich relevanter Güter führen, nämlich mit jener Form der Missachtung einher, wie wir sie für nötig halten, um von genuinen Menschenrechtsverletzungen zu sprechen. Daher haben TNUs auch eine entsprechende Verpflichtung, Menschenrechte zu respektieren. Das zentrale Problem ist allerdings, dass sie alleine dieser Verpflichtung nicht auf eine nicht-beherrschende Art und Weise nachkommen können. ln diesem Sinne weisen transnationale Gerechtigkeitspflichten in der Tat über die enge Verbindung von Menschenrechten und basaler Nicht-Beherrschung hinaus. 14 14

Ich danke Christi an Neuhäuser für den Hinweis, dass ich zu diesem Punkt explizit Stellung beziehen muss.

113

Ein vieldiskutiertes Beispiel dafür sind die Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie. Dieser Industriezweig weist besonders deutlich eine Eigenschaft auf, die bei TNUs insgesamt zunehmend Verbreitung gefunden hat. TNUs produzieren nicht alle Produktkomponenten selbst, sondern greifen in vielen Fällen auf Zulieferer zurück, die über lange Lieferketten miteinander verbunden sind (Ruggie 2013: 2 f.; Wettstein 2009: 221-226). ln der Bekleidungsindustrie geht dies soweit, dass die Endprodukte selbst weitgehend durch Zuliefererbetriebe hergestellt werden. Diese befinden sich häufig in Räumen begrenzter Staatlichkeit. Häufig mangelt es dort weniger an nationalen und internationalen Standards der Arbeitsbedingungen als vielmehr an einer mangelnden Kapazität zu ihrer Durchsetzung. Die Arbeitsbedingungen in diesen Nähfabriken sind oft sehr schlecht. Die Beispiele reichen von sehr niedrigen Löhnen bei: sehr langen Arbeitszeiten über große Mängel bei der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz. Schließlich feh len häufig auch Möglichkeiten der gewerkschaftlichen Organisation, durch die sich die Betroffenen gegen diese Bedingungen zur Wehr setzen könnten (Young 2007: 164-167). Ein besonders drastisches Beispiel für Sicherheitsmängel in Bekleidungsfabriken ist der Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza im April 2013, bei dem 1.350 Menschen starben. Dies hat auch in Deutschland die Diskussion der Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie wieder verstärkt,l 5 Von derartigen Arbeitsbedingungen wissen wir nicht zuletzt aufgrund der Arbeit von NGOs. Ein besonders bekannter Fall ist der Sport- und Lifestyleunternehmen Nike, das sich als eines der ersten in den 1970er und 80er Jahren die wirtschaftlichen Vorteile der Produktionsauslagerung insbesondere in asiatische Länder zu Nutze machte. ln den 1990er Jahren gab es dann eine starke Kampagne zur Anprangerung eben dieser Produktionsprozesse. Zunächst wies Nike die Verantwortung für die Arbeitsbedingungen von sich. Als die Proteste jedoch nicht abnahmen und sowohl das Ansehen als auch der Umsatz von Nike bedroht waren, versuchte das Unternehmen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Ein Problem dabei ist, dass Zulieferer häufig für mehrere Anbieter Kleidungsstücke herstellen und die Möglichkeiten von Nike, diese Betriebe zu beeinflussen, insofern begrenzt sind. Da-

her kam es im weiteren Verlauf zu gemeinsamen Maßnahmen mit weiteren Unternehmen (Deitelhoff/Wolf 2013: 228-234; Ruggie 2013: 3-6). Dies ist ein Beispiel dafür, wie TNUs als politische Akteure handeln, indem sie selbst Normen setzen, wobei sie hierbei auch mit weiteren TNUs sowie staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammenarbeiten. Inwieweit diese Maßnahmen erfolgreich sind, wird von NGOs in Frage gestellt. Dennoch zeigen diese Maßnahmen, dass TNUs im Prinzip durchaus selbst einen Beitrag zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen leisten können (Deitelhoff/Wolf 2013: 234). Derartige Beiträge werden üblicherweise unter dem Begriff der Corporate Social Responsibility (CSR) zusammengefasst, der zunehmend auch auf Menschenrechte Anwendung findet. Sie weisen über das staatszentrierte Menschenrechtsverständnis hinaus, wie ich es im ersten Teil dieses Aufsatzes begründet habe, da hier dann TNUs selbst eine menschenrechtliche Verantwortung übernehmen. Zugleich werden aber vor dem Hintergrund dieses Menschenrechtsverständnisses die Mängel solcher Maßnahmen besonders deutlich: Auch CSR-Normen sind unterbestimmt weshalb Unternehmen Probleme haben, diese zu interpretieren und ' anzuwenden (Deitelhoff/Wolf 2013: 238). Die Funktion, menschenrechtliche Normen demokratisch zu konkretisieren und durch Gerichte auf Einzelfälle unparteilich anzuwenden, können sie nicht erfüllen. Vergleichbares gilt auch für die zuverlässige Durchsetzung von Normen durch eine Exekutive: Die Wirksamkeit solcher Maßnahmen ist nämlich schon deshalb begrenzt, weil sie freiwillig sind (Deitelhoff/Wolf 2013: 238; Ruggie 2013 : 68-78) . Dies wirkt sich zum einen negativ auf die Teilnahme aller relevanten Unternehmen an diesen Maßnahmen aus. Beherrschende Eingriffe gibt es damit weiterhin. Zum anderen liegt aber selbst bei jenen Unternehmen, die teilnehmen, eine eingriffslose Beherrschung vor. Soweit Unternehmen sich nämlich auch anders entscheiden können, hängen die Betroffenen vom guten Willen eben dieser Unternehmen ab, ihre Menschenrechte zu beachten. Nicht zuletzt aufgrund derartiger Probleme kam es wiederholt zu Versuchen, die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen auf internationaler Ebene festzuschreiben. 3.3 Menschenrechtsnormen für transnationale Unternehmen?

15

Mittlerweile ist die geforderte Entschädigungssumme von 30 Millionen Dollar zusammengekommen, während 41 mutmaßlich Verantwortliche für den Einsturz wegen Mordes angeklagt werden (taz 2015). Zentral ist allerdings darüber hinaus, Maßnahmen zu treffen, die die menschengemachten Ursachen solcher Katastrophen zukünftig verhindern (vgl. Young 2007: 172-186).

114

Die mittlerweile wichtigsten Normen für die Menschenrechtsverantwortung von TNUs sind die Guiding Princip/es of Business and Human Rights (GPs), wie sie vom Menschenrechtsrat der UN beschlossen wurden (UN 2011) .

115

Kern dieser Leitprinzipien ist der sogenannte Protect, Respect and Remedy Framework. Dieser Rahmen besagt erstens, dass es die Pflicht der Staaten ist, die Menschenrechte zu schützen (Prinzipien 1-10). Dieser Schutz wird im weiten Sinne als die Gewährleistung der Menschenrechte verstanden, wie sie in diversen internationalen Abkommen verankert sind. Darüber hinaus sollen zweitens Unternehmen und insbesondere TNUs die Verantwortung tragen, Menschenrechte zu respektieren (Prinzipien 11-24). 16 Schließlich sollen drittens sowohl auf staatlicher als auch auf Unternehmensebene institutionelle Kanäle ausgebaut werden, durch die begangenen Menschenrechtsverletzungen auf juridischem und nicht-juridischem Wege Abhilfe verschafft werden kann (Prinzipien 25-31). Dies ist nicht der Ort, um dieses, Rahmenwerk im Detail darzulegen und umfassend zu diskutieren (vgl. dazu Deva/Bilchitz 2013). Entscheidend ist hier vielmehr der allgemeine Charakter der GPs aus republikanischer Perspektive. Dieser allgemeine Charakter besteht erstens darin, dass TNUs taut den GPs keine völkerrechtliche Verpflichtung haben, die Menschenrechte zu respektieren. Vielmehr tragen sie dafür eine Verantwortung, die sich aus sozialen Erwartungen ergeben soll. Zweitens ist diese Verantwortung von Unternehmen auf den Respekt von Menschenrechten beschränkt und umfasst nicht den Schutz oder die Förderung der Menschenrechte. in beiden Hinsichten sind die GPs damit bedeutend schwächer, als die sogenannten Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and other Business Enterprises with Regard to Human Rights (Norms), die zuvor ausgearbeitet worden waren (UN 2003). Auch im Rahmen der Norms wäre die primäre Pflicht zur Gewährleistung von Menschenrechten bei den Staaten verblieben. Sie hätten jedoch explizit bestimmt, dass TNUs erstens eine völkerrechtliche Verpflichtung haben, sofern ein Staat seiner primären Pflicht nicht nachkommt (Normen 1, 19; Weissbrodt 2014: 156 f., 160). Zweitens hätte diese Verpflichtung den Respekt von Menschenrechten stärker spezifiziert und auch Beiträge zum Schutz und zur weiteren Förderung von Menschenrechten enthalten (Normen 1-14). Die Norms wurden jedoch von der damaligen UN -Menschenrechtskommission nicht bestätigt. Daher wurde der Politikwissenschaftler John G. Ruggie 2005 vom damals amtierenden UN-Generatsekretär Kofi Annan zunächst beauftragt, bereits existie16

Neben den beiden oben bereits genannten Menschenrechtspakten, finden die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN sowie die Erklärung über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organisation, ILO) Anwendung (Prinzip 12) .

116

rende, menschenrechtliche Standards und Praktiken im Hinblick auf Unternehmen zu untersuchen. Nach zwei weiteren Mandaten für Ruggie führte dies 2011 zur Verabschiedung der GPs (Ruggie 2013: xviii-xxii; UN 2011: 3-5). Dass die GPs im Vergleich zu den Norms bescheidenere GPs sind, liegt zum Teil in beherrschenden Eingriffen von TNUs begründet. Wie Ruggie selbst ausführt, scheiterten die Norms nämlich auch am Widerstand von TNUs. Zugleich musste er bei der Ausarbeitung einer Alternative von vorneherein den möglichen Widerstand - und damit die eingriffslose Beherrschung- durch TNUs berücksichtigen, um sein Ziel einer Einigung zu erreichen (ebd.: xvii, 143-145) . Von den meisten NGOs hingegen wurden die Norms gegenüber den GPs als vorzugswürdig erachtet. Daher standen viele NGOs dem Prozess, der zu den GPs führte, lange ablehnend gegenüber (ebd.: xix-xx, 53 f., 145-147, 158). Wie sind die beiden zentralen Unterschiede der stärkeren völkerrechtlichen Verbindlichkeit, die sich auch auf Beiträge zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte erstreckt hätte, jedoch aus republikanischer Sicht zu bewerten? Ziel der GPs ist es, bereits vorhandene Regeln in einem übergreifenden Regelwerk zusammenzufassen (Ruggie 2013: 78-83; UN 2011: 5). Nach Ruggie gehen sie damit über rein freiwillige Maßnahmen hinaus, da sie die mittlerweile weithin anerkannte Verantwortung von Unternehmen, Menschenrechte zu respektieren , im Rahmen eines Berichtes der UN formulieren. Dennoch verbleiben die GPs im Rahmen des soft law, als dem soge17 nannten weichen Völkerrechts (Ruggie 2013: 45-47, 91-93, 128). Aufgrund der relativ schwachen Verbindlichkeit der GPs, ist der Respekt von Menschenrechten gegenüber TNUs weiterhin nicht effektiv einklagbar. Auf der 17

Weiches Völkerrecht besteht in nicht-bindenden oder freiwilligen Resolutionen und Verhaltenskodizes, die im Falle der GPs von der UN bestätigt wurden. Wie die Völkerrechtlerin justine Nolan (2013) betont, steht das weiche Völkerrecht jedoch in einem Kontinuum zum bindenden Völkerrecht, das beispielsweise durch völkerrechtliche Verträge gesetzt werden kann. Die relative Stärke von weichem Völkerrecht hängt unter anderem ab vom institutionellen Rahmen in dem es vereinbart wurde, von etwaigen Bezügen auf bin dendes Völkerrecht, von sprachlichen Formulierungen der Regeln sowie vom Potential deren Einhaltung hervorzurufen . Da die GPs vorhandenes weiches Völkerrecht im Rahmen der UN zusammenfasst, wird die Verbind lichkeit im Vergleich zu vorher vereinbarten Standards gestärkt (ebd.: 154-160). Auch bei den Norms hätte es sich um weiches Völkerrecht gehandelt. Aufgrund der sprachlichen Formulierung von Verpflichtungen sowie einer stä rkere Rolle der UN bei der Einhaltung wäre ihre Verbi nd lichkeit aber stä rker gewesen (Weissbrodt 2014: 159-166). Dem ist allerdings hinzuzufügen, dass die Norms von einer Gruppe vo n Völkerrechtlern - um Weissbrodt - erarbeitet wurd en, was fü r slch genommen nicht zu einer solchen Verbindlichkeit führen kann (vgl. Besson 2010; Ruggie 2013 : 52 f.) .

117

Ebene des Schutzes sind sie daher nicht hinreichend, um einen nichtbeherrschten Status der betroffenen Personen zu gewährleisten. Deshalb hängen die Betroffenen weiterhin zumindest zum Teil vom guten Willen der TNUs ab, dass diese tatsächlich ihre Menschenrechte respektieren. Eine Form der eingriffslosen Beherrschung bleibt damit bestehen. Eine völkerrechtlich verbindliche Verpflichtung wäre hier in der Tat vorzugswürdig, da sie sowohl die Gefahr beherrschender Eingriffe als auch die eingriffslose Beherrschung verringern würde. Eine solche Verpflichtung wirft jedoch die Frage auf, worauf sie sich denn erstreckt. Einerseits können weitergehende Verpflichtungen, wie sie in den Norms umschrieben wurden, zu einer besseren Bereitstellung menschen rechtlicher Güter führen . Anderer~eits kann dadurch aber die politische Macht von TNUs weiter gestärkt wer.den. Es ist nämlich keineswegs klar, was es genau bedeutet, dass TNUs eine eigenständige Verpflichtung haben, Menschenrechte zu respektieren und zu einer besseren Gewährleistung von Menschenrechten beizutragen. Zugleich ist unklar, wer dazu autorisiert wäre, diese Streitpunkte zu klären. Diesen Punkt betont auch Ruggie und begründet dam it , warum die Verantwortung von TNUs auf den Respekt von Menschenrechte beschränkt sein sollte (Ruggie 2013: 49-51, 90-102). Dieses Argument hat aus republikanischer Sicht durchaus einen wahren Kern . Anders als Ruggie meint, gilt es aber auch für den Respekt von Menschenrechten, obgleich die Unterbestimmtheit beim Schutz und der Förderung von Menschenrechten stärker ausgeprägt ist. So verlangen die GPs beim Respekt der Menschenrechte beispielsweise die Einhaltung arbeitsrechtlicher Standards. Auch diese Normen sind aber als abstrakte Normen unterbestimmt Es lässt sich also darüber streiten ' was sie genau verlangen. Darüber hinaus übernehmen TNUs teilweise schon jetzt Aufgaben , die sich auch auf Beiträge zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte beziehen. So haben etwa Automobilfabriken in Südafrika eine Aidsvorsorge für ihre Mitarbeiter eingerichtet und sich hierbei auch gegen anfänglichen Widerstand staatlicher Akteure durchgesetzt, die das große Aidsproblem in Südafrika schlichtweg bestritten hatten (Hönke/ Thauer 2014). Das stellt zweifellos einen Fortschritt für die Gesundheitsvorsorge der Betroffenen dar. Einerseits bleibt dann aber natürlich das Problem bestehen, dass die Aidsvorsorge weiterhin nur für Mitarbeiter oder gegebenenfalls ihr näheres soziales Umfeld gilt. Andererseits können aber auch diese Betroffenen nicht effektiv kontrollieren, wie eine solche Aidsvorsorge aussehen sollte. Wie oben beschrieben, sollten auch menschenrechtliche Vor118

gaben daher zunächst durch demokratische Prozesse in staatliches Recht übersetzt werden . ln diesem Fall sind es hingegen die TNUs selbst, denen eine solche Rolle zukommt. Diese Argumentation legt den Einwand nahe, dass eine Mitbestimmung der Betroffenen auch im Rahmen von TNUs möglich ist. Sicherlich ist eine solche Beteiligung immer noch besser als gar keine Beteiligung. Zu betonen ist allerdings, dass sie- zumindest auf absehbare Zeit- nicht als demokratisch zu bezeichnen sein wird. TNUs bleiben nämlich hierarchisch organisierte Organisationen, bei denen betroffene Akteure allenfalls mitbestimmen können. Eine demokratische Selbstbestimmung kennen wir hingegen bislang nur im Rahmen konsolidierter Staaten. Daher ist eine solche sekundäre Bereitstellung menschenrechtlicher Güter auch dann besonders problematisch, wenn sie dazu führt, dass staatliche Akteure weiterhin ihren primären Pflichten nicht nachkommen. Da diese Aufgabe dann ja zum Teil von den TNUs selbst wahrgenommen wird, könnten staatliche Akteure versucht sein, sich ihrer Pflicht zu entziehen (so auch Ruggie 2013: 52). Alternativ wird daher bisweilen vorgeschlagen, dass sich TNUs vor allem für den Aufbau staatlicher Institutionen einsetzen sollten, die dann die Menschenrechte gewährleisten (Hsieh 2009). Hierbei wird allerdings nicht hinreichend berücksichtigt, dass selbst dies mit Beherrschung einhergehen kann. Wenn TNUs beispielsweise in Verhandlungen über Investitionsbedingungen Druck auf staatliche Akteure ausüben, damit diese die Menschenrechte besser gewährleisten, handelt es sich auch dann um einen beherrschenden Einfluss . Ob eine externe Beherrschung vorliegt, ist nämlich un abhängig davon, ob sie im vermuteten Interesse des betroffenen Staatsvolks liegt. Entscheidend ist vielmehr, ob das betroffene Staatsvolk derartige Maßnahmen auf Basis seiner allgemein erklärbaren Interessen effektiv kontrollieren kann. Diesem Argument lässt sich entgegenhalten, ob nicht ein solcher beherrschender Einfluss im Prinzip gerechtfertigt sein kann, wenn die damit einhergehende Beherrschung durch die positiven Effekte auf die Nicht-Beherrschung oder ihrer Voraussetzungen aufgewogen wird. Dies kann meiner Ansicht nach durchaus der Fall sein. Es erscheint mir allerdings fraglich, ob wir die Verantwortung für eine solch anspruchsvolle Abwägung tatsächlich TNUs überlassen sollten. 18 18

in einer solchen Abwägung sollten Formen der Sicherung von Leib und Leben berücksichtigt werden, die ich hier als fundamentale Voraussetzungen von Nicht-Beherrschung verstehe. Oben habe ich knapp das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit als solche fundamentale Voraussetzungen benannt. Dazu ließen sich aber

119

Aus der Benennung dieser Probleme folgt nicht, dass TNUs im Hinblick auf die Menschenrechte keine Verantwortung tragen. Vielmehr haben sie in Räumen begrenzter Staatlichkeit die Verpflichtung, keine Menschenrechte zu verletzen und sollten auch dafür Sorge tragen, nicht an Menschenrechtsverletzungen beteiligt zu sein. Auch meine ich nicht, dass TNUs in jedem Fall von Maßnahmen absehen sollten, die sich auf den Schutz und die Förderungen von Menschenrechten durch eigene Güterbereitstellung oder die Förderung staatlicher Strukturen erstrecken. Vielmehr geht es mir hier um zweierlei Nachweise: Erstens können TNUs aus den genannten Gründen keine basale Nicht-Beherrschung gewährleisten, wie sie Staaten prinzipiell möglich ist. Zweitens sollte man deshalb aber nicht einfach über die konkrete Herausforderung hinweggehen, . dass viele Staaten dieser Pflicht nicht nachkommen. Abschließend werde ich daher spezifischere Kriterien angeben, wie mit den daraus erwachsenden Problemen umgegangen werden könnte. Aufgrund der hier dargelegten Beherrschungsproblematik sollten diese aber von vorneherein in einen größeren Rahmen eingebettet sein, der die beherrschende Rolle von TNUs insgesamt berücksichtigt.

4. Fazit und Ausblick ln den vorangegangen Abschnitten habe ich an einigen zentralen Beispielen gezeigt, dass TNUs über eine politische Macht verfügen, die gegenüber den Betroffenen beherrschend ist. Dies gilt sowohl für unterschiedliche Arten von Staaten als auch für internationale Organisationen. Im Hinblick auf Staaten wird das Recht auf kollektive Selbstbestimmung der betroffenen Staatsvölker durch TNUs generell eingeschränkt. ln Räumen begrenzter Staatlichkeit ist die Beherrschungsposition von TNUs besonders ausgeprägt, da hier sogar die staatlichen Kapazitäten zur Gewährleistung von Menschenrechten eingeschränkt sind, was TNUs weitere Eingriffsmöglichkeiten eröffnet. Darüber hinaus sind schwache Staaten auch der Beherrschung durch andere, mächtigere Staaten ausgesetzt. Schließlich lässt sich ein beherrschender Einfluss von TNUs auch im Rahmen von internationalen Organisationen ausmachen, obwohl gerade diese zentral wären, um TNUs zu regulieren.

auch weitere Bedingungen wie etwa die Vermeidung von Hunger zählen. Hierauf werde ich im abschließenden Ausblick noch zurückkommen. Ich danke Christian Neuhäuser für den Hinweis, dass ich darauf bereits an dieser Stelle verweisen sollte.

120

Diese Beherrschungsdiagnosen stellen offenkundig weitreichende Herausforderungen dar. Der wichtigste Punkt für den Umgang mit diesen Herausforderungen ist meiner Ansicht nach, die unterschiedlichen Beherrschungsformen nicht isoliert voneinander zu betrachten. Die Beherrschungsposition von TNUs liegt nämlich in der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung begründet, die sich über alle hier diskutierten Ebenen erstreckt: von der gegenwärtigen Form internationaler Organisationen über die Verfasstheit von Staaten bis hin zur internen Organisation von TNUs. Dieser Beherrschung kann daher nur durch Anstrengungen auf allen diesen Ebenen effektiv entgegengetreten werden. Selbstverständlich ist dies eine sehr weitreichende Forderung. Sie lässt sich jedoch nicht einfach als utopisch abtun. Dies zeigt sich bereits daran, dass sich einige der Forderungen im Hinblick auf die Menschenrechte auch in den bereits verabschiedeten GPs finden. So wird dort zu Recht die bereits bestehende völkerrechtliche Pflicht von Staaten angeführt, Menschenrechte zu gewährleisten. Insbesondere werden Prinzipien benannt, wie sich diese staatliche Pflicht im Hinblick auf Unternehmen konkret umsetzen lässt (Prinzipien 1-8, 25-27, 31). Dabei wird auch betont, dass sich diese Pflicht sowohl auf die Interaktionen von Staaten untereinander als auch auf ihr Handeln in internationalen Organisationen erstrecken sollte (Prinzipien 910). Darüber hinaus ist festgeh alten, worin die TNUs von Verantwortung zum Respekt von Menschenrechten genauer besteht (Prinzipien 11-14). Hierbei wird ferner erläutert, wie sie diese Verantwortung in ihr Handeln und ihre Organisationsstruktur übersetzen sollten (Prinzipien 15-24, 2 7-31). Trotz dieser Fortschritte bleibt festzuhalten, dass die GPs alleine nicht hinreichend sind. Gerade aufgrund ihrer mangelnden völkerrechtlichen Verbindlichkeit ist abzuwarten, wie gut sie denn in die Praxis übersetzt werden. Eine stärkere völkerrechtliche Verbindlichkeit wäre dafür sicher zuträglich. Darüber hinaus bleibt zu klären, inwieweit eine stärkere Verbindlichkeit durch weitergehende Verpflichtungen zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte ergänzt werden sollte. Hierzu kann die politische Philosophie Beiträge leisten. Grundsätzlich steht in Frage, welche Rechte und Pflichten wir TNUs eigentlich zuweisen sollten. Spezifischer geht es um die Klärung, ob Menschenrechtsfragen im mer im Rahmen staatlicher und internationaler Institutionen gelöst werden sollten, da nur so eine legitime Regelung möglich ist oder ob diese im Falle von TNUs in Räumen begrenzter Staatlichkeit ein genuines Problem transnationaler Gerechtigkeit darstellt, dass verstärkt auch unmittelbar zwischen 121

TNUs und den Betroffen - unter der Hinzuziehung weiterer Akteure -zu behandeln ist. Selbst wenn diese Gerechtigkeitsprobleme dann auf eine beherrschende Art und Weise behandelt würden, ließe sich anführen, dass eine beherrschende Bereitstellung basaler Güter immer noch besser ist, als gar keine Bereitstellung dieser Güter {Sen 2010: 331-336). Ich vermag hier keine ultimative Antwort zu formulieren, wie mit dieser Problematik umgegangen werden sollte. Sie verweist meiner Ansicht nach auf ein bislang nicht hinreichend bearbeitetes Forschungsfeld der politischen Philosophie im Allgemeinen und der republikanischen Theoriebildung im Besonderen. An dieser Stelle belasse ich es daher bei vier Kriterien die bei der näheren Klärung der menschenrechtliehen Pflichten von TNUs beachtet und hierbei dann näher spezifiziert werden sollten. Erstens ist eine generelle Abwägung nötig, ob die mit menschenrechtliehen Verpflichtungen von TNUs einhergehende Beherrschung, durch daraus entstehende Vorteile beim Aufbau grundlegender Voraussetzungen der Nicht-Beherrschung aufgewogen wird. Hierzu ist zweitens festzuhalten, dass menschenrechtliche Verpflichtungen von TNUs umso weniger problematisch sind, je unumstrittener die entsprechenden Menschenrechte sind. Drittens sollten sich jedwede menschenrechtliehen Pflichten von TNUs nicht negativ auf die Möglichkeit des Aufbaus staatlicher demokratischer Strukturen auswirken. Hierfür ist es viertens nötig, die Formen der demokratischen Kontrolle auf allen Ebenen zu stärken. Einerseits durch die Förderung der klassischen demokratischen Strukturen auf staatlicher Ebene, andererseits aber auch durch ihre Ergänzung auf inter- und transnationaler Ebene. Auf diese Weise könnten dann auch jene Abwägungen demokratisch ausgehandelt werden, die auf den ersten drei Ebenen nötig sind. Im Rahmen aller vier Kriterien werden TNUs eine wichtige Rolle einnehmen. in jedem Fall darf es aber nicht ihnen überlassen bleiben, welche Rolle das ist.

Literatur Besson, Samantha (2010): Theorizing the Sources of International Law, in: Besson, Samantha; Tasioulas, John (Hrsg.): The Philosophy of International Law, Oxford, S. 163-185. Besson, Samantha (2012): The Right to Have Rights- From Human Rights to Citizens' Rights and Back, in: Goldoni, Marco; McCorkindale, Christopher (Hrsg.): Arendt and the Law, Oxford, S. 335-355.

122

Bohman, )ames {2004): Republican Cosmopolitanism, in: The Journal of Political Philosophy, Jg. 12, Nr. 3, S. 336-352. Celikates, Robin {2014): Freedom as Non-Arbitrariness or as Democractic Self-Rule? A Critique of Contemporary Republicanism, in: Dahl, Christian; Nexlll, Tue Andersen {Hrsg.): ToBe Unfree. Republican Perspectives on Poli tical Unfreedom in History, Literature and Philosophy, Bielefeld, S. 37-54. Crouch, Colin {2008): Postdemokratie, Frankfurt am Main. Crouch, Colin (2010): The Global Firm: The Problem of the Giant Firm in Democratic Capitalism, in: Coen, David; Grant, Wyn; Wilson, Graham {Hrsg.): The Oxford Handbook auf Business and Government, Oxford, S. 148-179. Crouch, Colin (2011): Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus, Berlin. Deitelhoff, Nicol; Wolf, Klaus Dieter (2013): Business and Human Rights: How Corporate Norm Violators Become Norm Entrepreneurs, in: Risse, Thomas; Rapp, Stephen C.; Sikkink, Kathryn (Hrsg.): The Persistent Power of Human Rights: From Commitment to Compliance, Cambridge, S. 222238. Deva, Surya; Bilchitz, David {Hrsg.) (2013): Human Rights Obligations of Business. Beyond the Corporate Responsibility to Respect, Cambridge. Dietsch, Peter; Rixen, Thomas (2012): Tax Competition and Global Background )ustice, in: The Journal of Political Philosophy, Jg. 22, Nr. 2, S. 150-

177. Draude, Anke; Schmelzte, Cord; Risse, Thomas (2012): Grundbegriffe der Governanceforschung. Ein Beitrag aus dem Teilprojekt Al, in: SFB-Governance Warking Paper Series (13), S. DFG Sonderforschungsbereich 700, Berlin. Forst, Rainer (2011): Kritik der Rechtfertigungsverhältnisse. Perspektiven einer kritischen Theorie der Politik, Berlin. Gädeke, Dorothea (2014): Externe Demokratieförderung und kollektive Selbstbestimmung: Zu normativen Grundlagen und Grenzen einer umstrittenen Praxis, in : Kadelbach, Stefan (Hrsg.): Effektiv oder gerecht? Die normativen Grundlagen der Entwicklungspolitik, Frankfurt am Main,

s.

214-252. Gourevitch, Alex (2013): Labor Republicanism and the Transformation of Work, in: Political Theory, Jg. 41, Nr. 4, S. 591-617. Halldenius, Lena (2010): BuHdung Blocksofa Republican Cosmopolitanism. The Modality of Being Free, in: European Journal of Political Theory, )g. 9, Nr. 1, S. 12-30.

123

Held, David (2007): Soziale Demokratie im globalen Zeitalter (engl. 2004), Frankfurt am Main. Hofmann, Rainer (2011): Modernes Investitionsschutzrecht Ein Beispiel fur entstaatlichte Setzung und Durchsetzung von Recht, in: Kadelbach, Stefan; Günther, Klaus (Hrsg.): Recht ohne Staat? Zur Narrnativität nichtstaatlicher Rechtsetzung, Frankfurt am Main, S. 119-145. Hönke, Jana; Thauer, Christian R. (2014): Multinational Corporations and Service Provision in Sub-Saharan Africa: Legitimacy and lnstitutionalization Matter, in: Governance: An International Journal of Policy, Administration, and lnstitutions, Jg. 27, Nr. 4, S. 697-716. Hsieh, Nien-he (2009): Does Global Business Have a Responsibility to Promote Just lnstitutions?, in: Business Ethics Quarterly, Jg. 19, Nr. 2, S. 251273. ' Koenig-Archibugi, Mathias (2004): Transnational Corporations and Public Accountability, in: Government and Opposition, Jg. 39, Nr. 2, S. 234-259. Laborde, Cecile (2010): Republicanism and Global: Justice A Sketch, in: European Journal of Political Theory, Jg. 9, Nr. 1, S. 48-69. Laborde, Cecile; Ronzoni, Miriam (2015): What is a Free State? Republican lnternationalism and Globalisation, in: Political Studies (Online first), s. 1-18. List, Christian; Pettit, Philip (2011): Group Agency. The Possibility, Design, and Status of Corporate Agents, Oxford. Lovett, Frank (2010): A General Theory of Domination and Justice, Oxford. McGuire, Steven (2012): What Happened to the lnfluence of Business? Corporations and Organized Labour in the WTO, in: Daunton, Martin; Narlikar, Amrita; Stern, Robert M. (Hrsg.): The Oxford Handbook on The World Trade Organization, Oxford, S. 320-340. Muchlinski, Peter (2014): Corporations in International Law, in: Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.): Max Planck Encyclopedia of Public International Public Law, Oxford, online: http:/ /opil.ouplaw.com/home/EPIL/, zuletzt geprüft am 30.09.2015. Neuhäuser, Christian (2011): Unternehmen als moralische Akteure, Berlin. Niederberger, Andreas (2009): Demokratie unter Bedingungen der Weltgesellschaft? Normative Grundlagen legitimer Herrschaft in einer globalen politischen Ordnung, Berlin. Nolan, Justine (2013): The Corporate Responsibility to Respect Human Rights: Soft Law or Not Law?, in: Deva, Surya; Bilchitz, David (Hrsg.): Hu-

124

man Rights Obligations of Business. Beyond the Corporate Responsibility to Respect?, Cambridge, S. 138-161. Offe, Claus (2014): Participatory lnequality in the Austerity State: a Supply Side Approach, in: Warking Paper der DFG-J


Comments

Copyright © 2024 UPDOCS Inc.