Schlanker Materialfluss: mit Lean Production, Kanban und Innovationen (VDI-Buch) - 2. Auflage

May 20, 2018 | Author: Anonymous | Category: Documents
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Schlanker Materialfluss Zweite Auflage Philipp Dickmann Hrsg. Schlanker Materialfluss mit Lean Production, Kanban und Innovationen 2., aktualisierte und erweiterte Auflage 123 Dipl.-Ing. Philipp Dickmann Rotter Str. 37 85567 Grafing [email protected] www.philipp-dickmann.de ISBN 978-3-540-79514-8 e-ISBN 978-3-540-79515-5 DOI 10.1007/978-3-540-79515-5 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. c© 2009, 2006 Springer-Verlag Berlin Heidelberg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funk- sendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Ver- vielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. Septem- ber 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwider- handlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk be- rechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Sollte in diesem Werk direkt oder indirekt auf Gesetze, Vorschriften oder Richt- linien (z. B. DIN, VDI, VDE) Bezug genommen oder aus ihnen zitiert worden sein, so kann der Verlag keine Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität übernehmen. Es empfiehlt sich, gegebe- nenfalls für die eigenen Arbeiten die vollständigen Vorschriften oder Richtlinien in der jeweils gültigen Fassung hinzuzuziehen. SAP und mySAP Business Suite sind Marken der SAP Aktiengesellschaft Systeme, Anwendungen, Pro- dukte in der Datenverarbeitung, Neurottstrape 16, D-69190 Walldorf. Der Herausgeber bedankt sich für die freundliche Genehmigung der SAP Aktiengesellschaft, das Warenzeichen im Rahmen des vorliegen- den Titels verwenden zu dürfen. Die SAP AG ist jedoch nicht Herausgeberin des vorliegenden Titels oder sonst dafür presserechtlich verantwortlich. KAIZEN® und GEMBAKAIZEN® sind eingetragene Schutzmarken des KAIZEN® Institute. Der Her- ausgeber bedankt sich für die freundliche Genehmigung des KAIZEN® Institute das Warenzeichen im Rahmen des vorliegenden Titels verwenden zu dürfen. Einbandgestaltung: WMXDesign, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier 9 8 7 6 5 4 3 2 1 springer.de Geleitwort Pánta rhei – alles ist im Fluss. Dieser dem griechischen Philosophen Heraklit (ca. 540–480 v. Chr.) zugeschriebene Ausspruch meint nicht originär den Materialfluss sondern die Tatsache, dass sich alles stets in Veränderung befindet. Dennoch und gerade darum sollte man ihn im Hinblick auf den von Philipp Dickmann herausge- gebenen „schlanken Materialfluss“ aufgreifen. Im Wissen, dass betriebliche Pro- zesse Veränderungen unterworfen sein werden, wollen wir diese aktiv gestalten. Material soll durch die Produktion fließen. Ein Aufstauen (Lagern) soll nur dort und in dem Umfang erfolgen, wo dies gewollt ist, weil es vom Prozess gefor- dert oder notwendig erscheint, um unangenehmere Folgen durch einen Abriss des Flusses zu vermeiden. Dabei plädieren die Autoren für einfache, schnelle und praxisnahe Vorgehensweisen. Wenn erforderlich, dann ist Automatisierung einfach (und kein Selbstzweck). Geforderte Flexibilität wird erreicht, indem der Mensch seine Kreativität einbringt, systematisch handelt, sich nicht mit Erreich- tem zufrieden gibt, wo immer möglich auf IT und Spezialistentum verzichtet. Wer jetzt denkt, es ginge um praxisferne Theorie, irrt. Aufgegriffen und unter den unterschiedlichsten Aspekten immer wieder neu ins Blickfeld gerückt werden die Gedanken des Toyota Produktion Systems, die Idee Kaizen, die seit einem hal- ben Jahrhundert die Industrie verändern. Und immer wieder werden Anwendun- gen aus der Automobilindustrie herangezogen. Sie war, ist und bleibt seit über 100 Jahren Vorreiter für die jeweils zukunftsfähige Organisation von Produktionspro- zessen und des zugehörigen inner- und zwischenbetrieblichen Materialflusses. Ihn schlank zu halten oder auch erst neu zu gestalten ist ihr Ziel. Dazu kürzt sie Durch- laufzeiten, senkt Bestände, spart Kosten und sichert so Wettbewerbsfähigkeit. Wettbewerbsfähigkeit unter Kostengesichtspunkten meint dabei nicht Verla- gerung in Niedriglohnländer. Vielmehr stellt sich die Frage, wie ein sinnvolles Zusammenspiel von Mensch, Technik und Organisation so zu gestalten ist, dass Produktion und das in hochindustrialisierten Ländern erreichte Einkommensni- veau nicht miteinander konkurrieren. Auch hierzu finden sich Gedankenanstöße. Dies entbindet den Unternehmer nicht von der Aufgabe, seine eigene Vision zu entwickeln. Hat er diese, so findet er zahlreiche Hinweise, wie der kontinuierliche Verbesserungsprozess durch Einbeziehung der Mitarbeiter zu gestalten ist. Und er sollte erkennen, dass dieses Denken sich nicht auf die Produktion beschränkt. Er muss neu denken, sollte Verantwortung und neue Ansätze glaubhaft vorleben, Verantwortung auf andere übertragen und dezentralisieren, Qualität nicht als Lippenbekenntnis fordern, sondern als Teil der Kundenforderungen sehen und realisieren. VI Geleitwort Schaut man sich die Beiträge an, so könnte man meinen, Kanban und das Pull- Prinzip seien die Antwort auf alle Probleme des betrieblichen Alltags. Ein solcher Schluss wäre voreilig und wird dem Anliegen von Philipp Dickmann und seinen Mitstreitern nicht gerecht. Sie spannen den Bogen von den Elementen schlanker Produktionssysteme über deren Steuerung hin zur betriebsübergreifenden Sup- ply Chain. Natürlich bildet dabei Kanban einen Schwerpunkt. Doch welches Kan- ban? Es zeigt sich, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten eine wahre Vielfalt von Lösungen entwickelt hat, um eben den Anwendungsbereich auszudehnen. Es zeigt sich, dass es möglicherweise die einfache reine Lösung nicht gibt. Auch wenn Kanban in seiner Urform den Verzicht auf EDV einschließen mag, so kommen moderne Unternehmen doch ohne IT-Lösungen und informa- tionstechnische Vernetzung und Aufbereitung ihrer Prozesse nicht aus. Genau dies wird hier aufgezeigt. Die reine Lehre mag es in Lehrbüchern geben. Die Praxis sieht anders aus. Die neue Denkweise sollte Grundsätzen folgen. Sie muss jedoch pragmatisch auf die betrieblichen Belange eingehen und sich aus dem Instrumentenkasten so bedienen, dass das Geschehen so einfach wie möglich, so verständlich und transparent wie möglich aber auch informationstechnisch so weit als nötig gestaltet wird. Visualisierung des Geschehens für die Mitarbeiter macht dieses im buchstäblichen Sinne begreifbar und erleichtert so die Umset- zung neuen Denkens in betriebliche Praxis und deren beständige Überprüfung und Verbesserung (durch wen, wenn nicht durch die betroffenen Mitarbeiter!). Auch die Beiträge zeigen in ihren unterschiedlichen Akzentsetzungen, in ih- ren Beispielen, den Willen, die betriebliche Praxis in den Vordergrund zu stel- len. Die von Dickmann auch vorgestellten neuen wissenschaftlichen Ansätze wie etwa die dezentrale Bestandsregelung, das Production Authorization Card Kon- zept (PAC) oder die Behandlung des Störungsmanagements sind ein Indiz, dass sich gerade auch Wissenschaftler fragen, wo über die aus Japan kommenden Ideen hinaus neue (europäische?) Ansätze gefragt sind, wo vielleicht hybride Lösungen weiter führen als nur theoretisch begründete „reine Lehre“. Der „schlanke Materialfluss“ wird dem Praktiker Hilfestellung geben. Im Sin- ne einer Checkliste wird er erkennen, welche Fragestellungen er im alltäglichen Stress sträflich vernachlässigt hat. Er wird die scheinbar auf die Automobilindustrie hin konzipierten Lösungs- vorschläge an seine eigenen Belange adaptieren und so zu innovativen Konzep- ten in völlig anderen Branchen kommen. Studierende mit dem Berufsziel Produktion oder Logistik vor Augen wird er helfen, die ihnen in der Praxis begegnenden Begriffe zu verstehen, das dahinter verborgene Denken zu erkennen, ihre Lehrbücher unter neuem Blickwinkel zu sehen. Sie werden – hoffentlich – erkennen, dass Lösungen nicht in der Schubla- de liegen sondern aktiv und im Team zu erarbeiten und ständig fortzuentwi- ckeln sind. Es ist eben alles im Fluss (Heraklit). Ilmenau, Oktober 2006 Wolf-Michael Scheid Vorwort zur 2. Auflage Nachdem die erste Auflage von „Schlanker Materialfluss“ sehr erfolgreich auf- genommen wurde, legen wir nun die zweite Auflage vor. Hauptziel des Buches war von Anfang an, die Einzelelemente von Lean und die Schnittstellen des Ma- terialflusses so zu erklären, dass auch Laien die Zusammenhänge verstehen. Das Buch stellt dabei alle Schritte für die Einführung von Lean Production vor. Dank seiner Praxisnähe und der fachübergreifenden Darstellung wird es so- wohl vom Management als auch von operativen Mitarbeitern gelesen. Es ist es für große, aber auch für kleine und mittlere Unternehmen geeignet. Gleichzeitig wird es an vielen Universitäten und Hochschulen als Grundlektüre verwendet. Dabei richtet sich das Buch an Studierende der Betriebswirtschaft, des Wirt- schaftsingenieurwesens und des Maschinenbaus sowie der Informatik. Um ein noch besseres Verständnis der Themen zu erreichen, wurde diese Aufla- ge gründlich bearbeitet und die Anzahl der Abbildungen nahezu verdoppelt. Er- gänzend hinzugekommen sind folgende Grundlagen, neue Fakten und Konzepte: • Ergebnisse der Studie Forlog, • Veränderungen im Unternehmen und neue Ansätze dynamischer Unterneh- mensplanung, • Lean basierte Entwicklungs- und Konstruktionsprozesse und deren Auswir- kungen auf den Materialfluss, • produktions- und wertstromgerechte Konstruktion, • Lean Intelligent Logistik – schlanke und kostengünstige Lösungen zur Mate- rialbereitstellung, • Fehlerreduzierung in Materialfluss und in MRP-Systemen, • Lean Lieferantenmanagement, • Ergebnisse der Lean-Studie 2007 der Lepros GmbH und • neue pfiffige Praxislösungen für den Materialfluss. Für diese zweite Auflage möchte ich mich vor allem bei Ulrike Maatz bedan- ken, die das gesamte Buch der ersten Auflage und die neuen und geänderten Beiträge sehr kompetent und kritisch lektoriert hat. Weiterhin gilt der Dank meiner Frau Eva Dickmann, die größere Teile der alten Auflage inhaltlich bear- beitet und ergänzt hat. Außerdem danke ich Frau Butz vom Springer-Verlag und Frau Riepl und Frau Kimmerle von le-tex publishing services oHG für die zügige Bearbeitung des Manuskripts. Grafing b. München, im Juli 2008 Philipp Dickmann Vorwort zur ersten Auflage Der Praktiker, der mit Materialfluss konfrontiert ist, sieht sich heute vielfältigen und teils sich scheinbar widersprechenden Anforderungen der verschieden Fachbereiche gegenüber. Um seine Zielvorgaben, etwa kontinuierlich volle Lie- ferfähigkeit, minimale Bestände und minimale Kosten, zu erreichen, sollte er in verschiedensten Spezialdisziplinen gleichermaßen höchst kompetent sein. Im „Tagesgeschäft“ wird diese Sichtweise vielfach als aufwendiges Optimieren von isolierten, eindimensionalen Problemstellungen empfunden. Auf der realen Ebene in der betrieblichen Praxis ist der Mitarbeiter zumeist wesentlich rudi- mentäreren, aber andererseits aufgrund der Vielzahl der interdisziplinären Ur- sachen letztlich hoch komplexen Problemstellungen ausgesetzt. Die Ursachen sind einfach: Viele der verschiedensten Rahmenbedingungen, die landläufig als fix oder ideal erfüllt angesehen werden, entsprechen schlicht nicht diesen Vor- gaben. Viele Optimierungsansätze erscheinen dem Praktiker daher unrelevant angesichts der tatsächlichen Problemstellungen des Alltags: • Planungen, die sich sekündlich gravierend verändern; • Softwaredaten, die im zweistelligen Prozentbereich Fehler aufweisen; • Anlagen, die kurzfristig ausfallen; • Ausschussraten, die plötzlich 50 % Kapazität zehren; • Softwareprodukte, die sehr starke Abweichungen zur Realität aufweisen; • Änderungen, die kaum mehr vollständig einfließen, bevor sie wieder ersetzt werden; • Lieferanten, die kaum soweit entwickelt werden, dass eine vernünftige Zu- sammenarbeit möglich ist, ehe sie von neuen Lieferanten ersetzt werden; • Mängel oder Strategien in der betrieblichen Zusammenarbeit, die einen kos- tenoptimalen Materialfluss unmöglich machen und an schlechter Stimmung oder hoher Fluktuation erkennbar sind; • Etc. Besonders beim Thema Materialfluss ist es wesentlich, umfassend und inter- disziplinär optimal zu arbeiten. Es gilt, allgemein wenige Störungen und Ver- schwendung zu erreichen und nicht nur in einer Spezialdisziplin das letzte Pro- mill an Optimierung auszureizen. Wenn andererseits diese Basis erreicht ist, existieren vielfältige Möglichkeiten, die Prozesse noch schlanker und gleichzeitig sicherer zu gestalten. Bei verschiedensten Gesprächen im Vorfeld des Buchs war immer wieder festzustellen, dass sehr viele Fehler auch daher rühren, dass es kaum Literatur gibt, die diese komplexe Problemstellung umfassend darstellt. X Vorwort Der Praktiker benötigt eine komplexe Mischung an wesentlichen Grundmetho- den und neuen oder spezielleren Ansätzen, die umfassend alle notwendigen Themen in einfacher Form transparent machen. Schlanker Materialfluss, schlan- ke Produktion und letztlich das schlanke Unternehmen stellen auch in den In- dustriestaaten ein immer noch enormes, letztlich sogar volkswirtschaftliches Potential dar, da hierbei eine tatsächliche Optimierung der Wertschöpfung er- reicht wird. Hieraus entstand der Gedanke, das Thema Materialfluss in der not- wendigen engen Beziehung zum Toyota-Produktionssystem darzustellen. Fehler bei grundlegenden Ansätzen können schnell jegliche Kostenreduzierung kom- pensieren, etwa durch Personalkosten oder durch einen Lieferantenwechsel. Aufgrund vieler persönlicher Kontakte und Erfahrungen entstand der Gedanke, bei diesem Buch ganz nach dem Konzept von Best Practice die jeweiligen interna- tionalen Spezialisten ihre spezielle Sichtweise der Dinge selbst darstellen zu las- sen. Interessanterweise stieß ich mit meiner Idee, ein interdisziplinäres, stellen- weise konträres Buch zu verfassen, auf eine sehr breite Zustimmung; alle von mir angestrebten Spezialisten sagten tatsächlich zu und so ist es gelungen, die folgen- den fünf Bereiche authentisch in einem Buch über Materialfluss zu integrieren: • Internationale Konzerne und führende Zulieferer, • Beratung, • Ausstattung und Zulieferunternehmen, • Unternehmen der Informationstechnologie, • Forschung und Wissenschaft. An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich für die enorme spontane Zu- stimmung, Begeisterung für das Projekt und die tatkräftige, professionelle und vor allem sehr kooperative Unterstützung bei allen 48 Co-Autoren und deren Unternehmen oder Universitäten bedanken. Ich möchte mich besonders für das Geleitwort und die darüber hinausreichende persönliche Unterstützung bei Prof. Scheid bedanken. Das Projekt wäre sicherlich nicht entstanden ohne die Unter- stützung und Anregung der folgenden Universitäten bzw. Institute, bei denen ich mich auch herzlich bedanken möchte. • Fakultät für Maschinenbau und Lehrstuhl für Fabrikbetrieb der TU Ilmenau – Prof. Wolf-Michael Scheid • Institut der Wirtschaft Thüringens – Wissenschaftlicher Direktor Prof. Herfried Schneider • Institut für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften (iwb) der TU München – Prof. Michael F. Zäh • Lehrstuhl für Fördertechnik Materialfluss Logistik (fml) der TU München – Prof. Willibald A. Günthner • Fakultät für Wirtschaftsingenieurwesen der Fachschule Rosenheim – Prof. Christoph Maier • Faculty of Science, Agriculture and Engineering der University of Newcastle upon Tyne – Prof. P. M. Braiden Vorwort XI Aufgrund des ungewöhnlich interdisziplinären Ansatzes des Buchs war die tatkräftige Unterstützung von außerordentlich vielen Personen zum Gelingen notwendig – etwa mit dem Vermitteln von Kontakten, Anwendungsfällen, Lite- ratur sowie durch konstruktive Kritik und Korrekturen. Ich möchte mich hierfür bedanken bei Dr. Thomas Alt, Ingrid Alter, Oliver Ballhausen, Prof. Dr. Peter Finke, Marc Flegler, Felicitas Kell, Michael Mack, Nigel Ord, Thorsten Paps, Ge- org Stieghafner, Sabine Trenkler, Kai Erik Witte, Rulan Zhuo, Wilhelm Zwerger. Dies gilt auch in besonderer Weise für die Unterstützung, die mir von der Pro- duktgruppe Retarder (Voith Turbo GmbH & Co.) zuteil wurde. Beim Lektorat, der Revision und durch Beratung in Verlagsfragen haben mich Anja Beer, Clau- dia Brandstetter, Emil Hofmann, Dr. Thomas Rücker, Dr. Jürgen Schmidt, Heidi Stadler, Ursula Moosbauer, Ursula Müller, Claus Eduard und Manuela Wittmann sowie das Kollegium von Lepros GmbH tatkräftig unterstützt. Mit enormer Ka- pazität haben vor allem Monika Brandstetter und Eva Dickmann das Projekt wesentlich mitgetragen. Ihnen allen gebührt mein spezieller Dank. Im Besonde- ren möchte ich mich beim Springer-Verlag bedanken und im Speziellen bei Thomas Lehnert für die Begeisterung und die immer konstruktive, tatkräftige Unterstützung, durch die das Projekt erst entstehen und wachsen konnte. Ich konnte mich jederzeit auf die sehr freundliche, konstruktive und professionelle Zusammenarbeit mit Kathleen Doege sowie dem Team von Monika Riepl (Anne- gret Krap, Christin Hülle, etc. von LE-TeX Jelonek, Schmidt & Voeckler) bei der Projektabwicklung bis hin zum Druck verlassen. Dieses Buch steht unter dem Motto: Tatsächlicher nachhaltiger Fortschritt und Erfolg, basierend auf fundierter Substanz und nicht nur auf der Gabe ober- flächlich, mittels Präsentation und Rhetorik, zu beeindrucken. In unserer Gesellschaft und in Unternehmen werden Strukturen vielfach mit enormem Aufwand danach ausgerichtet, immer die optimale marketinggerechte Perspektive zu finden, unter der die Schattenseiten der Organisation und der Abläufe nicht zu erkennen sind. Ansätze aus den Bereichen Lean und der Wis- Abb. 0.0.V Die Chancen neuer Perspektiven nutzen – herausragende, nachhaltig und im Nachhinein erfolgreiche Ansätze entstehen häufig aus veränderten Blickwinkeln. XII Vorwort senschaft, sowie interdisziplinäre Ansätze können helfen, Perspektiven zu fin- den, um Prozess und Kosten tatsächlich und nachhaltig enorm zu optimieren. Ich möchte dieses Buch meinen Kindern Mark, Cara und Lina widmen, die mir stets den Unterschied zwischen dem Wesentlichen und Unwesentlichen vor Augen führen. München, Juni 2006 Philipp Dickmann Inhaltsverzeichnis Die Struktur von schlankem Materialfluss mit Lean Production, Kanban und Innovationen.................................................................................. 1 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme ..................................... 3 1.1 Lean Production – das Toyota Produktionssystem (TPS) ................... 5 1.1.1 Entwicklung............................................................................... 6 1.1.2 Innovationen und Regeln des TPS .......................................... 8 1.2 Kanban – Element des Toyota Produktionssystems........................... 11 1.2.1 Verfahrensablauf..................................................................... 12 1.2.2 Elemente................................................................................... 12 1.2.3 Eigenschaften der Steuerungsmethode................................. 13 1.3 Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Just-in-time-, Just-in-sequence- und One-piece-flow-Fertigungskonzepten............ 16 1.3.1 Just-in-time (JIT) .................................................................... 16 1.3.2 Just-in-sequence (JIS) ............................................................. 18 1.3.3 One-piece-flow (Einzelstückfluss)......................................... 18 1.3.4 Beispiel aus der Praxis ............................................................ 19 1.4 Kaizen ...................................................................................................... 20 1.4.1 Der Begriff Kaizen................................................................... 20 1.4.2 Gemba-Kaizen ......................................................................... 21 1.4.3 5S-Aktion ................................................................................. 22 1.4.4 Das Kaizen-Management-System.......................................... 22 1.5 Flexible Produktion................................................................................ 23 1.5.1 Problem der Planung .............................................................. 24 1.5.2 Flexible Produktion nach dem Lean-Ansatz ermöglicht es, weitestgehend von Planung unabhängig zu werden ...... 24 1.5.3 Lange Produktionsdurchlaufzeiten in PPS........................... 25 1.5.4 Die Alternative......................................................................... 26 1.5.5 6R – Das Ziel der flexiblen Produktion................................. 27 1.5.6 Festlegung der Fertigungskapazität und Aufbau einer Fertigungslinie ............................................................... 27 1.5.7 Festlegung der Materialbereitstellung und Aufbau der Materiallogistik................................................................. 27 1.5.8 Grundtheoreme betrieblichen Handelns .............................. 29 1.6 Das Synchrone Produktionssystem (SPS)............................................ 30 1.6.1 Die Elemente............................................................................ 31 XIV Inhaltsverzeichnis 1.6.2 Strikte Kundenorientierung................................................... 32 1.6.3 Begriffsfelder des Synchronen Produktionssystems (SPS)......................................................................................... 32 1.7 ForLog – neue Ansätze zur Adaptivität, Bayerischer Forschungsverbund Supra-adaptive Logistiksysteme........................ 34 1.7.1 FlexLog – Flexibilität und Adaptivität .................................. 35 1.7.2 SysLog – IS-Architekturen supra-adaptiver Logistiksysteme in der Automobilindustrie......................... 37 1.7.3 PlanLog – Modellierung und Planung adaptiver Fabrikstrukturen..................................................................... 37 1.7.4 TransLog – Logistikdienstleister-Organisation und Transportnetzwerkstrukturen ....................................... 39 1.7.5 NutzLog – Vorteilsausgleich-Nutzenverteilung .................. 40 1.7.6 MitLog – Mitarbeiterqualifizierung und -mobilität ............ 41 1.8 Low Cost Intelligent Automation (LCIA) ............................................ 43 1.8.1 Das Prinzip in Hochlohnländern .......................................... 43 1.8.2 Die flexiblere Lösung.............................................................. 43 1.8.3 Umsetzung............................................................................... 44 1.8.4 Veränderung der Abläufe ...................................................... 44 1.8.5 Wachstum des Unternehmens-Know-hows ........................ 46 1.9 Poka Yoke – Fehlervermeidungsstrategien.......................................... 46 1.9.1 Qualitätsphilosophie, abgeleitet von Poka Yoke.................. 47 1.9.2 Eigenschaften und Elemente ................................................. 48 1.9.3 Methoden und Regeln ............................................................ 49 1.9.4 Ablauf von Aktivitäten ........................................................... 50 1.10 Total Productive Management (TPM) ................................................. 51 1.10.1 Definition................................................................................. 52 1.10.2 Das Gesamtsystem TPM......................................................... 52 1.10.3 Die 4 Basissäulen des Managementsystems......................... 53 1.11 Qualitätsmanagement............................................................................ 58 1.11.1 Der Qualitätsbegriff im betrieblichen Sinne ........................ 58 1.11.2 Anwenderbezogene Qualitätsdefinition ............................... 60 1.11.3 Abschließende Bemerkungen zum Thema „Qualität“ ........ 61 1.11.4 Pragmatische Ansätze für den schlanken Materialfluss mit Lean Production ............................................................... 61 1.12 Six Sigma................................................................................................. 62 1.12.1 Abgrenzung von Lean, TQM, TPM und Six Sigma.............. 62 1.12.2 Aufwand für die Six Sigma Einführung................................ 62 1.12.3 Das Vorgehen mit DMAIC und DFSS................................... 63 1.12.4 Sigma Wert und Philosophie ................................................. 63 1.12.5 RTY (Rolled Throughput Yield)............................................ 64 1.12.6 Infrastruktur im Unternehmen............................................. 64 1.12.7 Methodeneinsatz..................................................................... 65 Inhaltsverzeichnis XV 1.12.8 Softwareeinsatz........................................................................ 66 1.12.9 Führung und Probleme bei der Einführung......................... 66 1.12.10 Aussichten von Six Sigma....................................................... 66 1.13 CAQ-Systeme – Computergestütztes Qualitätsmanagement............. 67 1.13.1 Grundlagen von CAQ-Management...................................... 67 1.13.2 CAQ-Systeme in der Praxis .................................................... 68 1.14 Prozessorientierung – Ursachen ermitteln, statt Symptome beheben ................................................................................................... 71 1.14.1 Prozessorientierung – ein Element des Toyota Produktionssystems (TPS)..................................................... 72 1.14.2 Wachstum der indirekten Bereiche durch Ergebnisorientierung................................................... 74 1.14.3 Prozessoptimierungsstrategien ............................................. 76 1.15 Differenzierte Prozesskostenrechnung ................................................ 78 1.15.1 Kostenrechnung ...................................................................... 80 1.15.2 Komplexitätsproblem im „IT-Zeitalter“............................... 80 1.15.3 Prinzip der Standard-Prozesskostenrechnung .................... 81 1.15.4 Verifikation nicht konstanter Einflussfaktoren auf die Kostentreiber .............................................................. 82 1.15.5 Konsequenzen von unberücksichtigten, nicht konstanten Einflussfaktoren – am Beispiel Großserienteil und Ersatzteil ................................................. 84 1.15.6 Ablauf einer interdisziplinären, differenzierten Prozesskostenanalyse (IDP)................................................... 85 1.15.7 Interdisziplinäre Arbeitsablaufstudie als Basis einer differenzierten Prozesskostenrechnung...................... 85 1.16 Dezentrale und schlanke Strukturen – Gemba-Orientierung ............ 86 1.16.1 Räumliche Nähe korreliert mit sozialer Nähe...................... 87 1.16.2 Dezentrale Verantwortungsstrukturen – die Entscheidung zur Verantwortung beim Spezialisten .... 88 1.16.3 Stufen der Dezentralisierung ................................................. 88 1.16.4 Lean Management................................................................... 90 1.17 Kaizen in den indirekten Bereichen ..................................................... 92 1.17.1 Weniger Fläche, schnellerer Durchlauf und Effizienzsteigerung sind gefragt..................................... 93 1.17.2 Strukturierte Vorgehensweise ............................................... 93 1.17.3 Visualisierung steigert den Erfolg ......................................... 96 1.18 Probleme sind Schätze – Management-Ethik als Folge der Lean Production............................................................................... 96 1.18.1 Ethik und Managementziele des Toyota Produktionssystems (TPS)..................................................... 97 1.18.2 Der Managementkreis – verbesserte Kommunikation und Führung............................................................................ 98 XVI Inhaltsverzeichnis 1.18.3 Probleme sind Schätze – Kooperativer Führungsstil .......... 99 1.18.4 Ethik als evolutionäres Erfolgskonzept .............................. 100 1.18.5 Maßnahmen zum nachhaltigen Managementerfolg ......... 100 1.19 Veränderungen im Unternehmen ...................................................... 102 1.19.1 Technisches Änderungsmanagement................................. 103 1.19.2 Veränderungsmanagement – Change Management ......... 108 1.19.3 Dynamische, ganzheitliche Lean-Veränderungsprozesse ............................................... 110 1.19.4 Dynamische Evolution in eine erfolgreiche Zukunft ........ 113 1.20 Produktions- und wertstromgerechte Konstruktion........................ 117 1.20.1 Von klassischen ingenieurmäßigen Konstruktionsabläufen zur fundierten Produktentstehung ............................................................... 117 1.20.2 Wertanalyse – Produkte fundiert nach abgestimmten Zielen definieren und entwickeln........................................ 118 1.20.3 Konstruktionsqualität .......................................................... 120 1.20.4 Konstruktionsfehler vermeiden mit GD-Cube (GD3) und Design Review Based on Failure Mode (DRBFM) ..... 121 1.20.5 Standards – die Basis für professionelle Konstruktion..... 123 1.20.6 Lieferanteneinbindung in Entwicklung und Konstruktion ................................................................. 124 1.20.7 Automatisierte Konstruktionssysteme............................... 125 1.20.8 Von der montagegerechten zur wertstromgerechten Konstruktion ......................................................................... 126 1.21 Kundenorientierung ............................................................................ 130 1.21.1 Kundenorientierung in der Lieferkette .............................. 130 1.21.2 Das neue Entscheidungskriterium heißt Flexibilität......... 131 1.22 Vertriebsqualität – Prognose .............................................................. 132 1.22.1 Überproduktion und Kundentakt....................................... 132 1.22.2 Kundenorientierte Unternehmensstrukturen ................... 135 1.23 Neue Ansätze zur Vermittlung moderner und schlanker Produktionsmethoden......................................................................... 135 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban ....................................................................................................... 139 2.1 Ruhiger, kontinuierlicher Materialfluss............................................. 139 2.1.1 Regeln für einen kontinuierlichen und störungsfreien Materialfluss ........................................ 140 2.2 Wertschöpfungsanalyse des Materialflusses – „Das Einfachste ist das Beste“ und Lean Intelligent Logistics (LILO) ........................ 148 2.2.1 Materialfluss am Arbeitsplatz.............................................. 149 2.2.2 Innerbetrieblicher Materialfluss.......................................... 149 2.2.3 Überbetrieblicher Materialfluss .......................................... 150 Inhaltsverzeichnis XVII 2.2.4 „Das Einfachste ist das Beste“.............................................. 151 2.2.5 Lean Intelligent Logistics (LILO)......................................... 152 2.3 Grundlegende Steuerungsverfahren................................................... 156 2.3.1 Bedarfsorientierte Verfahren ............................................... 158 2.3.2 Bestandsorientierte Verfahren............................................. 158 2.3.3 Prognosebasierte Verfahren................................................. 160 2.3.4 Belastungsorientierte Verfahren.......................................... 161 2.3.5 Generalisierte oder funktionale Steuerungen..................... 162 2.4 Die Kanban-Steuerung ........................................................................ 162 2.4.1 Kanban – der Allrounder ..................................................... 163 2.4.2 Die Steuerung und ihre Eigenschaften................................ 163 2.4.3 Varianten der Steuerungsmethode ..................................... 165 2.4.4 Varianten der Steuerungsebene........................................... 167 2.4.5 Varianten aufgrund der Karten ........................................... 167 2.5 Dimensionierung von Kanban-Regelkreisen .................................... 168 2.5.1 Berechnung des Umlaufbestandes ...................................... 169 2.5.2 Berechnung des Sicherheitsbestandes ................................ 171 2.5.3 Beispiel ................................................................................... 174 2.6 Steuerungsverfahren mit Karten......................................................... 175 2.6.1 Bestandsorientierte Verfahren............................................. 176 2.6.2 Prognosebasierte Verfahren................................................. 176 2.6.3 Belastungsorientierte Verfahren.......................................... 177 2.6.4 Funktionsbasierte flexible Steuerung.................................. 178 2.7 Dezentrale Bestandsorientierte Fertigungsregelung (DBF) ............. 178 2.7.1 Funktionsweise...................................................................... 179 2.7.2 Anwendungsgebiete.............................................................. 180 2.7.3 Erweiterungen ....................................................................... 180 2.7.4 Alternative Verfahren........................................................... 180 2.8 Das Production Authorization Card (PAC)-Konzept – ein Metakonzept zur Materialflusssteuerung .................................... 181 2.9 Hybride Steuerungskonzepte .............................................................. 184 2.9.1 Hybride operative Steuerungs-Algorithmen...................... 185 2.9.2 Hybride Steuerungen in der Simulation zur Ermittlung des optimalen Algorithmus und zur dynamischen Dimensionierung .................................................................. 187 2.9.3 Hybride Steuerungen nach einer erweiterten Definition der Materialflusssteuerung................................................... 187 2.10 Matrixhybride Materialflusssteuerung............................................... 191 2.10.1 Matrixhybride Steuerung (MHS) – das Chaos der Steuerungsinformationen nutzen und beherrschen ... 191 2.10.2 Dezentrale Entscheidungskompetenz................................. 192 2.10.3 Hybride Dimensionierung der Regelkreise ........................ 192 2.10.4 Matrixhybride Kanban-MRP-Steuerung ............................ 193 XVIII Inhaltsverzeichnis 2.10.5 Reduzierung von Störgrößen durch Abgleich ................... 194 2.10.6 Reduzierung der Kanban-Puffer ohne Risiko.................... 195 2.10.7 Ausweitung der Kanban-Penetration bei komplexen Produktionsprozessen und Produkten............................... 196 2.10.8 Ergebnisse am Beispiel Voith .............................................. 197 2.11 Heterogene Materialflusssysteme....................................................... 197 2.11.1 Direkte steuerungsselektive Kriterien ................................ 200 2.11.2 Indirekte Steuerungskriterien ............................................. 203 2.12 Steuerungsmanagement ...................................................................... 205 2.12.1 Steuerung der Herstellprozesse – eine Managementaufgabe .................................................... 206 2.12.2 Integration hybrider interdisziplinärer Informationen beim Steuerungsmanagement ............................................. 208 2.12.3 Iterative Managementstruktur ............................................ 210 2.13 Logistikcontrolling im schlanken Materialfluss mit der Valuecycle Analyze (VCA)..................................................... 211 2.13.1 Intransparenz der Kostenstrukturen .................................. 213 2.13.2 Dynamische contra statische Bestände............................... 214 2.13.3 Die neuen Differenztypen im schlanken System ............... 214 2.13.4 Valuecycle Analyze (VCA)................................................... 215 2.14 Valuecycle Optimizing (VCO) ............................................................ 219 2.14.1 Dimensionierung von Kanban und Just-in-time Steuerungen........................................................................... 219 2.14.2 Methoden des TPS, Wertschöpfungsanalyse und zeitwirtschaftliche Methoden übertragen auf den Kanban-Kreis .......................................................... 220 2.14.3 Die Umlaufzeit als Basis der Betrachtung .......................... 222 2.14.4 Die Methode des Valuecycle Optimizing ........................... 222 2.14.5 Projektablauf ......................................................................... 224 2.14.6 Kanban-Controlling ............................................................. 224 2.14.7 Anwendungsfälle .................................................................. 225 3 Kanban – der Weg ist das Ziel........................................................................ 227 3.1 Projektmanagement zur Einführung von Kanban-Steuerungen ................................................................... 230 3.1.1 Prinzipien zur Einführung von Kanban-Steuerungen...... 230 3.1.2 Voraussetzungen zur Einführung von Kanban-Steuerung................................................................ 231 3.1.3 Zusammensetzung des Projektteams und Aufgaben ........ 232 3.1.4 Projektplan ............................................................................ 234 3.1.5 Definition von Prozessen nach der Implementierung ...... 236 3.2 Kanban-Karten..................................................................................... 236 3.2.1 Steuerungsvarianten, die sich durch den Karten-Typ bzw. das Karten-Handling definieren................................. 237 Inhaltsverzeichnis XIX 3.2.2 Sicht-Kanban-Karten:........................................................... 238 3.2.3 Informationen auf der Karte................................................ 238 3.2.4 Hardware der Karten ............................................................ 240 3.2.5 Kanban für Gemeinkostengüter .......................................... 245 3.3 Produktionsnivellierung – mit Heijunka Produktion und Logistik stabilisieren..................................................................... 248 3.3.1 Die Problemstellung von Produktionsnivellierung mit Heijunka .......................................................................... 248 3.3.2 Ziele der Produktionsnivellierung....................................... 249 3.3.3 Notwendigkeit verkleinerter Losgrößen............................. 249 3.3.4 Heijunka als Steuerungsprinzip........................................... 251 3.3.5 Visualisierung von Produktionsaufträgen mit Heijunka-Tafeln.............................................................. 252 3.3.6 Die Güte der Produktionsnivellierung................................ 253 3.4 Effizienter Materialfluss mit der richtigen Regaltechnik – Dynamik im Lager................................................................................ 254 3.4.1 Regalsysteme – So kommt Bewegung ins Lager................. 255 3.4.2 Paletten-Durchlaufsysteme – Kein Problem mit schweren Lasten ............................................................. 258 3.4.3 Stückgut-Durchlaufsysteme – Kartonagen und Stückgutgebinde ins Rollen bringen............................ 259 3.4.4 Lagertuning – eine kostengünstige Lösung ........................ 260 3.4.5 Höchste Flexibilität – Spaß am Lagern ............................... 260 3.4.6 Bis zu 50 % Raumgewinn...................................................... 261 3.5 Flexible, ergonomische Arbeitsplatzgestaltung – Steigerung der Effizienz am Beispiel der manuellen Produktionssysteme (MPS) ..................................................................................................... 261 3.6 Verpackung – Moleküle des Materialflusses ..................................... 266 3.6.1 Kernaufgaben der Verpackung............................................ 267 3.6.2 Betriebswirtschaftliche Risiken ........................................... 268 3.6.3 Verschwendung in Gebinde, Lager und Transport ....................................................................... 268 3.6.4 Einflussgrößen für den Materialfluss .................................. 270 3.6.5 Prozessvergleiche von Verpackungsvarianten................... 272 3.6.6 Kostenabschätzung ............................................................... 273 3.7 Materialstamm-, Materialfluss- und Wertstromanalysen................ 274 3.7.1 Variantenentwicklung und Auswirkungen auf die Produktion ................................................................ 275 3.7.2 Wertstromanalyse ................................................................. 276 3.7.3 Systembasierte Datenanalyse............................................... 278 3.8 Moderne Fabrikplanung – Materialfluss- und Arbeitsplatzdesign ........................................................................ 282 3.8.1 Moderne Werkzeuge in der Fabrikplanung ....................... 282 3.8.2 Integrative Planung und Wandlungsfähigkeit ................... 285 XX Inhaltsverzeichnis 3.9 Virtual Reality und Augmented Reality in der Materialflussplanung ................................................................ 287 3.9.1 Technologie ........................................................................... 287 3.9.2 Nutzen und Anwendungen.................................................. 287 3.10 Fabrik- und Materialflusssimulation direkt aus einem ERP/PPS- System heraus – einfacher ist mehr!................................................... 289 3.11 Störparameter im Materialfluss und in Produktionssystemen ....... 294 3.12 Flexible Entgeltsysteme ....................................................................... 297 3.12.1 Arbeiten in Teams ................................................................ 297 3.12.2 Flexibilisierung der Einkommen......................................... 298 3.12.3 Beispiel für ein leistungsorientiertes Entgelt ..................... 298 3.13 Durchgängige Schulungssysteme – Qualifizieren statt kapitulieren........................................................... 299 3.13.1 Konsequente Umsetzung als Erfolgsgarantie .................... 300 3.13.2 Wesentliche Bestandteile erfolgreicher Trainingsprogramme ........................................................... 301 3.13.3 Erfolgsfaktoren bei der Umsetzung .................................... 302 3.13.4 Lean-Enterprise-Methoden zur Standortsicherung .......... 303 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban .......................................... 305 4.1 Einführung eines Supply Chain Management (SCM) Systems mit speziellen Anforderungen beim Lieferanten-Kanban ............... 308 4.1.1 Umsetzung einer schlanken SCM-Lösung mit Kanban .... 309 4.1.2 Ziele der Lieferantenkooperation........................................ 310 4.1.3 Konkrete Umsetzungsvorgaben .......................................... 312 4.1.4 Operative Supply Chain-Steuerung und Dispositonskonzepte .................................................... 312 4.1.5 Abstimmung und Schulung................................................. 315 4.1.6 Projektabwicklung................................................................ 315 4.1.7 Lieferantenbewertung und -klassifizierung ....................... 315 4.1.8 Strategie der Lieferantenfokussierung................................ 317 4.2 C-Teile-Management – Ursprung, Chancen, Risiken und Ansatzpunkte................................................................................ 318 4.2.1 Potentiale und Ziele.............................................................. 319 4.2.2 Charakteristika von C-Teilen .............................................. 320 4.2.3 Das Kaufhauskonzept als Ursprung ................................... 320 4.2.4 Varianten der Beschaffung .................................................. 321 4.2.5 Schritte zur Einführung und zum Betrieb .......................... 322 4.2.6 Grenzen des Systems ............................................................ 323 4.2.7 Resümee................................................................................. 323 4.3 C-Teile-Management – optimale Prozesse ........................................ 324 4.3.1 Prozessvereinfachungen ...................................................... 325 4.3.2 Produkt- und Prozessqualität.............................................. 325 Inhaltsverzeichnis XXI 4.3.3 Zuverlässigkeit....................................................................... 327 4.3.4 Kontinuierliche Verbesserung............................................. 329 4.4 Die Erweiterung des C-Teile-Managements ...................................... 329 4.4.1 Welche Teile eignen sich für ein C-Teile-Management in der Produktion? ................................................................ 330 4.4.2 Welche Teile sind geeignet für ein C-Teile-Management in der Betriebsinstandhaltung? ............................................ 330 4.4.3 Was sind die Stärken und Schwächen der möglichen Dienstleister für C-Teile-Management? .............................. 331 4.4.4 Was übernimmt ein C-Teile-Dienstleister? ........................ 331 4.4.5 Wo sind die Grenzen des C-Teile-Managements? ............. 334 4.5 Lieferantenmanagement und -optimierung ...................................... 334 4.5.1 Konzepte zur hochvolumigen Einkaufspreisreduzierung .................................................... 335 4.5.2 Qualitätsmanagement-orientierte Konzepte zur Lieferantenoptimierung................................................. 339 4.5.3 Lean-Philosophie-orientierte Lieferanten- und Kostenoptimierung ....................................................... 340 4.5.4 Lieferantenentwicklung am Beispiel Nissan....................... 342 4.5.5 Umsetzung einer Lieferantenoptimierung mit Lean-Philosophie............................................................ 343 4.6 Kooperationsmanagement – Netzwerke ............................................ 347 4.6.1 Was sind Netzwerke? ............................................................ 347 4.6.2 Netzwerke – die nächste Evolutionsstufe der klassischen Managementmethoden zur Prozessoptimierung? ...................................................... 348 4.6.3 Kooperationsmanagement................................................... 349 4.6.4 Erfolgsfaktoren des Kooperationsmanagements............... 350 4.6.5 Kanban – ein wesentliches ordnungspolitisches Element fertigungsorientierter Kooperationsformen ....... 351 4.6.6 Win-Win-Situation ............................................................... 352 4.7 Intensiv-Lieferantenentwicklung........................................................ 352 4.7.1 Unterschätzte Auswirkungen von Krisenlieferanten ........ 353 4.7.2 Lieferantenprobleme bei Konzernen .................................. 354 4.7.3 Lieferantenprobleme bei klein- und mittelständischen Unternehmen......................................................................... 354 4.7.4 Provokation eines Lieferantenmarktes durch Auslastungsorientierung und Verzögern von Investitionen .................................................................. 355 4.7.5 „Feuerlöschen“ als Normalzustand..................................... 356 4.7.6 Wege aus dem Krisenmanagement ..................................... 358 4.7.7 Process Due Diligence – die Intensiv-Lieferantenentwicklung .................................. 359 XXII Inhaltsverzeichnis 4.8 Outsourcing und Lieferantenwechsel ................................................ 361 4.8.1 Outsourcing........................................................................... 361 4.8.2 Insourcing.............................................................................. 362 4.8.3 Lieferantenwechsel ............................................................... 363 4.8.4 Kostenrechnung.................................................................... 364 4.8.5 Kernkompetenzanalyse (KKA)............................................ 365 4.8.6 Make-or-buy-Analyse (MoB) mit Risikofaktoren............. 366 4.8.7 Chancen und Risiken – abwägen und optimieren............. 367 4.9 Logistik-Outsourcing – Checkliste ..................................................... 368 4.9.1 Logistik-Outsourcing ........................................................... 368 4.9.2 Checkliste für Logistik-Outsourcing................................... 368 4.10 Transport-Logistik im Rahmen des Supply Chain Management .... 371 4.10.1 Die Auswahl des Logistikpartners....................................... 371 4.10.2 Das Optimierungspotential ................................................. 372 4.10.3 Die Schnittstellen mit anderen SCM-Bereichen ................ 372 4.10.4 Fazit........................................................................................ 373 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss .................. 375 5.1 Reduzierung von Fehlerraten in IT-Systemen und im Materialfluss ............................................................................ 381 5.1.1 Unternehmensstrukturelle und soziologische Auswirkungen moderner IT-Systeme................................. 382 5.1.2 Störgrößen im modernen Materialfluss und in MRP-Systemen.......................................................... 384 5.1.3 Verbesserung der Datenqualität ......................................... 390 5.2 EDV-Unterstützung moderner Produktionsabläufe am Beispiel von Kanban unter Betrachtung konsistenter Daten......................... 392 5.2.1 Schlanker Materialfluss mit Kanban und MRP am Beispiel des „Fertigproduzierens“ einer Montage im Kundentakt ...................................................................... 393 5.2.2 Absatz- und Materialbedarfsplanung mit EDV ................. 394 5.2.3 Konsistente Daten mit EDV................................................. 395 5.2.4 Datenpflege............................................................................ 396 5.2.5 Innovationen umsetzen........................................................ 396 5.3 IT in der Produktion............................................................................ 397 5.3.1 Das Prinzip von Datenbanksystemen, Reporting- oder Analysefunktionen....................................................... 398 5.3.2 Produktionsprozesse lassen sich schlecht als geschlossenes System abbilden...................................... 398 5.3.3 Verschwendung zu eliminieren sollte im Focus stehen ..................................................................................... 399 5.3.4 Sinnvoller Einsatz von IT..................................................... 399 5.3.5 Synchrone IT ......................................................................... 399 Inhaltsverzeichnis XXIII 5.4 Kaizen in der IT .................................................................................... 400 5.4.1 Der Mensch steht über der Technik .................................... 401 5.4.2 Den Stein ins Rollen bringen mit der 5-S-Kampagne........ 401 5.4.3 Die nächsten Schritte ............................................................ 402 5.5 Elektronische Kanban-Systeme (eKanban)....................................... 403 5.5.1 eKanban als Visualisierung der Bestellbestandssteuerung .............................................. 403 5.5.2 eKanban basierend auf einem Warehouse-Management-System (WMS).......................... 404 5.5.3 Varianten des Auftragsstarts ............................................... 404 5.5.4 Einführung von eKanban-Steuerungen.............................. 408 5.6 Simulationsbasierte Optimierung der operativen Produktionsplanung und Lagerhaltung in heterogenen Produktionssystemen........................................................................... 410 5.7 Kanban Dimensionierungs-Systeme (KDS) ...................................... 413 5.7.1 Komplexität der Dimensionierung...................................... 413 5.7.2 Statische Dimensionierung – Standardlösungen............... 415 5.7.3 Dimensionierung mittels hybrider Steuerungsinformationen .................................................... 415 5.7.4 Iterative Prozessoptimierung............................................... 416 5.7.5 Dynamische Auswahl der Steuerungsmethode – am Beispiel MRP und Kanban ............................................. 417 5.7.6 Dynamische Dimensionierung entlang der Zeitachse....... 419 5.7.7 Simulationsbasierte Kanban-Dimensionierung ................ 420 5.8 Mikro-MRP-Systeme............................................................................ 421 5.9 Schlanke Software steuert Geschäftsprozesse und Materialflüsse im Mittelstand....................................................................................... 425 5.9.1 Anwendungsbeispiel Werkzeugbau .................................... 427 5.9.2 Anwendungsbeispiel Maschinenbau................................... 428 5.10 Produktionsoptimierung mit SAP am Beispiel Kanban................... 429 5.10.1 Erweiterung der Kanban-Philosophie durch Integriertes eKanban ................................................. 429 5.10.2 Adaptives Prozessmodell als Grundlage für eKanban ...... 430 5.10.3 Erweiterte Kanban-Prozesse unterstützen die Philosophie ...................................................................... 431 5.10.4 Kollaborative Prozesse um Kanban .................................... 431 5.10.5 eKanban mit SAP – Aktuelle Trends und Zusammenfassung ........................................................ 432 5.11 Visualisierte Informationstechnologie............................................... 433 5.11.1 Der Mensch und seine Sinne................................................ 433 5.11.2 Schnelleres Lernen durch systematische Führung ............ 434 5.11.3 Besser und produktiver durch systematische Führung..... 435 5.11.4 Der Quantensprung in der Produktion............................... 436 XXIV Inhaltsverzeichnis 5.12 Papierlose Fertigung und visualisierte Montageführung und Qualitätssicherung ....................................................................... 437 5.12.1 Ziele bildgeführter IT im Produktionsbereich................... 438 5.12.2 Elektronische Verteilung von visualisierten Arbeitsanweisungen an Montage- und Qualitätskontrollstationen........................................... 438 5.12.3 Interaktive Fertigungsprozesse ........................................... 439 5.12.4 Papierlose Fabrik .................................................................. 439 5.12.5 Frühwarnportale – Aktion anstatt Reaktion oder Statistiken ..................................................................... 441 5.12.6 Die Zukunftsvision in der Informationstechnologie......... 443 5.13 Production Synchronized Software (PSS).......................................... 443 5.13.1 Optimaler Prozess und Standard-MRP-Systeme............... 444 5.13.2 Unabgestimmte IT-Landschaften verhindern effiziente Prozesse................................................................. 445 5.13.3 Eigenschaften effizienter individueller PSS-Tools............. 446 5.13.4 Anwendungsgebiete von PSS............................................... 448 5.14 Identifizieren mit automatischer Identifikation (Auto-ID) – Radio Frequency Identification (RFID) und/oder Barcode ............. 448 5.14.1 Auto-ID – Welche Technologien gibt es? ........................... 449 5.14.2 Gegenüberstellung der verschiedenen Technologien ....... 449 5.14.3 Barcode versus RFID ............................................................ 450 5.14.4 Eigenschaften von Transpondern ....................................... 450 5.14.5 Einsatzbeispiele verschiedener Frequenztypen ................. 451 5.14.6 Ersetzt RFID den Barcode – Wo sind die Grenzen? .......... 452 5.14.7 Verwendete Auto-ID-Standards.......................................... 453 5.15 Neue Ansätze ergonomischer Kommunikationstechnologien zu MRP-Systemen ................................................................................ 454 5.15.1 Techniken zur Identifikation im Montageprozess ............ 455 5.15.2 Methoden und Systeme zur Erstellung von Montageanweisungen ................................................... 457 5.15.3 Visualisierung/Ausgabe von Montageanweisungen ......... 459 5.15.4 Pick-to-vision-Systeme ........................................................ 460 Abbildungsverzeichnis ............................................................................................ 465 Tabellenverzeichnis.................................................................................................. 473 Literatur ..................................................................................................................... 475 Index ........................................................................................................................... 485 Autorenverzeichnis Aull, Florian (3.1) Bartholomay, Christian (1.4) Beer, Anja (4.2) Berlak, Joachim (3.10, 5.9) Boppert, Julia (1.7) Dickmann, Eva (1.2, 1.15, 2.10, 2.11, 2.12, 2.14, 2.14, 3.2, 4.7, 4.8, 4.9, 5, 5.1, 5.5, 5.7, 5.13) Dickmann, Philipp (1, 1.1, 1.2, 1.9, 1.14, 1.15, 1.16, 1.18, 1.19, 1.20, 1.21, 1.22, 2, 2.1, 2.2, 2.3, 2.4, 2.6, 2.9, 2.10, 2.12, 2.13, 2.14, 3.6, 4, 4.1, 4.5, 4.7, 4.8, 5.1, 5.7) Ehlers, Jörg-Dieter (5.8) Ellerbrock, Kersten (5.11, 5.12) Fischäder, Holm (3.11) Gerlach, Joachim (3.2) Gerth, Wolf-Michael (4.8, 4.9) Graßy, Mario (4.3) Gröbner, Michael (1.3) Harting, Lothar (1.11) Henneberg, Jens (3.5) Herron , Colin (4.5) Kapalla, Klaus (3.4) Kress, Oliver (3.13) Kuhn, Christian (5.10) Kuttler, Robert (3.8) Leikep, Sabine (1.17) Lödding, Hermann (2.7) Mack, Georg (5.2) Michels, Friedhelm (1.6, 1.8, 5.3) Möller, Niklas (2.5) Pfister, Johannes (1.12) Reimer, Sebastian (5.4) Reitz, Andreas (1.10) Rosenhammer, Thomas (5.14) Rücker, Thomas (2.8, 5.6) Rudolf, Henning (5.15) Schedlbauer, Michael (1.7) Scheid , Wolf-Michael (Geleitwort) Schmidt, Peter (4.6) Schneider, Herfried M. (2.8, 3.11, 5.6) Schürle, Philipp (3, 3.3) Seidl, Florian (4.4) Stellpflug, Franz-Josef (3.12) Takeda, Hitoshi (1.6, 1.8) Thews, Michael (1.13) Vogl, Wolfgang (5.15) Wannenwetsch, Ralph (3.7) Wiesbeck, Mathey (5.15) Wilbert, Fred (1.5) Wittmann, Claus-Eduard (4.10) Wulz, Johannes (3.9) Zäh, Michael F. (2.5, 3.1, 5.15) Abkürzungsverzeichnis Abkürzung Beschreibung 0-BK Null-Bestands-Konzept 1PF One-piece-flow ANOVA analysis of variance APQP Vorausschauende Qualitätsplanung APS Advanced Planning and Scheduling AR Augmented Reality ASIP Alliance Supplier Improvement Activity ATO Assemble-to-order BA Business-Administration BDE Betriebsdaten-Erfassungs-Systeme BOA Belastungsorientierte Auftragsfreigabe B-to-B Business-to-business CAD Computer Aided Design CAQ Computer Aided Quality Management CBP Constraint Based Planning CCG Centrale für Coorganisation CEO Chief Executive Officer, dt. Geschäftsführer CIM Computer Integrated Manufacturing CONWIP CONstant Work-In-Process COPQ Cost of poor quality CPFR Collaborative Planning Forecasting Replenishment CTQ Critical-to-Quality, Qualitätskritische Faktoren DBF Dezentrale Bestandsorientierte Fertigungsregelung DFSS Design for Six Sigma DIN Deutsches Institut für Normung DLZ Durchlaufzeit DMAIC Define, Measure, Analyze, Improve, Control DOE Design of Experiments DPMO Defects per million Opportunities DRBFM Design Review Based on Failure Mode EAN European Article Number EDI Electronic Data Interchange EDV Elektronische Datenverarbeitung EOP End of Production EPC Elektronischen Produktcode XXVIII Abkürzungsverzeichnis EPEI Every part every intervall EREA Enterprise Resource Execution and Administration ERP Enterprise Resource Planning ESD electrostatic discharge F&E Forschung und Entwicklung FCFS First-Come-First-Serve-Regel FDLZ Fertigungsdurchlaufzeit FIFO First-in-first-out FMEA Failure Mode and Effects Analysis, B77dt. Fehlermöglichkeit- und Einflussanalyse FPY First Passed Yield FTO Finish-to-order FZK Fortschrittszahlenkonzept GD3 GD-Cube Geff Gesamtanlageneffektivität GS1 Normierungsorganisation Global Standards One: Global Standards for Business HF High-frequency HGB Handelsgesetzbuch HHS horizontale hybride Steuerungen IC Integrated Circuit IDEAS Identify, Design, Evaluate, Assess, Scale up IDOC Invent, Develop, Optimize, Control IP Incremental Planning IPK In-Process-Kanban-Karten ISBN International Standard Book Number ISI Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung ISO Internationale Organisation für Normung ISSN International Standard Serial Number IT Informationstechnologie JIS Just-in-sequence JIT Just-in-time KDS Kanban-Dimensionierungs-System KEZ Kundenerwartungszeit KLT Kleinladungsträger KLZ Kundenlieferzeit KMS Kaizen-Management-System KMU Klein- und mittelständische Unternehmen KOA Japanisches Unternehmen KVP dt. Kontinuierlicher Verbesserungsprozess KZZ Kanban-Zykluszeit LAN Local Area Network LCA Life Cycle Studien LCIA Low Cost Intelligent Automation Abkürzungsverzeichnis XXIX LDL Logistik-Dienstleistern LF Low-frequency LILO Lean Intelligent Logistics LMH Ladehilfsmittel MDP Markov Decision Process MHD Mindesthaltbarkeitsdatum MHS Matrixhybride Steuerung MNK Materialnummernneutrales Kanban MoB Make-or-buy MPS Manuelle Produktionssysteme MRP Material Requirements Planning MRPII Production Resource Planning MSA Messsystemanalyse MTBF Meantime-between-failure MTM Methods-Time Measurement MTO Make-to-order MTS Make-to-stock MTTR Meantime-to-repair MUC Multi-User-Center NVE Nummer der Versandeinheit OCR Optical Character Recognition ODETTE Organisation for Data Exchange by Tele Transmission in Europe OEE Overall Equipment Effectiveness oder Gesamtanlageneffektivität OEM Original Equipment Manufacturer (Originalausrüstungshersteller) OPF One-piece-flow OPT Optimized Production Technology PA Production Authorization PAC Production Authorization Card Konzept PDAC Plan-Do-Act-Challenge PDCA plan-do-check-act PDS Paletten-Durchlaufsysteme PICOS Purchased Input Concept Optimisation with Suppliers PICS Production Information and Control System POLCA Paired-Cell Overlapping Loops of Cards with Authorization PPS Produktionsplanungs- und Steuerungssystem PSS Production Synchronized Software QDA Qualitäts-Daten-Analyse QFD Quality Function Deployment QM Qualitätsmanagement REFA REichsausschuss Für Arbeitszeitermittlung RFID Radio Frequency Identification RTY Rolled Throughput Yield, dt. Prozessausbeute SC Supply Chain SCE Supply Chain Execution XXX Abkürzungsverzeichnis SCM Supply Chain Management SDS Stückgut-Durchlaufsysteme SDT Supplier Development Team SIPOC Prozessabgrenzung SNP Standard number of parts SOP Start of Production SP Simultanous Planning SPC statistische Prozessregelung SPS Synchrones Produktionssystem Std Stunde TCI Total Cost Investigation TCO Total Cost of Ownership TE Transpondereinheit TPM Total Productive Maintenance TPS Toyota Produktionssystem TQC Total Quality Control TQM Total Quality Management TQS Total Quality Systems TRIZ Theory of Inventive Problem Solving, dt. Theorie der innovativen Problemlösung UHF Ultra-high-frequency VCA Valuecycle Analyze VCO Valuecycle Optimizing VDA Verband der Automobilindustrie VDHS Vertikal dezentrale hybride Steuerungen VHS vertikale hybride Steuerungen VLVS Vertikal linear verknüpfte Steuerungen VMI Vendor Managed Inventory VOC Voice of Customer, dt. Kundenstimme VR Virtual Reality VSA Valuestream Analyze WAN Wide Area Network WBZ Wiederbeschaffungszeit WEB World Wide Web WIP Work-in-process WMRC World Market Research Center WMS Warehouse-Management-System WWW World Wide Web Die Struktur von schlankem Materialfluss mit Lean Production, Kanban und Innovationen In der Literatur wird Materialfluss überwiegend in Spezialdisziplinen betrachtet, etwa der Steuerungslogik, der Logistiktechnik oder dem Supply Chain Manage- ment. Ein charakterisierendes Merkmal des Materialflusses ist jedoch, dass er sich aus vielfältigen Einzelbausteinen zusammensetzt, die alle harmonisch abgestimmt sein müssen. Die maximal erreichbare Effizienz wird nicht durch Höchstleistun- gen in dem einen oder anderen Spezialthema bestimmt, sondern durch das schwächste Glied im gesamten komplexen Netzwerk. Den Schnittstellen zwischen den betroffenen Fachbereichen in einem Unternehmen kommt hier eine ganz be- sondere Bedeutung zu: Erst ein harmonischer Einklang ermöglicht hohe Effektivi- tät. Dies setzt umfassendes Verständnis für interdisziplinäre Notwendigkeiten, ein hohes Maß an Abstimmung mit den operativen Prozessen und letztlich einen ein- vernehmlichen Umgang und den Respekt vor den Problemstellungen des Anderen voraus. Es ist also notwendig, eine umfassende interdisziplinäre Lösung anzustre- ben, die keine Teilaspekte unberücksichtigt lässt. Alle notwendigen angrenzenden Abb. 0.0.1 Die interdisziplinären Aufgabenstellungen im Materialfluss: Erst mit interner kontinuierlicher Verbesserung sowie dem Einsatz von Best Practice-Methoden und aktu- ellen wissenschaftlichen Errungenschaften kann ein optimaler Materialfluss erreicht werden. 2 Die Struktur von schlankem Materialfluss Fachbereiche mit ihren teils kontroversen Thesen und Zielvorstellungen müssen integriert werden. In der Realität der Unternehmen sind nicht selten Zielkonflikte vorhanden, die zu enormen Spannungen und enormer Verschwendung führen. Moderne Hilfsmittel und Methoden des Maschinenbaus, der Logistik, der Be- triebswirtschaftlehre und der Informationstechnik müssen, um im globalen Markt konkurrenzfähig zu sein, gleichermaßen perfekt umgesetzt werden. Aka- demische Kompetenz muss auf einer anderen Ebene „Hand in Hand“ ergänzt werden durch hochwertige erfahrungsbasierte Methoden und differenziertes praktisches Know-how der realen Umsetzung. Das Toyota Produktionssystem bildet ein zentrales Fundament, auf dem zahlreiche neuere Methoden und Um- setzungen der Lean-Philosophie basieren. Ergänzend gilt es, viel versprechende neue Ansätze und zukunftsweisende Weiterentwicklungen zu integrieren. Abb. 0.0.2 Kapitel-Struktur des Buches: Die fünf Elemente des Materialflusses müssen für ein Optimum „verzahnt“ sein. 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Philipp Dickmann Meilensteine der modernen Produktion mit Lean Production, Total Quality Ma- nagement, Six Sigma, Supply Chain Management, Lean Management und Lean Enterprise können zu effizienteren Abläufen führen. In der betrieblichen Praxis existiert jedoch eine Vielzahl von Zielkonflikten basierend auf Richtlinien von Material Requirements Planning- (MRP), Controlling- und anderen Systemen. Nur wenige Spezialisten in größeren Unternehmen sind im Stande, die Komplexi- tät über die Grenzen eines Fachgebiets hinaus im Detail zu verstehen. Fachüber- greifendes Verständnis scheitert an der Komplexität der Gesamtproblematik. Entscheidungen verschiedenster Fachbereiche begrenzen die maximal erreichba- re Effizienz des Materialflusses. Logistik und Materialfluss werden daher in vielen Unternehmen als unabdingbare Kernkompetenz verstanden. Um eine schlanke Produktion, einen optimalen Materialfluss und somit minimale Produktkosten zu erreichen, sind folglich vielfältige andere Fachthemen als Vorraussetzungen zu beherrschen. Erst dann ist es in der Produktionslogistik möglich, im Vergleich zu einem Top-Benchmark erfolgreich zu sein. Um im täglichen Konkurrenzkampf „die Nase auch morgen noch vorne zu haben“ ist es nötig, über den Preis hinaus auch noch völlig andere Problemstellungen zu beherrschen. Babylon-Syndrom Die Kompetenz, interdisziplinäre Problemstellungen zu beherrschen, wird zu- nehmend ein Thema, das den Wettbewerb und das Überleben für ein Unterneh- men entscheidet. Im letzten Jahrzehnt fand eine enorme Spezialisierung und damit Verflachung des interdisziplinären Verständnisses, vor allem in Konzer- nen, aber auch in der Ausbildung, statt. Trotz des Trends zur Reduzierung der Produktionstiefe und der Outsourcingwellen nimmt das Aufsplittern der Zu- ständigkeitsbereiche weiter zu. Dies vereinfacht den Umgang mit Detailproble- men. Gruppenabgegrenztes Denken nimmt zu, unter anderem erkenntlich an der steigenden Anzahl der Abteilungsgrenzen. Das Gesamtoptimum wird schwerer erkennbar, messbar und beherrschbar. Das Erreichen von optimalen Kennzahlen in einem Bereich bewirkt immer häufiger, dass Kennzahlen in anderen Bereichen deutlich schlechter werden. Das Gesamtergebnis wird trotz der Aktivitäten ver- schlechtert. Die Korrelation von Maßnahmen und Auswirkungen werden eben- falls durch stärkere Verteilung der Kompetenz erschwert. Gründe sind die höhe- re Spezialisierung, der zeitliche Versatz (zwischen Ursache und Wirkung) und 4 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme die in der Summe für Standard-Controlling-Ansätze kaum mehr durchschauba- ren Verflechtungen. Nachhaltigkeitsökonomie und Unternehmensethik Im Zeitalter des Shareholder-Value, also der einseitigen Ausrichtung von Un- ternehmen auf Nachfrageentwicklungen von potentiell interessierten Investoren sowie daraus abgeleiteten Strategien, scheinen andere Kriterien nur zu unterge- ordneten Rahmenbedingungen zu degradieren. In vielen Geschäftsfeldern ist der Erfolg maßgeblich von einem intakten Umfeld innerhalb und außerhalb des Unternehmens abhängig. Auf Vertrauen basierende Kooperation, die Strategie der Nachhaltigkeitsökonomie (Ökonomie, die sich an nachhaltigen, langfristi- gen Erträgen orientiert) und eine anspruchsvoll gelebte Unternehmensethik sind Wegbereiter für den Erfolg, für die es keine Alternative gibt. Netzwerk und Infrastruktur Bewertungen und Analysen in Unternehmen richten sich zu 99 % auf die eige- nen Belange. Im Moment wächst das Bewusstsein in den Unternehmen, dass ein großer Teil des Erfolgs eines Unternehmens nicht alleine auf der eigenen Leis- tung basiert. Entscheidend sind ebenso das Netzwerk und die Rahmenbedin- gungen der Infrastruktur, in dem das Unternehmen arbeitet. Soziologisch be- trachtet ist das eigentliche Unternehmen nur ein kleiner Bestandteil eines Energons (vgl. 1.18. Probleme sind Schätze). Bestimmend ist daher im Wesentli- chen nicht mehr die Leistung und Effizienz des eigentlichen Unternehmens selbst, sondern die Qualität des Zusammenspiels des gesamten Komplexes. Softfacts Kultur, Verhalten, Erziehung, Ethik, Erfahrung, Verbundenheit mit einem Unter- nehmen etc., sind nicht unmittelbar in Zahlen greifbare Werte. Sie sind typischer- weise nicht direkt in IT zu erfassen oder abgreifbar, und können vom Controlling in ihrer Auswirkung nicht bewertet werden. Hardfacts bestimmen überproportio- nal stark die Entscheidungen in Unternehmen. Sie stellen in konkreten, einfachen Kostenwerten fundiert die Basis zielorientierter Führungsmethoden dar. Viele in Kostenstrukturen nicht erkennbare, aber entscheidende Zusammenhänge sind mit Softfacts einfach bewertbar und können optimiert werden. Sie haben daher gleichermaßen (wie Hardfacts) durchschlagenden Einfluss auf Unternehmens- strukturen, Abläufe, Kosten und letztlich die Rendite. In den Rahmenbedingungen stecken die Schätze Struktur, Entscheidungen und Ethik eines Unternehmens werden durch Rah- menbedingungen vorbestimmt, analog der „theory of constraints“ [Gold 90]. Rahmenbedingungen sind entscheidende Einflussfaktoren, die als gegebene un- veränderliche Größen angesehen werden und über deren Wirkung daher fast 1.1 Lean Production – das Toyota Produktionssystem (TPS) 5 immer kein Bewusstsein herrscht. So kann die Änderung einer Bedingung, welche die „Seele“ des Unternehmens trifft, einen entscheidenden Einfluss auf die weite- re Entwicklung des Unternehmens haben. Die Optimierung der Rahmenbedin- gungen der Entlohnung steht beispielsweise derzeit stark im Fokus des Interesses der Unternehmen, während andere Aspekte mit vergleichbar großen Potentialen weniger Beachtung finden. Maßnahmen auf dem Weg zu einem schlanken Unter- nehmen erbringen langfristig sicherlich höhere Potentiale und einschneidende Verbesserungen. Sie sind jedoch nicht so einfach in der Umsetzung, nicht kurz- fristig umsetzbar und verursachen wesentlich höheren Aufwand. Weder IT noch optimale Steuerungsmethoden, Mitarbeiter oder Lieferanten können schlechte Rahmenbedingungen letztlich jedoch kompensieren. Rahmenbedingungen kön- nen einerseits Schätze beinhalten oder aber letztlich eine Bürde sein, die das Un- ternehmen „in weniger sonnigen Zeiten“ in die Katastrophe führt! Flexibilität und Verbesserungsgeschwindigkeit Einen guten Preis zu erreichen, gilt landläufig als bestimmendes K.O.-Kriterium. In der Konkurrenzsituation ist immer häufiger alleine damit aber keine Abgren- zung oder fundierte Entscheidung mehr zu rechtfertigen. In globalen Märkten, in denen sich Lieferanten nur mehr um Nuancen unterscheiden, sind nachhalti- ge Kostenreduzierungen kaum mehr mit machtbasierten oder psychologischen Verhandlungstaktiken zu realisieren. Entscheidend sind zunehmend die Flexibi- lität und die Geschwindigkeit, mit denen eine Verbesserung erzielt wird. Die maximal erreichbaren Leistungen des Materialflusses und der Produktion wer- den in erster Linie durch die Erfüllung dieser Rahmenbedingungen im Unter- nehmen bestimmt. Daher wird in der Folge sehr umfassend auf Methoden und Anforderungen eingegangen, welche die Voraussetzungen für einen modernen und schlanken Materialfluss darstellen. 1.1 Lean Production – das Toyota Produktionssystem (TPS) Philipp Dickmann Es gibt heute kaum ein namhaftes produzierendes Unternehmen, das hohem Konkurrenzdruck ausgesetzt ist und dabei noch völlig ohne an die schlanke Pro- duktion angelehnte Methoden auskommt. Die als „Lean Production“ oder das „Toyota Productionssystem“ (TPS) nach Hr. Taiichi Ohno [Ohno 78] bekannt gewordenen Methoden stellen eine elementare Basis für effizienten, konkurrenz- fähigen und modernen Materialfluss dar. Sie finden erfolgreich Anwendung im Sondermaschinenbau, der Baubranche, der Medizintechnik, im Handwerk, der Biochemie oder im Großserienherstellprozess und sind gleichermaßen erfolg- reich in Hochlohn- wie auch in Niedriglohnländern zu finden. Die einfachen 6 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Prozesse, die auf eine direkt erkennbare und dadurch sehr schnelle Verbesserung zielen, führen zu einem teils rapiden Ansteigen der Wirtschaftlichkeit, auch wenn es das typische Merkmal dieser Methode ist, primär Abläufe und Prozesse mit einfachen Methoden zu optimieren und dadurch nur „nebenbei“ betriebs- wirtschaftliche Kennzahlen zu verbessern. Warum steht die Methode derzeit wieder derart im Blickpunkt? Die Methode der schnellen, nachhaltigen und ganzheitlichen Optimierung wurde für Toyota zu dieser Zeit notwendig, um im internationalen Konkurrenzkampf die USA und Europa einzuholen und nach Möglichkeit zu überholen. Heute ist die Situation vieler Unternehmen vor allem auch in Europa damit vergleichbar. Aufgrund der politischen Veränderung in Osteuropa und China, sowie der neuen Möglichkeiten im Internet, konkurrieren selbst kleine Unternehmen heute immer mehr auf dem Weltmarkt. Darin liegt ein enormes Potential für die Unternehmen, aber auch ein Zwang zur Wirtschaft- lichkeit, die heute in vielen Bereichen allein nicht mehr ausreichend ist. Nicht primär der Unterschied in der Startposition, sondern die Schnelligkeit, Prozesse bei höchster Flexibilität zu optimieren, entscheidet vielfach in diesem Wett- kampf – und genau hierin liegt die Stärke dieser umfassenden Systematik. 1.1.1 Entwicklung Das Genie von Newton, Kepler, Galileo oder Einstein definiert sich durch die Leistung, komplexe Zusammenhänge in einem ungewohnten Blickwinkel und in einer simplen Logik zu komprimieren. Alle ihre Gleichungen zeichnen sich durch eine für ihre Entstehungszeit verblüffende Differenziertheit aus. Oft wur- de die Tragweite in ihrer visionären Differenziation erst sehr viel später auf- grund neuer Methoden und Konzepte verständlich. Das Toyota Produktionssys- tem (TPS) wurde lange Zeit als simples, auf den Erfahrungsaustausch unter Anwendern zielendes „Praktikerwerk“ verstanden. Das Buch erläutert sich selbst in der Problemstellung der japanischen Wirtschaftskrise nach dem zwei- ten Weltkrieg bis in die 1960er Jahre. Wesentliche Probleme waren hierbei die schlechte Absatzmöglichkeit, da die Qualität und die Effizienz im Vergleich zur Konkurrenz in den USA und Europa ungenügend waren. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Japan in vielerlei Hinsicht von den USA beeinflusst. Das Ford- System [Ford 26] setzte zu diesem Zeitpunkt den Maßstab und wurde bei Toyota gleichsam extrahiert und neu synthetisiert. Aber auch andere Unternehmen wurden bereist und brauchbare Methoden systematisch involviert. Das Prädikat „Made in Germany“ galt unter anderem als Gütesiegel oder Zielmarke, an das sich Toyota annähern wollte. Im Vergleich zu amerikanischen oder europäi- schen Ansätzen wurden auch traditionell asiatische und speziell japanische Denkprinzipien in die Methode mit einbezogen. Arbeit muss wiederholbar und einfach sein. Die unerhört detaillierte, pragmatische Systematik im Vorgehen beim TPS entspricht einem ritischen Muster, umgesetzt auf die Abläufe in der Produktion. Aber auch viele der in Japan stark etablierten Thesen des Konfuzia- nismus wurden höchst synergiereich involviert, wie etwa der Selbstanspruch, 1.1 Lean Production – das Toyota Produktionssystem (TPS) 7 „Fehler sind eine persönliche Schande“, oder die konsequente Einhaltung von Standards und Regeln. Wesentliche Leitsätze wie die Grundthese von „Best Prac- tice“ wurden formuliert: • Lerne von den Besten. Daraus leitet sich das Best Practice-Konzept ab. • Verbessere diese Methoden mit einer gleichermaßen einfachen wie schnellen Methode. Toyota hat hier einen neuen Maßstab gesetzt. Über mehrere Jahrzehnte hin- weg wurde das Toyota Produktionssystem in verschiedenen Stufen entwickelt und umgesetzt. Die Dichte und der Reifegrad der neuen Vorgehensweisen sind aus diesem Grund bestechend. Es werden vielfältige, sehr differenzierte aber stellenweise auf den ersten Blick trivial wirkende Maßnahmen und Zusammen- hänge dargestellt. Erst bei der kritischen Auseinandersetzung wird einem be- wusst, dass es sich um ein sehr durchdachtes, ausgefeiltes, vor allem sehr inter- disziplinäres und umfassendes Zielportfolio handelt. Wissenschaftlich wirkt vieles überbestimmt, wegen der enormen Differenzierung in interdisziplinären Forderungen von extrem weit reichenden Einflüssen. Tatsächlich wurden ein- zelne Bausteine oder Methoden wie Kanban wissenschaftlich lange Zeit als sim- ples, banales System verstanden, etwa in Konkurrenz zu den modernen komple- xen IT-basierten Algorithmen. Sie passten nicht in die favorisierte Blickrichtung des Zeitgeistes der Forschung. Im Streben, immer kleinere differenziertere Opti- mallösungen hochspeziell zu entwickeln, wirkte dieser umfassende, einfache „Rundumschlag“ nicht opportun. Einige der Vorgaben der Methoden wurden im Laufe der Zeit weiter entwickelt. Viele der neuen Ansätze, wie etwa das Null- bestandskonzept als Weiterführung von Just-in-time oder Kanban, zeigten aber enorme Nachteile. Trotz einer deutlich veränderten technologischen und infor- mellen Arbeitsumgebung bleibt heute festzustellen, dass die originalen Definiti- onen noch immer anspruchsvolle Zielvorgaben vorlegen, um im internationalen Wettbewerb erfolgreich zu sein. Das TPS stellt einen in seiner Breite nach wie vor kaum vollständig umgesetzten interdisziplinären Baukasten dar. Die Ver- breitung ist heute hoch, doch werden fast immer nur kleine Bausteine etabliert und damit enorme Potentiale verschenkt. Der Konkurrenzvorteil von Lean Production Aufgrund des Absatzerfolgs der japanischen Automobilindustrie wurde dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA im Jahr 1985 der For- schungsauftrag „Untersuchung von 90 Montagewerken in 17 Ländern“ erteilt. Das Ergebnis der Studie wurde im Jahr 1990 veröffentlicht. Es zeigte erstmals das Ausmaß der Überlegenheit der japanischen Fertigungstechnologie durch den Einfluss von Lean Production auf (vgl. Tabelle 1.1.1 [Wome 90]). Bei der Interpretation der Ergebnisse muss berücksichtigt werden, dass die Varianten- vielfalt der europäischen Premium-Hersteller nur eingeschränkt berücksichtigt ist. Trotzdem ist der deutliche Konkurrenzvorteil heute unbestritten. 8 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Tabelle 1.1.1 Der Konkurrenzvorteil von Lean Production [Wome 90] Durchschnittswerte der Automobilhersteller in Japan Nordamerika Westeuropa absolut %/Japan absolut %/Japan Konstruktionsaufwand für ein neues Kfz [100 000 Std] 1,7 3,1 182 % 3 176 % Entwicklungsdauer für ein neues KFZ [Monate] 46,2 60,4 131 % 58,6 127 % Rückkehr zur Normalproduktion [Monate] 4 5 125 % 12 300 % Produktivität [Montagestunden/Kfz] 16,8 21 125 % 30,65 182 % Qualität [Montagefehler pro 100 Kfz] 60 65 108 % 89,65 149 % Lagerbestand [Tage Lagerreichweite für 8 exemplarische Teile] 0,2 1,6 800 % 2,45 1225 % 1.1.2 Innovationen und Regeln des TPS TPS beinhaltet eine enorme Vielfalt an Vorgehensweisen, an dieser Stelle können daher nur einige wesentliche Themen mit Bezug zum Buch vorgestellt werden: • Verschwendung vermeiden: Um einen Fortschritt zu erreichen wird nach Problemen und Verschwendung gesucht. Ignorieren von Problemen fördert negative Entwicklungen. Erst das bewusste systematische Suchen mit der konkreten Absicht, die Prozesse zu verbessern, bringt den Fortschritt. (vgl. 1.14. Prozessorientierung). Im TPS oder Kanban wird daher nach einer einfa- chen überschaubaren Liste von Verschwendungsarten gesucht. • Überproduktion vermeiden: Die Überproduktion ist eine der wesentlichen Verschwendungsarten. • 5W-Methode: Fünf Mal wird mit der Frage „Warum?“ bei der Fehleranalyse der tiefere Hintergrund analysiert. Diese simple Methode führt sehr schnell zu den Wurzeln eines Problems und auf dessen Ansätze zur Lösung, daher entsprechen die „5W“ einem how-to-do. • Poka Yoke oder auch Boka Yoke: Dieser Begriff wird vielfach als vollständige Kontrolle oder auch 100 % Kontrolle interpretiert. Fehler zu selektieren ist in jedem Fall günstiger, als die vielfältigen Auswirkungen von Fehlern zu behe- ben. Grundsätzlich unterscheidet man im TPS das „Tun“, also das physische Arbeiten und das eigentliche „Arbeiten“, bei dem der Selbstanspruch zur Ver- besserung hinzukommt. Charakterisierend ist zudem die Forderung nach konsequenter Fehlervermeidung durch einfachste Prüfprozesse, die präventiv stattfinden. (vgl. 1.9. Poka Yoke) 1.1 Lean Production – das Toyota Produktionssystem (TPS) 9 • Andon: Andon ist zunächst die Linienstoppampel, also eine Ampel, die den Status der Produktionslinie anzeigt und direkt darüber hängt. Die Signalfar- ben entsprechen der Straßenverkehrsampel. Sie erlaubt visuelle Kontrolle und die Online-Steuerung des Produktionsprozesses. Wenn der Werker eine Ab- normalität erkennt, kann er mit dem gelben Signal Hilfe holen. Hat er ein gra- vierendes Problem erkannt, muss er die rote Ampel auslösen und damit die Linie stilllegen. Die Werker übernehmen mit dieser Pflicht die Verantwortung für die Produktion. Ihre Philosophie lautet: Der Produktionsmitarbeiter ist so nah am Ort des Geschehens, dass er die Vorgänge am besten beurteilen kann. • Autonomation: Autonomation ist Automation mit einem menschlichen Touch. Autonomation soll die Linie oder die Produktion allgemein vor Schä- den bewahren, indem die Anlage bei allen Störungen oder abnormen Situa- tionen automatisch auf Stopp geht. • Baton Passing Room: Um bei einer Fließfertigung einen gleichmäßigen Fluss zu erreichen, ist es wesentlich, einen Pufferraum zu schaffen, an dem Werker, die im Hintertreffen sind, aufholen können. • „Do not make isolated islands“: Werker sollen im Team arbeiten, da sie so als Ganzes höhere Flexibilität und Leistung erzielen. Die moderne Ergonomie bestätigt, dass die Gesamteffizienz des Einzelnen in der Gruppe deutlich hö- her ist als bei isolierten Einzelarbeitsplätzen. Ergänzend kommt es zum Ka- pazitätsausgleich in der Gruppe, wodurch sich der Mittelwert verbessert. • Mehrmaschinenbedienung: Mehrere Maschinen werden in einem Rhythmus nacheinander bedient. Dies setzt voraus, dass die Maschinentakte dies zulas- sen. Die Arbeitszeit des Werkers wird effizienter genutzt, da Verschwendung durch Wartezeiten eliminiert wird. Eine Sonderform ist die Gruppenarbeit mit Mehrmaschinenbedienung. Trotz ungünstiger Austaktung kann damit eine höhere Effizienz erreicht werden. • Kaizen: Diese Methode zur kontinuierlichen Verbesserung wurde zunächst für direkte Produktionsprozesse entwickelt. Sie wird heute für nahezu alle Arbeitsprozesse angewandt, auch in völlig anderen Bereichen und Branchen (vgl. 1.4. Kaizen). Es existieren starke Überschneidungen zu Poka Yoke. • Die Kraft der individuellen Fertigkeiten und des Teamworks: Eine der we- sentlichen Säulen, auf die TPS baut, ist die möglichst umfassende Nutzung der Innovationskraft und Kompetenz der Belegschaft. Der operative Spezia- list soll nicht nur arbeiten, sondern auch sein Know-how soll entscheiden. Hieraus leiten sich gravierende Anforderungen an das Management ab (vgl. 1.18. Probleme sind Schätze). • Vom Belegschaftsschutz über den Schutz des Einzelnen zur Reduzierung der Anzahl der Werker: Nach dem traditionellen Verständnis von TPS sind Mit- arbeiter ein „Teil der Familie“, daher ist jeder Einzelne vor den Auswirkun- gen von Einsparungen zu bewahren. Durch offensiven Umgang mit Flexibili- sierung der Qualifikation wird zunächst ein universellerer Einsatz der Werker ermöglicht und eine höhere interdisziplinäre Kompetenz erreicht, zudem steigt dadurch die Effizienz. Im TPS ist es gelebte Realität, dass der Schutz der 10 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Mitarbeiter zu höherer Effizienz und Flexibilisierung führt, was ein klarer Ge- gensatz zu vielen modernen Managementthesen ist. T. Ohno betont an ver- schiedenen Stellen den Wert des Teamworks für die Leistung, dies ist nach- haltig nur auf Basis dauerhaft vertrauensvoller Verbindungen und Sicherheit für jeden Einzelnen zu gewährleisten. • Produktionsfluss und Arbeitsfluss (Work Flow): TPS gibt verschiedene Ele- mente vor, um einen harmonischen Fluss zu erreichen und dabei strikt auf die hohe Dichte an Wertschöpfung zu achten. • Just-in-time: Just-in-time (JIT) umfasst zunächst, dass das Material zur rich- tigen Zeit in der geforderten Menge am notwendigen Ort bereitgestellt wird. Dadurch wird Verschwendung durch Wartezeiten, unnötige Puffer und damit Ineffizienz vermieden (vgl. 1.3 Just-in-time). Im weiteren Sinne beinhaltet es aber auch bedingungslose Kundenorientierung, Neuausrichtung der Produk- tionsabläufe, Produktionsvorrichtungen (vgl. 1.8. Low Cost Intelligent Auto- mation) sowie angepasste Managementeigenschaften. • Kanban: Der japanische Begriff Kanban heißt Karte oder Label, umfasst im TPS jedoch auch das Kanban-Steuerungskonzept (1.2. Kanban; 2.4. Die Kanban- Steuerung). • Supermarkt-Prinzip und Lieferanten-Kanban: Kanban wird, bezogen auf Lieferanten-Kanban, mit dem Supermarkt-Prinzip dargestellt. Im Super- markt wird nach dem Pull-Vorgehen durch jeden Verbrauch ein neuer Bedarf beim Lieferanten angestoßen. (vgl. 4.1. Lieferanten-Kanban) • Produktionsglättung (Production Leveling, Produktionsnivellierung, Hei- junka): Hiermit ist zum einen der Ausgleich der Arbeitsinhalte mit dem Ziel einer Fließfertigung gemeint, also die Abbildung eines gleichmäßigen Taktes. 0,0% 5,0% 10,0% 15,0% 20,0% 25,0% 30,0% 35,0% 40,0% 45,0% bis 20% bis 40% bis 50% bis 60% bis 80% über 80% Anteil der eingebundenen Belegschaft Befragte Abb. 1.1.1 Anteil der eingebundenen Belegschaft bei Lean-Projekten (Umfrage: Fakten zu Lean – 2007 [Lepr 2007]: Herausragendes Merkmal der ursprünglichen Umsetzung in Japan ist die langfristige und vor allem vollständige Einbindung aller Mitarbeiter des Unternehmens in Kampagnen, d.h. von der gesamten operativen Belegschaft über alle indirekten Bereiche bis hin zur vollständigen Führungsebene. 1.2 Kanban – Element des Toyota Produktionssystems 11 Andererseits umfasst dies die Anpassung und das Modellieren der Arbeitsin- halte, um möglichst wenig Verschwendung zu erreichen. Letztlich beinhaltet die Produktionsglättung aber auch die Pufferbildung und das Vermeiden des Peitscheneffektes (vgl. 2.1. Ruhiger kontinuierlicher Materialfluss), mit dem Ziel, einen kontinuierlichen Materialfluss und JIT-orientierte Prozesse zu er- reichen. 1.2 Kanban – Element des Toyota Produktionssystems Eva Dickmann, Philipp Dickmann, Lepros GmbH Kanban bedeutet wörtlich Aufkleber, Label oder Behälterbeschriftung und steht für eine einfache, fast triviale Steuerungsmethode, die im Toyota Produktions- system [Ohno 78] entwickelt wurde. Die Methode, mit Behältern zu steuern, ist eine der ältesten Steuerungsmethoden überhaupt. In vielen Bereichen des tägli- chen Lebens setzten wir sie in Ansätzen um. Dieser Umstand alleine ist sicherlich nicht verantwortlich für den Siegeszug, den diese Steuerungsmethode seit der ersten Einführung bei Toyota hatte. Auch erklärt dies nicht, warum Kanban derzeit stark an Penetration zunimmt, trotz Konkurrenz durch ausgereifte Algo- rithmen in der IT. Kanban umfasst nicht nur eine Steuerungsmethode, sondern gibt sehr klare und strenge Verfahrensregeln vor. Mit der gleichen strengen Akri- bie und Liebe wie in der weltweit bekannten Teezeremonie werden in Japan für 0,0% 10,0% 20,0% 30,0% 40,0% 50,0% 60,0% 70,0% Kanban Kaizen Poka Yoke Just-in-time Heijunka Lieferanten-Kanban Supermarkt Andon Workflow Automation Verbesserungsrad Sonstige Befragte Abb. 1.1.2 Lean-Projekte mit wenigen Lean-Elementen: Umfassende Umsetzungen sind selten. Dies lässt sich an der ungleichen Penetration der einzelnen Elemente gut erkennen [Lepr 07]. Der große Vorteil des Toyota Produktionssystems kommt nur zur Geltung, wenn alle Elemente implementiert werden. Bei einer nur punktuellen Umsetzung werden nur begrenzte Verbesserungen erreicht. Da diese Umfrage vornehmlich im lean-orien- tierten Logistik-Umfeld durchgeführt wurde, entspricht die ermittelte Kanban-Penetra- tion nicht dem repräsentativen Durchschnitt der Unternehmen in Deutschland. 12 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme andere Kulturen banale Abläufe auch im Arbeitsleben zur Perfektion fortgeführt. Typisch für diesen Ritus sind die klare Definition exakter Plätze und das Einhal- ten eines genauen Ablaufs („Der perfekte Prozess ist das Ziel“, buddhistische These). Dieser wesentliche Erfolgsfaktor wird im westlichen Kulturkreis weitläu- fig unterschätzt. Die Selbstverantwortung und das Erleben der Perfektion oblie- gen dem Einzelnen. Im Fall von Kanban betrifft dies den Umgang mit Behältern durch den Mitarbeiter. Im Folgenden sollen der Verfahrensablauf, Elemente und charakterisierende Eigenschaften der Steuerungsmethode erläutert werden. 1.2.1 Verfahrensablauf Die Basiselemente der Kanban Steuerung sind physische Gebinde bzw. Behälter, oder die Label darauf. Das Material in einem Behälter wird verbraucht, bis dieser leer ist. Der Behälter oder auch nur die Kanban-Karte wandert danach an die Nachschubquelle bzw. zum internen oder externen Lieferanten zurück, wo er erneut befüllt wird. Nach dem Befüllen wird das Material wieder zum Verbrau- cher oder Kunden geschickt. Dieser Vorgang ist extrem einfach und besitzt da- her wenig mögliche Störgrößen. Der Ablauf ist visuell und erreicht durch seine Transparenz eine enorme Prozesssicherheit. Der Kreis, den der Behälter be- schreibt, wird auch als Kanban-Kreis bezeichnet. Das Material bewegt sich auf- grund eines physischen Verbrauchs. Der Nachschub wird gleichsam vom Kun- den gezogen, woraus sich der englische Begriff des Pull-Prinzips ableitet. Eine weitere implementierte Verfahrensregel ist die Begrenzung des dynamischen maximalen Lagervolumens. Die Summe der in Umlauf befindlichen Karten im Kreis definiert und begrenzt die maximale Kapitalbindung in Form von Lager- beständen oder Aufträgen. 1.2.2 Elemente • Der Kanban-Kreis: Der Kanban-Kreis umfasst eine Kunden-Lieferantenver- bindung, also den Abschnitt entlang der Wertschöpfungskette mit allen Teil- prozessen, die das Material physisch durchläuft und den vollständigen Infor- mationsfluss. • Kanban-Karten: Kanban-Karten entsprechen der Abstraktion des realen Ge- bindes. Karten und Gebinde müssen jedoch nicht immer physisch miteinander verbunden sein. Der Rückweg des Leerguts kann dadurch vom Informations- fluss entkoppelt werden. Ist es nicht möglich die Behälter zurückzuführen, können damit Zeiten eingespart und Kosten reduziert werden. So wird durch Einwegbehälter in Kombination mit Karten eine unnötige Aufblähung der Kanban-Dimensionierung vermieden und dadurch werden lange Transport- wege für die Behälter eingespart. Der Aufwand zum Erstellen der Papiere wird zudem reduziert, da die Karten im Kreis laufen. 1.2 Kanban – Element des Toyota Produktionssystems 13 • Kanban-Tafel: Karten werden auf der Tafel z. B. in Fächer gesteckt oder mit- tels Magnettaschen hingeheftet, sodass das Sammeln von Karten über Felder visualisiert wird. Sie visualisiert das Sammeln von Karten, bis ein Auftrag ge- startet werden kann. Die Kanban-Plantafel ermöglicht die Abbildung der wirtschaftlichen Losgröße durch eine Freigaberegel. Durch die Verwendung eines Freigabebereichs kann zudem eine Nivellierung von Kapazitäten und eine dezentrale Feinsteuerung umgesetzt werden. (3.3. Produktionsnivellie- rung; 5.5. Elektronisches Kanban) • Regelkarten: Auf Regelkarten werden alle Abweichungen vom Standard ver- merkt. Kein realer Materialfluss ist identisch zu einem anderen. So muss für eine optimale Konfiguration erst der optimale Ablauf selektiert werden. Die- ses Tool hilft, den Prozess systematisch, effizient und zielorientiert umzuset- zen. Störgrößen, Sonderbedarfe und Sonderfreigaben werden dokumentiert und können zu einer Veränderung des Standards führen. Ohne die Regelkar- ten würde sehr viel Effizienz durch „blinden“ Gehorsam vernichtet. • Prioritätsfindung im Arbeitssystem: Das Kanban-System hat grundsätzlich eine dezentrale Entscheidungshoheit. Der Werker entscheidet dezentral und selbstverantwortlich aufgrund des Erreichens der Sammelmenge. Sollte es zu einer Überschneidung verschiedener Bedarfe kommen, muss der Werker nach Kriterien wie etwa niedrigem Lagerbestand oder niedriger Bestands- reichweite selbst priorisieren. (vgl. 2.12. Steuerungsmanagement). 1.2.3 Eigenschaften der Steuerungsmethode • Visualisierung – ergonomisch effizientes Arbeiten: Die Bestandsverfolgung und die Kontrolle der Reichweite erfolgen durch statisch und visuelle Be- standwahrnehmung. Die Abbildung des dynamischen Materialflusses ist da- bei unübertroffen direkt und ergonomisch. Die Qualität dieser Form der Bestandsverfolgung mittels realer Lagerplätze, d. h. ob ein Lagerplatz vorhan- den oder leer ist, ist selbst durch hoch entwickelte EDV-Systeme nicht zu über- treffen. Der Start erfolgt eventbezogen: Der Behälter war leer und führt dadurch zu einer unmittelbaren Handlung des Betroffenen. Der Anstoß zum Nachschub erfolgt visuell und aktiv durch den Arbeiter. Ein klarer Vorteil ist das Nutzen physischer Informationen, im Gegensatz zur abstrakten EDV-Eingabe. Fehler- potentiale durch die Übertragung und Abstraktion werden vermieden. • Steuern ohne EDV: Kanban stammt aus einer Zeit, in der kaum EDV für die Produktion verwendet wurde und kommt daher grundsätzlich auch ohne EDV aus. Die „Kostenfalle“ EDV kann gänzlich vermieden werden. Es sind weder Hard- noch Software-Anschaffungen notwendig, noch sind aufwendige und fehleranfällige Datenkonvertierungen in andere Systeme nötig. Risiken durch Versorgungsunterbrechungen, Fehler aufgrund von MRP-Fehlern oder Störungen durch das Rechnersystem können umgangen werden. In Berei- chen, in denen keine EDV vorhanden oder sinnvoll ist, wird damit eine kom- 14 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme fortable Materialflusssteuerung erreicht, etwa bei Kleinstunternehmen, bei denen der Aufwand für EDV in keiner Relation zu den Werten des Material- stroms steht. Dies kann zudem bei geringer Mitarbeiterqualifikation, bei Sprachbarrieren oder in Regionen, in welchen die Strom- oder IT-Versorgung einen Risikofaktor darstellt, vorteilhaft sein. Aufgrund der notwendigen Ma- terial- und Lohnbuchung ist bei mittelständischen bis großen Unternehmen in Industriestaaten eine Steuerung ohne EDV heute selten geworden. Auch Supply Chain-Managementvorgaben zwingen zum Einsatz von EDV, wie etwa in der Automobilbranche. Eine Anbindung von Kanban an EDV ist heute durch sehr individuelle EDV-Tools möglich und für Standards teils auch sehr kostengünstig. Zur Dimensionierung, Ablaufunterstützung und Anbindung an Firmen-IT kann aus einer Palette bestehender unterschiedlicher Standard- Tools ausgewählt werden. • Einfache, selbstregelnde Dimensionierung: Dem Mitarbeiter steht im Kan- ban-Kreis eine definierte Anzahl an Behältern bzw. Kanban-Karten zur Verfü- gung. Bei steigender Bedarfsmenge oder -häufigkeit erhöht sich die Geschwin- digkeit des Flusses im Kreis. Das System kann dadurch gewisse Bedarfsspitzen und Bedarfsreduzierungen selbständig ausgleichen. Bei zu starkem Anstieg sinkt der Endproduktpuffer, bis das System schließlich abreißt. Um dies zu verhindern muss daher, sobald der Nachschub knapp wird, die Anzahl der Be- hälter im Kanban-Kreis oder auch die Kapazität erhöht werden. • Dezentrale Steuerung – Verantwortung vor Ort: Der operative Mitarbeiter steuert den Nachschub selbständig vor Ort, nur geleitet durch die Karten oder die Freigabe des Auftragsstarts auf der Kanban-Tafel. Er hat grundsätzlich keine anderen Kriterien zu beachten und kann ohne weitere Freigaben selb- ständig entscheiden und handeln. In vielen Anwendungsfällen wird die Ent- scheidung an einen Meister oder Gruppenleiter delegiert, z. B. aufgrund von Interessenkonflikten mit Entlohnungssystemen oder fehlerträchtigen MRP- Applikationen. • Hohe Lieferfähigkeit: Bei Kanban ist immer ein Mindestpuffer von Endpro- dukten in jeder Produktionsstufe vorhanden. Der Kunde kann immer sofort mit Lagerware zufrieden gestellt werden, auch bei kurzfristigem Bedarf. Ein Höchstmaß an Lieferfähigkeit und Servicegrad wird dadurch sichergestellt. Der definierte Puffer stellt auf allen Ebenen mittelfristig eine optimale Strate- gie zur Prävention von Versorgungsengpässen dar. Nebenbei werden durch kleine Puffer Bedarfsspitzen geglättet und infolgedessen eine hohe Effizienz und maximale Auslastung erreicht. Investitionen in Zusatzkapazität für Be- darfsspitzen können eingespart werden. • Kundenorientierung: Durch das Holprinzip (Pull-Prinzip) wird der Produk- tionsprozess nach den Bedürfnissen des Kunden ausgerichtet. Über den Kun- denauftrag hinaus wird nichts produziert. Ein weiterer Aspekt ist die strikte Abbildung des Kundenbedarfs in der Ausbringung. Der Kundentakt sollte in möglichst kleinen Intervallen abgebildet werden, um Verschwendung zu vermeiden. 1.2 Kanban – Element des Toyota Produktionssystems 15 Lieferfähigkeit 0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% bis 60% bis 70% bis 80% bis 90% bis 95% über 95% Anzahl Befragte Abb. 1.2.1 Durchschnittliche Höhe der Lieferfähigkeit: Die Lean-Umfrage [Lepr 2007] zeigt hohe Verbesserungspotentiale in Bezug auf die Lieferfähigkeit. Etwa ein Viertel der befragten Unternehmen gaben eine Lieferfähigkeit unter 80 % an. Eine geringe Lieferfä- higkeit bedeutet einen Verlust von Umsatz und Rendite. Kanban und Just-in-time als isolierte Elemente des TPS sind zum Erreichen einer hohen Lieferfähigkeit meist zu wenig. • Produktorientierung: Im Rahmen einer Kanban-Einführung sollten die Ma- terialflusswege produktspezifisch nach dem Fließprinzip optimiert werden, was eine enorme Steigerung der Effizienz zur Folge hat. Es werden Wege op- timiert und Puffer abgebaut. Durch Visualisierung und kurze Distanzen wird der Informationsfluss deutlich verbessert. • Vermeidung von Verschwendung: Durch die Produktion nach Verbrauch werden Bestände und Durchlaufzeiten reduziert, da sich das Produktionsan- gebot an der aktuellen Nachfrage orientiert. Es wird ausschließlich der Kun- denverbrauch nachproduziert. Verschwendung durch Überproduktion, etwa aufgrund nicht eingetroffener Planungen, wie in Material Requirements Planning (MRP), wird verhindert. • Wenig störungsanfällig: Aufgrund realer, dezentraler und visueller Bestände sind die Abläufe sehr einfach und sicher. Verglichen mit den Störgrößen und der Anzahl der Einflussfaktoren in EDV-Daten, treten bei Kanban kaum Störungen auf. Wenig Komplexität führt zu extrem sicheren Prozessen. Auf- träge werden ohne Störungen begonnen und fertig gestellt, sie werden „fer- tig produziert“. • Standardisierung von einfachen, wiederkehrenden Prozessen: Ein wesentli- ches Element von Kanban ist der Verbesserungszyklus. Aufgrund z. B. der In- formationen der Regelkarten werden kontinuierlich Verbesserungen geplant, umgesetzt, verifiziert und dokumentiert. Wenn ein neuer, besserer Prozess dokumentiert ist, wird er zum neuen gültigen Standard. Das strikte Einhalten der kontinuierlichen Verbesserung mit Standards ist charakteristisch für das Toyota Produktionssystem und auch für Kanban. 16 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme 1.3 Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Just-in-time-, Just-in-sequence- und One-piece-flow-Fertigungskonzepten Michael Gröbner, Leonardo Group GmbH Ein integraler Bestandteil der schlanken Produktion sind die dort zu verwenden- den Fertigungskonzepte, bzw. deren Verzahnungen. Der folgende Absatz be- schreibt die Grundlagen dieser Konzepte sowohl in der Produktion als auch in der Logistik. Eine Anwendung dieser Konzepte ist weder auf den deutschen Raum noch auf eine bestimmte Industrie oder bestimmten Markt beschränkt. Die Bedeutung der Konzepte von Just-in-time, Just-in-sequence und One-piece- flow gewinnen im Zuge der Lean-Einführung in deutschen Unternehmen immer mehr an Bedeutung, gerade im Standortwettbewerb mit Ost-Europa und China. Nur mit schlanken, kundenorientierten und kostenoptimierten Strukturen ist das langfristige „Mitspielen“ auf höchstem Niveau im internationalen Markt möglich. Unternehmen, die diese Konzepte insbesondere in der Fertigung bereits eingeführt haben, zeichnen sich durch höhere Lagerumschlagszahlen (Inventory Turnover Rates > > 10), höchst flexible Fertigungen und niedrige Kosten aus. 1.3.1 Just-in-time (JIT) Just-in-time ist eine Philosophie in der Materiallogistik, die ursprünglich von Toyota zur Zeit des ersten Ölschocks in Japan entwickelt wurde, durch den an- haltenden Erfolg des TPS wurde JIT auch in der westlichen Welt bekannt [Ohno 78]. Nach allgemein gültiger Definition heißt JIT: Das Material zur richtigen Zeit, in der richtigen Qualität, in der richtigen Menge und am richtigen Ort be- reitzustellen. Teil der Philosophie ist es jedoch, die Produktionsflüsse ganzheit- lich zu optimieren, nicht nur einzelne Funktionen wie z. B. die Logistik. In der Literatur wird das JIT-Prinzip differenziert betrachtet, einmal wird es im Logis- tikbereich mit dem Supermarktprinzip verglichen. Nach einer genauen Begriffs- definition ist das JIT-Prinzip aber nicht auf den Logistik-Bereich beschränkt, sondern schließt die Fertigung im Fließprinzip ausdrücklich mit ein, hierbei wird dann ohne Materialpuffer oder Supermarkt und direkt nach Kundenbedarf gearbeitet. JIT-Logistik In der Logistik wird JIT vielfach mit JIT-Anlieferung gleichgesetzt, d. h. hier wird das Produkt im JIT-Prinzip dem Kunden angeliefert, teilweise bis ans Montage- band, wie in der Automobilindustrie üblich. Wenn der Zulieferer sich geogra- phisch nahe am Kunden befindet (z. B. in Industrieparks), können die Zulieferer stärker in den Montageprozess eingebunden werden und die Anlieferdistanz ist 1.3 Just-in-time-, Just-in-sequence- und One-piece-flow 17 logistisch einfacher handhabbar. Eine Einbindung des Lieferanten in das MRP- oder ERP-System mit Abrufvorausschau ist mittlerweile Standard in der Auto- mobilindustrie. Die Anlieferzeit und Reihenfolge wird dadurch dem Lieferanten im Voraus mitgeteilt. Typischerweise hält der Lieferant die Bauteile vor, um diese dann zeitgerecht anliefern zu können, dadurch reduziert sich die Lagerhal- tung der JIT-Materialien beim Kunden dramatisch. Je nach Ausprägung und Qualität der Lieferanten wird wenig bis gar kein Puffer vorgehalten. Dies bein- haltet beim Verbraucher ein großes Einsparungspotential, wenn von einem Materialkostenanteil am Produkt von bis zu 60 % oder mehr ausgegangen wird. Auf Lieferantenseite werden die Vorgaben des Kunden häufig durch so genannte Fertigwarensupermärkte erfüllt, aus denen der Kunde dann „herauszieht“ bzw. abruft. Aufgrund der hohen Kapitalbindung der Fertigware ist diese Art der JIT- Anlieferung für den Lieferanten nicht kostenoptimiert. Ebenso steigt bei nicht ortsnahen JIT-Anlieferungen (z. B. aus Osteuropa) das LKW-Aufkommen und mehr Lagervolumen wird auf die Straße verlagert. JIT-Produktion Die Produktion im JIT-Prinzip ist ein Kernstück der JIT-Philosophie, aber im Gegensatz zur JIT-Logistik noch nicht so weit verbreitet, da eine JIT-Produktion einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel in vielen Unternehmen erfordert. Angefangen von der Umstellung von Push auf Pull (vom Drück- auf das Zieh- Prinzip), einer Ausrichtung am Kundenbedarf, d. h. der Kundenbedarf triggert den Fertigungsstart, Fertigung im Kundentakt, bis zur Umstellung auf Fließfer- tigung im Unternehmen, mit kleineren Losen. In fluktuierenden Märkten ist die Fertigung bei latenter Überkapazität ebenso notwendig. Im JIT-Produktions- prinzip wird das Produkt ohne Stopp direkt in den nächsten Arbeitstakt weiter- gegeben, die Durchlaufzeit wird reduziert und die Ware „in Arbeit“ wird mini- miert. Bei einer direkten Weitergabe in den nächsten Arbeitstakt erfordert dies die Fertigungslinien so perfekt auszubalancieren, dass jeder Takt den exakt gleichen Arbeitsinhalt hat, damit Just-in-time, also mit automatischer Weiterga- be ohne Stopp, Material weitergegeben werden kann. Dies gestaltet sich bei Montagelinien, bei unverketteten Anlagen und Zuführprozessen als Herausfor- derung. Dies gilt besonders bei einem hohen Fertigungsmix, da die Arbeitsinhal- te pro Produkt teilweise stark unterschiedlich sind und die Auslastung der Ar- beitsplätze und Linien gewährleistet sein muss. Extreme Ansätze wie das Nullbestandsprinzip in der Fertigung führten ebenfalls zu unausgereiften Lö- sungen. Unterschiedliche Arbeitsinhalte werden in machen Fertigungskonzep- ten durch produktbezogene Maschinenzellen ausbalanciert, dort „schlagen“ aber Produktschwankungen dann voll auf die Auslastung durch (Kein Kunden- bedarf – Keine Fertigung). In den meisten Fertigungsprozessen und bei unfle- xiblen Maschinenprozessen, z. B. mit hohen Grundrüstzeitanteilen oder Takt- oder Arbeitsinhaltsunterschieden ist ein reines JIT-Prinzip oftmals nicht mög- lich. Dann muss über einen Zwischenpuffer (In-Process-Kanban-Karten) oder Supermarkt gefertigt werden. 18 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme 1.3.2 Just-in-sequence (JIS) Just-in-sequence ist ein Begriff aus der Logistik und ist mit sequenzgerechter Anlieferung gleichzusetzen, also die richtige Menge, zum richtigen Zeitpunkt und in richtiger Qualität. Just-in-sequence wird vor allem in der Automobilin- dustrie benutzt, z. B. Anlieferung von Sitzen exakt in der Reihenfolge, wie diese verbaut werden. z. B. zuerst Sitz 101, dann Sitz 102, dann Sitz 104. Dadurch ent- fällt beim Kunden der Aufwand das Material sequenzgerecht bereitzustellen. Der Lieferant benötigt aber die dementsprechenden Informationen, um die Vorarbeit und die Bestückung des LKWs in der richtigen Reihenfolge leisten zu können. Zur Ansteuerung von Lieferanten werden hier häufig Sequencing- Systeme verwendet, bei denen der Lieferant „direkt“ am Band des Kunden „an- gedockt“ ist. Hier soll nicht nur bedarfs- und zeitgerecht, sondern auch in der richtigen Reihenfolge gefertigt bzw. geliefert werden. In der Fertigung wird diese Methodik häufig über Hejunka-Boards, Sequencing-Boards und In-Process- Kanban-Karten (IPKs, z. B. mit FIFO-Bahnen) gewährleistet. Die folgerichtige Abarbeitung des Kundenbedarfs steht hier an oberster Stelle. 1.3.3 One-piece-flow (Einzelstückfluss) Der One-piece-flow ist die Grundlage des Fließprinzips, bei diesem Prinzip wird ein Werkstück nach der Bearbeitung sofort an den nächsten Prozess/Arbeitstakt weitergegeben, um dort bearbeitet zu werden. Das bedeutet, dass vor einem Pro- zessschritt maximal ein Werkstück (Losgröße eins) bereit liegt. Es gibt, anders als bei der losweisen Fertigung‚ keine Puffer- oder Materialberge zwischen den Prozessschritten. Die Konsequenz ist, dass, wenn der nachgelagerte Prozess- schritt still steht, der vorgelagerte Prozessschritt nicht weiter produzieren darf, dadurch wird die Problemlösung fokussiert. Durch One-piece-flow wird das Pull-Prinzip unterstützt und es ist Grundlage der Just-in-time-Fertigung [Li- ke 03]. Es ermöglicht minimale Durchlaufzeiten (optimaler Cash-flow, da wenig Material in der Fertigungspipeline) durch die Verkleinerung der Lose, maximale Flexibilität und schnelles, effektives Reagieren auf Probleme (optimale Qualität), signifikante Platzreduzierungen und Flexibilisierung der Fertigung durch effi- zienteres Arbeiten bzw. Einsetzen der Ressourcen. Voraussetzung für die Reali- sierung sind schnelle Rüstzeiten, flexible Mitarbeiter, und prozessorientierte, auf Takt basierende Fertigungsstrukturen. Oftmals wird der One-piece-flow auch mit dem Prinzip einer starren Verkettung gleichgesetzt, d. h. dem Verbinden von zwei oder mehreren Fertigungs- bzw. Verarbeitungseinrichtungen. Dies ist je- doch nicht zwingend nötig, bedeutender ist die homogene Austaktung der Linie, d. h. das Ausbalancieren der Arbeitsinhalte pro Arbeitstakt und -platz. Mit dem Ausgleichen von kleinen Unterschieden in den Arbeitstakten durch In-Process- Kanban-Karten (IPK) [Leon 02] oder Arbeitspuffer kann die One-piece-flow- Fertigung auch bei hohem Produktmix gewährleistet werden. Je höher der Mix 1.3 Just-in-time-, Just-in-sequence- und One-piece-flow 19 auf einer Linie, desto größer werden die Erfolge durch die Einführung von One- piece-flow sein, da die Reduzierung der DLZ und der Kapitalbindung sich auf mehrere Produkte auswirkt. Die Flexibilität des Lieferprozesses (intern und ex- tern) ist maßgebend für die Kopplung bzw. Entkopplung von Prozessen [Le- on 02]. Die Praxis hat gezeigt, dass, außer bei starr verketteten Anlagen, ein rei- nes JIT-Prinzip in der Fertigung kaum realisiert werden kann. Die verbreitetste Anwendung sind der Supermarkt (bei niedriger Kapitalbindung oder langen Rüstzeiten in der Vorfertigung) und die IPK-Lösung. Bei der Supermarktlösung wird JIS nach Kundenbedarf aus dem Supermarkt gezogen, aber meistens nicht JIS-nachgefertigt. Die größeren Fertigungslose und die Fertigungsreihenfolge werden damit vom Lieferprozess entkoppelt. Die Kopplung der Prozesse über einen IPK ist aus Gründen der Kapitalbindung und der damit verbunden Redu- zierung der Durchlaufzeit (One-piece-flow) durch den Gesamtprozess zu bevor- zugen. Unternehmen, die One-piece-flow einführen wollen, sollten in einzelnen Fertigungslinien beginnen und dann nacheinander die gesamte Produktion durch den Einstückfluss verbinden, damit im Unternehmen eine oder mehrere One-piece-flow-Linien entstehen. Erst danach sollte man auf eine JIT-Anlie- ferung umstellen, da man sonst die Lieferanten durch die Steuerungsrelevanten Schwankungen leicht überlasten kann. Unternehmen, die die Lieferkette von innen nach außen (beginnend in der eigenen Fertigung) optimieren, können mit Einsparungspotentialen im hohen zweistelligen Prozentbereich rechen. Einspa- rungen oder Verbesserungen sind zu verzeichnen bei: • Kapitalbindung: Reduzierung der Materialbestände bis zu 70 %. • Durchlaufzeit: Reduzierung bis zu 75 %. • Produktivitätssteigerungen: Steigerung um bis zu 25 %. • Qualitätskosten: Senkung um bis zu 70 %. Dies sind Erfahrungswerte aus der Praxis, abhängig vom jeweiligen Ist-Stand des Unternehmens. 1.3.4 Beispiel aus der Praxis Auszug aus dem Artikel: One-piece-flow in Gotteszell [Fröh 04] „Wir haben One-piece-flow in unserer Fertigung in Gotteszell inzwischen erfolg- reich eingeführt. BARTEC Supply Chain Manager Andreas Reschke hat das Pro- jekt von Anfang an aktiv gestaltet und begleitet. Reschke ist mit den ersten Er- gebnissen sehr zufrieden. … Wir konnten die Durchlaufzeit in den betroffenen Bereichen um über 60 % reduzieren, die Umlaufbestände in der gesamten Ferti- gung sind um 23 % gesunken“, so Reschke, „weiteres Potential steckt in den Fer- tigungsbereichen, die wir noch nicht umgestellt haben.“ 20 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme 1.4 Kaizen Christian Bartholomay, KAIZEN® Institute Deutschland Differenzierte Kundenwünsche sind die Herausforderung der heutigen Zeit. Ein Unternehmen muss sich in punkto Flexibilität, Schnelligkeit und Kosten gegen- über den Mitbewerbern deutlich abheben, um am Markt erfolgreich zu sein. Doch wie ist es zu schaffen, die Nase stets vorn zu haben? Immer mehr Unter- nehmen setzen im Hinblick auf die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit auf Kaizen. Den besten Beweis, dass es funktioniert, liefert Toyota. Dort ist der Ein- satz von Kaizen-Methoden das Herzstück des Produktionssystems. Der Auto- mobilhersteller schreibt seit Jahrzehnten schwarze Zahlen, ist am Markt erfolg- reich mit innovativen Produkten und schneidet in der Pannenstatistik sehr gut ab, was auf eine hohe Qualität schließen lässt. 1.4.1 Der Begriff Kaizen [Imai 02] Der Begriff Kaizen stammt aus Japan. „Kai“ steht für „Veränderung“, „Zen“ für „zum Besseren“. Ziel ist dabei, aus guten Produkten und guten Unternehmen noch bessere Produkte bzw. Unternehmen zu machen. Kaizen bedeutet ständige Verbesserung unter Einbeziehung aller Mitarbeiter. Das heißt, Geschäftsleitung, Führungskräfte und Werker bzw. Sachbearbeiter machen mit. Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz der Kaizen-Methoden ist, dass das Management die Ziele klar und verständlich formuliert, so dass sie von allen Menschen am „Ort des Geschehens“ (jap. Gemba) verstanden werden. Dann gilt es, die Mitar- beiter zu trainieren und zu motivieren, damit gemeinsam auf die Ziele hingear- beitet wird. Kaizen ist jedermanns Angelegenheit und setzt eine prozessorien- tierte Denkweise voraus. Laut Masaaki Imai, der den Begriff geprägt hat und mehrere Bücher über Kaizen veröffentlichte, soll kein Tag ohne irgendeine Ver- besserung im Unternehmen vergehen. Der Grundsatz von Kaizen lautet: Gehe an Gemba (Ort des Geschehens), achte auf Gembutsu (die realen Dinge), suche nach Muda (Verluste, Verschwendung), mache Kaizen (ständige Verbes- serungen). Wichtig ist, dass beim Entdecken von Verschwendung und Proble- men niemand angeklagt oder bestraft wird. Vielmehr sind Probleme als ‚Schätze‘ zu sehen. Das Entdecken dieser Schätze und die Beseitigung der Problemursa- chen bergen riesige Einsparpotentiale. Doch der Fokus liegt nicht nur auf der Kosteneinsparung. Schnelligkeit, Flexibilität und Steigerung der Qualität sind die entscheidenden Faktoren, die zur Kundenzufriedenheit beitragen. Kaizen er- möglicht das Erreichen dieser Ziele. Und so ganz nebenbei verbessern sich die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter. Denn der Einsatz von Kaizen bringt einen Wandel der Unternehmenskultur mit sich. Mehr Eigeninitiative von Seiten 1.4 Kaizen 21 der Mitarbeiter wird gefordert und gefördert. Der Handlungsspielraum des Ein- zelnen weitet sich aus und die Kommunikation wird verbessert. Weniger Stress und mehr Freiraum für Kreativität sind die Folge. Damit Kaizen funktioniert, ist es wichtig, dass das entsprechende Know-how vermittelt wird. Sinnvoll sind Qualifizierungsmaßnahmen in den unterschiedlichen Ebenen. Prozessbegleiter, Kaizen-Praktiker und Kaizen-Coaches sorgen dafür, dass der Kaizen-Prozess in Bewegung bleibt. Sie geben das Methodenwissen an die Mitarbeiter weiter. Der Kaizen-Manager als Bindeglied zwischen Gemba und Management koordiniert die Aktivitäten und erstellt in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern und Manage- ment eine Roadmap, in der die Vorgehensweise festgelegt wird. 1.4.2 Gemba-Kaizen [Imai 97] Gemba-Kaizen steht für den Prozess der kontinuierlichen Verbesserung am Ort des Geschehens. Grundlage für Gemba-Kaizen ist das Aufspüren und Eliminie- ren von Verschwendung (jap. Muda) im Herstellungsprozess. Der Blick für die Wertschöpfung ist in vielen Unternehmen verloren gegangen. Es fehlt den Men- schen die Fähigkeit, Verschwendung in allen Bereichen – sowohl in der Produk- tion als auch in Administration und Service – zu erkennen. Generell ist beim Management und den mittleren Führungskräften der Wille da, sich mehr vor Ort (an Gemba) um die Erhöhung des Wertschöpfungsanteils zu kümmern. Oft kann dieser Vorsatz nicht umgesetzt werden, da die fehlende Effizienz in der Admi- nistration dies verhindert, zum Beispiel durch endlose Sitzungen, E-Mail-Flut, umständliche Prozesse etc. So werden die Führungskräfte zwangsläufig zu „Schreibtischtätern“, anstatt an Gemba die „realen Dinge“ (Gembutsu) zu be- trachten. Hier setzt Gemba-Kaizen an. Im Rahmen so genannter „Go-and-see- Workshops“ werden die realen Dinge vor Ort betrachtet und mittels „Zahlen, Daten, Fakten“ (Gemjitsu) dargestellt. Die Mitarbeiter werden motiviert, ihre Ideen und ihre Kreativität einzubringen. Dies ist die Grundlage für signifikante Verbesserungen und ergebniswirksame Kosteneinsparungen. Im Rahmen der kontinuierlichen Verbesserung mit Kaizen-Methoden werden Low-cost-Lösun- gen angestrebt, bei denen die Ideen mit geringem Aufwand kreativ mit eigenen Ressourcen umgesetzt werden. Kaizen bzw. Gemba-Kaizen führt zum Erfolg, wenn das Management den Rahmen schafft, um diese Ideen und Maßnahmen ohne große Genehmigungsverfahren pragmatisch zu realisieren. Die schnelle, erfolgreiche und unbürokratische Umsetzung ist ein Indikator für die Fähigkeit des Managements mittels Gemba-Kaizen die Produktionskosten zu senken, gleichzeitig die Qualität zu verbessern und die Durchlaufzeiten zu verkürzen. Durch geeignete Maßnahmen können Unternehmensstandorte gesichert werden. Die Tools und Methoden von Kaizen sind vielfältig und werden bedarfsorientiert eingesetzt. Der IST-Zustand lässt sich am besten anhand einer Analyse mit dem Kaizen-Management-System (s. Abb. 1.4.2) ermitteln. Daraus lassen sich die geeigneten Maßnahmen ableiten. 22 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Abb. 1.4.1 Das Kaizen-Prinzip 1.4.3 5S-Aktion Meistens beginnt man mit einer 5S-Aktion, um eine gute Ausgangsbasis für weitere Verbesserungen zu schaffen. Hier werden alte Tugenden wie Ordnung, Sauberkeit und Selbstdisziplin wieder aktiviert. Die eingesetzten Methoden sind einfach, die Wirkung ist groß. Die fünf „S“ stehen für folgende aus Japan stam- menden Begriffe: • Seiri (Sortiere aus): Im ersten Schritt geht es um das Aussortieren nicht mehr benötigter Gegenstände, entweder in den Müll, ins Archiv oder zum Recyc- ling/Wiederverwendung • Seiso (Sauber halten): Arbeitsplatz säubern und nur benötigte Dinge einräumen • Seiton (Systematische Ordnung): Arbeitsmittel ergonomisch anordnen, näm- lich genau da, wo sie benötigt werden • Seiketsu (Standardisierung): Anordnungen zum Standard machen. Dabei helfen zum Beispiel Shadowboards oder Markierungen, damit jeder erkennt, wo der richtige Platz für Werkzeuge, Geräte etc. ist • Shitsuke (Selbstdisziplin und ständige Verbesserung): Alle Punkte einhalten und ständig verbessern. Standards von Zeit zu Zeit überprüfen, ob sie noch Sinn machen. Wichtig zur Darstellung der Ziele, Erfolge und Schwachpunkte ist die Visuali- sierung. Möglichst einheitlich sollten die Standards im ganzen Unternehmen visuell dargestellt werden. Das kann durch farbige Markierungen, Tafeln und Fotografien geschehen. 1.4.4 Das Kaizen-Management-System Das Kaizen-Management-System ist ein Instrument, um den Prozess der kontinu- ierlichen Verbesserung zielgerichtet zu implementieren und aufrecht zu erhalten. Spezielle Methoden zur Analyse des IST-Zustandes ermöglichen die Gestaltung 1.5 Flexible Produktion 23 einer Roadmap und die Auswahl der passenden Methoden. Im Mittelpunkt steht der Mensch. Deshalb ist es wichtig, dass alle Mitarbeiter einbezogen und in den Methoden geschult werden. Dem Management kommt dabei eine Vorbildfunk- tion zu. Mit Kaizen lassen sich selten „Quick Wins“ erzielen. Dafür wird sich die Situation nachhaltig verbessern. Kaizen ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Viele kleine Schritte bringen mittel- bis langfristig große Erfolge. KAIZEN® und GEMBAKAIZEN® sind eingetragene Schutzmarken des KAIZEN® Institute. 1.5 Flexible Produktion Fred Wilbert, Leonardo Group GmbH Flexibler Materialfluss und flexible Produktion sind vor allem durch kurze Durch- laufzeiten charakterisiert. Dieser Zusammenhang wird jedoch durch den strikten Fokus auf Verbesserungen in der Planung vielfach nicht wahrgenommen. Im Ge- genteil, durch zunehmend komplexe Abläufe in und mit Produktions-Planungs- Systemen (PPS) wird ein immer höherer Abstraktionsgrad erreicht und dies be- dingt immer mehr Informationstechnologie-Einsatz. Die oberste Zielgröße auf dem Weg zur flexiblen Produktion muss die Reduzierung der Durchlaufzeit sein. Dies kann durch die Festlegung der Fertigungskapazität, dem Aufbau einer Ferti- gungslinie, die Festlegung der Materialbereitstellung und mit dem Aufbau einer Abb. 1.4.2 Kaizen-Management-System (KMS) für dauerhaften Erfolg und ständige Wei- terentwicklung 24 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme fließenden Materiallogistik erreicht werden. Eine entscheidende Rolle spielen bei der Reorganisation die Grundtheoreme des betrieblichen Handelns: Das Pareto- Prinzip, die Gaußsche Normalverteilung, die Spieltheorie und die Fuzzy Logic. 1.5.1 Problem der Planung Wesentliche Gründe, die zur Planung zwingen: • Die Fertigungsdurchlaufzeit (FDLZ) ist länger als die Kundenerwartungszeit. Dieser Urkonflikt wird durch entsprechende Bevorratungsgrenzen bei Fer- tigware oder Halbfertigfabrikaten gelöst. Die Höhe der Bevorratung hängt signifikant mit der Höhe des Zeitunterschiedes zwischen FDLZ und Kunden- erwartungszeit ab. • Disposition von Kaufteilen oder Baugruppen mit langer Lieferzeit oder knap- per Verfügbarkeit gegenüber der Kundenerwartungszeit oder stark dyna- misch schwankender Nachfrage. • Hohe Automations- oder Anlagenverwendung mit niedriger Flexibilität und damit verbundenem notwendigem hohen Nutzungsgrad. • Prozessunsicherheit oder generell dynamische Prozesse und Kuppelproduk- tionen. Planung bringt Probleme mit sich: • Die Zukunft ist nicht vorhersehbar, auf Prognosen basierte Planung ist in der Praxis per Definition fehlerbehaftet. Aufgrund fehlerhafter Planung bedeuten zu früh oder zu spät hergestellte Produkte Verschwendung von Ressourcen. • Genaue Beschreibungen von Planungsszenarien scheitern an der Komplexi- tät, schneller Veränderung und Unvorhersehbarkeit der Einflussfaktoren. • Mangelnde Akzeptanz der Anwender, da diese die Planungsalgorithmen nicht mehr verstehen. • Hohe Kosten für Hardware, Software, in- und externer Dienstleistung, die moderne Planungssysteme benötigen. 1.5.2 Flexible Produktion nach dem Lean-Ansatz ermöglicht es, weitestgehend von Planung unabhängig zu werden Wesentlicher Aspekt ist das Verhältnis zwischen Fertigungsdurchlaufzeit oder Lieferzeit und der Kundenerwartungszeit (KEZ). Die FDLZ beschreibt den Zeit- raum, den der Betrieb benötigt, um ein Produkt herzustellen. Korrekterweise erweitert man die FDLZ um die Zeit, die für die Abwicklung der administrativen Prozesse (Auftragsabwicklung, Versand etc.) benötigt werden zur Kundenliefer- zeit (KLZ). Bereits hier steckt ein Kernkonflikt bei der Installation der Produk- tionsplanungs- und Steuerungssysteme (vgl. 5. EDV-Unterstützung in der Pro- 1.5 Flexible Produktion 25 duktion und im Materialfluss; 5.13. Production Synchronized Software). PPS haben die Aufgabe mit gegebenen Liefer- und Kundenerwartungszeiten um- zugehen und entsprechende Bevorratungsgrenzen an Fertigware oder Halbfer- tigfabrikaten anzulegen. Die Aufgabe der Installation besteht im Normalfall nicht in der Entschärfung des Konfliktes zwischen KLZ und KEZ, sondern im planerischen Umgang damit. Hierin liegt der wichtigste Unterschied, wenn ohne Planung ausgekommen werden soll. Das Ziel muss es sein, diesen Konflikt zu beseitigen oder zumindest soweit zu reduzieren, dass nur kürzere Zeiträume planerisch überbrückt werden müssen. Diese Aufgabenstellung wird weder vom Softwarelieferanten, noch vom Implementierungsdienstleister verstanden. Ver- glichen mit klaren, straffen Organisationsprozessen wird durch hohe Komplexi- tät immer mehr Informationstechnologie (IT) und damit Infrastruktur und Dienstleistung notwendig. Die Ausbildung des Softwareingenieurs umfasst we- der den Bereich der Fertigungstechnik noch der Materiallogistik. Die Fragestel- lung schneller, schlanker Prozesse im Produktionsablauf ergibt sich daher nicht auf den ersten Blick. Es ist einfacher, bestehende Prozesse in die Funktionalität der PPS zu manifestieren oder noch aufwendiger an die Funktionalität der Soft- ware anzupassen, als zu verbessern und damit die Komplexität der Implemen- tierung zu reduzieren. Das Verhältnis zwischen Wertschöpfung und Durchlauf- zeit ist mehr als gering. Was jeder unnötige Tag Fertigungsdurchlaufzeit im Sinne der Kapitalbindung kostet, kann sich jeder bei der Betrachtung des Work- in-process (WIP) selbst ausrechnen. 1.5.3 Lange Produktionsdurchlaufzeiten in PPS Wie setzt sich die Fertigungsdurchlaufzeit im PPS zusammen? Auftragsannah- me: Um eine relativ schnelle Auftragsbestätigung zu erreichen, bedarf es der Abklärung von Materialverfügbarkeit und Produktionskapazität. Ist Beschaf- fung nötig, sind erhebliche Unsicherheiten vorprogrammiert. Nach der Klärung und der Freigabe zur Produktion fällt der Auftrag in ein „schwarzes Loch“. Er wird bis zur Unkenntlichkeit „verstümmelt“ und abstrahiert, über verschiedene funktionale Abteilungsstrukturen und mehrstufigen Stücklisten, mit Start, Ende und Übergangszeiten versehen, verteilt und damit vermischt, vermengt mit Plan- und Kundenaufträgen zu anonymisierten Standardlosgrößen berechnet. Alles hoch-komplex und damit nur noch mit Software zu durchschauen. Nach unzähligen Abteilungen, Bearbeitungen, Ein- und Auslagerungen wird der Auf- trag irgendwann als „fertig“ gemeldet und dann durch eine sehr leistungsfähige Logistik schnell zum Kunden ausgeliefert. Trägt man diesen Ablauf aus Zeit und Reaktionsschnelligkeit in einer Kurve auf, entsteht ein sog. Badewannenprofil (Abb. 1.5.1). An dieser Stelle unterstellt man den PPS-Anbietern nicht, dass sie nicht auch diese Probleme erkennen – allein die Mittel zur Beseitigung erschei- nen typisch. Nicht eine Vereinfachung und Verknüpfung der Prozesse sind an- gesagt, nein, mehr Steuerung und Kontrolle. Leitstände als Instrument und Betriebsdaten-Erfassungs-Systeme (BDE) zur Rückmeldung des notwendigen 26 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Datenmaterials sind die Antwort. Wieder ein erweiterter Versuch, die Komplexi- tät und Dynamik des betrieblichen Geschehens zu beherrschen, anstatt die Komplexität durch geeignete organisatorische Maßnahmen abzusenken. 1.5.4 Die Alternative Der Fertigungsablauf sollte konsequent nach dem Prozess der Produkterstellung ausgerichtet werden. Die Komplexität der Fertigung spiegelt sich nicht in der mehrstufigen Stückliste, sondern in der Ressourcenstruktur und deren (Prozess-) Verknüpfung in der Produktion wieder. Durch die logische und physische Verket- tung (Wegfall der funktionalen Trennung) der Wertschöpfung entfallen Über- gangs- und Wartezeiten, die das eigentliche Potential zur Verminderung der Abb. 1.5.1 Fertigungsdurchlaufzeit – ein enormes wirtschaftliches Potential ist hier ver- steckt. Tabelle 1.5.1 Durchlaufzeit zu Arbeitszeit Arbeitsinhalte Durchlaufzeiten Arbeitszeit Bedienfeld Gebäudetechnik 22 Tage 19 min Wälzlager 42 Tage 7,2 hrs Gabelstapler 32 Tage 6,8 hrs Steuerzentrale 35 Tage 2,2 hrs Leiterplatten bestückt 25 Tage 42 min Kompressor 44 Tage 4,3 hrs 1.5 Flexible Produktion 27 Durchlaufzeit darstellen und nicht eine Fokussierung auf Bearbeitungszeiten, wie von Maschinenlieferanten und REFA oder MTM-Technikern alter Schule gerne forciert. Die zweite Voraussetzung ist die Bereitstellung der Materialien, die zur Herstellung der Produkte benötigt werden. Hier ergibt sich wieder das klassische Planungsproblem – welche Materialien in welchen Mengen? Das gleiche Problem ergibt sich auch in der Bereitstellung der Fertigungskapazität – wie viele Ressour- cen für wie viel Absatz? Also doch Planung, jedoch unter anderen Gesichtspunkten. 1.5.5 6R – Das Ziel der flexiblen Produktion • Das richtige Produkt • In der richtigen Menge • Am richtigen Ort • Zur richtigen Zeit • In der richtigen Qualität • Zum richtigen Preis. 1.5.6 Festlegung der Fertigungskapazität und Aufbau einer Fertigungslinie Das Ziel ist eine Fertigungslinie, die in der Lage ist, jedes notwendige Produkt zu jeder Zeit, innerhalb des definierten Bedarfs, herzustellen. Hierzu wird folgendes Vorgehen vorgeschlagen: Die Grundlagen sind eine mittel- und langfristige Pla- nung zur Ermittlung der Fertigungskapazität und eine kurzfristige Planung zur Bereitstellung des Materials. Analyse des Fertigungsprozesses im Fluss – Prozesssynchronisation oder in Verbindung mit Informationsflüssen als „Wertstromdesign“: Wie werden die Produkte hergestellt, in welcher Reihenfolge laufen die Prozesse ab, wie sind diese miteinander verknüpft? Das Ergebnis ist eine Baumstruktur der Prozesse, die bereits erste Hinweise auf die Bildung von Produktfamilien (Segmentierung) gibt. • Feststellung der Prozesszeiten für die einzelnen Arbeitsschritte. • Kalkulation der Anzahl der Ressourcen durch Festlegung des Bedarfs, der zur Verfügung stehenden Zeit und der notwendigen Zeit zur Produkterstellung. • Verteilung und Ausbalancierung der Arbeitsinhalte im Fluss mit dem Ziel einer möglichen kontinuierlichen Leistungserbringung. 1.5.7 Festlegung der Materialbereitstellung und Aufbau der Materiallogistik Das Ziel ist eine Materialbereitstellung, die in der Lage ist, den flexiblen Ferti- gungsprozess zu erreichen, also jedes Produkt an jedem Tag mit dem entspre- chend notwendigen Material zu versorgen. Hierzu wird folgendes Vorgehen vorgeschlagen: 28 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Abb. 1.5.2 Prozessverknüpfung statt funktionaler Trennung 1. Auflösen der Stückliste in seine Komponenten mit dem Ziel einer flachen Stückliste. 2. Berechnung der notwendigen, in Kanban-Technik bereitgestellten Material- mengen auf Basis durchschnittlichen Bedarfs und Wiederbeschaffungszeit. 3. Definition des Materialflusses vom Lieferanten bis an die Fertigungslinie. 4. Definition der Entkopplungspunkte zwischen Lieferung und Verbrauch. Werden Prozesse nicht im Fluss gekoppelt, z. B. durch Anbindung vorgelager- ter, spanabhebender Fertigung, entstehen so genannte „Supermärkte“. Die Schwachstellen liegen an der gleichen Stelle: Die zur Kalkulation der Linie und der Kanban-Karten verwendete Bedarfszahl ist nichts anderes als Planung, mit derselben Unsicherheit belegt, die bereits die Planungssysteme in Schwie- rigkeit bringen. In diesem Fall basiert der Planungswert auf einem groben Jah- reswert, herunter gebrochen auf einen durchschnittlichen Tageswert. Bei vielen Produkten auf einer Fertigungslinie, ergibt sich das Phänomen der sich „ausglei- 1.5 Flexible Produktion 29 chenden Unschärfen“ (statistischer Ausgleichseffekt). Es ist unmöglich, den Bedarf für ein einzelnes Produkt genau vorherzusagen. Die Voraussage für eine Gruppe von Produkten erreicht aber eine Gesamtunschärfe, in der sich die Nachfrage nach einzelnen Produkten gut erfüllen lässt (Fuzzy Logic). Vorausset- zung ist, dass die Nachfrage nach einem Produkt die berechnete Tagesrate des Produkt-Mix nicht übersteigt. Analog gilt dies für die Bereitstellung des Materi- als. Der Bedarf an Komponenten kann aus einer Kanban-Reichweite abgedeckt werden. Probleme bereiten Bedarfsschwankungen, die weit außerhalb der kal- kulierten Kanban-Mengen liegen, oder saisonale Gesamtschwankungen aller Produkte. Ziel: Produkte können innerhalb der Fertigungskapazität und der Kanban-Reichweite produziert werden, kurzfristig selbst außerhalb der durch- schnittlich kalkulierten Tageswerte. Fällt die FDLZ unter die Kundenerwar- tungszeit, entfällt die Notwendigkeit zur Planung, im gleichen Verhältnis gehen die Bestände von Work-in-process (WIP) und Fertigware zurück. Durch die Verkürzung der FDLZ senkt sich der Planungshorizont – die Eintrittswahr- scheinlichkeit erhöht sich. 1.5.8 Grundtheoreme betrieblichen Handelns Pareto Pareto (Ökonom, 1848 bis 1923) stellte das nach ihm benannte Pareto-Prinzip oder auch die „80/20-Regel“ auf. D. h. 20 % der Produkte stellen 80 % des Um- satzvolumens eines Unternehmens dar. 20 % der Produkte können zu 80 % ohne Probleme in dynamische, bedarfsgesteuerte Fertigungsstrukturen abgebildet werden. Bei den restlichen Produkten handelt es sich entweder um Exoten oder Fertigungsprozesse, die nicht ohne weiteres in Fluss gebracht werden können. Exoten werden separat gefertigt und auch klassisch geplant. Komplexe, hetero- gene Prozesse können durch „Supermärkte“ entkoppelt werden. Die dabei ent- stehenden Teilprozesse unterliegen wieder den gleichen Prinzipien. Materialien verhalten sich ähnlich. 20 % der Teile werden 80 % des notwendigen Wertes re- flektieren. Davon werden sich 80 % in verbrauchsgesteuerten Kanban-Prozessen bereitstellen lassen, mit dem Ergebnis niedriger Kapitalbindung. Die restlichen 20 % bedürfen einer klassischen Planung mit niedrigstem administrativem Auf- wand. Es erscheint heute so, dass sich 80 % der einschlägigen Forschungs- und Beratungsunternehmen mehr mit der Verbesserung von Planungskonzepten als mit der Straffung von betrieblichen Prozessen auseinandersetzen. Man adressiert damit einen Gesamtmarkt, wovon 20 % durchaus profitieren und die restlichen 80 % eher unnötig mit überdimensionierten Planungssystemen belastet werden. Gauß Gauß (Mathematiker, 1777 bis 1855) hat die nach ihm benannte „Gaußsche Nor- malverteilung“ aufgestellt. Eine Reihe der notwendigen Maßnahmen bereitet gar 30 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme keine bis wenige Probleme. Ein Teil der Aufgaben bedarf größerer Vorbereitung und Abstimmung, ein anderer Teil der Aufgaben erscheint unlösbar und ein letzter Teil wird es sein. Man sollte die Anstrengung auf die schwierigen Berei- che konzentrieren und den Rest betrieblicher Routine, der Intelligenz der Mitar- beiter, selbst steuernden Regelkreisen sowie einer klaren und schlanken Struk- tur überlassen. Spieltheorie Neumann und Morgenstern entwickelten die soziologische Verhaltensanalyse der „Spieltheorie“ [Neum 44]. Teilnehmer, genauso wie Spieler, verfolgen am Markt ihre eigenen Interessen. Als Erfolg versprechender setzen sich koopera- tive Verhaltensweisen durch, das Win-Win-Konzept. Die Ursache liegt darin, dass sie letztendlich alle am Prozess der Werterstellung profitieren lassen. Über- tragen heißt das: Verstärkung der Abstimmung mit Lieferanten zum Zwecke der flexiblen, schnellen und langfristigen Einbindung der Materiallogistik ist ziel- führend, sowie die Abstimmung mit Kunden und der Entwicklung über Produk- te, die sich leichter und schlanker produzieren lassen. Letztlich ist noch Ab- stimmung mit den Mitarbeitern über kontinuierliche Verbesserung, flexible Qualifikation, Organisation und Arbeitszeitmodelle anzustreben. Fuzzy Logic und ungenaue Planung Nach Lotfi Zadeh (1965) können logische und richtige Entscheidungsergebnisse auch unter unscharfen Eingangsinformationen erzielt werden, d. h. man kann nicht alle Probleme beschreiben, geschweige denn durch Planung lösen, aber trotzdem richtige Entscheidungen treffen. Betriebe sollten sich auf 20 % der Lieferanten, Kunden und Mitarbeiter, die ihnen 80 % ihrer Wertschöpfung brin- gen, konzentrieren, oder umgekehrt die mittel- und langfristige Zusammenar- beit mit 20 % überdenken, die ihnen 80 % des Ärgers verursachen. Man löst 80 % der Anforderungen durch schlanke Prozesse und flexible Organisation. Die restlichen 20 % der Aufgaben werden 80 % der Aufmerksamkeit benötigen. 1.6 Das Synchrone Produktionssystem (SPS) Hitoshi Takeda, Friedhelm Michels, SPS Management Consultants Deutschland GmbH Das Synchrone Produktionssystem (SPS) von Hitoshi Takeda [Take 03] setzt die Just-in-time-Philosophie für das ganze Unternehmen um. Die Herstellung klei- ner Lose, verbunden mit einer intimen Prozesskenntnis (Autonomatisierung), ermöglicht es auch Unternehmen in Hochlohnländern, ihre Wettbewerbsfähig- keit zu erhalten. Der Aufbau eines echten One-piece-flow im Kundentakt, Ent- 1.6 Das Synchrone Produktionssystem (SPS) 31 wicklung sehr kurzer Rüstprozesse (2−3 Minuten in der mechanischen Bearbei- tung, wenige Sekunden in der Montage), Einführung von „Low Cost Intelligent Automation“-Vorrichtungen (LCIA-Vorrichtungen) sind Voraussetzung. Das präzise Management der Prozesse in kleinen Teams ist die einzig mögliche Ma- nagementstruktur, die dies ermöglicht. Das Synchrone Produktionssystem wurde Ende der 1980er Jahre als eine Aus- formung des Toyota Produktionssystems von einer Reihe von Verbesserungs- managern von Toyota-Zulieferern ausgearbeitet. Sie hatten das TPS von den Entwicklern und Umsetzern dieser Systematik selbst gelernt, waren jedoch gleichzeitig auch als Lehrende in ihren Unternehmen und bei ihren Zulieferern tätig. Ihnen ging es daher um eine Strukturierung des Zusammenhangs zwi- schen den grundlegenden Ideen des TPS und den Prinzipien (Tools), die bei der Implementierung angewendet wurden. 1.6.1 Die Elemente Inzwischen sind die Umsetzungsprinzipien (6S, Verschwendungseliminierung, One-piece-flow, Produktion in Kundentakt, Nivellierte Produktion, TPM, hoch entwickelte Fein- und Feinstlogistik, Kanban usw.) auf verschiedenen Wegen in viele deutsche Unternehmen eingedrungen, die grundlegenden Ideen werden - hoher Nutzungsgrad - wirtschaftliche Losgrößen - starke Arbeitsteilung - funktionale Trennung - Prüfen am Ende der Prozeßkette - Nacharbeit Standards werden durch das Management entwickelt, Isolation der Mitarbeiter, Mitarbeiter als Ausführende einfacher Tätigkeiten schnell, teuer, Instandhaltung durch Fachabteilung Entkopplung der Prozesse durch hohe Bestände Zentrale Steuerung / Planung GEWINN Rationalisierungsmaßnahmen durch das Management Mensch Maschine Material Abb. 1.6.1 Das Ford Produktionssystem [Yagy 06] 32 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme jedoch häufig noch nicht richtig verstanden. Unter den wirtschaftlichen Bedin- gungen der 1950er bis 1970er Jahre (Nachfrage > Angebot) hatte sich die Pro- duktion gemäß den Prinzipien von Taylor und dem daraus aufbauenden Ford- Produktionssystem entwickelt (Abb. 1.6.1). Die Herstellung der Produkte wurde als ein maschineller Prozess betrachtet, wobei es darauf ankam, die „Maschine“ störungsfrei am Laufen zu halten. Die gängige betriebswirtschaftliche Betrach- tungsweise sämtlicher unternehmerischer Prozesse baut ebenfalls auf diesem Maschinenbild auf. Die wesentlichen Begriffe des „Ford-Produktionssystems“ sind: siehe Abb. 1.6.1. 1.6.2 Strikte Kundenorientierung Das Synchrone Produktionssystem entstand unter anderen wirtschaftlichen Bedingungen (Angebot > Nachfrage). Hier gilt es, sehr genau den Bedürfnissen der Kunden nachzukommen, um alte an sich zu binden und neue zu gewinnen. Die alte Betrachtungsweise der Produktion weicht hier einem neuen Paradigma, das Unternehmen wird als ein organisches System angesehen, in dem es darum geht, dass die einzelnen Unternehmensteile ihre Informationen und Materialien immer abhängig von der aktuellen Situation erhalten. Ähnlich wie in den meis- ten organischen Systemen beruht das Funktionieren nicht auf einer zentralen Steuerung aller Prozesse, sondern auf dem selbständigen Handeln und dem Informationsaustausch zwischen einzelnen Teams, wobei die Funktion des Ge- samtsystems im Mittelpunkt steht. Entscheidend ist die schnelle Reaktion auf Störungen und die Bemühungen um grundlegende Abstellung der Ursachen. Dies ist kein Nebengeschäft, sondern eines der Hauptgeschäfte der Teams. Nur so ist eine kundenorientierte (kleinste Lose, schnelle Durchlaufzeiten), „quali- tätsvolle“ (< 100 ppm interne Qualität) und kostengünstige Produktion bei ge- ringsten Beständen möglich. Hochautomatisierung spielt in diesem System eine untergeordnete Rolle, die Nutzung und das effiziente Management des Know- hows der Mitarbeiter stehen im Mittelpunkt. Nur durch die dadurch entstehen- de intime Prozesskenntnis kann eine effiziente, hoch gewinnträchtige Produk- tion unter den aktuellen wirtschaftlichen Bedingungen gelingen. 1.6.3 Begriffsfelder des Synchronen Produktionssystems (SPS) Die konkrete Implementierung in bestehende Unternehmensstrukturen ist keine leichte Aufgabe. Es gilt zunächst, auf der Ebene der Unternehmensleitung eine Unternehmens-Vision zu entwickeln: „Wir wollen ein Unternehmen sein, das in der Lage ist, kleinste Losgrößen (resp. größte Typenvielfalt) in kürzester Zeit feh- lerfrei herzustellen“. Gleichzeitig muss auf dem Shopfloor die Fähigkeit zu schnel- len und nachhaltigen Veränderungen entwickelt werden. Welche Tools und wel- che Methoden eingesetzt werden, ist für den Erfolg nicht so entscheidend. Sicher 1.6 Das Synchrone Produktionssystem (SPS) 33 sind U-Linien, One-piece-flow und Produktion im Kundentakt wertvolle Leitbe- griffe, es sind aber auch andere Umsetzungsweisen möglich. Der wichtigste Ge- sichtspunkt ist die Fähigkeit, verschwendungsarm und fehlerfrei zu produzieren. Die Erfahrung von Experten, die sich sehr lange mit der Implementierung des Synchronen Produktionssystems (bzw. Toyota-Produktionssystems) beschäfti- gen, ist hier nicht zu ersetzen. Der Fokus auf eine immer schnellere Durchlaufzeit des Materials und auf ein System der unmittelbaren Fehlermeldung mit an- schließendem Fehlermanagement (Qualitätserzeugung im Prozess) sind in der Regel brauchbare Ausrichtungen des Verbesserungsprozesses. Im hergebrachten Denken erscheinen eine Reihe von Maßnahmen (extreme Verkürzung von Rüst- zeiten, Umlagerung indirekter Tätigkeiten in die Produktionsteams usw.) nicht nachvollziehbar, da sie mit den BA-Analyseinstrumenten nicht gerechnet werden können. Der Grund liegt darin, dass sich Business-Administration (BA, dt. Be- triebswirtschaft) meist mit kurzen Zeiträumen und kleinsten Strukturen beschäf- tigen. Warum dies so ist, hat viele Ursachen. Eine wesentliche ist darin zu sehen, dass die Auswahl der Beschreibungsgrößen bei den Instrumenten der BA sich zu sehr an den BA-Theorien orientiert. Diese Theorien gehen in den meisten Fällen davon aus, dass sich der Unternehmensprozess wie ein geschlossenes System vollständig beschreiben lässt. Ein Unternehmen ist jedoch eher als ein offenes System zu verstehen. Daher müssen auf BA-Ebene neue Beschreibungsansätze (u. U. auch stark deskriptive) entwickelt werden. Just-in-time - Fließfertigung - Produktion in Taktzeit - Pull-System Autonomation - Qualität im Prozess - LCIA - Flexible Arbeitsaufteilung Mensch Standardisierte Arbeit Mehrfachqualifizie- rung Maschine Andon Material Kanban Nivellierte Produktion Kundennähe Wettbewerbsfähigkeit Gewinn, schnelle Reaktionsfähigkeit Durch verbesserte Produktionsprozesse: hohe Qualität, kurze Durchlaufzeit Vermeidung von Verschwendung (MUDA) Visuelles Management W er ks zi el e, A b te ilu n g sz ie le , L in ie n zi el e (H er u n te rb re ch en d er Z ie le ) K A IZ E N Autonomation Nivellierte Produktion Abb. 1.6.2 Das Synchrone Produktionssystem [Yagy 06] 34 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme 1.7 ForLog – neue Ansätze zur Adaptivität, Bayerischer Forschungsverbund Supra-adaptive Logistiksysteme Julia Boppert, Michael Schedlbauer, Lehrstuhl für Fördertechnik Materialfluss Logistik (fml), Technische Universität München Die Verkürzung der Produktlebenszyklen vor dem Hintergrund hohen Innova- tionsdrucks, der Trend zur Produktion individualisierter Güter und die daran gekoppelte hohe Variantenvielfalt bergen für die Unternehmen der Automobil- branche große Herausforderungen hinsichtlich der schnellen und effizienten Anpassung ihrer logistischen Prozesse und Systeme. Die Entwicklung und Im- plementierung zukunftssicherer Logistiksysteme wird dabei immer mehr zu einem entscheidenden Wettbewerbs- und Erfolgsfaktor für Unternehmen in der sich „globalisierenden“ Wirtschaft. Dabei ist der Stand wissenschaftlicher For- schung und praktischer Nutzung im Bereich der modernen Logistik bis heute weit weniger entwickelt als in vielen anderen Hochtechnologiefeldern. Somit ergibt sich die Chance, die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens durch exzellente Logistik aktiv zu stärken. Vor diesem Hintergrund verfolgte der Bayerische Forschungsverbund ForLog im Rahmen seiner dreijährigen Aktivitäten das Ziel der Supra-Adaptivität als Vision für zukünftige Wertschöpfungsketten: Unter Supra-Adaptivität wird die Fähigkeit eines Systems verstanden, sich mit minimalem Aufwand und zudem unternehmensübergreifend an Veränderungen anzupassen. Realisiert werden kann dies durch eine gezielte Kombination von Wandlungsfähigkeit, Vernet- Abb. 1.7.1 Bestandteile der Supra-Adaptivität 1.7 ForLog – Supra-adaptive Logistiksysteme 35 zungsfähigkeit und Mobilität im physischen wie vor allem auch im informatori- schen und strukturellen Sinne. Zur Erreichung dieses Ziels haben sieben Lehrstühle der Universitäten Mün- chen, Regensburg und Nürnberg sowie über 30 Industriepartner gemeinsam Konzepte, Methoden und Bausteine erarbeitet, die im hochvolatilen Umfeld der Automobilindustrie Adaptivität bei überbetrieblichen Anpassungen wie auch innerbetrieblichen Umstrukturierungen ermöglichen. Die Struktur des Verbundes spiegelt dabei die sechs identifizierten Hauptak- tionsfelder der Supra-Adaptivität wider, die im Folgenden kurz vorgestellt wer- den sollen: 1.7.1 FlexLog – Flexibilität und Adaptivität Hybride Wettbewerbsstrategien wie „Mass Customisation“ zur besseren Aus- richtung auf die Markterfordernisse stellen hohe Anforderungen an die Flexibi- lisierung aller in der automobilen Supply Chain involvierten Strukturen, Prozes- se und Ressourcen. Da Flexibilität jedoch kein kostenloses Gut ist, gilt es besonders in Zeiten eines sich verschärfenden Wettbewerbs, diesen zentralen Erfolgsfaktor optimal zu steuern. Ziel von FlexLog war es daher, den Flexibili- tätsbegriff vor dem Hintergrund des automobilen Wertschöpfungsnetzwerkes eingehend zu erfassen, zu strukturieren und zu operationalisieren. Ein besonderer Schwerpunkt lag in der Erforschung der unterschiedlichen Ursachen für Flexibilitätsbedarfe (Anpassungsauslöser), um darauf aufbauend den optimalen Flexibilitätsgrad einer Supply Chain sowohl auf einer hoch ag- gregierten, strategischen Ebene als auch im operativen Tagesgeschäft bestimmen zu können. Im Rahmen einer empirischen Studie wurde daher zunächst unter- Abb. 1.7.2 Struktur und Themenfelder des Verbundes 36 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme sucht, wo die Haupttreiber und -ursachen für Flexibilitätsbedarfe liegen und daraufhin wichtige Eckpfeiler für operatives sowie strategisches Flexibilitätsma- nagement entwickelt. Bei ersterem stand die Schaffung eines umfassenden Mess- und Bewertungssystems im Vordergrund, das in den neu geschaffenen Flexibili- tätsmanagementprozess integriert wurde (s. Abb. 1.7.3). Im Gegensatz zu der damit unterstützten Optimierung der operativen Flexibi- lität einer Supply Chain, kommt einer strategischen Flexibilitätssteuerung die Aufgabe zu, unnötige Flexibilitätsbedarfe bereits im Vorfeld einzudämmen und somit Kosteneinsparpotenziale zu realisieren. In diesem Zusammenhang wurde der konzeptionell an ein Revenue Management System angelehnte FMNA- Ansatz (Flexibilitätskostenorientiertes Management von Neufahrzeugbestellun- gen in der Automobilindustrie) geschaffen, der eine Segmentierung der End- kunden (Fahrzeugkäufer) nach unterschiedlichen Lieferzeiten und gewünschter Änderungsflexibilität vornimmt. Die Kombination der verschiedenen Ausprä- gungen mit einer prognostizierten, unterschiedlichen Zahlungsbereitschaft der Kunden bildet die Grundlage für eine Differenzierung bisher noch gleich behan- delter Built-to-Order-Aufträge. Durch die damit mögliche, gezielte Beeinflus- sung der nachfrageseitig induzierten Flexibilitätsbedarfe kann eine verstärkte Fertigungssegmentierung durchgeführt und damit eine Verringerung des Pla- nungsaufwandes sowie eine Glättung der Produktion erreicht werden. Die Zulie- ferer könnten in diesem Sinne von einer verbesserten Prognosequalität profitie- ren, da sich beispielsweise die Aufträge der Kunden mit längeren geduldeten Lieferzeiten und ohne Wunsch nach Änderungsflexibilität bereits langfristig einplanen lassen. Anpassungs- auslöser Flexibilitäts- bedarf Soll- Flexibilität Ist- Flexibilität Flexibilitäts- potenzial Flexibilitäts- ressourcen Gap vorhanden Flexibilitätsmaßnahmen Gap nicht vorhanden Flexibilitätsumsetzung (Built-in) Kein Flexibilitäts- bedarf Flexibilitäts- kosten/-nutzen Supra-Adaptivität Empirische Untersuchung Messung und Bewertung Anpassungs- auslöser Flexibilitäts- bedarf - - - - ( -in Kein Flexibilitäts- bedarf Flexibilitäts- kosten/-nutzen Empirische Untersuchung Management Abb. 1.7.3 Flexibilitätsmanagementprozess 1.7 ForLog – Supra-adaptive Logistiksysteme 37 1.7.2 SysLog – IS-Architekturen supra-adaptiver Logistiksysteme in der Automobilindustrie Die Architektur der Informationssysteme (im Folgenden: IS) der automobilwirt- schaftlichen Logistiksysteme gilt als einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren ra- scher Anpassungsfähigkeit. Ausgangspunkt der Forschungsumfänge des Teil- projekts SysLog zur Ermittlung geeigneter IS-Architekturen in supra-adaptiven Logistiksystemen bildete die Beschreibung realer Anpassungssituationen sowie derzeit und zukünftig zu erwartender Anpassungsstrategien in den informa- tionstechnischen Abläufen. Nach deren eingehender Analyse ließen sich daraus die resultierenden Anforderungen an zukünftige IS-Architekturen bestimmen. Daneben wurden die wesentlichen architektonischen Komponenten logistischer Informationssysteme einer näheren Betrachtung unterzogen sowie eine Typolo- gisierung realer IS-Architekturen in vier idealtypische Ausprägungen durchge- führt. Diese umfangreichen Vorarbeiten erlaubten die Entwicklung von Normstra- tegien zur Gestaltung von IS-Architekturen und somit situative Handlungsemp- fehlungen, die in Abhängigkeit der jeweiligen Anpassungssituation einen geeig- neten Architekturtyp zur Verfügung stellen. Dies ermöglicht eine effiziente Unterstützung der IS-Architekturplanung und daraus folgend eine verbesserte Anpassung der Informationssysteme an die unternehmensspezifischen Bedarfe. Für die Anpassungsaufgabe „Mittelfristige Kapazitätsplanung“, die gerade für Zulieferer von Bedeutung ist, wurde darauf aufbauend beispielhaft eine geeigne- te Anwendungsarchitektur ausgewählt, die auf der im Rahmen des Forschungs- projekts definierten Klasse „Enterprise Service Oriented Architecture“ basiert. 1.7.3 PlanLog – Modellierung und Planung adaptiver Fabrikstrukturen Das Teilprojekt PlanLog beschäftigte sich mit der durchgängigen, wertschöp- fungskettenweiten Standardisierung der Logistikplanung zur Gewährleistung von Adaptivität bereits im Planungsprozess unter gleichzeitiger Sicherstellung notwendiger Flexibilität. Kernaufgabe war dabei die Erarbeitung eines Planungskonzeptes, das unter Verwendung von Bausteinen die zur Erreichung des gewünschten Planungsziels notwendigen Planungsschritte in modularer Form beschreibt und entsprechen- de Werkzeuge zur Verfügung stellt. Der Planungsbaustein beinhaltet dabei klar definierte Arbeitsumfänge, die sich thematisch nach Aufgabe und Ergebnis ein- deutig von einander abgrenzen lassen. Jeder Baustein ist hierzu in standardisier- ter Form aufgebaut und kann mit anderen Bausteinen zu einer aufgabenindivi- duellen Planungskette kombiniert werden (s. Abb. 1.7.4). Die Planungsbausteine lassen sich so einzeln pflegen, optimieren und wieder verwenden und gewähr- leisten in ihrer aufgabenspezifischen Verknüpfung die supra-adaptive Antwort auf die zu bearbeitenden Fragestellungen. Die Evaluierung der darauf begründe- 38 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme ten bausteinbasierten Planungsumgebung geschah an Hand eines hierzu erstell- ten Softwaretools. Im Rahmen des Datenmanagements wurden sog. Prozess- sowie Technikmo- dule entwickelt, die eine Beschreibung des Planungsgegenstands auf Basis mo- dularer Objekte ermöglichen und somit logistische „Stammdaten“ in standardi- sierter Form und in sinnvollen Aggregationsebenen archivieren, pflegen und insbesondere auch wieder finden lassen. In einer Befragung der beteiligten Unternehmen kristallisierte sich zudem das Thema Wissensmanagement in der Logistikplanung als relevantes Untersu- chungsfeld heraus. So finden lediglich 7 % der Befragten in ihrem Unternehmen umgehend alle für ihre Tätigkeit relevanten Informationen. Hinsichtlich Such- anfragen in den zur Verfügung stehenden IT-Systemen weisen 46 % der Teil- nehmer darauf hin, dass sie häufig auf veraltete Dokumente und Informationen stoßen. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, wurden zur Unterstützung der adaptiven Logistikplanung geeignete Konzepte erarbeitet, die spezifisch für das Kommunikationsumfeld des Planers eine verbesserte Sammlung, Aufarbei- tung und Bereitstellung von Expertenwissen zur Verfügung stellen. Besonderes Augenmerk lag zudem auf der Integration von Tools der Digita- len Fabrik, respektive Virtual Reality (VR)und Augmented Reality (AR), die es den Anforderungen einer bausteinbasierten Planung entsprechend zu adaptie- ren galt, um in Zukunft eine deutlich schnellere und qualitativ hochwertigere Abb. 1.7.4 Bestandteile des adaptiven Planungskonzepts 1.7 ForLog – Supra-adaptive Logistiksysteme 39 Planungsdurchführung auf Basis verbesserter, intuitiver Mensch-Maschine- Kommunikation zu ermöglichen. Dabei wurde unter anderem ein VR-basierter Kommissionier-Demonstrator konzipiert, der erstmals eine realistische Absicherung von Planungsständen durch die Integration des Menschen mit Hilfe eines Laufbands und eines Daten- handschuhs in virtuelle Kommissioniersysteme ermöglicht. Zur Evaluierung des Demonstrators wurde ein umfassendes Probandenpro- gramm angestoßen, um die Vor- und Nachteile der VR in der Planung sowie auch die Integration und das Verständnis der Mitarbeiter in der virtuellen Welt über- prüfen zu können. Besonders bemerkenswert ist hierbei, dass die Mitarbeiter nach einer kurzen Anlernzeit sehr gut in der virtuellen Lagerumgebung agieren konnten und sehr große Motivation zur Erfüllung der an sie gestellten Aufgaben zeigten. Auch die erwarteten Bedenken hinsichtlich einer erhöhten kognitiven Belastung konnten mit der Versuchsreihe völlig ausgeschlossen werden. 1.7.4 TransLog – Logistikdienstleister-Organisation und Transportnetzwerkstrukturen Eine ganzheitliche Sichtweise der Wertschöpfungskette „Automobilindustrie“ setzt auch die nahtlose Integration von Logistik-Dienstleistern (LDL) voraus, die durch Outsourcing logistischer Leistungen erfolgt. Um diesbezüglich die ent- sprechenden Bedarfe und Anforderungen bei den jeweiligen Beteiligten der Wertschöpfungskette aufzudecken, wurden in einer qualitativen Erhebung Ex- pertengespräche bei Unternehmen der Automobilindustrie und LDL durchge- führt. Die Gegenüberstellung und die zusätzliche Analyse von Outsourcing- Projekten ergaben einen vierphasigen Outsourcing-Prozess, auf dessen Basis unterschiedlichste Lösungsansätze entwickelt wurden. In der Phase der Entscheidungsfindung wurden ein Outsourcingleitfaden so- wie Entscheidungsregeln erstellt, die für die Auswahl eines geeigneten Dienstleis- tertyps und den Grad an Outsourcing von richtungsweisender Bedeutung sind (s. Abb. 1.7.5). Für die Phase der Ausschreibung, die für die Definition der Schnittstellen entscheidend ist, wurde ein Ausschreibungsleitfaden entwickelt, der die Sichten der Logistikdienstleister wie auch der Verlader integriert. In der Phase der Realisierung wurden konkrete Umsetzungsvorschläge hinsichtlich Ressourcenmix und geographischer Positionierung gegeben. Der Schwerpunkt lag dabei auf den Themen Ramp-Up von Dienstleistungen und Multi-User- Center (MUC) als innovative Lösung eines zentralen Logistikknotens für Akteure mehrerer Wertschöpfungsstufen mit kombinierten Prozessen und Ressourcen. Der große Vorteil des MUC liegt zum einen in der Schaffung von Synergieeffek- ten für logistische Leistungsumfänge, zum anderen in der einfacheren Realisie- rung logistischer Innovationen durch eine Bündelung gemeinsamer Tätigkeiten. Die operative Phase des von TransLog entwickelten Outsourcingprozesses stellt geeignete Hilfsmittel für den Alltagsbetrieb – darunter Behältermanage- ment, durchsatzabhängige Verrechnung und Ladungssicherung – bereit und 40 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme bietet damit konkrete Antworten auf spezifische Fragestellungen der gesamten Logistikdienstleistungsbranche. 1.7.5 NutzLog – Vorteilsausgleich-Nutzenverteilung Die ganzheitliche Optimierung der Supply Chain erfordert intelligente Logistik- systeme. Diese Systeme ziehen allerdings einen erheblichen Investitionsaufwand mit sich, dem sich vielfältige, aber bislang nur ansatzweise quantifizierbare Nut- zenpotenziale in der Kette gegenüberstellen lassen. Bei vielen dieser logistischen Investitionen herrscht a priori große Unsicherheit bezüglich des zu erwartenden Nutzenbeitrags. NutzLog zeigte im Laufe der Projektzeit auf, wie Transparenz über den logistischen Nutzen in Wertschöpfungsnetzwerken die Zusammenar- beit fördern kann und untersuchte den Vorteilsausgleich auf Basis der Nutzen- verteilung. Die Frage der Identifikation und Quantifizierung von Nutzen stellte ein zentrales Thema dar. Im ersten Schritt wurde hierzu ein einheitliches Prozessmodell hergeleitet, das die logistischen Prozesse in Unternehmenskooperationen aufeinander ab- stimmt und beschreibt. Der betrachtete Objektbereich wurde auf die Akteure OEM, 1st-Tier und Logistikdienstleister beschränkt. Zur Ableitung der im nächsten Schritt erforderlichen Einflussgrößen, Kenngrößen und Kennzahlen wurden mögliche Veränderungen bei Einführung eines logistischen Konzeptes wie z. B. Vendor Managed Inventory (VMI) oder des Auftragsreihenfolgekon- zepts identifiziert und Wirkungszusammenhänge analysiert. Darauf aufbauend erfolgte für jedes logistische Konzept unter der ausdrücklichen Berücksichti- Outsourcing - Entscheidung Ausschreibung Projekt - Realisierung Zuordnung inhaltlicher Themen Outsourcing - Leitfaden Pr ü fung Machbarkeit ( Beh ä lter, ETL, etc.) Ganzheitlicher Ausschreibungsprozess Ausschreibungsleitfaden Konzeption MUC Ramp Up Durchsatzabh ängige Beh Mitarbeiter -Flexibilit ät Personalstruktur Outsourcing - Entscheidung Ausschreibung Projekt - Realisierung Zuordnung inhaltlicher Themen Beantwortete Forschungsfrage Outsourcing - Leitfaden Pr ü fung Machbarkeit ( Beh ä lter, ETL, etc.) Ganzheitlicher Ausschreibungsprozess Ausschreibungsleitfaden Konzeption MUC Ramp - Up Durchsatzabh ängige Beh 3. „ Definition von 4. „ Detaillierung von Ressourcenmix “ Outsourcing - Entscheidung Ausschreibung Projekt - Realisierung Zuordnung inhaltlicher Themen r TP4 Outsourcing - Leitfaden Pr ü fung Machbarkeit ( Beh ä lter, ETL, etc.) Ganzheitlicher Ausschreibungsprozess Ausschreibungsleitfaden Konzeption MUC Ramp Up Durchsatzabh ängige Beh Mitarbeiter -Flexibilit ät Personalstruktur Outsourcing – Entscheidung Ausschreibung Projekt – Realisierung Operativer Betrieb Zuordnung inhaltlicher Themen Beantwortete Forschungsfrage Outsourcing-Leitfaden Prüfung Machbarkeit (Behälter, ETL, etc.) Ganzheitlicher Ausschreibungsprozess Ausschreibungsleitfaden Konzeption MUC Ramp-Up Durchsatzabhängige Verrechnung Ladungssicherung Behältermanagement 1. „Genereller Dienstleistertyp“ 2. „Outsourcing-Grad“ 3. „Definition von Schnittstellen“ 4. „Ressourcenmix“ 5. „geographische Positionierung“ 4. „ Detaillierung von Ressourcenmix“ Abb. 1.7.5 Phasen und Arbeitsthemen im Outsourcingprozess 1.7 ForLog – Supra-adaptive Logistiksysteme 41 gung der akteursindividuellen Spezifika die Entwicklung eines Ziel-/Messkatalog als Grundlage der zu erreichenden Nutzenquantifizierung. Die in einer Vielzahl von Workshops erarbeiteten Kennzahlen zur Beschreibung der Konzepteffekte konnten spezifisch von den Beteiligten hinsichtlich ihrer Wirkungsrichtung und -intensität beurteilt und dem Ort des Wirkens (Prozesssequenz) zugeordnet werden. Neben der Berücksichtigung direkt und unmittelbar quantifizierbarer Bestimmungsgrößen der Nutzenwirksamkeit der einzelnen Konzepte integrierte das Projekt auch nicht direkt quantifizierbare „Softfacts“ bei der Entwicklung eines Nutzenverteilungsmodells. Ferner konnte ein verbindliches und praxisori- entiertes Kostengerüst zur Aufnahme und Analyse der Kostensituation geschaf- fen werden. Dieses bildet die Kategorien Steuerungs- und Systemkosten, Be- stands-, Lager-, Transport-, Handling- und Verpackungskosten sowie sonstige Kosten ab. Mit Hilfe eines ganzheitlichen Modells erfolgte die Zusammenfüh- rung der Einzelergebnisse, das die Ableitung eines Algorithmus zur Analyse der Nutzenverteilung in Logistikprojekten erlaubte. Die Überführung in ein Soft- ware-Tool unterstützt in geeigneter Form die kettenweite Verteilung des ent- standenen Nutzens. Dies ebnet den Weg für einen Paradigmenwechsel hinsicht- lich der Kooperationsbereitschaft von Unternehmen innerhalb einer Supply Chain. Die objektive Beurteilung der Nutzenverteilung hilft, Vorbehalte gegen- über unternehmensübergreifender Transparenz abzubauen und bildet so die Grundlage einer fairen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit, bei der die Erreichung des Systemoptimums der gesamten Wertschöpfungskette im Vor- dergrund steht. 1.7.6 MitLog – Mitarbeiterqualifizierung und -mobilität Der Fokus von MitLog lag auf dem Faktor Mensch im Produktions- und Logis- tikprozess mit der Zielsetzung, dem Mitarbeiter den Umgang mit den hohen Anforderungen supra-adaptiver Logistiksysteme zu ermöglichen. Die Verfüg- barkeit von Expertenwissen muss dazu in demselben Maße Flexibilität aufwei- sen wie die betrachteten Logistiksysteme. Dieses kann über Mitarbeitermobilität einerseits sowie Informationsmobilität andererseits bewerkstelligt werden. Auf Basis theoretischer Untersuchungen und Recherchen sowie unter Rück- griff auf das Praxiswissen der Industriepartner wurden dementsprechend Refe- renzszenarien für die Entwicklung der Konzepte und Demonstratoren definiert. Neben der Erarbeitung von Arbeitsorganisationsformen zum flexiblen werks- und unternehmensübergreifenden Mitarbeitereinsatz wurde vor allem ein Tool zur arbeitsorganisatorischen Personaleinsatzplanung entwickelt, das Metho- denunterstützung bei Mitarbeiterbedarfsschwankungen in der Logistik bietet und damit die geforderte Mitarbeitermobilität und -flexibilität unterstützt. Je nach Planbarkeit und Dauer eines konkreten Mitarbeiterbedarfs sind hier geeig- nete Methoden hinterlegt sowie mit Vor- und Nachteilen erläutert. Auch eine 42 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Anpassung auf unternehmensspezifische Besonderheiten (z. B. die Vermeidung von Leiharbeit) ist jederzeit möglich. Im Bereich der Schulung und Weiterbildung entstand einerseits ein De- monstrator einer virtuellen Lernumgebung zur Job rotation im Bereich der ma- nuellen Serienmontage und zum anderen ein Virtual Reality-Demonstrator zur menschintegrierten Simulation von Kommissionierprozessen. Darüber hinaus wurden für die Kommissionierung mit gleichzeitiger Qualitäts- sicherung Demonstratoren für eine bedarfsgerechte, Augmented Reality unter- stützte Informationsbereitstellung entwickelt, die u. a. einen verbesserten Einsatz der Mitarbeiter in Anlaufsituationen oder stark schwankenden Logistikumge- bungen ermöglicht. Durch die intuitive Handhabung und die große Transparenz des Systems können auch unerfahrene Mitarbeiter mit geringstem Aufwand in das logistische Arbeitsumfeld integriert werden und sind sehr schnell in der Lage, auch komplexe Tätigkeiten sicher und fehlerfrei durchzuführen. Das Konzept zur netzwerkweiten Kommunikation von Fehlern ergänzt die Demonstratoren für eine durchgängige Qualitätssicherung und -steigerung ent- lang der Wertschöpfungskette. Abb. 1.7.6 Anforderungen und Lösungsansätze für Mitarbeitereinsatz im supra-adaptiven Umfeld 1.8 Low Cost Intelligent Automation (LCIA) 43 1.8 Low Cost Intelligent Automation (LCIA) Hitoshi Takeda, Friedhelm Michels, SPS Management Consultants Deutschland GmbH Bei Low Cost Intelligent Automation (LCIA) handelt es sich um eine Form der Automation, die sehr wenig Investition bedarf. Die Investitionskosten liegen nur bei ca. 10−20 % im Vergleich zu einer ähnlich leistungsfähigen Automatisie- rungsinvestition. Die Automation wird im eigenen Unternehmen konstruiert und gebaut. In der Tat handelt es sich meist um Vorrichtungen, die das Können eines Heimwerkers nicht überschreiten. Im Gegensatz zu vielen hochtechni- schen Automationen weisen sie einen guten bis sehr guten Visualisierungsgrad auf. Sie beinhalten eine Prüfung, die einerseits bei Störungen die Linie sofort anhalten lässt und andererseits die Weitergabe von fehlerbehafteten Teilen zu 100 % unterbindet. Diese Intelligenz bildet den Hintergrund des Worts intelli- gent in Low Cost Intelligent Automation. Im Übrigen findet sich hier das Auto- nomatisierungsprinzip des Synchronen Produktionssystems von Hitoshi Takeda [Take 03] wieder. 1.8.1 Das Prinzip in Hochlohnländern Die Prinzipien des LCIA sind in Produktionssystemen entwickelt worden, bei denen der Kunde im Mittelpunkt steht. Die Schnelligkeit, mit der jeder noch so außergewöhnliche Wunsch bedient werden kann, ohne die Kosten für den Kun- den übermäßig zu erhöhen, ist für Unternehmen an den „westlichen Hochlohn- Standorten“ die wesentliche Überlebensstrategie. In ein solches Umfeld passen keine hohen Investitionen, die sich nur bei großen Stückzahlen bzw. langen Laufzeiten rentieren. Nur die notwendige qualitative Spitzentechnologie wird eingekauft, der Rest wird als LCIA-Lösungen selbst gebaut. Dies gilt sowohl für die mechanische Bearbeitung und Montagebereiche als auch die Logistik, wobei die beiden letzten Bereiche die Hauptanwendungsgebiete für LCIA darstellen. 1.8.2 Die flexiblere Lösung Selbstgebaute Montage- und Logistikeinrichtungen haben den Vorteil, dass sie sehr schnell neuen Gegebenheiten angepasst werden können. Es gibt sicherlich auch Bereiche, in denen LCIA-Lösungen sehr aufwendig sind bzw. die Produkt- qualität beeinträchtigen, hier muss auf die Lösungen von Branchenexperten zurückgegriffen werden. Nach den Erfahrungen der Unternehmen, die sich in- tensiv mit LCIA beschäftigen, liegen die Grenzen zu diesen Bereichen viel weiter entfernt, als man zunächst dachte. In welche Betrachtungsweise eines Unter- nehmens LCIA passt, zeigt Abb. 1.8.1: 44 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Nutzung spezifischer menschlicher Fähigkeiten Punktuelle Einzel- betrachtung Betrachtung des Gesamtsystems Fokussierung auf Maschinentechnik High-Tech- Automatisierung Einfach- automatisierung Umfassende Automatisierung durch Computer- einsatz (CIM) Intelligente Einfachautomati- sierung (LCIA) Abb. 1.8.1 Positionierung von LCIA [Take 04] 1.8.3 Umsetzung Die erfolgreiche Umsetzung preiswerter LCIA-Lösungen erfordert jedoch ein Produktionsumfeld, das einen stetigen rhythmischen Materialfluss aufweist, und in dem die Prozesse bereits gut synchronisiert sind. Bei der Umsetzung von LCIA-Lösungen ist zu beachten, dass zunächst die Tä- tigkeiten von Mitarbeitern zu verbessern sind, bevor man in die Vorrichtungen, Anlagen und Maschinen eingreift. Auch ist eine deutliche Trennung maschinel- ler und menschlicher Tätigkeit eine wichtige Voraussetzung. 1.8.4 Veränderung der Abläufe Ein zentraler Punkt ist die Reihenfolge der LCIA-Automatisierungen. Das Ver- hältnis von Aufwand zu Erfolg ist für verschiedene Tätigkeiten sehr unterschied- lich, d. h. es gibt relativ preiswerte und relativ teure LCIA-Lösungen. Man sollte daher zunächst die preiswerteren Lösungen realisieren. Dies sei am Bespiel eines Montageprozesses dargestellt. Weiter unten findet man Schemata für LCIA- Projekte in der mechanischen Fertigung und der Logistik. 1.8 Low Cost Intelligent Automation (LCIA) 45 Bei Bearbeitungs- und Logistikprozessen ergeben sich folgende Reihenfolgen: Reihenfolge bei Low-Cost Automatisierung 1 (3) Werkstück festspannen Mechanisches Bearbeiten 2 (5) Vorschub 3 (6) Maschine stoppen 4 (7) Zurückfahren in Ausgangs- position 5 (8) Werkstück auswerfen 6 (10)Transport 7 (4) Maschine starten 8 (9) Kontrolle 9 (1) Werkstück annehmen 10 (2) Werkstück einsetzen Reihenfolge bei Low-Cost Automatisierung 1 (4) Gebindebildung (Packen) Transporte 2 (8) Transport 3 (2) Transport aus dem Lager (6) Transport zum Beladen (10) Transport beim Entladen (12) Transport beim Einlagern 4 (1) Entnehmen aus dem Lager (9) Entladen 5 (3) Satzbildung (5) Ordnen in Beladereihenfolge (7) Beladen 6 (11) Trennen zum Einlagern 7 (13) Einlagern A rbeitsschritt- folge A rbeitsschritt- folge E inführungs- schritt E inführungs- schritt Abb. 1.8.2 Reihenfolgen von Low Cost Intelligent Automation [Take 04] Ein Montageprozess läuft normalerweise in der folgenden Reihenfolge ab: (1) Werkstück annehmen, (2) Anbauteil auswählen, (3) Anbauteil greifen, (4) Positionierung, (5) Werkzeug greifen, (6) Montage, (7) Werkzeug ablegen, (8) Kontrolle, (9) Werkstück entnehmen und weitergeben. Mit den LCIA-Lösungen fängt man jedoch zunächst bei den folgenden Vorgängen an: (9) Werkstück entnehmen und weitergeben, (7) Werkzeug ablegen und (3) An- bauteil greifen. Erst danach implementiert man LCIA-Lösungen für die Prozesse (5) Werkzeug greifen, (1) Werkstück annehmen und (2) Anbauteil auswählen. Das Positionieren (4), die Montage (6) und die Kontrolle (8) würden erst auf einem sehr hohen LCIA-Niveau ebenfalls automatisiert. 46 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme 1.8.5 Wachstum des Unternehmens-Know-hows Ein wesentlicher Gesichtspunkt ist, dass der intensive Einsatz von LCIA-Vor- richtungen ein spezielles Unternehmens-Know-how schafft, das • einerseits ermöglicht, den spezifischen Bedürfnissen der eigenen Produktwelt entsprechende Bearbeitungs-, Montage- und auch Logistikvorrichtungen zu schaffen. Die intensive Beschäftigung mit den Prozessen wird automatisch dazu führen, dass von Anfang an der Anteil der Verschwendung vergleichs- weise gering ist. • andererseits den Verbesserungsprozess sehr viel zugänglicher macht. Insbe- sondere das Schaffen und Verbessern von Standards ist in einem LCIA- Umfeld erheblich leichter. Ein wesentlicher Grund dafür liegt in der intimen Prozesskenntnis, die durch den Selbstbau größerer Teile der Betriebsmittel entsteht. 1.9 Poka Yoke – Fehlervermeidungsstrategien Philipp Dickmann Poka Yoke oder auch Boka Yoke ist eine der tragenden Säulen des Toyota Pro- duktionssystems (TPS). Der japanische Begriff setzt sich zusammen aus dem Begriff „Poka“, was für ein „Versehen“ oder einen „unbeabsichtigten Fehler“ steht, und dem Bergriff „Yoke“, was „vermeiden“ oder „vermindern“ bedeutet. Der Begriff Poka Yoke bedeutet Fehlervermeidung, worin auch der wesentliche Sinn dieses Konzepts liegt. Fehler und Störungen im Ablauf stellen die wesentli- chen Hürden auf dem Weg zu einer effizienten Produktion und einem effizienten Materialfluss dar. Nicht nur die wenigen, auf den ersten Blick erkenntlichen Stö- rungen, sondern auch die vielfältigen kleineren Störungen sind verantwortlich dafür, dass das Ziel der 100 % Lieferfähigkeit, höchster Flexibilität und kurzer Durchlaufzeiten bei minimalen Lagerbeständen nicht erreicht wird. Im Zusam- menspiel mit der 5W-Methode, Kaizen und Fehlerquelleninspektion (Source In- spection, [Möll 97]) kann Poka Yoke als führendes Qualitätsmanagement-Tool interpretiert und in Projekten gemeinsam angewandt werden. Im TPS wurde damit sehr früh die Null-Fehler-Strategie angestrebt und erreicht. Es wird nicht nur die klassische 100 % Prüfung praktiziert, sondern führend die Fehlervermei- dung angestrebt – „nicht gut prüfen, sondern es gleich richtig machen“. Charak- teristisch sind einfache Vorrichtungen oder Ablaufsicherungen, die ähnlich wie in Kaizen-Projekten, zu sehr geringen Kosten möglichst mit den operativen Mit- arbeitern umgesetzt werden (z. B. der Entwurf eines Werkstückträgers zur Absi- cherung der Orientierung der Teile beim Einlegen, Abb. 1.9.1). 1.9 Poka Yoke – Fehlervermeidungsstrategien 47 Abb. 1.9.1 Einfache Poka Yoke Vorrichtung: Werkstückträger. Die Vorrichtung verhin- dert, dass das Werkstück falsch in den Werkstückträger eingelegt wird. 1.9.1 Qualitätsphilosophie, abgeleitet von Poka Yoke Poka Yoke zielt darauf ab, anomale Zustände zu erkennen, zu vermeiden und sofort durch unmittelbares Eingreifen abzustellen. Kein fehlerhaftes Produkt soll den Prozess verlassen [Ohno 78]. Fehler lassen sich nie vollständig ausschließen, haben jedoch enormen negativen Einfluss auf die Effizienz der Prozesse und im Speziellen auf den Materialfluss. Es gilt also, Fehler so früh wie möglich zu er- kennen und auszuschalten, um in der Folge eine Vervielfältigung der negativen Auswirkungen zu vermeiden. Poka Yoke gibt sich dabei nicht mit 99 % Gutteilen und Prozessen zufrieden, da dadurch immer noch eine eminente Fehlerrate bei Endprodukten entsteht, die für den Kunden unbefriedigend ist. Die Null-Fehler- Strategie ist das führende Ziel. Das Ausmaß von Fehlern wird unterschätzt. Bei einem Produkt, das aus ca. 100 Einzelteilen besteht und sich auf 10 Produktions- stufen abbildet, entstehen bei 99 % Fehlerfreiheit je Ebene und Komponente, in der Summe immer noch zehn Fehler je ausgeliefertes Endprodukt. Vor allem durch kostenorientierte, wertanalytische Ansätze werden nicht selten präventive, hochwertige, prozessfähige Arbeitsschritte durch weniger „fähige“ Prozesse ersetzt. In der Folge werden überproportional hohe Kosten für Nachbesserungen auf allen Ebenen notwendig, anstatt durch geringfügig höhere Investitionen oder Kaufpreise eine bessere Qualität von Anfang an zu gewährleisten. Bei Motorola in USA wurden 1997 fünf bis zwanzig Prozent der jährlichen Erträge dafür aus- gegeben, minderwertige Qualität nachzubessern, das bedeutet 800.000 bis 900.000 € pro Jahr [Herr 00]. Um derartige komplexe Folgekosten exakt zu erfas- sen und die Prioritäten in einer zielorientierten Managementstruktur erkenntlich zu machen, ist ein enormer Aufwand nötig. Es ist zu vermuten, dass viele der sekundären Störungen, die auf den Materialfluss wirken, unberücksichtigt blei- ben müssen. Aufgrund der hohen Komplexität ist die Zuordnung von Folgeer- scheinungen, wie „aufgeblähte“ Durchlaufzeiten und Lagerbestände kaum mög- lich. Daher ist das Verständnis für die Proportionen der Qualitätskosten nicht umfassend etabliert. Viele Unternehmen – und Manager – finden zu einem oder mehreren der folgenden Glaubenssätze Zuflucht: • Irren ist menschlich. • Übermäßige Qualität kostet zu viel und dauert zu lange. 48 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme • Die Zahlen des letzten Jahres zu wiederholen ist gut genug. • Kleine Fehler sind entschuldbar. • Wir sind immer noch besser als unsere Mitbewerber. • „Dass wir unseren Weg aus der Qualitätsnot gerade noch rechtzeitig freige- kämpft haben, ist Ehrensache; es hat sogar Spaß gemacht.“ [Galv 91] Letztlich führt diese Ideologie dazu, dass enorme Aufwendungen für die Be- weisführung der katastrophalen Auswirkungen von Qualitätsproblemen nötig sind. Erst wenn durch die exakte und aufwendige Präsentation die Zusammen- hänge transparent sind, wird mit operativen Maßnahmen begonnen. Poka Yoke vermittelt einen anderen Ansatz – „mach’s gleich richtig“ [Möll 97]. 1.9.2 Eigenschaften und Elemente Die 100 % Prüfung ist eine der Maßnahmen, um die Null-Fehler-Strategie umzu- setzen. Es wird angestrebt, die Prüfung als Nebeneffekt umzusetzen, also ohne die Taktzeit zu beeinflussen und möglichst ohne oder nur mit sehr geringem zusätzlichen Aufwand für den Operativen. In der klassischen Anwendung wer- den dafür einfache Vorrichtungen verwendet, die vom Konzept ähnlich der Lean Automation aufgebaut sind. Ähnlich wie bei Kaizen-Projekten sollten diese im Idealfall von den Mitarbeitern selbst entwickelt und gebaut werden. Das garan- tiert eine hohe Identifikation mit dem Arbeitsplatz, höchste Effizienz und bindet die Kompetenz der Mitarbeiter optimal ein. Das Ausnutzen von visuellen Kenn- zeichen, etwa Farbmarkierungen, die nur sichtbar sind, wenn ein Fehler vorhan- den ist (s. Abb. 1.9.2), sind typisches Merkmal dieser einfachen Vorrichtungen. Poka Yoke lässt sich auf alle Bereiche anwenden in denen es auf eine geringe Fehlerrate ankommt. Im Vergleich zu anderen Methoden lässt es sich zudem mit sehr geringen Kosten umsetzen. Die Methode kommt mit einfachen Hilfsmitteln Werkzeug-Tableau Arbeitsfläche falschfalsch richtig Abb. 1.9.2 Einfache Poka Yoke Vorrichtung – Tableau mit Farbmarkierungen: Alles hat seinen Platz – dieses Poka Yoke Konzept ist sehr weit verbreitet. Doppelhandling und Suchen wird eliminiert, kurze Greifwege ermöglicht. Andere Ablagen werden dadurch abgeschafft. Tableaus werden zum Beispiel für Operationsbesteck verwendet: Am Ende der Operation müssen alle „Werkzeuge“ vorhanden sein. 1.9 Poka Yoke – Fehlervermeidungsstrategien 49 aus und erzeugt nur vergleichsweise wenig Aufwand für das Erzeugen und Auf- bereiten von Zahlen, Daten und Fakten. In Relation zu Qualitätsmanagement- oder Six Sigma-Methoden liegt der Schwerpunkt von Poka Yoke weit weniger auf der Ermittlung, Feststellung und Quantifizierung der Auswirkungen oder der Präsentation der Ergebnisse, sondern konzentriert sich auf die differenzierte einfache Abstellung und Prävention von Fehlern auf der operativen Ebene. 1.9.3 Methoden und Regeln Konkrete Arbeitsvorgaben, nach denen Poka Yoke-Tools angestoßen oder ein- gesetzt werden sollen (angelehnt an [Ohno 78; Möll 97]): 1. Fehlerhaftes Material soll nicht in das Werkzeug passen. Einlegen von fehler- haften Teilen sollte damit verhindert werden. Dies kann durch geometrische Passungen, z. B. mittels Stiften, Hebeln, Werkzeugformen oder Sensoren ge- währleistet werden. 2. Bei Abweichungen des Materials, bei falschem oder fehlendem Material, sollte die Maschine oder Anlage nicht starten können. 3. Wenn ein Fehler in einer Arbeitsfolge auftritt, soll die Maschine den mecha- nischen Prozess nicht weiterführen können. 4. Wenn ein Prozess vergessen wurde, sollen automatisch Korrekturen stattfin- den. Die Bearbeitung soll nicht unterbrochen werden. Abweichungen oder vergessene Arbeitsfolgen können über einfache Zähler leicht ermittelt wer- den. Abweichungen von der Reihenfolge können beispielsweise auch bei teilmanuellen Prozessen, etwa beim Schrauben, durch eine vorgegebene Rei- henfolge der Werkzeuge sichergestellt werden. 5. Wenn trotzdem ein Prozess vergessen wurde, soll der nächste Prozess nicht starten und die Maschine bzw. Anlage zwangsgeführt alle Folgeprozesse ab- schalten. 6. Abweichungen der vorhergehenden Prozesse werden nach dem „Vier-Augen- Prinzip“ in den späteren Prozessen noch einmal überprüft, um fehlerhafte Produkte sicher zu stoppen. 7. Bei untergeordneten Abweichungen kann es zielführend sein, die Anlage nicht zu stoppen, sondern nur ein Signal auszugeben. Traditionell werden op- tische Signale in Form von Lichtern, Zeigern, Anzeigen an Bildschirmen etc. verwendet. Akustische Signale können zu unnötigen psychischen Belastungen führen und werden zunehmend seltener verwendet. Eine moderne Form der Informationsausgabe sind SMS-Nachrichten, Mails oder Signale in verknüpf- ten Softwareprodukten (vgl. Kap. 5.13 Production Synchronized Software). 8. Vorrichtungen müssen die Selbstprüfung unterstützen. Verwechslungen sind mit Visualisierungen oder Checklisten weniger wahrscheinlich, z. B. wenn Werkzeuge oder Vorrichtungen an markierten Plätzen auf Tablaren liegen. Dieses Konzept kann auch durch optische Signale umgesetzt werden, die bei fehlerfreier Handhabung unsichtbar sind. 50 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Poka Yoke-Einrichtungen schließen die Fehlerursachen aus. Durch sehr ein- fache, in einem kontinuierlichen Prozess entwickelte und in Stufen optimierte Hilfsmittel kann eine effiziente Fehlervermeidung entstehen. Diese Methode ist sehr kostengünstig, wodurch eine hohe Dichte an einfachen Fehlervermeidungs- einrichtungen möglich wird. Bei Toyota waren dadurch 1992 durchschnittlich 12 Poka Yoke-Vorrichtungen an jeder Maschine installiert [Shin 92]. Die Effi- zienz nimmt dabei mit der Erfahrung und der Zeit der Optimierung zu. Poka Yoke fordert eine kontinuierliche nachhaltige Strategie, um mittel- bis langfris- tig den vollen Effekt nutzen zu können. 1.9.4 Ablauf von Aktivitäten Grundsätzlich ähneln Poka Yoke-Projekte dem Ablauf von Kaizen. Sie werden von Teams vor Ort mit den betroffenen Mitarbeitern durchgeführt. Es sollte alles möglichst pragmatisch und mit geringen organisatorischen Hilfsmitteln stattfinden. Die Dokumentation hält nur die wesentlichen Resultate fest. Der Umfang einer Seite sollte dabei nicht überschritten werden, gegebenenfalls kann alles auch handschriftlich auf einem Formblatt festgehalten werden. Alles hat seinen Platz mit 5A: Grundlegend sollte vor der Fehleranalyse eine 5A-Aktion (Ordnungs- und Sauberkeitsaktion) durchgeführt werden. Viele Feh- ler treten nicht mehr auf bzw. ihre Ursachen sind besser nachvollziehbar, wenn alles an seinem Platz ist und Verschmutzungen beseitigt sind. Systematisch angediente Werkzeuge werden z. B. weniger leicht verwechselt. Verschmutzte oder „ölverschmierte“ Farbcodes werden schlechter erkannt. An mit Bodenmar- kierungen gekennzeichneten Stellplätzen kann das Material in höherer Dichte bereitgestellt werden. Ein Vertauschen von Material wird durch klare Platz- zuordnungen verhindert. Die regelmäßige Kontrolle der Beschriftungen, der Vollständigkeit der Behälter sowie des Zustands und der Ordnung der Kanban- Karten verhindert Engpässe und die Verwechslung von Materialien. TPS ver- wendet hier die Systematik der 5A Kampagne – im japanischen Original werden diese Aktionen 5S genannt (vgl. Kap. 1.4. Kaizen). Zahlen-Daten-Fakten schaffen: Zunächst müssen Fehler, Häufigkeit, Auswir- kungen und Wert des Schadens ermittelt werden. Auswerten und Bewerten nach Pareto: Wesentlich ist das Sortieren und Gruppieren der Fehler nach Häufigkeit und Kosten, wobei eine einfache Visuali- sierung genügt. Ursachenanalyse nach 5W-Methode: Das mehrfache Hinterfragen jedes Feh- lertyps führt zu den Ursachen des Fehlersymptoms und deckt damit die Ein- flusskette auf. Zur verbesserten Übersicht sind Ursache-Wirkung-Diagramme (bzw. Fischgrät- bzw. Ishikawa-Diagramme, vgl. Abb. 3.3.10) ideal. Bei diesen Diagrammen werden alle Störgrößen, die auf den horizontal gezeichneten Mate- rialfluss Einfluss nehmen, wie Äste von oben und unten aufgetragen. Am Ende entsteht eine „verästelte“ Struktur, in der alle komplexen Zusammenhänge übersichtlich erkennbar sind. 1.10 Total Productive Management (TPM) 51 Projektablauf mit 6W-Methode [Ohno 78]: Die folgenden sechs Fragen defi- nieren den Ablauf des Projekts: • Wer tut was? • Was ist das Ziel? • Wo liegen die Grenzen? • Wann findet was statt? • Warum benötigen wir diese Verbesserung? • Wie lösen wir das Problem? Anwendungen in anderen Bereichen Bei der Fehleranalyse ist in vielen Fällen die Fehlerursache nicht im Produk- tionsumfeld zu suchen. Daher werden sehr schnell auch andere Bereiche mit in die Projekte eingebunden. Industrial Engineering, Logistik, Design und Liefe- ranten sind typische erste Anlaufstellen. Vor allem die Konstruktion verursacht naturgemäß einen beträchtlichen Anteil an den späteren Fehlern. Hier haben sich daher systematische Methoden und Fehlervermeidungsstrategien in Form der Fehlermöglichkeit- und Einflussanalyse (FMEA) in verschiedenen Ausprä- gungen etabliert. Im Lieferantenmanagement wurde Poka Yoke sowohl von den japanischen Automobilisten, als auch von den „Big Three“ (die drei größten und bedeutendsten Unternehmen der US-amerikanischen Automobil-Industrie: Ford, General Motors und Chrysler) in den USA empfohlen und gefordert. Das Konzept findet sich heute sowohl bei Dienstleistungen, der Büroorganisation oder auch in Bereichen, die nicht mehr mit der Herstellung in Verbindung ste- hen [Möll 97], z. B. chirurgische Instrumente, die in Vertiefungen von Tabletts aufbewahrt werden, um die Vollständigkeit nach der Operation sicher und schnell überprüfen zu können. Verträge werden im Vier-Augen-Prinzip gelesen, um sicher zu stellen, dass alle Aspekte erkannt wurden. Neuer sind Anwendun- gen in der EDV, in denen Kaizen (vgl. Kap. 5.4 Kaizen in der IT) oder Poka Yoke (vgl. Kap. 5.13 Production Synchronised Software) zur Sicherstellung von An- wendertauglichkeit, Ergonomie, Ablauflogik, Eingabequalität oder Datenkonsis- tenz verwendet werden. 1.10 Total Productive Management (TPM) Andreas Reitz, KAIZEN® Institute Deutschland Wer sich mit Lean Production beschäftigt, der stößt irgendwann zwangsläufig auf den Begriff TPM. Vom ursprünglichen Tool für die optimierte Instandhal- tung hat sich TPM zum umfassenden Managementansatz, zu einem ganzheitli- chen Produktionssystem entwickelt (TPM®). Ziel ist die Jagd nach Verlusten und Verschwendung in allen Bereichen. Der Methodenmix von TPM ist vielfäl- tig, so dass Problemlösungen in den unterschiedlichsten Branchen und Unter- 52 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme nehmensgrößen, in Produktion und Administration damit zu bewältigen sind. Der wichtigste Erfolgsfaktor ist die Einbeziehung der Menschen. Nur wenn Mit- arbeiter die Möglichkeit zur Qualifizierung und ein Mitspracherecht bekommen, werden sie ihr ganzes Wissen und Können zum Wohle des Unternehmens ein- setzen. Wer dieses Potential nicht nutzt, wird auf Dauer im internationalen Wettbewerb nicht mehr existieren können. 1.10.1 Definition TPM steht im Original des JIPM (Japanese Institute for Plant Maintenance) für „Total Productive Maintenance“. Das Ziel von TPM ist jedoch viel weiter gefasst als das englische Wort „maintenance“ es darstellt. Von der grundsätzlichen Idee her ist TPM ein Programm, das die Erhaltung und Verbesserung der Produktivität aller Prozesse mit dem Ziel „Null-Ausfälle“, „Null-Qualitätsdefekte“, „Null-Unfälle“ hat. Heute wird TPM international als Total Productive Management definiert. 1.10.2 Das Gesamtsystem TPM Der komplette Umfang des Managementsystems TPM beinhaltet 8 unterschied- liche Bausteine oder Säulen, die jeweils Ansätze und Werkzeuge zur Eliminie- rung sämtlicher Prozessverluste darstellen (Abb. 1.10.1). Abb. 1.10.1 Die 8 Säulen von TPM (Quelle: KAIZEN Teaching AG) 1.10 Total Productive Management (TPM) 53 Unternehmensziele und TPM-Ziele TPM hat das Ziel, Unternehmen fit für den Wettbewerb zu machen. In der Regel lassen sich die Unternehmensziele mit den TPM-Zielen in Kongruenz bringen. Die entscheidende Frage bei der Einführung von TPM in einem Unternehmen ist demnach: „Was wollen oder müssen Sie erreichen, um Ihr Unternehmen erfolg- reich in die Zukunft zu führen?“. TPM ist ein Programm, das Unternehmen nachweislich mittel- bis langfristig in eine erfolgreiche Zukunft führt und den Anforderungen des globalen Marktes trotzen lässt. Organisation des TPM-Managementsystems Viele Unternehmen beginnen bei der Einführung von TPM mit dem Aufbau einer zweiten, parallelen Organisation neben der klassischen Werksorganisation. Es muss jedoch gelingen, alle Mitarbeiter des Unternehmens einzubinden und mit den jeweiligen Aufgaben im TPM-Prozess zu beauftragen. Die Führungsebe- ne hat dabei die Aufgabe, Ziele zu definieren und ihre Mitarbeiter insoweit zu fördern, dass diese Ziele erreicht werden können. Durch die Führungsebene werden die Zielkontrollen durchgeführt, um den nachhaltigen Erfolg der Verbes- serungsaktivitäten sicherzustellen. Den Mitarbeitern müssen dabei entsprechen- de Freiräume und Ressourcen, Ausbildung und Informationen gegeben werden, um erfolgreich an der Zielsetzung arbeiten zu können. Einführung der 8 Säulen von TPM Es ist nicht zwingend erforderlich, alle 8 Säulen zur gleichen Zeit einzuführen. Es macht teilweise auch nur bedingt Sinn, auf der gesamten Breite zu starten. Es sollte jedoch das Ziel sein, zumindest mit den ersten 4 Säulen zu starten. Diese stellen einen in sich geschlossenen und sinnvollen ersten Schritt bei der Imple- mentierung dar. Die Implementierung eines solchen umfassenden Systems be- darf einer gründlichen Vorbereitung. Dazu gehören die klassischen Projektma- nagementmethoden wie Zeit- und Ressourcenpläne für die jeweiligen Bereiche des Unternehmens und die einzuführenden Methoden. Ausgebildete Mitarbeiter im Unternehmen sind dafür zwangsläufig notwendig. Erfahrungsgemäß ist bei der Einführung des Systems eine externe Unterstützung hilfreich und kann An- lauffehler und damit -kosten drastisch reduzieren. Aufgrund der Komplexität des ganzheitlichen Managementsystems werden nachfolgend die ersten vier Säulen des Systems detaillierter beschrieben. 1.10.3 Die 4 Basissäulen des Managementsystems Kobetsu-Kaizen – Eliminierung bzw. Minimierung der 16 Verluste Die Säule Kobetsu-Kaizen oder „Individuelle Verbesserungen“ ist die wichtigste Säule im TPM-System. Da 0-Fehler-Prozesse angestrebt werden, müssen alle 54 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Fehler und damit Verluste zunächst erfasst und visualisiert werden. Durch eine strukturierte Vorgehensweise wird die Erfassung der 16 Verluste in den Prozes- sen, aufgegliedert in 3 Hauptkategorien, sichergestellt. Die 3 Hauptkategorien der Verluste lauten: • 8 Hauptverluste der Maschine • 5 Verluste der menschlichen Arbeit • 3 Verluste des Prozesses Durch Priorisierung der Verluste wird die nachhaltige Verbesserung der Un- ternehmenskennzahlen durch interdisziplinäre Verbesserungsteams erst ermög- licht. In Abhängigkeit der Unternehmensstruktur und Produkte/Prozesse wer- den entsprechende interdisziplinäre Teams gebildet. Diese arbeiten teilautonom an den jeweiligen Themen zur kontinuierlichen Verbesserung mit entsprechen- den Werkzeugen. Die Hauptverluste der Maschine Die Hauptverluste beziehen sich auf die Verluste, die an den Anlagen entstehen. Diese werden mittels der Kennzahl „OEE“ ermittelt und bewertet. Die Abkürzung „OEE“ steht für die englische Bezeichnung „Overall Equipment Effectiveness“ und bedeutet übersetzt „Gesamtanlageneffektivität“ oder kurz „Geff “. Diese Kennzahl spiegelt die Effektivität und die Verluste der jeweiligen Anlage wider. Aus den Verlusten lassen sich die individuellen potenziellen Verbesserungen gezielt ablei- ten. Der OEE weist somit die erzielten Erfolge auf der Basis der Anlageneffektivität aus. Hinter den 8 Hauptverlusten verbergen sich folgende Verluste: • Ungeplante Anlagenstillstände ( > 10 Minuten) • Rüstzeiten und Justieren • Werkzeugwechsel • Anfahren • Kurzstillstände (< = 10 Minuten) • Geschwindigkeitsverluste • Qualitätsdefekte • Shutdown (Herunterfahren) Orientiert an den strukturierten Verlusten der Kernansatzpunkte lassen sich individuelle Verbesserungen gezielt ableiten. Kaizen-Gruppen werden interdiszi- plinär zusammengestellt und als Projektgruppen zur nachhaltigen Verbesserung der Kennzahlen eingesetzt. Dabei werden in Abhängigkeit der Problemstellung und Größe bzw. Bedeutung des Problems unterschiedliche Werkzeuge eingesetzt. • Die Problemlösungsstory nach dem PDCA (plan-do-check-act)-Prinzip ist ein bewährtes Werkzeug zur Lösung kleinerer/mittlerer Probleme in Klein- gruppen (3–5 Teilnehmer). Dabei wird in 4 Phasen (Problemdarstellung, Ur- sachenanalyse, Problemlösung und Lösungsüberprüfung) strukturiert und nachhaltig die Problemlösung erarbeitet. 1.10 Total Productive Management (TPM) 55 • Das Kaizen-Board wird für die Lösung mittlerer bis großer Probleme einge- setzt. Dabei werden interdisziplinäre Verbesserungsteams in einer 12-Schritte- Methode strukturiert zur Problemlösung geführt. Diese Form der Problem- lösung wird in der Regel als mittel- bzw. langfristiges Verbesserungsprojekt geführt. Autonome Instandhaltung Die „Autonome Instandhaltung“ zielt auf die verbesserte Kooperation zwischen Produktion und klassischer Instandhaltung. Durch die stufenweise Einführung werden die Produktionsmitarbeiter zu einfachen Instandhaltungsaktivitäten durch die Instandhaltungsmitarbeiter trainiert. Durch die Entlastung von Rou- tineaufgaben und die Reduzierung von ungeplanten Anlagenstillständen erhält die Instandhaltung freie Kapazitäten zur weiteren Verbesserung der Anlagen- effektivität (Abb. 1.10.2). Das Ziel der Stufen 1–3 der „Autonomen Instandhaltung“ ist es, die Anlagen- bediener in die Lage zu versetzen, mittels ihrer 5 Sinne Abweichungen von den gesetzten Standards durch einfache Tätigkeiten wie Reinigung, Schmierung und Inspektion zu identifizieren und die Instandhaltung rechtzeitig zu informieren. In den Stufen 4 und 5 wird den Anlagebedienern strukturiert Fachwissen ver- mittelt, damit sie darüber hinaus kleine Wartungsarbeiten durchführen können. In den Stufen 6 und 7 werden Standards definiert, die das Anlagenumfeld sowie den Produktionsablauf der Anlage verbessern und deren Einhaltung durch kon- stante Anwendung und Weiterentwicklung sicherstellen. Abb. 1.10.2 Säule 2 – Autonome Instandhaltung (Quelle: KAIZEN Teaching AG) 56 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Geplante Instandhaltung Mittels der gewonnenen Zeitfenster, die bei der Umsetzung der Autonomen In- standhaltung erreicht werden, wird die Instandhaltung in die Lage versetzt, ihre eigenen Kaizen-Aktivitäten auszuweisen. Die Instandhaltungsmitarbeiter wer- den als Trainer in der Autonomen Instandhaltung primär ab Stufe 4 eingesetzt. Weiterhin arbeiten sie in Projektteams in Kobetsu-Kaizen, Anlaufüberwachung oder Qualitätsinstandhaltung mit und verbessern u. a. die Lebensdauer von Bau- teilen und Aggregaten durch ihre eigenen Kaizen-Aktivitäten. Die Säule „Geplan- te Instandhaltung“ hat das Ziel, eine 100 %ige Verfügbarkeit von Maschinen und Anlagen zu gewährleisten. Sie bedient sich dazu u. a. eines strukturierten Pro- gramms (7 Stufen) und Kennzahlen wie „MTBF“ und „MTTR“ (s. Abb. 1.10.3). In den Stufen 1–3 wird eine auf Kennzahlen beruhende Basis zur Identifika- tion von Schwachstellen gelegt. Anschließend wird mit den in Kobetsu-Kaizen beschriebenen Werkzeugen an der Schwachstellenbeseitigung und Optimierung der Instandhaltungseffizienz begonnen. Die Erfahrungen werden in die Stan- dards übernommen. Mit den Stufen 4–6 wird durch die Verbesserung der Stan- dards sowie durch kontinuierliche Kaizen-Maßnahmen eine Verbesserung der Instandhaltungseffizienz verfolgt. Die Stufe 7 befasst sich mit der kontinuierli- chen Anwendung und Verbesserung des Systems. Abb. 1.10.3 Säule 3 – Geplante Instandhaltung (Quelle: KAIZEN Teaching AG) Kennzahlen MTBF und MTTR • Die Abkürzung MTBF steht für „Meantime-between-failure“ und bedeutet „durchschnittliche Zeit(-spanne) zwischen 2 Ausfällen“. • Die Abkürzung MTTR steht für „Meantime-to-repair“ und bedeutet „durch- schnittliche Zeit(-dauer) zur Reparatur“. 1.10 Total Productive Management (TPM) 57 Diese beiden Kennzahlen sowie weitere Kennzahlen, wie z. B. Instandhal- tungs-, Personal- und Materialkosten stellen eine wichtige Basis für die Kaizen- Maßnahmen der Instandhaltung, im Rahmen der Säule „Geplante Instandhal- tung“, dar. Anhand dieser Kennzahlen wird es möglich, die Bedeutung der Instandhaltung und ihren Beitrag zur Verbesserung der Produktionseffektivität darzustellen. Durch Einsatz der strukturierten Problemlösungswerkzeuge wer- den die individuellen Probleme an den Produktionsanlagen (Schwachstellen, Ersatzteilbedarf, Schmiermittelverbrauch usw.) gelöst. Schulung und Training Die Säule „Schulung und Training“ dient der zielorientierten Qualifizierung aller Mitarbeiter des Unternehmens. In Abhängigkeit von den Anforderungen des Prozesses und den Funktionen des Mitarbeiters in der Organisation werden individuelle Qualifizierungspläne erstellt und in einer Qualifikationsmatrix visualisiert. Die internen Trainer/Prozessbegleiter erstellen in Zusammenarbeit mit den Führungsverantwortlichen der entsprechenden Säule eigene Schulungsmateria- lien zu den diversen Methoden und Werkzeugen. Die Qualifizierungen reichen von mehrtägigen Seminaren über Praxis-Workshops bis hin zu themenbezoge- nen Kurzschulungen (One-Point-Lessons) und auch externen Schulungen. Abb. 1.10.4 Säule 4 – Schulung und Training (Quelle: KAIZEN Teaching AG) 58 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme 1.11 Qualitätsmanagement Lothar Harting, Gemba Holding GmbH Nur qualitativ hochwertige Produkte und Dienstleistungen können den schlanken Materialfluss sicherstellen. Eine hohe Qualität sichert die Gewissheit, keine Einbu- ßen durch und in den begleitenden Methoden zu erhalten. Wie definiert sich aber die Qualität? Eine unzureichende Qualitätsausführung verursacht Fehlerkosten in Höhe von 6 bis 10 % des Umsatzes. Ein Qualitätssystem kann Einsparungen in Hö- he von 3 % und mehr erreichen. Wenn ich die Qualität ignoriere, habe ich keine Grundlage für eine qualitativ hochwertige Ausführung von begleitenden Tools. Allein die Annahme, die mich zum Einsatz einer Methode wie z. B. Kanban ver- leitet, kann qualitativ so schlecht sein, dass die Methode selbst nur scheinbar geeignet ist und in Wahrheit mehr schadet als nützt. 1.11.1 Der Qualitätsbegriff im betrieblichen Sinne Im betrieblichen Kontext wird „Qualität“ in der Regel mit „Überwachung“ oder „Planung“ gleichgesetzt. Das ist eine negative Auffassung von „Qualität“, die der Tatsache nicht Rechnung trägt, dass Qualität von unermesslicher Bedeutung für das Unternehmen ist. Qualität gehört gegenwärtig zu einem der wichtigsten Marktfaktoren in der Strategie eines jeden Unternehmens. Qualität findet sich in allen Bereichen eines schlanken Materialflusses. Trotz unterschiedlicher Quali- tätsauffassungen erhält der Begriff „Qualität“ im Rahmen von objektiven Krite- rien genauere Konturen, die anhand von festgelegten, präzisen, nachvollziehba- ren Maßstäben beurteilt werden. Der Taylorismus: Der Mensch als Fehlerquelle In seinem Buch „Grundlagen der wissenschaftlichen Betriebsführung“ plädierte der nordamerikanische Ingenieur Frederick Winslow Taylor (1856−1915) da- für, planende und ausführende Aufgaben des Produktionsprozesses streng voneinander zu unterscheiden. Dieser Schritt ermöglichte eine strenge Kontrol- le, z. B. Ablehnung fehlerhafter Produkte innerhalb der betrieblichen Prozesse. Der Mensch galt nach tayloristischen Konzepten der Qualitätssicherung als Fehlerquelle. Der Fordismus: Die Geburt der Qualitätssicherung Eine radikale Anwendung Taylors Prinzipien der Kostenreduzierung wurden von dem nordamerikanischen Industriellen Henry Ford (1863−1947) im Rah- men der Automobilherstellung in die Praxis umgesetzt: das Fließbandsystem in Verbindung mit der lückenlosen Austauschbarkeit der Bauteile. Dieses System, bekannt als „Fordismus“, bestand darin, die Gesamtproduktion in leicht erlern- 1.11 Qualitätsmanagement 59 bare Schritte zu zergliedern, die jeder ungelernte Montagearbeiter ausführen konnte. Es ermöglichte nicht nur, die Produktion zu beschleunigen, sondern auch die Qualität der Ware vor ihrer Anfertigung zu kontrollieren. Qualität wurde als vollständige Anpassung des Produktes an intern festgelegten Kriterien verstanden (Fordismus). Die Geburt des QM-Systems bzw. des Total Quality Systems (TQM) • In den 50er Jahren wurden in den USA aufgrund von Qualitätsforderungen des Verteidigungsministeriums und der elektronischen Luft- und Raumfahrt- industrie Verfahren entwickelt, die das Vertrauen (reliability) der Kunden in die gelieferten Produkte steigen lassen sollten. Der Begriff des modernen Qualitätsmanagements (QM) hat daher seinen Ursprung in den Anforderun- gen der nordamerikanischen Militär-, Luft- und Raumfahrtindustrie. • In den 60er Jahren wurde der Faktor Mensch in den Mittelpunkt gestellt. Ent- sprechende Managementkonzepte wie z. B. das nordamerikanische Null-Feh- ler-Programm (Feigenbaum) und die japanische Kaizen-Methode (Ishikawa: Ursache-Wirkungs-Diagramm) wurden erstellt. Die neuen Qualitätsansätze betonten die Bedeutung der Einstellung und des Verhaltens der Mitarbeiter innerhalb des Unternehmens, die in Richtung Qualitätsbewusstsein beein- flusst werden mussten. • Ab Ende der 80er trugen der verschärfte internationale Wettbewerb und die zunehmenden Kundenanforderungen dazu bei, Qualität, Zuverlässigkeit, In- novationsgeist und Flexibilität zum Leitmotiv der Unternehmensführung werden zu lassen. • In den 90er Jahren wurde das Konzept des Qualitätsmanagements u. a. von japanischen und nordamerikanischen Autoren in Richtung eines umfassen- Abb. 1.11.1 Kontinuierlicher Verbesserungsprozess 60 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme deren Verständnisses von Management weiter entwickelt. Hier ging es prin- zipiell darum, alle Bereiche des Unternehmens mitwirkend ins Management- system zur Gewährleistung höchster Kundenzufriedenheit zu integrieren. Dieses Konzept wurde umfassendes Qualitätsmanagement genannt (Total Quality Management/TQM) (siehe Abb. 1.11.1). 1.11.2 Anwenderbezogene Qualitätsdefinition Die Qualität eines Produktes wird nach einer anwenderbezogenen Definition subjektiv vom Kunden bzw. Anwender bestimmt. Sie hängt davon ab, ob die Produkteigenschaften aus der Sicht des Kunden seinen Anforderungen entspre- chen. J. M. Juran spricht in diesem Sinne von Qualität als Gebrauchstauglichkeit (fitness-for-use) eines Produktes. Prozess- bzw. herstellungsbezogene Qualitätsdefinition Die Qualität eines Produktes nach einer prozessorientierten Definition hängt von der Übereinstimmung des Produktes mit im Voraus festgelegten Qualitäts- anweisungen bzw. Qualitätskriterien ab. Die Betonung liegt in einer genauen Überwachung und Kontrolle der Arbeitsabläufe sowie der Arbeitsverfahren. Außer Betrachtung bleiben die von außen an das Produkt gerichteten Anforde- rungen. Diese Qualitätsdefinition wurde von Ph. Crosby (1986) als Anpassung an Anforderungen (conformance to requirements) geprägt. Jeder Mitarbeiter des Unternehmens trägt in seiner spezifischen Funktion Mitverantwortung dafür, dass die Produktqualität stimmt. Produktbezogene Qualitätsdefinition Eine produktbezogene Qualitätsdefinition (Norm DIN EN ISO 9000) lässt sich nicht vom Begriff der Qualitätssicherung trennen. Qualität ist in diesem Sinne die Übereinstimmung des Produktes mit intern und extern festgelegten Anfor- derungen. Es ist zu unterscheiden zwischen den von der Unternehmungsleitung gestellten Anspruchsanforderungen und dem Produktionsergebnis. Zwei wich- tige Kriterien eines Unternehmens, dessen Ziel ist es, Produkte höchster Qualität zu liefern, sind erstens die Kundenorientierung und zweitens die Produktorien- tierung. Alle beiden Kriterien führen zu der Einsicht, dass Qualität und Vermei- dung von Fehlern untrennbar sind. Abschließend sollen fünf Gründe genannt werden, die die Anstrengung eines Unternehmens zwecks der Erreichung von Produktqualität rechtfertigen: • Reduzierung der Produktionskosten, • Verringerung der Produktionszeit, • Steigerung der Produktion, • Verringerung der Durchlaufzeiten und • Steigerung der Marktchancen. 1.11 Qualitätsmanagement 61 Qualität als gesellschaftliche „Norm“ kann aus unterschiedlichen Blickwin- keln betrachtet werden. Aus unternehmerischer Perspektive jedoch erfährt der Qualitätsbegriff im Rahmen von technischen, gesetzlichen und kundenspezifi- schen Forderungen feste Konturen, die „Qualität“ messbar, nachvollziehbar und damit greifbar werden lassen. Im betrieblichen Kontext (objektiv) bedeutet „Qualität“ die Anpassung des Produktes an festgelegte Maßstäbe, die sich an Kundenanforderungen orientieren. Die älteste bekannte „Qualitätsnorm“ ist der berühmte Codex Hammurabi (2150 v. Chr.), der mit drakonischen Strafen für die Baumeister drohte, die baufäl- lige Gebäude bauten. Die Fehler sollten bereits bei der Entstehung beseitigt werden. Ab den 60er Jahren wurden Methoden zur Qualitätssicherung entwickelt, die den Menschen in den Mittelpunkt des produktiven Prozesses stellten, wie z. B. das nord- amerikanische Null-Fehler-Programm und die japanische Kaizen-Methode (kon- tinuierliche Verbesserung). Beide Konzepte beruhten auf der Weiterbildung und der Zufriedenheit der Mitarbeiter sowie auf externen Kundenanforderungen. 1.11.3 Abschließende Bemerkungen zum Thema „Qualität“ Beruhend auf Ishikawa teilt Ortlieb (1993) die Entwicklungsgeschichte des be- trieblichen Qualitätswesens in drei sukzessive Phasen ein, die folgendermaßen dargestellt werden: • Kontroll-orientierte qualitätssichernde Phase: Die qualitätssichernden Maß- nahmen beschränkten sich in dieser Phase auf die Prüfung des Endproduktes (Taylor). • Kontrollprozess-orientierte qualitätssichernde Phase: In dieser Phase wur- den die qualitätssichernden Maßnahmen von der Prüfung des Endproduktes auf die stattfindenden Prozesse verlagert. Die Anwendung von statistischen Methoden und die Entwicklung eines Qualitätsbewusstseins seitens der Mit- arbeiter wurden unterstützt (Ford). • Total Quality Control: Die Ansätze der totalen Qualitätskontrolle (TQC) ge- hen davon aus, dass Produktqualität mit unterschiedlichen Einflussfaktoren zusammenhängt und über die Prüfung der Produktbeschaffenheit hinaus- geht. Es handelt sich um ganzheitliche Konzepte, die die Führungsebenen, al- le Fachabteilungen und die gesamte Belegschaft als qualitätssichernde Fakto- ren begreifen und mit einbeziehen. 1.11.4 Pragmatische Ansätze für den schlanken Materialfluss mit Lean Production Die Entscheidung für den Einsatz einer geeigneten Methode im Unternehmen findet unter anderem im Qualitätszirkel statt. Dieser Personenkreis ist interdis- ziplinär mit allen Prozessbeteiligten besetzt. Die Informationen beruhen auf Qualitätskennzahlen, statistischen Erkenntnissen sowie Bewertungen der Ma- 62 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme schinen- und Prozessfähigkeiten. Reklamationenauswertungen werden den wei- teren Qualitätskennzahlen sowie den Lieferanten und deren Qualitätsfähigkeits- bewertungen gegenübergestellt. Die ausgewerteten Qualitätsreports, wie der 8-D Report oder auch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheitsmessungen werden in den Entscheidungsbaum eingebunden. Alle diese Qualitätsdaten, aktuell und nachweisbar, sollten die Begründung sein für das Konzept bzgl. der Verwendung geeigneter Methoden für einen schlanken Materialfluss. 1.12 Six Sigma Johannes Pfister, InterQuality Service AG Six Sigma ist eine ausgezeichnete Ergänzung zu Lean. Es ist das zurzeit effektivste Vorgehen, um Geschäftsprozesse zu optimieren, da der nachhaltige Erfolg kurz- fristig erreicht wird. Der finanzielle Nutzen zeigt sich bereits innerhalb des ersten Jahres durch einen beachtlichen Ertrag neben der Abdeckung des Einführungsauf- wandes und einer Erhöhung der Kundenzufriedenheit. Unternehmen können mit einer Investition in Six Sigma mehr Kapitalrendite erwirtschaften als mit den meis- ten anderen Investitionen. Dies gilt sowohl für Produktionsbetriebe als auch Dienstleistungsunternehmen, ob groß oder klein. Viele Unternehmen erkennen nicht das wahre Ausmaß ihrer Kosten der „Nicht-Qualität“ oder wollen es auch nicht erkennen. Den kommunizierten Milliardenerfolg von GE, Motorola und Allied Signal werden viele Unternehmen wahrscheinlich nicht erreichen. Viele Unternehmen akzeptieren 50 % höhere Kosten für Nicht-Qualität. Six Sigma erhöht die Chance in den regionalen und in den globalen Märkten eine Rolle zu spielen. 1.12.1 Abgrenzung von Lean, TQM, TPM und Six Sigma Der schnelle und große finanzielle Nutzen ist auch der Unterschied zu Initiati- ven wie TQM (Total Quality Management), deren Amortisierung erst mittelfris- tig erfolgt. Six Sigma ist eine hervorragende Ergänzung zu Lean und zeigt seine Stärken durch die rasche Fokussierung auf kritische Faktoren für die Verbesse- rung von Geschäftsprozessen. Während sich TPM (Total Productive Maintenan- ce) auf die umfassende Verfügbarkeit von Betriebsmitteln konzentriert, JIT auf die optimale Verfügbarkeit von Teilen und Materialien, 5-S auf die Ordnung und Sauberkeit im Arbeitsumfeld und QC viele kleine Probleme am Arbeitsplatz bearbeitet, optimiert Six Sigma den ausgewählten Prozess. Bei all diesen Vorge- hensweisen geht es um die Reduzierung von „muda“ (Verschwendung). 1.12.2 Aufwand für die Six Sigma Einführung Der Erfolg und die hohen Einsparungspotentiale von Six Sigma, basieren auf harter, disziplinierter Arbeit, Wissen und Erfahrung sowie einer größeren Start- 1.12 Six Sigma 63 investition. Bei Six Sigma wird viel gemessen. Zahlen, Daten und Fakten werden qualitativ und quantitativ analysiert, die Ursachen für Abweichungen herausge- filtert und beseitigt. Die Einführungskosten bei einem mittelständischen Betrieb liegen für Training, Software und kalkulatorischen Zeitverlust im ersten Jahr bei 100.000 bis 200.000 €, je nach Intensität des Vorgehens. Aus unserer Erfahrung war der erwirtschaftete Ertrag bei allen Firmen, die eine konsequente Umset- zung realisiert haben, erheblich höher als die Kosten. 1.12.3 Das Vorgehen mit DMAIC und DFSS Wir unterscheiden bei Six Sigma zwei Vorgehensweisen. Der standardisierte DMAIC Prozess (Define, Measure, Analyze, Improve, Control) hat das Ziel, be- stehende Prozesse und Produkte, die nicht den Spezifikationen oder dem Soll entsprechen, innerhalb der Projektlaufzeit von 3 bis 5 Monaten wesentlich zu verbessern. Dabei werden die kritischen Einflussfaktoren in Bezug auf das ge- plante Prozessergebnis identifiziert, analysiert und optimiert. Im Gegensatz dazu nutzen wir das DFSS-Vorgehen (Design for Six Sigma) um neue Produkte und Prozesse unter Berücksichtigung aller Faktoren für ein hohes Sigma-Niveau (5–6 Sigma, siehe Kap. 1.12.4) zu entwickeln Die Projektphasen bei DFSS sind nicht standardisiert. Es gibt einige Varianten, die sich inhaltlich ähnlich sind, z. B. Sigma Breakthrough Technologies IDOC (Invent, Develop, Optimize, Control) oder Scripps IDEAS (Identify, Design, Evaluate, Assess, Scale up). 1.12.4 Sigma Wert und Philosophie Der Sigma Wert 6-Sigma ist der statistische Wert für 3,4 Defekte pro eine Mil- lion Einheiten. Sigma Werte ermöglichen als standardisierte Messwert den Ver- gleich unterschiedlicher Prozesse. Ein höherer Wert zeugt von einem leistungs- fähigeren Prozess mit weniger Streuung. Die Prozessgüte schwankt erheblich in unserer Volkswirtschaft. In risikogefährdeten Branchen wie z. B. Gesundheit, Aerospace und Automobil werden 5 bis 6 Sigma erreicht, bei mittelständischen Zulieferern ein Niveau von 3 bis 4 Sigma und im Dienstleistungsbereich oder bei kostengünstigen Konsumgütern oft nur 1 bis 2 Sigma. Das Niveau beschreibt die Fehlerhäufigkeit, die Qualitätskosten und die Erfolgsquote bzw. Prozessausbeute (RTY; Tabelle 1.12.1). Der Kern bei Six Sigma ist, die Streuung der Prozesse zu verringern und die Präzision oder Treffsicherheit auf das geplante Ziel zu erhöhen. Hier möchte ich insbesondere auf die Folgekosten der Nicht-Qualität hinweisen. Bei einer Umfra- ge in einem mittelständischen Unternehmen gaben alle 35 Führungskräfte an, mehr als 50 % ihrer Zeit mit Feuerwehr-Aktionen zu verbringen, d. h. Zeit für Sitzungen und Aktivitäten, die sich mit Abweichungen von der Planung oder den Spezifikationen beschäftigen. Ein sinnvoller Einsatz dieser „verschwendeten“ Zeit der Führung hätte den Unternehmensertrag bereits mehr als verdoppelt. 64 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme 1.12.5 RTY (Rolled Throughput Yield) Ein äußerst wichtiger und oft vernachlässigter Effekt ist der so genannte Rolled Throughput Yield. Die meisten Unternehmen geben ihr Qualitätsniveau als Prozentsatz der Reklamationen und Garantiefälle an. Der Wert bewegt sich dann im Bereich von z. B. 1,5 % Reklamationen oder 98,5 % Qualität. Damit sind sie mehr oder weniger zufrieden. Ist das eine gute Größe? Diese 98,5 % werden durch viele Kontrollen, Nacharbeit und nach Abzug von mehreren Prozent Aus- schuss in der Wertschöpfungskette erreicht. Der „wahre“ Wert der Güte bei einer komplexen Prozesskette über 10 bis 30 Bearbeitungsstufen und Prozess- schritten liegt bei diesen Unternehmen oft nur bei einem RTY von 85 bis 95 %. Die Höhe der Kosten für diese „Nicht-Qualität“ wird auf 35 bis 40 % geschätzt. 1.12.6 Infrastruktur im Unternehmen Six Sigma verlangt für alle Projekte eine klare Verbindung zu Kundenanforde- rungen, Unternehmenszielen und -strategie und weist eine dezidierte Struktur für die Definition und Umsetzung von Projekten auf. Die treibenden Kräfte hierfür sind ausgebildete Change Manager, die einen großen Teil ihrer Zeit da- mit verbringen, Prozesse und Vorgehensweisen grundsätzlich zu ändern um die Ziele zu erreichen. Die Champions bereiten auf Führungsebene das Feld vor, indem potentielle Konflikte und Barrieren bearbeitet werden. Master Black Belts und Black Belts erreichen durch effektive und effiziente Projektarbeit und durch den Einsatz von ausgereiften Analysemethoden die Projektziele und werden durch Green Belts und Yellow Belts bei dieser Arbeit unterstützt. Die Wortver- bindung zu den Kampfsportarten zeugt von der Disziplin und Konsequenz, mit der gearbeitet werden soll. Als weitere wichtige Unterstützung wird Software für die Prozessanalyse, statistische Analyse und Simulation genutzt und erleichtert und beschleunigt das Verständnis für die Ursachen enorm. Tabelle 1.12.1 Sigma Werte und ihre Bedeutung Sigma 2 3 4 5 6 DPMO 308517 66807 6210 233 3,4 COPQ 50 % + 25−40 % 15−25 % 5−15 % 1−5 % RTY 69,1 % 93,3 % 99,4 % 99,97 % 99,99966 % Quelle: Six Sigma, Mikel Harry, Random House 2000 DPMO = Defects per million Opportunities COPQ = Cost of poor quality RTY = Rolled Throughput Yield 1.12 Six Sigma 65 1.12.7 Methodeneinsatz Six Sigma nutzt bekannte Methoden in einer konzertierten Vorgehensweise. Der gemeinsame Six Sigma-Sprachgebrauch und das Verständnis über die Inhalte Tabelle 1.12.2 Six Sigma Phasen mit ihren Aktivitäten und den eingesetzten Methoden und Werkzeugen Phase Aktivität und Ergebnis Beispiele für Werkzeuge Define Definieren von Problem, Ziel, Projektvorgehen, Einflussfakto- ren und geplanten Aktivitäten SIPOC (Prozessabgrenzung) VOC (Stimme des Kunden) Y = f (x, …), Variablen sammeln Ursachen-Wirkungs-Matrix CTQs (kritische Faktoren) Projektplan, Projekt Charter Stakeholderanalyse Measure Messen und Verifizieren des bestehenden Systems Messplan Messsystemanalyse (MSA) Datenerfassung Datendarstellung Analyze Analysieren und Verstehen des Systems und der Ursachen für die Abweichung zum Soll-Zustand Prozessanalyse Valuestream Maps Hypothesentests, ANOVA Korrelation Regressionsanalyse Multivariate Analyse FMEA DOE Improve Das System verbessern Kreativitätswerkzeuge DOE (Design of Experiments) TRIZ (Theorie der innovativen Prob- lemlösung) Simulationen Prototypen Poka-Yoke QFD (Quality Function Deployment) Toleranzanalysen Zuverlässigkeitsprüfungen Control Das verbesserte System steuern und überwachen SPC, Controlcharts Prozessfähigkeit Prozessdokumentation Reviews Projektabschluss 66 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme der Methoden bei allen Mitwirkenden im Unternehmen und auch bei Lieferan- ten und Kunden erspart viel Zeit. Nach der Lernphase bei den ersten Projekten erreicht das eingespielte Team Ergebnisse oft in wenigen Tagen, wofür früher Wochen oder Monate vergangen sind. Da Ergebnispräsentationen von Six Sig- ma-Projekten in Unternehmen oft in standardisierter Form dargestellt werden, wird auch hier wertvolle Zeit bei der Führung eingespart. 1.12.8 Softwareeinsatz Im Rahmen von Six Sigma verwenden wir drei Arten von Software. Für die Pro- jektdokumentation und -präsentation wird im Regelfall auf Standardsoftware wie MS-Office mit Powerpoint, Excel und Word zurückgegriffen. Die statistische Analyse nutzt MINITAB, Statistika und DesignExpert. Für die Prozessanalyse und -verbesserung werden Programme wie igrafx, SigmaFLOW, Add-Ins zu Visio und spezifische Anwendungen für z. B. die FMEA oder QFD verwendet. 1.12.9 Führung und Probleme bei der Einführung Bei der Einführung von Six Sigma gibt es wie bei anderen Initiativen viele Stol- persteine. Aus unserer Erfahrung sind drei wichtige Erfolgsfaktoren im Mit- telstand oft zu wenig berücksichtigt. Dies sind die zeitliche Verfügbarkeit der Green und Black Belts, das aktive Mitwirken der Führung (vgl. Kap. 1.19.2 Change Management) und die permanente Weiterbildung und Mitarbeiterent- wicklung. Idealerweise arbeiten die Black Belts in Vollzeit an den Projekten und die Green Belts je nach Komplexität und Projektumfang zu 20 bis 50 % der Ar- beitszeit. In der Realität sind diese Zeiten oft nicht eingeplant und die Projekte kommen in Verzug. Die Führungskräfte oder Champions nehmen ihre Aufgabe oft nicht ernst genug. Entscheidungen für die Projektauswahl sind nicht gut vorbereitet, Konflikte zwischen Abteilungen werden nicht frühzeitig angespro- chen oder sogar absichtlich übergangen. Die Motivation der Projektmitglieder durch die Führung in Form von Interesse, Präsenz und Kommunikation lässt zu wünschen übrig. Der letzte entscheidende Faktor ist die nachhaltige Entwick- lung der Unternehmenskultur und der Mitarbeiter. Dies darf neben den kurz- fristigen Erfolgen von Six Sigma nicht vergessen werden. 1.12.10 Aussichten von Six Sigma Es wird sich zeigen, ob sich der positive Trend von Six Sigma, DFSS und TRIZ („Theory of Inventive Problem Solving“, dt. die „Theorie des erfinderischen Problemlösens“) in den kommenden 10 Jahren noch weiter entwickelt. Das Maß der Bedeutung dieser Methoden und ihrer Inhalte wird jedoch noch zunehmen. Unternehmen, die nicht gezielt mit diesen Methoden in einem integrierten Ma- 1.13 CAQ-Systeme – Computergestütztes Qualitätsmanagement 67 nagementsystem arbeiten, werden keine realistische Wettbewerbschance gegen- über den systematischen Anwendern haben. Integration von Six Sigma und TRIZ ist ein sehr aktuelles Thema (siehe auch Artikel zur KnowTech im Oktober 2005 von Johannes Pfister). Insbesondere die Einbindung von TRIZ in der Define und Improve Phase und DFSS kann den Erfolg nochmals beschleunigen. Ein Lehrer von mir, Dr. Edward Deming, hat einen wichtigen Satz formuliert, der alles aus- sagt: „You don´t have to do it, survival is not compulsory!“ 1.13 CAQ-Systeme – Computergestütztes Qualitätsmanagement Michael Thews, DDW – Computersysteme GmbH CAQ (von engl. Computer Aided Quality Management) steht für computergestütz- tes Qualitätsmanagement und stellt für ein Unternehmen eine unverzichtbare Hilfe bei der Umsetzung von Qualitätsmanagementmethoden wie TQM und Six Sigma dar. CAQ-Systeme erfassen, analysieren, dokumentieren und archivieren qualitätsrelevante Daten zu Prozessen der industriellen Fertigung und ermögli- chen die computergestützte Durchführung von Tätigkeiten, Verfahren und Me- thoden des Qualitätsmanagements (Qualitätsplanung, Qualitätslenkung, Quali- tätsprüfung und Qualitätsmanagementdarlegung). 1.13.1 Grundlagen von CAQ-Management Die Analyse, Dokumentation und Archivierung qualitätsrelevanter Daten ist für Unternehmen zur Minimierung der Risiken nach dem Produkthaftungsgesetz von sehr großer Bedeutung. Die Verknüpfung von Qualitätsdaten mit der Rekla- mationsbearbeitung und der FMEA (Fehlermöglichkeit- und Einflussanalyse) als Konstruktionsunterstützung kann zudem zu einer deutlichen Kostenreduzie- rung führen. CAQ ist eine entscheidende Hilfe und strategisches Werkzeug bei der Zertifizierung eines Qualitätsmanagementsystems nach Qualitätsnormen wie DIN ISO 9000 f.f. und ISO/TS 16949. CAQ-Systeme nutzen statistische Methoden zur Ermittlung von Kennzahlen, welche dem frühzeitigen Erkennen und Lokalisieren von möglichen Abweichungen dienen. Dadurch können Entscheidungen schneller und effizienter durchgeführt werden. Der Einsatz von CAQ ermöglicht somit präventive Fehlervermeidung, Verringerung von Ausschuss, Nacharbeit und Reklamationen, ein besseres Pro- zessverständnis, eine sichere Dokumentlenkung etc. Durch die Transparenz aller Vorgänge und die rasche Behebung von Fehlern mittels umfangreicher Aus- wertefunktionen werden die Qualität der Produkte und die Kenntnis über die Produkt- und Prozessqualität verbessert. Dies bildet wiederum die Grundlage für Maßnahmen zur Prozessoptimierung und eröffnet damit Potentiale zur Kosten- 68 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme einsparung. Mit einem CAQ-System wird dem Management ein Instrument an die Hand gegeben, welches jederzeit umfassende Informationen über die gesam- te Qualitätslage im Unternehmen bietet. Im Gegensatz zu den 90er Jahren, als ein CAQ-System lediglich ein nützliches Hilfsmittel war, ist es heutzutage eine Not- wendigkeit, da das zur effektiven Prozesslenkung notwendige Datenmaterial zu umfangreich ist und ohne Computereinsatz nicht zu verarbeiten wäre. Man kann sogar soweit gehen und sagen, dass erst durch CAQ die Schaffung und Erhaltung von Qualität innerhalb einer komplexen industriellen Fertigung rationell und somit kostengünstig möglich ist. Die Anforderungen, die an ein Unternehmen bezüglich der Qualitätssicherung und der Archivierung von Qualitätsdaten ge- stellt werden, sind heute sehr umfangreich. Als Beispiel sei hier exemplarisch die Chargenrückverfolgung genannt, d. h. die lückenlose Dokumentation und Rück- verfolgbarkeit der Herstellungshistorie eines Teiles, der eingesetzten Prüfmittel sowie der verarbeiteten Materialien und deren Verwendung. Ohne den Einsatz von CAQ wäre die spätere Chargenrückverfolgung im Reklamations- bzw. Pro- dukthaftungsfall nur mit sehr hohem personellem und damit kostenintensivem Aufwand möglich. 1.13.2 CAQ-Systeme in der Praxis Die überwiegende Mehrheit der Industrieunternehmen setzt heute CAQ-Systeme zur Schaffung, Erhaltung und kontinuierlichen Verbesserung von Qualität ein. In Tabelle 1.13.1 Typische Module eines CAQ-Systems Q-Planung Q-Lenkung Q-Prüfung QM-Darlegung APQP (Vorausschauende Qualitätsplanung) Reklamations- management Wareneingangs- kontrolle QM-System- dokumentation FMEA (Fehlermöglichkeit- und Einflussanalyse) Dokumenten- management Warenausgangs- kontrolle Prozesslandschaft Control Plan Prüfmittel- management SPC (statistische Prozessregelung) Kennzahlensystem Prüfplanung Lieferanten- management LIMS (Laborinformations- managementsystem) Maßnahmen- management KVP (Kontinuierli- cher Verbesse- rungsprozess) 1.13 CAQ-Systeme – Computergestütztes Qualitätsmanagement 69 der Vergangenheit wurden häufig selbst entwickelte Programme eingesetzt, wäh- rend der Trend heute eindeutig zum Einsatz von Standardsoftware geht, also zu modularen Computerprogrammen, welche von spezialisierten CAQ-Systemhäu- sern angeboten werden. Der Vorteil einer Standardsoftware liegt in der perma- nenten Weiterentwicklung und Pflege durch die professionellen Entwickler eines Systemhauses – auch und gerade in Hinsicht auf die stetig steigenden Anforde- rungen der Qualitätsnormen. Eigenentwicklungen sind in der Regel deutlich teurer und weniger flexibel, da sie nur für ein einziges anwendendes Unterneh- men entwickelt werden und damit hochindividuelle Insellösungen darstellen. Standardsoftwarelösungen verfügen zudem über Schnittstellen zu übergeordne- ten ERP-Systemen (Enterprise Resource Planning) wie SAP R/3 und ermöglichen den Austausch von Stammdaten und Prüfaufträgen sowie die automatisierte Rückmeldung von Prüfergebnissen und Verwendungsentscheiden. Der Automobilhersteller BMW nutzt beispielsweise in seinen Produktions- werken in München, Dingolfing, Augsburg und Leipzig die Standardsoftware QDA (Qualitäts-Daten-Analyse), das CAQ-System des Lübecker CAQ-System- hauses ddw, für die Fertigung seiner Fahrzeuge. BMW entschied sich für QDA, da es sich nahtlos in vorhandene Prozesse und IT-Infrastrukturen integrieren lässt und über eine leicht zu erlernende intuitive Benutzeroberfläche verfügt. Ein be- sonderes Merkmal des Systems ist die integrierte Skript-Programmiersprache QDA-Skript, welche die Anpassung der Standardsoftware an die individuellen Anforderungen eines Unternehmens gestattet. Ziel des CAQ-Einsatzes bei BMW war es, beim Anlauf einer neuen Baureihe die Produktionsprozesse so schnell wie möglich „in den Griff“ zu bekommen, da ein späteres Korrigieren während der Serienproduktion mit sehr hohen Kosten verbunden ist. Während der Serienpro- duktion ist das CAQ-System wiederum zentrales Planungs- und Kontrollinstru- ment zur Überwachung der Stabilität und Reproduzierbarkeit der Produktions- prozesse (Prozessfähigkeit). Maßgebliche Entscheidungsgrundlage für den Einsatz eines CAQ-Systems bei BMW war die Erkenntnis, dass die abteilungs- und werksübergreifende Nutzung eines einheitlichen Systems zur Erfassung und Auswertung von Qualitätsdaten in der Fertigung administrative und manuelle Aufwendungen deutlich reduziert und damit Zeit und Kosten gesenkt werden. Je früher die systematische Erfassung und Auswertung von Qualitätsdaten erfolgt, desto mehr Kosten können einge- spart werden. Daher nutzt BMW das CAQ-System QDA bereits zu Beginn der Prototypenphase, um ausgehend von CAD-Konstruktionszeichnungen (Compu- ter Aided Design) Prüfpläne zur einheitlichen messtechnischen Erfassung von Funktionsmaßen (Bauteilmaße, welche das fehlerfreie Funktionieren einer Bau- gruppe sicherstellen) zu generieren. Die systematische Planung sichert eine Ver- gleichbarkeit der Messergebnisse in allen Phasen der Produktion (Prototyp, Null- serie, Serienproduktion). Die Qualität der Messdaten ist somit unabhängig vom Einfluss des jeweiligen Prüfers, da immer an den gleichen Positionen des Bautei- les, mit dem passenden Messmittel, auf die gleiche Art und Weise gemessen wird. Anhand der Toleranzen für jedes Produktmerkmal (z. B. Durchmesser, Länge, 70 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Radius etc.), welche im CAQ-System gespeichert sind, entscheidet die Software unmittelbar nach der Messung, ob die Spezifikation eingehalten wurde. Der Prü- fer sieht auf dem Computerbildschirm eine Konstruktionszeichnung bzw. ein Foto des zu messenden Merkmales zur Orientierung und kann während der Mes- sung den Messwert in Form einer Balkengrafik oder Regelkarte beobachten. Tritt eine Toleranzverletzung auf, so wird der Prüfer vom CAQ-System mittels eines optischen und akustischen Signals alarmiert und zur Eingabe des Problems, der Ursache und einer Korrekturmaßnahme aufgefordert. Bei kritischen Fehlern kann parallel auch der zuständige Bereichsleiter per E-Mail informiert werden. Die durchgängige Nutzung des gleichen Systems in Forschung & Entwicklung, Konstruktion, Qualitätssicherung, Betriebsmittelbau, Arbeitsvorbereitung, Pro- duktion, Audit etc. beschleunigt zudem die Kommunikation und damit das zügi- ge Lokalisieren und Beseitigen von Fehlerquellen. Beispielsweise können Prüfer- gebnisse aus der Montage mit den Daten aus dem Bereich des Rohbaus verglichen werden. Da beide Fertigungsbereiche das ddw CAQ-System nutzen, können mit Hilfe der Software dann sehr einfach alle relevanten Messdaten zusammenge- führt, visualisiert und gemeinsam ausgewertet werden. Durch die systematische Messung und Analyse von Qualitätsdaten innerhalb derselben CAQ-Datenbank kann BMW Abweichungen bereichsübergreifend lokalisieren und neue Problem- kreise identifizieren, was vor der Nutzung von CAQ nur mit großem manuellem Aufwand möglich war. Aufgrund der schnelleren Identifikation der Problemkrei- se werden neben den Nacharbeitskosten auch später anfallende Qualitätskosten deutlich verringert. Korrekturmaßnahmen werden im CAQ-System mit Status und Termin erfasst, per E-Mail versandt und die Abarbeitung bis zur Erfolgsmel- dung verfolgt. Die Auswertungen der Messdaten aus den unterschiedlichen Ferti- gungsbereichen werden mit Hilfe von QDA automatisch im Intranet veröffentlich und dort allen betroffenen Abteilungen zur Verfügung gestellt. Die Darstellung im Intranet wird unmittelbar nach der Erfassung der Messdaten aktualisiert. Dabei ist es unerheblich, ob die Messdaten z. B. von einem Messschieber, einer 3D-Koordinatenmessmaschine oder einer Messvorrichtung stammen. Das CAQ- System von ddw besitzt im Gegensatz zu MRP- oder ERP-Systemen, wie z. B. SAP R/3 frei konfigurierbare offene Schnittstellen zu Messsystemen jeglicher Art und hoch optimierte Echtzeit-Qualitätsanalysen, welche ein schnelles Eingreifen schon während der Produktion zum Zweck der Prozessregelung ermöglichen. Somit dient das CAQ-System allen Bereichen der Fertigung als einheitliches Kommunikationsmedium und Werkzeug zur Prozessoptimierung. In Zukunft werden große Unternehmen ihre CAQ-Systeme standortübergrei- fend vernetzten, um Qualitätsdaten vergleichen zu können und bei der Entwick- lung neuer Produkte durch Nutzung der so entstehenden Wissensdatenbanken Fehler bereits in der Konstruktionsphase vermeiden zu können. Lieferanten und Kunden werden über das Internet integriert und so z. B. das Projekt-, Lieferan- ten- und Reklamationsmanagement deutlich beschleunigt. Festzuhalten bleibt, dass der Einsatz eines CAQ-Systems viele Vorteile bietet. Durch die Transparenz aller Vorgänge und die rasche Behebung von Fehlern durch die umfangreichen 1.14 Prozessorientierung – Ursachen ermitteln, statt Symptome beheben 71 Auswertefunktionen wird die Qualität der Produkte nachhaltig verbessert. Eine Folge der Qualitätsoptimierung ist eine einhergehende Kostenreduzierung. Deutlich wird auch, dass die Qualitätsverbesserung am Anfang des Prozesses stehen muss, was durch den Einsatz eines CAQ-Systems unterstützt wird. Ein modernes und zukunftsorientiertes Unternehmen kann und sollte auf den Ein- satz eines CAQ-Systems nicht verzichten. 1.14 Prozessorientierung – Ursachen ermitteln, statt Symptome beheben Philipp Dickmann Materialfluss ist maßgeblich bestimmt von Kosten- und Qualitätsentscheidun- gen. Ein mangelhafter Qualitätsstandard, eine mangelnde Qualität der Prozesse verhindern einen hochwertigen konkurrenzfähigen Materialfluss bzw. Produk- tion. Ein wesentlicher Baustein des Toyota Produktionssystems (TPS) ist die Pro- zessorientierung, die im Gegensatz zu den aus den USA zu uns gekommenen Konzepten der einseitigen Ergebnisorientierung steht. Prozessorientierung ba- Abb. 1.13.1 Visualisierung von Messdaten im BMW-Intranet mit dem CAQ-System QDA (Quelle: ddw GmbH) 72 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme siert auf Prävention anstatt auf der zum Teil einseitig, kurzfristig und stark kos- tenorientierten Methode der Ergebnisorientierung. Sie betrachtet jede einzelne Disziplin oder jeden Bereich für sich, mit einer Reduzierung der Ergebnisse auf einfache Kennzahlen. Das Resultat ist eine auf die eigenen Gruppen bezogene Interessenlage mit der Folge einseitig abteilungs- oder bereichsorientierter Prob- lemlösungen. Interdisziplinäre Problemstellungen benötigen jedoch übergreifen- de Lösungskompetenz und Verantwortung. Einseitige Zielorientierung fördert zudem die Entstehung von reaktiven, also nachträglichen wirkenden Maßnah- men und führt dadurch indirekt zur Zunahme der Gemeinkosten in den Unter- nehmen. Die Kennzahlen erlauben vielfach keinen eindeutigen Rückschluss auf die Qualität der zugrunde liegenden Prozesse, deren Verbesserung zur Optimie- rung der Kosten führt. Standards, Verbesserungsrad, Poka Yoke oder Kaizen sind sehr effiziente Mittel Prozesse zu optimieren. Zielorientierte Methoden sind unter anderem die Basis jeglichen ingenieurmäßigen Projektmanagements, müssen aber ausgewogen eingesetzt werden. Mit einer Mischung aus Ziel- und Prozess- orientierung lassen sich die Vorteile beider Ansätze sinnvoll ergänzen. 1.14.1 Prozessorientierung – ein Element des Toyota Produktionssystems (TPS) T. C. Ohno setzt im TPS auf die Logik, dass mit Prozessoptimierung beiläufig eine Preisoptimierung erreicht wird. Betriebswirtschaftlich betrachtet führt nur das permanente Streben nach Kostenreduzierung zwangsläufig zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit. Dabei werden die Kosten bei komplexen Vorgängen nicht um- fassend, sondern nur sehr vereinfacht und kurzfristig zeitbezogen zugeordnet. Das Grundprinzip der Prozessorientierung ist die grundsätzliche Fehlervermeidung, während Ergebnisorientierung möglichst schnell auf Fehler reagieren will. Fehler müssen nach ihrem Auftreten möglichst schnell erkannt, dokumentiert, berichtet, Abstellmaßnahmen definiert, entschieden und letztlich behoben werden. Prozess- orientierung verifiziert im Vorfeld Abläufe und praxisnahe Fakten (z. B. Softfacts, wie ein distanziertes Verhalten eines Lieferanten) und reagiert dezentral und selbstständig, bevor es zu einem Problem kommt. Einseitige unausgeglichene Zielorientierung führt zu einem enormen Zuwachs an vielfältigen indirekten Tä- tigkeiten und Komplexität. Der Ansatz, möglichst alles systematisch messen, kon- trollieren und zentral steuern zu wollen, führt zu einer nur scheinbaren Sicherheit. Die Unterschiede werden deutlich, vergleicht man die Philosophie der „Deutschen Wertarbeit“ mit modernen komplexen Qualitätssicherungsmaßnahmen. Prozess- orientierung kann Zielorientierung nicht ersetzen, aber perfekt ergänzen. Zielorientiertes Management am Beispiel Einkauf Der zielorientierte Manager geht davon aus, dass er unmittelbar Ziele vorgibt und deren Erreichen kontrolliert. Der Weg der Zielerreichung ist dabei nicht wesent- lich. Der Fokus liegt auf exakt messbaren und objektiven Kennzahlen, möglichst in Geldwerten. Diese Methode ist der betriebswirtschaftlichen Philosophie ent- 1.14 Prozessorientierung – Ursachen ermitteln, statt Symptome beheben 73 sprungen und in nahezu jedem Contolling-Tool, MRP- oder ERP-System imple- mentiert. Unbewusst wird vielfach in Kauf genommen, dass diese „Hardfacts“ nur scheinbar fundiert sind. Physikalische Fehlerraten im Hintergrund, die keine oder nur sehr grobe Aussagewerte erlauben, werden selten hinterfragt. Ein typi- sches Beispiel für Defizite in zielorientierten Managements bietet das weit ver- breitete Verständnis einer klassischen Lieferantenanbindung. Eine hohe techni- sche Anforderung wird zu einem geringen Preis in einem verbindlichen Rahmen definiert, im Glauben, damit ein optimales Ergebnis zu erreichen – ein Trug- schluss. Zielorientierte Methoden bewirken eine frühzeitige Fixierung von Rah- menbedingung, z. B. Preis, Umfang etc., die dann später eingehalten werden müs- sen. Das Risiko liegt beim Lieferanten und betrifft den Kunden in dem üblichen Verständnis eigentlich nicht. Dies hat zur Folge, dass der Lieferant Sicherheiten einbauen muss, damit er keine Kostenunterdeckung zu befürchten hat. In Ver- handlungen strebt der Kunde an, diese Sicherheiten zu eliminieren. Letztlich sind die Sicherheiten aufgrund der Prognose des Preises und der Unwägbarkeiten als „Überlebensstrategie“ aber tatsächlich notwendig und gerechtfertigt. Prozessorientiertes Management am Beispiel Einkauf Die prozessorientierte Managementmethode argumentiert hier völlig anders. Sie geht davon aus, dass bei optimalen Prozessen automatisch optimale Ergebnisse erzielt werden. Der Fokus wird auf eine detaillierte Zusammenarbeit gelegt, bei der die Prozesse in Kooperation umfassend optimiert werden. Dabei werden in vielen Fällen Softfacts zur Bewertung herangezogen. Softfacts, wie die Motivation des Lieferanten, sind bestimmende Faktoren, die weniger leicht quantifizierbar und nicht mit einfachen, aus der EDV ermittelbaren Werten darstellbar sind. Dies wird vielfach als Nachteil empfunden, denn gerade bei der Ermittlung der Softfacts ist eine hohe Nähe zur operativen Tätigkeit unabdingbar. Dies fordert eine deutlich höhere interdisziplinäre, mit Softfacts behaftete Persönlichkeits- struktur der Mitarbeiter. Zu den Softfacts gehören unter anderem kulturelle Identität, Werte, Ethik, Umgangsformen, Erziehung und Verhalten. Die kom- petente und realitätsnahe Auseinandersetzung mit wertschöpfungsnahen Pro- zessen führt zu einer schnellen und unkomplizierten Ermittlung der Zusam- menhänge. Vorhandene Eindrücke und Erfahrungen können abgefragt und klassifiziert werden. Am Beispiel Einkauf sieht man: Der Prozess wird detaillier- ter und interdisziplinärer bezogen auf die tatsächlichen Bedürfnisse des Kunden analysiert und optimiert. Unnötige Nebenleistungen, die bei der Differenzierung der Prozesse erkannt wurden, werden eliminiert. Es entsteht eine tatsächliche Kosteneinsparung in den Prozessen, jedoch nicht in den benötigten Leistungen, da diese detaillierter hinterfragt und Risiko dadurch abgesichert wird. Ein ande- rer Aspekt ist die Übernahme einer Teilverantwortung durch den Kunden, die im ersten Schritt den Nachteil der Verbindlichkeit nach sich zieht. Sie ermöglicht die Einsparung von kalkulierten Sicherheiten seitens des Lieferanten und erspart dadurch dem Kunden Kosten. Da die Kostenfindung erst nach diesen detaillier- ten Analysen stattfindet, entfällt ein weiteres Risiko für den Lieferanten. Auch 74 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme hierdurch werden bessere Konditionen möglich. In der Summe wird die Ent- scheidung auf Prozessebene mit mehr Aufwand besser abgesichert und klarer kommuniziert. In Relation zu zielorientierten Methoden entstehen daher klare Kostenvorteile mit weniger Risiken für den Kunden. Mit seiner Auswirkung auf die Qualität und Kosten der Zulieferer war dieser grundlegend andere Ansatz maßgeblich für den Erfolg des Toyota Produktionssystems verantwortlich. Qualitätskostenentwicklung als Folge der Managementmethoden Ein hervorragendes Beispiel für das Prinzip der Prozessorientierung, ist das Prä- dikat „Deutsche Wertarbeit“. Es beinhaltet den Anspruch, hochwertige Prozesse und damit Produkte zu erzeugen. Dieser Strategie verdankt die deutsche Wirt- schaft selbst heute noch einen gehörigen Anteil ihres Erfolgs. In der Nachkriegs- zeit war dieses Konzept einer der Mitverursacher des Wirtschaftswunders. In den vergangenen Jahrzehnten wurde die Philosophie hinter dem Begriff „Deutsche Wertarbeit“ vor allem von auf Shareholder Value-Philosophie basierenden und anderen kurzfristig gewinnorientierten Philosophien verdrängt. Unter der Aus- sicht auf stetig hohe Renditen bzw. hohe Kurse, wird den Eigentümern vielfach das Risiko von „Soft-Kapital“ nicht bewusst. Unter „Soft-Kapital“ sind Investitio- nen zu verstehen, die für zukünftige Renditen entscheidend sind, aber in der Bi- lanz oder bei Kostenbetrachtungen nicht explizit zugeordnet werden. Ein Beispiel ist eine hohe Prozessqualität, die durch jahrelanges Training oder Weiterentwick- lung von Anlagen entsteht, also langjährige Investitionen voraussetzt. Eine nega- tive Folge der Ergebnisorientierung tritt etwa bei unabgestimmter Reduzierung von Einkaufspreisen auf. Nicht selten führen solche „Einsparungen“ zur Ver- schlechterung der Qualität, in den Prozessen, beim Lieferanten und beim Kun- den. Später müssen Fehlteile und Schäden durch nachgeschaltete zusätzliche Prozesse aufgefangen werden. Um ein gleiches Qualitätsniveau zu erreichen, ist ein sehr viel höherer Aufwand nötig. Die indirekten Kosten zur Sicherung einer annähernd gleich bleibenden Qualität nehmen zeitlich versetzt und an einer Viel- zahl von Positionen zu. Hinzu kommt, dass durch Prüfungen prinzipiell nur teil- weise fehlerhafte Teile gefunden werden können, während ein Prozess mit hoher Prozessfähigkeit kontinuierlich hohe Qualität gewährleistet. Um der Spirale der Gemeinkosten zu entkommen, empfiehlt sich das Konzept der dezentralen, pro- zessorientierten und präventiven Fehlervermeidung (vgl. 1.9. Poka Yoke). Die Er- folgskontrollen werden umfassend zeitnah am Ort der Herstellung sichergestellt. In der Summe ist in prozessorientierten Systemen sehr wenig Aufwand zum Si- cherstellen der Qualität notwendig, in Relation zu den vielfältigen, vor allem indi- rekten Zusatztätigkeiten bei zielorientiertem Vorgehen. 1.14.2 Wachstum der indirekten Bereiche durch Ergebnisorientierung Die Notwendigkeit eines umfassenden Verständnisses für die Zwänge der opera- tiven Mitarbeiter und die Nähe zum Herstellort ist Teil des Selbstverständnisses, 1.14 Prozessorientierung – Ursachen ermitteln, statt Symptome beheben 75 das bei klein- und mittelständischen Unternehmen vorherrscht. In der Manage- mentstrategie in Konzernstrukturen besitzt dieses Gedankengut untergeordnete Priorität. Vor allem im Kontext der Ausrichtung an zielorientierten Manage- mentstrategien erscheinen diese Softfacts kaum konkurrenzfähig. Anstelle des- sen werden zur Verdeutlichung aller Zahlen und Fakten vielfältige zusätzliche Strukturen geschaffen, deren Aufgabe in der Analyse und Visualisierung der Realität liegt. Daten zu erfassen und zu präsentieren nimmt in Unternehmen einen immer größeren Stellenwert und Zeitanteil ein. Distanz zur produktiven Ebene – Gemba-Orientierung Der zunehmende Einsatz von IT und die Steigerung der Komplexität der Organi- sationsstrukturen sind nicht allein in der Kommunikationsgesellschaft begrün- det. Selektionsdruck und die zunehmend große Distanz des Managements, also der Entscheidungsebene, zur produktiven Ebene sind weitere Hauptursachen. Interdisziplinäres Verständnis nimmt ab Durch die starke Spezialisierung und eine zunehmende Arbeitsteiligkeit nimmt das interdisziplinäre Verständnis und das Wissen um die realen operativen Produktionsprozesse im gesamten Unternehmen zwangsweise ab. Der Gemein- kostenblock, welcher zur Erfassung, Analyse der Entwicklung und Visualisie- rung der Ergebnisse in Unternehmen nötig ist, nimmt durch die steigende Komplexität der Firmenstruktur drastisch zu. Die Darstellung des Zustands eines Systems durch ausgewählte Zahlen zeigt immer nur eine Momentaufnah- me der dahinter verborgenen Vorgänge und Prozesse. Eine Veränderung der Kennzahlen führt, aufgrund der fehlenden Kenntnisse der detaillierten Einfluss- größen und ihrer Eigenschaften tendenziell zu Fehlentscheidungen. Eine Ver- ringerung der Distanz der „Entscheider“ zur direkten Wertschöpfung führt zu einer Erhöhung der Transparenz der wertschöpfungsnahen Vorgänge im Unter- nehmen. Mit einer gleichzeitigen intensiven Vermittlung fundierter interdiszi- plinärer Kompetenz kann nachhaltig eine Reduzierung des Folgeaufwands er- reicht werden, während nebenbei die Qualität der Entscheidungen zunimmt. Unentbehrlichkeits-Strategien Ein anderes Resultat der einseitigen Zielorientierung oder Kostendrucks sind Ausweichstrategien, mit denen sich Mitarbeiter in bürokratischen Strukturen unentbehrlich machen. Fehlende Transparenz wird als k.o.-Kriterium geschaf- fen. Komplexität wird gleichsam als „Schutzschild“ gegen Ergebnisorientierung und oberflächlichen Kostendruck verwendet. So werden z. B. durch hohe Auto- mation Spezialisten unersetzbar. Es werden komplexe Strukturen und Abläufe geschaffen, die nur durch sehr lange Erfahrung handhabbar sind. Umfangreiche EDV-Lösungen, die sich nicht an optimalen einfachen Prozessen orientieren, sondern vorhandene Probleme nur abbilden, können ebenfalls als Ausweichstra- tegie angewendet werden. Wertanalyse, Outsourcing oder Preisorientierung, die 76 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme unausgewogen angewandt werden, verursachen indirekt Strukturen und Investi- tionen, die zu einer enormen Dogmatisierung von komplexen Abläufen führen. Eine Erhöhung des Anteils nicht wertschöpfender Prozesse ist die Folge. Eine sich selbst beschleunigende Spirale des Wachstums an indirekten Strukturen wird in Gang gesetzt. Prozessorientierung kann hier eindeutig helfen, diese nega- tive Entwicklung einseitiger Ziel- und Kostenorientierung zu kompensieren. 1.14.3 Prozessoptimierungsstrategien Kaizen und Poka Yoke bieten ein umfassendes Portfolio an Maßnahmen, die zur kontinuierlichen Verbesserung von Prozessen führen. In den Projekten wird hierzu das Verbesserungsrad (oder auch „Shewhart cycle“ bzw. Deming-Kreis [Demi 47]) der ständigen Verbesserung angewandt (Abb. 1.14.1). Abb. 1.14.1 Das Deming Verbesserungsrad mit dem PDAC-Zyklus (Plan-Do-Act-Chal- lenge) Mit Standards Innovationen kanalisieren Ein Leitmotiv von Lean Production ist die Strategie, mit kontinuierlich verbesser- ten Standards zu arbeiten. Der Standard wird im Deming-Kreis als „Keil“ symbo- lisiert, der verhindert, dass es wieder bergab geht. Im Kreislauf werden Standards definiert und Verbesserungen angestrebt, aus welchen nach Verifikation wieder neue Standards werden. Viele Menschen empfinden Standards, also Regeln oder 1.14 Prozessorientierung – Ursachen ermitteln, statt Symptome beheben 77 Spielregeln, als beengend und altmodisch. Aus der Spieltheorie [Neum 44] wissen wir aber, dass nur dann der maximale Erfolg in einem System erzielt werden kann, wenn sich alle an die abgestimmten Spielregeln halten. Worin liegen die Schwierigkeiten der Menschen, vorwiegend in der modernen westlichen Welt, sich Regeln unterzuordnen? Standards oder Regeln bremsen unsere Neigung, ständig neue Dinge zu erfinden und uns unstetig zu verhalten. Sie werden als kontraproduktiv für Kreativität oder Innovationsfähigkeit gewertet. Ein anderer Aspekt der Regeln liegt in der Fremdbestimmung; man muss sich Normen unter- ordnen. Japan hingegen ist kulturell stark vom Konfuzianismus geprägt. Diese Ethik betont sehr stark die Notwendigkeit, sich an Regeln zu halten. Standards mögen als trivial, antiquiert oder formalistisch wirken, aber sie ermöglichen in großem Umfang, Ideen und Innovationen gerichtet zu kanalisieren. 5W-Methode Bei Fehleranalyse mit der 5W-Methode wird jedes Problem fünf Mal mit der Frage „Warum?“ hinterfragt. 5W zielt vor allem auf das Beheben aller sichtbaren und verborgenen Ursachen. Es werden die tatsächlichen Ursachen ermittelt und nachhaltig abgestellt. Symptome zu retuschieren, ist ohne Zweifel eine der größ- ten und verbreitetsten Verschwendungsarten in modernen Unternehmen, da immense Kapazitäten und Gelder dafür aufgewendet werden. Die Methode der 5W nimmt die zentrale Rolle in der prozessorientierten Managementmethode ein. Sie ist vergleichbar mit der zentralen Frage nach der Zielerreichung bei zielorientierten Managementsystemen. Einfach und praxisorientiert TPS ist in einer Zeit entstanden, in der kaum aufwendige Präsentationen in Un- ternehmen üblich waren. Charakteristisch für TPS ist daher die Forderung, Ver- Abb. 1.14.2 „Alle Mitarbeiter schieben, aber es bewegt sich nichts“ 78 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme besserungsideen nicht unnötig kompliziert zu diskutieren, bürokratisch zu prä- sentieren und wissenschaftlich endlos zu analysieren, sondern sie schlicht und einfach möglichst schnell und praxisnah zu testen. Folgender Leitsatz ist für we- sentliche Eigenschaften prozessorientierter Methoden charakteristisch: Die Me- thode führt sehr schnell und pragmatisch zu vielen kleinen Verbesserungen und verursacht geringe Kosten. Tatsächlich ist diese Forderung in modernen, stark untergliederten Unternehmensstrukturen politisch nur schwer umsetzbar. Bottom-up-Prozess der Prozessoptimierung nutzen Es gilt, Kreativität und Innovationen in allen Ebenen anzuregen, zu verifizieren, zu koordinieren und umzusetzen, um das Unternehmen voranzubringen. Ziel- orientierte Managementmethoden sind Top-down orientiert. Oberstes Ziel ist, die vorgegebenen Ziele möglichst termingerecht umzusetzen. TPS als prozess- orientierte Methode zeichnet sich durch das Verstehen der Ideen als Bottom-up- Recht, und nicht als „Top-down-Statussymbol“. Eine sehr viel größere Zahl an Innovationen wird deshalb umgesetzt und die Entwicklungsgeschwindigkeit nimmt enorm zu. TPS regt hier einen Bottom-up Prozess an, bei dem vor allem die operativen und auf der produktionsnahen Ebene beschäftigten Mitarbeiter animiert werden, sich einzubringen. Die Effizienz und damit der „Hebel“ dieser Methode wird in der Wirtschaft enorm unterschätzt und bagatellisiert. T. C. Ohno verwendet gerne den Vergleich mit einem Sportteam: Eine Mannschaft, die nur automatisierte Spielzüge auf Kommando ausführt, wird kaum in Kon- kurrenz zu Mannschaften bestehen können, bei denen die Spieler Ideen gemein- sam im Team umsetzen. 1.15 Differenzierte Prozesskostenrechnung Philipp Dickmann; Eva Dickmann, Lepros GmbH Mit der enormen Zunahme der Arbeitsteiligkeit und der Verschiebung der Ar- beitsinhalte in indirekte Tätigkeiten hat sich der Kostenschwerpunkt von der Kos- tenstellenrechnung in die Gemeinkostenrechnung verschoben (siehe Abb. 1.15.1). Mit klassischen Methoden der Kostenrechnung wird nur wenig Transparenz in den heute sehr hohen Gemeinkostenblock gebracht. Wie bei einem Eisberg ist nur der kleinste Teil offen sichtbar (siehe Abb. 1.15.2 Eisberg-Phänomen). Trotzdem ist die Kostenrechnung die Basis für Preisfindung, Investitions-, Personal- und Ein- sparungsentscheidungen sowie für Outsourcing. Der Materialfluss und dessen Entwicklung sind extrem von der richtigen Analyse sowie Zuordnung zu den Kos- tenträgern abhängig. Die Kostenrechnung definiert, in welcher Kategorie ein Un- ternehmen tendenziell schneller bereit ist zu investieren, etwa in Personal, Fläche oder Automation. Kostenrechnung bestimmt unmittelbar die Rahmenbedingun- gen und operativen logistischen Entscheidungen des Materialflusses. Die verwen- deten Kostensätze je Unternehmen, etwa für Lagerbestand oder Störungen im 1.15 Differenzierte Prozesskostenrechnung 79 z.B. Konzern „Zwiebel“„Zwiebel“ Pyramide Pyramide z.B. Mittelstand Indirekte Direkte 150–300%2–5% Kosten bzw. Mitarbeitertypen Abb. 1.15.1 Verteilung direkter zu indirekter Kosten in mittelständischen Unternehmen oder Konzernen: Durch komplexe Anforderungen sind sehr große Unternehmensgebilde (Konzerne) entstanden. Die klassische Aufteilung (wie heute im Mittelstand) indirekter zu direkter Mitarbeiter hat sich stark in Richtung der indirekten Bereiche verschoben. Dieser große Gemeinkostenblock erfordert eine exakte Kostenbetrachtung, ansonsten besteht die Gefahr von Fehlentscheidungen. Die differenzierte Prozesskostenrechnung ermöglicht eine exaktere Verteilung der Gemeinkosten. ca. 10% ca. 90% Abb. 1.15.2 Das Eisberg-Phänomen: Der Großteil des Eisbergs ist nicht sofort sichtbar – ähnlich verhält es sich mit den Gemeinkosten: Sie sind selten vollständig sichtbar oder zuordenbar und bilden daher ein sehr hohes Risiko. Materialfluss, unterscheiden sich eminent und sind nicht immer mit unter- schiedlichen Technologie- oder Personalkosten erklärbar. In vielen Unterneh- men werden die Potentiale moderner Methoden der Materialflussoptimierung aufgrund fehlender Transparenz der Kosten nicht erkannt. Nicht selten profitie- ren beispielsweise Strategien mit großen Losgrößen von unvollständigen Kos- tenzuordnungen. Die richtige Verteilung der Kosten in komplexen Unterneh- mensstrukturen ist kompliziert und daher fehleranfällig. Stellenweise werden sogar trotz Prozesskostenrechnung Kosten falsch zugewiesen. Ein Beispiel hier- für sind variable Einflussgrößen. Langsamdreher (sich langsam umschlagende 80 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Materialien), wie Ersatzteile, werden im Verhältnis zu Serienprodukten viel zu gering bewertet, mit der Folge einer falschen Ausrichtung der Unternehmens- strategien. Nur umfassende Arbeitsablaufstudien, wie Zeitstudien auf Basis einer Zeiterfassungssoftware, Wertstromanalysen oder der Methode der Valuecycle Analyse oder Optimierung [Lepr 03], führen zu fundierten interdisziplinären Informationen. Erst mit Hilfe solcher detaillierter Daten ist eine differenzierte Prozesskostenrechnung möglich. 1.15.1 Kostenrechnung Kostenrechnung entspringt der klassischen Buchhaltung und dient dem Zweck der systematischen Kostenplanung und Kostenkontrolle. Sie muss zudem den gesetzlichen Regelungen einer ordentlichen Buchführung genügen. Alle Geld- ströme und allgemeinen Werteströme müssen eindeutig nachvollziehbar darge- stellt sein und ohne Fehlmengen reproduzierbar sein. Dieses Ziel ist aufgrund der physikalischen Fehlerrechnung als Annäherung zu verstehen. Es soll eine tatsächlich verbesserte Entwicklung des Unternehmens in der Zukunft erreicht werden. Das Controlling nutzt die Konten der Buchführung für Analysen, wobei die Daten vielfach zweckentfremdet werden, da sie unter vollständig anderen Gesichtpunkten entstanden und daher nur bedingt geeignet sind. 1.15.2 Komplexitätsproblem im „IT-Zeitalter“ Durch den Einsatz von Informationstechnologie (IT) ist es möglich geworden, „fehlerfreiere“ Daten zu erhalten, da Eingabe-, Rechen- sowie Übertragungsfeh- ler vermieden werden können. Diese Entwicklung ermöglichte komplexe Kos- tenstrukturen mit einer riesigen Anzahl an Buchungen und Kostenstellen bei gleichzeitiger Reduzierung der Personalkosten in der operativen Buchhaltung. In modernen Konzernen führte dies zu einer extremen Detaillierung der Struk- turen von Kostenstellen und Kostenträgern, andererseits aber auch zu wachsen- der Komplexität. Aufgrund der physikalischen Fehlerfortpflanzung und der zunehmenden interdisziplinären Komplexität nimmt die Fehlerhäufigkeit zu. Zur Verifikation von Fehlern ist umfangreiches Wissen der Betriebswirtschafts- lehre, der Produktion, des Einkaufs und der IT notwendig. Verschiedenste Be- deutungen gleich gearteter Daten in MRP-Systemen führen zu Missverständnis- sen. Ein Beispiel hierfür sind die vielfältigen Preisangaben zu einem Produkt, wie sie heute in komfortablen MRP-Systemen üblich sind. Hohe Datenmengen und Komplexität, fehlende Transparenz und die vielfältigen Möglichkeiten der Manipulation sollten grundsätzlich einen sehr kritischen Umgang mit EDV- Systemen in Bezug auf Kosten zur Folge haben. Die Systeme werden jedoch in vielen Fällen als „Blackbox“ akzeptiert, und wegen der fehlenden Detailkenntnis entfällt zudem die Kontrolle der Schlüssigkeit der Daten. Die Kontrollaufgaben werden konzentriert auf Spezialisten, z. B. in Buchprüfung, Controlling, EDV 1.15 Differenzierte Prozesskostenrechnung 81 oder beim Softwarehersteller. In der Summe sind vor allem in komplexen Kon- zernen nur sehr wenige Spezialisten vorhanden, welche die komplexen Daten auf Plausibilität überprüfen und Fehler finden können. 1.15.3 Prinzip der Standard-Prozesskostenrechnung Eine neue und moderne Variante der Plankostenrechnung ist die Zielkosten- rechnung, die in Standard-Einzelkostenrechnung und die Prozesskostenrech- nung gegliedert ist (siehe Abb. 1.15.3). Aufgrund der zunehmenden Komplexität der Kostenstrukturen sind dies not- wendige Ergänzungen zur Voll- und Grenzkostenrechnung. Das wesentliche Merkmal dieser Konzepte liegt in der Abkehr von der kostenstellenbezogenen Betrachtungsweise zu einer stärker aktivitäts- oder arbeitsprozessbezogenen Sichtweise der direkten und indirekten Bereiche. Der wesentliche Unterschied zur sehr ähnlichen Einzelkostenrechnung ist die Berücksichtigung der leis- tungsbezogenen Einzelkosten. Die prozessbezogene Betrachtungsweise erlaubt die Integration diffuser indirekter Kosten aus allen Bereichen. Verschiedenste variable und fixe Kosten werden als Teilprozesse in den Kostenstellen auf einen Prozess oder eine Tätigkeit bezogen und differenziert zugeordnet. Der Gemein- kostenblock im Unternehmen wird dadurch transparent und eine exakte Vertei- lung der Gemeinkostenzuschläge möglich. Zunächst sollen die Kostentreiber, Einzelkosten Gemeinkosten Kostenträgerrechnung Variable Kosten Fixe Kosten Grenzkosten- rechnung Zeitplankosten- rechnung Zielkostenrechnung Standard- Einzelkosten- rechnung Standard- Prozesskosten- rechnung V ollplankostenrechnung Abb. 1.15.3 Übersicht der Kostenrechnungsmethoden [Schie 2003] 82 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme die Haupteinflussfaktoren ausfindig gemacht werden, die für die Kostenentste- hung verantwortlich sind [Schie 2003]. Die Kostentreiber sind die bestimmen- den Einflussgrößen dieser Rechenmethode, da ihre Maßgröße, d. h. ihre Häufig- keit oder Höhe, über das Maß der Zuschläge bestimmt. So ist zum Beispiel die Anzahl der Wareneingangsprüfungen ein typischer Kostentreiber. Die Gemein- kosten werden dadurch nicht wie mit einer „Gießkanne“ auf alle Produkte auf- geteilt. Die Verteilung erfolgt vielmehr abhängig von Zeiten, den Einzelkosten- zeitfaktoren oder der Häufigkeit der Vorgänge, beispielsweise aufgrund einer Arbeitsablaufstudie. Es werden unter anderem die Gemeinkosten von Logistik, Einkauf, IT, Konstruktion, Qualität etc. differenziert verteilt. Der konkrete Ab- lauf ist einfach, so werden zum Beispiel die Kosten für die Wareneingangsprü- fung je nach Anzahl der Wareneingänge linear mit einem Faktor multipliziert und die Belastung je Produkt errechnet. Die Verrechnung der Zuschläge erfolgt für jeden einzelnen Prozess. Es entsteht ein klareres Bild über die Entstehung der Aufwendungen und damit der Kosten als in der üblichen Zuschlagskalkula- tion. In der operativen Arbeitsweise werden Hauptprozesse als Kostensammler definiert, auf welche die zugehörigen Kosten, z. B. Buchungsanzahl, zugeordnet werden können. 1.15.4 Verifikation nicht konstanter Einflussfaktoren auf die Kostentreiber Die Vernachlässigung der Diversität der Einflussparameter kann jedoch zu einer fehlerhaften Klassifizierung der Kostentreiber führen. Die Verifikation der Ein- flussfaktoren im betrachteten Prozess darf nicht ohne die Ermittlung der Streu- ung erfolgen. Zeiten, Stückzahlen oder Häufigkeit müssen, bezogen auf die be- troffenen Typen oder Produktfamilien, untersucht werden, da in der Praxis die Aufwendungen (und damit Kosten) für Prozesse sehr unterschiedlich sind (vgl. Abb. 1.15.4). Bei der Standardprozesskostenrechnung werden beispielsweise die Wareneingangsprüfungskosten typischerweise auf jeden Prozess jedes Produkts mit den gleichen Kosten aufgeschlagen. Entscheidend für den Aufwand ist je- doch, ob es sich um Erstmuster, aufwendige Muster für einen exotischen Kun- den, einen Test, ein Produkt der Massenfertigung mit einer nur einfachen Über- prüfung der Materialnummer oder im Extremfall um ein Produkt ohne Prüfung handelt. Grundsätzlich müssen die Aufwendungen differenziert und wesentliche Materialfamilien bzw. Prozessgruppen unterschieden werden. So werden in der Realität z. B. Serienprodukte im Vergleich zu langsam umschlagenden Ersatztei- len (Langsamdreher) extrem überhöht mit Gemeinkosten belastet. Sie werden proportional zur Anzahl der Lose mit Standardprozesskosten für Disposition, Einkauf, Qualität, Buchungen, Inventar, Warenbewegungen etc. belastet. Serien- teile schlagen sich um den Faktor 100 bis 1000 schneller um als Ersatzteile, d. h. die Kosten werden ebenfalls 100 bis 1000 Mal häufiger auf diese Gruppen umge- legt. Dieser Effekt trifft in gleicher Weise für die Zuschlagskalkulation zu. Tat- 1.15 Differenzierte Prozesskostenrechnung 83 sächlich ist der Prozessaufwand je Auftrag bei Schnelldrehern (Materialien, die sich schnell umschlagen) überproportional geringer. Die falsche Kostenzuordnung führt zu einer erheblichen Subventionierung von Langsamdrehern durch Schnelldreher. Waren- annahme Ware auspacken zählen Warenzu- gang buchen Erstmuster- Unterlagen prüfen vermessen Freigabe erteilen optische Prüfung Freigabe buchen umbuchen auf Lager einlagern in Lager kommissio- nieren bereitstellen am Arbeitsplatz Waren- annahme Warenzu- gang buchen Bereitstellen am Arbeitsplatz Aufwand für den Wareneingang und Bereitstellung eines Serienmaterials Aufwand für den Wareneingang und Bereitstellung eines Langsamdrehers z.B. Sonderersatzteil Abb. 1.15.4 Aufwand für Wareneingang und Bereitstellung am Arbeitsplatz bei Langsam- und Schnelldrehern [Lepr 01]: Typischerweise werden alle Wareneingänge gleichermaßen mit Kosten belastet. Dabei sind bei Langsamdrehern (z. B. bei Ersatzteile) bzw. Schnell- drehern (Serienteile) eine unterschiedliche Anzahl an Prozessschritten nötig. Tatsächlich kann der Aufwand (gerechtfertigte Kosten) bei Schnelldrehern je Teil um den Faktor der Bedarfsdifferenz (Bedarf Schnelldreher – Bedarf Langsamdreher, z. B. mehrere Tausend) geringer sein. Serienprozesse werden daher in der Standard-Prozesskostenrechnung überproportional belastet. Langsamdreher werden subventioniert. Tabelle 1.15.1 Vergleich eines typischen Aufwands bei Langsam- und Schnelldrehern (exemplarisches Beispiel) Schnelldreher (z. B. Großserienteile) Langsamdreher (z. B. Ersatzteile) Einkauf Rahmenverträge oder ein Kontrakt Annuale Preisveränderung Die Produktionsbedingungen bzw. Kosten müssen wiederholt ausgehan- delt werden. Gegebenenfalls neuen Lieferanten akquirieren Disposi- tion Weitgehend automatisiert oder optimierter Aufwand Nur ein Abruf nötig Langfristige Planung mit hohem Ab- stimmungsaufwand für die Bestellung Hoher Aufwand für Terminierung, Überwachung und Anpassung 84 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Die Auswirkung des Zeitversatzes zwischen Kostenursache und -wirkung wird ebenfalls häufig unterschätzt. Die Komplexität ist am Beispiel eines Lieferanten- wechsels, zu einem billigeren Lieferanten mit schlechteren Qualitätsmerkmalen, einfach nachzuvollziehen. Die tatsächlichen Folgekosten sind aufgrund der diffu- sen Kostenverteilung und des Zeitversatzes (Monate bis Jahre) kaum vollständig zu ermitteln bzw. bei einer Validierung nicht vollständig den Ursachen zuorden- bar. An dieser Stelle können nur einige der möglichen Folgekosten aufgelistet wer- den, die über die typischen einkaufs- und logistikrelevanten Kosten hinausgehen (siehe auch Kap. 4.8.3 Lieferantenwechsel): • zusätzliche präventive Aufwendungen zur Qualitätssicherung, • Qualitätsmängel in den Prozessen der nachfolgenden Produktionsstufen, • höhere Anforderungen an Anlagen, • Fehlervermeidungsmaßnahmen entlang der Lieferkette, • Aufwendungen für Veränderungen in der IT, • Verschlechterung der Fertigproduktqualität, • Krisenmanagement bei Kunden und Lieferanten, • intensivere Lieferantenbetreuung. 1.15.5 Konsequenzen von unberücksichtigten, nicht konstanten Einflussfaktoren – am Beispiel Großserienteil und Ersatzteil Die nachlässige Betrachtung von Kostentreibern kann zu weit reichenden strate- gischen Fehlentscheidungen führen und Auswirkungen auf das Produktspekt- rum sowie auf die Produktions-, Beschaffungs- und Vertriebsstrategien eines Unternehmens haben: Großserienteil: • Sie müssen zu teuer verkauft werden, um vermeintlich wirtschaftlich zu sein. • Im Preiskampf können dadurch Marktanteile verloren gehen. • Produkte laufen aus wirtschaftlichen Gründen vorschnell aus. • Kurze Entwicklungszeiten werden notwendig, da sich Kosten sonst nicht mehr umschlagen lassen. • Die Stundensätze sind scheinbar hoch. Im Benchmark schneiden Produk- tionsstandorte schlecht ab. • Outsourcing oder Einstellung der Produktion oder der Schnelldreher ist die Konsequenz. Ersatzteil: • Ersatzteile werden in der Regel mit höheren Renditen geplant. Bei einem minimal um den Faktor 10 bis 100 höheren Gemeinkostenzuschlag und Stun- 1.15 Differenzierte Prozesskostenrechnung 85 densatz würde die Grenze der Wirtschaftlichkeit deutlich anders liegen. Die meisten Ersatzteile wären damit nicht rentabel. • Auch Qualitätsprobleme werden ungerechtfertigt positiv als „Motor“ für Ersatzteilrenditen interpretiert. Unberücksichtigt bleibt dabei, dass Quali- tätsprobleme immer zu unzufriedenen Kunden und mittelfristig zu sinken- dem Absatz führen. • Die Kosten für unwirtschaftliche Ersatzteile würden höhere Aufwendungen für die Verbesserung der Qualität in den Prozessen rechtfertigen. Unrentable Ersatzteile müssten vom Markt genommen werden. • Die Entwicklung technisch flexiblerer Ersatzteillösungen wäre eine zwingende wirtschaftliche Notwendigkeit. Diese Fehlentwicklungen treffen in gleicher Weise auf andere Kostenrech- nungstypen zu. Sie werden nicht erkannt, da sich die Summe der Quersubven- tionierungen ausgleicht. Viele Elemente moderner schlanker Produktionsme- thoden des Toyota Produktionssystems werden vielfach ähnlich benachteiligt, wie z. B. kleine Losgrößen oder kurze Durchlaufzeiten. 1.15.6 Ablauf einer interdisziplinären, differenzierten Prozesskostenanalyse (IDP) (basierend [Schie 03; Diet 2005]) • Identifikation der Aktivitätsstrukturen und Ermittlung der Hauptprozesse • Durchführung einer Arbeitsablaufstudie • Ermittlung des Zeit und Mengengerüsts für die Hauptprozesse, um alle Ge- meinkosten zu finden, die für einen Teilprozess zu berücksichtigen sind • Verifikation der Konstanz der Einflussfaktoren und interdisziplinäre Diffe- renzierung der Teilprozesse • Bewertung der Zeit- und Mengengerüste sowie Ermittlung der Prozesskosten- sätze • Multiplikation der Prozesskostensätze zu Hauptprozesskostensätzen. 1.15.7 Interdisziplinäre Arbeitsablaufstudie als Basis einer differenzierten Prozesskostenrechnung Ein Mangel an Exaktheit bei der Durchführung der Arbeitsablaufstudien und pauschalisiert zugeordneten Abläufen, hat eine ungenügende Zuordnung von Zeiten und damit Kosten zur Folge. In Kleinunternehmen ist dies aufgrund der einfacheren Vorgänge, der weniger spezialisierten Anforderungen und der Not- wendigkeit eines höheren interdisziplinären Verständnisses der Ausführenden wenig wahrscheinlich. Bei einer Umstellung der Kostenrechnung eines Konzerns ist eine sehr umfassende interdisziplinäre Arbeitsablaufstudie unbedingt anzu- raten. Gängige Methoden sind: 86 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme • Arbeitsablaufstudie mit Industrial Engineering: Das Industrial Engineering besitzt ein detailliertes Wissen über die direkten Produktionsabläufe. Es hat aber in den meisten Unternehmen kaum Informationen über nicht direkt an der Produktion beteiligte operative Abläufe, wie z. B. den Wareneingang so- wie über indirekte Bereiche, wie IT oder Konstruktion. • Zeiterfassungssoftware [DicE 04]: Eine fundierte, aber aufwendige Variante ist die langfristige Zeitstudie mit einer Zeiterfassungssoftware. Die Mitarbei- ter müssen alle nicht direkt der Produktionszeit zuordenbaren Zeiten ver- schiedenen Konten zuweisen. Die Auswahl der Konten, auf welche die Zeiten verteilt werden, ist entscheidend für die Akzeptanz und die spätere Aussage- qualität. Diese abstrahierte Methode erreicht eine sehr genaue Aufgliederung und führt oft zu unerwarteten Ergebnissen (z. B. Neuausrichtung der Pro- duktstrategien, In- oder Outsourcing). Trotz des hohen Aufwands für die Entwicklung der Software sowie die Betreuungs- und Erfassungskosten, füh- ren die darauf basierenden Unternehmensentscheidungen zu hohen Kosten- einsparungen und Gewinnen. • Valuestream Analyse (VSA): Bei der Wertstromanalyse werden die Wert- ströme detailliert erfasst und ausgewertet. Die Methode wird gerne über ex- terne, spezialisierte Dienstleister umgesetzt. Die Ergebnisse sind sehr genau, sofern die Verifikation der Prozesse durch die kooperative Einbindung der betroffenen Bereiche und Ebenen erfolgreich umgesetzt wurde. • Valuecycle Analyze und Optimizing Prozesskostenanalyse: Eine wenig auf- wändige und schnelle Methode ist die Ermittlung der Prozesskosten nach einem Konzept ähnlich der Valuecycle Optimizing (vgl. 2.14. Valuecycle Optimizing). Wesentlicher Unterschied zu den zuvor beschriebenen Methoden ist die Ermitt- lung der Arbeitsabläufe, der zugehörigen Zeiten oder Häufigkeiten durch ein Team aller beteiligten Bereiche in einem Bottom-up-Prozess. Nebenbei werden diverse Rahmenbedingungen festgelegt, die eine kontinuierliche Verbesserung und ein größeres Verständnis für die interdisziplinären Abläufe bei den Betei- ligten bewirken. Dies erlaubt eine fundierte Verifikation der Einflussgrößen und eine Interpretation der Ursachen-Wirkungs-Logik. 1.16 Dezentrale und schlanke Strukturen – Gemba-Orientierung Philipp Dickmann Koichi Mukaiyama, der Firmenchef von KOA, einem großen japanischen Elek- tronikhersteller, wird anlässlich einer bevorstehenden Pleite mit folgendem be- merkenswerten Satz zitiert [Koji 95]: „Die Ursache ist nicht der Yen – ich selbst habe den Betrieb nicht richtig geführt. Obwohl ich der Hersteller bin, habe ich nicht ein einziges Mal die Lage vor Ort sondiert.“ Das japanische Wort Gemba bedeutet Arbeitsplatz und im Toyota Produktionssystem für den Ort der Wert- 1.16 Dezentrale und schlanke Strukturen – Gemba-Orientierung 87 schöpfung verwendet. Gemba-Orientierung ist eine wesentliche Zielsetzung des Toyota Produktionssystems, woraus sich folgende Teilaspekte ableiten lassen: • Die Verantwortung sollte an den Ort der Herstellung verlagert werden, dies wird umgesetzt mittels Dezentralisierung und Jobenrichment. Macht und Verantwortung gehen an die Mitarbeiter der operativen Produktion über, da hier die Wertschöpfung geschieht. • Durch räumliche und soziale Nähe sollen alle indirekten Bereiche vor Ort präsent sein, um eine bessere Kommunikation zu erzeugen. • Schlanke Managementstrukturen ergeben sich aus dezentralen Strukturen und sorgen für effizientere direkte Kommunikation und richtige Entscheidungen. • Der Aufbau der Leitungsfunktionen, Linien und Projekte, sind Informations- strukturen, die geschaffen wurden, um räumliche Distanz zur Gemba zu überwinden – also „um zu wissen, was der Nachbar macht“. In gewachsenen Konzernstrukturen bei Global-Playern sind die indirekten Bereiche adminis- trativ stark untergliedert und überwiegend räumlich getrennt. Das TPS und die zweite Welle der Lean Production geben Hinweise, wie weit man mit der „Verschlankung“ bei den produktionsnahen oder auch indirekten Bereichen gehen kann. Eine weiterführende Untergliederung in kleine selbstän- dige Unternehmen, kann weitere Vorteile bringen. In Japan geht man erfolg- reich sogar noch einen Schritt weiter, indem man bei solchen kleineren Einhei- ten sogar indirekte Tätigkeiten, etwa den Einkauf, den Werkern überträgt. 1.16.1 Räumliche Nähe korreliert mit sozialer Nähe Kommunikation wird als selbstverständliche, einfache Nebensache empfunden. Alle Menschen leiden aber permanent, vielfach unbewusst unter Kommunika- tionsproblemen, auch in den Unternehmen. Missverständnisse sind uns bewuss- te Kommunikationsprobleme und gleichzeitig ein Grund dafür. Es existiert eine Vielzahl an Gründen für Kommunikationsprobleme: Zu große Informationsvor- sprünge, Aversionen, Vorurteile, falsche Reportingwege, Ignoranz, Tabuthemen (so genannte „Heilige Kühe“), lange Informationsketten, sozialer Hintergrund, kulturelle Unterschiede, Gruppenbildung und Gruppenabgrenzung, Ausbil- dungsniveau, Neurosen, Manipulation etc. Sie alle sind unsere ständigen Beglei- ter im Alltag und in der Arbeit. Ihr Gewicht ist in Unternehmen kaum beziffer- bar und sie führen unbestritten zu einer verheerenden Verschwendung. Für Führungskräfte ist die neutrale, sachliche und konstruktive Kommunikation ein hehres und leider zuweilen auch theoretisches Ziel. Eine wesentliche Einfluss- größe, die den Informationsfluss stört, ist die zu große soziale Distanz. Die effi- zienteste Kommunikation erfolgt direkt und ohne Kommunikationsmittel. Räumliche Distanz bringt noch andere Nachteile mit sich: Hohe Kosten für nöti- ge Kommunikationsmittel und Transporte, Problematik der Zeitverschiebung, sehr geringe nutzbare Zeit für Kommunikation, kulturelle Unterschiede und Sprachbarrieren, um nur einige zu nennen. 88 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme 1.16.2 Dezentrale Verantwortungsstrukturen – die Entscheidung zur Verantwortung beim Spezialisten Durch eine zentral verwaltete Führung und Verantwortung, sollten Ziele opti- mal erreicht werden. Dies ist die grundsätzliche Annahme von zentralistischen Ansätzen, dessen Prinzip die Umsetzung der Produktionsmethode nach Taylor und Ford ermöglichte. Die Methode sollte bewirken, dass mit ungelernten Mit- arbeitern technisch anspruchsvolle Aufgaben erledigt werden können, daher mussten Entscheidungshoheiten zentralisiert werden. Aus diesen Zwängen ent- standen Arbeitsplätze und Aufgabengebiete, die nur beschränkt Inhalte operativ (angelernte Tätigkeiten) abarbeiteten. Inhaltlich hat dies zur Folge, dass bei zentralistischen Strukturen Fehler und Störgrößen wesentlich schlechter gere- gelt werden können. Auf der emotionalen Ebene führt der Entzug von Verant- wortung dazu, dass die Motivation und die Identifikation mit der Arbeit verlo- ren gehen. Eines der Grundprinzipien des Toyota Produktionssystems und von Kanban ist die Dezentralisierung der Verantwortung. Der Mitarbeiter, der täg- lich die Wertschöpfung ausführt, ist der Spezialist für die Prozesse, die zugehö- rigen Probleme und die Optimierung. Hieraus entsteht der Gedanke der Gemba- Orientierung. Diese Philosophie umschreibt den Werker, der die Wertschöpfung als Kunde aller anderen Bereiche erbringt, da sie ihm alle „zuarbeiten“. Dies gilt für alle indirekten Bereiche, aber auch für Führungsebenen, die sich letztlich als „Zuarbeiter“ für die operative wertschöpfende Arbeit definieren. Um bei dem Beispiel von Ohno [Ohno 78] aus dem Sport zu bleiben: Die Spieler schießen die Tore; der Trainer, der Masseur und das Management können nur unterstützen. Hieraus leitet sich die dezentrale Verantwortungsstruktur ab, d. h. der Spezialist sollte mit möglichst hoher Kompetenz ausgestattet sein, zum einen, um Ände- rungen schneller und sicherer zu gestalten, zum anderen, um die individuelle Kompetenz aller Mitarbeiter mit einzubinden. Dies ist eine Voraussetzung ohne die TPS nur eine leere, wenig effektive Hülle bleibt. 1.16.3 Stufen der Dezentralisierung Dezentralisierung der produktionsnahen Bereiche – an und in die Produktion Im klassischen TPS wurden Instandhaltung, Produktionsplanung, Betriebsmit- telplanung, Konstruktion und Logistik direkt in der räumlichen Nähe der Pro- duktion angeordnet. D. h. die Mitarbeiter sollen sich vorzugsweise direkt, auch optisch in unmittelbarer Sicht- und Hörweite aufhalten und am Ort des Gesche- hens, möglichst nah an der „harten“ Realität arbeiten. Die betreffenden Bereiche können direkt kommunizieren, ihre Bedürfnisse besser verstehen und folglich erfüllen. Vor allem zu Beginn entsprechender Veränderungen entstehen deut- lich stärkere Konflikte, da diese indirekten Bereiche nun unmittelbar dem Druck des Kunden (dem Werker und den Problemen der Produktion) ausgesetzt sind. 1.16 Dezentrale und schlanke Strukturen – Gemba-Orientierung 89 Aufgrund des Leidensdrucks entsteht eine steile Lernkurve, die zu einer mar- kanten Verbesserung der Effizienz im mittelfristigen Bereich führt. Die „zweite Welle der Lean Produktion“ [Koji 95] – Dezentralisierung aller indirekten Bereiche in die Produktion Nachdem die räumliche Anordnung der produktionsnahen Bereiche sehr erfolg- reich war, wollte man dieselben Vorteile auch bei anderen indirekten Bereichen erzielen. Die konsequente Weiterführung der Gemba-Orientierung hat zur Fol- ge, dass z. B. Einkauf, Vertrieb, Konstruktion und Geschäftsführung auch in räumlicher Nähe platziert werden. In der realen Umsetzung sind derartige Ver- änderungen sehr heikel und strategisch nicht kurzfristig realisierbar. Solche Veränderungen stoßen auf vielerlei Probleme und Gegenwehr: • Gewachsene Strukturen müssen aufbrechen. • Gewohnte Arbeitsweisen und Aufgabengebiete verändern sich. • Angst vor direktem Feedback und Kritik muss überwunden werden. • Macht- und Blockade-Strategien müssen durchbrochen werden. • Persönliche Gründe und Hoheitsansprüche müssen hinterfragt und über- wunden werden. • Notwendige soziale Veränderungen sind einzuleiten. • Gegebenenfalls sind Umzüge nötig. • Gehaltsveränderungen sind zu regeln, produktionsnahe Bereiche sind häufig niedriger gruppiert. • Statusverlust ist auszugleichen, da weniger planerische, sondern mehr opera- tive Elemente abzudecken sind. • Verlust von Mitarbeitern ist nicht immer vermeidbar. Für die erfolgreiche umfassende Umsetzung solcher Projekte ist entweder ein starker Leidensdruck oder ein durchsetzungsstarkes kooperatives Manage- ment nötig. In der Realität werden derartige Projekte vielfach nicht vollständig umgesetzt. Änderung der Firmenstrukturen – am Beispiel „Der umgekehrte Warenfluss“ [Koji 95] Ein weiterführender Schritt ist die endproduktbezogene Bildung von Workshops und Units (weitgehend selbständig agierende Produktionseinheiten). Dieser be- inhaltet die Änderung der werkstattbezogenen Produktion zur produktbezoge- nen Linienproduktion. Leider wird vielfach nur die Organisation geändert, die wesentlichen Vorteile einer auch räumlichen Neugestaltung werden unterbewer- tet, d. h. es werden häufig die Kosten und das Risiko für einen Umbau oder Neu- bau gescheut. Bei dem Beispiel des Elektronikherstellers KOA [Koji 95] wurde ein Abriss und ein Neubau so lange hinausgeschoben, bis der Konkurs bevorstand. Mit Valuestream-, Arbeitsplatzoptimierungs- und Simulationsmethoden (vgl. 3.7. Materialstamm-, Materialfluss- und Wertstromanalysen; ff.) lassen sich sol- 90 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme che Investitionen wesentlich exakter absichern und sind mit deutlich weniger Risiko behaftet. Integration produktionsnaher indirekter Bereiche in Units oder Produktion Die Umgestaltung von Produktionsstrukturen zielt darauf ab produktbezogene, überschaubare und kostenverantwortliche Einheiten zu bilden. Sie werden selb- ständig und unabhängig von Managern oder Unitleitern geführt. Neben der Kos- tenstellenverantwortung kann auch die Verantwortung für indirekte Bereiche, wie z. B. Logistik, Einkauf, Instandhaltung und Qualität, dem Unitleiter zuge- ordnet werden. Separierung eines Produktbereichs zum selbständigen Unternehmen Die Abtrennung eines Bereichs, ist ein gravierender Einschnitt in die Gesamt- struktur eines Unternehmens oder Konzerns. Die klassische Konzernleitungs- struktur mit Hierarchieästen angelehnt an universitäre Fachbereiche, wie Einkauf, Produktion oder Technik, müssen in produktbezogene Bereiche aufgebrochen werden. Diese Bereiche erhalten im Idealfall nicht nur die Hoheit über alle produk- tionsnahen Fachgebiete, sondern auch alle anderen, für die Geschäftsführung eines Produktionsunternehmens relevanten Gewerke, wie Controlling, Buchhal- tung, Einkauf, Vertrieb, Entwicklung, Technik. Die Extremform ist dabei die Ab- spaltung einer Unternehmenstochter, mit allen selbständigen Funktionen. Bei einer unvollständigen, nur organisatorischen Umsetzung, kann zwar eine exaktere Zuordnung allgemeiner Kosten bzw. Prozesskosten vorgenommen werden, sehr viele Potentiale werden jedoch verschenkt. Nicht selten bleiben die gleichen Mitar- beiter am gleichen Arbeitsplatz, sogar unter der gleichen Personalverantwortung und personell der Struktur einer Zentralfunktion zugeordnet. Die Zuordnung zum Geschäftsbereich oder dem Tochterunternehmen erfolgt in diesem Fall nur formal über Umlagen. 1.16.4 Lean Management Die Separierung eines Produktbereichs zu einem selbständigen Unternehmen, kombiniert mit einer Restrukturierung nach der Methode des Lean Manage- ments, ist der halbherzigen Umsetzung eines unter der gleichen Personalstruk- tur aufgebauten Produktionsunternehmens weit überlegen. Ziel der Verbesse- rung ist nicht die Einsparung von Personal, sondern die Ablaufoptimierung. Aufgrund feinerer Abstimmung und Zusammenführung vieler Spezialisten wer- den Schnittstellen und Kommunikation verbessert. Flachere Hierarchiestruktu- ren bringen mehr Flexibilität, beschleunigen Entscheidungen, vermeiden u. a. Verschwendung. Gängige Strukturen reichen von vier und mehr Management- ebenen unter dem Geschäftsführer (CEO), bis zu schlanken Strukturen mit nur einer direkt agierenden Managementebene, direkt unter dem CEO. An der Durchlaufzeit zur Umsetzung von im Etat geplanten Investitionen werden die 1.16 Dezentrale und schlanke Strukturen – Gemba-Orientierung 91 Unterschiede deutlich. Bei umfangreichen Konzernstrukturen benötigen derar- tige Vorgänge nicht selten mehrere Wochen oder gar Monate, wogegen bei fla- chen Strukturen in der Regel nur einige Tage notwendig sind. Dies spiegelt nicht nur eine höhere Reaktionsfähigkeit wider, sondern auch den deutlich geringeren Aufwand. Eine der Hauptursachen liegt im vereinfachten Delegieren der Kos- tenverantwortlichkeit. Die Abläufe werden aber auch durch den Wegfall vieler Abteilungsgrenzen und Hoheitsgebiete deutlich erleichtert. Integration von schlankem Management, Separierung in selbständigen Geschäftsbereichen und Jobenrichment Entstanden ist dieser Ansatz als Reaktion auf zunehmende Erhöhung der Pro- duktivität und der daraus resultierenden Freikapazität qualifizierter, operativer Mitarbeiter. Diese Kapazitäten wurden sinnvoll für weitere Verbesserungen und somit in die Zukunftsabsicherung investiert. Hierarchieebenen wurden aufge- löst und Tätigkeiten indirekter Bereiche auf operative Produktionsmitarbeiter übertragen. Bei Toyota wurden klassische Kaizen-Instandhaltungsarbeiten und Qualitäts- arbeiten weitgehend von den Werkern übernommen. Werker, Konstrukteure und Entwickler arbeiteten in Projektteams eng zusammen. Das betraf auch die gleichberechtigte Entwicklung von Neuprodukten. In den Teams wurde die pro- duktionsgerechte und vor allem herstellkostenoptimierte Konstruktion und Ent- wicklung vorbildlich erreicht. Sehr unkonventionell ist das Beispiel von KOA [Koji 95], wo in Workshops, also von den produktiven Mitarbeitern, die Disposition, der Einkauf und die Verwaltung selbständig verantwortlich ausgeführt wurden. So konnte „erheblich indirektes Personal der Fabrik und der Hauptfirma eingespart werden“. Bei Nissan werden zu den Einkaufsteams auch Kaizen-Spezialisten aus der Produktion integriert. In all diesen Fällen wird nach der Restrukturierung pra- xisgerechter und effizienter gearbeitet. Ein typisches Merkmal vieler gängiger Restrukturierungen ist das Beibehalten der strategisch oder hierarchisch steuernden Funktionen auf Führungsebene. Bei der Integration des Einkaufs, des Controllings, der Buchhaltung oder von anderen betriebswirtschaftlichen Fachbereichen in die Produktionshoheit, wird die klassi- sche Gewaltenteilung und Kontrollhoheit der wirtschaftlichen Leitung eines Un- ternehmens durchbrochen. Solche gravierenden Umstrukturierungen sind ris- kant. Wie man an dem Beispiel des japanischen Großkonzerns erkennen kann, ist dies aber im entsprechenden Umfeld äußerst erfolgreich umsetzbar. Die vielfälti- gen Vorteile von Zentralfunktionen sind durch die Vorteile einer kleinen, über- schaubaren Firmenstruktur, mehr als nur kompensiert worden. Die hierarchi- schen Strukturen zu verändern, ist in Europa keine gängige Strategie in Konzernen. Bei den Spitzenunternehmen der Automobilindustrie oder Elektronikindustrie in Japan wird ein großer Wert auf online verfügbare Kennzahlen bezüglich der um- fassenden Produktivität und dem realen Umsatz pro Stunde und pro Einheit gelegt. Diese erlauben eine sehr schnelle Reaktion, falls eine Änderung nicht den ge- wünschten Erfolg erbringt. Vermutlich kommt daher die bemerkenswerte Expe- 92 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme rimentierfreudigkeit, da bei einem Test jederzeit online die aktuelle Veränderung beobachtet wird und gegebenenfalls wieder gegengelenkt werden kann. In Europa werden hingegen wesentlich häufiger leicht zu erstellende Simulationsmodelle verwandt, um alternative Modelle von Abläufen auszutesten. 1.17 Kaizen in den indirekten Bereichen Sabine Leikep Jahrelang wurde in den Produktionsbereichen mit Kaizen-Methoden die Effi- zienz gesteigert. Produktionsabläufe wurden optimiert, überflüssige Bestände abgebaut und die Wertschöpfung erhöht. Kundenreklamationen beziehen sich heute überwiegend auf Fehler in der Organisation und im Handling. Nicht einge- haltene Liefertermine, falsch gelieferte Teile oder mangelhafte Beratung verär- gern die Kunden. Solche Fehler erfordern kostenaufwändige Nacharbeiten, die den Verbesserungen in der Produktion entgegenwirken. Deshalb ist es unerläss- lich, die Prinzipien von Lean Production und kontinuierlicher Verbesserung auch in Büro und Service anzuwenden. Nur so kann die Wettbewerbsfähigkeit gesichert werden. Lange Durchlauf- und Wartezeiten werden von den Kunden nicht mehr akzeptiert. Der Anspruch an die Mitarbeiter ist, dass sie eigenverant- wortlich arbeiten, das Wichtige vom Unwichtigen trennen und sich von Über- flüssigem befreien. Ballast abwerfen, die Ablage übersichtlich gestalten und einheitliche Standards schaffen, das sind die ersten Schritte zur Effizienz in Verwaltung und Service. Diese Basics sind sehr wichtig, um eine gute Ausgangsbasis für den Verbesserungspro- zess zu schaffen. Doch das wahre Potential zur Erhöhung der Wertschöpfung und der Vermeidung von Verschwendung liegt in der Optimierung der Abläufe. Abb. 1.16.1 Ebenen der Dezentralisierung und des schlanken Managements 1.17 Kaizen in den indirekten Bereichen 93 1.17.1 Weniger Fläche, schnellerer Durchlauf und Effizienzsteigerung sind gefragt Je mehr Papier sich auf einem Schreibtisch ansammelt desto höher sind die Durchlaufzeiten. Große Ansammlungen von Ordnern, Aktenbergen und allerlei Krimskrams in den Schreibtischen, Schränken und Regalen erhöhen die Suchzei- ten. Oft werden Kuriositäten angesammelt wie Werbegeschenke, alte Kaffeema- schinen, defekte Bürogeräte, alte Akten, Kugelschreiber in rauen Mengen etc. Als Folge wird viel Bürofläche benötigt. Die Bestände an Büromaterial sind nicht übersichtlich geordnet – zu große Lagerbestände oder plötzliche Materialknapp- heit sind an der Tagesordnung. Der Verwaltungsbereich wächst und wächst. Im Extremfall entstehen sogar neue, überdimensionierte Bürogebäude. 1.17.2 Strukturierte Vorgehensweise Die sechs Level des effizienten Service-Management mit Kaizen ermöglichen eine strukturierte Vorgehensweise für den Prozess der kontinuierlichen Verbes- serung: • Das Erschaffen einer guten Ausgangssituation durch Selbstorganisation ist Ziel des ersten Levels. • Im Level zwei wird die Verbesserung der Zusammenarbeit durch Standardi- sierung angestrebt. • Level drei bringt Einsparungen durch Verbesserung der Arbeitsprozesse. • Ziel im Level vier ist das Erhalten des guten Zustandes durch weitere Opti- mierungen im Team. • Volle Verantwortung und flexibles Arbeiten im Team heißt das Motto für Fortgeschrittene im fünften Level. • Das höchste Ziel ist die Prozessbeherrschung, welche im Level sechs als „Best in Class“ definiert wird. Die Reihenfolge der Level muss nicht zwingend eingehalten werden. Es ist durchaus ein Einstieg im Level 2 oder 3 möglich. Oft macht es aber wirklich Sinn, zur Einführung von Kaizen mit einer ,5A-Aktion‘ zu beginnen. Die fünf A stehen für: • Aussortieren unnötiger Dinge • Aufräumen • Arbeitsplatz sauber halten • Anordnungen zur Regel machen • Alle Punkte ständig einhalten und verbessern. 94 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Der erste Schritt ist eine Sensibilisierung der Mitarbeiter. Sie müssen lernen, Verschwendung (japanisch Muda:) zu erkennen und zu eliminieren. Workshops zum Thema 5A bringen oft erstaunliche Ergebnisse. Zum Beispiel wurden in einer Abteilung mit 20 Mitarbeitern bei einer Aufräumaktion an nur einem Tag zwei Tonnen Papier entsorgt. 600 Ordner und Büromöbel im Wert von ca. 13.000 Euro wurden freigesetzt und stehen wieder für andere Abteilungen zur Verfü- gung. Etwa 15 % der bisherigen Bürofläche kann nun anderweitig genutzt wer- den. Erstaunen und Betroffenheit sind die ersten Reaktionen, wenn ein Berater oder Prozessbegleiter im Rahmen eines 5A-Workshops an die Schreibtische geht, Schubladen öffnet und Riesenmengen an Kugelschreibern, brachliegendem Bü- romaterial und andere Dinge zutage fördert. Nach dem ersten Schock setzt dann zumeist eifrige Betriebsamkeit ein. Überflüssiges wird entweder dem internen Recycling zugeführt oder in bereit stehenden Müllcontainern entsorgt. Ordner verschwinden meterweise aus den Regalen und plötzlich ist ein ganzer Akten- schrank überflüssig. „Raus damit“, heißt die Devise. Das klingt zunächst banal und hört sich an, als sei das ein Kinderspiel. Dennoch empfiehlt es sich, für den Anfang einen externen Berater zu engagieren, der die Aktion koordiniert und die Mitarbeiter motiviert. Denn wenn man sich vor Augen führt, dass eines Tages der Abteilungsleiter seine Mitarbeiter versammelt und zur großen Aussortier- und Aufräumaktion aufruft, wird schnell klar, dass dies in der Praxis meistens nicht funktioniert. Erstens zählt der Prophet nichts im eigenen Lande und zwei- tens lässt das Tagesgeschäft oft keinen Raum für umfangreiche Aktionen. Ein speziell dafür angesetzter Workshop, zur Not auch mal am Wochenende, schafft den nötigen Freiraum. Wichtig sind dabei die Information und die Motivation der Mitarbeiter. Deshalb erfolgt zunächst eine Schulung und die Mitarbeiter werden für die Problematik sensibilisiert. Dann geht es direkt an Gemba. Jetzt heißt es „Ärmel hochkrempeln und körperlich arbeiten“. Alle machen mit, auch der oberste Chef. In Ameisenmanier werden überflüssige Dinge aus den Büros geschafft. Im zweiten Schritt wird neu geordnet. Oft entstehen ganz neue Büro- landschaften. So ein Workshop hat eine „Kick-off-Funktion“ und wird in großen Unternehmen genutzt, um den Kaizen-Prozess nach dem 6-Level-Model ins Rollen zu bringen (s. Abb. 1.17.1). Unternehmenseigene, in den Kaizen-Metho- den trainierte Mitarbeiter fungieren als Multiplikatoren. Sie übertragen den Kai- zen-Gedanken auf andere Abteilungen und bringen die Verbesserungsprozesse ins Rollen. Die Zahlen für Einsparungen an Material und Fläche sind beeindru- ckend. Doch wenn die Basis durch die Aufräumaktion geschaffen wurde, er- schließt sich erst das eigentliche Einsparungspotential. Prozesse werden opti- miert, Durchlaufzeiten verkürzt, unnötige Wege und lange Zugriffszeiten vermindert. Ein Kanban-System verbessert die Verfügbarkeit von Büro- und Verbrauchsmaterialien. Wertstromdesign und Prozessmapping sind im dritten Level des effizienten Service-Managements angesagt. Wichtig ist, dass der Kai- zen-Prozess ständig fortgeführt wird. Dabei helfen Standards und die regelmäßi- ge Überprüfung, ob diese auch eingehalten werden. 1.17 K aizen in den indirekten B ereichen 95 A bb. 1.17.1 D ie sechs Level des effizienten Service-M anagem ents m it K aizen (Q uelle K A IZEN T eaching A G ) 96 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme 1.17.3 Visualisierung steigert den Erfolg Visuelles Management ist sehr wichtig, um den Verbesserungsprozess zu unter- stützen. Markierungen zeigen, wo die Dinge ihren Platz haben. So wird das Auf- räumen erleichtert und Suchzeiten werden vermieden. Vorher-Nachher-Fotos und Grafiken dokumentieren die Fortschritte und sind ein wichtiger Motiva- tionsfaktor. Gleichzeitig können grafische Darstellungen der Ziele und ihrer Entwicklung eine Signalwirkung haben. Wenn sich zum Beispiel die Zahl der Kundenreklamationen erhöht, dann sollte sofort der Ursache auf den Grund gegangen werden. Sinnvoll ist die Einrichtung von Teamtafeln, die der Informa- tion von Mitarbeitern und Führungskräften dienen. Eine Qualifikationsmatrix zeigt, welche(r) Mitarbeiter(in) welche Qualifikationen hat, zum Beispiel EDV- Kenntnisse. So sieht man sofort, wer hat Basiswissen, gutes Anwenderwissen oder Expertenwissen. So werden die Menschen entsprechend ihrer Qualifikation eingesetzt oder für Weiterbildungsmaßnahmen vorgesehen. Gefragt sind flexible Mitarbeiter, die gut organisiert arbeiten und den Blick für das Wesentliche be- wahren. Wenn die Abläufe gut organisiert sind, dann können Überlegungen hinsichtlich eines neuen Raumkonzepts gemacht werden. Da in großen Organi- sationen nie alle Mitarbeiter gleichzeitig im Hause sind, liegt ständig eine gewisse Anzahl von Schreibtischen brach. Das Bürokonzept der Zukunft sieht personen- unabhängige Arbeitsplätze vor. Eine gute Mischung aus Einzelbüros, Gruppen- arbeitsplätzen und Besprechungsecken wird je nach Bedarf von den Mitarbeitern genutzt. Individuelle Bürocontainer enthalten die für die Arbeit notwendigen Unterlagen. Das Büromaterial wird auf ein Minimum reduziert und in einem Shadowboard übersichtlich aufbewahrt. Nach Arbeitsende parken die Mitarbei- ter ihren Bürocontainer an zentraler Stelle. Am nächsten Tag suchen sie sich einen passenden Arbeitsplatz aus und haben im Rollcontainer alles dabei, was sie benötigen. Durch diese Arbeitsweise werden Hierarchien aufgelöst und die Kommunikation und somit der Informationsfluss gefördert. 1.18 Probleme sind Schätze – Management-Ethik als Folge der Lean Production Philipp Dickmann Materialfluss- oder Produktionssysteme werden maßgeblich in ihrem Leistungs- grad durch Entscheidungen begrenzt, die auf den jeweiligen Managementphiloso- phien basieren. Durch umfassende Lean Production-Methoden ist ein enormer Effizienzgewinn möglich. Wenn lediglich isolierte Elemente umgesetzt werden, etwa Kanban, oder wesentliche Anforderungen des Toyota Produktionssystems (TPS) z. B. an die Ethik nicht implementiert werden, wird nur ein Bruchteil des Fortschritts erreicht. Auch durch perfektionierte Steuerungsalgorithmen, Ar- beitsmethoden oder vollautomatisierte IT können Begrenzungen, die durch stra- 1.18 Probleme sind Schätze – Management-Ethik als Folge der Lean Production 97 tegische Rahmenbedingungen definiert sind, nicht kompensiert werden. Das TPS gibt hierzu sehr einfache Regeln vor, die jedoch Änderungen der gelebten Manage- mentphilosophie notwendig machen. Die Inhalte der Managementhandbücher deutscher Unternehmen unterscheiden sich zu diesen Vorgaben des TPS kaum. Die Philosophien der Shareholder Value führen jedoch im Bezug auf die Grund- thesen des TPS zu Konflikten. TPS fordert einen kooperativen Managementstil, um einen starken Bottom-up-Prozess zu erzeugen, der die Potentiale der Beleg- schaft zur Effizienzerhöhung nutzbar macht. T. C. Ohno verwendet den Vergleich: „Das beste Team gewinnt!“ [Ohno 78]. Teamgeist, Vorbildfunktion und das Ein- halten von Regeln rückt in den Vordergrund. Womack und Jones [Woma 05] gehen in der Anforderung soweit, dass der CEO persönlich die Maßnahmen zur Verbesserung anführen muss. „An diesem Punkt scheitern die meisten amerika- nischen Unternehmen gleich am Anfang … Die CEO wollen die Verbesserung delegieren, teils weil sie Angst davor haben in die … Abteilungen … zu gehen und bei der Verbesserung Hand an zu legen … Sie machen weiter mit ihrer alten Art des Managements – den Zahlen“. Welche konkreten Mittel stehen zur Verfügung, um ein an der Nachhaltigkeit orientiertes Unternehmen mit einer weltweit kon- kurrenzfähigen Effizienz auch in den indirekten Bereichen zu erreichen? 1.18.1 Ethik und Managementziele des Toyota Produktionssystems (TPS) In TPS und moderner Lean Production [Suza 89; Ohno 78] werden Zielsetzun- gen an Ethik und Unternehmenskultur detailliert beschrieben. Es lassen sich bei einigen der bereits erwähnten Elemente konkrete Forderungen oder Vorgaben bezogen auf Ethik oder Managementziele ableiten: • „Probleme sind Schätze“: Kritikfähigkeit und ein positiver Umgang mit Hin- weisen, die auf Probleme aufmerksam machen, führen zu einem starken Bot- tom-up-Prozess der Verbesserung. • Bandstopp: Dies beschreibt das Recht und die Pflicht des Werkers, in Prob- lemfällen die „Reißleine“ zu ziehen, bevor es zum Eklat kommt. Der Band- stopp ist dabei nicht als „Schande“ zu verstehen, sondern als herausragende „Verantwortung“ für das Team und das Management. • 5W-Methode: Diese grundlegende Methode der Problembehandlung fordert, in allen Bereichen eines Unternehmens fundiert Ursachen zu ermitteln, statt Symptome zu beheben. • Prozessorientierung: Optimale Prozesse haben minimale Kosten zur Folge. Im Vergleich zur Zielorientierung wird viel Aufwand durch Prävention er- spart, weniger Bürokratie ist notwendig und es werden nicht oder schwer messbare „Softfacts“ mitoptimiert. • Gemba-Orientierung: Die Problemstellung der operativen Wertschöpfungs- prozesse hat oberste Priorität. Gemba-Orientierung fordert schlanke Struktu- 98 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme ren mit großer sozialer und räumlicher Nähe zum internen oder externen Kunden. • Kaizen: Kaizen ist die Methode der ständigen Verbesserung im TPS. Wesent- liche Elemente bezogen auf die Ethik und Management sind das Arbeiten mit Standards, die Forderung nach Kontinuität und Selbstdisziplin sowie das Prinzip der einfachen Umsetzung, statt aufwendiger bürokratischer und the- oretischer Methoden. • Teamorientierung: Konstruktiver Mannschaftsgeist ist gefordert, anstelle von „Ellenbogen“-Philosophien, hierarchischen und bürokratischen „Machtspielen“. • Autonomation: Eine menschliche Arbeitswelt für die Mitarbeiter schaffen; dies beinhaltet die goldene Regel der Ethik oder Fairness: „Fordere von nie- manden etwas, was Du nicht selbst bereit bist zu tun.“ • Poka Yoke: Gute Qualität zu produzieren ist ein Selbstanspruch, nicht nur bei operativen Prozessen. Zudem sollten Prozesse optimiert werden, anstelle nachträglicher Qualität durch Selektion oder Prüfung zu erreichen. • Gelenkte Selbstbestimmung: „Wenn eine Führungsperson/ein Manager Zu- kunftspläne entwickelt und Mitarbeiter so führt, dass sie sich für iIhre Arbeit verantwortlich fühlen und darauf stolz sind, wird er damit dem Unternehmen so viel Leistungsfähigkeit verschaffen, wie es kein traditioneller Management- stil je erreichen kann.“ [Suza 89] • Kanban-Dezentralisierung: Ein wesentliches Merkmal von Kanban ist die Dezentralisierung der Produktionssteuerung auf den operativen Werker. Macht und Verantwortung wandert an den Werker. „Der Spieler muss vor Ort entscheiden können, das kann nicht der Trainer auf der Bank.“ Die Management- und Führungsansätze, die das Toyota Produktionssystem fordert, klingen teils trivial, die reale Umsetzung ist aber höchst anspruchsvoll. Sie ähneln den grundlegenden Prinzipien und dem Selbstverständnis, wie es im Handwerk in Europa etabliert ist. Hierin liegt ein deutlicher Konflikt zu den in der Realität weit verbreiteten bürokratischen Systemen. Die Lean-Elemente können nicht in Einklang gebracht werden mit machtbasierten hierarchischen Führungsmethoden. Vorgesetzte sind in dieser Situation gezwungen, mehr fach- lich kompetente Führungs- bzw. Managementmethoden einzusetzen. 1.18.2 Der Managementkreis – verbesserte Kommunikation und Führung Das Toyota Produktionssystem kommt zu ähnlichen Vorgaben wie wissen- schaftliche Publikationen der Personalführung und Ergonomie in Bezug auf reales Management. Das wissenschaftlich etablierte und fundierte Tool zur Füh- rung ist der Managementkreis oder Deming-Kreis [Demi 47]: „Ziele setzen – Planung – Entscheidung – Durchführung – Kontrolle“. Die Methode wurde sehr umfassend ergonomisch untersucht und wissenschaftlich belegt. Um fundiert zu arbeiten, müssen die grundlegenden Ansätze jedoch detailliert untergliedert 1.18 Probleme sind Schätze – Management-Ethik als Folge der Lean Production 99 werden: Z. B. müssen Ziele präzise, zeitbezogen, zielbezogen sowie möglichst quantifizierbar sein. Sie müssen eine Ober- und Untergrenze besitzen, mit ande- ren Zielen in der Organisation integriert und abgestimmt werden, die Erfüllung muss realistisch beurteilbar sowie erstrebenswert sein. Diese Vorgehensweise des Managementkreises ist im täglichen Leben geläufig und allgegenwärtig. Es werden aber permanent pragmatische Vereinfachungen vorgenommen, wobei das Risiko durch Vereinfachung in Kauf genommen wird. Es bleibt jedoch fest- zuhalten, dass Abweichung von dieser formalen Vorgehensweise einen Großteil der Fehler und unproduktiven Konflikte in Unternehmen verursachen. Konse- quentes Führen umfasst konsequentes Abarbeiten des Managementkreises mit einem wirkungsvollen Führungsstil. 1.18.3 Probleme sind Schätze – Kooperativer Führungsstil Es lässt sich zwischen einem imperativen (autoritären) und einem kooperativen Führungsstil unterscheiden. Der imperative Führungsstil verwendet einen mit Autorität anordnenden und manipulativ überredenden Umgang. Der koopera- tive Stil überzeugt primär kooperativ und lässt partizipativ mitentscheiden. Am Beispiel der operativen Qualitätsoptimierung oder im Rahmen von Kaizen- Projekten wird schnell deutlich, dass die repressive Form der Zusammenarbeit mit einem gehorchenden, fremdbestimmten Mitarbeiter wenig effizient ist. We- sentlich ergebnisorientierter ist die emanzipative Form der Zusammenarbeit. Der Mitarbeiter stimmt innengesteuert zu bzw. oder bestimmt selbst mit. Das koope- rative Führungsprinzip wurde durch das Harzberger Modell bekannt: Typische Merkmale sind dabei der eindeutig begrenzte Aufgabenbereich, in den die Füh- rung nicht eingreifen darf. Aufgaben, Kompetenz und Verantwortung müssen übereinstimmen. Der Mitarbeiter trägt Handlungsverantwortung, der Manager die Führungsverantwortung. Die theoretischen Grundregeln des Harzberger Modells wurden durch praxis- nahe, einfache Leitsätze erweitert. Für die Aufgaben wird nur eine Richtlinie übergeben, die aber Alternativen zulässt. Neben der Handlungsverantwortung, wird auch die Führungs- und die Entscheidungsverantwortung übertragen. Das Management kontrolliert das Ergebnis und nicht die einzelnen Tätigkeiten. Für die verbesserte Abstimmung bei überschneidenden Aufgaben muss der Leiter koordinieren und auch die Detailarbeiten kontrollieren. Ein wesentlicher Nach- teil des kooperativen Führungsstils ist die Tatsache, dass der Vorgesetzte wesent- lich mehr Zeit für Information und aufgrund des Mitspracherechts der Mitarbei- ter bessere Kritikfähigkeit benötigt. Andererseits entlastet sich der Vorgesetzte in vielen Punkten durch die Arbeitsweise der Mitarbeiter, wie etwa durch Selbst- kontrolle, Selbständigkeit, eigenes Mitdenken. Zudem wird sowohl der Vorge- setzte, als auch das Unternehmen durch das Interesse der Mitarbeiter an Verbes- serungen der Arbeit belohnt. 100 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme 1.18.4 Ethik als evolutionäres Erfolgskonzept Unter soziologischer oder entwicklungsbiologischer Sicht entsprechend der Energontheorie von H. Hass [Hass 70] lässt sich Ethik als evolutionäre Erfolgs- strategie interpretieren. Energone, also die eigentlichen Lebewesen, aber auch Lebensformen entsprechende Gebilde, wie etwa Staaten, Firmen oder allgemein Gruppenstrukturen, verhalten sich nicht grundsätzlich ethisch, sondern wägen ab und entscheiden sich für die Strategie, die im jeweiligen Fall subjektiv er- folgversprechender erscheint. Ethisches oder kooperatives Verhalten, wie z. B. Fairness oder das Eingestehen von Fehlern, erbringt nachweislich den größeren Vorteil. Er resultiert aber erst mittelfristig und nicht unmittelbar für den Ein- zelnen, sondern primär die Gesamtgruppe. Nach der Spieltheorie [Neum 44] gilt: Wenn die Mehrzahl einer Gruppe bezüglich der „Spielregel“ kooperiert, profitieren alle gleichermaßen davon. Betriebswirtschaftlich sagt die Spieltheo- rie aus, dass die maximale Leistung nur erzielt werden kann, wenn sich alle kooperativ und an die Spielregeln halten. Konflikte, egoistisches Verhalten und Konkurrenz reduzieren das Ergebnis. Verschiedene Effekte, wie zielorientiertes und dadurch unkooperatives Verhalten (Kooperationsprobleme), behindern die Erreichung des Gesamtoptimums [Axel 86]. Um bei dem Beispiel von T. C. Ohno zu bleiben: Wenn eine Sportmannschaft mit internen Kämpfen beschäf- tigt ist, kann sie nicht erfolgreich sein. Entscheidend für die Entwicklung und damit den Erfolg, sind zudem die vorgegebenen Kriterien, nach denen sich Varianten bevorzugt entwickeln können. Die oberste Priorität jedes Manage- ments sollte folglich sein, mittels eines kooperativen Führungsstils möglichst ethisches Verhalten in einem Unternehmen zu erzeugen. Durch diese Zielerrei- chung wird die maximale Leistung des Unternehmens möglich. Aus diesem Grund sind derartige Leitsätze meist auch in Managementhandbüchern klar definiert. Nach der Energontheorie lassen sich nicht nur Unternehmen, sondern auch ihr gesamtes Netz an Zulieferern als ein Energon verstehen. Um den Maxi- malerfolg bei einer Lieferantenbeziehung zu erzielen, gelten soziologisch diesel- ben Grundregeln der Spieltheorie. 1.18.5 Maßnahmen zum nachhaltigen Managementerfolg Die Zielvorgaben des Managements bestimmen die Entwicklung jedes Unter- nehmens. Maßnahmen zum nachhaltigen Unternehmenserfolg müssen folglich mit ziel- und prozessorientierten Vorgaben des Managements beginnen. Sozio- logisch betrachtet gilt es, die Vorgaben des Managements so zu setzen, dass unsere betriebswirtschaftlichen Energone positive Entwicklungen mittel- bis langfristig bevorzugen. Um ein ganzheitlich schlankes Unternehmen, eine Lean Enterprise, erfolgreich umzusetzen, sind folgende Zielvorgaben für das Manage- ment notwendig: 1.18 Probleme sind Schätze – Management-Ethik als Folge der Lean Production 101 • Persönliches Anführen der „Lean-Bewegung“: Der Umsetzungserfolg von Lean-Methoden ist maßgeblich von dem persönlichen durchgängigen Voran- treiben der Prozesse durch die Unternehmensführung bestimmt [Woma 05]. Für die Entwicklung hin zu einer Lean Enterprise sind einschneidende und strukturelle Änderungen notwendig, die mehr als der bloßen Entscheidung der obersten Führungsebene bedürfen. Aber auch einzelne Elemente der Lean-Kampagne, wie etwa der offene und offensive Umgang mit Verbesse- rungsvorschlägen, benötigen Moderation und sollten top-down intensiv be- gleitet werden. Das persönliche Vorantreiben ist ein entscheidender Erfolgs- faktor, um eine umfassende, tief greifende und nachhaltige Veränderung zu bewirken. • Managementverträge stoßen nachhaltige Entwicklungen im ganzen Unter- nehmen an: Zielvorgaben und Entlohnung, die eine ausgeglichene Mischung aus kurz-, mittel- und langfristigen Komponenten enthalten, verhindern er- folgreich die Nachteile einseitig kurzfristiger Kostenorientierung. Beständig positive Entscheidungen werden langfristig belohnt, kurzfristige Vorteile, die langfristig Nachteile erbringen, werden somit unattraktiv. Sinnvoll sind hierfür Entlohnungskonzepte, die Zielvorgaben bezüglich ausgewogener Zeithorizon- te bewerten. Führungskräfte erhalten zu Beginn ihrer Tätigkeit weniger Tan- tiemen, mittel- bis langfristig steigen die Zuschläge, aufgrund verlässlicher, er- folgreicher Leistungen in den entsprechenden Zeithorizonten. Die Entlohnung deckt sich nun besser mit der über Jahre ansteigenden ergonomischen Effi- zienzkurve des Mitarbeiters und bildet somit die tatsächliche Leistung real im Gehalt ab. Das Konzept ermöglicht eine durchgängige Nachhaltigkeitsökono- mie und verhindert häufige Stellenwechsel. • Interdisziplinäre Qualifikation: Es ist im Interesse des Unternehmens, dass das Management für neue Aufgaben eine umfassende, interdisziplinäre und fundierte Vorbereitung erhält. Ausschließlich durch derartige Kompetenz ei- nes Vorgesetzten ist ein kooperativer Führungsstil möglich. • Interhierarchische Ausbildung: Bei japanischen Unternehmen durchlaufen Manager über einige Jahre ein Traineeprogramm, in dem sie diverse, auch ope- rative Aufgaben durchlaufen. Es ist üblich auch direkt in der Produktion mit- zuarbeiten. Auf diese Weise wird ein fundiertes Verständnis für die Problem- stellung der Wertschöpfung erzielt. Führungskräfte erreichen durch diese Maßnahmen ein besseres „Standing“ und deutlich höhere Akzeptanz auf ver- schiedenen hierarchischen Ebenen. • Gelebte Vorbildfunktion und ethisches Selbstverständnis erzeugen Engage- ment auch in schwierigen Phasen: Vorgesetzte müssen sich der höheren An- forderung an ihre Vorbildfunktion und Ethik bewusst sein. Ethisches Verhalten umschließt auch und im Besonderen die sich selbst zugestandenen Rechte. Der große Nutzen von authentischem und nachahmenswertem Verhalten, ergänzt durch kooperativen Führungsstil, wird vor allem in kritischen Situationen sichtbar. Mit Vertrauen wird es möglich, mit einer engagierten Belegschaft schwierige Situationen zu meistern, auch wenn es alle „schmerzt“. 102 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme • Kooperation erleichtert Veränderung: „Wachstumsschmerzen sind nötig“ [Suza 89]. Entwicklung und Fortschritt fordern immer Konfliktsituationen, weshalb in vielen Fällen eine durchgängige positive Veränderung erst bei Lei- densdruck zustande kommt. Veränderungen beinhalten auch Risken und brauchen daher „Zeit zum Reifen“. Kooperativer Führungsstil ermöglicht im Besonderen, die Diskussion von anstehenden Veränderungen. Diese offene Kommunikation erlaubt enorme substanzielle Verbesserungssprünge und ist daher ein Meilenstein zur Lean Enterprise. 1.19 Veränderungen im Unternehmen Lean sichert die langfristige interdisziplinäre Unternehmensentwicklung Philipp Dickmann Durch die wachsende Globalisierung nimmt der Wettbewerbsdruck branchen- unabhängig zu. Die Fähigkeit, dem Kunden passende oder maßgeschneiderte Produkte zu liefern, ist entscheidend. Dabei sind es nicht die technischen Unter- schiede, sondern die Faktoren Schnelligkeit und Flexibilität des Lieferanten sowie die Fähigkeit, die Variantenvielfalt abzubilden, die die Kaufentscheidung bestimmen. Der Grundsatz der Evolution, von Charles Robert Darwin [Darw 59], gilt gleichermaßen für die Wirtschaftswissenschaften: Wer sich am besten anpassen kann, gewinnt im Wettbewerb. Der Materialfluss eines Unternehmens ist das Element, auf das sich Verände- rungen aller Art auswirken. Einzelentscheidungen, Entscheidungsrunden, kon- tinuierliche Verbesserung, technisches Änderungsmanagement, Veränderungs- projekte (Change Management), dynamische Veränderungen die sich durch ein umfassendes Lean-Production-Konzept ergeben und strategische Unterneh- mensplanungen – alle diese vielfältigen Prozesse nehmen entscheidenden Ein- fluss auf die Unternehmensentwicklung. Die Ergebnisse dieser gleichzeitig und dynamisch wirkenden Änderungsprozesse haben einen starken Einfluss auf den Materialfluss und alle damit konfrontierten Fachbereiche. Innovationen oder strategische Projekte werden dadurch, oft unbemerkt, beschnitten oder erst wirklich zum Erfolg. Die schnelle Folge der Veränderungen wird nur unzurei- chend – als Momentaufnahme – in betriebswirtschaftlichen Unternehmenspla- nungen oder strategischen Projekten abgebildet. Das Vorgehen für technische Änderungen oder kontinuierliche Verbesse- rungskonzepte (z. B. Kaizen) ist ähnlich. Technisches Änderungsmanagement leitet sich jedoch aus konstruktiven Abläufen und Qualitätsmanagement ab und ist mathematisch basiert. Kaizen entstand aus dem praktischen Optimieren (durch Ausprobieren) von Produktionsprozessen und ist eine einfache, praxis- nahe Methode, mit geringer Datenerhebung und Dokumentation. Die Umsetzung großer Veränderungsprojekte – wie das Streben nach einem schlanken Unternehmen – erfordert grundlegende, umfassende Restrukturie- 1.19 Veränderungen im Unternehmen 103 rungen. In das Veränderungsmanagement (Change Management) sollte die gesamte Belegschaft eingebunden werden. Viele gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen auftretende Veränderungen sind eine Herausforderung, deren Dimen- sion erst bei einer retrospektiven Betrachtung erkannt wird. Der Begriff Lean Production wurde von Womack, Jones und Roos 1990 [Wome 90] kreiert, um den großen Wettbewerbsvorteil zu beschreiben, der sich durch die sichere, effiziente und schnelle Umsetzung dieser dynamischen Auf- gabenstellung in der japanischen Automobilindustrie entwickelt hatte. Durch eine langfristig angelegte Lean-Production-Kampagne – mit allen Lean-Elemen- ten – kann eine gerichtete, interdisziplinär abgestimmte und maximal schnelle Anpassung an Veränderungen der Kunden- und Marktanforderungen in allen Produktionsstufen und Abteilungen erreicht werden. 1.19.1 Technisches Änderungsmanagement Änderungsmanagement umfasst die Abläufe und Funktionen, die zum Ziel ha- ben, Veränderungen an Produkten oder Prozessen systematisch, kontrolliert und dokumentiert zu planen und umzusetzen. Wesentlich ist dabei die systema- tische Methode, mit der eine Verbesserung nach dem Deming-Kreis (vgl. Kap. 1.14.3 Prozessoptimierungsstrategien) erzeugt wird. Eine klare Dokumentation des Vorgehens dient als fundierte Grundlage für weitere Verbesserungen. Basie- rend auf einer Änderungsanforderung erfolgt (nach betriebswirtschaftlichen Kriterien) durch Abgleich zu anderen Änderungsvorgängen oder zu laufenden Entwicklungsprojekten eine Überprüfung der Notwendigkeit bzw. des Nutzens. Die Prüfung durchläuft alle relevanten Fachbereiche und endet in der Freigabe. Die Umsetzung erfolgt zum Zieltermin. Wichtige Fragen, die dabei geklärt wer- den müssen, sind: • Kann die Änderung durch Verwendung eines Standards erreicht werden? • Ist die Änderung technisch ausgereift und führt sie zu einem sicheren Fort- schritt? • Bei kurzfristigen Maßnahmen ist abzuklären, ob eine endgültige Lösung mög- lich ist. • Ist der Aufwand im Vergleich zum Nutzen wirtschaftlich tragbar? Das Änderungsmanagement umfasst den ganzen Produktlebenszyklus, vom Erfinden des Produkts (der Invention), dem Anlaufmanagement vor dem Pro- duktionsstart (Start of Production = SOP), über viele Einzeländerungen bis hin zum Ersatzteilmanagement und letztlich dem Ende der Produktion (End of Production = EOP). Die Planung der Änderungen, um in der Degenerationspha- se betriebswirtschaftlich effizient zu bleiben, wird häufig vernachlässigt, was zu einem passivem Auslaufmanagement führt. Der Aufwand für eine Änderung und deren Dokumentation ist hauptsächlich von ihrer Bedeutung und Komple- xität abhängig. So ist für kleinere Änderungen meist eine vereinfachte Freigabe und Dokumentation üblich. Mögliche Ursachen für Änderungen sind: 104 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme • Lieferantenwechsel, • Änderung der Lieferantenspezifikation, • Kosteneinsparungen, • Qualitätsmängel, • technische Verbesserungen, • Interaktionen durch andere Änderungen oder Produktan- und -ausläufe, • Kundenwünsche oder -anforderungen, • Innovationen am Markt, • Produktionsanforderungen. Änderungen in der Praxis Änderungen werden durch einen speziellen Anlass initiiert. Ihre Umsetzung un- terliegt daher fast immer Termindruck. Daraus leiten sich drei typische Fehler ab: • Unausgereifte Änderungen, die schnell neue Änderungen nach sich ziehen. • Mangelnde Abstimmung von Änderungen, so dass Überschneidungen mit anderen Aktivitäten übersehen werden. • Unvollständige Dokumentation der Änderungen, wodurch bei späteren Re- cherchen die Basis oder die genaue Aktivität nicht mehr nachvollziehbar ist. Diese drei Fehler führen in der Praxis häufig zu Nachbesserungsschleifen. Ausgelöst durch internen oder externen Druck: • sinkt dadurch die Effizienz im Vorgehen, • steigt die Zeit, bis Probleme tatsächlich gelöst werden, • steigt die Personalkapazität, • ist das Arbeitsklima von Krisenmanagement gekennzeichnet, • leidet die Kundenzufriedenheit. Probleme beim technischen Änderungsmanagement oder eine sehr hohe Än- derungshäufigkeit können den Effekt von Kaizen oder Kanban leicht zunichte machen. Eine kritische aber offene Kontrolle der Änderung durch ein Team ist daher entscheidend. Die folgende Checkliste für die Problemlösung beim Ände- rungsmanagement ist an die Vorgehensweise von Kaizen angelehnt (vgl. 1.20.4 Konstruktionsfehler vermeiden mit GD-Cube und Design Review based on Fai- lure Mode) [Scho05]: • Was hat sich geändert? • Welche Funktionen sind durch Änderungen betroffen? • Was sind die potentiellen Probleme bezüglich der Änderung? • Welche Ursachen für die Probleme sind zu befürchten? • Von welchem System gehen die Ursachen aus? • Welche Auswirkungen hat das Problem auf das System oder den Kunden? • Welche Maßnahmen wurden ergriffen, um sicherzustellen, dass die mögli- chen Probleme nicht auftreten? 1.19 Veränderungen im Unternehmen 105 Wie viel Dynamik ist sinnvoll? Änderungshäufigkeit, Variantenvielfalt und die Qualität der Änderungen sind Größen, die sich maßgeblich auf den Materialfluss und damit auf die Kosten- strukturen eines Unternehmens auswirken. Simultaneous Engineering führt zu immer kürzeren Entwicklungszyklen (also Time-to-market) und damit zu einem Wettbewerbsvorteil und Einsparungen. Eine schlechte Qualität der Konstruk- tion bzw. der Umsetzung in der Produktion kann jedoch die Vorteile leicht überkompensieren. Vorschnell durchgeführte Änderungen oder Neuentwick- lungen mit mehreren Nachbesserungsschleifen, nehmen meist mehr Zeit in Anspruch, als eine umfassend durchgeführte Änderung nach dem Poka Yoke- Prinzip („Mach´s gleich richtig“; vgl. 1.9 Poka Yoke). In der Diskussion wird Änderungshäufigkeit oft fälschlich mit Variantenviel- falt und Flexibilität gleichgestellt. Oberflächlich betrachtet mag eine hohe Ände- rungshäufigkeit als die Fähigkeit eines Unternehmens, sich den Marktanforde- rungen anzupassen, positiv bewertet werden. In der Praxis ist es jedoch vielfach ein Indiz für unausgereifte Entwicklungsleistungen und eine wenig zukunftswei- sende und an den Kunden angepasste strategische Marktausrichtung. Die Orien- tierung an Zielgrößen wie Simultaneous Engineering oder Time-to-market ist ohne Zweifel notwendig. Sie darf jedoch keinesfalls zulasten der systematisch fundierten Arbeitsweise gehen. Das bedeutet, Schnelligkeit darf nicht auf Kosten der Qualität erreicht werden. In der Praxis ist dies jedoch häufig der Grund für das Hochschnellen der Änderungshäufigkeit. Änderungshäufigkeit bei Serienteilen Der Einfluss hoher Änderungshäufigkeit ist bei Serienteilen (Schnelldreher) weitaus folgenträchtiger als bei Langsamdrehern). Dies wird durch die fließen- den Bestände der kontinuierlichen Nachschubkette verursacht. Bei jeder Ände- rung müssen über zahlreiche Produktions- und Lieferantenstufen Materialien abgestimmt, aus- und anlaufen. Bei größeren Fertigungslosgrößen oder langen Transportstrecken können davon sehr große Materialmengen betroffen sein (bei Global-Sourcing unter Umständen mehr als eine Jahresmenge). Entsprechend sollte der Kennwert „Änderungshäufigkeit“ auf die Summe der Serienteile eines Produktes verwendet werden. Anzahl Änderungen im Jahr pro ProduktÄnderungshäufigkeit = Summe der Serienteile In der Praxis ist aber, z. B. durch unausgereifte Produkte, eine Häufigkeit von zwei bis fünf Änderungen pro Jahr keine Seltenheit. Allein durch die physische Trägheit eines Serienmaterials muss u. U. Material für eine Reichweite von meh- reren Wochen oder Monaten umgearbeitet oder verschrottet werden. Im Sinne von T. C. Ohne ist dies ein hohes Maß an Verschwendung. Hier bietet sich ein hohes Verbesserungspotential im Änderungsablauf und der Effizienz. 106 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Än de ru ng sa uf w an d = Än de ru ng sk os te n 10,66 Änderungshäufigkeit Abb. 1.19.1 Änderungshäufigkeit, Änderungsaufwand und Änderungskosten – die Daten wurden in einem Praxisbeispiel ermittelt und lassen sich auf andere Unternehmen über- tragen. Bei geringen Änderungsmengen und -häufigkeiten steigt der Aufwand linear an. Ab einer – unternehmensspezifischen – Grenze (hier ca. 0,66 Änderungen pro Jahr), nimmt der Aufwand exponentiell zu, da weitere Bereiche des Unternehmens durch den Änderungsaufwand behindert werden. Änderungskosten Eine deutliche Vereinfachung und Kostenersparnis kann durch Produktions- prozesse mit möglichst kurzen Durchlaufzeiten erreicht werden, wie typischer- weise mit Lean Production. Dies wird vor allem aufgrund der in der Regel sehr viel geringeren Durchlaufzeiten und kleineren Losgrößen erreicht. Eine einfa- che Faustregel besagt: Eine um 50 % kleinere Losgröße, deren mehrfache Ab- bildung in Aufträgen und der proportional kleinere Lagerbestand ergibt bei einer Änderung im Durchschnitt um mindestens 80 % weniger betroffene Mate- rialbestände. Mit den Änderungskosten wird vornehmlich der direkte operative Aufwand für die technische Erstellung einer Änderung betrachtet. Die veranschlagten Sätze, die pro Änderung kalkuliert werden, schwanken daher im Bereich mehre- rer hundert bis hin zu mehreren tausend Euro. Dabei werden jedoch in der Regel nur die Aufwendungen für Entwicklung und Konstruktion, bzw. die tat- sächlichen, zeitnah anfallenden Nacharbeits- oder Verschrottungskosten be- rücksichtigt. Die Kosten bzw. Aufwendungen werden fast immer unterschätzt. Ein großer Teil der Kosten tritt nicht unmittelbar und produktnah auf, sondern zeitversetzt oder in diversen Fachbereichen, wo sie in der Regel in Gemeinkos- tentöpfen „verschwinden“. Kosten, die den Lieferanten entstehen, können dem Kunden nur zu einem geringen Teil sofort berechnet werden. Vielmehr führen sie langfristig zu erhöhten Kaufteilpreisen. Beispiele für die Vielzahl der Folge- aufwendungen von Änderungen sind: 1.19 Veränderungen im Unternehmen 107 • Konstruktions- und Zeichenaufwand, • technisch mechanische Prüfungen, • zusätzliche Freigaberunden für Änderungen von Stücklisten, Materialstamm etc., • Aufwand zur Änderungsverfolgung, • Dokumentation der Ersatzteilhaltung intern und extern, • Änderungsprüfung und Umsetzung beim Lieferanten, • Angebotsanfrage durch den Einkauf, • Kostenermittlung durch den Lieferanten, • Angebotsprüfung durch den Einkauf, • Genehmigung der Kosten in einer Entscheidungsrunde, • Einschleusung der neuen Teile in den Montageprozess, • Auslauf des alten und Anlauf des neuen Materials, • Änderungen der Arbeitspläne oder Arbeitsunterlagen, • Schulung oder Unterweisung von Mitarbeitern, • Aufwand für Materialdisposition, • Anlegen der Lagerplätze entlang der Materialflusskette (IT und Physis), • Aussteuerung und gegebenenfalls Nacharbeit oder Verschrottung von Material, • Fehlerbereinigung in Fertigungsaufträgen durch die Planung, • Bereinigung von Inventurdifferenzen, • Aufwand für die Kontrolle der Serialisierung übergeordneter Baugruppen, • Bestandsbereinigung der alten und neuen Materialien, • Kosten für Überbestände und Zusatzkapazitäten zur Erzeugung von Sonder- mengen oder aufgrund Termindruck, • Werkzeugkosten, • Nacharbeit oder Verschrottung von Material beim Lieferanten, • Stornierungskosten, Nacharbeit und oder Verschrottung von Kaufteilen beim Lieferanten. Lean Änderungsmanagement – Änderungen mit Standards absichern Der Deming-Kreis beschreibt das prinzipielle Vorgehen bei Änderungen. Das Risiko besteht darin, dass die Verbesserung nicht fortwährend in der Dynamik der operativen Arbeit erhalten bleibt oder generell nicht nachhaltig ist. Für an- haltende Verbesserungen sind umfassendere substantielle Maßnahmen nötig. Dabei stellt sich die Frage, welche Änderungshäufigkeit sinnvoll ist. Generell sind die japanischen Automobilisten hier sehr restriktiv. Sie beschränken die Variantenvielfalt und die Fristen zum Einschleusen von Änderungen sehr kon- sequent. Dieses Vorgehen führt zu einem beruhigten Änderungsmanagement und wenigen Störungen im Produktionsprozess entlang der Supply Chain. An- dererseits werden die Losgrößen und die Durchlaufzeiten im Herstellprozess minimiert, daher wirken sich die Änderungen weniger kritisch aus. Standards zu verwenden. 108 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme • erhöht die Effizienz (Synergien werden genutzt), • spart Kapazitäten für unnötige Entwicklungen ein und • vermeidet Fehler durch den Einsatz bestehender, ausgetesteter Lösungen. Folgende Maßnahmen können auf diesem Weg weiter helfen: • 5S- im Änderungsmanagement, • Einhalten des Deming-Kreises, • umfassender Zwang zu Standards, • kontinuierliche Maßnahmen zur Reduzierung der Teilevielfalt, • fundierte Änderungsvorklärung, • interdisziplinäre Teams zur Abstimmung, • Änderungscontrolling, • GD3 (vgl. 1.20.4 Konstruktionsfehler vermeiden mit GD-Cube und Design Review based on Failures Mode). 1.19.2 Veränderungsmanagement – Change Management Während sich das Änderungsmanagement mit der Verfolgung von Änderungen an Produkten befasst, bezieht sich das Veränderungsmanagement auf die Um- setzung bereichsübergreifender und weit reichender Änderungen von Strate- gien, Strukturen, Systemen, Prozessen oder Verhaltensweisen. Der Ursprung des Change Management liegt in der Hawthorne Studie 1924−1932 [Roet 24], bei der die Kriterien zur Leistungssteigerung grundlegend untersucht wurden. Durch die Studie wurde bekannt, dass der Umgang mit den Mitarbeitern und die Informationspolitik den Leistungsgrad stärker beeinflus- sen als die Arbeitsbedingungen. Typische Ziele des Change Managements sind komplexe Problemstellungen und wesentliche Rahmenbedingungen wie: • Globalisierung, • Dynamik in Segmenten, • demographische Entwicklung, • technologische Entwicklung, • Wertewandel, • ökologische Herausforderung und • zukünftige Kunden und Marktanforderungen Diese Ziele werden durch einen systematischen Wandel der Prozesse umfas- send realisiert. Nach der „Pioniertheorie“ von Kurt Lewin [Lewi 47] lassen sich beim Veränderungsmanagement drei Phasen unterscheiden: • Auftauphase (unfreezing): Aufgrund einer zunehmenden Differenz zwischen Erwartungen und Realität, wächst ein Leidensdruck, der dazu führt, alte Ver- haltens- und Ablaufmuster in Frage zu stellen. Im Unternehmen entsteht Verständnis für die Notwendigkeit von Veränderungen und die Bereitschaft sie anzunehmen. Die nach Veränderung strebenden Kräfte müssen in dieser 1.19 Veränderungen im Unternehmen 109 Phase unterstützt werden, um das Bewusstsein für die Veränderung auszu- weiten. Der Begriff „unfreezing“ ist hier eine Metapher für das Auftauen der bestehenden festen (gefrorenen) Zustände. Dabei ist es wesentlich, die Argu- mentationsketten intensiv zu durchdenken und zu vermitteln. Gleichzeitig geht es darum die Argumente, Probleme und Lösungsansätze anderer mit zu integrieren. • Bewegungsphase (moving): In der Bewegungsphase werden neue Konzepte generiert, neue Verhaltensweisen getestet. Dabei wird das Problem in Teilas- pekten gelöst. In vielen Fällen hat sich gezeigt, dass Vorbehalte gegen Neues auf unberücksichtigte Aspekte zurückzuführen sind. In dieser Phase ist es we- sentlich, sensibel und kooperativ auf Argumente einzugehen. Nur auf diese Weise können tatsächlich tragfähige, zukunftsträchtige Konzepte entstehen. Pläne, die Nachteile ignorieren, sind nicht im Interesse des Unternehmens und lösen Widerstand oder Gleichgültigkeit aus. Um Leitlinien kritisch hinterfragen und modellieren zu können, ist allerdings fast immer die persönliche direkte Kommunikation mit dem obersten Ma- nagement notwendig. Die bestehenden Abläufe und Standards (Status-quo) werden verlassen, und es findet eine Bewegung statt, die zu einem neuen Gleichgewicht führt. Natürlich werden nicht alle Mitarbeiter bereit sein, sich neuen Ideen unterzuordnen. Dabei sollte hinterfragt werden, ob ein für den Unternehmenserfolg relevanter Grund oder persönliche Motive hinter einer ablehnenden Haltung stecken. • Einfrierphase (refreezing): Nach dem Deming-Kreis wird das Ergebnis (die Implementierung) zum neuen Standard. Der neue Status stellt den vorläufi- gen Abschluss des Veränderungsprozesses dar und wird „eingefroren“. Nach dem Episodenschema von Lewin benötigen Veränderungen im Anschluss eine Phase der Konsolidierung oder auch Stabilisierung, um eine nachhaltige Integration in das Gesamtsystem zu erreichen. In der Praxis besteht die Ge- fahr, mittelfristig in alte Verhaltensmuster, Standards und Gewohnheiten zu- rückzufallen. Die Mitarbeiter müssen sich an die neuen Bedingungen gewöh- nen und das Vertrauen gewinnen, dass die neuen Abläufe auch in schwierigen Situationen sicher funktionieren. Organisatorische Rahmenbedingungen Üblicherweise werden derartige Projekte von Change Agents umgesetzt. Diese „Umsetzungsverantwortlichen“ (die deutsche Übersetzung von Change Agents wird dem ursprünglichen Begriff leider nicht vollständig gerecht) werden in relevanten Disziplinen wie Konfliktmanagement, Projektmanagement, Coaching oder Kommunikationstechniken geschult und sind ausschließlich für die Füh- rung des Veränderungsmanagements zuständig. Sie setzen, unterstützt durch Veränderungsteams (change teams), die Ziele um. Bei allen wirklich erfolgrei- chen Lean-Umsetzungen, z. B. bei Toyota in Japan oder bei Porsche in Deutsch- land, wurde die Kampagne auch operativ von einer hochrangigen Leitfigur per- sönlich anführt, also einer Person, die analog der Anforderungen des Change 110 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Managements agieren konnte. Dieses Selbstverständnis des Managements wurde von T. C. Ohno als grundlegende Forderung im TPS aufgestellt und prägt die Unternehmensethik von Toyota noch heute. Die systematische Einführung durch Change Agents, also die operative Begleitung von großen Kampagnen durch einen hochrangigen Manager, ist heute in Europa leider selten. Vor allem in Konzernen wird die Umsetzung kleiner Teilaufgaben, z. B. einzelne Lean- Elemente, an das untere und mittlere Management oder an Externe delegiert. Damit verschenkt das Top-Management die Chance des direkten Kontakts zur Basis (Wertschöpfungsprozess) und damit zu kritischen Meinungen. Die Mög- lichkeit einer individuellen Lösung mit einem Konsens durch ein umfassendes interdisziplinäres und interhierarchisches Verständnis wird damit nicht genutzt. Fehler im Change Management Bei Änderungsprozessen oder Veränderungsprozessen im Unternehmen kommt es u. a. zu folgenden Diskrepanzen: • Die Umsetzung ist aufgrund einer oberflächlichen, unsystematischen oder unprofessionellen Vorgehensweise nicht konsequent genug. • Die Informations- bzw. Kommunikationspflege ist unzureichend. • Die Zeit- und Zielvorgaben sind falsch, z. B. aufgrund des zu großen Abstands zu den „Operativen“. • Änderungsprozesse werden nicht übernommen, da Mitarbeiter in alte Ge- wohnheiten zurück fallen. • Das Management lebt die Veränderung nicht vor. • Softfacts, z. B. Ängste der Mitarbeiter, werden außer Acht gelassen. • Bei Widerständen oder Problemen wird zu schnell aufgegeben. 1.19.3 Dynamische, ganzheitliche Lean-Veränderungsprozesse Die umfassende Umsetzung der vielfältigen dynamischen Änderungen im Unternehmen bietet höhere Potentiale als statische Innovationsschübe. Betriebswirtschaftlich werden Unternehmensveränderungen (z. B. eine neue Produktionslinie) in Geschäfts- oder Projektplänen mit einer stufenweisen Ver- besserung geplant (s. Abb. 1.19.2). Kontinuierliche dynamische Veränderungen, wie sie z. B. Kaizen erzielt, sind aus dieser Perspektive nicht anvisiert, da sie in Europa üblicherweise als wirtschaftlich irrelevant angesehen werden. In der Praxis muss man jedoch feststellen, dass spätestens nach Beendigung der inten- siven Projektbetreuungsphase ein gravierender Degenerationsprozess einsetzt (s. Abb. 1.19.3). Interessanterweise wird der Stellenwert von Lean-Potentialen bei Unterneh- men wie Toyota deutlich anders eingeschätzt. Woher kommt diese Diskrepanz? Zunächst lässt sich feststellen, dass Best Practice-Umsetzungen im Bereich Lean 1.19 Veränderungen im Unternehmen 111 Zeit Fo rts ch rit t Projekt1 S ta rt Projekt 2 S ta rt E nd e Projekt 3 S ta rt E nd e Theorie Praxis E nd e theoretische Erfolgskurve theoretischer Projekterfolg praktische Erfolgskurve realer Projekterfolg Abb. 1.19.2 Theoretischer und realer Projektfortschritt bei stufenweise geplanten Verbes- serungsprojekten. Entwicklungsprojekte erreichen i. d. R. die Ziele (Milestones). Spätes- tens nach dem Ende des Projekts und mit der Reduzierung des Betreuungsaufwands reduziert sich die Leistung oft erheblich – eine Degeneration tritt ein. Abb. 1.19.3 Hohe Verbesserungs-Potentiale mit Lean: Projekte, die intensiv und umfas- send von Lean-Maßnahmen begleitet werden, verhindern nicht nur Degeneration, son- dern erreichen mittelfristig beträchtliche Fortschritte. Bei Best Practice-Umsetzungen sind die Potentiale sehr hoch und können eine ebenso hohe Relevanz wie Innovationen oder strategische Projekte erlangen. 112 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme in Japan mittelfristig ähnlich hohe wirtschaftliche Potentiale erbracht haben wie Innovationssprünge oder strategische Projekte. Die Ursache liegt darin, dass Lean-Ansätze die Degeneration verhindern. Der kontinuierliche pragmatische Optimierungsaufwand führt in kleinen Schritten zu einer Steigerung der im Projekt erreichten Leistungen (s. Abb. 1.19.2). Lean wird nur punktuell genutzt In Europa werden diese Konzepte zwar als positiv eingeschätzt, ihr wirtschaftli- ches Potential jedoch als gering eingestuft. Entsprechend werden Projekte als fachabteilungsinterne Themen im Unternehmen angesehen. In der Lean-Studie „Fakten zu Lean“ der Lepros GmbH im Jahr 2007 [Lepr 07] (unter Beteiligung von ca. 150 Unternehmen aus Maschinenbau, Elektrotechnik und Automobilzu- lieferindustrie) wurde festgestellt, dass meist nur bekannte Lean-Elemente punktuell umgesetzt werden, z. B. Kanban in der Logistik und Beschaffung oder Kaizen in der Produktion und Verwaltung (vgl. Abb. 1.1.1). Diesem Vorgehen steht der Hinweis von T. C. Ohno [Ohno 78] entgegen, dass erst das Zusammenspiel der vielfältigen Einzelelemente der Schlüssel zur Opti- mierung und der wirklich großen Potentiale ist. Auch bei der Auswahl der Treiber der Kampagne (bzw. Beratern) sollte darauf geachtet werden, ob eine ganzheitli- che Lean-Kompetenz und nachweisliche Erfahrung in Best Practice vorhanden ist. Lean wird nicht nachhaltig genug als Kampagne umgesetzt Lean-Umsetzungen müssen langfristig und nachhaltig verfolgt werden, um ähn- lich große Potentiale zu erreichen, wie sie zu Teil bei den japanischen Auto- mobilisten erreicht wurden. Zu Projektbeginn entsteht der Fortschritt durch einzelne herausragende Ereignisse – „Leuchttürme“. Beim Übergang in eine langfristige Lean-Kampagne verwandelt sich die Veränderung in sehr viele klei- ne, weniger plakative Fortschritte. Der Gesamtfortschritt nimmt stetig zu, aber der Marketingeffekt ab. Nach dem Motto: „neue Besen kehren gut“ werden jetzt andere Optimierungsphilosophien mit neuen Potentialen oder einer guten Mar- ketingstrategie gesucht. Damit wird der Lean-Kampagne Kapazität entzogen oder sie wird sogar ganz verdrängt, bevor sie eine vollständige Ausbaustufe erreicht hat. Vergleichbar mit einer Autobahn die nur in Teilstücken ausgebaut ist, erreicht Lean Production auch erst nach Verbindung aller „Teilstücke“ das Niveau des Toyota Produktionssystems. Tatsächlich wird Lean in Europa über- wiegend als Projekt interpretiert und die Projekte werden nur maximal 2−3 Jahre konsequent fokussiert. Ganzheitliche Ziele mit Lean schnell umsetzen Die durchgängige, abgestimmte Umsetzung von Lean-Konzepten ist ohne Zwei- fel einer der wesentlichen Schlüssel für ein Unternehmen, um flexibel und er- folgreich auf Veränderungen am Markt zu reagieren. In der Zusammenarbeit geht es darum, maximale Synergien und dadurch maximale Effizienz zu erzeu- 1.19 Veränderungen im Unternehmen 113 gen. Dies muss jedoch im Kontext einer dynamischen Veränderung gesehen werden. Statische Projektstrukturen müssen durch dynamische Aktualisierun- gen an die veränderten Bedingungen angepasst werden. Nur dadurch kann die Dynamik der Veränderung erfolgreich beherrscht werden. Verbesserungsverfahren, die hochexakte, betriebswirtschaftlich fassbare Er- gebnisse erreichen, sind aufgrund des beträchtlichen zeitlichen Aufwands der für ihre Berechnung und die Analyse benötigt wird vielfach zu langsam, um Veränderungen schnell ausnützen zu können. Lean-Ansätze mit ihren pragmati- schen und Gemba-nahen Methoden ermöglichen mit minimalem formalem und theoretischem Aufwand eine sehr viel schnellere, zeitnahe Verbesserung. Die Einzelelemente der Lean Production zeigen erst unter zeitlich dynamischen Aspekten ihr extrem komplexes und gleichzeitig abgestimmtes Zusammenspiel (Interaktion). Sie erlauben Entscheidungen und Veränderungen nach klaren Richtlinien, mit systematischer Prüfung und mit minimalem bürokratischen Aufwand auf der gerinnst möglichen hierarchischen Ebene umzusetzen. Um den Erfolg namhafter Lean-Unternehmen zu erreichen, ist eine umfassende, nach- haltige Umsetzung und zudem eine maßgebliche Orientierung der Unterneh- mensphilosophie an Lean notwendig. 1.19.4 Dynamische Evolution in eine erfolgreiche Zukunft Dynamische zukunftsorientierte Ausrichtung des Energons „Unternehmen“ Die reale Dynamik führt zu kontinuierlichen Änderungen in verschiedenen Dimensionen eines Unternehmens. Für die Konkurrenzfähigkeit eines Unter- nehmens ist es entscheidend, wie gut Veränderungen interdisziplinär und inter- aktiv beherrscht werden. Zukunft ist generell nicht planbar. Für Teilaspekte können sich schon abzeichnende Veränderungen sicherer vorhergesagt, berech- net oder interpoliert werden. Üblicherweise existiert in Unternehmen eine Lang- fristplanung, in der Produkte, Absatz, Umsatz, Renditen und die Marktpositio- nierung prognostiziert werden. In der Regel basieren diese Prognosen auf den klassischen Berechnungen des Vertriebs und des Marketings. Daraus resultie- rend werden einzelne Projektschritte für die Entwicklung, die Herstellung, das Marketing bzw. die Vertriebskonzepte neuer Produkte definiert. Diese Planung ist die Basis für die Vertriebsstrategien und die Geschäftsplanung. Auf Basis dieser Prognosen werden – top-down – Planzahlen für ein Produkt berechnet und an die „Umsetzungsbereiche“ Produktion und Logistik weiterge- geben. Aufgrund von Trends am Markt oder von Aktivitäten in Beschaffung, Einkauf oder Wertanalyse werden auch Alternativen wie Outsourcing oder In- sourcing in Betracht gezogen. Letztlich ist diese Vorgehensweise jedoch nur punktuelles Interpolieren an bestehenden Systemen bzw. Abläufen. Basierend auf bestehenden physischen Zwängen, wie Anlagenpark oder Gebäuden, werden „Anbauten“ (Veränderungen) vorgenommen. Dabei orientiert man sich nicht an einer abstrahierten idealen Gesamtlösung, sondern schafft nur punktuelle Ver- 114 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme besserungen. Dieses Vorgehen ist gut vergleichbar mit den „Anbauten“ an ei- nem bestehenden zu engen Haus. Die Notwendigkeit einer langfristig geplanten strategischen Unternehmens- ausrichtung verdeutlicht Abb. 1.19.4. In diesem Layoutvergleich werden ge- wachsene Strukturen mit einem Neukonzept verglichen. Wie bei einem Haus, erfüllt das „Anstückeln“ das Ziel, mehr Raum zu erhalten. Die Anordnung der Räume bzw. der Prozesse ist jedoch suboptimal. Hätte man das Haus (bzw. im übertragenen Sinn eine Fertigungslinie) komplett neu gebaut, wären die Räume (bzw. Anlagen) anders angeordnet. Ein Anbau erbringt bei punktueller und zeitlicher Betrachtung eine Verbesserung. Da die Prozesse bei dieser Lösung nur suboptimal sind, ist diese Vorgehensweise insgesamt betrachtet nicht effizient, und verschwendet Geld. Nachteile eines organisch gewachsenen Grundriss eines Unternehmensge- bäudes sind • weite Wege, • ungünstige Flächennutzbarkeit, • viel Fläche für Gänge und • viele Durchgangsräume. Bei einem systematisch geplanten Grundriss eines Unternehmensgebäudes ergeben sich • kurze Wege, • hohe Flächennutzbarkeit, • kaum Gänge und • ein zentraler Treffpunkt. Wirtschaftswissenschaftlich betrachtet muss das dynamische interaktive Un- ternehmen seine Entwicklung systematisch und vorausschauend planen und gestalten, um auch zukünftig erfolgreich zu sein. Nach der Evolutionslehre der Organisch gewachsener Grundriss Systematisch geplanter Grundriss Abb. 1.19.4 Strategische Unternehmensplanung – „Anbau“ oder „Umbau“ von Unter- nehmen versus Ausrichtung am Optimum: Die Nachteile des stetigen „Anbauens“ an bestehende Systeme und die Notwendigkeit, vorausschauend zu planen (wie ideale Pro- zesse aussehen müssen) wird beim Vergleich dieser zwei Grundrisse deutlich. 1.19 Veränderungen im Unternehmen 115 Wirtschaftszusammenhänge von H. Hass (Übertrag der Evolutionslehre von Charles Robert Darwin [Darw 59]) gilt, dass sich das Unternehmen durchsetzt, das sich am besten an Veränderungen anpassen kann. Nicht der Stärkste setzt sich durch, sondern der Anpassungsfähigste. Die frühzeitige Planung eines op- timal angepassten Unternehmens ist daher die viel versprechendste Strategie, um auf sich veränderte Marktsituationen optimal vorzubereiten. Vorgehen zu einer zukunftsorientierten Ausrichtung eines Unternehmens Durch eine einfache aber umfassende Systematik können zukünftige Anforde- rungen an ein Unternehmen fundiert ermittelt werden. • In einem ersten Schritt wird die gesamte Aufgabenstellung in einzelne Ele- mente zerlegt. • Zweiter Schritt: Für jedes Einzelelement ist eine konkretere und detailliertere Prognose möglich. Die Summe der Einzelaussagen ergibt eine sehr viel genau- ere Zukunftsprognose. Es entsteht ein komplexes interdisziplinäres Anforde- rungsprofil für die Zukunft. Basierend auf dieser Aussage werden bewusst abstrakte Lösungsansätze für die betroffenen Fachbereiche des Unternehmens entworfen. Die Abstraktion ist vielfach eine große Herausforderung, da fast immer dominante etablierte Konzepte, die Abstraktion zu beschränken dro- hen. Der Abstraktionsgrad ist jedoch entscheidend, um zu einer idealisierten Lösung zu gelangen. • In einem dritten Schritt werden konkrete Maßnahmen für ein auf die Zukunft ausgerichtetes Unternehmen konstruiert. Ihre Umsetzbarkeit wird geprüft. Dann werden Projekte zum Erreichen dieser Idealbedingungen umgesetzt. Seepferdchen: einzelne Lebewesen Schwarm Fische: Gruppen von Lebewesen UnternehmenFußballmannschaft: Gruppen von Menschen Abb. 1.19.5 Biologische Entwicklungsprozesse in Unternehmen: Die Planung eines Un- ternehmens muss sich systematisch und ideal an zukünftigen Rahmenbedingungen ori- entieren, entsprechend biologischer Entwicklungsprozesse. Die Regeln des Lebens lassen sich auf Unternehmen übertragen – dieses Verständnis kann zum entscheidenden Vorteil in der Zukunft führen. 116 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme 4-Phasen-Modell, um ein Unternehmen optimal auf die Zukunft auszurichten Bezogen auf ein Zukunftsintervall von drei, zehn oder mehr Jahren werden die zu erwartenden Veränderungen des Unternehmensumfelds systematisch im Bezug auf • Produkt, • Preis, • Kunde, • Markt hinterfragt: 1. Neue Spielregeln festgelegen: Wie entwickeln sich die oben genannten Krite- rien und welche neuen Spielregeln gewinnen an Relevanz? 2. Anforderungen anpassen: Welche Konsequenzen haben die Veränderungen auf Abläufe im Unternehmen? Welche konkreten Anforderungsprofile wer- den zukünftig relevant? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für das Unternehmen, und in welchem Bereich? 3. Optimale Lösungen finden: Losgelöst von den bestehenden Abläufen und Rahmenbedingungen werden neue Ideallösungen für die Fachbereiche und Details der Aufgabenstellungen gesucht. Welche Maßnahmen oder Struktu- ren sind nötig, um ein ideal agierendes Unternehmen zu erreichen? 4. Entscheidung und Umsetzung: Welche Maßnahmen können und müssen ergriffen werden, um das bestehende Unternehmen zu verändern? Basierend auf den neuen Konzepten wird die Machbarkeit überprüft und letztlich die Umsetzungsentscheidung getroffen. Im Anschluss werden die konkreten Pro- jekte gestartet und realisiert. Umsetzungsregeln: Der ganzheitliche Verbesserungsprozess sollte in einem Syntegrations-Work- shop [Beer 94] gestartet werden. Hierdurch wird eine hohe Abstraktion erreicht. Der Erfolg eines derartigen Projekts hängt maßgeblich von einer bewussten Abstraktion ab. Die Gefahr, dass wesentliche Risiken übersehen oder Lösungen nicht erkannt werden, ist groß. Alternativen oder neue Ansätze dürfen nicht als Kritik an bestehenden Abläufen oder Personen gewertet werden, sondern als Verbesserungspotential. Die Entscheidungsfindung sollte sich am Vorteil des Unternehmens und nicht an Einzelinteressen orientieren. Dabei sollten wichtige konträre Argumente keinesfalls tabuisiert werden. Bei der Entscheidung und bei der Umsetzung sollte fair agiert werden. Da die Umsetzung von Veränderungen oft mehrere Jahre dauert, werden meist nicht alle Punkte umgesetzt. Der Erfolg hängt jedoch von einer möglichst vollständigen Umsetzung ab. 1.20 Produktions- und wertstromgerechte Konstruktion 117 1.20 Produktions- und wertstromgerechte Konstruktion Philipp Dickmann Durchschnittlich definiert die Konstruktion 80 bis 90 % des Wertes eines Pro- dukts. Diese Tatsache sollte bei der Abwägung der notwendigen Konstruktions- qualität bedacht werden. Die größten Einsparungen im Materialfluss oder bei Lieferantenprojekten sind daher auf konstruktive Änderungen zurückzuführen. Warum ist das so? Neben den funktionsrelevanten Eigenschaften werden für den Materialfluss entscheidende Funktionen und Maßgaben von der Konstruk- tion bestimmt: Haltbarkeit, Qualitätsanforderungen, Herstellverfahren, abgebil- dete Baugruppen und Endprodukte, Verpackungen, Transportwege, Umweltkri- terien und auch die Rückverfolgung von Fehlern. Die Bewältigung dieser verantwortungsvollen Aufgabe stellt eine große Herausforderung für die Kon- struktion dar. Wo bisher im wesentlichen technische Lösungen definiert wur- den, müssen heute Herstellbelange (produktionsgerechtes Design) die Anforde- rungen der gesamten Lieferkette (supplychaingerechtes Design) und auch Gesichtspunkte der Kostenoptimierung auf der gesamten Supply Chain (wert- stromgerechtes Design) erfüllt werden. Nur dann können die Kunden schnell, mit hoher Qualität und zu minimalen Kosten bedient werden. Geschwindigkeit, Flexibilität und individuelle Kriterien entscheiden den Wettbewerb. Zielstellun- gen wie Time-to-market oder Simultaneous Engineering rücken daher zuneh- mend in den Fokus. Veränderungen gehen jedoch nicht selten zulasten der Kon- struktionsqualität. Die Folge sind Störungen auf der Supply Chain und Krisenmanagement (vgl. Kap. 2.1. Ruhiger, kontinuierlicher Materialfluss). Der Absicherung und Verbesserung der Konstruktionsqualität durch ingenieurmä- ßige Arbeitsweise, Kaizen, Poka Yoke, GD-Cube (GD3) und Design Review Based on Failure Mode (DRBFM) kommt daher eine entscheidende Rolle auch im Ma- terialfluss zu. Parallel muss es gelingen, simultan die Interessen aller an der Supply Chain, den Herstellungsprozessen und Entwicklungsprozessen beteilig- ten Bereiche und Unternehmen optimal zu integrieren. Erst daraus leitet sich ein wertstromgerechtes Produkt ab, das Synergien von Anfang an optimal nutzt. 1.20.1 Von klassischen ingenieurmäßigen Konstruktionsabläufen zur fundierten Produktentstehung Die klassische ingenieurmäßige Konstruktionsarbeit zeichnet sich durch einfache, strukturierte und fehlerresistente Arbeitsweise aus. Aufbauend auf einer groben Basiskonstruktion werden die genauen technischen Ausführungen von Detailkon- strukteuren erstellt, von Baugruppenkonstrukteuren geprüft und abschließend vom Konstruktionsleiter verifiziert. Mit diesem „Sechs-Augen-Prinzip“ sollen 118 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Konstruktionsmängel im Vorfeld vermieden bzw. so früh wie möglich erkannt werden. Dieses Fehlervermeidungsprinzip wird auf jeder Zeichnung dokumen- tiert, von einem Zeichner gezeichnet und einer leitenden Person frei gegeben bzw. geprüft. Diese Methode, Fehler präventiv zu vermeiden, ist dem in Japan, auch in der Entwicklung und der Konstruktion, angewandten Prinzip von Poka Yoke – „Mach es gleich richtig“ (vgl. Kap. 1.9. Poka Yoke) sehr ähnlich. Die Professionali- tät, mit der Konstruktion betrieben wird, bestimmt später Produkteigenschaften wie Lebensdauer, Anfälligkeit gegen Störungen, Zuverlässigkeit, Einsatzmöglich- keit bei anspruchsvollen Umgebungsbedingungen (z. B. hohe oder niedrige Tem- peraturen, Feuchtigkeit, korrosive Medien, Stäube) oder den Bedienungskomfort. Eine hohe Qualität hat jedoch ihren Preis. Die Faustregel besagt, dass mehr als 80 % der Herstellkosten durch konstruktive Vorgaben entstehen. Gleichzeitig wird der Verkaufspreis maßgeblich durch diese Leistungsmerkmale definiert. 1.20.2 Wertanalyse – Produkte fundiert nach abgestimmten Zielen definieren und entwickeln In den meisten Unternehmen wird die Arbeit der Führungskräfte davon domi- niert, Einsparungspotentiale zu suchen, um die Produkte kostengünstiger zu produzieren. Im Zuge dieser Einsparungen wird häufig eine Reduzierung der Leistung akzeptiert, in einem meist schleichenden unbewussten Prozess. Hoch- wertige Produkteigenschaften und der Kundennutzen gehen verloren. Damit gewünschter Kundennutzen Einzelteilpreis akzeptierter Kaufpreis Kosten bzw. Preis Produktniveau bzw. -leistung Abb. 1.20.1 Preis-Leistungs-Abhängigkeit: Eine höhere Leistung zahlt sich überpropor- tional aus. Hochwertigere Produkteigenschaften benötigen zusätzliche Aufwendungen in Konstruktion sowie Produktion und verursachen dadurch höhere Kosten. Entsprechen diese Eigenschaften den Kundenwünschen (z. B. längere Lebenserwartung), lassen sich bessere Preise am Markt erzielen (Premium-Markenstrategie). 1.20 Produktions- und wertstromgerechte Konstruktion 119 verändert sich ihre Markteinnischung vom Premium-Marktsegment hin zu den stark umkämpften globalen Billigmarktsegmenten. Der Leistungsumfang, den die Konstruktion zu erfüllen hat, sollte sich am Kundenwunsch orientieren und mit wertanalytischen Methoden bestimmt wer- den. Die Wertanalyse (Value Analyze) ermöglicht eine sachliche Auseinander- setzung bezüglich der Ziele: • Preis, • Leistung und • tatsächliche Kundenanforderungen. Bei der Umsetzung von Einsparungsmaßnahmen ohne Wertanalyse kämpfen häufig zwei gegensätzliche hier überzeichnete Charaktere im Unternehmen gegeneinander: • Der „technikverliebte“ Konstrukteur, der nicht auf die Kosten achtet: Dabei besteht die Gefahr, dass Produkte entstehen, die zu teuer sind, weil sie Funk- tionen bieten, die der Kunde nicht benötigt. • Der an kurzfristiger Renditeerhöhung orientierte Buchhalter oder Einkäufer, der zugunsten radikaler Preisreduzierungen den nachhaltigen Kundennutzen einschränkt. Hier werden marktmachtbasierte Methoden mit negativen Fol- gen für das Unternehmen genutzt, was in der Folge zu Qualitäts- und Liefer- problemen, Kostenerhöhungen und geringer Kundenzufriedenheit führt (vgl. Kap. 4.5.1 Konzepte zur hochvolumigen Einkaufspreisreduzierung). Abb. 1.20.2 Wertanalyse bestimmt den maximalen Nutzwert eines Produktes. Durch die klare Abgrenzung der Kosten je Leistungsmerkmal (Funktion) wird es möglich ohne Risiko Kosten zu senken. 120 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Wertanalyse ist ein interdisziplinäres Tool, das mit sachlichen Argumenten und Leistungen ein Optimum sucht, das beide Seiten zufrieden stellt. Bei der Bestimmung des Nutzwertes eines Produktes (vgl. Abb. 1.20.2) werden die Kos- ten in Relation zum Nutzen der einzelnen Funktionen ermittelt. Alles wird klas- sifiziert, quantifiziert, priorisiert und gegebenenfalls „nicht wirklich Nötiges“ weggelassen. Durch das Verzichten auf (unwesentliche) Nebenfunktionen wird eine Kostenreduzierung ohne relevante Einschränkung des Kundennutzens erreicht. Zudem werden Möglichkeiten gesucht (Brainstorming), mit denen die Funktionen alternativ erfüllt werden können. Durch hohen Abstraktionsgrad ist es möglich, bisher unübliche oder neue Ansätze zu finden. Dadurch sind Quan- tensprünge in Preis und Leistung möglich. Neue Leistungsmerkmale, die dem Kunden einen deutlich verbesserten Nutzen erbringen, können zu einem zu einem Alleinstellungsmerkmal und einem höheren Preis führen. Vorteile dieser Methode: Entscheidungen werden nach sachlichen Kriterien getroffen. Durch die systematische bewusste Leistungsreduzierung und Einsparung verringert sich das Risiko das Produkt „am Markt vorbei“ zu entwickeln. 1.20.3 Konstruktionsqualität Neben dem Ziel der Optimierung des Nutzwertes zielt eine hohe Qualität der Konstruktion darauf ab, teure Nachbesserungen zu vermeiden. Mängel, die nachgebessert werden müssen sind aufwändig und kostspielig und führen zu einer schlechten Bewertung des Produkts und des Herstellers. Hinzu kommt, dass sich im Produktlebenszyklus die Kosten für Änderungen exponentiell er- Konzept Entwicklung Realisierung Serie Vorserie Einführung K os te n Projektverlauf/Zeit 1€ 10.000 € 1.000 € 100 € Kosten für die Änderung Beeinflussbarkeit der Kosten Abb. 1.20.3 Kostenentwicklung für die Bereinigung eines Entwicklungsfehlers. Die Kos- tenentwicklung steigt exponentiell, und die Möglichkeit, Kosten zu beeinflussen sinkt mit dem Fortschritt des Entwicklungsprozesses (vgl. Abb. 4.7.1). 1.20 Produktions- und wertstromgerechte Konstruktion 121 höhen, je später damit begonnen wird bzw. je weiter der Status des Produkts (z. B. Serienproduktion) fortgeschritten ist. Dies zeigt die Parabel der Kosten- entwicklung für die Bereinigung eines Entwicklungsfehlers sehr anschaulich (s. Abb. 1.20.3). Je früher Fehler erkannt und behoben werden, desto geringer sind die Änderungskosten. Erkennt man Fehler spät, z. B. erst nach der Einfüh- rung eines Produktes, steigen die Kosten überproportional an. Wenn unreife Produkte in Serie gehen, fallen in den verschiedensten Berei- chen Störungen und Kosten an. Im Folgenden werden die Konsequenzen darge- stellt, die bei einer kleinen internen Störung (z. B. aufgrund eines konstruktiven Fehlers der in einem einfachen Montageprozess) auftreten: • Es entstehen Zusatzzeiten durch Montageprobleme, -unterbrechungen und Ausfallzeiten. • Aufträge werden unterbrochen bzw. die Auftragsreihenfolge anderer Aufträge gestört. • Liefertermine werden verschoben. • Nacharbeitsaufträge müssen gestartet, ausgeführt und weiterverarbeitet wer- den. • Vor und während der Störung treten höhere Ausschussraten auch bei ande- ren Produkten auf. • Demontage und erneute Montage von übergeordneten Baugruppen wird nötig. • Zusatzprüfungen fallen mehrfach an. • Durch Demontage, Verschrottung oder Teilverschrottung entsteht ein unge- planter Verbrauch von Neumaterial. • Die Fehlerrate in den Endprodukten erhöht sich aufgrund des Fehlerschlup- fes (Faustformel 10 %). • Lieferverzug verursacht Unzufriedenheit bei den Kunden, mit der Folge von Kulanzerhöhung oder Entzug von Folgeaufträgen. • Mindestens eine weitere Änderung ist zur endgültigen Problembeseitigung notwendig. Da auch andere Bauteile betroffen sind, sind viele Änderungen die Folge. Eine Störung, bei der vielfältige Lieferantenstufen betroffen sind, kann diese Liste schnell auf das 4- bis 8-fache vergrößern. Ein zusätzliches Risiko besteht bei späten Änderungen durch den Termindruck, der „Aktionismus“ auslöst. Dann entstehen leicht Fehler, die wiederum im Schneeballeffekt zu Sonderak- tionen, Folgeproblemen, Mängeln am Produkt, Reklamationen und Kosten füh- ren. All diese Folgen sind nur schwer fassbar und zuzuordnen (vgl. Abb. 4.7.4). 1.20.4 Konstruktionsfehler vermeiden mit GD-Cube (GD3) und Design Review Based on Failure Mode (DRBFM) Der individuelle Zuschnitt der Produkte auf die Anforderungen der Kunden birgt aufgrund der Änderungen an Materialien und Prozessen ein hohes Fehler- 122 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme risiko. Das Basis-Konzept GD-CUBE (GD3) ist bei Toyota aus der Erkenntnis heraus entstanden, dass in der Änderung von Konstruktionen das höchste Feh- lerpotential enthalten und der entscheidende Hebel für Produktkosten zu finden ist [Scho05]. Das zeigt auch das Absinken der Prozessqualität nach Änderungen oder Neuanläufen eines Produktes. Oft sind Monate oder gar Jahre nötig, bis der reibungslose und kostenoptimale Ablauf wieder hergestellt ist. Der Konstruktionsprozess verläuft Top-down von der Planung bis zum Kun- den (s. Abb. 1.20.4). In jeder Stufe werden Anforderungen und Rahmenbedin- gungen vorgegeben und nach unten weitergereicht. Die untergeordnete Stelle hat diese Vorgaben zu übernehmen. Aufgrund des Trends zur Spezialisierung, der Zentralisierung, der räumlichen Trennung, der Vielzahl der eingebundenen Lieferanten und Zunahme der Komponenten wird es für die Entwicklung immer schwieriger zu einer optimalen Lösung für alle Belange zu kommen. Sinnvoller ist ein Entwicklungsprozess der von Anfang an in einem Win-Win- Konzept die Anforderungen oder Ideen aller Beteiligten integriert. Ein struktu- riertes Informationskonzept, das Kunden-, Produktions-, Lieferanten-, Kon- struktions- und Test-Anforderungen optimal einbindet, fehlt in den gängigen Top-down Philosophien jedoch meistens. GD3 (GD-Cube), nach Tatsuhiko Yoshimura [Nogu 03], ist der Ansatz des Toyota Produktionssystems, Fehler in interdisziplinären Teams präventiv zu verhindern und zu beheben. Er wird mit drei systematischen Leitsätzen fixiert: Kunde Produktion Lieferant Beschaffung Test/Muster Konstruktion Planung KundeKunde ProduktionProduktion LieferantLieferant BeschaffungBeschaffung Test/MusterTest/Muster KonstruktionKonstruktion PlanungPlanung Wie bei einem Ball fallen die Anforderungen von oben nach unten die Treppe herunter. Anfor- derungen Treppe top-down Anzahl der fixen ungünstigen Rahmenbedingungen nimmt zu. Abb. 1.20.4 Top-down-Verlauf des Konstruktionsprozesses (angelehnt an [Niss 97], vgl. [Scho 05]). Durch hierarchische und weitgehend entkoppelte Entwicklungsschritte (vor allem bei dezentralen, größeren Unternehmen), nehmen Rahmenbedingungen, die eine Optimallösung verhindern, über die gesamte Produktentstehung bis zur Kundennutzung stetig zu. Diesem Trend wirkt einer systematischen, interdisziplinären Abstimmung von Beginn an entgegen. 1.20 Produktions- und wertstromgerechte Konstruktion 123 1. Gute Konstruktion (Good-design): Gute Konstruktion nicht verändern. 2. Gute Diskussion (Good-discussion): Kreativ, offen, interdisziplinär und un- politisch alle Risiken aufdecken. 3. Gute Analyse (Good-dissection): Alle Änderungen kritisch in aller Tiefe hin- terfragen. Das Prinzip von GD3 oder Mizenboushi wurde von Tatsuhiko Yoshimura selbst in die Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA= Failure Mode and Effects Analysis) integriert. So entstand „Design Review Based on Failure Mode“ (DRBFM). Die üblichen FMEA-Ansätze sind immer auf bestimmte Perspektiven bzw. Fachbereiche (wie Produktion oder Konstruktion etc.) fokussiert, wobei die Grenzen bewusst vernachlässigte Grauzonen sind. Der Versuch, den einfachen japanischen Ansatz in die komplexe Denkweise der amerikanischen oder euro- päischen Automobilindustrie und damit in FMEA zu übernehmen, war jedoch mit Hindernissen verbunden. DRBFM agiert interdisziplinär und integriert Ele- menten verschiedener Kreativitätsmethoden. Diesem Aspekt und der Absiche- rung der Entwicklung steht die Kernforderung von GD3, unnötige Formalien zu vernachlässigen, im Weg. Der Ablauf von Design Review Based on Failure Mode ist: 1. Erstellung einer vollständigen Anforderungsanalyse des Produkts. 2. Lösungssuche in einem interdisziplinären Team (vgl. Kap. 4.5 Lieferanten- management und Lieferanten-Optimierung). 3. Orientierung an den Zielen von GD3: • Team und Kreativität steht im Vordergrund. • Richte die Aufmerksamkeit im Besonderen auf Schnittstellen. • Verwende bevorzugt bewährte und robuste Lösungen. • Poka Yoke: Suche nach „Knospen“ von Problemen. • Kaizen: Suche nach konkreten praktischen Lösungen. 4. Schrittweise Ableitung der Konstruktion aus der Anforderungsanalyse. 1.20.5 Standards – die Basis für professionelle Konstruktion Die allgemeine Leitlinie für Konstrukteure lautet: Norm-, Gleich- und Vorzugs- teilelisten bzw. bestehende und ausgetestete Konstruktionen sollten an erster Stelle verwendet werden. Wenn Sonderteile oder Sonderkonstruktionen ver- wendet werden, müssen diese zuerst speziell überprüft, überdacht, finanziell kontrolliert und dann freigegeben werden. Dieser formale Aufwand wird bewusst in Kauf genommen, um • die Menge an Neukonstruktionen einzugrenzen, • eine Reduzierung des Aufwands und eine Erhöhung der Konstruktionsge- schwindigkeit durch das Verwenden von Standards zu erreichen, • das Fehlerrisiko durch die Nutzung von bewährten Standards zu reduzieren (z. B. das Verwenden langjährig bewährter Verbindungspaarungen vermeidet 124 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Fehler in Zeichnungen, Dimensionierung von Passungen und Kräften, Werk- stoffpaarungen) • die Fehler durch Kontrollen so früh wie möglich aufzuspüren, • die Kosten für Neukonstruktion, Validierung, Tests, Nachbesserungsschleifen etc. zu reduzieren, • erheblich günstigere Standardteile, anstelle hochspezieller Sonderteile (z. B. mit kleinem Einkaufsvolumen) einzukaufen. Eine konsequent und professionell umgesetzte Einführung von Standards sollte u. a. folgende Schritte beinhalten: • Die systematische Sortimentsbereinigung in Einzelbaugruppen. • Die Erhöhung des Anteils an Norm- und Standardteilen bzw. Gleichteilen. • Die „Filetierung“ intelligenter, standardisierter Montage- bzw. Ersatzteilsätze anstelle umfangreicher Einzelteillisten. Bei dieser Vorgehensweise wird in Kauf genommen, dass in den Sätzen auch C-Teile enthalten sind, die für den einzelnen Anwendungsfall nicht notwendig sind. Alternativ können auch Mi- nimalsätze erzeugt werden, bei denen einzelne zusätzliche werthaltige Teile ergänzend geliefert oder verbaut werden. • Standards werden im CAD-System hinterlegt. Abweichungen der Standards, z. B. bei Standardlieferanten, werden über Freigaben abgewickelt. • Durch eine hohe Penetration von C-Teilemanagement entsteht ein hoher Versorgungsgrad und hohe Flexibilität. Die Erhöhung des Anteils an Norm- und Standardteilen bzw. der Gleichteile hat zahlreiche positive Auswirkungen auf die Herstellprozesse, den Materialfluss und die Kosten: • Reduzierung der Teilevielfalt, • Abnahme von Sonder- und projektspezifischen Teilen, • Losgrößenvorteil in der Beschaffung, • billigere Standardteile anstelle von teuren Spezialkomponenten, • Verkürzung der Wiederbeschaffungszeit, • Vereinfachung der Lagerwirtschaft, • Steigerung der Flexibilität in der Produktion, • geringere Sicherheitsbestände, • hohe Verfügbarkeit, da Standardteile vorrätig sind, • geringerer Aufwand für Krisenmanagement • Versorgungsaufwand reduziert sich in Logistik, Beschaffung und Produktion. 1.20.6 Lieferanteneinbindung in Entwicklung und Konstruktion Um eine enge Lieferanteneinbindung zu erreichen sind zunächst einige grundle- genden Schritte notwendig. Basierend auf einem hohen Standard der Kompo- nenten wird eine Lieferantenfokussierung (s. Kap. 4.1.8 Lieferantenfokussie- 1.20 Produktions- und wertstromgerechte Konstruktion 125 rung) durchgeführt. Dadurch wird eine deutlich engere und verbindlichere Zu- sammenarbeit mit dem Lieferanten in Bezug auf den Entwicklungs- und Kon- struktionsprozess möglich. Üblicherweise finden dazu regelmäßige Besuche (z. B. wöchentliche) von Konstrukteuren des Lieferanten in der Entwicklungs- bzw. Konstruktionsabteilung des Kunden statt. Bei großen Unternehmen mit vielen Komponenten kann der Entwickler des Lieferanten auch vor Ort beim Kunden in das Team eingebunden sein. So entstehen wesentliche Vorteile: • Entwicklungszeit können deutlich reduziert werden. • Die Problemstellung und die Potentiale des Lieferanten werden von Anfang an integriert. • Durch den Wegfall bzw. die Reduzierung der Kommunikationsgrenzen neh- men Fehler und Risiken ab und die Zusammenarbeit wird intensiver. • Lieferanten, die zuerst nur Einzelteile liefern, können auf die Anlieferung von Baugruppen umgestellt werden. Ein Systemlieferantenkonzept entsteht – der Lieferant trägt nun die Verantwortung für komplexe Baugruppen. Gerade bei Neuentwicklungen und speziellen Anforderungen sollte der Liefe- rant von Anfang an integriert werden, da dann der Nutzen am höchsten ist. 1.20.7 Automatisierte Konstruktionssysteme Der Arbeitsbereich der Konstruktion hat sich durch die Informationstechnolo- gie stark verändert. Während die Arbeit mit Norm-, Standard-, Vorzugs- und Katalogteilen in den CAD-Systemen üblich ist, geht der Trend noch weiter hin zur Automatisierung von Konstruktionsprozessen. Die automatisierte Kon- struktion komplexer Baugruppen setzt wenige leistungsbeschreibende Kennzah- len voraus. Ein Best Practice-Beispiel für eine derartige Umsetzung wurde schon vor über zehn Jahren bei Kettner & Krones (München/Rosenheim) im Sonder- maschinenbau realisiert. Dort wurde ein Baukasten mit extrem hoher Teile- und Baugruppenvielfalt und extremer kundenspezifischer Adaption umgesetzt. Sehr ausgedehnte („mehrere Fußballfelder große“), komplexe und vollautomatische Verpackungsanlagen wurden durch automatisierte Konstruktion abgewickelt. Zur Auslegung mussten die Einzelbausteine angeordnet und die benötigten Eigenschaften eingegeben werden. Das System errechnete dann die nötigen Stücklisten und Montagezeichnungen automatisch. Rahmenbedingungen und Vorteile Um mit automatisierten Konstruktionssystemen effizient arbeiten zu können, müssen als Basis sehr strikte Baukästen und Standards entwickelt werden. Sie machen ein konsequentes DIN- und Normteile-Management möglich. Dadurch entsteht ein hoher einmaliger Aufwand, der sich durch die folgenden Vorteile kompensiert: 126 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme • Der Konstruktionsaufwand sowie die Entwicklungs- und Konstruktionszeiten reduzieren sich. Bei immer komplexer und größer werdenden Projekten kann das nur durch Baukästen und – besser noch – durch automatisierte Kon- struktion ermöglicht werden. Gegenüber dem Wettbewerb kann damit eine mehr als 50 % kürzere Time-to-market den entscheidenden Vorteil bringen. • Eine deutlich höhere Projektzahl kann mit gleicher Belegschaft abgewickelt werden. • Sofern für Produkte hohe Vorfinanzierungssummen nötig sind, kann der Finanzierungszeitraum durch das Senken der Entwicklungszeit deutlich re- duziert werden. Damit wird das Insolvenzrisiko, das bei hohem Cashflow sehr großer Projekte entsteht, erheblich verringert. Mit dem „Siegeszug“ der CAD-Systeme wurden oft klassische Freigaberouti- nen und die Anforderungen an die Qualifikation der Konstrukteure reduziert. Dadurch fließen wichtige interdisziplinäre Faktoren nicht mehr mit in den Kon- struktionsprozess ein. Die Aufgabe der Konstruktion, die technisch, aber auch wirtschaftlich optimale Lösung zu finden und klar zu dokumentieren wurde durch die IT erleichtert, da die Systeme sehr viele integrierte Standards besitzen. Wirtschaftliche, einkaufsstrategische oder logistische Dimensionen werden jedoch in der Regel nicht unterstützt. 1.20.8 Von der montagegerechten zur wertstromgerechten Konstruktion Durch die Intensivierung des Wettbewerbs muss die Konstruktion zahlreiche Ziele und Zwänge erfüllen. Sieben Elemente sind für eine erfolgreiche Konstruk- tionsabteilung von Bedeutung: 1. Klassische Ziele der Konstruktion: Entwicklung und Konstruktion zielen zu allererst auf eine technisch funktionstüchtigen Lösung ab. Geringer Aufwand und günstige Kosten (z. B. Personalkosten) in möglichst kurzer Zeit stehen dabei im Vordergrund. 2. Nutzwertoptimale Konstruktion (Wertanalyse): Durch die abstrahierte sys- tematische Vorgehensweise der Wertanalyse werden systematisch neue Pro- duktkonzepte entwickelt. Kostenaspekte werden dabei gleichberechtigt be- rücksichtigt. 3. Qualitätsgerechte Konstruktion: Die Qualitätskontrolle muss vor allem bei Neuentwicklungen mit wesentlichen Prüfungen, Checks und Freigaben im Entwicklungsprozess eingreifen. Um sicherzustellen, dass keine Konstruk- tionsmängel bei serienreifen Produkten auftreten, werden von den Qualitäts- management-Systemen vielfältige Prüfungen gefordert (z. B. FMEA, Herstell- barkeitsprüfungen und Freigabegrenzen für die Entwicklung). Damit werden auch in Zukunft Folgeschäden und Kosten verhindert. Nach ISO 9001 gliedert 1.20 Produktions- und wertstromgerechte Konstruktion 127 sich die „Produktrealisierung“ und im Speziellen die „Entwicklung“ in fol- gende Punkte: • Entwicklungsplanung, • Entwicklungseingaben, • Entwicklungsergebnisse, • Entwicklungsbewertung, • Entwicklungsverifizierung, • Entwicklungsvalidierung, • Änderungsmanagement bei Entwicklungen. Diese Aspekte dienen hauptsächlich dazu, die Fehlerquote unter einer, durch eine Risikoabschätzung ermittelte, wirtschaftlich noch akzeptable Schadensgrenze zu halten. Auch die Kundenbelange werden dabei berück- sichtigt. In den Unternehmen werden die Qualitätsanforderungen sehr unter- schiedlich betrachtet. Die Kompromissbereitschaft sollte jedoch nicht auf „Bauchwerten“ beruhen, sondern differenziert bewertet und vollständig um- gesetzt werden. tentialSchadenspo bsicherungQualitätsazur eit Notwendigk =≡ Rendite Feld im Stückzahl eproduziert sikoSchadensri espotentiell ∗ wirtschaftliches Risiko Einzelteilpreis akzeptierter Kaufpreis S ch ad en sr is ik o Herstellstückzahl Abb. 1.20.5 Abhängigkeit des wirtschaftlichen Risikos von der Stückzahl: Der potentielle Schaden bzw. die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Qualitätssicherung nehmen pro- portional mit dem Schadensrisiko und der Stückzahl zu. Mit Zunahme der Rendite sin- ken beide. 128 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme Vor allem bei der Entwicklung eines Unternehmens, von hochpreisigen Einzelprodukten über Kleinserien hin zu wenig werthaltigen Serien oder Mas- senprodukten, sind vielfältige Veränderungen in der Strategie notwendig. Bei einschneidenden Veränderungen dieser Art sollte eine Absicherungsstrategie gegen Schäden eine zentrale Rolle einnehmen. 4. Produktionsgerechte Konstruktion: Die Herstellbarkeit der Produkte ist ent- scheidend für deren Erfolg. Die Qualitätsmaßnahmen prüfen diese Voraus- setzung zwar punktuell ab, sie sind jedoch nur eine „Notbremse“ für Versäum- nisse in der Konstruktion. Zudem führen sie zu keiner operativen Lösung, die Ergebnisse der Konstruktion herstellprozessgerecht, nachhaltig und kontinu- ierlich zu gestalten. Durch die zunehmende räumliche Trennung zwischen Produktion und Konstruktion ist das Wissen über die Anforderungen der Pro- duktion keineswegs standardmäßig vorhanden. Vielmehr muss ein systemati- scher Abgleich angestoßen werden, der sicherstellt, dass neue oder geänderte Produkte wie geplant produzierbar oder funktional sind. Der Begriff der Gem- ba-Orientierung (T. C. Ohno) bietet dazu eine einfache und effiziente Lösung. Die Konstruktion als Dienstleister (Servicelieferant) muss seinem internen Kunden, der Produktion, räumlich nahe sein. Das kann durch regelmäßige Termine vor Ort oder durch räumliche oder auch organisatorische Angliede- rung an die Produktion gewährleistet werden. (vgl. 1.16 Dezentrale schlanke Strukturen) 5. Entwicklungspartnerschaften – produktionsgerechte Konstruktion auf der Supply Chain: Die interne Wertschöpfung in der Industrie, vor allem bei grö- ßeren Unternehmen oder Konzernen, ist mittlerweile auf unter 40 % gesun- ken. Damit steigt die Notwendigkeit, die Lieferanten intensiv in den Produkt- entstehungsprozess einzubinden. Es reicht nicht mehr nur aus, den eigenen Herstellprozess optimal zu gestalten. Entscheidend für den Erfolg von Ent- wicklungspartnerschaften ist ein durchgängiger und langfristig angelegter gemeinsamer Entwicklungsprozess. Punktuelle Treffen reichen dazu nicht aus, vielmehr ist eine gleichberechtigte und nachhaltige Lieferantenbindung nötig. Derartige Konzepte müssen vertraglich in mehrjährig laufenden Liefe- rantenvereinbarungen fixiert sein und sollten Teil einer umfassenden Liefe- rantenentwicklungsstrategie sein (vgl. Kap. 4.5. Lieferantenmanagement und Lieferantenoptimierung). 6. Wertstromgerechte Konstruktion: Lange Jahre stand die Spezialisierung der Entwicklung und Konstruktion im Fokus. Dies war nötig, um in der rasanten Entwicklung der vielen Spezialdisziplinen nicht den Anschluss zu verlieren, d. h. dauerhafte Kompetenz zu erreichen. Durch die immer stärkere Unter- gliederung entstanden sehr viele Schnittstellprobleme und ein zunehmend geringes Verständnis für die Notwendigkeiten anderer Fachbereiche bzw. be- teiligten Unternehmen (vgl. Kap. 1 Babylon-Syndrom). Vor allem in größeren Unternehmen und bei komplexen Produkten oder Herstellprozessen werden große Potentiale verschenkt. Nicht die Spitzenleistung in einem Einzelgewerk 1.20 Produktions- und wertstromgerechte Konstruktion 129 beschreibt die Gesamtleistung gegenüber dem Kunden, sondern die gesamte Prozesskette – wobei z. B. auch die Entwicklung, die Verpackung (vgl. Kap. 3.6 Verpackung) und letztlich auch der Nutzen des Produktes beim Kunden betrachtet werden muss. In logischer Konsequenz treten mittlerweile immer häufiger Kleinunternehmen mit durchgängig interdisziplinären Lö- sungen im Wettbewerb sehr erfolgreich auf. Unter diesen Aspekten wird klar, dass Entwicklung und Konstruktion vor allem in größeren Unternehmen den gesamten Wertschöpfungsprozess und Wertefluss abbilden müssen. Sogar über Unternehmensgrenzen hinaus sollten die Anforderungsprofile aller Be- teiligten kontinuierlich berücksichtigt werden (s. Abb. 1.20.6). Bei der Verfol- gung der Vorgaben sollte vor allem auf Kontinuität geachtet werden. 7. An Anforderungsveränderungen orientierte Konstruktion (Zukunftsorien- tierung): Zunehmend werden bei der Produktplanung, basierend auf Kunden- oder Marktanalysen, Produkte oder Produkteigenschaften in der mittel- bis langfristigen Zukunft prognostiziert. Dadurch wird es für Entwicklung und Konstruktion (mit gewissen Unschärfen) möglich, ein Produkt zu entwerfen, das z. B. dem Markt in fünf oder zehn Jahren optimal entspricht. Die Verände- rung der anderen Einflussgrößen der Wertschöpfung, wird bei diesem meist vom Marketing- oder Vertrieb veranlassten Vorgehen vernachlässigt. Um eine zukunftsorientierte Ausrichtung eines Unternehmens mit der Methode der dynamischen Evolution zu erreichen (vgl. Kap. 1.19.4), kann für alle am Wert- strom beteiligten Bereiche und Unternehmen eine differenzierte und interdis- ziplinäre Prognose der Rahmenbedingungen ermittelt werden. Hierdurch wird es möglich, zukunftsweisende optimale Konzepte aufzustellen. LieferantUnter-lieferant Kunde € LeistungQS produktionsgerechte Konstruktionwertstromgerechte Konstruktion Zukunft LieferantLieferantUnter-lieferant Unter- lieferant KundeKunde € LeistungQS produktionsgerechte Konstruktionwertstromgerechte Konstruktion ZukunftZukunft Abb. 1.20.6 Elemente einer modernen Konstruktion: Aufgrund der steigenden Anforde- rungen bei der Produktentwicklung sollten alle Elemente abgedeckt werden, von der klassischen, über die produktions- und wertstromgerechte Konstruktion bis hin zu einer an den Anforderungsveränderungen orientierten Entwicklung. 130 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme 1.21 Kundenorientierung Philipp Dickmann Einer der stärksten Trends der letzten Jahrzehnte ist, neben der Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Kunden und Lieferanten, die fortschreitende Kundenorientierung in Unternehmen. Logistisch bedeutet dies die Anpassung der Anlagen und Belegschaft an die spezifischen Anforderungen der Märkte. Neben dem Preis ist heute die Flexibilität der Produktion vermutlich das ent- scheidende Merkmal, das in dem immer enger werdenden Weltmarkt über den Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens entscheidet. Ein Schlüssel, der hier maßgeblich wirkt, ist die Qualität der Prognosen. Es wird dabei ein an den rea- len Bedarf des Kunden angepasster Produktionsablauf angestrebt, ohne Ver- schwendung durch Überproduktion zu erzielen. Flexible, synchrone oder „atmende“ Produktion ist dabei die „Zauberformel“, welche es erlaubt, mit minimalen Puffern selbst kurzfristige Bedarfsspitzen des Kunden abzudecken. Diese vor einigen Jahren noch undenkbaren oder als nicht konkurrenzfähig eingestuften Konzepte sind heute im globalen Markt, auch in Hochlohnländern, erfolgreich im Einsatz. Auf diesem Weg sind gravierende Veränderungen der Produktions- und Logistikkonzepte notwendig, und mit dem Projektfortschritt werden noch viel umfassendere Maßnahmen als sinnvoll erkannt. Der Kunde verursacht zu einem gewissen Anteil Lieferprobleme auch mit, durch die Steue- rungs-, Informations- und Verbindlichkeitsstrategie, nach welcher er verfährt. Kundenorientierung ist daher ein Kommunikationsprozess. 1.21.1 Kundenorientierung in der Lieferkette Im modernen Produktionsumfeld ist die Fähigkeit, die tatsächlichen Bedürfnisse des Kunden abzubilden, ein entscheidendes Kriterium. Die Absatzmärkte haben sich vom Verkäufer- zum Käufermarkt entwickelt, und die Produktionsbedingun- gen müssen sich diesem Faktum anpassen [EHLE 96]. Hierzu gehört der Preis, aber auch die notwendige Lieferfähigkeit mit einer möglichst geringen Abruf- oder Wiederbeschaffungszeit. Der Servicegrad des Lieferanten ist sowohl von der inter- nen Struktur, dem kooperativem Umgang gegenüber dem Kunden und hauptsäch- lich von den produktionstechnischen, logistischen und einkaufsrelevanten Grund- lagen des Produktionsablaufs abhängig. In vielen Fällen sind im internationalen Preiskampf die Preisunterschiede bzw. die tatsächlich durch Verhandlung erziel- bare Reduzierung des Einkaufspreises nur sehr gering. Größere nachhaltige Preis- reduzierungen werden vor allem durch einen Lieferantenwechsel zu einem Unter- nehmen mit effizienteren Strukturen erreicht. Kleinere Unternehmen haben hier beispielsweise Vorteile, aufgrund ihrer geringeren Gemeinkostensätze. Bei einem Lieferantenwechsel können jedoch Logistikkonditionen, wie Änderungen der Transportstrecke, der Verpackung, höhere Lagerreichweiten, Veränderung der 1.21 Kundenorientierung 131 Losgrößen, höhere Durchlaufzeiten und Qualitätskosten, den einfachen kauf- männischen Vorteil ohne weiteres kompensieren. Professionelles Management der Flexibilität nimmt folglich ein sehr zentrales Thema in der modernen Produk- tion und im Materialfluss ein. 1.21.2 Das neue Entscheidungskriterium heißt Flexibilität „Konventionelle Organisationsstrukturen sind überfordert: Sie verursachen bei stärkerer Kundenorientierung höhere Kosten und stellen damit den Unterneh- mensbestand in Frage“ [EHLE 96]. Produktlebenszyklen oder Änderungszyklen werden stetig kürzer, auch wenn das stellenweise technisch und betriebswirt- schaftlich nicht immer sinnvoll ist. Der Kunde will möglichst keine Verbindlich- keit eingehen. Längst sind die Zeiten vorbei, in denen man durch die Erhöhung der Maschinenlaufzeiten einen Kostenvorteil erzielen konnte und der Kunde für eine kleine Preisreduzierung eine Abnahmeverpflichtung von Halbjahresmengen gerne in Kauf genommen hat. Im „Lieferantenzirkus“ etablieren sich zunehmend auch in Hochlohnländern Firmen, die mit Methoden wie Low Cost Intelligent Automation (LCIA) im One-piece-flow (OPF oder 1PF) Teile herstellen und Just- in-sequence (JIS) anliefern. Diese Anbieter unterbieten dabei ganz nebenbei im Preis auch Billiganbieter auf dem Weltmarkt und dies bei Produkten, die vieler- orts als in Europa nicht mehr konkurrenzfähig produzierbar gelten. Maschinen, die eine hohe Amortisationszeit benötigen, sind von Nachteil, da sie die Flexibili- tät lähmen und das Produkt mit hohen Gemeinkosten belegen (vgl. 1.8 LCIA). Tech- nisch hoch entwickelte Anlagen mit langer Amortisationszeit sind nur dann sinnvoll, wenn die Eigenschaften des Produktes nur durch diese Anlage erreicht werden kön- nen. One-piece-flow mit minimalen Kosten zu erreichen, benötigt eine fundierte und langfristig geplante Umsetzung. In vielen Firmen sind schon bestehende Anlagen (zu hohen Investitionssummen) vorhanden, die sich erst noch amorti- sieren müssen. Umstrukturierungen, welche die Vorrausetzungen für tatsächli- ches JIT sind, können daher häufig erst langfristig sukzessiv erfolgen. Es stellt sich die Frage, welchem minimalen Takt die Anlagen genügen müssen, um für den Kunden das Risiko zu reduzieren bzw. den Kundenbedarf optimal abzubil- den (s. Abb. 1.22.2). Folgende Faktoren sind entscheidend, um den Kundentakt optimal zu erfüllen: • Transportwege, Lagerreichweiten, Lagerkosten und Sortierkosten • Änderungshäufigkeit • Realer Kundentakt • Prognosegüte und Prognoseverbindlichkeit des Kunden • Durchlaufzeit, Rüstzeiten des eigenen Produkts • Pufferreichweiten auf der Materialkette. 132 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme 1.22 Vertriebsqualität – Prognose Philipp Dickmann Die realen, z. B. saisonalen, Bedarfsveränderungen müssen sehr exakt ermittelt werden. Entscheidend ist, die vom Markt geforderte Flexibilität zu erreichen, jedoch werden Strategien, die versuchen, diese Forderungen zu umgehen, immer seltener akzeptiert. Eine Ausnahme sind Billiganbieter, die mit enormen Preis- vorteilen „locken“, so dass der Kunde in machen Fällen sein Anforderungsprofil anpasst. Die Bedarfszahlen des Kunden unterliegen verschiedenen Einflüssen. Planungen, Rechenfehler von MRP-Systemen, kalendarische Effekte, Bedarfs- kumulationen, Sicherheiten, etc. täuschen der realen Produktionswelt des Liefe- ranten Schwankungen vor, die tatsächlich in der Produktion des Kunden nicht auftreten. Dieser Effekt nimmt über die Anzahl der Produktionsstufen enorm zu und wird Peitscheneffekt genannt (vgl. 2.1. Ruhiger kontinuierlicher Material- fluss). Um einen kontinuierlichen, ungestörten Produktionsfluss zu realisieren, können die Schwankungen z. B. mit kleinen Puffern gedämpft bzw. entkoppelt werden. Es ist deshalb notwendig, sich über verschiedene Kunden-Ebenen hin- weg, mit möglichst vielen Informationen über die Entwicklung des realen Verbrauchs zu versorgen. Diese müssen dann mit dem tatsächlichen Profil abge- glichen werden. Im kooperativen Gespräch mit dem Kunden sollte zudem die Prognosegüte immer wieder kritisch hinterfragt werden, mit dem Hinweis, dass diese Daten die Basis für die maximal mögliche Lieferqualität bilden. 1.22.1 Überproduktion und Kundentakt Die Bedarfszahlen je Variante, bezogen auf einen Zeitraum und auf eine Produk- tionseinheit werden als Kundentakt bezeichnet. Hierunter versteht man den Mix und die Stückzahlen, die der Kunde in einer Zeiteinheit benötigt. Die Produk- tionssteuerung sollte bestrebt sein, diese Schlagzahlen möglichst exakt, abzubil- den. Überproduktion ist die Menge an Produkten, die produziert wird, obwohl der Kunde sie zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht braucht. Sie lässt sich je nach Zeithorizont, in dem der Kundentakt abgebildet wird, an den dynamischen Puf- fern erkennen. Die Überproduktion ist eine der drei wesentlichen Verschwen- dungsarten nach TPS (siehe Tabelle 1.22.1), die es zu eliminieren gilt. Tabelle 1.22.1 Die drei Mu: [Ohno 78]: Die drei wesentlichen Verschwendungsarten des Toyota Produktionssystems Muda Verschwendung Mura Unausgeglichenheit Muri Überlastung 1.22 Vertriebsqualität – Prognose 133 Die Messgrößen für die Überproduktion sind zum einen die Puffer und zum an- deren die Zeiteinheiten in denen der Kundentakt abgebildet wird (s. Abb. 1.22.1). Die Zeithorizonte, die unter wirtschaftlichen Konditionen möglich sind, haben sich in den letzten Jahren von Halbjahren hin zu einem Kundentakt von einem Tag oder sogar zu stückgenauer Lieferung (One-piece-flow) entwickelt. Die Mehrheit der Unternehmen in Europa hält diese Werte heute noch für unglaubhaft, bezeich- net sie sogar als unfundiert oder als reine Marketingaussagen. Trotzdem ist nicht zu ignorieren, dass in verschiedensten Branchen, wie im mehrstufigen Fertigungs- Abb. 1.22.1 Vergleich von konstantem Produktionstakt und „atmender Produktion“: Ein konstanter Produktionstakt (oben) basiert auf kapazitätsorientierten Philosophien. Die Produktionskapazität ist starr, Kundenschwankungen werden mit Puffern abgebildet. Analog zu einer Pipeline mit konstantem Durchmesser wird ein konstanter Fluss erzeugt. In der atmenden Produktion (unten) wird der Kundentakt in Kapazität abbildet. Von jedem Produkt wird die nötige Tagesmenge oder auch das Every part every intervall (EPEI, in diesem Fall EPEI = 1) produziert (vgl. Kap. 3.3.4), d. h. der Kundenbedarf tages- genau abgebildet. Dies ist vergleichbar mit einem elastischen „Gartenschlauch“, der sich flexibel Kundenbedürfnisse anpassen kann. 134 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme sektor, in komplexen Montagen oder Gießereien dieser Level zu international konkurrenzfähigen Konditionen umgesetzt wird. Folgende Probleme müssen zunächst behoben werden, um die Überproduktion zu reduzieren: • Schlechte kurzfristige Prognosedaten bzw. Kundendaten • Hohe oder stark schwankende Durchlauf- oder Produktionszeiten • Kapazitätsprobleme im Produktionsablauf • Hohe Anzahl an Maschinenstörungen • Qualitätsprobleme Abb. 1.22.2 Vergleich von entkoppelter Produktion und Produktion im Kundentakt: Bei der vom Kundentakt entkoppelten Produktion werden die unterschiedlichen Varianten z. B. im Wochentakt (oben) hergestellt. Der Puffer im Lager pro Variante muss so groß sein, dass der Bedarf des Kunden so lange gedeckt ist, bis sie wieder nachproduziert wird. Bei der Produktion im Kundentakt (unten) wird von jeder Variante nur die vom Kunden benötigte Tagesmenge (im Tagestakt) produziert. Die Puffermenge (Verschwendung) wird hier um den Faktor 3 reduziert (3 Varianten). Verschwendung kann durch zeitnahes Abbilden des Kundentakts vermieden werden. 1.23 Neue Ansätze zur Vermittlung moderner und schlanker Produktionsmethoden 135 • Zulieferengpässe • Hohe Rüstzeiten und Produktionsfreigabezeiten • Große Losgrößen • Störungen und kurzfristige Sonderaktionen • weitere. 1.22.2 Kundenorientierte Unternehmensstrukturen Um eine hohe Kundenorientierung zu erreichen sind, vor allem klein- und mittel- ständische Unternehmen prädestiniert. Die klassisch arbeitsteiligen Strukturen der Konzerne haben sich aufgrund der enormen Hierarchieebenen, Arbeitsteilig- keit in Fachabteilungen und letztlich durch die soziale und räumliche Distanz in Bezug auf Informationsfluss, Kommunikation sowie Entscheidungsfähigkeit als vergleichsweise träge erwiesen. Eine Restrukturierung mit Dezentralisierung, striktem Splitting in eine Matrix-Struktur und einer möglichst räumlich dezen- tralisierten, kundenbezogenen Struktur stellt ein sehr effektvolles Werkzeug dar, um auch bei größeren Unternehmen ähnlich gute Abläufe zu erreichen. 1.23 Neue Ansätze zur Vermittlung moderner und schlanker Produktionsmethoden Philipp Dickmann Produktivität, optimale Prozesse oder schlanker Materialfluss spielen für Unter- nehmen im Wettbewerb eine entscheidende Rolle. Doch wie kommen diese Kompetenzen in die Unternehmen? Die klassische Mitarbeiterschulung ist hier sicherlich ein gängiger Weg, jedoch bieten wenige Großkonzerne in Europa in ihren Standard-Schulungskatalogen Seminare in Kaizen, Poka Yoke oder Kan- ban an. Der Einsatz von Unternehmensberatern ist ein anderer, häufig ange- wandter Ansatz. Die Konzepte der Lean Produktion beispielsweise benötigen Jahre des konsequenten Vorantreibens, um annähernd den vollen Erfolg nutzen zu können. Berater werden jedoch vielfach beschränkt für mittelfristige Projekt- zeiträume eingesetzt. Ein kontinuierlicher Wechsel der Beratungsunternehmen ist zudem gängig, womit immer neue, möglichst große Potentiale ausgeschöpft werden sollen. Eine nachhaltige Projektumsetzung ist damit in vielen Fällen kaum zu erreichen und die Penetration der Systeme endet lange vor dem Errei- chen der möglichen Effizienz. Es existieren aber auch andere Möglichkeiten diese Themen zu vermitteln, bzw. sich anzueignen. Das Wissen gelangt etwa durch Jungakademiker in die Unternehmen. Erfahrungsberichte oder wissenschaftliche Fachbücher sind eine weitere gängige Methode. Ein ungewöhnlicher Ansatz sind Bücher, die die Themen satirisch oder in Romanform vermitteln. In Japan ist Fernsehen eine sehr verbreitete Quelle, um hoch entwickelte Lean Beispiele zu 136 1 Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme übermitteln. Verschiedene Veranstalter bieten eine in den letzten Jahren enorm gewachsene Anzahl an Seminaren an, wobei einige ungewöhnlich effiziente An- sätze hervorzuheben sind. Für die Vermittlung der komplexen Wirkungsweise von Just-in-time oder Lean-Philosophien sind vergleichende Simulationsspiele der Abläufe in der Produktion ein hervorragendes Tool. Ein weiterer Ansatz, der besseres Verständnis für die Details der Problemstellungen vermittelt, sind Se- minare, die in der realen Umgebung, in der Gemba, stattfinden. Hochschulen Viele Hochschulen und Universitäten stellen ihren Studenten heute, auch in dem Themenbereich der schlanken Produktion, eine hochkarätige Ausbildung zur Verfügung. Die Studenten bekommen in Vorlesungen und in Seminaren Inhalte vermittelt, die Beratungsunternehmen an anderer Stelle gleichzeitig als top-aktu- elles Know-how in Seminaren anbieten. Ein gutes Beispiel ist das Produktions- Planungs- und Steuerungs-Praktikum (PPS-Praktikum) des Instituts für Werk- zeugmaschinen und Betriebswissenschaften (iwb) der Technischen Universität München [Zäh 04c]. Begleitend zur Vorlesung wird hochwertiges Know-how zum Thema PPS und Kanban vermittelt und in einem Training mit realem Hinter- grund eingeübt. Die Studenten simulieren wesentliche Problemsituationen, be- zogen auf eine reale Produktion der Produktgruppe Retarder, der Voith Turbo AG. Die Übungssituation wird abschließend mit der Realität der Produktion mit den tatsächlichen Lösungen abgeglichen. Ergänzend werden in einem Spiel die detaillierten Vorteile von schlanker Produktion und Kanban vom Institut für Produktionstechnik (ifp) vermittelt. Bücher Die Inhalte der schlanken Produktion werden in zahllosen Fachbüchern vorge- stellt. Ungewöhnlicher ist der Ansatz, die Thematik etwa in Romanform anzu- bieten, wie in „Das Ziel – Höchstleistung in der Fertigung“ von Eliyahu M. Goldratt und Jeff Cox [Gold 84]. Die beiden renommierten Autoren beschreiben die Geschichte eines Fabrikleiters, dem im Kampf um den Fortbestand seines Unternehmens die Methoden der schlanken Produktion zur Rettung wurden. Das Buch hat damit den klassischen Weg beschrieben, wie viele Unternehmen zu diesem Thema finden. Ein weiteres ungewöhnliches Beispiel ist das aktuelle Buch „Der Weg – Effizienz im Büro mit Kaizen – Methoden“ von Sabine Leikep und Klaus Bieber [Leik 04]. In der Rolle des Beobachters erlebt der Leser in Ro- manform die alltäglichen Unzulänglichkeiten des Bürolebens. Ganz nebenbei wird ihm eine höchst wirksame, von Kaizen abgeleitete Methode zur Steigerung der Effizienz im Büroumfeld vermittelt. In vielen Unternehmen wird im direkten Produktionsbereich ein sehr hoher Aufwand zur Effizienzsteigerung betrieben, in indirekten Bereichen wird dieses Potential vielfach noch vernachlässigt. Das Konzept des „Lean Office“ trägt der Tatsache Rechnung, dass in den indirekten Bereichen heute der Großteil der Personalkosten und damit der Optimierungs- potentiale insgesamt zu finden sind. Der Hauptdarsteller, ein Gruppenleiter im 1.23 Neue Ansätze zur Vermittlung moderner und schlanker Produktionsmethoden 137 Vertrieb eines Automobilzulieferers, schafft es mit verschiedensten Elementen des Kaizen „Papierschluchten, Suchzeiten, hohe Durchlaufzeiten, Engpässe und Doppelarbeiten dramatisch zu reduzieren“. Er findet nicht nur „Schätze“ und erhöht die Effizienz, sondern initiiert auch noch mehr Spaß an der Arbeit. Fernsehen In Japan ist es in größeren Unternehmen weit verbreitet, den Mitarbeitern in „Pausenräumen“ mittels Fernseher neue Entwicklungen des Unternehmens, aber auch allgemeine Neuheiten im Produktionsbereich zu vermitteln. In Euro- pa ist dies nur selten üblich. So ist es in Japan auch gängig zur Prime Time, also den Haupteinschaltzeiten des Fernsehens, über spezielle Themen aus dem Be- reich Lean in einer an Gemba-orientierten Form zu berichten. Spiele Das Institut für Produktionstechnik (ifp) vermittelt in Seminaren seit über zehn Jahren mit einem Planspiel die Unterschiede zwischen Pull- und Push-Kon- zepten. Vor allem produktionsfremde Fachbereiche oder zentrale Funktionen, die auch räumlich weit weg von der täglichen Wertschöpfung liegen, können so sehr einfach und spielerisch an das Zusammenspiel der Gesamtthematik, sowie die Vor- und Nachteile von verschiedenen Steuerungsmethoden herangeführt werden. Diese Schulungsmethode für JIT oder Kanban ist heute weit verbreitet, wenngleich sich die Spiele natürlich in den letzten Jahren weiterentwickelt haben. Training und Seminare in realer Umgebung In den letzten Jahren werden neuartige Seminare zum Thema „Schlanke Produk- tion“ angeboten, die von der gängigen Methode der Frontalpräsentation im Hör- saal abweichen. Die Themen werden mittels eines umfangreichen Musteraufbaus in einer realen Umgebung live mit physischen Abläufen „zum Anfassen“ vorge- stellt. Die Präsentation findet am „lebenden“ Objekt statt, also nicht als typische, sterile Präsentation im Hörsaal. Komplexe, interdisziplinäre Details, z. B. von Lo- gistikabläufen oder der Kopplung interner und externer Lieferketten, werden we- sentlich leichter nachvollziehbar. Die Seminare z. B. der Lean Factory [Leon05] finden angelehnt an den Gedanken der Best Practice in einem original kopierten Produktionsbereich der Bosch Rexroth AG statt. Im realen Produktionsumfeld werden mit einer ungewöhnlichen Umsetzungstiefe die vollständigen Produk- tionsabläufe von Wertstromdesign, eKanban, Einzelstückfertigung, Anbindung von Vorfertigung und Lieferanten, Supermarktprinzipien, Materialbereitstellung, Heijunka-Steuerung, flexible Entgeltsysteme und Kennzahlensysteme im realen Produktionsumfeld, also der Gemba, wirklich „erlebt“. Zusätzlich können die Teilnehmer die Arbeitsweise auch mit der laufenden Produktion zweier benach- barter Produktionsstandorte vergleichen. Hier wurde ein gravierender Wandel vom klassischen Seminar hin zur lebendigen Vermittlung der Inhalte am Objekt vollzogen. 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban In vielen Unternehmen werden heterogene (verschiedene) Steuerungen in einem abgestimmten Konzept kombiniert. Je nach Anwendungsfall und Rahmenbedin- gungen werden Kombinationen allgemein bekannter Steuerungen oder Steue- rungsvarianten gemischt eingesetzt, um eine optimale Steuerung für unter- schiedliche Fälle zu erreichen. Hierbei stehen neben den bekannten und weit verbreiteten Methoden, wie Material Requirements Planning (MRP) oder Kan- ban, auch weniger bekannte oder neue Methoden zur Auswahl, wie die Produkti- onssteuerung mit dezentraler, bestandsorientierter Fertigungsregelung (DBF). Kanban ist ein simples und effizientes Steuerungskonzept, das in der klassischen Form für spezifische einfache Anwendungsfälle umsetzbar ist. Hochentwickelte Steuerungsalgorithmen können helfen, komplexe Abläufe optimal abzubilden. Mit einer grundlegenden Vereinfachung der Abläufe kann allerdings in vielen Fällen ein wesentlich stärkerer und umfassender Verbesserungseffekt erzielt werden. Die wesentliche Fragestellung sollte folglich lauten: Warum ist der Ab- lauf nicht mit einer einfachen Steuerung wie Kanban abzubilden? Um die Vortei- le des Konzepts auch in untypischen Bereichen anwenden zu können, sind jedoch verschiedene Varianten oder Kanban-ähnliche Steuerungsmethoden ent- standen. Darüber hinaus sind in der Praxis hybride Steuerungen im Einsatz, welche so kombiniert werden, dass die Zusammensetzung anspruchsvolle Eigen- schaftsbilder noch exakt abbildet. In der Praxis basieren die Steuerungsentschei- dungen nur zu einem kleinen Teil auf den eigentlichen Steuerungsalgorithmen, wie sie uns das MRP-System zur Verfügung stellt. Moderne „Steuerungswelten“ schließen alle relevanten Informationsquellen in eine heterogene Entscheidungs- matrix mit ein. Letztlich zählt nicht, ob die Entscheidung auf den Informationen aus dem MRP-System oder auf Softfacts basierend getroffen wurde, sondern nur, ob die Entscheidung erfolgreich war. 2.1 Ruhiger, kontinuierlicher Materialfluss Philipp Dickmann „Nicht Effizienz oder Wirtschaftlichkeit, entscheidet wie wir in Unternehmen arbeiten, sondern der Zeitgeist.“ Diese sehr provokante, pauschalisierte und 140 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban emotionale Behauptung überspitzt die Tatsache, dass Veränderungen in Unter- nehmen sehr träge umgesetzt werden und sich zu einem großen Teil an gängi- gen Vorgehensweisen oder Marktstandards orientieren. Die Ursache ist darin zu sehen, dass mit betriebswirtschaftlichen oder mathematischen Mitteln nur auf- wendig zu ergründen ist, welche Effekte den Materialfluss positiv oder negativ beeinflussen. Wie jeder Fliessprozess, weist auch der Materialfluss enorme Komplexität und interdisziplinäre Zusammenhänge auf. Tatsächlich sind die wesentlichen Regeln oder Rahmenbedingungen im täglichen Leben allgegenwär- tig. Ein Perspektivenwechsel, in dem der Materialfluss aus Sicht des Materials betrachtet wird, erleichtert das Verständnis der Zusammenhänge. Viele der Phänomene lassen sich sehr gut mit der Perspektive eines Autofahrers im Stra- ßenverkehr vergleichen. Abläufe und im Speziellen Materialflussstörungen sind hierzu sehr gut übertragbar. Die Wirkungsweise wesentlicher komplexer Phä- nomene und Regeln für effizienten Materialfluss sind dadurch einfach verständ- lich: etwa Staus und longituditionale Schwingungen, das Ziel des ruhigen und kontinuierlichen Flusses etc … 2.1.1 Regeln für einen kontinuierlichen und störungsfreien Materialfluss Staus und longituditionale Schwingungen Jedermann sind Stauphänomene aus dem Straßenverkehr vertraut. Im Trichter- modell [Wien 97], bei dem der Engpass die gesamte Geschwindigkeit des Mate- rialflusses bestimmt, ist dies leicht nachvollziehbar. Ebenso kennen wir den Zusammenhang, dass die erreichbare maximale Durchschnittsgeschwindigkeit Abb. 2.1.1 Staus und longituditionale Schwingungen: Die Durchschnittsgeschwindigkeit ist bei einer Geschwindigkeitsregelung deutlich höher als bei ungeregelter Steuerung. 2.1 Ruhiger, kontinuierlicher Materialfluss 141 an der Engpassstelle im Durchschnitt nicht erreicht wird. Vielfältige Effekte oder Störgrößen verursachen longituditionale Schwingungen. Durch Stop-and-go liegt die tatsächliche Geschwindigkeit, vor einer Staustelle, unter der Geschwin- digkeit die die Engpassstelle zulassen würde. Verkehrsleitsysteme im Straßen- verkehr und Steuerungssysteme in der Produktionssteuerung, etwa mit kapa- zitätsorientierten Konzepten, verfolgen die gleichen Lösungsansätze. Diese Systeme können helfen, die Krise oder den Stau zu beheben. Grundlegende Lö- sungen benötigen jedoch, wie beim Materialfluss, andere Ansätze, etwa straßen- bauliche Maßnahmen oder Optimierung von Zugriffszeiten von Einsatzkräften etc. Zur Analyse der Probleme werden in beiden Fällen ähnliche Methoden an- gewandt: Simulation oder statistische Methoden, unterstützt durch physische Tests (vgl. 2.14 Valuecycle Optimizing). Krisenmanagement im Tagesgeschäft, Tabu oder Wirtschaftsfaktor? [Dick 08] Das Managen von kurzfristigen Veränderungen und Störungen nimmt in vielen Unternehmen den größten Teil des Tagesgeschäfts ein. Davon betroffen sind alle Fachabteilungen, die mit dem Materialfluss in Berührung kommen, wobei alle Maßnahmen als unabwendbare Notwendigkeit betrachtet werden. Dennoch handelt es sich um Krisenmanagement, das durch systematische strategische Planung der Flexibilität, dem Einsatz von Lean und Reduzierung der internen und externen Störgrößen weitgehend vermieden werden könnte. Unternehmen schätzten auf Anfrage den Anteil des Krisenmanagements am Tagesgeschäft im Durchschnitt auf 10 % ein. Der Aufwand für das Beheben von Störungen und kurzfristigen Änderungen wurde dagegen mit über 60 % angege- ben (Umfrage [Lepr 07]). Die mangelnde Erkenntnis, dass es sich beim täglichen „Rudern gegen den Strom“ um Krisenmanagement handelt sowie die Tabuisierung des Begriffes Krisenmanagement 10% Rest 40% Nicht erkanntes Krisenmanagement: z.B. Nachtelefonieren nach Teilen 50% Abb. 2.1.2 Krisenmanagement in der Beschaffung [Lepr 07]: Über 50 % der Zeit in der Beschaffung der Unternehmen wird mit dem Beheben von Störungen (z. B. Nachtelefo- nieren von fehlendem Material, kurzfristigen Sonderaktionen) verbracht. 142 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban verhindern das Einleiten von Verbesserungen. Der Begriff Krisenmanagement ist negativ behaftet und wird oft dazu missbraucht, Machtverhältnisse zu gestal- ten und abzusichern. Der „Krisenmanager“ kann einerseits als unverzichtbarer „Rettungsanker“ oder andererseits als „unfähiger Manager“ in einer manipula- tiven Rolle fixiert sein. Bevor sich ein Unternehmen dem Thema „Reduzierung des Krisenmanagements“ stellen kann, ist meist ist ein strategischer Umdenk- prozess nötig. Ruhiger, kontinuierlicher Fluss – Theory of Constraints [Gold 84] Das Ziel der Materialflussteuerung ist es, einen getakteten Materialfluss ohne Kapazitätsengpässe zu schaffen. Kapazitätsengpässe haben vielfältige negative Auswirkungen. So kann Krisenmanagement einen Großteil der Kapazität in Unternehmen einnehmen und zu fehlender Transparenz, zunehmender Kom- plexität und unnötig hohen Kosten führen. Zur Beseitigung stehen präventive Maßnahmen im Vordergrund, wie Spitzen der real benötigten Kapazität zu ana- lysieren, zu hinterfragen und die Kapazität der notwendigen Maschinen, des Lagers und des Personals anpassen. Das Ziel muss ein kostenoptimaler, konti- nuierlicher und ruhiger Fluss sein. Lean Automation – Flexible, einfache Hardware Flexibilität bestimmt zunehmend die Chancen am Markt. Nicht immer ist eine hohe Automation die wirtschaftlich und strategisch günstigste Lösung, auch nicht in Hochlohnländern. Viele hoch automatisierte Anlagen haben sich wegen der zu hohen Komplexität, der entsprechend hohen Fehlerrate oder des hohen Wartungs- oder Änderungs- aufwands als „eiserne, unflexible Ungetüme“ erwiesen. Vor allem Anlagen mit hohem Investitionsbedarf fordern auslastungsorientierte Arbeitsweisen. Mit der Forderung nach 100 % Auslastung wird angestrebt, die Amortisationszeit zu verkürzen, um das Investitionsrisiko zu verringern. Ein Mittel dazu ist die Bil- dung großer Losgrößen, um die Rüstzeiten zu minimieren. Jede Flexibilität geht verloren. Verschwendung durch Überproduktion entsteht Als Alternative wird in der Regel die Verlagerung oder die Beschaffung aus Niedriglohnländern an- gesehen. Viele Branchen die scheinbar in Hightech-Produktionsländern nicht mehr wettbewerbsfähig produzieren können, wandern ab. „Billiglohn“-Produkte bringen andererseits, z. B. im Bezug auf die vom Kunden geforderte Flexibilität, teils hohe Nachteile mit sich. Die Produkte werden meist in großen Losen gefer- tigt und in großen Gebindemengen, mit extrem langen Transportwegen und -zeiten beschafft. Befinden sich die gossen Materialmengen erst einmal in der Lieferkette sind sie fixiert und damit kaum zu verändern. In der Summe kann dies eine 10 bis 50 fache Reichweite und Wiederbeschaffungszeiten (z. B. von mehr als einem Jahr) verursachen. Änderungen (z. B. Nacharbeiten) oder Son- dertransporte (z. B. Luftfracht) können hier sehr leicht die Kostenvorteile über- kompensieren. 2.1 Ruhiger, kontinuierlicher Materialfluss 143 Der Ansatz von Lean Intelligent Automation ermöglicht es lokalen Anbietern, im Wettbewerb mit gleichen oder geringeren Preisen, hoher Qualität, Just-in- sequence und hoher Flexibilität bei Bedarfsveränderungen zu bestechen. Ausge- hend von der japanischen Automobilindustrie hat sich ein Gegentrend die Lean Automation (= Low Cost Intelligent Automation, vgl. Kap. 1.8) etabliert. Dabei wurde das Konzept von intelligent kombinierten Low Cost-Anlagen mit Rüst- zeitoptimierungen (nach dem Toyota Produktionssystem) und flexibler Pro- duktion weitergetrieben. Große Anlagen werden durch mehrere, billigere und wesentlich flexiblere Anlagen ersetzt. Vorteil dieser Anlagen sind neben der ge- ringen Investition kürzere Amortisation, höhere Flexibilität und die Möglichkeit, den Kundenbedarf in sehr kleinen Losgrößen darstellen zu können. Die Rüstzeit dieser Maschinen ist deutlich kürzer, wodurch sich der Anteil der Nebenkosten in den Herstellkosten verringert. Durch den wesentlich geringeren Invest sinkt die Amortisationszeit, das Risiko der Investition reduziert sich erheblich. Der Maschinen- und Anlagenpark bestimmt nicht mehr maßgeblich die Kosten. Ein- fachere Anlagen und selbstgebaute Vorrichtungen lassen kurzfristige und kos- tengünstige Änderungen zu. Unkalkulierbare Bedarfe, wie z. B. häufig beim Serienanlauf neuer Produkte, werden kundengerechter lösbar. Anstelle hoher Investitionen mit hohem Risiko werden vorhandene kleine Anlagen kurzfristig vervielfältigt. Nach einer mittelfristigen Umstrukturierung des Anlagenparks und der Produktionsmethode ist es möglich auch für Hochlohnländer längst „verloren geglaubte“ Produkte rentabel zu produzieren. Basierend auf diesem Prinzip etabliert sich aktuell eine ähnliche aus Japan stammende Methode der logistischen Abwicklung – Lean Intelligent Logistics (vgl. Kap. 2.2.5) Freikapazität Der Preisunterschied zwischen hoch automatisierten Anlagen und einfachen Maschinen ist in der Regel so gravierend, dass für einen Automaten eine größere Zahl an Maschinen beschafft werden kann. Die Folge ist, dass bei gleichem Out- put ein Teil der Maschinen frei bleibt. Es muss nicht mehr im Voraus produziert werden, um Kapazitätsspitzen abzudecken, da diese Freikapazität die Möglich- keit bietet, dies auszugleichen. Typisches Beispiel sind große Waschmaschinen in der Fertigung, die durch kleine Waschmaschinen für ein Werkstück direkt beim folgenden Produktionsprozess ersetzt wurden. Freikapazitäten von Anla- gen werden wirtschaftlich vertretbar und Staus im gesamten Netz des Material- flusses werden reduziert. Die Erfahrung zeigt, dass neben dem kontinuierliche- ren Fluss wegen der enormen Einsparung an Investitionen deutlich geringere Produktionskosten erreicht werden können. Snowball-Effekt Störungen und Engpässe führen zu einem Snowball-Effekt. Eine Störung verur- sacht Ausweichstrategien und damit das Umwerfen von mehreren anderen Pro- duktionsaufträgen. Damit vervielfältigt sich das Problem in einer Kettenreaktion. 144 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban In der Folge sind die Bedarfstermine der darunter liegenden Produktionsebenen ebenfalls betroffen. Es kommt zu einer erneuten Vervielfältigung der Störung, usw. Kaum ein Steuerungssystem mit automatischen Regelkreisen kann die Fortpflan- zung dieser Unzulänglichkeiten aufhalten, die durch manuellen Eingriff oder un- geplante Störungen entstehen. Nur umfassendes manuelles Management kann dies stoppen. Der Snowball-Effekt ist sehr plakativ bei Serienanlaufproblemen zu erkennen. Durch etwa Qualitätsprobleme eines Lieferanten türmen sich einerseits Berge an Material, andererseits kommt es zu enormen Bedarfsspitzen. Der Effekt beeinflusst dabei aber alle anderen angebunden Lieferanten, die eigene Produktion und gegebenenfalls auch den Kunden. Flexibilitätsparadoxon Das „Durchlaufzeitsyndrom“ [Kand 99] fordert Algorithmen in ERP-Systemen, die schwankende Durchlaufzeiten abbilden können. Dadurch soll eine Verbesse- rung erzielt werden bei der Abbildung der Realität. Schwankende Durchlaufzei- ten sind nicht die Ursache, sondern die Folge von Engpassmanagement oder anderen Störungen. Es wird dabei letztlich versucht, die Ursache auf der organi- satorischen Ebene, durch die exakte Abbildung der Auswirkung, zu beheben. Das Flexibilitätparadoxon setzt an der „Wurzel des Problems“ an. Durch wachsende Durchlaufzeiten steigt die Gefahr, dass Aufträge bei Sonderaktionen oder Stö- rungen nicht fertiggestellt werden können und warten müssen. In der Folge ent- steht ein Stau. Die Korrelation zwischen der Durchlaufzeit und der notwendigen Flexibilität ist entscheidend für das Maß der Störungsanfälligkeit des Material- Abb. 2.1.3 Snowball-Effekt: Durch den Snowball-Effekt vervielfältigen sich Störungen in allen Richtungen im Materialfluss und führen in einer Kettenreaktion zu einer Vielzahl neuer Störungen. 2.1 Ruhiger, kontinuierlicher Materialfluss 145 flusses. Flexibilität wird als Puffer auf der Zeit- oder Bestandsachse bzw. Kapazi- tät in Anlagen und Mitarbeitern interpretiert. Mit Zunahme der Flexibilität wer- den der Snowball-Effekt, das Durchlaufzeitsyndrom und die Problemstellung der minimalen wirtschaftlichen Losgröße gleichermaßen behoben. Da die Zielset- zung von Materialfluss ist, möglichst minimale Puffer vorzuhalten bzw. in der Folge hohe Flexibilität zu erreichen, gilt es den „Break Even“ der Flexibilität, also das Flexibilitätsparadoxon zu finden und mittelfristig ein Optimum zu erreichen. Peitschen- oder Bullwhip-Effekt Ein weiterer Effekt, der einem kontinuierlichen, ruhigen Materialfluss entgegen wirkt, ist der Peitscheneffekt, engl. Bullwhip-Effekt (s. Abb. 2.1.4) [Forr 61]. Er wird durch Schwankungen in der Produktionsplanung verursacht und ver- stärkt, die u. a. folgende Ursachen haben können: • Bestandsabbau und -aufbau (z. B. am Geschäftsjahresende, durch Urlaubszeiten etc.) • Bestandsschwankungen aufgrund konstanter Durchlaufzeiten [Lödd 05] • dezentrale Absatzplanung ([Lee 97; Lee 97b]) • zentrale Produktionssteuerung • Änderungshäufigkeit der Prognose bzw. Planung • Abweichungen der Prognose vom erreichten Wert • Änderungen von Aufträgen nach Auftragsfreigabe • Anzahl der Planungsebenen • Losbildung ([Lee 97; Lee 97b]) • Preisschwankungen ([Lee 97; Lee 97b]) • Überbestellung bei Lieferengpässen ([Lee 97; Lee 97b]) Abb. 2.1.4 Der Peitscheneffekt (Bullwhip-Effekt) führt zu Stop-and-go bei den Lieferanten. 146 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban • Bestandsschwankungen bei Änderungen • Kapazitätsrestriktionen [Lödd05] • physikalische Fehlerbehaftung von ERP-Daten bzw. mangelnde Datenpflege in ERP-Systemen • hohe Komplexität und Vielfalt an angewandten Parametern in ERP-Systemen • Kumulation in ERP (z. B. kalendarische Kumulationen) • lange Durchlauf-, Wiederbeschaffungs- oder Transportzeiten • Informationslaufzeit [Lödd 05] • fehlende oder zu geringe Puffer (z. B. Null-Bestands-Konzepte) • parallele Lieferantensysteme (Quotierung) • mangelndes Qualitätsniveau • mangelnde Termintreue. Über die Supply Chain nimmt dieser Effekt nach unten zum Lieferanten hin zu und führt dort zu einem immer stärker werdenden Stop-and-go Effekt. Die Ebenen der Dimensionierung, Auslastung und Kapazität erzeugen höhere Kos- ten. Schwankungen, die z. B. durch Monatsumbrüche ausgelöst werden, nehmen über verschiedene Produktionsstufen zu. Für den Lieferanten ist dies nicht er- kennbar, er muss mehr Lagerpuffer aufbauen und eventuell neu investieren, um die Kapazitätsspitzen sicherstellen zu können. Träge Steuerung Ein anderer Ansatz besteht darin, Trägheit in einem Produktionssystem durch Verlangsamung der Steuerungsgeschwindigkeit im ERP auf den Ebenen der SCM zu erreichen. Wenn, beginnend bei der obersten Ebene, Schwankungen durch zeitliche Verlangsamung der Steuerung ausgeglichen werden, wird der Bullwhip-Effekt weitestgehend kompensiert. Tatsächliche Bedarfsschwankungen müssen über Puffer abgedeckt oder zumindest in der minimalen Dynamik des Systems abbildbar sein. Mindestbestände anstelle Null-Bestands-Konzepte Als Weiterentwicklung von Just-in-time wurden die ursprünglichen Kanban- Puffer weiter optimiert und damit die Anteile des Lagerbestands noch mehr redu- ziert. Das Resultat war das Null-Bestands-Konzept (0-BK). Ziel war es, Just-in- time im Kanban-Kreis so exakt zu steuern, dass der Auftrag gerade dann fertig ist, wenn der Kunde beliefert werden muss. Da in der Praxis immer Störparameter vorliegen, führt dies zu Engpässen. Sobald der Kunde kurz warten muss, wird der Snowballeffekt des Krisenmanagements ausgelöst. In der Folge verschieben sich viele andere Aufträge bzw. werden unterbrochen. Die statischen Lagerbestände werden zuerst reduziert, wegen der vielen Unterbrechungen in den Produktions- aufträgen nehmen die Durchlaufzeiten der Produktionsaufträge und damit die Bestände überproportional zu. Die Kapitalbindung in den Aufträgen kompen- siert die Einsparung durch statische Lagerbestände um ein Vielfaches. Zudem 2.1 Ruhiger, kontinuierlicher Materialfluss 147 treten die bereits beschriebenen überproportionalen Kosten als Folge des Kri- senmanagements auf. Minimale Lagerbestandswerte und minimale Kosten sind nur mit minimal dimensionierten, statischen Lagerbeständen möglich. Dies sind Puffer für Störparameter, die den Break Even der Kapitalbindung absichern. Die Höhe dieser Puffer kann dabei nicht maßgeblich von Steuerungsalgorithmen optimiert werden, sondern ist nur durch die Reduzierung der Störgrößen beein- flussbar. Auch hierfür kann in der realen Anwendung Valuecycle Optimizing eingesetzt werden. Störgrößenanalyse Das Toyota Produktionssystem leitet uns dazu an, mit der 5W-Methode Proble- me mehrfach zu hinterfragen und dann die eigentlichen Ursachen zu beheben, anstatt nur Symptome nachzuregeln. Gerade mit EDV-Systemen wird gerne versucht, systematisch Symptome zu beheben, ohne die Ursachen zu beseitigen (vgl. Kap. 5.1.2 Störgrößen im modernen Materialfluss und in MRP-Systemen). Systematisch lassen sich Störgrößen nur mit einer Analyse und einem in der Regel kontinuierlichen Prozess beseitigen, beides die Kernelemente des Value- cycle Optimizing (vgl. 2.14 Valuecycle Optimizing). 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% Schwankende Bedarfe Fehler in Abläufen Personalkapazität Anlagenkapazität Anlagenstörungen Kurzfristige Bedarfe U rs ac he n fü r U nt er br ec hu ng en Befragte Abb. 2.1.5 Geringe Flexibilität ist die Hauptursache für Störungen: schwankende und kurzfristige Bedarfe führen zu Unterbrechungen [Lepr 07]. Prävention und Qualität statt Krisenmanagement und umständlicher Abläufe Es ist heute gängige und sinnvolle Praxis, die Qualität der Prozesse aus Kosten- gründen in Frage zu stellen. Dies führt jedoch zu überproportional höherem Aufwand für Preservice und indirekte Bereiche, die aufgrund fehlender Qualität erst notwendig werden. Qualität zu „ermessen“, zu prüfen, zu selektieren, nach- zubessern, zu dokumentieren, mit indirekten Bereichen sicherzustellen, erzeugt wesentlich höhere Kosten als für den Herstellprozess geplant wurden. Die Folgen 148 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban dieser Ideologie setzen sich über die Fehlerfortpflanzung bis zum Kunden durch. Qualitätsprobleme gehören im Materialfluss zu den gravierendsten und häufig- sten Störgrößen. 2.2 Wertschöpfungsanalyse des Materialflusses – „Das Einfachste ist das Beste“ und Lean Intelligent Logistics (LILO) Philipp Dickmann Die Wertschöpfungsanalyse führt zur Verdichtung der wertschöpfenden Prozes- se und damit zur Erhöhung der Effizienz, da Verschwendung eliminiert wird. Der Materialfluss ist nach der klassischen Definition nicht wertschöpfend, das Produkt nimmt nicht an Wert zu. Mit anderen Worten: Der Kunde bezahlt nicht für den Transport einer Komponente. Im ersten Schritt werden Materialbewe- gungen so weit wie möglich minimiert. Die Veränderung der Prozesse erfolgt in erster Linie mit dem Ziel, Transporte zu vermeiden. Es sollte immer die Optimie- rung des Materialflusses angestrebt und erst in letzter Instanz Automation ange- strebt werden. Automatische Prozesse benötigen besondere Aufmerksamkeit, da in diesem Fall die Verschwendung durch unnötige Bestände und Wege weniger transparent ist. Da es grundsätzlich nicht möglich ist, ohne Materialfluss zu pro- duzieren oder die Ware an den Kunden zu liefern, ist zumindest eine Optimie- rung der Einzelschritte anzustreben. Grundlegend ist die Vorgehensweise nach Valuecycle Optimizing (VCO) z. B. mit Materialfluss-Kaizen zur systematischen Optimierung des Materialflusses zu empfehlen. Dabei lassen sich drei typische Abb. 2.1.6 Vergleich der prinzipiellen Entwicklung des Umlaufbestands zwischen klassi- scher Produktion, Kanban, Null-Bestands-Produktion und hybrider Kanban-Steuerung. 2.2 Wertschöpfungsanalyse des Materialflusses – „Das Einfachste ist das Beste“ 149 Bereiche des Materialflusses unterscheiden: am Arbeitsplatz, innerbetrieblicher Materialfluss und überbetrieblicher Materialfluss. Bei der durchgängigen Wert- schöpfungsanalyse auf der Supply Chain kristallisieren sich einfache Prozesse heraus, die maximal effizient sind. Eine allgegenwärtige Redewendung in China besagt: 以简为明 (Aussprache: yi jieng we min) – „Das Einfachste ist das Beste“. Dies trifft im Besonderen auf den komplexen Materialfluss zu. Es lassen sich wenige einfache Regel in der Theorie des „Einfachen Optimums“ ableiten, die zu beachten sind, um einen idealen Materialfluss zu erreichen. 2.2.1 Materialfluss am Arbeitsplatz Grundsätzlich ist Materialfluss am Arbeitsplatz bis auf das Greifen, Zuführen und Positionieren zu vermeiden. Dies gilt im Besonderen für automatische Pro- zesse. Materialfluss am Arbeitsplatz ist typischer Anwendungsbereich von Gem- ba-Kaizen und Valuecycle Optimizing, Wertschöpfungsanalyse, Arbeitsplatzge- staltung mit REFA bzw. MTM oder Optimierung mit Simulation. Es werden u. a. folgende Ziele angestrebt: • Produktion im Kundentakt • Austaktung der Arbeitsinhalte • Anlagen, die Flexibilität zugestehen • Materialbereitstellung oder Kommissionierung entfällt • Zwischen- und Zusatzhandling vermeiden • Mehrfachgriffe ausnutzen • kurzer Greifraum. 2.2.2 Innerbetrieblicher Materialfluss Grundsätzlich ist innerbetrieblicher Materialfluss soweit als möglich zu vermei- den, da er keine unumstößliche Notwendigkeit ist. Durch schlanke Konzepte oder räumliche Veränderungen ergeben sich enorme Einsparpotentiale. In der Realität bleiben diese Potentiale sehr häufig ungenutzt. Automation ohne Prozessopti- mierung oder Zwischenläger bei Lieferanten oder Spediteuren, führen in der Summe zu einer Verschlechterung der Prozesse. Gründe, die innerbetrieblichen Materialfluss rechtfertigen können sind: • Die kompletten Gebinde des Lieferloses können räumlich nicht am Ort des Verbrauchs untergebracht werden. • Es entstehen zu viele und zu kleine Bereitstellmengen an zu vielen Arbeits- plätzen. • Die Mindestanliefermenge ist zu groß oder die manuelle Bereitstellung, etwa aufgrund großen Volumens, erzeugt zu hohe Handlingskosten. 150 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban • Zwischenlagerung und Kommissionierung kann sinnvoll sein, bei großer Anlieferentfernung oder sehr großen wirtschaftlichen Losgrößen, z. B. bei niedrigpreisigen Massenartikeln. Zur Optimierung des innerbetrieblichen Materialflusses kommen dieselben Methoden zum Einsatz, wie bei der Verbesserung der Flüsse am Arbeitsplatz. Es werden dabei folgende Ziele bevorzugt: • Losgrößen und Verpackung werden mit dem Kundentakt harmonisiert. • Qualitäts- und Wareneingangsprüfung werden in vorgelagerten Prozessen sichergestellt. • Es sollte ausreichend Platz für Sicherheitsbestände und saisonale oder durch Wachstum erzeugte Schwankungen am Arbeitsplatz zur Verfügung stehen. • Unnötig große Lagervolumen oder Handlingsmengen sollten vermieden wer- den. Nach Möglichkeit wird mit Durchschublager gearbeitet. • Direktbereitstellung (Ship-to-line): Bereitstellung vom Lieferanten erfolgt direkt am Verbrauchsort, d. h. innerbetrieblicher Materialfluss oder zwi- schengelagerte Bestände sind nicht nötig. • Zwischentransporte, Zwischenlager und Kommissionierung sollten vermie- den werden. • Die Wege sollten kurz sein. • Automatische Lager sollten über eine Anbindung an die Zelle bzw. an den Arbeitsplatz und eine Dogging-Station verfügen. • Innerbetrieblicher Materialfluss muss in Zusammenhang mit Materialfluss am Arbeitsplatz betrachtet werden und somit die Ziele des Materialflusses am Arbeitsplatz erfüllen. 2.2.3 Überbetrieblicher Materialfluss Bei Ship-to-line oder Direktbereitstellung im Sinne von Just-in-time existiert maximal ein sehr kleines Lager beim Lieferanten und direkt am Arbeitsplatz des Kunden. Die Lagergrößen sind abhängig von der Transportzeit und dessen Risi- ko. Bei einer Transportstrecke von wenigen Kilometern vom Lieferanten zum Kunden, ist im Vergleich zu einem Seetransport, z. B. aus China, eine wesentlich kürzere Zeit mit eigenem Lagerbestand zu puffern. Auch das Risiko von Verspä- tung oder Verlust der Ware ist bei einem nahe gelegenen Lieferanten geringer. Lange Strecken erzeugen hohe Lagerkosten und ein hohes Risiko bei Änderun- gen oder Qualitätsproblemen. Die Bezeichnung Ship-to-line oder Just-in-time wird gerne für Lösungen missbraucht, die nur kleine Elemente dieser Methoden enthalten. Typische Beispiele hierfür sind Zwischenlager, die räumlich beim Lieferanten, Dienstleister oder dem Spediteur liegen, ihm gehören oder auf die Straße verschoben werden. Tatsächlich werden nur Bruchteile der Einsparung genutzt, die möglich wären. Der überbetriebliche Materialfluss sollte sich an folgenden Zielen orientieren: 2.2 Wertschöpfungsanalyse des Materialflusses – „Das Einfachste ist das Beste“ 151 • Minimale Puffer beim Lieferanten und beim Kunden sichern die Flexibilität und vermeiden Sonderaktionen. • Kurze Wege ermöglichen Flexibilität, kleine Losgrößen, kurze Reaktionszei- ten im Krisenfall und damit geringe Lagerbestände. • Kurze Wege ermöglichen geringe Transportkosten für Ware und Umlaufver- packungen. • Das Anlieferintervall sollte an den Produktionszyklus und den Kundentakt angepasst sein. • Losgrößen und Verpackungen sollten für den Transport standardisiert wer- den. • Sammeltransporte sollten mit sinnvollen Gebindegrößen erfolgen. • Überbetrieblicher Materialfluss muss in Zusammenhang mit innerbetriebli- chem Materialfluss gesehen werden und somit die Ziele des innerbetriebli- chen Materialflusses erfüllen. 2.2.4 „Das Einfachste ist das Beste“ Die Umsetzung der Wertschöpfungsanalyse des Materialflusses, ergänzt durch die Regeln für einen ruhigen kontinuierlichen Materialfluss, führt zu einfachen und gleichzeitig optimalen Prozessen. Den Materialfluss ohne vermeidbare Bewegun- gen umzusetzen, lässt sich von dem bekannten Prinzip der Minimierung des Buddhismus – „Alles Unnötige weglassen“ – ableiten. Grundprinzipen sind die Direktbereitstellung ohne Qualitätsprüfung und weitgehend dezentrale Steue- rungskonzepte, überlagert von direkten strategischen Steuerungs- und Manage- mententscheidungen. Angestrebt wird ein störungsfreier Materialfluss mit Just- in-time (JIT) oder Just-in-sequence (JIS) ohne eine „Frozen Zone“, also einer fixierten Zeit, in der keine Änderungen oder Verschiebungen mehr zulässig sind. Vorraussetzung sind weitestgehend qualitätsfehler- und störungsfreie Prozesse, mit kurzen Durchlaufzeiten. Um optimale Flexibilität, minimales Risiko bei Än- derungen oder Qualitätsproblemen, sowie minimales gebundenes Kapital zu er- reichen, sind weniger als vier Stunden Lieferzeit vom Produktionsort notwendig. Das Material wird vom Ort der Herstellung an den Ort des Verbrauchs gebracht und in simplen Durchschüben oder Durchschubregalen bereitgestellt. Großvolu- mige Materialien können ebenfalls im Durchschub verfügbar gemacht werden, benötigen aber ausreichende Flächen. Ausschließlich bei einer hohen Frequenz oder sehr großem Volumen ist eine automatische Bereitstellung in Hochregalla- ger-Systemen oder mit Hängeförderern sinnvoll. Eine weitere Ausnahme bilden sehr variantenreiche Vereinzelungsprozesse, bei denen ein extrem hoher Auf- wand für Kommissionierung nötig ist, etwa bei der Ersatzteilbereitstellung. In Hochlohnländern dominiert die Vorstellung, dass nur komplizierte und hochtechnologische Prozesse konkurrenzfähig sind. Dabei handelt es sich je- doch um eine Fehleinschätzung. Mittels hochkomplexer Anlagen und billiger Arbeitskräfte wird versucht, die Kosten zu reduzieren: Die Summe der Lohnkos- 152 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban ten bleibt aufgrund der vielen Prozessschritte, die für den komplexen Problem- lösungsansatz nötig sind, dennoch hoch (s. Abb. 2.2.1). Hinzu kommen die Kos- ten für hochtechnische Anlagen und zusätzlich die für den Betrieb und die Or- ganisation nötigen Spezialisten. Lean Ansätze gehen einen anderen Weg. In erster Linie werden Prozesse eingespart und hochtechnische Anlagen entfallen soweit möglich (s. Kap. 1.8 Low Cost Intelligent Automation). Für die restlichen, vergleichsweise wenigen Prozesse sind jedoch ebenfalls hoch qualifizierte Mitar- beiter nötig. Mit wenigen Einzelprozessen wird dadurch eine weit höhere Effi- zienz, Flexibilität und geringere Kosten erreicht. 2.2.5 Lean Intelligent Logistics (LILO) Hitoshi Takeda hat mit seinem Konzept der Low Cost Intelligent Automation (LCIA oder auch Lean Automation, siehe Kap. 1.8 und Kap. 2.1.1 Regeln für eine kontinuierlichen Materialfluss; Lean Automation) ein Prinzip entwickelt, das mit mehreren kleinen Anlagen ermöglicht, flexibler, schneller und kostengüns- tiger zu produzieren als mit großen Maschinen. Diese auf den Produktionsprozess bezogene Vorgehensweise wird in der ja- panischen Automobilindustrie in ähnlicher Form für Logistikabläufe ange- Abb. 2.2.1 Reduzierung der Prozesse durch Lean-Methoden: Durch „ausgefeilte“ Lean- Methoden ist es möglich, den Großteil der Prozesse entfallen zu lassen. Im Beispiel, wer- den 17 Einzelprozesse (oben) durch fünf neue Prozesse (unten) ersetzt, eine Reduzierung von rund 70 % der Prozessschritte. Durch einfache Abläufe wird Verschwendung redu- ziert und Angriffspunkte für Störgrößen entfallen. Der Ansatz, um aufgeblähte Prozesse „herum“ zu optimieren (etwa mit IT-Lösungen), führt letztlich nur zur Verschleierung der Probleme und nicht dazu, nachhaltig die wirtschaftlichen Potentiale auszuschöpfen. 2.2 Wertschöpfungsanalyse des Materialflusses – „Das Einfachste ist das Beste“ 153 wandt. Lean Intelligent Logistics (LILO) (= Lean Logistics oder auch Low Cost Intelligent Logistics) erreicht mit vergleichbaren Ansätzen in der Logistik he- rausragende Benchmarks. Die 5I-Ziele von LILO sind: • Intelligente Lieferantenanbindungen mit kleinen Losgrößen, hoher Flexibili- tät und mittels Kanban entkoppelter, „atmender“ Produktion. • Intelligente Verpackungskonzepte als Basis für eine minimalistische Logistik. • Intelligenter Materialtransport, bei dem so weit möglich Direktbereitstellung (Ship-to-line) genutzt wird. • Intelligente Materialbereitstellung für die effiziente und ergonomische Ent- nahme des Materials. Gleichzeitig wird der Bereitstellungsaufwand so weit wie möglich eliminiert. • Intelligente kostengünstige Logistikanlagentechnik ermöglicht die Minimie- rung des Investitionsdrucks bei gleichzeitiger FIFO Bereitstellung. Die 5I-Konzepte erreichen mit kostengünstigen, sehr gering oder gar nicht automatisierten Lageranlagen und geringer Personalkapazität gleiche Stückzah- len und höhere Leistungsmerkmale. Es müssen jedoch alle 5I-Prinzipien umfas- sende umgesetzt werden. Vor allem bei kleinen Volumenströmen können Inves- titionen durch „ausgetüftelte“ minimalistische Lösungen vermieden werden. Durch die Nutzung kleiner, umfassender Low Cost-Lageranlagen kann Folgen- des eingespart werden: • große Zentrallager, • automatisierte Kommissionieranlagen, • bauliche Maßnahmen für Lager, • Personalaufwand für Materialbereitstellung und Kommissionierung, • indirektes Personal für hochtechnische Logistikanlagen und MRP-Steuerun- gen. An drei Bereitstellungslösungen aus der Automobilindustrie, werden die Vor- teile von LILO exemplarisch dargestellt (siehe auch Abb. 2.2.2 und 2.2.3 sowie Tabelle 2.2.1): • Automatische Hochregallösung: Umsetzung eines automatischen Hochregal- lagersystems mit vollautomatischer Kommissionierung (80−90 % der Teile) und einer automatischen Verkettung der Arbeitsplatzinseln. • Pufferlagerkonzept mit Verlagerung des Zentrallagers zum Lieferanten (oder zur Spedition): 80−90 % der Lagerverantwortung wird den Kernlieferanten (Logistikdienstleister) übertragen. Die Lagerung beim Lieferant erfolgt in ei- nem automatischen Lagersystem (auf den Industrieparkgeländen). Um den- noch eine sichere Versorgung mit den variantenreichen Teilen zu erreichen werden manuelle Pufferläger bereitgehalten, die mittels Staplerverkehr und manueller Kommissionierung die Produktionsinseln direkt versorgen. Bei der Arbeitsplatzgestaltung gilt der Leitsatz: Im Arbeitsbereich dürfen nur mi- nimale Materialmengen platziert werden (um wertvolle Produktionsfläche 154 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban einzusparen). Die Folge ist extrem hoher Kommissionieraufwand und Stap- lerverkehr. • Lean intelligent Logistics: Die getaktete Produktion wird mittels Ship-to-line (teilweise mit Just-in-sequence) über sehr große Durchschubregale direkt vom LKW aus befüllt. Die Versorgung durch den Lieferanten erfolgt entkop- pelt über Mindest-Kanban-Puffer. Die Durchschubregale für Kleinteile wer- den über einen Materialzug (Train) versorgt. Automatische Hochregallösung Pufferlagerkonzept mit Verlagerung des Zentrallagers zu Lieferant oder Spedition Lean intelligent Logistik Vollautomatisches Zentrallager Automatische & teilmanuelle Kommissionierung Produktion Automatische Materialbereitstellung Materialtransport und Kommissionierung Zentrallager Lieferant Automatische Materialbereitstellung ProduktionProduktion Lieferant Produktion Lieferant Produktion Lieferant Produktion PufferlagerPufferlagerPufferlager Zugverkehr Produktion Zugverkehr Direktbereitstellung an Arbeitsplatzlager Abb. 2.2.2 Layout-Vergleich der drei Materialflusskonzepte: Automatische Hochregallö- sung, Pufferlagerkonzept (mit Verlagerung des Zentrallagers) und Lean Intelligent Lo- gistics (siehe Tabelle 2.2.1). Die Stückzahl der ausgebrachten Produkte ist bei allen drei Produktionsstät- ten in Europa ähnlich, die Löhne sind vergleichbar, ebenso die Energie- und Flächenkosten. Bei diesem Vergleich sollte berücksichtigt werden, dass die Vari- antenzahl der Einzel- und Fertigteile bei der Variante Lean Intelligent Logistics etwas geringer ist. Im Vergleich unberücksichtigt bleiben u. a.: • die Variantenfähigkeit, • die Flexibilität bei Änderungen, • das Investitionsrisiko bei Bedarfseinbrüchen, • die geringere Störungsfähigkeit. 2.2 Wertschöpfungsanalyse des Materialflusses – „Das Einfachste ist das Beste“ 155 Tabelle 2.2.1 Vergleich der drei grundlegenden Materialflusskonzepte: Automatische Hochregallösung, Pufferlagerkonzept (mit Verlagerung des Zentrallagers) und Lean Intel- ligent Logistics. Am Beispiel der Automobilindustrie: Vergleich der interdisziplinären Kosten über 10 Jahre Laufzeit. Automatische Hochregal- lösung Pufferlagerkonzept (mit Verlagerung des Zentrallagers) Lean Intelligent Logistics Investitionssumme 100 % 5 % 0,5 % Erhöhung Kaufteilpreise durch Lieferanten 10 % 100 % 2 % Kapitalbindung Kunde 100 % 40 % 10 % Kapitalbindung Lieferant 10 % 80 % 10 % Kosten für Materialhandling 15 % 100 % 14 % Instandhaltungsaufwand 100 % 50 % 13 % Flächenbedarf Kunde 100 % 80 % 12 % Summe der Kosten in 10 Jahren 100 % 76 % 15 % Incl. Preiserhöhung 100 % 78 % 15 % Automatische Hochregallösung Pufferlagerkonzept mit Verlagerung des Zentrallagers zum Lieferant Lean intelligent Logistics Flächenbedarf Kunde Instandhaltungsaufwand Materialhandlingskosten Kapitalbindung Kunde Preiserhöhungen Lieferant Investitionssumme 100% 78% 15% Abb. 2.2.3 Kostenvergleich der drei Materialflusskonzepte: Automatische Hochregallö- sung, Pufferlagerkonzept und Lean Intelligent Logistics. Bei einer langfristigen Kostenbe- trachtung der drei Konzepte zeigt Lean Intelligent Logistics einen 63−85 %igen Kosten- vorteil. Bei der Analyse wird erkennbar, dass die in Europa wenig bekannte Variante von Lean Intelligent Logistics (LILO) nicht nur mehr Flexibilität bietet, sondern auch im interdisziplinären Langfristvergleich sehr viel weniger Kosten verur- 156 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban sacht. Das Konzept verlangt jedoch eine grundlegende Restrukturierung der Materialflussstrategie und spezifisches Best Practice-Know-how. 2.3 Grundlegende Steuerungsverfahren Philipp Dickmann In einem kurzen Beitrag wie diesem, ist es nicht möglich, erschöpfend alle Steue- rungsverfahren wissenschaftlich differenziert vorzustellen. Um detailliertere Informationen zu bekommen, muss an dieser Stelle auf weiterführende Fachlite- ratur verwiesen werden, z. B. „Fertigungsverfahren“ von H. Lödding [Lödd 05] oder „Operative Produktionsplanung und Steuerung“ H. M. Schneider, J. A. Buzacott und T. Rücker [Schn 05]. Mit moderner Produktionssteuerung können heute Anforderungsprofile verschiedenster Märkte optimal erfüllt werden. In der Folge werden die grundlegenden Ansätze für operative Produktionssteuerung mit einigen Beispielen erläutert. In Standard-EDV-Anwendungen werden die Verfahren mit verschiedenen Varianten und Parametrisierungsmöglichkeiten abgebildet. In der betrieblichen Praxis werden sie mit der Ausnahme von Materi- al Requirements Planning (MRP) oder in der Auftragsproduktion nur sehr selten „in Reinkultur“ umgesetzt. Die überwiegend heterogenen Markanforderungen, wie z. B. Serienbedingungen mit gleichzeitiger Einzelfertigung, werden in der realen Umsetzung durch Netzwerke unterschiedlicher Steuerungsmethoden auf den verschiedenen Ebenen erreicht. Generell muss bei der Konfiguration einer Steuerung bzw. eines Netzwerkes von Steuerungen versucht werden, den opera- tiven Produktions- und Logistikprozess möglichst exakt abzubilden, um eine optimale Unterstützung der dispositiv tätigen Mitarbeiter mit Informationen zu gewährleisten. Durch die isolierte Einführung eines IT-Systems, das zumeist auf dem MRP-Konzept basiert, lassen sich physische Prozesse jedoch nur geringfü- gig verbessern. IT bildet die physische Wirklichkeit näherungsweise ab. Dies ist jedoch nur sehr beschränkt reversibel, ähnlich wie der Zuschauer vor dem Fern- seher auf die Sendung keinen direkten Einfluss hat. Für das Beheben von Störun- gen, schlechter Austaktung, Überproduktion, zu geringer Flexibilität etc., sind völlig andere Ansätze notwendig, die zu einer Änderung physischer Abläufe führen. (1.4 Kaizen; 1.5 Flexible Produktion; 1.6 Das Synchrone Produktionssys- tem; 2.14 Valuecycle Optimizing). Die Effizienz einer Steuerung hängt neben den Steuerungsmethoden von einer adäquaten Dimensionierung der Parameter und deren Pflegezustand ab. Allein aufgrund der physikalischen Fehlerfortpflanzung gilt: Je komplexer und umfangreicher die Abläufe oder Basisdaten sind, desto unwahrscheinlicher ist eine „fehlerfreie“ Berechnung der Planvorgaben. Dies gilt insbesondere für die auf Basis von IT-Systemen berechneten Steuerungsvorga- ben. Diese Rahmenbedingungen können durch richtige Auswahl des oder der jeweils optimalen Steuerungsverfahren nicht kompensiert werden. In der folgen- den Übersicht werden kurz wesentliche Steuerungsverfahren nach den für den 2.3 Grundlegende Steuerungsverfahren 157 Anwender maßgeblichen Verfahrensabläufen differenziert. In der Realität schlanker Produktionsprozesse spielt die Differenzierung zwischen Auftragsfrei- gabe, Auftragsstart und Auftragserstellung eine untergeordnete Rolle. Hier wird vielmehr angestrebt, die Aufträge unmittelbar zu planen, zu erstellen, frei zu geben und zu starten. Nach einer kurzen Produktionszeit wird der Auftrag dann direkt fertig gemeldet. Abb. 2.3.1 Die grundlegenden Steuerungsverfahren agieren basierend auf unterschiedli- chen Informationen im Materialfluss. Prognosebasierte Verfahren Bestandsorientierte Verfahren Bedarfsorientierte Verfahren Belastungsorientierte Verfahren Zeitstrahl Jetzt Dimension Kapazität Dimension Zeit Funktionsbasierte Steuerungen Abb. 2.3.2 Eigenschaftsprofile grundlegender Steuerungsverfahren: Die unterschiedlichen Eigenschaftsprofile der grundlegenden Steuerungsverfahren entstehen aufgrund ver- schiedener Zeithorizonte. 158 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban 2.3.1 Bedarfsorientierte Verfahren Diese Methoden werden im Rahmen einer Kundenauftragsproduktion ange- wendet, wie sie beispielsweise im Sondermaschinenbau sowie bei Klein- oder Handwerksunternehmen auftreten. Im Rahmen einer Kundenauftragsproduk- tion werden individuelle Produkte nach Kundenwunsch hergestellt. Ein Kunde bestellt ein Produkt, wodurch die Beschaffung und Produktion angestoßen wird. Gemäß des Push-Prinzips werden die Produktionsaufträge durch die Produk- tionsstufen „geschoben“. Typisches Merkmal ist der zufällige Auftragseingang, wodurch die Auftragsreihenfolge und Auslastung ebenfalls einem beliebigen Verlauf unterliegen. Somit ist keine Optimierung der Inanspruchnahme der Kapazität möglich (siehe Abb. 2.3.3). Die Folge sind lange Durchlauf- sowie Lieferzeiten und Bestandsengpässe, aufgrund unterschiedlicher Auftragsreihen- folgen. Die Methode erlaubt es jedoch, Sonderprodukte, für die keine Prognosen möglich sind, mit einem minimalen Lagerbestand auf hochkomplexe Anlagen in der Losgröße eins zu produzieren. Diese Methode wird auch als Auftragspro- duktion oder „Make-to-order“ bezeichnet: • Auftragsproduktion oder Make-to-order (MTO): Die Bearbeitung erfolgt erst nach dem Eingang des Kundenauftrags. Die Produktion startet, sobald die Produktentwicklung abgeschlossen ist und die benötigten Einzelteile, Rohma- terialien und Zulieferkomponenten vorhanden sind. Sobald eine Bearbei- tungsstufe durchlaufen ist, hat der Auftrag die Freigabe für die nächste Stufe. Die Auslieferung erfolgt sofort nach Fertigstellung. • Make-to-stock (MTS): Von der Auftragsproduktion ist die Lagerprodukion abzugrenzen, welche auch als Make-to-stock-Fertigung bezeichnet wird. Auf- träge werden direkt aus dem fertigen Lagerbestand beliefert, sofern vor und nach dem Produktionsort ausreichend Lagerbestand vorhanden ist. Jede Lie- ferung löst einen neuen Produktionsvorgang aus. Dieses Verfahren reduziert die Lieferzeiten für den Kunden um das Vielfache. Aufgrund des zufälligen Auftragsflusses und der in der Realität üblichen, kontinuierlichen Termin- veränderungen, neigt dieses Verfahren trotz der Lagerhaltung zu Fehlteilen. Diese Fehlteile führen entweder zu einer schlechten Liefertreue oder zu übermäßigen Lagerbeständen. Die im Rahmen einer Make-to-stock-Ferti- gung anwendbaren Verfahren lassen sich in bestandsorientierte, prognoseba- sierte und belastungsorientierte Verfahren untergliedern. 2.3.2 Bestandsorientierte Verfahren Bei diesem Verfahren wird eine Bestandsgrenze definiert. Je nach Autor wird diese Grenze auch Mindestbestand, Bestellbestand, Sollbestand oder Base Stock genannt. Der Abgang von Material führt zum Unterschreiten der Bestandsgren- ze und löst nach dem Pull-Prinzip die Beschaffung oder den Produktionsauftrag 2.3 Grundlegende Steuerungsverfahren 159 für die Komponenten aus. Kapazitäten werden bei der Planung nicht berück- sichtigt. Der erzeugte Nachschubauftrag besitzt eine feste Bestelllosgröße. Es werden so viele Bestellungen generiert, bis die Summe der Bestände und Bestel- lungen der Bestandsgrenze entspricht. Bestandsorientierte Verfahren eignen sich für kontinuierliche Bedarfscharakteristika oder für Anwendungen, bei de- nen eine 100 %ige Lieferfähigkeit mit kurzen Lieferzeiten für den Kunden ent- scheidend ist. Wegen des permanent vorhandenen Bestands besteht bei gravie- renden Bedarfsveränderungen die Gefahr des überhöhten Lagerbestands oder eines Versorgungsengpasses. Das Verfahren erlaubt auch keine Kapazitätsan- passung, etwa bei Engpassmaschinen. Folgende bestandsorientierte Verfahren sind in Handel und Produktion sehr weit verbreitet. • Mindestbestands-, Bestellbestands-, Base Stock-, Stop-and-go-Verfahren: Diese Verfahren besitzen nicht die Nachteile der auftragsbezogenen Losgrö- ßenbildung wie bei dezentralen Make-to-stock Systemen, da die Freigaberegel des Base Stock Systems nur von der Unterschreitung des Lagerbestands ge- steuert wird. Die Steuerung ist aber komplexer, da die Produktionseinheit die Auslieferung und den Lagerbestand der Einzel- und Fertigteile überwachen muss. • Bestellrhythmusverfahren: Der Lagerbestand wird gleichmäßig erfasst und in regelmäßigen Intervallen ein Nachfertigungsauftrag in der Höhe der Diffe- renz zum maximalen Lagerbestand generiert. Die Bestelllosgröße ist daher je nach Abruf variabel. • Bestellbestandsverfahren mit variabler Bestelllosgröße: Der Ablauf ent- spricht dem Bestellbestandsverfahren. Die Losgröße wird wie beim Bestell- rhythmusverfahren definiert. • Bestellbestandsverfahren mit reservierten Beständen: Kundenbedarfe und die benötigten Bestände werden zeitabhängig reserviert, um die Verbindlich- keit einer getroffenen Lieferzusage sicherzustellen. Das Material steht dann nur für diese Aufträge zur Verfügung. Hier muss zwischen den verfügbaren und den realen Lagerbeständen unterschieden werden. Das System erzeugt einen Bedarf, sobald der verfügbare Bestand den Bestellbestand erreicht hat. • Bestellbestandsverfahren mit zeitlich definierter Bestandsgrenze − Mindest- reichweitenbestellsysteme: Die Bestandsgrenze wird in Form einer minima- len Reichweite definiert. Die Losgröße kann auch als Funktion der Bedarfs- reichweite, mit dem Rundungswert der Behälterfüllmenge, definiert werden. Dieses Verfahren gleicht selbständig mittelfristige Bedarfschwankungen dy- namisch aus. Gleichzeitig kompensiert sie bis zu einem gewissen Grad den großen Nachteil der fixen Bestandsgrenze, die z. B. zu einer Erhöhung der La- gerbestände führen kann. • Ampel-Steuerung: Anstelle der fixen Bestandsgrenze wird hier ein „gelber“ Übergangsbereich, analog der Verkehrsampel, definiert. Im gelben Bereich kann ein Produktionsauftrag oder Nachschubauftrag gestartet werden, muss aber nicht. Dieser Spielraum wird häufig bei dezentralen Anwendungen, z. B. für 160 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban einen Kapazitätsabgleich, Optimierung von Transportaufträgen, rüstoptimier- tes Produzieren oder die Abbildung von Sammelmengen ähnlicher Produkte verwendet. Ein wesentlicher Vorteil dieses Verfahrens ist die gute Visualisier- barkeit und der hohe Grad an dezentral definierbaren Entscheidungen. Das Verfahren ist der Kanban-Steuerung sehr ähnlich. • Kanban Erläuterung siehe: 2.4 Die Kanban-Steuerung. 2.3.3 Prognosebasierte Verfahren Primärbedarfe, also Bedarfe vom Kunden und Planungen werden addiert und erzeugen über die Wiederbeschaffungszeiten und die Stücklistenauflösung Plan- aufträge auf der Sekundärbedarfsebene. Es handelt sich um ein Push-System, da die Aufträge entlang der Produktionskette geschoben werden. Es wird sowohl im Handel als auch in der Produktion eingesetzt, sofern Bedarfsprognosen vor- handen sind. Der große Vorteil dieses Verfahrens liegt in der Abbildung be- kannter zukünftiger Veränderungen in der Steuerung, denn es bindet unter- schiedliche Stamm- und Prognosedaten ein. Da das Basisverfahren eine große Komplexität aufweist, ist das Steuerungsverfahren für Störgrößen sehr anfällig. Bei einer Bedarfscharakteristik mit permanenten kurzfristigen Verschiebungen, wie sie typisch für MRP-Systeme sind, müssen die Parameter träge und dämp- fend eingestellt werden, um dem Peitscheneffekt (vgl. 2.1 Ruhiger, kontinuierli- cher Materialfluss) entgegen zu wirken. Ansonsten führt dies zu einem zuneh- menden Stop-and-go im Produktionsprozess, was Engpässe, Überbestände und letztlich erhöhte Produktionskosten nach sich zieht. 0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% 40% 45% bis 20% bis 40% bis 50% bis 60% bis 80% über 80% Änderungen der Auftragsreihenfolge Befragte Abb. 2.3.3 Anzahl der Veränderungen in der Auftragsreihenfolge in den Unternehmen [Lepr 2007]: MRP suggeriert sehr hohe Flexibilität, tendiert aber gleichzeitig zu häufigem Umwerfen des Produktionsprogramms. Sonderaktionen binden jedoch hohe Kapazitäten und sind teuer. 2.3 Grundlegende Steuerungsverfahren 161 Das Verfahren berücksichtigt keine Kapazitäts- und Bestandsobergrenzen. • Materialbedarfsplanung – Material Requirements Planning (MRP) (Erläute- rung siehe 5. EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss) • Fortschrittszahlenkonzept (FZK): Damit werden Fließfertigungssysteme bzw. Transferstraßen in der Automobilindustrie gesteuert. Der Fortschritt wird an Kontrollpunkten innerhalb des Produktionssystems ermittelt. Die Soll-Fort- schrittszahl ist die Menge der Produkte, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu produzieren und zu liefern ist und wird aus der durchschnittlichen Primärbe- darfsplanung bzw. der Sekundärbedarfsebene ermittelt. Die Ist-Fortschrittszahl ist die tatsächliche Produktionsmenge in einem Abschnitt. Dieses Konzept kann auch sehr effizient zum Abgleich der Vertriebs- und Produktionsplanung einge- setzt werden. Bei einer optimalen Erreichung des Kundentakts existiert keine Differenz, welche als Lenkungstool auf der strategischen Steuerungsebene ver- wendet wird (vgl. 2.9. Hybride Steuerungskonzepte; 1.5. Flexible Produktion). 2.3.4 Belastungsorientierte Verfahren Die maximale Ausbringung einer linearen Produktionsstrecke wird durch den Produktionsprozess mit der geringsten Kapazität bestimmt [Wien 97]. Belas- tungsorientierte Verfahren versuchen, anhand einer Betrachtung und Steuerung des Bestandes, eine hohe und gleichmäßige Belastung und Auslastung entlang der Materialflusskette zu erreichen. Diese Verfahren entstanden zur Feinsteuerung in Werkstattfertigungsprozessen und werden vorwiegend dort eingesetzt. Dadurch wird versucht, eine maximale Auslastung ohne Engpässe zu erreichen (vgl. 1.5 Flexible Produktion; 1.6 Das Synchrone Produktionssystem). Diese Verfahren neigen in ihrer ursprünglichen Form dazu, am Kundenbedarf vorbei zu produzie- ren oder auch Lagerbestand von Teilen aufzubauen, die nicht benötigt werden. Es wird daher zumeist überlagert, d. h. hybrid, mit anderen Steuerungsverfahren umgesetzt (vgl. 2.6 Steuerungsverfahren mit Karten; 2.9 Hybride Steuerungskon- zepte; 2.10 Matrixhybride Materialflusssteuerung). Belastungsorientierte Ver- fahren erlauben daher die Steuerung eines heterogenen Produktsortiments, etwa bei Kleinstserien oder bei nicht linearen Produktionssystemen. • Local Control: Eine Zelle (Produktionseinheit, z. B. eine Maschine) produziert ein Produkt immer wenn Teile verfügbar sind, Maschinen und Arbeitskraft zur Verfügung stehen und das Ausgangslager nicht zu voll ist. • Integral Control: Integral Control optimiert den kontinuierlichen Fließpro- zess im Vergleich zur einfachen Local Control-Steuerung. Die Freigabeent- scheidung erfolgt unter Berücksichtigung des gesamten Lagerbestands der Produktionszelle und der nachgelagerten Zelle. Die Freigabemenge sollte möglichst genau dem festgelegten Höchstbestand entsprechen. Die Auftrags- begrenzung kann über die Arbeitsstunden oder den Bestand erfolgen. • Constant Work in Process (CONWIP): CONWIP ist ein Spezialfall von Integ- ral Control und dem Kanban Verfahren sehr ähnlich. Es ermöglicht das Nut- 162 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban zen der Vorteile der Kanban-Steuerung bei nicht linearen Fertigungssyste- men und schwankenden Produktspektren. Die Information bezieht sich nicht auf den Bedarf, wie bei Kanban, sondern auf die Freigabe von Fertigungska- pazität, wobei der Informationsfluss gegenläufig ist. Ein übergeordnetes, zen- trales Planungssystem gibt die zur Fertigung frei zu gebenden Fertigungsauf- träge (Backlogliste) an den Produktionsabschnitt. Die Abarbeitung erfolgt nach der First-Come-First-Serve-Regel (FCFS-Regel), wobei auch Abwei- chungen möglich sind. Aufgrund der konstanten Arbeitsinhalte sind weniger Sonderaktionen notwendig. Es ergeben sich annähernd konstante Durchlauf- zeiten und eine Erhöhung der Genauigkeit des Planungssystems. • Belastungsorientierte Auftragsfreigabe (BOA) [Wien 91]: Das Prinzip ist dem CONWIP ähnlich. Die Aufträge eines übergeordneten MRP-Systems dienen als Basis des BOA-Konzepts. Daraufhin wird überprüft, ob die Aufträge dringlich sind, bevor eine Bewertung und probeweise Einlastung vorgenommen wird. Die Einlastung der Aufträge erfolgt unter der Annahme, dass die mittlere, gewichte- te Durchlaufzeit proportional zum mittleren Bestand ist (Little’s Law, [Litt 61]). • Optimized Production Technology (OPT): Diese Steuerungsmethode beruht auf der Regel „Do not balance capacity; balance the flow“ [Gold 84]. Im Ge- gensatz zur BOA verfolgt OPT nicht das Ziel, alle Einheiten möglichst gut auszulasten, sondern beschränkt sich auf die optimale Auslastung der Eng- pass-Kapazitätseinheiten. 2.3.5 Generalisierte oder funktionale Steuerungen Bei dieser Methode können funktional, über die Veränderung von Parametern, verschiedene Steuerungscharakteristika erzielt werden, z. B. Production Autho- rization Cards (PAC) [Buzz 92] (vgl. 2.8 Das Production Authorization Card- Konzept). Der Ansatz wird bisher vornehmlich für Steuerungsalgorithmen an- gewandt. 2.4 Die Kanban-Steuerung Philipp Dickmann Kanban stammt aus der Gründerzeit von TPS und ist ein sehr einfaches, be- standsorientiertes Steuerungssystem. Die Steuerung gilt als nur für sehr be- schränkte Einsatzgebiete tauglich, da sie in der klassischen Form ungeeignet ist bei hoher Variantenzahl, hoher Änderungshäufigkeit und nicht linearen Materi- alflüssen. Derzeit erlebt dieses Verfahren, das auf einfachen Etiketten basiert, nach Angaben von Herrn Gerlach, Geschäftsführer der Firma Orgatex, einen Boom. Von seiner Firma allein konnten ca. 2.000 dokumentierte Neueinführun- gen im Zeitraum von 2002 bis 2006 nur in Deutschland registriert werden. In einer Zeit erheblicher Konkurrenz von IT-Systemen, mit „ausgefeilten“ Eigenschaften, 2.4 Die Kanban-Steuerung 163 perfekter Vernetzung und höchster Automatisierung erscheint dies verwunder- lich. Kanban ist heute weltweit eines der am weitest verbreiteten Steuerungsver- fahren. Der Grund für den wachsenden Trend ist in der Reduzierung der Komple- xität, der geringen Störungsanfälligkeit, der Dezentralisierung sowie der Einfachheit zu suchen. Durch das visuelle Arbeiten wird eine extreme Kundenori- entierung, hohe Flexibilität und Lieferfähigkeit sowie die Beruhigung des Produk- tionsprogramms erreicht. Gerade die selbstregulierenden Eigenschaften, wie die Kontrolle des Umlaufbestands und die Kapazitätskontrolle für einfache Systeme, wurden wohl bisher wissenschaftlich unterschätzt. Im folgenden Kapitel werden mehrere Varianten, bezogen auf den Steuerungstyp, die Steuerungsebene und die Verwendung der Karten, vorgestellt. Es wird die Bandbreite der Anwendungsfälle aufgezeigt, die diese Methode abdeckt. 2.4.1 Kanban – der Allrounder Kanban ist ein idealer Ansatz zum Erreichen optimaler Lieferqualität. Einer der wesentlichen Nachteile dieser verbrauchsorientierten Steuerungsmethode (Pull- Philosophie) besteht in der tendenziell höheren Lagerbestandsbildung. Zudem existieren dauerhafte Lagerbestände, etwa wenn der Kunde nicht abruft. In der realen Abwicklung von Projekten zur Kanban-Einführung, wird allerdings auf- grund der verschiedenen Projektschritte (z. B. Restrukturierung der Abläufe, Datenbereinigungen, Verschrottungen, etc.), ein deutlich geringeres Lagerbe- standsniveau erreicht. Bei vielen Produktionsstufen, hoher Teilevielfalt, konti- nuierlichen bzw. starken Schwankungen oder geringem Materialstrom, stößt diese Steuerung in ihrer Grundform schnell an Grenzen, an welchen nicht mehr wirtschaftlich optimal gearbeitet werden kann. Allerdings ist Karten-Kanban an den realen physischen Materialfluss gekoppelt und folglich frei von allen Stör- größen, die in der MRP- und EDV-„Welt“ auftreten. Es existieren aber auch hier Störeinflüsse, wie etwa der Verlust von physischen Karten. MRP-Systeme ver- wenden Prognosen und erlauben eine hohe Automation. Sie sind jedoch ab- strakt und leiden prinzipiell unter vergleichsweise höheren Differenzen zum realen Materialfluss. Bei der Push-Philosophie der MRP-Systeme werden Pro- duktionsaufträge auf Basis von Plandaten angestoßen und durch die Produktion „geschoben“. Aufgrund ihrer Komplexität weisen die Daten eine hohe Fehler- häufigkeit auf. Die Fülle permanenter Veränderungen führt zum Übersehen relevanter Kriterien und verleitet potentiell zu „blindem Aktionismus“. Bei Stö- rungen oder Schwankungen auf der Zeitachse sind MRP-Systeme daher in der Praxis anfälliger gegen Lieferengpässe und überhöhtem Lageraufbau. 2.4.2 Die Steuerung und ihre Eigenschaften Die Kanban- Steuerung ist eine typische Bestandssteuerung, da abfließender Be- stand zum Anstoß einer neuen Produktion führt. Die Gesamtmenge der im Kreis- 164 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban Abb. 2.4.1 Vergleich zwischen Hol- und Bringprinzip: Die Informationsflüsse beim Hol- prinzip (Pull-Prinzip) sind sehr viel unkomplizierter und kürzer. Sie laufen zudem in einer transparenten Kunden-Lieferanten-Verbindung antiparallel zum Materialfluss ab. 2.4 Die Kanban-Steuerung 165 lauf befindlichen Karten begrenzt die maximal gestarteten Aufträge. Dies hat eine Kapazitätsbegrenzung bei der betroffenen Produktionseinheit zur Folge. Bei geringer Typenvarianz, erfüllt Kanban die Anforderungen einer kapazitätsorien- tierten Steuerung. Bei mehr als zehn verschiedenen Typen, die über einen Ar- beitsplatz fließen, kann die manuelle Kapazitätskontrolle nicht mehr sinnvoll ein- gesetzt werden. Da der Trend der Zunahme der Varianten, Reduzierung der Losgrößen und der Produktlebenszyklen ungebrochen anhält, wird die klassische Variante mancherorts als Auslaufmodell angesehen (vgl. 2.6 Steuerungsver- fahren mit Karten; 2.9 Hybride Steuerungskonzepte). Die Summe der Kanban- Karten ist die Basis für eine neue Sichtweise der Bestandsführung bei Material- flusssystemen. Charakteristisch ist ein geringer statischer (Lager) aber hoher dynamischer (Fluss, z. B. Aufträge) Anteil der Bestände. Dieser dynamische An- teil bildet die Basis für einen neuen Bestandscontrollingansatz, bei dem die Be- standsklassen nicht vertikal, sondern die Bestände entlang des Kanban-Kreises betrachtet werden (vgl. Kap. 2.13 Logistik-Controlling im schlanken Material- fluss, mit der Valuecycle Analyze; Kap. 2.14 Valuecycle Optimizing, [Dick08]). Im folgenden Kapitel werden wesentliche Kanban-Varianten vorgestellt. 2.4.3 Varianten der Steuerungsmethode Kanban-Varianten ergeben sich entweder aufgrund der Steuerungsmethode, der Steuerungsebene oder der Art der verwendeten Karten. Ein-Karten Kanban: Dies entspricht der vorangehenden Beschreibung. Wenn umgangssprachlich von Kanban gesprochen wird, ist diese Variante gemeint. Neben dem Standard mit exakten Materialmengen je Gebinde existiert eine Variante mit Mengenbe- reichen. Dieser kann in Zahlen definiert oder in Füllmenge bzw. optischem Füll- stand angegeben werden, etwa zum Befüllen von Schüttgut in Behältern, bei dem keine genaue Stückzahl abgezählt oder gewogen werden muss. Zwei-Karten Kanban: Dabei handelt es sich um eine entkoppelte Variante, bei der der Kunde und der Lieferant eigene Puffer und getrennte Kartenkreise verwalten. So können zum Beispiel bei Lieferanten-Kanban die Informationswege abgesichert und verkürzt werden. Dabei löst die Kunden- oder Informations-Kanban-Karte den Transport aus. Die zweite Karte, die Lieferanten- oder Produktions-Kanban-Karte, stößt die Produktion an. In der praktischen Anwendung des Lieferanten-Kanban ver- lässt die Kunden-Kanban-Karte das Werk nicht. Sie wandert vom internen Lager über den Verbrauch, evtl. noch in die Disposition und dann in den Warenein- gangsbereich. Mit dem Abruf des Disponenten wird beim Lieferanten die Pro- duktions-Kanban-Karte angestoßen. Zudem kann die Variante des Zwei-Karten- Kanbans angewandt werden bei „aufgeblähten“ Kanban-Kreisen, etwa durch 166 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban Transportzeiten. Die Anzahl der Karten reduziert sich hier drastisch, da der In- formationsweg abgekürzt wird. Ein Nebeneffekt der Abkürzung des Wegs der Karte, ist das Umgehen einiger potentieller Störgrößen. Diese Kanban-Variante kann auch als hybrides System (siehe Kap. 2.9 Hybride Steuerungssysteme) fun- gieren, da beide Kreisläufe an den Informationsfluss gekoppelt sind. Fehler wer- den in Form von Überbeständen oder Staus transparent gemacht. Sicht-Kanban: Sicht-Kanban basiert nicht auf Karten sondern auf Stellplätzen, z. B. Bodenplät- zen Regalfächer, Schubladen etc. Der nötige Nachschub wird entweder beim Anbruch des Gebindes oder beim Leeren der Fläche ausgelöst. Fehlmengen sind direkt an der leeren Fläche zu erkennen. Da die Lücke nicht verloren gehen kann und immer visuell erkennbar ist, ist diese Methode die sicherste Nachschubme- thode. Diese Anwendung ist sinnvoll bei: • geringer Variation, • weitreichender dezentraler Kompetenz, • kurzen Wegen zwischen allen am Kanban-Kreis beteiligten Elementen, • ausreichend Lagerfläche am Arbeitsplatz, • geringer Anzahl an Kanban-Karten. Die Kapazitätsgrenze wird in diesem System durch die Größe des Regals bzw. der Stellplätze definiert. Dieses System ist sinnvoll, wenn Behälter in enger räumlicher Nähe kreisen. Dadurch ist der Verlust von Behältern gering und eine Visualisierung der Behälter zur Bildung von Sammelmengen möglich, welche über Boden- oder Höhenmarkierungen erfolgt. Diese Variante ist wegen der optimalen Visualisierung und minimalen Fehlermöglichkeiten (beim Handling der Karten) sehr wenig störungsanfällig und daher sehr sicher. Die Umsetzung ist aber vom Gebindetyp und der Fläche bzw. Regalvariante abhängig. Materialnummernneutrales Kanban (MNK): Diese zum Standard zunächst sehr ähnliche Variation, verwandelt Kanban in eine dezentrale, belastungsorientierte Steuerung, vielfach ohne dass es dem An- wender bewusst wird. Hiervon existieren verschiedene Varianten. Die grundle- gende Variante gibt nur eine Stückzahl und gegebenenfalls eine Produktfamilie an. Die Karte erlaubt z. B. die Produktion einer Baugruppe. Welche Material- nummer im Detail produziert werden darf, definiert sich durch ein Sicht-Kanban (z. B. eine Stellfläche) im Versandpuffer der Produktionszelle. Es werden auch andere Kombinationsmöglichkeiten abgebildet bzw. es gibt eine Reihenfolgen- regel entsprechend dem Kundentakt. Bei einer zweiten Variante von MNK wird nicht nach der Menge gesteuert, sondern nach Zeiten. So können die Abläufe mit einer belastungsorientierten Produktionssteuerung, deren Materialien stark unterschiedliche Durchlaufzeiten haben, noch exakter auf eine Produktionszelle optimiert werden. Die Reihenfolge muss aber auch in diesem System durch ein 2.4 Die Kanban-Steuerung 167 anderes, ergänzendes System vorgegeben werden. Diese Variante kann zur Ab- bildung von CONWIP-Kanban verwendet werden. 2.4.4 Varianten der Steuerungsebene • Materialnachschub: Die vermutlich häufigste Anwendung von Kanban dürfte die Versorgung eines Arbeitplatzpuffers mittels Behälter-Kanban aus einem zentralen Lager sein. Hier wird ein Behälter oder eine Karte zum Anstoß für den Nachschub verwendet. Dieses Verfahren wird häufig zusammen mit ei- nem Lagerverwaltungs-Tool (Warehouse-Management-Tool) verwendet und bildet damit eine eKanban-Lösung. • Auftragssteuerung: Die Kanban-Karten oder Behälter stoßen das Nachpro- duzieren einer Produktionseinheit an. Dies können mehrere Ebenen der Pro- duktion (Fertigung, Montage oder Verfahrenstechnik) oder ein Beschaf- fungsanstoß beim Lieferanten sein. Da diese beiden Alternativen steuerungs- technisch nur Varianten darstellen, wird bei folgender Übersicht bewusst auf eine Differenzierung verzichtet. 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% Behälternachschub Produktionsaufträge Lieferantenbedarf Materialnummern neutrales Kanban Kanban-Varianten Befragte Abb. 2.4.2 Kanban-Varianten im Einsatz: [Lepr 2007]. Die häufigste Kanban-Variante ist die Versorgung der Produktion aus einem Lager mittels Kanban. Andere sehr wirkungs- volle Einsatzbereiche (z. B: Lieferanten-Kanban) sind im Vergleich sehr selten. 2.4.5 Varianten aufgrund der Karten • Behälter- und Karten-Kanban: Der Unterschied dieser Varianten liegt darin, dass die Kanban-Karten (der Kanban) vom Behälter genommen werden müs- sen oder nicht. Generell ist Behälter-Kanban das sicherere Verfahren, da Be- hälter weniger leicht verloren gehen als Karten. Vor allem aus Platzmangel 168 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban oder Distanzgründen können Behälter jedoch nicht immer sinnvoll eingesetzt werden. • Kreislauf- und Einweg-Karten: Bei klassischen, vorwiegend manuellen Sys- temen waren zunächst Kreislauf-Karten im Einsatz. Vor allem durch die Ver- arbeitung von eKanban, im Besonderen bei Zulieferern, sind derzeit vermehrt Einmal- oder Einweg-Karten verbreitet. Die Einweg-Beschriftung bringt den Vorteil der Sicherstellung der Kanban-Eigenschaften über eine Identifika- tionsnummer. Die redundante Beschriftung einer Kanban-Karte am Gebinde entfällt. Es ist nur das Herstellerlabel mit Informationen bezüglich der Char- ge, des Produktionsorts etc. notwendig. • Kreisläufe mit Barcodes und Transponder-Technologie: Kanban-Karten sind heute in der Regel als Ergänzung mit Barcodes ausgestattet. Sie verweisen auf alle nötigen Informationen (vgl. 3.2 Kanban-Karten; 3.3 Produktionsnivellie- rung – mit Heijunka die Produktion und Logistik stabilisieren; 5.14 Identifi- zieren mit RFID und/oder Barcode – Auto ID). • Elektronik-Kanban (eKanban): Die Kanban-Karten oder Behälter werden in digitaler Form mit Software verwaltet. Generell entspricht diese Logik für Produktionsaufträge oder Beschaffungsaufträge dem Ein-Karten Kanban (vgl. 5.5 Elektronische Kanban-Systeme). • Sicht-Kanban: Siehe 2.4.3 Varianten der Steuerungsmethode. 2.5 Dimensionierung von Kanban-Regelkreisen Michael F. Zäh, Niklas Möller, Institut für Werkzeugmaschinen und Betriebs- wissenschaften (iwb), Technische Universität München Ein Kanban-System hat die Aufgabe, zwei Stufen in der Wertschöpfungskette mit Hilfe von gelagerten Beständen zu entkoppeln und gleichzeitig die Produktion, ausgehend von der Nachfrage des Endkunden, auf intelligente und einfache Art zu steuern. Bestände zwischen zwei Prozessen sind notwendig, wenn sich bspw. die Losgrößen in der Fertigung und der Montage unterscheiden, zwei Arbeitsstatio- nen aufgrund der Entfernung nicht gekoppelt werden können oder Lieferungen von externen Firmen erfolgen. Ist der vorgehaltene Bestand zu klein, kann es zu Engpässen in der Materialversorgung und zu Produktionsunterbrechungen kommen. Ist der Bestand hingegen zu groß gewählt, fallen unnötige Kosten für das darin gebundene Kapital an. Die Aufgabe der Dimensionierung von Kanban- Regelkreisen ist es, mit Hilfe mathematischer Modelle den optimalen Bestand zu ermitteln und daraus die Anzahl der Kanban abzuleiten, die zwischen zwei Pro- zessen zirkulieren müssen. In diesem Kapitel werden Berechnungsmethoden zur Auslegung von Kanban-Regelkreisen vorgestellt und anhand eines einfachen Beispiels erläutert. Die Definition von vorzuhaltendem Bestand, der Behältergrö- ße und der Anzahl der Kanban ist die grundlegende Aufgabe, die auf jeden Fall vor der Einführung eines Kanban-Systems gelöst werden muss. Die Behältergröße ist 2.5 Dimensionierung von Kanban-Regelkreisen 169 vor allem von der Teilebeschaffenheit, Geometrie, Empfindlichkeit etc. abhängig. In diesem Kapitel wird daher von einem gegebenen Fassungsvermögen ausgegan- gen. Die Auswahl von Behältern ist speziell Thema von Kap. 3.6 Verpackung. Die in der Folge erläuterten Ansätze verfeinern die häufig verwendeten Faustformeln, indem Schwankungen im oder von Einflüssen auf den Prozess (bspw. der Nach- frage) explizit berücksichtigt werden. Somit können die hergeleiteten Formeln auch genutzt werden, um bereits bestehende Kanban-Kreise im Hinblick auf ihre Dimensionierung zu überprüfen und ggf. zu optimieren. Der zur Sicherung einer kontinuierlichen Materialversorgung notwendige Be- stand im Kanban-Kreislauf setzt sich prinzipiell aus zwei Teilen zusammen: Der Umlaufbestand BU sorgt dafür, dass die Produktion nicht aufgrund von Teile- mangel zum Stillstand kommt. Dabei geht man von einem absolut vorhersehba- ren Prozess der Auftragsabwicklung aus, der stets konstant genau so wie geplant abläuft. Da dies jedoch eine unrealistische Annahme ist, wird zusätzlich der Si- cherheitsbestand BS benötigt, um Schwankungen im Prozess, bspw. ein unregel- mäßiges Abrufverhalten der Kunden, auszugleichen. Insgesamt erhält man also = +Max U SB B B (1) mit: MaxB maximaler Bestand= In den nachfolgenden Abschnitten wird gezeigt, wie der Umlaufbestand, der Sicherheitsbestand und daraus die erforderliche Anzahl von Kanban zu bestimmen sind. 2.5.1 Berechnung des Umlaufbestandes Der notwendige Umlaufbestand für ein Material oder Produkt bei einem kon- stanten Prozess ergibt sich aus der durchschnittlichen Nachfrage μd nach diesem Material oder Produkt und der Zeit, die vergeht, bis eine Kanban-Bestellung am Arbeitsplatz eintrifft: U dB * Kanban Zykluszeit= −μ (2) mit: d durchschnittlicher Bedarf pro Periode [Stück]μ = In Abhängigkeit von der Größe der Behälter folgt für die Anzahl der Kanban bU, die auf eine ganze Zahl aufgerundet wird: ⎡ ⎤−= ⎢ ⎥−⎣ ⎦ d U * Kanban Zykluszeitb Kanban Größe μ (3) Die Kanban-Größe beschreibt die Anzahl der Teile pro Kanban-Behälter, also das Fassungsvermögen der Behälter. 170 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban Als Kanban-Zykluszeit wird die Zeit bezeichnet, die ein Produktions-Kanban nach dem Lösen vom Behälter benötigt, um wieder an der gleichen Stelle einzu- treffen. Wenn die Karte zu dem Zeitpunkt vom Behälter gelöst und in den Kan- ban-Ausgang gelegt wird, zu dem das erste Teil entnommen wurde, kann die Formel (3) direkt angewandt werden. Sofern die Karte erst gelöst wird, nachdem das letzte Teil entnommen wurde, ist noch ein zusätzlicher Behälter notwendig: ⎡ ⎤−= +⎢ ⎥−⎣ ⎦ d U* * Kanban Zykluszeitb 1 Kanban Größe μ . (3a) Die Kanban-Zykluszeit (KZZ) setzt sich zusammen aus der durchschnittli- chen Bearbeitungszeit, Transportzeiten und Wartezeiten (vgl. Abb. 2.5.1). Ein wichtiger Bestandteil der Wartezeit ist die Zeit, die die Karten auf dem Kanban-Board (od. Kanban-Tafel) verbringen. Sie ist von der im Vorgängerpro- zess festgelegten Losgröße sowie von Anzahl, Art und Größe weiterer Aufträge, die auf der gleichen Maschine bereits eingelastet sind, abhängig. Auf dem Board werden die leeren Kanban zunächst so lange gesammelt, bis die Kriterien zum Produktionsbeginn erfüllt sind. So kann man beispielsweise in Abhängigkeit von der Rüstzeit und einer daraus berechneten optimalen Produktionslosgröße definieren, dass mit der Fertigung oder Montage im Vorgängerprozess erst be- gonnen wird, wenn mindestens zwei entsprechende Kanban auf dem Board vorhanden sind. Sobald die Produktion dann beginnt, werden die zugehörigen Abb. 2.5.1 Momentaufnahme eines Kanban-Zyklus 2.5 Dimensionierung von Kanban-Regelkreisen 171 Kanban entfernt. Demzufolge ergibt sich die durchschnittliche Zeit eines Kan- ban auf dem Kanban-Board zu d LosgrößeZeit auf Kanban Board μ − = (4) Ein weiterer Grund, nicht sofort mit der Produktion zu beginnen, kann die gleichmäßige Einlastung verschiedener Aufträge nach Kriterien der Produk- tionsglättung sein (vgl. 3.3 Produktionsnivellierung). Sofern die Kanban-Karten nicht sofort elektronisch an den betreffenden Vor- gängerprozess übermittelt werden (vgl. Kap. 5.5 Elektronische Kanban-Systeme), muss zur Wartezeit noch die Zeit addiert werden, die bis zur nächsten Abholung der Karten vergeht. In der Praxis ist diese Dauer im Verhältnis zu den übrigen Zeiten jedoch zu vernachlässigen. Eine Ausnahme bilden ggf. externe Kanban- Kreise, bei denen ein Lieferant nur im Abstand mehrerer Tage überprüft, ob neue Karten vorliegen. Sofern solche festen Zeitpunkte zum Sammeln von Kanban existieren, ist es durch ein Verkleinern bzw. Vergrößern der Frequenz möglich, den Kanban-Kreislauf kurzfristig an erhöhten bzw. verringerten Bedarf anzupas- sen, ohne die Anzahl von Kanban-Karten zu verändern [Shin 89]. Voraussetzung dazu ist allerdings, dass der fertigende Prozess auch die erforderliche Kapazität besitzt. Der errechnete maximale Umlaufbestand ist nicht mit dem durchschnitt- lichen Bestand gleichzusetzen. Meist sind einige Behälter leer, da sie bspw. gera- de vom verbrauchenden zum produzierenden Prozess transportiert werden oder auf dem Kanban-Board auf die Fertigungsfreigabe und damit die erneute Auffül- lung warten (siehe Abb. 2.5.1). Der Umlaufbestand an Kanban reicht theoretisch aus, um den Kreislauf nicht abreißen zu lassen. Genau in dem Moment, in dem das letzte Teil aus dem letzten Behälter entnommen wird, trifft der erste, erneut gefüllte Behälter wieder ein. Bestimmt man die notwendige Anzahl Kanban allei- ne auf Basis des benötigten Umlaufbestandes, kann jegliche Schwankung im Prozess dazu führen, dass nicht genügend Material vorhanden ist. Um dies zu verhindern, wird ein Sicherheitsbestand definiert und vorgehalten. 2.5.2 Berechnung des Sicherheitsbestandes Bei der Berechnung des Umlaufbestandes im Kanban-Kreislauf ging man von Werten aus, die man über einen längeren Zeitraum im Durchschnitt erwartet. In der Realität liegen aber keine konstanten Verhältnisse vor: • Die Zykluszeit hängt bspw. von Störungen im Produktionsprozess ab. Ferner können auch eine schwankende Auslastung und in der Folge unterschiedliche Wartezeiten zwischen Freigabe und Beginn der Bearbeitung eine Rolle spie- len. Es ist darüber hinaus möglich, dass sich die Rüstzeiten in Abhängigkeit von den Rüstfolgen verändern. • Die Nachfragen in den einzelnen Fertigungs- und Montageprozessen und die Entnahme aus den Kanban-Behältern sind in einer ziehenden Produktion 172 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban vom Verhalten des Endkunden abhängig. Dieser verlangt aber in der Regel täglich oder wöchentlich eine andere Menge und einen variierenden Pro- duktmix. • Auch wenn ein Prozess mit einem sehr stabilen Qualitätsniveau angestrebt wird, können einzelne Teile in einem Kanban-Behälter fehlerhaft und damit nicht verwendbar sein. Der Sicherheitsbestand dient dazu, den Kanban-Kreislauf gegen solche Schwankungen zu schützen und damit eine Selbstregelung der Materialversor- gung in der Produktion zu ermöglichen. Häufig wird zur Bestimmung des Sicherheitsbestandes die so genannte Toyo- ta-Formel genutzt [Mond 97]. Dabei wird der errechnete Umlaufbestand um einen Sicherheitsfaktor β erhöht. S UB Bβ= ∗ (5) 1Max UB B * ( )β⇒ = + (6) mit: Sicherheitsfaktorβ = Das praktische Vorgehen besteht darin, zunächst mit einem hohen β zu star- ten und diesen so lange schrittweise zu reduzieren, bis es zu einem Abriss der Materialversorgung kommt. Insgesamt sind in dieser Formel mögliche Schwan- kungen nur sehr pauschal berücksichtigt. Eine genauere Analyse ist prinzipiell möglich, in der Praxis jedoch schwierig umzusetzen. Man ist vor allem mit zwei Problemen konfrontiert: 1. Um die notwendigen Sicherheitsbestände quantifizieren zu können, sind An- nahmen zu treffen, wie bspw. die tägliche Nachfrage um einen Jahresmittelwert schwanken wird. Die genaue Verteilung der einzelnen Werte um dieses Perio- denmittel lässt sich mit mathematisch-statistischen Funktionen beschreiben. Um die korrekte Verteilungsannahme zu treffen, ist ein detailliertes Wissen in Statistik ebenso wie umfangreiches Datenmaterial erforderlich. 2. Darüber hinaus müssen konkrete Parameter angegeben werden, die die zu- künftige Verteilung der Werte charakterisieren. Zwar ist es relativ einfach, mit Hilfe der in Excel® integrierten Statistikfunktionen (z. B. MITTELWERT und STABW) aus historischen Messungen die gesuchten Größen zu berech- nen. Man ist jedoch immer mit dem Problem konfrontiert, dass sich die Ver- gangenheitsdaten nicht einfach auf die Zukunft übertragen lassen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Kanban-System neu eingeführt wird und sich im Zuge dessen das Verhalten der Produktion ändert. So kann sich eine Zykluszeit, die in einer bestehenden, schiebenden Produktion ermittelt wird, deutlich von derjenigen unterscheiden, die in einem ziehenden Kan- ban-System realisierbar ist. 2.5 Dimensionierung von Kanban-Regelkreisen 173 Dennoch kann eine detaillierte Analyse sinnvoll sein, um die bestehenden Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Unsicherheiten zu erkennen und Anhaltspunkte bspw. für die anfängliche Bestimmung des Faktors β zu erhalten. Gegebenenfalls lassen sich Produkte und Materialien identifizieren, die ähnlich starken Schwankungen unterliegen oder die sich überhaupt erst für eine Kan- ban-Steuerung eignen (vgl. 2.4 Die Kanban-Steuerung; 2.11 Heterogene Materi- alflusssysteme). Für solche Gruppen können dann jeweils eigene β-Faktoren hergeleitet werden. In vielen Fällen sind die Unsicherheiten annähernd normal- verteilt, was die Verwendung der folgenden Formel zur Bestimmung des not- wendigen Sicherheitsbestandes erlaubt: 2 2 2 2 KZZ Q S d KZZ d KZZ Q d I II III B z μμσ μ μ σ σ μ= ∗ + ∗ + ∗ ∗ (7) mit: [Stück]Gutteile AnzahlweichungStandardab Perioden] [AnzahlszeitZweichungStandardab [Stück]BedarfweichungStandardab [Stück]LosproGutteileAnzahlttlichedurchschni Perioden] [AnzahlzeitZttlichedurchschni [Stück]darfPeriodenbettlicher durchschni torServicefak = = = = = = = Q KZZ d Q KZZ d yklu yklus z σ σ σ μ μ μ Die drei gekennzeichneten Terme I, II und III in Gleichung (7) lassen sich iso- liert betrachten und sichern die Produktion gegen Schwankungen in der Nachfra- ge durch den nachfolgenden Prozess (I), gegen eine unsichere Zykluszeit (II) und einen sich verändernden Anteil an i. O. produzierten Teilen (III). Die Stärke der Schwankung wird durch die Standardabweichung σ bestimmt. Diese Größe gibt an, wie stark die einzelnen Zeiten oder nachgefragten Teile im Durchschnitt von einem Mittelwert abweichen. Der Faktor z bestimmt sich aus dem Servicegrad (Der Servicegrad wird häufig auch als Lieferfähigkeit bezeichnet) und drückt die Wahrscheinlichkeit aus, dass die Nachfrage nach einem Produkt Pi in einer Perio- de kleiner ist als die Menge, die von Pi in derselben Periode produziert werden kann, zuzüglich der eventuell vorhandenen Lagerbestände. Je höher die Lieferfä- higkeit sein soll, desto größer ist z und somit die Anzahl der Kanban im Kreislauf. Der Wert von z für eine gewünschte Lieferfähigkeit α (z. B. 99 %) kann mit der in Excel® integrierten Funktion NORMINV ermittelt werden. Der Faktor z bezieht sich auf die Standardnormalverteilung, die einen Mittelwert von 0 und eine Stan- dardabweichung von 1 besitzt. Der Befehl lautet somit NORMINV(α;0;1), für eine gewünschte Lieferfähigkeit von 99 % ist somit z = NORMINV(0,99;0;1). Weiter- führende Ausführungen zur Bestimmung von Sicherheitsbeständen finden sich unter anderem bei Alicke [Alic 03] oder Tempelmeier [Temp 99]. 174 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban 2.5.3 Beispiel Der Prozess, für den im Folgenden beispielhaft ein Kanban-Regelkreis dimensio- niert wird, besteht aus einer Lackiererei, die eine Montage mit farbigen Kunst- stoffteilen beliefert. In einen Behälter passen aufgrund der Geometrie 12 Teile. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit (inkl. Rüst- und Trockenzeit) beträgt zwei Tage. Der Transport in die Montage erfolgt in unregelmäßigen Abständen nach Auslastung der zuständigen Logistiker. Die Boardzeit ist von der Losgröße abhängig, die in der Lackiererei 24 Stück beträgt, da dann die Anlage komplett gefüllt ist. Erfahrungsgemäß kann die Dauer, die bis zum Widereintreffen eines Loses vergeht, um bis zu einen Tag nach oben oder unten schwanken, bspw. durch ungünstige Rüstreihenfolge oder Engpässe beim Transport. Aus Quali- tätsuntersuchungen ist ferner bekannt, dass pro Los im Schnitt 1 Stück aussor- tiert werden muss mit einer Schwankung von 0,3. Die Kundenaufträge der letzten Zeit sind ebenfalls bekannt (siehe Abb. 2.5.2). Abb. 2.5.2 Berechnung von Mittelwert und Standardabweichung der Nachfrage Zunächst wird der Umlaufbestand mit Hilfe der Durchschnittswerte berechnet: 3 U d KZZ dB * * ( Bearbeitungszeit Boardzeit ) 2413* (2 ) 13* ,85 50 13 μ μ μ= = + = + = = (8) Im nächsten Schritt wird nach (7) der Bestand berechnet, um den Kreislauf gegen die Schwankungen der Nachfrage, der Zykluszeit und der gelieferten Gut- menge zu 99 % (Servicegrad) abzusichern: 2 2 2 2 KZZ S d KZZ d KZZ Q d Q 2 2 2 2 B z* 13* 3,852,33* 3,37 3,85 13 0,33 0,3 18,35 23 μσ μ μ σ σ μ μ = ∗ + ∗ + ∗ ∗ = ∗ + ∗ + ∗ = (9) Aus der maximalen Abweichung in der Zykluszeit von ±1 Tag vom Mittel lässt sich näherungsweise die Standardabweichung σΚΖΖ zu 0,33 Tagen bestim- 2.6 Steuerungsverfahren mit Karten 175 men. Bei einer Normalverteilung liegen 99,9 % aller Werte in einer Entfernung vom Mittelwert, die kleiner oder gleich 3σ ist. Somit beträgt im Beispiel σΚΖΖ in guter Annäherung 1/3 = 0,33. Wenn die Karte vor der Entnahme des ersten Teils vom Behälter gelöst wird, ergibt sich somit für die Anzahl der Kanban-Karten (auf die nächste ganze Zahl aufgerundet): 6 12 18,3550b =⎥⎦ ⎤ ⎢⎣ ⎡ += (10) Sofern die Karte erst nach Entnahme des letzten Teils vom Behälter gelöst wird, ist diese Anzahl noch um eins zu erhöhen. Aus dem Verhältnis von Si- cherheitsbestand zu Umlaufbestand lässt sich nach (5) der β-Faktor errechnen: 0,367 50 18,35 ==β (11) Dieser Faktor kann nun genutzt werden, um für Materialien mit ähnlichen lo- gistischen Eigenschaften die Kanban-Kreisläufe zu dimensionieren. Da sich die Rahmendaten wie bspw. Auftragsmengen oder Schwankungen im Lauf der Zeit ändern, sollte sich die Berechnung der notwendigen Bestände in regelmäßigen Abständen wiederholen. Aus den gesammelten Daten lassen sich gezielt Ansatz- punkte identifizieren, um die Kreisläufe zu optimieren und die Menge der bevor- rateten Teile zu verringern. Mit den vorgestellten Modellen werden die Kanban- Bestände isoliert zwischen zwei aufeinander folgenden Prozessen berechnet. Wendet man sie auf sehr komplexe Systeme an, führen andere, aufwändigere Berechnungsverfahren oder Simulationen ggf. zu noch besseren Lösungen. Aus- führungen dazu finden sich z. B. bei Lackes [Lack 95] oder in Kap. 5.6 Simula- tionsbasierte Optimierung der operativen Produktionsplanung bzw. 5.7 Kanban Dimensionierungs-Systeme. 2.6 Steuerungsverfahren mit Karten Philipp Dickmann Abweichende Marktanforderungen haben effiziente Anpassungen der Kanban- Steuerung notwendig gemacht. So sind verschiedene Steuerungsverfahren mit Karten entstanden, die nicht der exakten Kanban-Steuerung entsprechen. Derarti- ge kartenbasierte Steuerungen, Kanban-Ausprägungen und Kanban-ähnliche Steuerungen ermöglichen den Unternehmen nun oft den entscheidenden Vorteil im Wettbewerb. In heterogenen Materialflusskonzepten sind die verschiedenen Elemente von Kanban wichtige „Zahnräder“ im „Uhrwerk“ eines optimierten Ab- laufs. Verschiedenste Konzepte werden hierzu in den Produktionsstufen, auf Teil- ebenen, auf der Zeitachse oder hybrid vernetzt angewendet. Generell sind alle gängigen Steuerungen auch ohne Kanban-Karten umsetzbar. So wurden für ver- schiedenste Anforderungen Steuerungen entwickelt, die dem klassischen Kanban 176 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban ähneln und die auf Kanban-Elemente (Dezentralisierung, Verwendung physischer Materialträger) zurückgreifen. Für vielfältige Steuerungen werden Karten, also Kanban-Karten, zur Steuerung verwendet. Umgangssprachlich werden die Steue- rungen dann vereinfachend als Kanban-Steuerung tituliert. Kanban-ähnliche Steuerungen lassen sich in bestandsorientierte, prognosebasierte, belastungs- orientierte und funktionsbasierte Verfahren klassifizieren. In der Folge werden nun mit Karten gesteuerte Varianten der Verfahren, die im Kap. 2.3 Grundlegende Steuerungsverfahren vorgestellt wurden, beschrieben. 2.6.1 Bestandsorientierte Verfahren • Mindestbestands-, Bestellbestandsverfahren: Dieses, dem klassischen Kanban ähnelnde Verfahren, stellt eine Variante des Bestellbestands-Verfahrens mit- tels Karten dar. So kann auch hier die gängige Kanban-Tafel verwendet wer- den. Die Karten entsprechen allerdings nur einem Lagerbestand. Sobald die Grenze des Bestellbestands unterschritten wird, wird die neue Produktion oder Bestellung ausgelöst. Der Unterschied zu Kanban liegt hier in der fehlenden Begrenzung des Maximalbestands durch die Gesamtsumme der Karten. Kan- ban kann als Sonderform des Bestellbestands-Verfahrens interpretiert werden. • Stop-and-go- bzw. Ampel-Kanban: Die Ampelsteuerung oder „Stop and go“- Steuerung unterscheidet sich lediglich durch einen gelben Übergangsbereich auf der Kanban-Tafel. Dort kann entsprechend einer Ampel der Produk- tionsauftrag angestoßen werden. Beide Verfahren sind auch als physischer Stapel visualisierbar, an dem ein Zeiger den Bestellbestand anzeigt. Ansons- ten kann bei diesen Methoden die gleiche Methodik und das gleiche Equip- ment wie bei Kanban verwendet werden. • Minimal Blocking: Verschiedene Autorengruppen [Lödd 05] kommen zu widersprüchlichen Aussagen bezüglich der Effizienz dieses Verfahrens im Vergleich zum klassischen Kanban. Es erlaubt in einer Kette von Fertigungs- maschinen höhere Puffer in den Zwischenschritten, reagiert daher flexibler und mit weniger Ausfallzeiten auf Störungen. Die Methode ist vorteilhaft bei Materialflüssen mit großer Störungshäufigkeit und schlechterer Austaktung bzw. stark unterschiedlichen Durchlaufzeiten. Letztlich ist diese Steuerung in großen Teilen eine Anpassung an schlechte Abläufe. Ein besserer Ansatz ist z. B. diese Produktionsabläufe zunächst mit Kaizen zu optimieren, um dann mit einer konventionellen Kanban-Steuerung, geringeren Lagerbeständen und einer geringeren Störungshäufigkeiten eine höhere Lieferfähigkeit und Flexibilität zu erreichen. 2.6.2 Prognosebasierte Verfahren Kein größeres Unternehmen arbeitet heute ohne ein MRP-System. MRP-Sys- teme bieten den Vorteil, dass durch die Vernetzung zu nicht produktionsbezo- 2.6 Steuerungsverfahren mit Karten 177 genen Systemen viele Arbeitsschritte in den indirekten Bereichen (beispielsweise die Entlohnung, die Rechnungsstellung oder die Übermittlung der Bedarfe via EDI an den Lieferanten oder den Kunden) automatisiert werden können. In der betrieblichen Praxis werden, aus praktischen Zwängen und zur Optimierung der Prozesse, häufig Elemente der MRP-Systeme nicht verwendet, substituiert, ver- netzt oder hybrid betrieben (vgl. 2.9 Hybride Steuerungskonzepte; 2.10 Matrix- hybride Materialflusssteuerung). Hybride Steuerungen unter Verwendung von MRP- oder Fortschrittszahlen-Systemen sind die häufigsten hybriden Kombina- tionen. Es stellt sich dabei die Frage, wie die Systeme miteinander verbunden werden. Beispielsweise bietet sich die Kombination mit einer prognosebasier- ten Kanban-Dimensionierung (vgl. 2.10 Matrixhybride Materialflusssteuerung; 5.7 Kanban Dimensionierungs-Systeme) an. Diese Variante vereint die klassi- schen Vorteile von Kanban mit den Vorteilen einer prognosebasierten Steue- rung wie MRP. Dadurch wird der Nachteil des klassischen (statischen) Kanban- Verfahrens, dynamische Veränderungen nicht abbilden zu können, behoben. Die Kanban-Dimensionierung wird dabei mittels der MRP-Daten kontinuierlich angepasst. 2.6.3 Belastungsorientierte Verfahren Diese Systeme werden überwiegend zur Feinsteuerung, vor allem im Bereich der Teilefertigung, eingesetzt. Interessanterweise hat sich in vielen anderen in- dustriellen Bereichen ein aus der Sicht der Materialnummern neutrales, belas- tungsorientiertes Kanban etabliert. Kanban mit neutralen Materialnummern (MNK) steht für eine sehr offene und wenig detaillierte Arbeitsweise. Im Ver- gleich zu den gängigen anderen Steuerungsmethoden werden nur geringe Vor- gaben bezüglich der einzustellenden Steuerungsparameter benötigen. Die Kan- ban-Varianten mit neutralen Materialnummern werden in der Praxis sehr häufig angewendet, sind jedoch überwiegend nicht detailliert wissenschaftlich aufbereitet. Die Vielzahl der belastungsorientierten Steuerungen, die mit Kan- ban-Karten ausgeführt werden, können an dieser Stelle nur auszugsweise dar- gestellt werden. • Workload Control [Jend 78]: Die Aufträge kommen von einem hybrid über- geordnetem MRP-System. Aufträge, welche das System überlasten würden, werden zurück gehalten. Nur wenn eine Freigabe aller einzelnen Arbeitssys- teme, aufgrund des Bestands dies gestattet, wird der Auftrag frei gegeben [Lödd 05]. Hierfür wurde von Chang und Yih [Chan 94] eine Variante des Verfahrens mit arbeitssystemspezifischen Kanban-Karten beschrieben. Der Auftragsstart wird durch die Anzahl der Karten angestoßen. • Constant Work-in-Process-Kanban (CONWIP-Kanban) [Lödd 05]: Bei dieser Steuerung spricht man von Kanban, jedoch wird anstelle von Stückvorgaben auf Zeitvorgaben zurückgegriffen. Vor allem bei starker Variantenvielfalt ist dies sinnvoll, da trotz der Vielfalt die Anzahl der Arbeitsstunden relativ kon- 178 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban stant ist, während die Ausbringung stark variieren kann. Der Name leitet sich daraus ab, dass durch die konstante Anzahl der Kanban-Karten der Arbeits- inhalt im System konstant gehalten werden kann, wodurch ein gleichbleiben- der Werkstattbestand (Constant work in Process) erzielt wird. • Kanban mit belastungsorientierter Auftragsfreigabe (BOA–Kanban) [Lödd 05]: Nach dem Durchlauf der Grobterminierung im übergeordneten MRP- System wird diese Variante zur Feinsteuerung angewandt. Nach der zentralen Produktionsplanung steht, bezogen auf eine definierte Zeitspanne, eine be- stimmte Anzahl von Aufträgen zur Feinplanung an. Die Aufträge werden auf- grund frei werdender Kapazität gestartet. Der Einlastungsprozentsatz (EPS) ist der mittlere Bestand an Produktionsaufträgen vor den Arbeitsstationen. Es handelt sich also um die bestimmende Prozentzahl je Arbeitsstation. • Paired-Cell Overlapping Loops of Cards with Authorization (POLCA- Steuerung) [Suri 98]: Bevor dem Auftrag die Freigabe erteilt wird, müssen mehrere Teil-Freigaben erfolgen. Der im MRP vorgegebene Auftragsfreigabe- zeitpunkt muss überschritten, die Freigabe durch einen dezentralen Kanban- Bestandsregelkreis vorhanden und die zeitbezogene Kapazitäts-Freigabe mit oder ohne Kanban muss gegeben sein. Die Methode wurde für Fertigungsin- seln entwickelt, die im Idealfall im One-piece-flow arbeiten. 2.6.4 Funktionsbasierte flexible Steuerung Production Authorisation Card-Kanban (PAC-Kanban) [Buzz 92; Lödd 05]: Bei diesem etwas kompliziert wirkenden, aber sehr vielversprechenden Konzept werden drei Scheine oder Karten angewandt: Die PA-Karte repräsentiert einen Produktionsauftrag. Der Order Tag (Auftragsschein) informiert über einen gegenwärtigen oder zukünftigen Bedarf. Der Requisition Tag (Materialentnah- meschein) berechtigt zur Lagerentnahme und zum Transport. Dieses Verfahren kann mit der gleichen Steuerungslogik aufgrund der unterschiedlichen Defini- tion der Parameter auf den Karten unterschiedliche Steuerungen abbilden (vgl. 2.8. Das Production Authorization Card-Konzept). 2.7 Dezentrale Bestandsorientierte Fertigungsregelung (DBF) Hermann Lödding Die Dezentrale Bestandsorientierte Fertigungsregelung (DBF) gehört zur Klasse der Auftragsfreigabeverfahren. D. h. sie bestimmt den Zeitpunkt, zu dem ein Auftrag für die Fertigung freigegeben wird. Das Verfahren setzt ein übergeord- netes Planungsverfahren voraus, das aus einer Kundennachfrage oder einem Verbrauch Aufträge erzeugt, wie z. B. das MRP II-Verfahren oder die Kanban- 2.7 Dezentrale Bestandsorientierte Fertigungsregelung (DBF) 179 Steuerung. Die DBF verknüpft die Arbeitssysteme einer Fertigung mit dezentra- len Bestandsregelkreisen (vgl. Abb. 2.7.1). Sie ermöglicht so die dezentrale Steu- erung von Beständen und Durchlaufzeiten der Arbeitssysteme. Die DBF unter- stützt die folgenden Zielsetzungen: • Bestandsregelung der Arbeitsysteme und der gesamten Fertigung • Dezentralisierung der Fertigungssteuerung • Erhöhung der Bestandstransparenz • Nivellierung des Auftragszugangs zu den Arbeitssystemen. 2.7.1 Funktionsweise Wichtigster Verfahrensparameter ist die Bestandsgrenze. Jedes Arbeitssystem erteilt Aufträgen an Vorgängerarbeitssystemen die Bearbeitungsfreigabe, wenn sein Gesamtbestand kleiner ist als seine Bestandsgrenze. Andernfalls verweigert es die Auftragsfreigabe. Dadurch kann jedes Arbeitssystem seinen Bestand be- grenzen. Freigabekriterium ist damit der Bestand der Arbeitssysteme. Berück- sichtigt wird zum einen der direkte Bestand am Arbeitssystem und zum anderen der Indirektbestand an Vorgängerarbeitssystemen. Dieser umfasst diejenigen Aufträge, für die die Bearbeitungsfreigabe bereits erteilt wurde, die jedoch noch nicht am Arbeitssystem eingetroffen sind. Die Mitarbeiter können die Bestands- grenze umso kleiner wählen, je kleiner und harmonischer die Auftragszeiten sind. Die Höhe der Bestandsgrenze kann methodisch mit Hilfe von Produk- tionskennlinien bestimmt werden [Nyhu 02]. In der Praxis bietet es sich bei der Einführung an, die Bestandsgrenzen etwas höher zu setzen und sie dann schrittweise zu reduzieren. Variiert die Reihenfolge, in der die Aufträge die Abb. 2.7.1 Regelkreis der Dezentralen Bestandsorientierten Fertigungsregelung (DBF) 180 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban Arbeitssysteme durchlaufen, wird als zusätzliches Freigabekriterium eine Rei- henfolgenummer für die Arbeitssysteme vergeben, um zu vermeiden, dass sich Arbeitssysteme gegenseitig blockieren (vgl. [Lödd 01] zu Details). 2.7.2 Anwendungsgebiete Die DBF eignet sich grundsätzlich überall dort, wo die Aufgaben der Fertigungs- steuerung an die Mitarbeiter der Fertigung delegiert werden sollen. Sie ermög- licht eine effektive Bestandsregelung an allen Arbeitssystemen der Fertigung. Das Verfahren setzt eine umfassende Schulung der Fertigungsmitarbeiter voraus und erzwingt die Kommunikation zwischen den Mitarbeitern der Fertigung. 2.7.3 Erweiterungen Die DBF wurde um ein spezifisches Verfahren zur Rückstandsregelung ergänzt. Dieses nutzt Verfahrensspezifika, um Entscheidungen über die kurzfristige Nut- zung flexibler Kapazitäten zu treffen. Ziel ist die Erhöhung der Termintreue einer Fertigung [Lödd 01; Lödd 02]. 2.7.4 Alternative Verfahren In der Literatur werden verschiedene weitere Auftragsfreigabeverfahren be- schrieben. Die wichtigsten Formen bzw. Verfahren der Auftragsfreigabe sind: • Bei der weit verbreiteten Auftragsfreigabe nach Termin wird ein Auftrag für die Fertigung freigegeben, sobald der Plan-Starttermin erreicht ist (vgl. [Lödd 05]). Vorteilhaft ist die einfache Umsetzung. Das Verfahren eignet sich nicht zur Bestandsregelung der Fertigung. Der Bestand kann jedoch über die Plan-Durchlaufzeiten beeinflusst werden. • Bei der sofortigen Auftragserzeugung kann jeder Auftrag bearbeitet werden (vgl. [Lödd 05]). Damit ist eine Bestandsregelung über die Auftragsfreigabe unmöglich. Sinnvoll eingesetzt werden kann die sofortige Auftragsfreigabe z. B. dann, wenn wenige Varianten über Kanban-Kreisläufe gesteuert werden. • Die Polca-Steuerung ist wie die DBF ein dezentrales Verfahren, das sich ins- besondere für einfache Materialflüsse eignet (vgl. [Suri 98]). • Die Conwip-Steuerung (Constant Work in Process [Hopp 96]), die Engpass- Steuerung (vgl. [Lödd 05]) oder die Belastungsorientierte Auftragsfreigabe (vgl. [Wien 97]) geben den gesamten Auftrag frei. Derartige zentrale Auf- tragsfreigabeverfahren lassen sich ohne die Beteiligung der Fertigungsmitar- beiter umsetzen. 2.8 Das Production Authorization Card (PAC)-Konzept 181 2.8 Das Production Authorization Card (PAC)-Konzept – ein Metakonzept zur Materialflusssteuerung Thomas Rücker, Herfried M. Schneider, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Technische Universität Ilmenau Für die Produktionsplanung und -steuerung (PPS) von mehrstufigen Produk- tionssystemen, die sich durch die Koexistenz von mehreren Produktionsstufen auszeichnen, deren Organisationsform und Ablaufstruktur sich unterscheidet, eignet sich das Production Authorization Card (PAC) -Konzept [Buza 92; Buza 93; Rück 04; Schn 05; Schn 03], da es auf Basis eines generalisierten Modells bei geeig- neter Einstellung der Parameter verschiedene Materialflusssteuerungskonzepte, wie MRP, Kanban und Base Stock abbilden kann und eine „optimale“ Koordinati- on eines Fertigungssystems mit mehreren Subsystemen übernehmen kann. Ein PAC-gesteuertes Produktionssystem (vgl. Abb. 2.8.1) setzt sich aus den zwei Grundelementen Zelle und Lager zusammen, welche über Informations- und Materialflüsse interagieren. Jede Produktionsstufe setzt sich aus einer Zelle oder mehreren parallelen Zellen sowie mehreren Lagern, mit den in der jeweili- gen Produktionsstufe hergestellten Produkten, zusammen. Im Folgenden wird, ohne Beschränkung der Allgemeingültigkeit, davon ausgegangen, dass auf einer Produktionsstufe genau ein Produkt hergestellt wird, das in einem Ausgangsla- ger bevorratet wird. Abb. 2.8.1 Aufbau eines PAC-gesteuerten Produktionssystems 182 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban Eine Zelle umfasst die Ressourcen zur Herstellung eines abgegrenzten Spek- trums von Produkten (Vor-, Zwischen- oder Endprodukte). Beispielsweise kann es sich bei einer Zelle um einen Spritzgussautomaten, mehrere parallele Spritz- gussautomaten oder sogar ein komplexes Werkstattfertigungssystem handeln. Jeder Zelle ist eine eigene dezentrale Steuerungsinstanz (Zellenmanagement) zugeordnet, welcher die Reihenfolgeplanung der Produktionsaufträge sowie die Bestellung von Rohmaterialien obliegt. Jedem in einer Stückliste ausgewiesenen Produkt ist ein Lager zugeordnet, in dem die PAC-Funktionslogik untergebracht (vgl. Abb. 2.8.1) ist. Die darin be- vorrateten Produkte werden an die downstream gelegene(n) Zelle(n) bzw. (bei Endprodukten oder Ersatzteilen) an die Kunden weitergegeben; die Zellen lie- fern an das (die) downstream gelegene(n) Lager. Zwischen den Zellen und den Lagern besteht insofern eine m:n-Beziehung, d. h. ein oder mehrere Lager kann (können) ein oder mehrere Produktionssegmente beliefern und vice versa. Die Koordination der Materialflüsse und Auftragsfreigabe basiert auf verschiedenen produktspezifischen Informationsträgern, so genannten Tags, die sich auf je- weils eine Einheit eines bestimmten Produktes beziehen: • Order Tags werden durch die interne oder externe Verbrauchsstellen (Zellen- management oder Kunde) erzeugt und signalisieren einen gegenwärtigen oder zukünftigen Bedarf an einem Produkt. • Requisition Tags werden ebenfalls von der Verbrauchsstelle generiert und lösen einen Transport von einem upstream gelegenen Lager zu dieser aus. • Production Authorization (PA) Cards lassen sich als Produktionsaufträge interpretieren. Sie werden durch die Lager auf Basis der vorliegenden Order Tags generiert und dem Management der vorgelagerten Zelle bzw. dem Zulie- ferer übergeben. Ihr Vorhandensein autorisiert die Zelle (bzw. den Lieferan- ten) zur Produktion des entsprechenden Produktes. Weiterhin initiiert die Ankunft einer PA Card die Bestellung der notwendigen Vorprodukte, indem zum Zeitpunkt ihres Eintreffens eine einstufige Stücklistenauflösung vorge- nommen wird, die in der sofortigen Erzeugung einer entsprechenden Anzahl Order Tags und der um die Zeitspanne τ(j) verzögerten Generierung von Re- quisition Tags resultiert. τ(j) kann Null betragen, wodurch eine gleichzeitige Erzeugung von Order und Requisition Tags erfolgt. • Process Tags werden jedem Lager in einer definierten Menge zugeordnet. Durch die Ankunft eines Order Tags wird bei dem Vorhandensein eines Pro- cess Tags eine PA Card generiert. Befindet sich kein Process Tag im Lager, so muss ein Order Tag bis zu Ankunft eines Material Tags warten. Die Anzahl der Process Tags beschränkt somit den maximalen Work-in-Process (WIP)- Bestand der PA Cards eines Produktes im vorgelagerten Produktionssegment. • Material Tags lassen sich als Begleitscheine interpretieren, welche die aus phy- sischen Produkten bestehenden Fertigungslose eindeutig identifizieren. • Delivery Advice Notes fungieren als Lieferscheine, indem sie von einem Lager zum Zeitpunkt der Lagerentnahme erzeugt werden und zusammen mit der Entnahmemenge an das downstream gelegene Produktionssegment überge- ben werden. 2.8 Das Production Authorization Card (PAC)-Konzept 183 Bei lagerorientierter Produktion werden die Bedarfsinformationen der End- produkte übermittelt, indem der Kunde nur Requisition Tags versendet, während die Order Tags basierend auf einer Prognose vor dem Eintreffen der Requisition Tags durch das Produktionsmanagement erzeugt werden. Bei auftragsorientier- ter Produktion übermittelt der Kunde bei der Auftragsvergabe Order Tags und zum vereinbarten Liefertermin Requisition Tags. Im Rahmen des PAC-Konzeptes existieren vier Steuerungsparameter: • z(j): Anzahl der in einem Lager j im initialen bzw. unbelasteten Systemzustand vorhandenen Einheiten des Produktes j (Solllagerbestand); • k(j): Anzahl der einem Lager j zugeordneten Process Tags für das Produkt j; • τ(j): Zeitverzögerung zwischen Order Tags und den korrespondierenden Re- quisition Tags für das Produkt j; • r(j): Losgröße des Produktes j. Lose können dabei an verschiedenen Stellen erzeugt werden [Schn 05]: • Nach der Generierung von PA Cards; • nach der Generierung von Requisition Tags; • vor der Bearbeitung der Material Tags in einem Produktionssegment. Darüber hinaus kann durch die Festlegung von Prioritäten auf die Reihenfol- ge der Aufträge innerhalb eines Segmentes Einfluss genommen werden. Unter Zugrundelegung dieser Steuerungsparameter kann für jedes Produkt bzw. jede Produktionsstufe eine individuelle Steuerungspolitik festgelegt werden. In Ta- belle 2.8.1 sind die Parametereinstellungen für einige elementare Steuerungspo- litiken dargestellt. Unter Zugrundelegung des PAC-Konzepts können die meisten konventionel- len Politiken zur Materialflusssteuerung (Base stock, Kanban, MRP, Make-to- order, Conwip sowie die weniger bekannten Politiken Integral Control sowie Local Control) abgebildet werden. Darüber hinaus können mit Hilfe des PAC- Konzepts neue, bislang unbekannte Steuerungspolitiken entwickelt werden, welche die vorteilhaften Eigenschaften mehrerer konventioneller Politiken mit- einander verbinden. Damit ist das PAC-Konzept in der Lage, eine optimale, an die jeweilige Fertigungssituation und -organisation angepasste Koordination und Steuerung eines mehrere Produktionsstufen umfassenden Produktionssys- Tabelle 2.8.1 PAC-Parametereinstellungen für verschiedene elementare Steuerungspoli- tiken z(j) k(j) τ(j) r(j) MRP 0 = > 0 1 Kanban > 0 = z(j) = 0 1 Base Stock > 0 = = 0 1 Conwip > 0 = = 0 1 184 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban tems zu gewährleisten. Das PAC-Konzept kann sowohl bei kundenauftragsano- nymer als auch bei kundenauftragsorientierter Produktion eingesetzt werden und eignet sich damit zur Darstellung aller Typen der Programmbildung: • Make-to-stock (MTS): Es erfolgt eine Bevorratung der kundenauftragsano- nym vorgefertigten und standardisierten Endprodukte, welche das gesamte Produktionssystem durchlaufen haben. Wenn ein Kunde eine Bestellung auf- gibt, dann erwartet er, dass das Produkt bereits im Lager vorrätig ist und un- verzüglich ausgeliefert wird. • Assemble-to-order (ATO) bzw. Finish-to-order (FTO): Die standardisierten Zwischenprodukte werden kundenauftragsanonym auf Lager gefertigt. Die Montage (bzw. Fertigstellung) der (teilweise standardisierten) Endprodukte geschieht jedoch erst nach Aufgabe einer Bestellung durch den Kunden. • Make-to-order (MTO): Die (teil-)standardisierten Erzeugnisse des Unterneh- mens müssen nach Ankunft eines Kundenauftrags das gesamte Produktions- system durchlaufen. Lediglich im Eingangslager erfolgt eine Bevorratung der Vorprodukte. 2.9 Hybride Steuerungskonzepte Philipp Dickmann Hybride Steuerungskonzepte bestehen aus unterschiedlichen, parallel angeleg- ten Steuerungsverfahren. Sie werden eingesetzt, um ihre Schwächen gegenseitig zu kompensieren und die Summe ihrer Vorteile auszunutzen. Es lassen sich vier verschiedene hybride Ansätze unterscheiden: vertikal, horizontal, funktional und die Matrix. Zudem kann die hybride Logik, neben der operativen Steue- rung, auch zur Ermittlung des optimalen Algorithmus und zur dynamischen Dimensionierung angewandt werden. In der modernen heterogenen „Material- flusswelt“ fließen neben den eigentlichen Steuerungs-Algorithmen auch andere Ebenen mit Steuerungsinformationen in die Steuerungsentscheidung ein. So ist die matrixhybride Steuerung (MHS), unter dieser erweiterten Definition in der betrieblichen Umgebung heute schon lange Standard. Da die Sichtweise bisher disziplinär eingeschränkt ist, werden die Komplexität, die Möglichkeiten, aber auch die Probleme von MHS nicht erkannt. Bei einem hybriden Ansatz werden zwei oder mehrere Materialsteuerungsme- thoden eigenständig etabliert. Auf den ersten Blick erscheint dies nicht sinnvoll, da dadurch eine erhöhte Komplexität und ein Mehraufwand für Pflege und Einga- ben entstehen. Redundanz ist eine gängige Methode, um die nötige Stabilität ge- gen Störungen zu erreichen. In der Biologie oder auch in der Technik werden kriti- sche Komponenten doppelt ausgelegt, um auch im Extremfall die Funktion sicher zu stellen. Dieses Prinzip kann auch auf die Steuerungsmethode übertragen wer- den. Die Komponenten von hybriden Steuerungen sind aber nicht nur redundant, sondern auch verschieden. Dadurch können die Schwächen des einen Systems 2.9 Hybride Steuerungskonzepte 185 durch die Stärken des anderen ausgeglichen werden. Häufig anzutreffende Kom- binationen sind z. B. Grobsteuerungen mittels MRP, die durch eine Feinsteuerung aus Kanban oder belastungsorientierter Steuerung untergliedert sind. Diese Kombination und der Einsatz dynamischer Kanban-Varianten ermög- licht die Kanban-Penetration auch bei komplexen Produktionsabläufen, varian- tenreichen Produkten oder dynamischen Bedarfen auszuweiten und die Vorteile von Kanban umfassender zu nutzen (über 80 % des Teileflusses bei mehr als 10 Produktionsstufen wurde bereits realisiert; siehe Abb. 2.9.5 Kanban-Penetra- tion in der Praxis u. Kap. 2.10.7 Ausweitung der Penetration von Kanban bei komplexen Produktionsprozessen und Produkten). 2.9.1 Hybride operative Steuerungs-Algorithmen Die gängige Definition von hybrider Steuerung ist die Kombination von Steue- rungsverfahren, welche die Entscheidung und Freigaben für den Auftragsstart definieren. Die Systeme können dabei sowohl in EDV als auch mittels physi- scher Karten bzw. Behälter abgebildet sein. Letztlich wird die Kopplung ver- schiedener operativer Steuerungs-Algorithmen angestrebt, um damit einen für die jeweilige Anwendung optimalen Algorithmus zu erzielen. Es sind vertikale Abb. 2.9.1 Übersicht der hybriden Steuerungsalgorithmen 186 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban (VHS) oder horizontale (HHS) hybride Steuerungen [Gera 05] zu unterscheiden. Zur Auswahl der geeigneten Steuerungs-Algorithmen sind die Kriterien von Lödding [Lödd 05] zu empfehlen. Vertikale hybride Steuerung (VHS) Vertikal dezentrale hybride Steuerungen (VDHS) [Gera 05]: Ein Glied der Kette wird dezentral redundant mit einem anderen Steuerungsverfahren gesteuert. Die gängigste Variante ist eine Mischung der Steuerungen innerhalb der Ebe- nen der Materialkette. Eine gemischte Anwendung z. B. von Kanban (bestands- orientiert) auf der Ebene des Kundenverbrauchs zur Absicherung der 100 % Lieferfähigkeit, mit einer MRP Steuerung (prognosebasiert) auf den darunter oder darüber liegenden Ebenen, ist sehr häufig in Unternehmen anzutreffen. Ein typisches Beispiel hierfür ist Synchro MRP [Hall 86]. Die Firma Yamaha wollte damit die Vorteile von Kanban in der Fertigung mit dem der Fort- schrittszahlensteuerung in MRP kombinieren. Die Steuerungsregel ist sehr ein- fach: Es dürfen solange Aufträge eröffnet werden, bis die Schlagzahl aus dem Tagesprogramm erreicht wird. Ein anderer häufiger Ansatz ist die Kombination von belastungs- mit bestands- (z. B. Kanban) oder auch prognosebasierten (z. B. MRP) Verfahren. Die belastungsorientierten Steuerungsverfahren wurden maß- geblich zum Zweck der Feinsteuerung von Fertigungsprozessen, im Regelfall mit einem übergeordneten Steuerungsverfahren, entwickelt und können daher grundsätzlich als VHS interpretiert werden (vgl. 2.3 Grundlegende Steuerungs- verfahren). Darüber hinaus wurden noch komplexere Steuerungs-Algorithmen wie z. B. hybrides Kanban-CONWIP [Bovi 97] entwickelt. Hier werden zwei Bestandsregelungen für jede einzelne Arbeitsfolge verknüpft. Der Auftrag darf nur gestartet werden, wenn eine Kanban-Karte vom Fertigwarenkorb und vom vorhergehenden Prozessschritt vorliegt. Bei Workload-Control [Jend 78] kom- men die Aufträge von einem hierarchisch hybrid übergeordneten MRP-System in die bestandsorientierte Produktionseinheit. Aufträge, welche das System überlasten würden, werden zurückgehalten. Nur wenn die Freigabe aller einzel- nen Arbeitssysteme aufgrund des Bestands gestattet wird, kann der Auftrag frei gegeben werden. Auch die dezentrale bestandsorientierte Fertigungsregelung (DBF) [Lödd 05] (vgl 2.7 Dezentrale Bestandsorientierte Fertigungsregelung) kann als hybride Steuerung interpretiert werden, da hier verschiedene Steue- rungselemente zusammengeführt werden. Vertikal linear verknüpfte Steuerun- gen (VLVS) werden vielfach auch als hybrid interpretiert, da einzelne Glieder alternativ wechselnde Steuerungen aufweisen. Horizontale hybride Steuerung – z. B. horizontal dezentral Hybrid [Hodd 91] Dies umfasst unter MRP mehrere parallele Steuerungsebenen, z. B. unterschied- liche Steuerungsverfahren je Materialfamilien. Ein sehr häufiger Ansatz ist die parallele Steuerung in einer Produktionsstufe mit verschiedenen Konzepten, wie beispielsweise je nach Station oder Produktfamilie mit Kanban oder MRP. Auch C-Teilemanagement ist hierfür ein typisches Beispiel: Für wenig werthaltige 2.9 Hybride Steuerungskonzepte 187 C-Teile wird ein unexaktes, aber auch einfaches Kanban eingesetzt, das jedoch 100 % Lieferfähigkeit mit hoher Sicherheit gewährleistet. Die darüber liegenden Ebenen sind beliebig anders gesteuert, häufig mit MRP. Funktionale hybride Steuerung Der Markov Decision ProcessHybride Steuerung: (MDP) [Hodd 91; Hodd 91b] ist ein sehr flexibles, horizontal hybrides Konzept, das wegen seiner hohen Kom- plexität vorwiegend für Systementwickler relevant ist, ebenso das funktional hybride interpretierbare PAC-Konzept [Buzz 92]. Matrixhybride Steuerung (MHS) Eine Mischung aus vertikalen (VHS) und horizontalen (HHS) Ansätzen ist die matrixhybride Steuerung. Hierbei werden an allen Entscheidungsknoten redun- dant verschiedene Steuerungen in die Entscheidung eingebunden. Diese Methode ist ähnlich flexibel wie die funktionale Steuerung PAC. Das Problem bei der realen Anwendung von hybriden Steuerungen liegt in der Vielzahl der einzubindenden Entscheidungsebenen. Verglichen mit einfachem Kanban kann die Qualität der Steuerung deutlich verbessert werden, da eine große Zahl an Störgrößen sichtbar und dadurch behebbar wird, was eine positive Auswirkung auf die reale Umset- zung hat. Daraus leitet sich jedoch ab, dass nicht zu viele Steuerungssysteme kom- biniert werden können. Der Mehraufwand muss in einem sinnvollen Verhältnis zur Verbesserung stehen, wobei zudem die Komplexität beachtet werden muss. 2.9.2 Hybride Steuerungen in der Simulation zur Ermittlung des optimalen Algorithmus und zur dynamischen Dimensionierung Ein anderer Ansatz Steuerungsmethoden hybrid anzuwenden erfolgt in Soft- wareapplikationen, die vollautomatisch verschiedene Steuerungssysteme ver- gleichend darstellen und dann den optimalen Algorithmus errechnen. Hierbei erfolgt nur der Auswahlprozess für die Steuerungsmethode hybrid. Die Ent- scheidung für den Auftragsstart findet abhängig von dem auswählten Konzept statt [Schn 05; Dick 02; Dick 02b]. Die Dimensionierung und die Auswahl des Steuerungsverfahrens finden vergleichend zwischen den Steuerungen statt, die operative Steuerung selbst ist in diesem Fall nicht hybrid. 2.9.3 Hybride Steuerungen nach einer erweiterten Definition der Materialflusssteuerung In der Realität der Unternehmen werden, neben den standardisierten Steuerungs- logiken der Steuerungsverfahren, überlagernd ergänzende Informationen zur Entscheidung herangezogen. Um eine maßgeschneiderte Steuerung zu erreichen, 188 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban die alle firmenspezifischen Problemstellungen optimal löst, werden verschiedene Ansätze parallel verwendet. Das Ergebnis ist eine kumulierte Gesamtcharakteris- tik, bei der, je nach verwendeter Komponente, eine deutliche Annäherung an eine nötige Steuerungsqualität erreicht wird. Für die reale Anwendung wird durch die Mischung verschiedener Steuerungen eine annähernd immer optimale Steue- rungsqualität erzielt. Kombinationsmöglichkeiten Nach dieser erweiterten, praxisnahen Definition existieren je nach Aufgabenstel- lung folgende Kombinationsmöglichkeiten für hybride Steuerungen: • Simulationen und Szenerien von Simulationen • Produktionsunterstützende EDV-Systeme mit implementierten Steuerungs- informationen, z. B. MRP (Material Requirement Planning Systems), Ampel-, Bestellpunkt-, Mindestbestandssteuerungen etc. • Hochrechnungen von Abschnitten auf der Zeitachse (Vergangenheitsinterval- le, Kundenabrufe, Kundenprognosen, reale Abrufe etc.) • Planwirtschaftliche Steuerungsvorgaben • Warehouse- oder Lagerplatzinformationen • Maschinen- und Arbeitsplaninformationen • Physische Materialflussinformationen (z. B. leere Behälter, Karten etc.) • Auslastungsorientierte Informationen bezogen auf Anlagen oder Personal • Planungsroutinen. Abb. 2.9.2 Optimierung des Erfüllungsgrads durch die hybride Kombination von Steue- rungen: Dies gilt bezogen auf ein Eignungskriterium (z. B. Wiederbeschaffungszeit). Zielbereich kann beispielsweise der Planungshorizont sein. Im Kurzfristbereich bringt hier Kanban (Methode A) und im Langfristbereich MRP (Methode B) bessere Ergebnisse. 2.9 Hybride Steuerungskonzepte 189 Prinzipiell sollten möglichst gegensätzliche Materialflussebenen bzw. -ansätze miteinander kombiniert werden. Auf diese Weise werden viele Basisinformatio- nen für die Entscheidung eingebunden und Störgrößen verifizierbar. Unter Berücksichtigung dieser erweiterten Definition des Begriffs der Steuerungsme- thode ist die matrixhybride Steuerung im heterogenen realen Materialfluss gän- gig. In den üblichen betrieblichen Abläufen sind verschiedene Entscheidungs- ebenen mit klaren Steuerungs-Algorithmen keine Seltenheit. Der Abgleich wird durch zentrale Steuerungstools mit untergeordneten Feinsteuerungstools er- reicht. Die Alternative sind auf dezentrale Produktionsbereiche bezogene Steue- rungen, zum Abdecken des gesamten Materialflusses. So kann zum Beispiel eine Produktionsplanung mit Kundenprognose, Fortschrittszahlen, MRP und Kan- ban auf Kundenmontageebene abgeglichen werden. In den darunter liegenden Ebenen wird eine Feinsteuerung mit eventuell kapazitätsbasierten Systemen, Kanban, MRP oder auch C-Teile-Kanban differenziert. Breitere und komplexere Zielsetzung Die Zielsetzung hybrider und matrixhybrider Systeme geht weit über die Ziele und Potentiale einer einzelnen Steuerung hinaus. Es wird nicht nur eine tages- genaue Abschätzung der Bedarfe wie bei MRP oder die optimale Steuerung der Serienteile durch Kanban erreicht, sondern auch ein ganzheitliches Optimum für den Materialfluss. Das gilt auch für Sonderfälle, etwa bei komplexen Produk- ten bzw. Produktionsprozessen, hoher Änderungsdynamik, Variantenfertigung oder Ersatzteilen. Folgende Faktoren werden dadurch erfüllt: • Erhöhung der Sicherheit der Steuerung: Nach dem Motto: „Zwei Augen sehen mehr als eines“ (s. Abb. 2.9.3) führt die Redundanz der Systeme zu einem Kon- trollmechanismus, der eine Verifikation der Steuerungsergebnisse ermöglicht. Abb. 2.9.3 Sicherheit durch hybride- und matrixhybride Steuerungen: „Zwei Augen sehen mehr als eines“. 190 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban Lieferant Kunde Hybride Steuerung MRP Kanban Abb. 2.9.4 Besseres Erkennen von Fehlern und Störungen mit der Kombination mehrerer Steuerungsverfahren: z. B. Hybrides MRP-Kanban. • Reduzierung der Störgrößen: Gleichzeitig führt die gegenseitige Kontrolle der Steuerungen zu einer Reduzierung der Störgrößen im gesamten Materialfluss. Das Ziel von MHS ist es nicht, so gut wie möglich mit Fehlern zu leben, son- dern weniger störungsanfälligere Prozesse zu erzeugen und damit auch im Krisenfall (z. B. bei kurzfristigen Kundenabrufen) eine optimale Logistik zu erzielen. • Reduzierung der Kanban-Puffer und des gesamten Lagerbestandes: Auch eine Reduzierung der Umlaufbestände wird durch die Verifikation der Steue- rungsdaten ohne Risiko möglich (vgl. Kap. 2.10.6). • Steigerung der Kanban-Durchdringung (Penetration) auf ein Maximum: Eine hohe Kanban-Penetration mit 70−100 % ist mit einfachen Kanban-Vari- anten nur für einfache Serienprodukte möglich. Mit hybriden Steuerungen wird es möglich, komplexe oder dynamische Produkte mit einer sehr hohen Kanban-Durchdringung abzudecken (vgl. Abb. 2.9.5; Kap. 2.10.7). • Verbesserung der dezentralen Entscheidungskompetenz: siehe Kap. 2.10.2 Dezentrale Entscheidungskompetenz. • Optimale und vereinfachte Dimensionierung der Kanban-Regelkreise: siehe Kap. 2.10.3 Hybride Dimensionierung der Regelkreise. 2.10 Matrixhybride Materialflusssteuerung 191 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% bis 20% bis 40% bis 50% bis 60% bis 80% über 80% K an ba n- Pe ne tr at io n Anteil der Befragten die Kanban im Einsatz haben Abb. 2.9.5 Kanban-Penetration in der Industrie: 53 % der befragten Unternehmen gaben eine Kanban-Penetration von lediglich weniger als 20 % an. Nur 15 % der Unternehmen arbeiten mit einer Penetration von über 40 %. Lediglich 3 % haben eine Kanban-Durch- dringung von über 80 % [Lepr 2007]. 2.10 Matrixhybride Materialflusssteuerung Philipp Dickmann; Eva Dickmann, Lepros GmbH Um einen optimalen Materialfluss für vielfältigste Produkte und Rahmenbedin- gungen im zeitlichen Verlauf zu erzeugen, werden in realen Systemen alle zur Verfügung stehenden Informationen zur Steuerung mit eingebunden. Durch die übliche, sehr begrenzte Definition des Begriffs Produktionssteuerung, wird kaum erkannt, dass komplexe Materialfluss-Umsetzungen heute schon vorhanden sind. Die Ziele, der Nutzen und die Problemstellung der erweiterten Definition von Produktionssteuerung sind wesentlich umfangreicher, als bei dem klassischen Begriff definiert. Wesentlich für den Erfolg oder Misserfolg einer Steuerung ist das frühzeitige Erkennen aller Störungen aus den vorhandenen Informationen. Die Fülle der Informationen sollte möglichst wenig komplex und überschaubar sein. Die systematische Analyse und darauf folgende Synthese erlaubt es dem Unternehmen, maßgeschneiderte Informationen für eine flächendeckend opti- male Steuerungs-Mischung zu erhalten. Die Methode ist vergleichbar mit einem Setzkasten, bei dem aus den passenden Bausteinen die optimale Kombination, in diesem Fall ein Eigenschaftsbild, zusammensetzt wird. Im folgenden Beitrag wer- den die Prinzipien basierend auf den Anforderungen der Implementierung dar- gestellt und auf ein Praxisbeispiel (s. Kap. 2.10.7) übertragen [Dick 02; Dick 02b]. 2.10.1 Matrixhybride Steuerung (MHS) – das Chaos der Steuerungsinformationen nutzen und beherrschen [Lepr 05b] In realen Materialflusssteuerungs-Systemen werden prinzipiell alle zur Verfü- gung stehenden Informationen genutzt, die helfen können, Störungen eines 192 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban optimalen Materialflusses zu verhindern. Mittels Valuecycle Optimizing (VCO; vgl. Kap. 2.14) kann eine Übersicht über die wesentlichen Störgrößen und die nötigen Informationen erzeugt werden. Störungen kann dadurch frühzeitig entgegengewirkt werden. Die systematische Analyse der Störgrößen und des Informationsflusses zeigt bei größeren Unternehmen in der Regel eine gewach- sene und daher chaotische Struktur. Verglichen mit einer Liste der Steuerungs- ziele, werden Lücken und redundante Informationen transparent. Mit dem Auf- bau einer fundierten hybriden Matrix-Steuerung wird versucht, die fehlenden Informationen in geeigneter Weise zur Verfügung zu stellen und unnötige iden- tische Informationen zu streichen. Die Steuerung sollte möglichst direkt auf Basisdaten zugreifen, also auf Informationen, die beispielsweise auf physische Bewegungen fixiert sind und möglichst nicht sekundär errechnet werden. Physi- sche und visuelle Informationen sind zur Steuerung sicherer als Daten aus EDV- Systemen, da in EDV-Systemen eine wesentlich größere Zahl an Störparametern unerkannt wirken kann. Letztlich sollten redundante Daten aus den vorhande- nen Datenbeständen genommen werden, um die Übersicht zu erleichtern. VCO kann zur Verifikation der noch verbleibenden Störgrößen und deren Visualisie- rung in der matrixhybriden Steuerung beitragen. 2.10.2 Dezentrale Entscheidungskompetenz Dezentrale Mitarbeiter können, unterstützt durch verschiedene hybride Kennli- nien und Steuerungsinformationen, Entscheidungen kompetent und situations- bezogen treffen. Wie später in Kap. 2.10.4 erläutert, fließen aus verschiedenen Quellen Informationen in die Steuerungsentscheidungen ein, mit deren Hilfe der Mitarbeiter am Standort seine Ergebnisse verifizieren und Entscheidungen sicher treffen kann. Vorteil dieser dezentralen Entscheidungskompetenz ist die Möglichkeit, besser und schneller auf lokale Entwicklungen unter Einbindung von Softfacts reagieren zu können. Ein Beispiel ist die einfachere dynamische Anpassung der Dimensionierung von Regelkreisen. 2.10.3 Hybride Dimensionierung der Regelkreise [Dick 02; Dick 02b; Dick 02c] Zur Dimensionierung des Steuerungsverfahrens und der Entscheidungsfindung, können neben dem aktuellen Trend des Behälterflusses auch Prognosen des MRP-Systems und eine Historie des Verbrauchs integriert werden. Aus der stati- schen Dimensionierung von Kanban entsteht ein Dimensionierungsverlauf auf der Zeitachse, bei dem die Entwicklung der Stückzahlen je Materialnummer erkennbar ist (vgl. 5.7 Kanban Dimensionierungs-Systeme). Zu diesem Element wurde eine hybride Strategie zur Bestell- und Produktionssteuerung festgelegt. Die zentrale Dimensionierung wird parallel, durch die Rückkopplung der realen Fließbewegungen, von dem dezentral verantwortlichen Mitarbeiter verifiziert. 2.10 Matrixhybride Materialflusssteuerung 193 Dieses Vorgehen führt zu einem kontinuierlichen Verbesserungseffekt, auch bei der Entwicklung einer Simulation bzw. deren Basisparameter. 2.10.4 Matrixhybride Kanban-MRP-Steuerung Die Verbindung der drei matrixhybriden Ebenen [Lepr 04b]: Abb. 2.10.1 Die drei Ebenen der matrixhybriden Steuerung am Beispiel Kanban-MRP • Logik: Die Steuerungsebene MRP wird durch zusätzliche Steuerungsinforma- tionen ergänzt, z. B. Kanban-Karten, die aufgrund des unterschiedlichen Steuerungscharakters einen zusätzlichen Hinweis zum Auftragsstart geben. • Physis: Durch Kanban werden zusätzliche physische Informationen zur Absi- cherung des Materialflusses nutzbar, etwa visuelle und physische Informatio- nen von Behältern. • Softfacts: Letztlich wird dieses System über die der Schnittstelle Mensch noch durch informelle Informationen ergänzt. Beispiele: Stellt ein Mitarbeiter ein ungewohntes Geräusch an einer Maschine fest, wird er dieses Wissen bei der Steuerung berücksichtigen, indem er eine Wartung einplant. Manchmal ist auch absehbar, dass ein Mitarbeiter krank wird, was zu einem Kapazitäts- problem führen kann. Zentralistischen Steuerungssystemen stehen derartige Informationen nicht zur Verfügung. In dem Beispiel von Voith [Dick 02; Dick 02b] wurde in einem Materialfluss- netzwerk mit Verzweigungen und Bypässen, parallel zu MRP, ein klassisches Kar- ten-Kanban über acht Produktionsstufen installiert. Die oberste Ebene dieser Steuerung wurde zudem durch ein Konzept mit Fortschrittszahlen und einer stra- tegischen, interaktiven Routine zum Abgleich der Kunden-, Vertriebs- und Pro- duktionsplanung überlagert. Die Freigabe eines Auftrags oder einer Bestellung 194 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban erfolgte ereignisorientiert nach dem menschlichen Ermessen, nicht, wie bei vielen anderen hybriden Systemen, führend durch eines der Steuerungsverfahren. Die Basis für die Priorisierung bilden die Daten aus beiden Steuerungssystemen unter Berücksichtigung zusätzlicher informeller Faktoren, wie aktuelle Störungen. Die- se drei Ebenen eine automatisierbare Entscheidung schwierig, führen aber zu einer deutlich höheren Sicherheit bei der eigentlichen Steuerungsentscheidung. Sie liefern die optimale Antwort auf Fragestellung: Wann muss welches Los in welcher Losgröße gestartet werden um genau rechtzeitig liefern zu können? 2.10.5 Reduzierung von Störgrößen durch Abgleich Die redundante Auslegung der Steuerungsinformation bei matrixhybriden Sys- temen führt neben der direkten Optimierung der Auftragsparameter zu einer Verbesserung der einzelnen Steuerungssysteme. Die Zwangsverkettung bei der Auftragsfreigabe erzeugt einen hohen Druck, die Störgrößen des Systems in einem kontinuierlichen Prozess zu eliminieren. Die unterschiedlichen Informa- tionsquellen des MHS geben nicht immer die gleichen Zielwerte vor. Aus der Höhe der Abweichung können Rückschlüsse auf Fehler im System gezogen wer- Abb. 2.10.2 Reale Hoheit der Steuerungsentscheidung: Im Idealbild der IT oder moderner Managementsysteme führt die IT die realen Abläufe. Aufgrund vielfältiger Störparameter in jeder Ebene, fehlender Elemente in IT-Systemen, teils unzureichender Abbildung der Realität sowie der weit komplexeren und flexibleren Möglichkeiten des Menschen, In- formationen mit einzubeziehen, sieht die Realität anders aus. In der betrieblichen Praxis wird die Entscheidungshoheit zunächst vom Menschen ausgeübt, danach kommen physi- sche Zwänge (z. B. Inventurdifferenzen) und dann erst die Informationstechnologie. Zur kompetenten Optimierung von Prozessen müssen und können Störungen nur dort ver- mieden werden, wo sie entstanden sind. Der Ansatz, mit IT alle Probleme lösen zu wol- len, kann letztlich nur sehr beschränkt Einfluss auf übergeordnete Entscheidungsebenen ausüben. 2.10 Matrixhybride Materialflusssteuerung 195 den. Der darauf folgende Abgleich der Systeme führt zu einer Reduzierung der Störgrößen in den einzelnen Verfahren. In einem kontinuierlichen Verbesse- rungszyklus werden auf jeder Ebene der Steuerung Störgrößen sichtbar und können systematisch abgestellt werden. Die Überprüfung bindet das breite in- formelle und interdisziplinäre Wissen (Softfacts) des Mitarbeiters ein. Dadurch entsteht eine fundierte Kenntnis über den Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Die wachsende Erfahrung führt zu einer besseren Einschätzung von kritischen Situationen (vgl. Kap. 2.14 Valuecycle Optimizing). Der Materialfluss fließt mit hoher Wahrscheinlichkeit kontinuierlich. Aufgrund der redundanten Informationen werden Störgrößen erkannt, bevor es zu Problemen kommt. Die- ser Ansatz hat mittelfristig eine deutliche Verbesserung der Qualität der Basisda- ten zur Folge. Zur klaren Abgrenzung, ab wann eine Eskalation auf höhere Ent- scheidungsebenen notwendig ist, können klare Eskalationsstufen dienen. 2.10.6 Reduzierung der Kanban-Puffer ohne Risiko Bei der MHS fließen Softfacts in die Entscheidungen (vgl. Kap. 2.10.4) mit ein, die nicht in EDV-Systemen abgebildet werden können. Beim Vergleich der ver- schiedenen Ergebnisse werden Hintergründe berücksichtigt, gegebenenfalls verifiziert und die Entscheidung abgesichert. Zudem erfolgt durch den Abgleich der Systeme eine Reduzierung der Störgrößen der einzelnen Steuerungsverfah- ren (siehe nächstes Kapitel). Durch diese Absicherung wird es möglich, die Kan- ban-Puffer nach und nach zu senken, ohne ein Risiko einzugehen. Bei einer Kombination mit MRP wird beispielsweise ein Anstieg des Bedarfs im IT-System immer rechtzeitig angezeigt. Da Kanban die Prognoseschwankungen des MRP- Systems ausgleicht, folgt gleichzeitig eine Verbesserung der Liefertreue. Tabelle 2.10.1 Typische Störgrößen, die mit einem hybriden Steuerungsalgorithmus abge- stellt werden können MRP Kanban • MRP-Stammdaten sind falsch oder nicht gepflegt • MRP-Prognose enthält Fehler • Buchungsfehler im MRP • Prognosegüte ist schlecht • Monats- bzw. Wochenkumulationen führen zu überhöhten Punktbedarfen • Soll/Ist-Abweichungen (z. B. Durchlaufzeit) • Kalenderfehler bei automatischen Umrechnungen • Fehler in der Stücklistenverknüpfung • Inventurdifferenzen • Material am falschen Lagerort • Fehler im Materialfluss • Physisches Vorziehen von Bedarfen • Buchungsfehler • Fehlende oder veraltete Karten (entspricht falschen Materialmengen) • Kanban-Karten kommen zu früh oder zu spät • Dimensionierung zu hoch oder zu niedrig 196 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban 2.10.7 Ausweitung der Kanban-Penetration bei komplexen Produktionsprozessen und Produkten Die klassischen einfachen Kanban-Varianten sind vorwiegend für gleichmäßig fließende Serienteile geeignet. Bei Teilen, die mittleren bis starken Schwankun- gen unterliegen, funktionieren diese Kanban-Varianten nur mit sehr großen Puffern stabil. Ein Manko, das gerade bei komplexen, variantenreichen oder Produkten, die häufigen Änderungen unterliegen, den umfassenden Erfolg von Kanban verhindert. Hier werden nur die gleichmäßig fließenden Teile erfolg- reich mit Kanban gesteuert (ca. 20−40 %), der Rest über die prognosebasierte MRP-Steuerung. Die Prognoseungenauigkeit führt weiterhin zu Störungen im Materialfluss und damit zur Einschränkung der Lieferfähigkeit beim größten Teil der Materialnummern (siehe Abb. 2.10.4). Betrachtet man bei einem gemischten Teilespektrum eines komplexen Pro- duktes die Eignung der Steuerungsarten, findet man einen sehr großen Grau- bereich an Teilen, der zunächst weder mit MRP noch mit Kanban optimal zu Teilespektrum eines „komplexen Produktes“ GraubereichGraubereich MRP Kanban Prognostizierbarkeit der Bedarfe Abb. 2.10.3 Eignung der Steuerungsarten Kanban/MRP für das Teilespektrum eines komplexen Produktes: Etwa 20 % der Einzelteile werden gleichmäßig verbraucht und sind ideal mit klassischem Kanban zu steuern. Bei den restlichen Teilen schwankt der Verbrauch. Ein Graubereich entsteht, der weder mit Kanban noch mit MRP sicher und ohne hohen Aufwand gesteuert werden kann. Klassische Kanban-Steuerung „Komplexes Produkt“: Hybride oder matrixhybride Steuerung MRP KanbanMRP KanbanMRPMRP KanbanKanban Abb. 2.10.4 Vergleich der klassischen Kanban- und der hybriden Steuerung für ein kom- plexes Produkt: Bei klassischem Kanban werden die Teile entweder mit Kanban oder MRP gesteuert. Bei hybridem MRP-Kanban werden nach und nach immer mehr Teile mit Kanban gesteuert. Die Verifikation erfolgt über MRP. 2.11 Heterogene Materialflusssysteme 197 steuern ist (siehe Abb. 2.10.3). Hybrides Kanban deckt genau diesen Graubereich ab. Nach und nach werden alle Teile, die halbwegs regelmäßig verbraucht werden, der hybriden Steuerung zugeführt. Auf diesem Wege wird eine sehr hohe Kan- ban-Penetration im gesamten Materialfluss möglich (siehe Abb. 2.10.4). Am Ende werden nur noch die Teile über MRP gesteuert, die sporadisch gebraucht werden. 2.10.8 Ergebnisse am Beispiel Voith [Dick 02c] Mit dem Kanban-System der Voith AG im Bereich Retarder (hydrodynamisches Bremssystem für den Nutzfahrzeugbereich) wurden alle Ebenen durchgängig gesteuert: Kunde, Montage, verschiedene Vormontagen, Fertigungsstufen bis hin zum Lieferanten. Nicht nur das Seriengeschäft wurde abgewickelt, sondern auch andere Geschäftsfelder, wie etwa die Ersatzteile. Wegen der Durchgängigkeit der Umsetzung wurde es daher 1999, mit dem Innovationspreis für Logistik vom VDI ausgezeichnet. Aufgrund der Dynamik der Bedarfssituation und der teils mehr als 8 Produktionsstufen wurden zu diesem Zeitpunkt 20−30 % der Materi- alströme über klassisches Kanban abwickelt, 80 % konventionell über MRP. Trotz der enormen Spannbreite konnte nach 1999 mit matrixhybridem Kan- ban eine entscheidende Verbesserung erreicht werden. Drei Jahre später wurde für das komplexe Produkt ein neuer Best Practice geschaffen in dem • ca. 80 % der Stückzahlen aller Aufträge und Ebenen, • ca. 90 % der Materialbereitstellung und • 80 % der Materialmengen der Lieferanten über hybrides MRP-Kanban abge- wickelt wurden. Trotz kurzfristiger bis zu 50 %iger Absatzveränderungen und 50 %iger Prog- nosegenauigkeit wurde eine maximale Liefertreue erreicht und die Kapitalbil- dung wurde dabei um 50 % reduziert. Durch die Kombination der Systeme konnte die Sicherheit und Stabilität der Materialversorgung stark erhöht wer- den. Auch auf Kundenanforderungen konnte nun höchst flexibel reagiert wer- den. Mit reiner MRP-Steuerung oder einer reinen Kanban-Steuerung konnte dieser Wert bei weitem nicht erreicht werden. Ein wesentlicher Teil der Einspa- rung wird jedoch auch durch die Restrukturierung der gesamten Abläufe in Logistik, Produktion, Vertrieb und bei den Lieferanten (vgl. 4.1 Lieferanten- Kanban) erzielt. 2.11 Heterogene Materialflusssysteme Eva Dickmann, Lepros GmbH In der betrieblichen Praxis setzt sich Materialfluss heute aus vielfältigen hybriden und oder parallel ablaufenden Steuerungsverfahren zusammen, wie etwa Fort- 198 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban schrittszahlen-Systemen, Auftrags-Kanban, C-Teilemanagement, Just-in-time, Just-in-sequence, Steuerung mit automatisierter Bestellschreibung, manuelle Auf- tragssteuerung, outgesourcte Steuerungungssysteme, Gemeinkostenbeschaffung etc. In der klassischen Materialflussmatrix erscheint ein existierender Material- fluss als „kunterbunter Blumenstrauß“, der kaum zweidimensional darstellbar ist. Die übliche Sichtweise der Materialfluss-, Steuerungs- oder Beschaffungsmatrix stellt dies sehr plakativ dar. Im betrieblichen Ablauf mit kontinuierlichen Veränderungen auf vielfältigen Ebenen ergibt sich, aufgrund kontinuierlicher Entropie ein „Wildwuchs“ an Konzepten, was zu einer Ineffizienz des Materialflusses führt. Durch eine syste- matische Abstimmung der vielen Konzepte, könnten die Zielgrößen Kapitalbin- dung, Einkaufspreis, Flexibilität und Lieferfähigkeit ein Optimum erreichen. Die klassische Materialflussmatrix, die den Zusammenhang zwischen der Prognosti- zierbarkeit und dem Wert der Teile visualisiert, ist jedoch nur bedingt zur ope- rativen Arbeit geeignet. Die Kennzahl der Prognose des Materialflusses ist zu abstrakt oder schlecht greifbar und die Kosten des Materials sind kein unbe- schränkt geeignetes Kriterium zur Auswahl einer Steuerungsmethode. Welche Kriterien oder Einflussgrößen, im physikalischen Sinne, sind relevant für eine Abb. 2.11.1 Klassische heterogene Steuerungsmatrix, hier am Beispiel einer Beschaffungs- matrix [Dick 02c] 2.11 Heterogene Materialflusssysteme 199 Steuerungsentscheidung? Welche sind aussagefähig für die Darstellung und Kontrolle von Kostenzielen? Die Bedarfshäufigkeit und dessen Charakteristik sind dabei die bestimmenden Elemente zur Entscheidung für eine Steuerungs- methode. Sie umfassen die Prognostizierbarkeit, ebenso wie die Häufigkeit und die Höhe der Bedarfe. Diese sind, aufgrund des Produktlebenszyklus, der Kun- dencharakteristik und in der Praxis durch den Peitscheneffekt, permanent enormen Veränderungen unterworfen. Wichtige Kriterien sind unter anderem, der Grad der Notwendigkeit der vollen Lieferfähigkeit und der minimalen Kapi- talbindung oder inwieweit Engpässe fein gesteuert werden müssen. Mit diesen vier Parametern lassen sich die grundlegenden Steuerungsmöglichkeiten, die bedarfs-, bestands- oder auslastungsorientierte sowie prognosebasierte Steue- rungen, auch automatisiert unterscheiden. Die reale Entscheidung, ohne ein heterogenes Konzept, wird vielfach aufgrund sekundärer Kriterien getroffen, etwa angesichts der Durchlaufzeit (DLZ) bzw. der Wiederbeschaffungszeit Abb. 2.11.2 Eine reale heterogene Steuerungsmatrix am Beispiel eines mittelständischen Automobilzulieferbetriebs – ein „kunterbunter Blumenstrauß“ 200 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban (WBZ), der Kapitalbindung oder von Einzelteilpreisen. Bei der Orientierung an sekundären Kriterien besteht die Gefahr, dass mit dem Anwenden einer weniger optimalen Steuerung, die Ursachen für Probleme nicht erkannt und große Ver- besserungspotentiale verschenkt werden. Diese Kriterien sind im Rahmen eines Krisenmanagements durchaus relevant. Im Normalfall wird mit einem systema- tisch richtigen Vorgehen eine Stabilisierung der Abläufe, Reduzierung des Auf- wands und Reduzierung der gesamten auf das Produkt zu verrechnenden Kos- ten erreicht. Daher beinhaltet die Materialflussmatrix eine gewisse Gefahr, die mit einem heterogenen systematischen Konzept vermeidbar wäre. 2.11.1 Direkte steuerungsselektive Kriterien Jedes der Steuerungsgrundkonzepte besitzt einen charakteristischen, optimalen Anwendungsbereich: Tabelle 2.11.1 Optimaler Anwendungsbereich von Steuerungsgrundkonzepten Steuerungstyp Optimales Anwendungsgebiet Bedarfsorientierte Steuerung Unplanbare Bedarfe Bestandsorientierte Steuerung Hohe Lieferfähigkeit, Bestandsoptimierung Prognosebasierte Steuerung Sichere, planbare Bedarfe Auslastungsorientierte Steuerung Kritische Kapazität Abhängig vom Anwendungsfall wird in einer heterogenen Matrix je nach An- forderungsprofil die optimale Steuerung ausgewählt werden. Systematische Bedarfscharakteristik Kunden- und Marktanforderungen Anforderungen in unterschiedlichen Märkten definieren unterschiedliche, op- timale Beschaffungs- und Steuerungsmethoden. Anhand dieser Basistabelle (Tabelle 2.11.2) wird deutlich, dass für jeden die- ser Vertriebstypen verschiedene Steuerungsmethoden geeignet sind. Aber auch innerhalb der Gruppen, z. B. bei Ersatzteilen, können einerseits Materialien mit Seriencharakter und andererseits ähnliche Varianten mit sporadischem Bedarfs- charakter vorhanden sein. Die Analyse der Kundenanforderungsprofile ist eine der wesentlichen Maßnahmen zur heterogenen Materialflusssteuerung. 2.11 Heterogene Materialflusssysteme 201 Tabelle 2.11.2 Beispiel typischer, idealisierter Kundenanforderungsprofile [Lepr 05b] Ersatzteile Sonderprodukte Serienprodukte Teilevielfalt sehr hoch hoch niedrig Losgrößen und Bedarf klein klein bis punktuell groß abhängig von Be- schaffungskonzept Herstelllosgrößen Endbevorra- tung groß, sonst sehr klein klein oder Stan- dardteile groß abhängig von Be- schaffungskonzept Vorhersehbarkeit der Bedarfe gering gering bis gut sehr gut Bedarfscharakteristik einmalig, spo- radisch bis kontinuierlich sporadisch, un- kontinuierlich bis kontinuierlich kontinuierlich Bedarfsgröße: klein klein bis mittel Kleinserie bis Mas- senproduktion Wertstromanteil: gering 10–30 % 20–60 % Volumenanteil: gering mittel hoch Lageranteil: mittel bis hoch mittel bis hoch mittel bis gering Lagerumschlag: sehr gering mittel sehr hoch Umsatzanteil: gering mittel sehr hoch Beschaffungsmethode: Einzel- und Rahmenbestel- lung Einzel- und Rah- menbestellung Rahmenverträge, Kanban oder automa- tisierte Beschaffung Abb. 2.11.3 Bedarfscharakteristik im Lebenszyklus: Die optimale Steuerungsmethode ver- ändert sich im Produktlebenszyklus. Mit Zunahme von Änderungen oder Neuanläufen und Verkürzung der Produktlebenszyklen reduziert sich der Anteil der klassischen Kan- ban-tauglichen Materialnummern drastisch. 202 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban Anforderungen im Produktlebenszyklus Die optimale Steuerungsmethode ist kein Fixum, vielmehr verändert sie sich während des Verlaufs des Produktlebenszyklus erheblich. Typischerweise be- ginnt dieser bei der Projektphase, geht in die Serienphase über und endet in der Ersatzteilphase. So gibt es weder für den gesamten Lebenszyklus noch für einen dieser Abschnitte eine Universallösung für die Steuerungsmethode. Es gibt im- mer nur spezielle optimale Lösungen, für jedes Produkt und jeder seiner „Le- bensabschnitte“. Um eine optimale Lösung zu erreichen, muss die Steuerungs- methode dynamisch mit den Rahmenbedingungen abgeglichen und daran angepasst werden. Vorhersehbarkeit der Bedarfe Diesem Kriterium kommt eine Schlüsselrolle bei der Steuerungsauswahl zu. Es ist mit der Prognosegüte rückwirkend automatisiert ermittelbar, sofern eine Prognose vorhanden ist. Aus der Relation der Plandaten zum tatsächlichen Verbrauch kann die tatsächliche Planungsgüte in Abhängigkeit von der Zeit ermittelt werden. Dieses Verfahren ist allerdings nicht gebräuchlich. Öfter wird in der Praxis die Häufigkeit der Bedarfe anstelle deren Vorhersehbarkeit ver- wendet. Dieser Faktor ist in jedem üblichen MRP-System einfach abgreifbar und kann zur Steuerungsauswahl einfacher genutzt werden. Dabei werden gerne hybride Steuerungen zum Absichern der bestands- oder kapazitätsorientierten Steuerung durch MRP-Systeme oder Fortschrittszahlen-Steuerungen ergänzt. Grundlegend stellt sich aber das Problem, dass auch eine gute Prognostizierbar- keit das Risiko birgt, dass die Prognose nicht stimmt. Lieferfähigkeit und geringe Lagerreichweite Diese beiden Kriterien können in bestandsorientierten Steuerungen optimal erreicht werden. Gerade die Kanban-Steuerung erzielt eine besondere Sicherheit und Stabilität. Im Vergleich zu prognosebasierten Steuerungen erreichen be- standsorientierte Steuerungen bei abnehmender Bedarfshäufigkeit eine Zunahme der Lagerreichweite und damit der Kapitalbindung. Dies stellt eine Einschrän- kung des optimalen Einsatzbereichs dar, d. h. beim gravierenden Abfall der Be- darfe besteht das potentielle Risiko, Überbestände zu erreichen. Dieser Nachteil kann durch eine hybride Steuerung kompensiert werden. Auslastungsorientierung und Engpasssteuerung Belastungsorientierte Steuerungen sind optimal geeignet, um eingeschränkte Ressourcen optimal auszulasten. Da weder prognosebasierte noch bestands- orientierte Systeme, zumindest bei höherer Variantenvielfalt, eine Kapazitäts- steuerung leisten können, sind diese bei zunehmender Variantenzahl und der Notwendigkeit einer vollen Auslastung unzureichend. Fehlende Freikapazität unterstützt generell aber den Peitscheneffekt und erzeugt (vielfach nicht unmit- telbar erkennbare) immense Kosten. Das Toyota Produktionssystem strebt da- 2.11 Heterogene Materialflusssysteme 203 her ein Mindestmaß an Freikapazität an. Bedarfsspitzen sollen zum einen ver- mieden werden oder durch höhere Flexibilität der Kapazitäten im Kundentakt produzierbar sein. 2.11.2 Indirekte Steuerungskriterien Wiederbeschaffungszeit (WBZ) und Durchlaufzeit (DLZ) Lange Transportstrecken, große Durchlaufzeiten und große Losgrößen sind wesentliche Zielgrößen bei der Reduzierung von Verschwendung nach dem Toyota Produktionssystem (TPS). All diese Faktoren beeinflussen die Bedarfs- häufigkeit und nehmen daher indirekt auf die Auswahl der optimalen Steue- rungsmethode Einfluss. Zur besseren Veranschaulichung hier ein Beispiel: Durch große Losgrößen wird eine nur sehr sporadische Anlieferung notwendig, prognosebasierte Steuerungen erreichen durch solche Effekte einen Vorteil. Um z. B. eine hohe Kanban-Penetration wirtschaftlich sinnvoll umsetzen zu können, müssen daher zunächst Anlieferintervalle, Losgrößen, WBZ und DLZ unter wirtschaftlichen Kriterien reduziert werden. Unberücksichtigt bleiben bei dieser Betrachtung, dass lange Durchlaufzeiten hohe Lagerbestände und Kapitalbin- dung notwendig machen, die Flexibilität reduzieren und das Risiko bei Verän- derungen erhöhen. Eine Einbeziehung der DLZ zur Bewertung von Beständen, etwa im Lagergrad, ist als eingeschränkt tauglich anzusehen, da nur die sekun- Bedarfshäufigkeit O pt im al e S te ue ru ng 100% Prognosebasiert Bestandsorientiert Steuerungen Abb. 2.11.4 Die optimale Steuerung in Abhängigkeit von der Häufigkeit der Bedarfe 204 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban däre Größe betrachtet wird. Der Lagergrad beschreibt die Relation von Lager- reichweite zu WBZ oder DLZ, welche zudem bei stark vom Peitscheneffekt be- einflussten Materialflüssen stark schwankend sind. WBZ und DLZ werden zur Absicherung der Verfügbarkeit in solchen Fällen in der Praxis erhöht, die Lager- reichweite sowie hohe Bestände sind gerechtfertigt und prognosebasierte Syste- me erscheinen vorteilhafter. Tatsächlich könnte durch die Einflussnahme auf den Peitscheneffekt mit mehr Flexibilität, höherer Sicherheit und deutlich gerin- gerer DLZ gearbeitet werden. Lagerreichweite, Umschlagshäufigkeit und Kapitalbindung Lagerreichweite und Umschlagshäufigkeit betrachten den Lagerbestand in Rela- tion zu den Bedarfen und sollen die Bewertung oder Klassifizierung von Bestän- den ermöglichen. Die beiden Größen sind jedoch nur bedingt dazu geeignet, da sie von Prognoseschwankungen abhängig sind bzw. maßgeblich davon beein- flusst werden. Trotzdem werden sie häufig bei der Bewertung der Kapitalbin- dung herangezogen. Zudem können beide Kriterien in eine Steuerungsentschei- dung einfließen. So sind zum Beispiel bei geringen Lagerwerten Steuerungen mit einer geringeren Steuerungsgenauigkeit, d. h. die unnötig erhöhte Bestände erzeugen, akzeptabel. Umgekehrt wird bei hochwertigem Material eine mög- lichst optimale Steuerung angewandt, womit eine Verringerung der Kapitalbin- dung erreicht wird. Ein wesentlich höheres Einsparungspotential als bei der Kapitalbindung liegt in der Vermeidung des Peitscheneffekts. Einfluss physischer Materialflusskriterien Verschiedene Details des physischen Ablaufs beeinflussen die Wahl des optima- len Materialflusskonzepts erheblich: • Größe und Gewicht des Materials • Transportstrecke K o st en Abruflosgröße Bestandskosten Abruffixe Kosten JIT KONSI Minimale Kosten Abb. 2.11.5 Die optimale Steuerung in Abhängigkeit von der Abruflosgröße [Dick 02c] 2.12 Steuerungsmanagement 205 • Verpackungslosgrößen • Leerguttransportkosten 2.12 Steuerungsmanagement Eva Dickmann, Lepros GmbH; Philipp Dickmann Die Problematik der Materialflusssteuerung wird in der Literatur überwiegend auf die Optimierung der Steuerungsalgorithmen reduziert. Die Ursache liegt vermutlich im Selbstverständnis der Steuerung, sich als untergeordnete Größe zu unveränderlichen Rahmenbedingungen, wie Kapazität von Personal und Anla- gen, räumlichen Anordnungen, technischen Vorrichtungen, Betriebsmitteln etc., zu suchen. Das oberste Ziel der Produktionssteuerung ist es, unter allen Bedin- gungen ein optimales Ergebnis zu erreichen. Tatsächlich wird damit vielfach bewirkt, dass vorhandene, mittel- bis langfristige Verbesserungspotentiale nicht erkannt werden. Die für die Steuerung verantwortlichen Mitarbeiter verbringen nicht selten einen Großteil ihrer Kapazität damit, den Störungen und damit den Materialflussengpässen vorzubeugen oder sie zu beheben. Sie betreiben Krisen- management. Das Toyota Produktionssystem (TPS) löst dieses durch Dezentrali- sierung und Gemba-Orientierung der Managementkompetenz. Die Steuerung des Materialflusses und damit des Wertestroms umfasst aber weit mehr Einfluss- größen als in den automatischen Steuerungsalgorithmen von MRP-Systemen enthalten sind. matrixhybride Steuerungsinformationen aus der Vertriebspla- nung, Historienentwicklung, Logistik-, Produktions- und Lieferantenplanung können nur gemeinsam zu einem hochwertigen Ergebnis führen. Letztlich muss Abb. 2.11.6 Grafik zur systematischen Auswahl der heterogenen Steuerungsmethoden, abhängig von der realen Transportzeitverteilung eines Unternehmens (Quelle: Lepros GmbH). 206 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban die Planung in Einklang mit den Kundenbedarfen stehen und in einem auf der Zeitachse iterativen Managementprozess bis auf die einzelnen Schichten und Arbeitsplätze durchgängig „herunter gebrochen“ werden. Hierzu muss ein Ma- nagement-System die Durchgängigkeit der Abstimmungen erreichen von Mehr- jahres-, Jahres-, Quartals-, Monats-, Wochen-, bis zum Tages- oder Schichthori- zont. Ein derart operativ durchgängiges Wertstrommanagement bildet die Voraussetzung, für einen Materialfluss mit maximaler Lieferfähigkeit, minima- len Beständen, höchster Effizienz und maximaler Kapitalrendite. 2.12.1 Steuerung der Herstellprozesse – eine Managementaufgabe Fachabteilungen, die nicht mit dem Materialfluss vertraut sind, wird selten be- wusst, dass die Abstimmung der Steuerung eine Managementleistung ist (vgl. Abb. 2.12.2). In den Unternehmen fehlen in der Regel die nötigen Strukturen für diese Managementaufgabe. Das führt dazu, dass in den Bereichen Materialfluss und Produktionssteuerung Krisenmanagement nötig wird. Ursachen werden selten ermittelt, denn Störungen sind so häufig, dass die Situation als normales Tagesgeschäft angesehen wird (s. Kap. 2.1.1 Krisenmanagement im Tagesge- schäft, Tabu oder Wirtschaftsfaktor). Die Entwicklung wird deshalb nicht an die Geschäftsführung weitergeleitet und die Entscheidungen zur Problemlösung werden von den operativen Sachbearbeitern alleine getroffen. Damit werden Entscheidungen über hohe Beträge der Verantwortung des Sachbearbeiters im Tagesgeschäft überlassen, obwohl ansonsten selbst kleinste Investitionen von der Geschäftsführung entschieden und unterschrieben werden. Die Summe der Beträge macht sich dabei maßgeblich im Betriebsergebnis bemerkbar (vgl. Abb. 2.12.1). Einerseits wirken sich Störungen im Materialfluss auf die Liefertreue aus. An- dererseits ist ein großer Teil der Mitarbeiter in allen vom Materialfluss betroffe- nen Fachabteilungen (Vertrieb, Einkauf, Disposition, Logistik und Produktion) mit Krisenmanagement beschäftigt. Entscheidungen der verantwortlichen ope- rativen Mitarbeiter haben daher das Potential, den aktuellen und zukünftigen Wertestrom und damit die Geschäftsentwicklung gravierend zu beeinflussen. Aufgrund des hohen Gefahrenpotentials und seiner Auswirkung (im Sinne einer Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA)) sollte diesem Thema mehr strategisches Gewicht verliehen werden. Das geschäftsführende Management sollte die Koordination und Abstimmung bzw. die Kompromisse, die zwischen dem Vertrieb, der Logistik, Einkauf und der Produktion etc. getroffen werden, persönlich überwachen und kritisch hinterfragen [Woma 05]. Damit nützt die Geschäftsführung ihre Chance, Einfluss auf die gesamten Kosten und damit auf die Unternehmensentwicklung nehmen. In klassischen Unternehmensstrukturen ohne Lean wird versucht, dem Pro- blem z. B. mit hoch optimierten Steuerungsalgorithmen zu begegnen. TPS schlägt dagegen zwei völlig andere Ansätze für das Steuerungsmanagement an: 2.12 Steuerungsmanagement 207 ∆ 52% Termintreue ≤ 70% 2001 4,0 2005 4,0 Termintreue 71 – 89 % 2001 3,8 2005 4,9 Termintreue ≥ 90 % 2001 4,9 2005 6,1 U m sa tz re nd ite 2001 4,0 2005200120012001 20052005 2001 2005 200120012001 20052005 2001 2005 200120012001 20052005 Abb. 2.12.1 Umsatzrendite in Abhängigkeit von der Liefertreue: Bei einer Erhöhung der Liefertreue von weniger als 70 auf mehr als 90 % wurde eine mehr als 50 %ige Erhöhung der Umsatzrendite erreicht [Hoes 07]. Der Versuch, eine Erhöhung der Liefertreue mit Pufferkonzepten zu erreichen, führt zu sinkender Flexibilität der Herstellprozesse. Durch den Pufferbestand werden Störungen (z. B. Inventurdifferenzen) nicht erkannt, daher ist die Sicherheit nur sehr gering. Bei Schwankungen (z. B. kurzfristigen ungeplanten Abru- fen) wird trotzdem keine volle Liefertreue erreicht. Gleichzeitig führen Pufferkonzepte zu hoher Kapitalbindung. Schlanke Produktionssysteme erreichen hingegen deutlich höhere Flexibilität, Liefertreue und eine Reduzierung der Kapitalbindung. Vertriebsplan Logistikplanung Historienentwicklung Produktionsplan Lieferantenplanungen Zeit S tü ck za hl Abb. 2.12.2 Planungen der verschieden Fachbereiche: Sie unterscheiden sich gravierend. Bei differenziertem Abgleich können sehr präzise Abschätzungen entstehen. 208 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban • Gemba-Orientierung: Die Geschäftsführung bindet sich in diese Entschei- dungen persönlich ein und nimmt persönlich an den Abstimmungsrunden der Entscheidungsträger teil. • Dezentralisierung der Verantwortung: Die Entscheidungsrunden erhalten die Hoheit, über alle relevanten Investitionen, Bereiche und Kosten zu entschei- den. Dies kann z. B. mit Unit-Strukturen realisiert werden. Die Unit-Manager erhalten dann annähernd geschäftsführende Hoheiten. 2.12.2 Integration hybrider interdisziplinärer Informationen beim Steuerungsmanagement [Lepr 05b] Das populäre Verständnis des Begriffs der Steuerung umfasst primär Algorith- men. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich ein großes Angebot an Informa- tionstechnologieprodukten entwickelt, welches die Optimierung von Steuerung unterstützt. MRP-Systeme bieten tatsächlich eine Fülle sehr hilfreicher Informa- tionen und Visualisierungen, auf die heute kaum mehr verzichtet werden kann. Sie beinhalten aber nur einen kleinen Teil, der für die optimale Planung und Entscheidungen relevanten Informationen. Vor allem in Konzernstrukturen arbeiten verschiedene Bereiche, wie Vertrieb, Logistik, Produktion und Einkauf, nach ihren weitestgehend isoliert entstanden Planungen. Um eine gemeinsam abgestimmte „Marschroute“ zu finden, die möglichst alle Ziele der angrenzen- den Bereiche gleichermaßen erfüllt, ist es notwendig, alle Informationen „an einem Tisch“ einfließen zu lassen und dadurch eine fundierte und abgesicherte Steuerungsentscheidung zu fällen. Vertriebsplanung Die Vertriebsplanung ist vielfach nur temporär identisch zur MRP-„Bedarfswelt“, die sich aus Kundenbedarfen und automatisch oder manuell erzeugten Planbe- darfen zusammensetzt. Planzahlen der Vertriebswelt beinhalten Vorinforma- tionen, Zusagen und Trends vom Kunden und vom Markt als Ganzes. Die Ver- triebsplanung spiegelt sich nur näherungsweise und temporär in der Summe der Bedarfe im MRP wieder. Um mittelfristig, z. B. monatlich, optimal planen zu kön- nen, ist es in vielen Fällen sinnvoll, wesentliche, abgesicherte aber auch ungesi- cherte Informationen mit unterschiedlicher Gewichtung zu berücksichtigen. Letztlich sollten die Trends des für den Kunden relevanten Marktes und die Be- standssituation des Kunden zur Erläuterung der Vertriebsplanung mit einfließen. Historienentwicklung Im Maschinenbau und im Automobilzulieferbereich wird vornehmlich mit MRP-Systemen zur Steuerung gearbeitet. MRP verwendet überwiegend Planun- gen und konkrete Bedarfe als Basis der Steuerung. Es ist aber durchaus loh- nenswert, mit hoch entwickelten Algorithmen, wie dies etwa bei Handelswaren 2.12 Steuerungsmanagement 209 üblich ist, die Tendenzen und Informationen aus den Historiendaten mit einzu- beziehen, z. B.: • Saisonale Schwankungen • Saisonale Bedarfsspitzen • Zeiträume mit schlechter Prognosegüte vom Kunden • Kundenspezifische Prognosegüte • Zeiträume, in denen Kunden häufig Bedarfe verschieben. Dies sind Informationen, die helfen, das Verhalten der Kunden und die tatsäch- liche Planung abzusichern. Wesentlich ist auch die Ermittlung der eigenen Prog- nose-Einhaltung oder -Güte. In einem iterativen Prozess wird die Qualität der Prognose verbessert, durch kontinuierliches Hinterfragen von Abweichungen, dem Abstellen von Störgrößen und dem realistischeren Einschätzen von Risiken. Logistikplanung Die Logistiksteuerung und -planung ist abhängig von durchgängigen MRP und Fortschrittszahlensystemen als Basis der Steuerung. Im Gegensatz zu anderen Bereichen sind bei umfangreicheren Produkten die Disponenten kaum mehr in der Lage ohne solche oder ergänzende System zu arbeiten. Bestands- oder kapa- zitätsorientierte Systeme ergänzen prognosebasierte Verfahren häufig zur Op- timierung spezieller Produktionsbereiche oder Produktfamilien. Produktionsplan Die Produktionsplanung weist grundsätzlich Unterscheide zu MRP und Ver- triebsplanung auf. Diese Differenz kann Losgrößen, Rundungswerte, Gebinde- größe, Urlaubszeiten, Krankheitswellen, Wartungs- und Umbaumaßnahmen, Schulungsaktivitäten, Maschinenstörungen etc. als Ursache haben. Die Produk- tionsplanung sollte daher möglichst kleine Lose und kurze Durchlaufzeiten B es ta nd /B ed ar f Zeitleiste Verlauf des Kundenbedarfs Große Losgröße bzw. Wiederbeschaffungszeit Kleine Losgröße bzw. Wiederbeschaffungszeit Mittlerer Bestand Einsparung durch exaktere Abbildung des Kundentakts Abb. 2.12.3 Kleine Losgrößen erreichen durch die feinere „Rasterung“ eine exaktere An- näherung an den Verlauf der Kundenbedarfe. Neben diesen statischen Vorteilen wird auch eine höhere Reaktionsfähigkeit erreicht. Es kann ohne aufwendige teure Sonderaktionen (z. B. Ausfallzeiten zusätzliches Rüsten) kurzfristig auf Verschiebungen reagiert werden. 210 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban abbilden, um eine genaue Planung zu erreichen. Durch kleine Losgrößen und Puffer, kann die Produktion störungsfrei und weitgehend entkoppelt zu den dynamischen Verkaufszahlen und MRP-Daten arbeiten – eine „atmende“ Pro- duktion entsteht. Lieferantenplanungen Der Einfluss der Lieferantenplanung auf den Kunden wird nicht selten unter- schätzt. Zulieferer werden über Verbindlichkeiten zu sehr günstigen Konditio- nen verpflichtet. Durch kostenorientierte und investitionsabsichernde Philo- sophien werden die Verbindlichkeiten gegenüber den Lieferanten erst sehr kurzfristig fixiert. Die abgestimmten Kapazitätsgrenzen bei den Lieferanten bil- den bei Bedarfsspitzen ein Engpass (engl. Bottleneck). Der Kunde wird durch den Lieferanten „gesteuert“. Über alle Lieferanten betrachtet, entstehen aus Sicht des Kunden sehr heterogene und kaum zu überschauende Schnittstellen, wenn keine koordinierten Lieferantenstandards umgesetzt oder eingehalten werden. Die Summe dieser Informationen auf der direkten Informationsträgerebene ermöglicht es, ein optimales und abgestimmtes Planungsergebnis oder Steue- rungsmanagement zu erzielen. 2.12.3 Iterative Managementstruktur Mit Zunahme der Penetration der IT wurde in den letzten Jahren zunehmend angestrebt, möglichst exakt zu planen. Tatsächlich sind verschiedene Informa- tionen aber sehr unterschiedlich in ihrer Qualität und ihrer Planungsgenauig- keit. Die Zunahme der Datenmenge korreliert zudem grundsätzlich nicht mit einer Zunahme der Datenqualität oder der Planungsgüte. Eine höhere Planungs- güte benötigt so wenig Daten wie nötig, die so konsistent wie möglich sein soll- ten [DicE 04]. Kundenplanungshorizonte In der Bedarfsplanung der Automobilindustrie werden, für den Zeitraum von einigen Wochen, die Bedarfe exakt tagesgenau dem Lieferanten übermittelt. Für zeitlich entfernte Abschnitte werden die Bedarfe auf Wochen und später Monate kumuliert übermittelt. Tatsächlich führen diese genauen Planungen dazu, dass Prognosenschwankungen zunehmen. Die sich kontinuierlich verschiebenden Grenzen der Prognosehorizonte führen zu Bedarfsbündelungen und zu extre- men, rein rechnerischen Bedarfsspitzen. Gleichzeitig führt die „Begeisterung“ für elektronische Datenübertragung bei dieser Art der Nutzung, durch immer kürzer werdende Übertragungszyklen, zu einer Explosion der Datenmengen und damit auch der Datenfehlerraten. All diese Faktoren stellen wesentliche Ursachen für einen starken Peitscheneffekt (vgl. 2.1 Ruhiger, kontinuierlicher Materialfluss) in MRP-Systemen und der Supply Chain dar. Eine einfache Alternative besteht in einer längerfristig kumulierten Planung, etwa monatsgenau und in größeren 2.13 Logistikcontrolling im schlanken Materialfluss mit der Valuecycle Analyze 211 Übertragungsabständen. Diese grobe Planung muss dann vom Lieferanten, ge- glättet auf reale Produktionsschlagzahlen, tagesgenau eingeplant werden. Kurz- fristige Schwankungen werden z. B. über Kanban abgepuffert. Dadurch reduziert sich die Häufigkeit der Übertragung um ca. 80 % und die Anzahl der Daten je Übertragung um in der Regel mehr als 50 %. Der Aufwand zur Überprüfung wird folglich um ca. 90 % reduziert und die Datenqualität steigt. Im selben Maße wird eine Beruhigung der Bedarfsschwankungen erreicht. Durch die Reduzierung der Schwankungen und die verbesserte Prüfung werden tatsächliche Trends klarer erkennbar, Hintergrundschwingungen entfallen weitestgehend. Anstatt viele Daten zu übermitteln, die so eine nur scheinbar hohe Genauigkeit suggerieren, werden sehr wenige, abgesicherte Daten übertragen. Schwankungen werden so einfach und deutlich sichtbar. Im Feinplanungshorizont können die tatsächli- chen Bedarfe über definierte Mindestpuffer abgerufen werden. Iterative Planungsebenen bei der Umsetzung Die Steuerung der Herstellprozesse ist eine Managementaufgabe bei der ver- schiedene, möglichst operative, direkte Informationsträger mit eingebunden werden sollten. Die Zeitachse auf der geplant wird, liegt bei vielen Unternehmen auf der Monatsebene, bis hin zur Jahres- bzw. Mehrjahresplanung. Für einen nüchternen und kurzen Abstimmungsprozess sind Routinemeetings üblich. Wesentlich ist weiterhin, dass diese Entscheidungen durch ergänzende Routinen in kleineren Runden, auf das Wochen-, Tages- oder Schichtprogramm herunter- gebrochen werden. Die Steuerung und die operativen tages- und schichtgenauen Arbeitsinhalte werden dadurch exakter aufeinander abgestimmt. Dieses iterative Konzept führt zu einem Steuerungsmanagement, bei welchem eine gemeinsame „Linie“ durchgängig umgesetzt wird. Dies bildet eine der wesentlichen Voraus- setzungen, um die Feinsteuerung sinnvoll aufsetzen zu können. 2.13 Logistikcontrolling im schlanken Materialfluss mit der Valuecycle Analyze (VCA) Philipp Dickmann Betriebswirtschaftliche Rechenmodelle für den Herstellprozess sind unter der Prämisse entstanden, dass der Großteil der Werte in Personalkosten für operati- ve Mitarbeiter, Amortisationskosten für Anlagen und dem Kapital für statische Lagerbestände gebunden ist. Moderne Produktionsmethoden haben diese Rela- tionen deutlich verändert. Durch die Erhöhung von Effizienz und Automation in den Industrieländern wurde die Anzahl der direkten Mitarbeiter und deren Kostenanteil weit unter den der indirekten Mitarbeiter gedrückt. Hochtechnolo- gie, Zentralisierung und vermehrter IT-Einsatz haben die Proportionen der Anteile in den indirekten Bereich zudem verschoben. Vornehmlich in Konzer- 212 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban nen ist auch absolut ein deutliches Wachstum im Bereich der indirekten Mitar- beiter entstanden. Hochtechnologie hat zur Folge, dass immer größere Investi- tionssummen notwendig wurden. Hohe Investitionen zwingen zu einer hohen Auslastung bei gleichzeitig langer Amortisationszeit. Die Folgen sind eine gerin- ge Flexibilität und das Arbeiten an den Kapazitätsgrenzen. In Netzwerken mit Hochtechnologie aber mit flexiblen günstigeren Lösungen, also mit geringen Investitionen, wird eine erfolgreiche Konkurrenz zu Anbietern in Billiglohnlän- dern möglich. Ein Umstand der zunehmend vom Mittelstand genutzt wird. Die Materialflüsse und der Wertstrom haben sich stark verändert. Immer mehr Unternehmen produzieren und liefern real Just-in-time oder Just-in-sequence, ohne Mängel mit einer Frozen Zone, zusätzlichen Pufferbeständen und zusätzli- chen Kommissioniertätigkeiten zu kaschieren. Schlanke Materialflüsse kommen mit Lagerreichweiten aus, die annähernd der Wiederbeschaffungszeit (WBZ) oder der Durchlaufzeit (DLZ) entsprechen. Der Anteil der invertierbaren, stati- schen Lagerbestände nimmt im Verhältnis zu den Mengen, die sich in der Ent- nahme oder im Zugang befinden, immer mehr ab. Fehlende Transparenz, auf- grund neuer, buchhalterisch unterschiedlicher Bestandsführungsvarianten, erschwert zunehmend die tatsächliche Vergleichbarkeit der Materialflüsse. Klas- sische Inventur kann kaum mehr die nötige Sicherheit für dynamische Bestände erzeugen, zumindest nicht mit vertretbarem Aufwand. Kanban-immanente Verfahrensregeln können, kombiniert mit klassischem Bestandscontrolling, helfen, einen exakteren Bestandswert und einen höheren Aussageinhalt zu errei- chen. Subtiles Bestandscontrolling verhilft zu Bestandssicherheit bei sinkenden Puffern und einer höheren Liefertreue. Bestände Eigene Lieferfähigkeit Lieferfähigkeit der Lieferanten Sicherheitspuffer in der ganzen Lieferkette Lean Production Valuecycle Analyse (VCA) & Optimizing (VCO) Schutzschild Störgrößen © Copyright by lepros Abb. 2.13.1 Mit Lean Production, VCA und VCO werden Störgrößen eliminiert und Si- cherheitspuffer systematisch minimiert. Dies führt zur Glättung des Materialflusses und zu einer Steigerung der Ausbringung. 2.13 Logistik-Controlling im schlanken Materialfluss, mit der Valuecycle Analyze 213 2.13.1 Intransparenz der Kostenstrukturen Durch die heterogene Materialflussgestaltung, teilen sich die Bestände in ver- schiedene, auch buchhalterisch wirksame Bereiche auf: • Fremdbestand im externen Lager • Fremdbestand physisch im eigenen Lager oder in der Fabrik • Bestandsgeführt, aber nicht im Eigentum • Nicht bestandsgeführt und nicht im Eigentum • Nicht bestandsgeführt, aber im Eigentum • Bestandsgeführt aber Gemeinkostenmaterial. Diese Bestandsführungsvarianten decken den Gros der Teile oder Werte im Materialfluss ab und sind für den Wertstrom, die Buchungen und die Bestands- sicherheit relevant. Einige dieser Konzepte wie das C-Teile-Management führen ohne Zweifel zu nachhaltigen Verbesserungen der Wirtschaftlichkeit eines Her- stellprozesses, während mit anderen keine Prozessverbesserung zu erreichen ist. Bestände sind für das Controlling, die Buchhaltung und die Steuerung deutlich weniger transparent. Eine Kostenverschiebung verschlechtert die Vergleichbar- keit und das Erkennen von Fehlentwicklungen. Mit der Verlagerung der Kapi- talbindung zum Lieferanten, wird oft das Ziel der Optimierung betrieblicher Kennzahlen verfolgt. Allerdings verringert sich dadurch die Transparenz der Prozesse, und damit verschlechtern sich die Abläufe. Erst eine Betrachtung der Prozesskosten lässt die reale Erhöhung der Gesamtkosten erkennen. Eine Ver- schiebung der Bestandsführung zum Lieferanten, bei einer gleichzeitigen Kür- zung des Zahlungsziels, ist ein geeignetes Beispiel, um die Risiken aufzuzeigen. Solche Konzepte werden stellenweise für Schnelldreher angewandt, also Mate- rialien mit schneller Lagerumschlagszeit. Die Kapitalbindung bei Schnelldrehern ist bei sehr kurzen Reichweiten nur einzelne Tage vorhanden, die Zahlungsziele und Buchungshorizonte betragen jedoch vielfach mehrere Wochen. Nach einem Outsourcing der Bestandsverantwortung werden die Materialien nun entweder beim Wareneingang oder nach ein paar Tagen bei der Lieferung direkt gut ge- schrieben. Es liegt zwar eine sofortige Verringerung des gebundenen Kapitals vor, aber die Belastung für die Lieferung erfolgt nun um Wochen früher, auf- grund des anderen Zahlungszeitpunkts. Die Kennzahl der Kapitalbindung wird sofort einmalig verbessert. Die Rendite des eingesetzten Kapitals verschlechtert sich erst wieder mit Zeitverzögerung und darin besteht der eigentliche Nutzen einiger dieser Konzepte. Verglichen mit dem Potential einer tatsächlichen Opti- mierung der Prozesse, können diese Konzepte nicht standhalten. Im Gegenteil, Bestandscontrolling und Materialflussoptimierung verlieren an Transparenz und werden erschwert, letztlich nimmt die Kapitalbindung in der Lieferkette zu. 214 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban 2.13.2 Dynamische contra statische Bestände Klassisches Controlling ist auf die buchhalterischen Bestandsklassen fokussiert. Bei einem schlanken Materialfluss befindet sich der Großteil oder der gesamte Lagerbestand nicht mehr im zentralen, abgeschlossenen Lager, sondern an den Arbeitsplätzen, Work-in-Process, im unmittelbaren Zugriff der Mitarbeiter der Produktion. Die Bestandsüberwachung mittels Inventurzählung im direkten Eingriff der Produktion ist schwierig abzugrenzen, da der Status bzw. Auftrags- bezug nur aufwendig nachzuvollziehen ist. Die Zählung der Stichtagsinventur ist für einen reibungslosen Materialfluss, mit minimalen Puffern, zu ungenau und zu selten. Der Anteil der statischen Bestände, also des klassischen Lagerbe- stands, ist in schlanken Materialflüssen nicht mehr in Wochen zu messen, son- dern in Tagen oder Stunden. Erst ergänzende Verfahren helfen, die dynami- schen Elemente des Materialflusses exakter zu fassen. 2.13.3 Die neuen Differenztypen im schlanken System Theoretisch schließen geringe Pufferbestände Differenzen aus, ohne dass es zum physischen Engpass kommt. Überstände und Unterdeckung sind daher in diesem Fall nicht möglich. Bei genauerer Betrachtung, z. B. mit Simulationsme- thoden oder im realen Ablauf, werden aber andere Zusammenhänge deutlich. Differenzen verschieben sich auf der Zeitachse, etwa durch parallele oder nur knapp versetzte Aufträge. Die physische Zuordnung des realen Materials er- folgt bei vielen, nahezu gleichzeitigen Abgängen und häufigen Zugängen nur auf der Zeitachse. Daraus ergeben sich „schwimmende“ Puffer, bei welchen Traditioneller Materialfluss Schlanker Materialfluss Zeit B es ta nd Zeit B es ta nd Statischer Lagerbestand Dynamischer Lagerbestand Abb. 2.13.2 Der dynamische Anteil im Materialfluss hat zugenommen, Momentaufnah- men statischer Bestände haben einen immer geringeren Aussagewert. 2.13 Logistik-Controlling im schlanken Materialfluss, mit der Valuecycle Analyze 215 zufließende oder abfließende Mengen den statischen, also invertierbaren Be- stand übersteigen. Tatsächlich kommt es nicht zum klassischen Abreißen der Materialversor- gung. Die Versorgung wird lediglich knapp. Dadurch entstehen viele Zusatztä- tigkeiten oder Sonderaktionen: Das Material muss zu dem Verbraucher gebracht werden, der es am nötigsten braucht, oder das Material am Arbeitsplatz muss umverteilt werden, da der Nachschub nicht früh genug eintrifft. Erst bei deutli- chen Veränderungen des Bedarfsniveaus oder bei unkontinuierlichen Verände- rungen kommt es zum tatsächlichen realen Abreißen. Die neue Aufgabenstel- lung besteht darin, derart wenig Pufferbestand exakt zu kontrollieren. Komplexe statistische Bestandscontrolling-Tools oder Spezial-Tools, welche die Plausibili- tät überwachen, bereinigen nur die Symptome. Bestandsgenauigkeit kann unter diesen Rahmenbedingungen nur nachhaltig sichergestellt werden durch: • Optimierung der Abläufe • Reduzierung der Komplexität • Sicherstellung und Kontrolle des visuellen Materialflusses • Reduzierung der Anzahl der Aufträge, die sich in Arbeit befinden • Reduzierung der Auftragslosgrößen und der Losgrößen der Materialbereit- stellung • Das kontinuierliche Schaffen von Ordnung und Sauberkeit in kurzen Inter- vallen schaffen, etwa mit 5A-Aktion (5S Aktionen): Physische Abläufe, Lager- plätze, Behälter, Beschriftungen und Regale müssen regelmäßig physisch überprüft und gepflegt werden. • Kontinuierliche Verbesserung des gesamten Materialflusses (vgl. 2.14 Value- cycle Optimizing). 2.13.4 Valuecycle Analyze (VCA) Valuecycle Analyze [Lepr 03] ist das dynamische Bestandscontrolling mit Kan- ban-Verfahrensregeln. Unter Ausnutzung der verfahrensimplementierten Regeln von Kanban, ist es möglich, einen höheren Aussagewert, bezogen auf dynamische Bestandselemente zu erreichen. Neben der dynamischen Mindestbestandssiche- rung besitzt Kanban auch die Eigenschaft der Begrenzung des maximalen Um- laufbestands, also in Lagerbestand und Aufträgen gebundenem Bestand. Die Anzahl der Karten oder Behälter bestimmt dynamisch die maximal möglichen Bestände, die sich im Kanban-Kreis befinden. Neben der Bestandsinformation steht bei Kanban auch die Behälterflussin- formation zur Verfügung. Die hybride Informationsquelle, kann zu einer Verbes- serung der Bestandssicherheit ergänzend herangezogen werden. Diese Eigen- schaften ermöglichen, zusätzlich zur Bestandsklassenlogik, eine prozessbezogene Kontrolle der Umlaufbestände. 216 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban Abb. 2.13.3 Vom Kanban-Kreis über den Materialflusskreis zum Werteumlauf (Value- cycle). Auftrags-Kanban Beim Auftrags-Kanban setzt sich der Bestand aus Aufträgen, Lagerbeständen oder inaktiven Karten zusammen. Inaktive Karten sind z. B. gerade unterwegs zum Lieferanten und daher nicht bestandswirksam. Mit Bestandsklassen können zwar Bestände festgestellt werden, Aussagen über überhöhte Bestände können jedoch nur beschränkt getroffen werden. Staus oder Kumulationen verändern bei schlan- ken Materialflüssen die Lagerreichweiten je nach Material dynamisch. Materialien wandern von der Klasse der statischen Lagerbestände in die Klasse der Aufträge. Eine Verzögerung des Buchungsvorgangs kann zu einer Überhöhung führen, wäh- rend die Summe des in Aufträgen und in Lagerbestand gebundenen Materials kei- ne Überhöhung aufweist. So erlaubt der Mengenwert eines Materials in einer Mo- mentaufnahme keine sinnvolle Aussage, da der Zeitpunkt über die Höhe des Bestands entscheidet. Bestandsklassenkontrollen entsprechen einer zufälligen Momentaufnahme im Verlauf einer sinusähnlichen Kurve. Die Betrachtung des 2.13 Logistik-Controlling im schlanken Materialfluss, mit der Valuecycle Analyze 217 Umlaufbestands, also der Summe aus den in Lagerbestand und Aufträgen gebun- den Materialien, kompensiert diesen Effekt. Die Definition und die kontinuierliche Kontrolle des zulässigen Umlaufbestands bei Kanban-Materialien, ermöglicht eine höhere Qualität der Aussage als die einfache Bestandsklassenbetrachtung. Beim Bestandscontrolling mit Kanban ist es notwendig, die Dimensionierung der Kreise zu überprüfen und die realen Bestände der Materialien ständig abzuglei- chen. Diese Controlling-Methode des Umlaufbestands ist analog auf nicht mit Kanban gesteuerte Materialien übertragbar. Nachschub-Kanban Nachschub- oder Behälter-Kanban erfolgt die Versorgung der Arbeitsplätze mit Material, aus einem zentralen Lager oder von einem untergeordneten Lieferan- ten. Es lassen sich drei Zustände von Behältern oder Karten unterscheiden: volle Gebinde, in Entnahme befindliche Gebinde und leere Gebinde bzw. Karten, die zur Nachbefüllung unterwegs sind. Unter der Voraussetzung der Materialbereit- stellung mit First-in-first-out (FIFO) kann vom Mitarbeiter nur immer in einen Behälter je Material eingegriffen werden. FIFO wird beispielsweise mit einem Durchschubregal durch eine physische Zwangsführung erreicht. Alle anderen Behälter sind auf Warteposition und können damit als voll angesehen werden. Abb. 2.13.4 Darstellungsformen des Umlaufbestandes: Die zwei unterschiedlichen Dar- stellungsformen für den Umlaufbestand im Kanban-Kreis können für jede beliebige andere Steuerungsform angewendet werden. Die Umlaufbestände von Kanban sind in der Abbildung im Kreisdiagramm und im Säulendiagramm visualisiert. Hierdurch wird einfach verständlich, dass die Informationszeit und die Materialflusszeit im Kanban- Kreis mit Beständen zu bewerten ist. 218 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban Lagerbestand Auftragsbestand Umlaufbestand Bestandsziel Lagerbestand Bestandsziel Auftragsbestand Zeit B es ta nd Zeit B es ta nd Zeit B es ta nd Abweichungen vom Bestandsziel Kumuliertes Bestandsziel (Lager + Auftrag) Bestandsziel Umlaufbestand Abb. 2.13.5 Der Aussagewert von Lagerbestand oder Auftragsbestand alleine ist in dyna- mischen Materialflüssen sehr beschränkt. Schon durch kleinere Verzögerungen der Bu- chungen kann eine einseitige, nur rechnerische Verschiebung in den Beständeklassen entstehen, die sich in der Summe aber kompensiert. Für eine qualifizierte Aussage müs- sen Überschreitungen von Bestandsgrenzen durch den Umlaufbestand verifiziert werden. Die Buchung des Lagerbestands in den Arbeitsplatzbestand erfolgt durch die Bereitstellung am Arbeitsplatz. Im Fall einer Bereitstellung von fünf Behältern à 100 Stück Material, wandern damit 500 Stück Material vom klar zuordenbaren Bestand des Lagers in den dynamischen Bestand am Arbeitsplatz – also Work- in-process. Tatsächlich befinden sich aber nur maximal 100 Stück Material, also 20 %, real in der buchhalterischen „Grauzone“. Durch eine Änderung der Bu- chungsvorgänge oder einer rechnerischen Kompensation, kann die exaktere Bestandsführung erreicht werden. Eine weitere Eigenschaft und wesentliche Stärke des Behälter-Kanban ist die Visualisierung des Sicherheitsbestands. Der operative Mitarbeiter kann lediglich, durch das Gefülltsein der Bereitstellflächen am Arbeitsplatz, visuell sicherstellen, dass er eine gewisse Zahl an Aufträgen – ohne Materialengpass – sicher abarbeiten kann. Mit flexiblen Markierungen, etwa beim Durchschieben, kann eine Mindestreichweite für alle Materialien, unabhängig vom Volumen, optisch erkennbar gemacht werden. Die Unter- schreitung dieser Grenze lässt einen Engpass mit Vorlauf erkennen und – bei richtiger Dimensionierung – mit einer Sonderaktion sicher verhindern. Durch 2.14 Valuecycle Optimizing (VCO) 219 diese Prüfung sind im Gegensatz zu IT-Ansätzen alle Störungen präventiv er- kennbar, z. B. auch Inventurdifferenzen, die in EDV-Systemen nicht erkennbar sind. Anstelle eines Stillstands wird nur eine Sonderaktion erzeugt. Dieses Kon- zept kann auch in einem Lagerverwaltungs-Tool abgebildet werden, allerdings müssen dann alle Behälter immer richtig gepflegt sein, um stabil zu arbeiten. 2.14 Valuecycle Optimizing (VCO) Philipp Dickmann; Eva Dickmann, Lepros GmbH Der typische Musterfall aus der Praxis: Ein sehr zuverlässiger Lieferant, große Reichweite bei Abruf, keine Qualitätsprobleme, kontinuierlicher Bedarf des Ma- terials, richtige Dimensionierung – und doch kann es zum Engpass kommen. Wie kann in dieser Situation die Lagerreichweite noch weiter reduziert werden, ohne ein höheres Risiko für Lieferengpässe einzugehen? Genau für dieses Span- nungsfeld wurde Valuecycle Optimizing (VCO) entwickelt. Mit VCO werden reale, individuelle Störparameter ermittelt und umfassend eliminiert. Im Gegen- satz zu ungelenkten Ansätzen, die nur indirekt einen positiven Einfluss auf die Reduzierung der Störparameter im Materialfluss haben, wie z. B. TQM oder Six Sigma, werden durch den Einsatz von VCO mit geringem bürokratischen Auf- wand, selektiv und präventiv die verschiedenen Störparameter behandelt. Die Methode basiert einerseits auf theoretischen Ansätzen, wie Streamdesign, Value- cycle Analyze, Wertschöpfungsanalyse, Valuecircle Management und zeitwirt- schaftlichen Ansätzen, wie REFA (REichsausschuss Für Arbeitszeitermittlung) und MTM (Methods-Time Measurement). Andererseits erfolgt die Ausführung und Umsetzung im Sinne der Methoden des Toyota Produktionssystems (TPS), unter Einbindung von Vorgehensweisen aus Kanban, Kaizen, Poka Yoke und JIT. Die daraus abgeleitete Methode hat sich als sehr effizient und schnell zur Opti- mierung verschiedener Materialflüsse erwiesen. Wesentlicher Anwendungs- schwerpunkt sind Materialflüsse, bei welchen sehr geringe Puffer für Störgrößen möglich, aber eine hohe Lieferfähigkeit notwendig sind. Es wird zudem eine deutliche Beruhigung der Materialflüsse erreicht. Ein weiterer typischer Ansatz- punkt sind Materialflüsse, bei denen sehr hohe Aufwendungen zur Steuerung notwendig sind, etwa nach der Einführung von JIT oder JIS. Sehr effizient kann VCO auch zur Störungsreduzierung bei komplexen, vielfältigen Störparametern sowie bei fachübergreifenden oder externen Ursachen (Spedition, Lieferant, Unterlieferant, Technik, Produktion, Qualität, etc.) angewendet werden. 2.14.1 Dimensionierung von Kanban und Just-in-time Steuerungen In Europa und Amerika werden Steuerungsverfahren mehrheitlich nur statisch betrachtet. Die Dimensionierung der Kreise (Kanban) wird dabei als wichtigstes 220 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban Element angesehen. Kanban wird als Steuerungsalgorithmus verstanden, dessen exakte Dimensionierung durch die IT berechnet wird. Davon weicht die Sicht der japanischen Unternehmen wie Toyota, Nissan und Mitsubishi deutlich ab. Dort wird die Exaktheit des Startwerts als nur untergeordnet angesehen. Viel mehr, wird auf die kontinuierliche Verbesserung geachtet. Der Startwert soll lediglich die Lieferfähigkeit zu Beginn sicherstellen und hat somit eine unterge- ordnete Bedeutung. So schlägt T.C. Ohno [Ohno 93] die Dimensionierung des Kanban-Kreises durch den Kanban-Koordinator vor. Später wird sie mittels Kaizen kontinuierlich manuell reduziert bzw. erhöht und damit dynamisch an die aktuelle Situation angepasst. So wird, trotz minimaler Bestände immer eine 100 %-ige Lieferfähigkeit gewährleistet. Das Gleiche gilt für den Just-in-time Prozess, der nicht als Alternative sondern als Partner von Kanban in einer hete- rogenen Steuerungswelt angesehen hat. Die Kaizen-Teams binden dazu andere Fachabteilungen und Mitarbeiter der Zulieferunternehmen ein. Dadurch werden Störparameter so weit eliminiert, so dass große Sicherheitsbestände überflüssig werden. Erst durch die genaue Kenntnis (auch Softfacts) der realen Störgrößen wird es möglich, ohne Risiko Lieferfähigkeit und Überbestände zu minimieren. 2.14.2 Methoden des TPS, Wertschöpfungsanalyse und zeitwirtschaftliche Methoden übertragen auf den Kanban-Kreis Wesentliches Alleinstellungsmerkmal der Methoden des TPS, ist die Fokussie- rung auf Gemba, den „Ort des Geschehens“ oder der Wertschöpfung. In der klassischen Definition stehen der Arbeitsplatz und die Tätigkeit des operativen Mitarbeiters dabei im Mittelpunkt aller Betrachtungen. Diese Sichtweise deckt sich mit der Betrachtungsweise der Wertschöpfungsanalyse, die im Regelfall in Zusammenhang zu zeitanalytischen REFA-Studien angewendet wird. Poka Yo- ke- und Kaizen-Methoden zielen, physikalisch betrachtet, darauf ab, Störgrößen, die den Arbeitsablauf des Werkers beeinträchtigen, systematisch abzustellen. Wie bei der Wertschöpfungsanalyse werden alle nicht wertschöpfenden Arbeits- schritte so weit wie möglich vermieden. Das Grundprinzip von VCO ist entstanden, um weitestgehend alle Störgrößen zu eliminieren, die den Kanban-Kreis und damit den Materialfluss beeinträchti- gen. Die Perspektive unterscheidet sich (z. B. zu Kaizen), da die Situation, nicht aus dem gängigen Blickwinkel des Werkers oder seiner Tätigkeiten sondern, aus dem des Materials und seiner Bewegung, betrachtet wird. Dieser auf den ersten Blick geringfügige Unterschied der Perspektive führt zu grundlegend anderen Potentialen und Vorgehensweisen als bei den etablierten Methoden. Um diese veränderte Sicht, ihren Nutzen oder ihre Problemstellungen im Projekt leichter nachvollziehen zu können, lässt sich Material im Materialfluss gut mit der Per- spektive eines Autofahrers im Verkehr vergleichen. 2.14 Valuecycle Optimizing (VCO) 221 Abb. 2.14.1 Die Elemente von Valuecycle Optimizing VCO ist aus der Kanban-Philosophie entstanden. Es basiert auf dem Zusam- menhang des Kreislaufes von Informations- und Materialfluss im Kunden- Lieferanten-Verhältnis. Die daraus entstandene Vorgehensweise ist ebenso, mit gleichbleibendem Vorteil, für beliebige andere Materialfluss- und Steuerungs- methoden anwendbar. Das Prinzip ist aber im Modell eines Kanban-Kreises am einfachsten verständlich und wird deshalb im Folgenden anhand dieses Beispiels erläutert. Zwei Anwendungen lassen sich unterscheiden, zum einen für den internen und zum anderen für den externen Materialfluss, also zum Kunden oder zum Lieferanten. Für die weitere Erläuterung des Prinzips wird dies aller- dings an dieser Stelle vernachlässigt. Materialfluss-Kaizen abgestellt Störgrößen, die den Kanban-Kreis beeinträchtigen, werdenStörgrößen, die den Arbeitsablauf beeinträchtigen, werden Abb. 2.14.2 Vergleich klassisches Kaizen und Materialfluss-Kaizen: Ein völlig anderer Blickwinkel (nicht auf den produzierenden Mitarbeiter, sondern auf den Materialfluss) erlaubt einen wirkungsvollen Verbesserungsprozess im Materialfluss. Materialfluss- Kaizen ist ein wesentliches Element von Valuecycle Optimizing. 222 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban 2.14.3 Die Umlaufzeit als Basis der Betrachtung Die Umlaufzeit beschreibt im ursprünglichen Sinn die Zeit, die eine Karte für einen Umlauf im Kanban-Kreis benötigt. Sie steht im Mittelpunkt der Betrach- tung von VCO, da sie proportional zum Umlaufbestand bzw. zur Kapitalbin- dung ist. Gebräuchliche Ansätze fixieren sich nicht auf die gesamte Zeit, sondern auf Zeitabschnitte. Die Beschaffungszeit etwa ([Schn 05], S. 164) überdeckt sich in der Regel mit der in ERP-Systemen verwendeten Wiederbeschaffungszeit (WBZ). Die Beschaffungszeit setzt sich aus der Zeit vom Anstoß der Beschaffung bis zum Eintreffen der Ware zusammen. Je nach Anwendungsfall wird die Be- schaffungszeit mit verschiedenen Übergabezeitpunkten unterschiedlich inter- pretiert, z. B. abgehend vom Lieferanten, bei Ablieferung durch die Spedition, Wareneingang, Freigabe, Warenzugang im Lager oder sogar Ankunft am Ar- beitsplatz. Daher ist es kaum verwunderlich, dass moderne, komfortable ERP- Systeme verschiedene Typen von WBZ anbieten. Ebenso verhält es sich mit den DLZ bei Hausteilen. Auch bei internen Produktionsaufträgen sind vergleichbare Zeiten in den ERP-Systemen vorhanden. Grundlegend wird die DLZ als Funk- tion der Losgröße interpretiert. Das bedeutet, sie ist abhängig von der Losgröße und somit keine Konstante. Das TPS interpretiert das Abhängigkeitsverhältnis invers. Die DLZ und adä- quat bei Kaufteilen die WBZ zu reduzieren, ist hier die Zielgröße. Die kleinere Losgröße wird dann als eine davon abhängige Größe gesehen. Dieser Philoso- phie wurde beim Valuecycle Analyze (VCA) gefolgt. Das Ziel von VCA ist es den Kunden-Lieferanten-Prozess mit der geringsten Verschwendung oder, betriebs- wirtschaftlich formuliert, mit den geringsten Prozesskosten zu finden. Darüber hinaus ist es wesentlich, einen nachhaltigeren und sichereren Ablauf zu erzeu- gen, denn alle Störungen des reibungsfreien Ablaufes müssten durch Puffer abgesichert werden. Dies deckt sich mit der „Theory of Constraints“ [Gold 90]. Trotzdem trifft die Forderung „Harmonisierung und Verstetigung des Material- flusses“ [Schn 05] generell auf alle Materialflusstypen zu. Weiterhin wird mit VCA und VCO dem Peitscheneffekt (vgl. 2.1 Ruhiger kontinuierlicher Material- fluss) entgegen gewirkt. Die Methode bekämpft allgemein Störgrößen an der Keimzelle der Entstehung oder der Auswirkung im Kanban-Kreis. 2.14.4 Die Methode des Valuecycle Optimizing Es wird angestrebt, alle unnötigen Zeiten im Kanban-Zyklus zu eliminieren und gleichzeitig alle Störgrößen abzusichern. Im Gegensatz zur gängigen Betrach- tungsweise in ERP-Systemen wird die Zeit für den Informationsfluss als relevan- te Zeit mit einbezogen, da dies die Zeitspanne beinhaltet, die durch Bestände überbrückt wird. Im Engpassfall beinhaltet die Zeit bis zum Eintreffen neuer Teile auch die Informationszeit. Die Umlaufzeit von Kanban umfasst die gesam- te Zeit, vom Anstoß des Bedarfs bis zum Erfüllen des Bedarfs eines Kanban- 2.14 Valuecycle Optimizing (VCO) 223 Kreises. Sie beinhaltet folglich die DLZ oder WBZ inklusive der Zeit des Infor- mationsflusses. Im Kanban-Kreis ist dies einfach nachzuvollziehen. Gemessen wird von dem Zeitpunkt, an dem die Karte den neuen Auftrag auslöst, der Auf- trag auf Lager geht, der Lagerbestand verbraucht wird, bis die Karte schließlich wieder zu einem neuen Auftragsstart führt. Die genaue Schnittstelle, also der Übergabepunkt, dem im ERP-System eine sehr differenzierte Bedeutung zu- kommt, ist im VCA aus der Sichtweise des Kanban-Kreises irrelevant. Wichtig ist bei dieser Betrachtung die Zeit, die für einen vollständigen Umlauf benötigt wird. Diese Zeit spiegelt sich auch in der Anzahl der benötigten Kanban-Karten wieder. Erhöht sich die nötige gesamte Umlaufzeit des Kreises, steigt die dyna- mische bzw. „atmende“ Kapitalbindung ebenfalls. Bei dieser Methode werden die einzelnen im Kreis auftretenden Zeiten als linearer Zeitstrahl aufgeschlüsselt und dann analysiert. Die Zeitachse ist proportional zur Materialflussachse (ge- rechnet in Stück). Lagerbestände sind in Reichweiten umzurechnen. Ver- schwendung kann also als Zeit oder in Lagerreichweite betrachtet werden, da beides proportional zueinander ist. Das Hauptziel des operativen Prozesses im VCO ist es, eine möglichst geringe, DLZ im Kanban-Kreis zu erhalten, bei gleichzeitig minimalem Risiko und maximaler Sicherheit. Erreicht wird diese durch eine detaillierte Störgrößenanalyse in jedem Teilprozess. Die dynamischen Puffer und die Detailabläufe des Materialflusses werden ex- akt ermittelt und mit der 5W-Methode hinterfragt. Störparameter, unnötige Puffer und Wartezeiten werden eliminiert oder reduziert. Durch diese Maß- nahmen wird es möglich, mit einem kleineren dynamischen Sicherheitsbestand und gleichzeitig deutlich reduziertem Risiko zu agieren. Der Leitsatz: Alles was den Materialfluss behindert, wird eliminiert. Abb. 2.14.3 Systematische Störgrößeneliminierung im Materialfluss (WEQS: Warenein- gangsprüfung). 224 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban 2.14.5 Projektablauf Das Vorgehen im Projekt ist im Konzept ähnlich zu Kaizen oder Poka Yoke. Es wird ein Bottom-up-Process angestrebt, in dem sich die Teams, mit Unterstüt- zung, selbst die Lösungen überlegen und dann nach Möglichkeit direkt umset- zen. In den Teams sollten Vertreter aller am Kanban-Kreis beteiligten Bereiche vertreten sein. Bei einem Kanban-Kreis mit Lieferantenteilen bedeutet dies, dass z. B. die Mitarbeiter aus Montage, Materialbereitstellung, Wareneingang, Quali- tätssicherung, Disposition, Spedition und vom Lieferanten beteiligt werden sollten. Dies gilt natürlich nur, für diejenigen, die am Prozess beteiligt sind. Projektablauf [Lepr 03]: Ablaufstudie – Verifizieren der Einzelelemente und Zeiten 1. Ermittlung und Visualisierung eines Umlaufkreises 2. Verifizierung der Optimierungspotentiale und der Verschwendungen 3. SOLL-Konzept und Optimierungsansätze umsetzen 4. Definition als neuen Standard. Ursachenanalyse nach den 6 Verschwendungsarten [Lepr 03]: Zuerst wird jeder einzelne Schritt im Kanban-Kreis in einem Prozessdiagramm ermittelt. Im Anschluss werden die jeweiligen Zeiten, die die Prozesse benötigen, in Bezug auf die folgenden Verschwendungsarten analysiert: • Risiken • Schwankungen • Unnötige Prozesse • Sicherheitspuffer • Schlechte Qualität • Totzeiten. 2.14.6 Kanban-Controlling Das Vorgehen des Kanban-Controlling unterscheidet sich vom üblichen Ablauf des Controllings, da es im Rahmen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozes- se analog TPS umgesetzt ist. In regelmäßigen Abständen wird hierzu auf der operativen Ebene, unter Einbindung der Verantwortlichen und angrenzender Bereiche, die Situation analysiert, Probleme besprochen und neue Ziele defi- niert. Mit Zielen sind in diesem Fall jedoch in erster Line operative physische Maßnahmen gemeint, nicht neue Grenzen für Kennzahlen in der Statistik. Fol- gende Kennzahlen aus Hard- und Softfacts können hierfür betrachtet werden: • Penetration mit Kanban: Die Penetration muss mit der Kanban-Eignung und mit strategischen Grenzwerten, z. B. unumgänglichen Problemlieferanten, ab- geglichen werden. 2.14 Valuecycle Optimizing (VCO) 225 • Reduzierung der Anzahl Kanban-Karten pro Zeit: Die Entwicklung muss im Quervergleich mit der Prognosegüte und der Lieferfähigkeit betrachtet werden. • Entwicklung der Losgrößen, Wiederbeschaffungs- und Durchlaufzeit: Die Beschleunigung des Umlaufbestands sollte im Fokus der kontinuierlichen Arbeit mit Kanban stehen. Die Reduzierung der WBZ und DLZ hat daher höchste Aussagekraft. Es ist aber darauf zu achten, dass die Reduzierung der Losgrößen basierend auf Rüst- oder Transportoptierungen stattfindet. • Entwicklung der realen Kapazitäten: Häufig werden die Kapazitäten unter den notwendigen Schwankungsbreiten geplant, dadurch werden immer wie- der Störungen erzeugt, die durch Steuerung nicht kompensierbar sind. Um Flexibilität und kontinuierliche wirtschaftliche Abläufe zu erreichen, sind real mögliche und erreichbare Freikapazitäten notwendig, sowohl intern als auch bei Lieferanten. • Entwicklung der realen Umlaufbestände und der Kapitalbindung: Kanban strebt die Optimierung der Umlaufgeschwindigkeit und damit minimale Umlaufbestände an. Die Entwicklung der realen Puffer und Auftragsmengen, d. h. Lager und Auftragsbestände, müssen hierfür kontinuierlich verfolgt werden. • Lieferfähigkeitsentwicklung: Kanban strebt vollständige Lieferfähigkeit an, auch bei „normalen“ Störungen. • Störungshäufigkeit: Durch die Ermittlung der Häufigkeit der Störgrößen werden Hauptverursacher erkennbar und kontinuierlich abstellbar. • Ordnung und Sauberkeit im Materialfluss: Basierend auf kontinuierlichen Ordnungs- und Sauberkeitsaktionen ist die Verfolgung des Levels eine Größe, die sehr direkt positiven Einfluss auf Störparameter nimmt. • Lagergrad: Der Lagergrad beschreibt die Reichweite in Relation zur Wieder- beschaffungs- bzw. Durchlaufzeit. Der Reduzierung des Lagergrads sollte nur als Kontrollfunktion, nicht als Zielgröße gesehen werden und ist nur als Ne- benprodukt der Störgrößeneliminierung sinnvoll. • Prognosegüte Vertrieb/Kunde: Die Prognosegüte stellt die Basis der Produk- tions- und Logistikplanung dar. Zu starke Abweichungen sind durch keine Steuerung kompensierbar. Es ist daher wichtig Schwankungsbreiten (Puffer und Freikapazitäten) auf den Zeithorizont abzustimmen – durchgängig vom Kunden bis zum Lieferanten. 2.14.7 Anwendungsfälle Die Methode ist speziell nach der Einführung eines neuen Materialflusskon- zepts sinnvoll, um eine angestrebte Effizienz des Systems sehr schnell zu errei- chen. Sie kann aber ebenso erfolgreich für alle anderen heterogenen, bestehen- den Materialflusssysteme angewendet werden. Bei bereits hoch entwickelten Materialflüssen, deren Lieferfähigkeit und Lagerreichweite noch einmal deutlich verbessert werden muss, zeichnet sich VCO durch das große Potential in der 226 2 Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban Risikoeindämmung aus. Das ist vor allem bei Anwendungen wie Just-in-time oder Just-in-sequence interessant, bei denen es notwendig ist, mehr Flexibilität anzubieten. Eine typische Zielgröße kann die Reduzierung oder Eliminierung einer Frozen Zone sein. K an ba n- K ar te k om m t i n D is po si tio n A br uf A nl ie fe ru ng W ar en ei ng an g W ar en ei ng an gs pr üf un g In te rn er T ra ns po rt 4321 Wertschöpfend Bedingt Wertschöpfend Nicht Wertschöpfend Start Kreislauf Ende Kreislauf Zeitstrahl M at er ia l w ird v er ba ut Abb. 2.14.4 Visualisierung von Verbesserungspotentialen durch VCO: Sie werden durch eine Wertschöpfungsanalyse des Nachschubvorgangs erkennbar; in diesem Beispiel sind 85 % der Zeiten nicht wertschöpfend (Quelle: Lepros GmbH). 3 Kanban – der Weg ist das Ziel Philipp Schürle, Leonardo Group GmbH Wenn man aktuell Produktionsbereiche in Deutschland und Europa besucht, fallen im Zusammenhang mit modernen Produktionsmethoden immer öfter die Begriffe Kanban (jap. Karte, Signal) und Pull-Produktion, und dies nicht ohne Stolz, da diese mit dem schillernden Vorbild des Toyota Produktionssystems in Zusammenhang stehen. Tatsächlich ist Kanban ein integraler Bestandteil mo- derner Produktionssysteme. Blickt man aber im Rahmen von Prozessanalysen hinter die „Fassaden“, d. h. in die tägliche Praxis der Arbeitsprozesse, wird man schnell desillusioniert – die viel gepriesenen klassischen Kanban-Regeln werden im Tagesgeschäft nicht eingehalten. Die Kanban-Regeln sind das Fundament Ein funktionierender Kanban-Betrieb basiert auf den folgenden strengen Grund- regeln, welche gegebenenfalls noch weiter detailliert werden können: • Lieferung und Transport von Produkten erfolgt nur zusammen mit dem Kanban (ein Signal als Prozessauslöser, wie beispielsweise eine Karte, auf der Quelle, Senke, Menge, Teilenummer, Barcode, Lieferzeit, Behältertyp, Kar- tennummer etc. klar definiert sind). Produktion bzw. Transport nur dann auslösen, wenn ein Kanban ( = Bestellung) vorliegt. • Die Auslösung eines Kanban-Regelkreises erfolgt nur durch den Verbraucher. • Keine Weitergabe von fehlerhaften Produkten (d. h. es dürfen sich nur „Gut- teile“ in den Kanban-Beständen befinden). • Die Anzahl der im Umlauf befindlichen Kanban-Karten darf nicht verändert werden, sondern muss durch einen zentralen Kanban-Manager kontrolliert werden. Kanban sollte dann noch nicht eingeführt werden, wenn keine weitgehende Einhaltung dieser Regeln im Tagesgeschäft sichergestellt werden kann. Mögliche Gründe für das Nichteinhalten dieser Regeln liegen oft darin, dass die beteiligten Mitarbeiter nicht ausreichend über die Bedeutung dieser Regeln informiert sind und mit den Ursachen des Nichteinhaltens falsch umgehen: Es geht nicht darum, das Nichteinhalten der Kanban-Regeln zu sanktionieren und damit das geschick- te Umgehen von Kanban-Regeln zu fördern, sondern – ganz im Gegenteil – dies als Lern- und Verbesserungschance zu verstehen. Durch Kanban werden die real 228 3 Kanban – der Weg ist das Ziel existierenden Probleme in den Arbeitsprozessen sichtbar. Daher ist es empfeh- lenswert, für jeden Regelkreis die Abweichungen in Form von Regelkarten zu dokumentieren und zeitnah Kaizen-Maßnahmen, die das Ziel haben, Wiederho- lungsfehler zu vermeiden, durchzuführen. Dies bedeutet eine offene Fehlerkul- tur, welche durch Führungskräfte und Mitarbeiter praktiziert werden muss. Ein- fache, verständliche und verbindliche Arbeitsstandards unterstützen dabei. Andere Ursachen liegen darin, dass die selbststeuernden Pull-Regelkreise von zentralen, übergreifenden Planungs- und Steuerungssystemen „torpediert“ wer- den, z. B. wenn Aufträge mit einer bestimmten Priorität oder Dringlichkeit zu- sätzlich angenommen werden und dadurch das geschlossene System stören. Gut funktionierende Kanban-Systeme basieren auf selbststeuernden, in sich ge- schlossenen Regelkreisen, welche auf je ein Teil oder Produkt auszulegen sind. Die Regelkreise werden bei Entnahmen aus Kanban-Beständen, wie z. B. bei Anbruch des Behälterloses (aus so genannten Supermärkten oder FIFO-Puf- fern), aktiviert und lösen Fertigungs- und Transportaufträge bei den vorgelager- ten Prozessen aus, die bei definierten Wiederbeschaffungszyklen die Bestände ( = Senken) auch wieder auffüllen. So kann man bei minimalem Steuerungsauf- wand und mit standardisierten Beständen und Lagerorten Materialflüsse steuern und Materialverfügbarkeit sicherstellen. Kanban fördert somit eine Beruhigung der Prozesse in Produktion, Steuerung und Logistik. Der Kanban-Betrieb als aktiv betriebener Change-Prozess Die Entwicklung einer firmenspezifischen Anwendungs- und Einführungsstra- tegie für Kanban und Pull-Systeme muss längerfristig angelegt werden. Nicht allein die Einführung von Kanban ist die eigentliche Herausforderung, sondern die Schaffung, Stabilisierung sowie die kontinuierliche Verbesserung und Pflege der Kanban-Regelkreise. Im Sinne einer dynamischen Weiterentwicklung mit immer kürzeren Durchlaufzeiten der Materialströme ist der Weg mit Kanban das eigentliche Ziel, also der permanente, tägliche Kampf um bekannte und neu entstehende Verschwendungsquellen in der Produktion und Logistik sowie entlang der Wertschöpfungsketten. Kanban ist dabei für die beteiligten Mitar- beiter ein einfaches, visuelles Werkzeug zur Standardisierung der Informations- flüsse, um die Vermeidung (oder zumindest die grundsätzliche Reduzierung) von Verschwendung in den täglichen Arbeitsprozessen umzusetzen. Kanban bedeutet ein Signal und kann die verschiedensten Ausprägungen haben: von der Steuerung der Leerstellen über Mehrbehälter-Kanban mit Kanban-Karten bis hin zu elektronischen Kanban-Lösungen, und dies jeweils – von der Funk- tion her – als Produktions-, Material-, Transport- oder auch Lieferanten-Kan- ban. Dabei ist immer die einfachste Form, bei der ein stabiler Kanban-Betrieb sichergestellt werden kann, vorzuziehen. Hierbei sind die Mitarbeiter in den Prozess einzubeziehen. Das wichtigste Merkmal von Kanban-Systemen ist, dass nicht geschätzte, prognostizierte Bedarfsmengen die Produktion auslösen, son- dern allein der reale Verbrauch von Produkten und Teilen. Frei nach dem Mot- to „Ist etwas weg, muss etwas hin“ wird gemäß dem Ziehprinzip erst dann et- 3.1 Projektmanagement zur Einführung von Kanban-Steuerungen 229 was produziert, wenn interne oder externe Kunden ziehen ( = Pull). Dies setzt voraus, dass für aktuell gute und verkäufliche Produkte auch in absehbarer Zukunft und mit hoher Wahrscheinlichkeit noch Kundenabrufe zu erwarten sind. Kanban bringt damit die realen internen und externen Kundenbedarfe in einem standardisierten Rhythmus in die Arbeitsprozesse. Dabei sind in regel- mäßigen Zeitabständen die Prämissen bzw. die Kanban-Berechnungsparameter auf Aktualität zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Um dies zu errei- chen, ist oft eine Veränderung in Verhalten und in der Einstellung der Mitar- beiter notwendig. Der Weg ist das Ziel, das Ziel ist die synchrone Produktion Kanban kann ein verlässlicher Weg in Richtung der Vision einer synchronen Produktion sein. Dies wird in Schritten durch die stetige Reduzierung der Um- laufbestände erreicht, d. h. durch die Reduzierung der Kanban-Karten unter der Voraussetzung flankierender Maßnahmen, sofern die sichere Versorgung der nachfolgenden Prozesse nicht gefährdet wird. Folgende Maßnahmen können dies u. a. unterstützen: • Fertigung in kleinen, tagesbezogenen Losgrößen mit Hilfe von schnellem Umrüsten, Losgrößenanpassung aller Produktions- und Logistikprozesse gemäß dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen (= SNP oder engl. Standard number of parts) • Losgrößenanpassung aller Produktions- und Logistikprozesse gemäß dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen (= SNP oder engl. Standard number of parts) • temporär gültige Einmal-Kanban-Karten für spezielle, sporadisch auftretende Auftrags- oder Exotentypen • synchrone, ausgetaktete Einzelprozesse, • kurze Durchlaufzeiten und dadurch schnellere Reaktionsfähigkeit und • stabile fehlerfreie Fertigung mit Qualitätskontrollen in den Prozessen. Abb. 3.0.1 Gesamtoptimierung geht vor einzelnen Suboptimierungen: Das Unternehmen als System wird nur dann optimiert, wenn alle Funktionen und Aktivitäten eng miteinan- der verzahnt sind. 230 3 Kanban – der Weg ist das Ziel Dies kann nur dann wirkungsvoll erfolgen, wenn die verschiedenen Funktio- nen wie Produktion, Logistik, Produktentwicklung und Qualität gemeinsam an diesen Optimierungsansätzen arbeiten. Spätestens hier wird deutlich, dass Kan- ban ein interdisziplinärer Ansatz ist, um die bereichsübergreifende Zusammen- arbeit zu verbessern und an der wertstromorientierten Gesamtoptimierung auszurichten. 3.1 Projektmanagement zur Einführung von Kanban-Steuerungen Michael F. Zäh, F. Aull, Institut für Werkzeugmaschinen und Betriebswissen- schaften (iwb), Technische Universität München Mit der Einführung eines Produktionssystems nach dem Vorbild des Toyota- Produktionssystems geht typischerweise die Implementierung von Kanban- Steuerungen in der Produktion einher. Wichtige Prinzipien für die Kanban- Steuerung, wie z. B. die Kundenorientierung, werden dabei bereits durch das übergeordnete Produktionssystem festgelegt (vgl. hierzu Monden [Mond 98], Ohno [Ohno 93], Shingo [Shin 89] und Takeda [Take 05]). Ergänzend zu den vorhergehenden Kapiteln beschäftigt sich das folgende mit dem Thema Kanban und beginnt mit dem Beitrag „Projektmanagement zur Einführung von Kan- ban-Steuerungen“. Kennzeichnend und typisch für die Einführung von Kan- ban-Steuerungen sind die große Anzahl der beteiligten Unternehmensbereiche sowie die Anzahl der eingebundenen Mitarbeiter im Gesamtprojekt. Die Haupt- verantwortung und damit auch das Projektcontrolling für eine Einführung liegt beim Management, da nur so eine gleichwertige Zusammenarbeit der beteilig- ten Abteilungen auf einer Ebene ermöglicht wird und das Management als übergeordnete Instanz entscheidungsbefugt eingreifen kann. Dies setzt ein straffes Projektmanagement voraus, in dem von Beginn an Verantwortlichkei- ten, Terminpläne und Inhalte einvernehmlich festgelegt und eingehalten wer- den. Alle bekannten Methoden und Hilfsmittel aus dem Projektmanagement können und sollten daher bei Einführungsprojekten genutzt werden. Aufgrund der Größe des Projektteams sind bei der Einführung von Kanban-Steuerungen die Schnittstellen zwischen den beteiligten Projektpartnern zu fokussieren. Der vorliegende Beitrag beschränkt sich auf Kanban-spezifische Fragestellungen und verweist im Übrigen auf die existierende Fülle an Projektmanagementbü- chern und -artikeln. 3.1.1 Prinzipien zur Einführung von Kanban-Steuerungen Die Einführung von Kanban-Steuerungen baut auf einer Reihe von Prinzipien auf, die im Unternehmen vor der Einführung vorhanden sein müssen [Wild 96]: 3.1 Projektmanagement zur Einführung von Kanban-Steuerungen 231 1. Ausrichtung an realen Bedarfen: Kanban als „ziehende“ Fertigungssteuerung ist ausschließlich an den realen Kundenabrufen auszurichten und entspre- chend auszulegen. 2. Dezentrale Steuerung: Die Auftragseinlastung wird nicht mehr zentral, son- dern dezentral durch den Werker vor Ort gesteuert. 3. Vermeidung von Verschwendung: Hauptsächliches Ziel einer Kanban-Steue- rung ist die Vermeidung von Verschwendung in Form von Überproduktion, hohen Durchlaufzeiten und hohen Beständen. 4. Methodenmix: Kanban ist nicht für das gesamte Produkt- und Teilespektrum geeignet. Für verschiedene Arten von Teilen können auch verschiedene Steu- erungsmethoden geeignet sein (MRP II, etc.). 5. Kontinuierliche Verbesserung: Alle internen Kanban-Regelkreise sind konti- nuierlich anzupassen. 3.1.2 Voraussetzungen zur Einführung von Kanban-Steuerung Für eine erfolgreiche Implementierung einer Kanban-Steuerung sind nach Takeda sieben Voraussetzungen in der Produktionsorganisation zu erfüllen [Take 05]. 1. Aufbau einer Fließfertigung: Ein gleichmäßiger Fluss der Teile durch die Produktion mit aufeinander abgestimmten Taktzeiten ist Grundvorausset- zung für die Einführung einer Ziehproduktion. 2. Verkleinerung der Losgrößen/Reduktion der Rüstzeiten: Für eine wirtschaft- liche Fertigung in kleinen Losgrößen ist eine Reduktion der Rüstzeiten not- wendig. 3. Geglättete Produktion: Der Bestand an Vorprodukten und Produkten er- rechnet sich aus der benötigten Wiederbeschaffungszeit, dem durchschnittli- chen Bedarf und dem Sicherheitsbestand. Je geringer die Schwankungen der nachgelagerten Produktionsstufe ausfallen, desto weniger Sicherheitsbestand wird benötigt. Damit sinkt der Gesamtbestand der vorgelagerten Stufe. Bei einer über alle Wertschöpfungsstufen implementierten Kanban-Steuerung steuert die letzte Stufe alle anderen vorgelagerten Produktionsstufen, sodass nur noch die letzte Stufe als Schrittmacherprozess zu glätten ist. 4. Verkürzung und Vereinheitlichung der Transportzyklen: Die Wiederbe- schaffungszeit hat direkte Auswirkung auf die Höhe der Bestände. Eine Re- duktion der Durchlaufzeit durch Verkürzung der Transportzyklen führt da- her zu sinkenden Beständen. 5. Kontinuierliche Produktion: Voraussetzung für eine Ziehproduktion ist die Produktion im Fluss. Da Voraussetzung für eine Produktion im Fluss konti- nuierliche Abrufe der vorgelagerten Stufe sind, muss jede Wertschöpfungs- stufe in der Lage sein, kontinuierlich zu produzieren, um den Produktions- fluss nicht zu hemmen. 6. Bestimmung der Adressen: Für die Selbststeuerung der Produktion durch den Werker ist eine einfache und schnell zu erfassende Grundstruktur der Liefe- 232 3 Kanban – der Weg ist das Ziel ranten-Kunden-Beziehungen notwendig. Eine genaue Definition von Ort, Menge und Termin der Ware ist hierfür Voraussetzung. 7. Konsequentes Behältermanagement: Für einen einfachen und logischen Auf- bau der Verkettungsstruktur soll jedem Behälter nur eine Sachnummer zuge- ordnet werden. Zudem sind die Behälter möglichst klein zu halten, um einen schnellen Überblick über die Anzahl der enthaltenen Teile zu gewinnen. Ergänzende Faktoren: Neben diesen Voraussetzungen nach Takeda gibt es weitere Faktoren, die im Idealfall bei der Einführung einer Kanban-Steuerung vorliegen sollten: 8. Hohe Qualität der Vorprodukte und Liefertreue der Lieferanten: Eine schlechte Produktqualität und eine niedrige Liefertreue am Anfang der Wertschöpfungs- kette ziehen Unregelmäßigkeiten im Produktionsfluss nach sich, sodass die Kanban-Regelkreise auf ein zu hohes Bestandsniveau auszulegen sind. 9. Stückzahl und Wert der Produkte: Für die Einführung von Kanban eignen sich insbesondere Produkte mit hohem Wert und guter Vorhersagegenauig- keit hinsichtlich des Verbrauchs, also AB/XY-Artikel. Dagegen kann es bei hoher Variantenvielfalt und unregelmäßigen Abrufen bei der Auslegung der Kanban-Kreisläufe zu Problemen kommen. 3.1.3 Zusammensetzung des Projektteams und Aufgaben Sollte die Einführung der Kanban-Steuerung nicht in den Rahmen einer Imple- mentierung eines Produktionssystems eingebettet sein, ist der Zusammenstel- lung des Projektteams eine noch größere Aufmerksamkeit zu widmen, da die Produktorientierung prozesstechnisch und organisatorisch gemeinhin nicht im Tabelle 3.1.1 Artikelklassen geeignet für Kanban geringer Artikelwert – hohe Schwankung mittlerer Artikelwert – hohe Schwankung hoher Artikelwert – hohe Schwankung Z hoch geringer Artikelwert – mittlere Schwankung mittlerer Artikelwert – mittlere Schwankung hoher Artikelwert – mittlere Schwankung Y mittel geringer Artikelwert – niedrige Schwankung mittlerer Artikelwert – niedrige Schwankung hoher Artikelwert – niedrige Schwankung X niedrig C gering B mittel A hoch geringer Artikelwert – hohe Schwankung mittlerer Artikelwert – hohe Schwankung hoher Artikelwert – hohe Schwankung Z hoch geringer Artikelwert – mittlere Schwankung mittlerer Artikelwert – mittlere Schwankung hoher Artikelwert – mittlere Schwankung Y mittel geringer Artikelwert – niedrige Schwankung mittlerer Artikelwert – niedrige Schwankung hoher Artikelwert – niedrige Schwankung X niedrig C gering B mittel A hochAbruf- schwankungen Artikelwert Legende: = Kanbanfähig 3.1 Projektmanagement zur Einführung von Kanban-Steuerungen 233 Unternehmen vorhanden ist. Das Projektteam zur Einführung setzt sich aus folgenden Unternehmensbereichen zusammen: • Produktion: Fertigung und Montage müssen die wesentlichen Planungser- gebnisse des Projektes umsetzen. • Arbeitsvorbereitung: Die Arbeitsvorbereitung stellt sicher, dass die Kapazitä- ten der einzelnen Arbeitplätze und der Regelkreise optimal aufeinander abge- stimmt sind um die Produktion im Fluss zu gewährleisten. • Qualitätssicherung: Die Organisation und die Prozesse der Qualitäts-Siche- rung sind an das Prinzip Kanban anzupassen. • Programmplanung: Die Produktionsprogrammplanung beeinflusst die Kan- ban-Steuerung durch An- und Ausläufe von Produkten und Varianten. • Einkauf: Der Einkauf schließt die Rahmenvereinbarungen über Bedarfsstück- zahlen mit den Teilelieferanten und reduziert die Anzahl der Teilelieferanten auf eine überschaubare Zahl. • Disposition/Materialsteuerung: Die zentrale Disposition wird teilweise durch selbststeuernde Materialabrufe oder durch Kanban-unterstützende Systeme geleistet und damit dezentralisiert. • Externe Logistik: Geringere Abrufmengen in höherer Frequenz beim Teilelie- feranten erfordern eine veränderte Anbindung an den Lieferanten. • Lager: Das Lager muss mit Orientierung an Kanban-spezifische Abläufe or- ganisatorisch und technisch (Behälter, Verantwortlichkeiten, Lagermengen, …) angepasst werden. • Innerbetrieblicher Transport: Die innerbetriebliche Logistik muss mit der Einführung der Kanban-Steuerung im gleichen Zeittakt Teile anliefern und nicht in selbstkoordinierten Fahrwegen. • Fabrikplanung: Im Rahmen des Projekts müssen das Layout und die Zuord- nung von Teilen zu Arbeitsplätzen neu geplant werden. • Rechnungswesen: Das Rechnungswesen bringt in das Projekt die Daten des Ist-Zustandes ein und erhebt Kostendaten nach der Einführung, um die Ef- fekte einer Einführung bewerten zu können. Bereits im Pilotprojekt sollte das Rechnungswesen am Projekt mitarbeiten, da hier einzelne Effekte der Einfüh- rung bereits abgeschätzt werden können. Die vollständige und fachlich richtige Zusammensetzung des Projektteams ist die wesentliche Voraussetzung für eine funktionstüchtige Implementierung. Vor diesem Hintergrund sei ein weiteres Mal auf die Bedeutung der aktiven Unter- stützung durch das verantwortliche Management hingewiesen, welches die trei- bende Kraft im Projekt sein sollte. Bei der Auswahl der Projektbeteiligten ist besonders darauf zu achten, dass die Mitarbeiter vor Ort intensiv und gleichberechtigt mit in die Planungen einbezo- gen werden. Dies ermöglicht die optimale Nutzung des Potenzials an Fachwissen und Fachkompetenz. Dies wirkt sich auch motivationssteigernd aus und schafft die zur Inbetriebnahme von Kanban notwendige Akzeptanz und Identifikation in allen Bereichen (v. a. beim Werker). 234 3 Kanban – der Weg ist das Ziel Entwick- lung/ - Arbeits- Material- disposition Fertigung Auftragsabwicklung Ver- trieb Ver- sand Forschung & Ent- wicklung Material- disposition PPS Fertigung + Montage Arbeits- vorbe- reitung TechnischeTechn. Auftragsabwicklung UnternehmensführungUnternehmensführung Kalkulation Finanzbuchhaltung Kaufmännische Auftragsabwicklung Einkauf und BeschaffungKalkulation A Legende: = projektintegriert B = indirekt beteiligt Fabrikplanung Interne undexterne Logistik Lager Abb. 3.1.1 Beteiligte Unternehmensbereiche bei der Kanban-Einführung 3.1.4 Projektplan Sind die Projektbeteiligten benannt, ist ein Stufenkonzept zur Planung auszuar- beiten. Für jede Phase in diesem Konzept sind dazugehörige Richtlinien und Vorgehensweisen gemeinsam zu erarbeiten. Diese Richtlinien können je nach Projektziel und Produktions-/Fertigungsstruktur individuell verschieden sein. Ein typischer Projektplan ist in die vier Phasen • Analyse, • Konzeptentwicklung, 3.1 Projektmanagement zur Einführung von Kanban-Steuerungen 235 • Schulung und • Umsetzung unterteilt und kann dabei folgendermaßen untergliedert sein. Analyse Konzeptentwicklung Umsetzung Bereich definierenTeam bilden Ist-Zustand Behälterdef. Regelkreis def. Layout / Flächen Kanbans IT-UmstellungBehälterdef. Regelkreis def. Layout / Flächen Kanbans IT-Umstellung Schulung MASchulung Team Kont. AnpassungUmsetzungsmaßnahmen Kont. AnpassungUmsetzungsmaßnahmen Information / Schulung Beispielhafter Prozessablauf Information an MA Abb. 3.1.2 Beispielhafte Prozesskette zur Einführung von Kanban-Steuerungen Analyse In der Analysephase wird das Projektteam gebildet, das die Ziele des Projektes festlegt und eine gemeinsame Vorgehensweise mit Projektplan und Verant- wortlichkeiten definiert. Weiterhin wird der Einführungsbereich definiert und hinsichtlich der Kanban-Fähigkeit seiner Produkte analysiert. Geeignete Pro- duktgruppen und Fabrikbereiche werden festgelegt. Konzeptentwicklung In der Phase der Konzeptentwicklung werden die in der Analysephase identifi- zierten Produktgruppen hinsichtlich ihres Produktionsablaufes untersucht und Kanban-Regelkreise festgelegt. Es erfolgt die Berechnung der benötigten Kan- ban-Karten, die Auswahl der benötigten Behälter, die Berechnung des Platz- bedarfs und das Entwerfen eines ersten Layouts. Die Kanban-Karten, die Kan- ban-Tafeln oder -Boxen sowie die Auslastungsübersichten werden definiert. In einem weiteren Schritt werden die notwendigen Änderungen für die IT ermit- telt, Teileklassifikationen vorgenommen sowie die neuen Prozessabläufe für die IT festgelegt. Die Einbeziehung der Lieferanten erfolgt im nächsten Schritt mit der Ausarbeitung neuer Lieferkonzepte und -fähigkeiten sowie der Reduktion der Lieferantenzahl auf ein sinnvolles Minimum. 236 3 Kanban – der Weg ist das Ziel Information/Schulung Im Rahmen einer Einführung sind zwei Schulungen durchzuführen, zum Ersten die Schulung für die Projektmitglieder zu Beginn des Projektes und zum Zwei- ten die Schulung der Mitarbeiter in der Produktion und den weiteren beteiligten Unternehmensbereichen. Die Schulungen werden im Rahmen so genannter Planspiele abgehalten und führen so spielerisch an die noch unbekannten Ab- läufe heran. Informationsveranstaltungen bieten sich für die nicht direkt betei- ligten Unternehmensbereiche und Mitarbeiter an. Umsetzung Die Umsetzung startet, wenn alle Prozesse und Hilfsmittel geplant bzw. vorhan- den und die Mitarbeiter entsprechend geschult sind. Die neuen Prozesse sind zu visualisieren und vor Ort durch das Projektteam zu kontrollieren. Eine erfolg- reiche Umsetzung zeichnet sich dadurch aus, dass die Mitarbeiter selbständig im Rahmen ihrer Einflussmöglichkeiten das geplante System kontinuierlich anpas- sen. Die genannten Phasen und Schritte sind zwar sequenziell dargestellt, müs- sen jedoch durchaus iterativ durchgeführt werden, da jeder nachgelagerte Pro- jektschritt auch Auswirkungen auf vorgelagerte Prozessschritte haben kann. So ist bspw. die ideale Auslegung der Puffer und Bestände abhängig vom verfügba- ren Platz. 3.1.5 Definition von Prozessen nach der Implementierung Nach der Einführung der Kanban-Steuerung wird das Projekt nicht beendet, sondern tritt in eine neue Phase ein. Dies ist die Phase der kontinuierlichen An- passung der Kanban-Kreisläufe. Hierin sind Aufgaben enthalten, wie die Redu- zierung der Rüstzeiten, die Qualifizierung der Lieferanten zur termintreuen und qualitativ einwandfreien Lieferung und die Akzeptanzerhöhung bei Mitarbeitern und Vorgesetzten. Erfahrungsgemäß kommt es bei Einführungsprojekten von Kanban-Steuerungen zu vorher nicht exakt abschätzbaren Problemen und zu Mehraufwand in der Umsetzungsphase. Daher ist für die Umsetzungsphase mit einem erhöhten Kapazitätsbedarf zu planen. Als günstiger Zeitpunkt zur Umstel- lung auf eine Kanban-Steuerung bietet sich eine auftragsschwache Phase an, sofern eine solche z. B. durch saisonale Schwankungen abzusehen ist. 3.2 Kanban-Karten Joachim Gerlach, ORGATEX GmbH & Co. KG; Eva Dickmann, Lepros GmbH Kanban-Karten entsprechen prinzipiell dem Label oder der Beschriftung eines Gebindes. Steuerungstechnisch sind sie eine Visualisierung des Gebindes und 3.2 Kanban-Karten 237 stellen die kleinste bewegliche und steuerbare Einheit im Materialfluss dar. Die Visualisierung ermöglicht somit dezentrale Steuerungssysteme. Physische Karten weisen einige Vorteile gegenüber EDV-basierten Steuerungssystemen auf (vgl. 5.5. Elektronische Kanban-Systeme). Sie sind visuell, frei von EDV-Fehlern und vielen Störgrößen, die etwa in Material Requirements Planning (MRP) auftreten können. Sie erlauben eine dezentrale Steuerung, auch völlig ohne EDV-Anbindung und ohne die dazugehörige Infrastruktur nebst Kosten. Durch die Art und den Einsatz der Karten lassen sich verschiedene Kanban-Varianten unterscheiden. Physische Karten bergen allerdings auch Risiken: Sie können verloren gehen. Es kann auch passieren, dass Details, die auf den ersten Blick unwesentlich er- scheinen, auf den Karten weggelassen werden. Solche Fehler können das Schei- tern von Kanban-Projekten bedeuten. Enthalten die Karten jedoch alle wesentli- chen Steuerungsinhalte, ist das Risiko gering. 3.2.1 Steuerungsvarianten, die sich durch den Karten-Typ bzw. das Karten-Handling definieren Behälter- und Karten-Kanban Im Unterschied zu Behälter-Kanban, bei dem die Karte (das Label) immer mit dem Behälter zusammen im Kreis bewegt wird, wird die Karte bei Karten- Kanban streckenweise alleine verschickt. Generell ist Behälter-Kanban das si- cherere Verfahren, da Behälter weniger leicht verloren gehen als Karten. Aus Platz- oder aus Distanzgründen können Behälter jedoch nicht immer sinnvoll eingesetzt werden, da bei hoher Behälteranzahl eine komplexe Rückführlogistik entstehen kann. Kreislauf- und Einweg-Karten Bei klassischen manuellen Kanban-Systemen werden Kreislauf-Karten verwen- det, Warenbegleitlabels werden redundant mitgeführt. Vor allem beim Einsatz von eKanban in Verbindung mit einem Lagerverwaltungssystem mit intensivem Barcodeeinsatz oder durch Zuliefereranbindung finden vermehrt Einmal- oder Einweg-Karten Anwendung. Einweg-Beschriftung ersetzt in vielen Fällen die Warenbegleitlabels. Eine zusätzliche Beschriftung am Gebinde entfällt meist. Es wird manchmal auch nur das Herstellerlabel zur Identifikation verwendet, z. B. mit Informationen zur Charge oder zum Produktionsort. Der Nachteil dieser Steuerung liegt in der fehlenden Visualisierung des Kreislaufs und der Dezentra- lisierung, sowie in der Abhängigkeit von der elektronischen Datenverarbeitung. Die Stärke von eKanban zeigt sich vor allem bei umfangreichen Kanban-Sys- temen (z. B. bei mehreren tausend Karten). Bei dieser Größe wird der Hand- lings- und Buchungsaufwand bei physischen Karten zu aufwändig und fehler- trächtig (vgl. 5.4. Elektronische Kanban-Systeme). 238 3 Kanban – der Weg ist das Ziel Sonderkarten – beschränkt gültige Karten Sonderkarten sind Karten, die z. B. ein „Haltbarkeitsdatum“ besitzen und nur einmalig oder begrenzt oft verwendet werden. Mit diesen Karten können kurz- zeitig benötigte Produkte sicher gesteuert werden. Sie kommen zum Abdecken von Bedarfsspitzen, bei einmaligen Sondermengen oder bei einer Vorholaktion zum Einsatz (z. B. das vorgezogene Produzieren von, die während einer Be- triebsruhe fällig wären). Die Sonderkarten werden temporär eingeschleust und dann wieder entfernt. Damit ist es möglich, auch untypische, unkontinuierliche Materialflüsse mit Kanban abzudecken. Es ist empfehlenswert, diese Karten farblich hervorzuheben. Barcodes und Transpondertechnologie-Kreisläufe Mittlerweile sind nahezu alle Karten redundant mit Barcodes ausgestattet. Dieses Vorgehen ist nicht nur für die Kopplung der Buchungsvorgänge vorteil- haft, zudem ermöglicht es durch Scannen eine schnelle Bestandsaufnahme oder Kontrolle. Transponder bieten vor allem bei internen Abläufen die Möglichkeit, Chargen oder Rückverfolgungsinformationen dezentral direkt am physischen Objekt zu speichern. Diese heute noch teure Variante ist vor allem bei den krei- senden, internen Auftrags-Kanban-Karten viel versprechend (vgl. 3.3. Produk- tionsnivellierung; 5.14 Identifizieren mit RFID). Im Vergleich zu Systemen mit einer zentralen Zuordnung und Verfolgung der Daten in der EDV, kann mit einer dezentralen Datenzuordnung eine einfachere Abwicklung und geringere Fehleranfälligkeit erreicht werden. 3.2.2 Sicht-Kanban-Karten: Bei Sicht-Kanban oder auch Lücken-Kanban erfolgt das Auslösen der Aufträge durch eine Lücke. Diese kann sowohl ein leerer Boden- oder Regalplatz, ein leerer Platz auf der Befüllseite in einem Durchschubregal oder eine Lücke bei einer Pegel- oder Ampel-Kanban-Anzeige sein. Die leeren Stellflächen können mit Leerbehältern, „leeren“ Karten, Sensoren, Schaltern, Scannern mit Barcode bzw. RFID erfasst werden. Ist eine Lücke vorhanden, wird eine Bestellung ausge- löst. Diese Methode ist die am wenigsten störungsanfällige Nachschubmethode, da die Lücke schnell und sicher visuell erkennbar ist und nicht „verloren ge- hen“ kann. Sie kann zusätzlich mit Karten zum Informationstransport oder mit Detailinformationen kombiniert werden. 3.2.3 Informationen auf der Karte • Material und Benennung (gegebenenfalls zugehöriger Baugruppentyp): Die Benennung des Materials ist die wichtigste Information zur klaren Identifika- tion. Sie sollte daher möglichst ganz oben stehen sowie größer und dicker ge- 3.2 Kanban-Karten 239 schrieben werden als die restliche Information. Bei schlanken Karten, die in schmale Sammelkästen gesteckt werden, ist es zweckmäßig, die Karte auch seitlich mit Materialnummer und Benennung zu versehen. Bei materialnum- merneutralem Kanban kann sie entfallen oder nur aus einer Materialfamilie bzw. Baugruppe und deren Benennung bestehen. • Materialmenge und Einheit: Die Karte ist eine Behälterbeschriftung und be- zieht sich auf eine klar abgegrenzte Materialmenge. Bei materialnummer- neutralem Kanban beziehen sich die Stückzahlen nicht auf ein konkretes Material, sondern eine Materialgruppen (z. B. 10 Gehäuse). Es können bei- spielsweise bei Schüttgut auch grobe Mengenangaben oder Füllstände ver- wendet werden (z. B. ca. 2.000 Stück mit Pegelangabe oder Füllhöhe). • Kapazitäten: Ergänzend zur Menge können Bearbeitungs- oder Durchlaufzei- ten angegeben werden. Sie ermöglichen die Kapazitätsplanung von Anlagen, Produktions- oder Beschaffungsprozessen und werden bei Kapazitätssteue- rungsverfahren (Engpasssteuerungen) angewandt. Heijunka oder manuelle Kapazitätssteuerungen können mit derartigen Karteninformationen einfach umgesetzt werden. • Ziel und Quelle (bzw. Lieferant und Kunde): Diese Informationen sind ver- gleichbar mit der Adresse und dem Absender eines Briefes. Sie sind wesent- lich, damit die Karte sicher ankommt und nicht verloren geht. Es wird der Ort eingetragen, an dem das Material verbraucht (die Karte „geleert“) bzw. herge- stellt (die Karte „befüllt“) wird. Bei Lieferanten-Kanban können auch die Ad- ressdaten des Kunden oder des Lieferanten, Debitoren- und Kreditoren- nummer sowie die Kontaktdaten eines Ansprechpartners ergänzt werden. Bei dezentralisiertem einfachen Lieferanten-Kanban kann die Karte als Über- tragungsmedium zum Lieferanten genutzt werden. Sie wird vom operativen Werker direkt gefaxt oder in ein Faxformblatt (Tasche) eingelegt und mit übertragen. • Laufnummer und Identifikation: Kanban-Karten können bei unsachgemäßer Behandlung (z. B. bei Verlust) zu hohen Differenzen oder zum Lieferverzug Abb. 3.2.1 Inhalte bzw. Muster einer Kanban-Karte 240 3 Kanban – der Weg ist das Ziel führen. Daher stellen sie einen enormen Wert (vielfach mehrere zehntau- send Euro Warenwert oder fehlende Lieferfähigkeit) dar. Eine Identifika- tionsnummer sorgt dafür, dass die Karten einmalig, überprüfbar und ihr Weg nachvollziehbar wird (Beispiel: Karte 1 von 23 vom 2.2.2002 oder Nummer der Transporteinheit/Behälternummer mit Erstellungsdatum). • Behältertyp: Durch die Angabe des Behältertyps, z. B. KLT 6428, ist eine ein- fache Überprüfung der Verpackung durch den operativen Mitarbeiter mög- lich. Bei Auslegung neuer Arbeitsplätze kann das neue Lagervolumen auf- grund der Relation der Bedarfsmenge leicht errechnet werden. 3.2.4 Hardware der Karten Die physische Beschaffenheit der Karten entscheidet darüber, ob sie funktional einsetzbar sind und der Materialfluss sicher funktioniert. Das Anforderungspro- fil an die physischen Karten definiert sich aus folgenden Rahmenbedingungen: • Behälterart und Größe, • Umgebung (Reinraumbedingungen oder stark verschmutzt), • Entfernung zwischen Erzeuger und Verbraucher, • Anzahl der Kanban-Karten, • Häufigkeit der Änderungen. Kartenformate Die Größe der Kanban-Karte ist abhängig von der Menge der Kanban-Informa- tionen auf der Karte und dem Ladungsträger oder der Verpackung. Es ist da- rauf zu achten, DIN-Formate zu verwenden, sofern Standardladungsträger (z. B. KLT) zum Einsatz kommen. Die sechs gängigsten Formate sind: • EC-Scheckkarte, • A7, • A6, • A5, • ¹⁄3 DIN, • ¼ DIN-VDA Standard 4902. Anbringung von Karte oder Tasche am Behälter Bei der Auswahl der Karten oder Taschen ist darauf zu achten, dass alle Statio- nen des Kanban-Kreises optimal abgedeckt werden können. Bei ihrer Anbrin- gung müssen die verschiedenen Behälterformen beachtet werden. Poolbehälter sind vornehmlich VDA-Ladungsträger oder Gitterboxen im Leergutaustausch, die keine permanente Anbringung von Etikettenhaltern ermöglichen. Sichtla- gerkästen, Eurobehälter, Kleinladungsträger (KLT) oder Metallbehälter sind Mehrwegladungsträger, die eine dauerhafte Befestigung der Karten zulassen. 3.2 Kanban-Karten 241 Abb. 3.2.2 Form und Darstellung der Kanban-Karten können sehr unterschiedlich sein [Gerl 05]. 242 3 Kanban – der Weg ist das Ziel Abb. 3.2.3, Abb. 3.2.4 und Abb. 3.2.5 Beispiele von Gitterboxen oder Metallbehältern (Quelle: Orgatex) Abb. 3.2.6, Abb. 3.2.7 Karten am Karton (Quelle: Orgatex) Abb. 3.2.8, Abb. 3.2.9 und Abb. 3.2.10 Beispiele von Briefkästen bzw. Sammeltafeln (Quel- le: Orgatex) 3.2 Kanban-Karten 243 Letztendlich darf auch die sichere und übersichtliche Aufbewahrung der Karten an Briefkästen und Sammelpunkten nicht unberücksichtigt bleiben. Die Sammelstellen werden mit fest installierten oder mobilen Briefkästen, Sammelbügeln oder einfachen Fächern ausgestattet. Kartenmaterial • Einwegkarten aus Papier oder dünnem Karton: Sie werden bei eKanban über weitere Entfernungen eingesetzt. Ihr Vorteil ist der Wegfall der Kartenrück- führung. Sie sind allerdings nicht sehr widerstandsfähig. Das Haupteinsatz- gebiet von Einwegkarten ist eKanban und Einweg-Kanban. • Laminierte Karte: Sie wird häufig bei den ersten „Gehversuchen“ mit Kanban verwendet. Der Einsatz laminierter Karten eignet sich für widrige Bedingun- gen im Arbeitsbereich, z. B. Öl, Wasser oder Schmutz, da sie robust und schmutzabweisend sind. In ESD-Bereichen (electrostatic discharge), in denen ein besonderer Schutz gegen elektrische Spannungen notwendig ist, sind spe- zielle Folien zum Laminieren. Die Herstellung laminierter Karten ist aufwän- dig. Bei umfangreichen Kanban-Installationen sollte dies bedacht werden. • Laserdruckfähige Kunststoffkarte: Ihr typischer Einsatzort ist eine saubere Produktionsumgebung und unter Umständen auch der ESD-Bereich. Karten aus Kunstofffolie sind an sich preiswert und schnell erstellbar, aber teurer als Papierkarten. Wie alle mit dem Laserdrucker bedruckten Materialien ist sie nicht vollständig nutzbar, da gängige Drucker einen minimalen Rand von 0,12 mm lassen. Folien sind bei weitem nicht so stabil wie laminierte Karten, allerdings gibt es mittlerweile Materialien, die sehr abriebfest sind und sich bedingt reinigen lassen. In schwieriger Umgebung können auch Kunststoff- etiketten oder nicht zerstörungsfrei ablösbare Etiketten eingesetzt werden. • Kunststoffkarte im Thermotransferdruck: Diese Karten gibt es als schmutz- abweisende Hochglanzkarten, oder in Farbdruck auf normalem Kunststoff. Allerdings ist diese Drucktechnik teuer. Hüllen oder Taschen • Mehrweghüllen aus PVC: Diese Taschen sind in vielen Varianten und Farben lieferbar und können mit normalem Papier bestückt werden. Mehrweghüllen bieten universelle Befestigungsmöglichkeiten. Sie sind selbstklebend, mit einem Magneten oder Bügeln ausgestattet. Der Änderungsaufwand ist sehr ge- ring, da jedes Papier auf jedem beliebigen Drucker bedruckt und in die Tasche gesteckt werden kann. Die Anfangsinvestition für die Hüllen ist zwar höher, da sie jedoch sehr haltbar sind und lange verwendet werden können, ist der Auf- wand für die Erhalt der Karten gering. Taschen bieten den Vorteil, dass auch andere begleitende Unterlagen zugeordnet bzw. sicher mittransportiert wer- den können, z. B. Wareneingangspapiere, Prüflabels, Auftragspapiere, Liefe- rantenzertifakte oder Serialnummerinformationen. 244 3 Kanban – der Weg ist das Ziel Abb. 3.2.11 und Abb. 3.2.12 Beispiele von Magnettaschen [Gerl 05] Abb. 3.2.13 und Abb. 3.2.14 Beispiele von Drahtbügeltaschen [Gerl 05] Abb. 3.2.15 bis Abb. 3.2.18 Beispiele von Kleinladungsträgerkarten [Gerl 05] 3.2 Kanban-Karten 245 • Magnettaschen: Der Vorteil von Magenttaschen gegenüber normalen Mehr- weghüllen ist die einfache Anbringung an ferromagnetischen Ladungsträ- gern, Kanban-Tafeln, „Briefkästen“ und Regalen. Das Handling dieser Karten ist sehr komfortabel, da sie nicht eingesteckt oder eingefädelt werden müssen, sondern einfach nur anhaften. Für unterschiedliche Behälterformen werden unterschiedliche Arten und Formen der Magnete angeboten. Der Preis ist von der Qualität und der Größe der Magnete abhängig. In Anbetracht der Kosten, die bei Verlust von Karten entstehen, sollte aber unbedingt auf gute Haftung geachtet werden. • Drahtbügeltaschen: Sie sind universell einsetzbar und passen auf alle La- dungsträger, z. B. auch auf Holzrahmen. Bei Produktions-Kanban muss zum Einstecken der Karte in das Kanban-Board der Bügel entfernt werden. Die Hüllen sind jedoch häufig auch mit einem Magneten erhältlich. • Kleinladungsträger-Karten (KLT-Karten): Diese Hüllen passen in die Etiket- tenschlitze auf beiden Seiten der Euroboxen und KLTs. Die Karten können auch mit dünnen Magneten kombiniert auf Magnettafeln verwendet werden. 3.2.5 Kanban für Gemeinkostengüter Gemeinkosten-Kanban, „Hausfrauen“-Kanban und Laufkarten für Gemeinkos- tenbestellung sind gängige Verfahren für Nicht-Produktionsmaterial. Durch diese Kanban-Variante kann mit einfachen optischen Mitteln eine sichere Versorgung aus einem Zentrallager oder von einem Lieferanten gewährleistet werden. Einsatzgebiete Einige typische Anwendungsfälle dieser Kanban-Variante: • Produktion: Ersatzteile (z. B. Antriebe, Verbindungselemente, Lager, Dich- tungen) für Maschinen und Anlagen, Werkzeuge, Schmiermittel, Klebstoffe, Lösungsmittel, Reinigungsmittel, medizinisches Zubehör und Verpackungs- materialien (z. B. Kartonagen, Folien, Füllmaterialien). • Büro: Vordrucke, Werbebroschüren, Geschenkartikel, Kopierpapier, Toner, Büromittelersatzteile (z. B. Maus, Tastaturen, Glühbirnen), Klebstoffe und Blöcke. • Andere Anwendungsbereiche: Handel, Transport und Privatbereich. Verfahrensablauf Wie bei Sicht-Kanban ist ein Mindestbestand am Gebinde, am Bodenplatz oder im Regal markiert. Zusätzliche Karten können vorzugsweise am Lagerplatz an- gebracht werden. Bei Entnahme oder bei Anbruch des Gebindes wird die Karte abgenommen und zum Anstoß des Nachschubs aus einem Zentrallager oder zur Beschaffung weitergegeben. 246 3 Kanban – der Weg ist das Ziel Abb. 3.2.19 und 3.2.20 Flache Tafeln sind für Schränke im Büro geeignet. Sie sind ein Bei- spiel für Gemeinkosten-Kanban. Karten Je nach Anwendung unterscheiden sich die Karten in Angabe und Detaillierung der Quelle. Karten, die eine Bestellung anstoßen, können wie ein Bestellformular ausgestattet sein und direkt verwendet werden, z. B. zum Faxabruf. Für den Abruf werden manuell die Menge und das Datum eingetragen. Bei laminierten Karten, sind die Abrufdaten für den Umlauf abwischbar. Auf der Rückseite der Formulare bzw. Kanban-Karten kann handschriftlich eine Historie dokumen- tiert werden. Das Fixieren der Karte, etwa mit einem roten Klebeband, sichert die Karte gegen Verlust. Fehlt eine Karte, lässt sich dies leicht erkennen. Hier können auch gängige Plantafeln oder Kanban-Tafeln zum Einsatz kommen Sicht-Kanban bei Gemeinkostengütern Oft werden die Materialien in Schränken, Schubladen oder Regalen aufbewahrt. Ampelmarkierungen (rot, gelb und grün) mit farbigem Papier oder Klebebän- 3.2 Kanban-Karten 247 Abb. 3.2.21 Klebebänder zur Markierung von Stellflächen: Klebebänder ermöglichen schnelle Änderungen, sind kostengünstig und können mit Staplern befahren werden. Die Kosten sind gering und das teure Streichen oder einen Kunststoffüberzug wird unnötig. (Quelle: Orgatex). Abb. 3.2.22 und Abb. 3.2.23 Vereinfachte Bereitstellungskonzepte mit Wagen im Durch- schubbahnhof (Quelle: Orgatex). dern lassen optisch einen Pegel erkennen. Bei Bodenplätzen können auch stabile, farbige Klebebänder als Markierungen verwendet werden. Bei häufigen Ände- rungen oder kommissarischen Plätzen sind sie eine einfache, sichere und kosten- günstige Markierung. Solche Bänder sollten widerstandsfähig und ablösbar sein, ohne dass der Boden neu gestrichen oder mit Kunststoff überzogen werden muss. 248 3 Kanban – der Weg ist das Ziel 3.3 Produktionsnivellierung – mit Heijunka Produktion und Logistik stabilisieren Philipp Schürle, Leonardo Group GmbH Mit der Methodik der Produktionsnivellierung (Jap.: Heijunka) werden Produk- tionsbereiche und deren Logistik geglättet. Die in der Tendenz zunehmende Komplexität durch Produktdiversifizierungen kann dadurch besser beherrscht werden. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Kanban-Ein- führung. Die Vorteile von Heijunka liegen in der zeitnahen Visualisierung der Fertigungsaufträge und führen zu einer Beruhigung der Produktionsprozesse. Schwankungen, welche durch interne und externe Einflüsse hervorgerufen wer- den, werden schrittweise und stabil reduziert und eliminiert. Bei der Einführung und Stabilisierung von Produktionssystemen auf Basis des Pull-Prinzips, bei der gleichzeitigen Anforderung, die Variantenvielfalt in der Serienproduktion zu beherrschen, steht man meist vor der Herausforderung, dass die Produktion in großen Losgrößen hohe Bestände und lange Durchlaufzeiten von Aufträgen erzeugt. Außerdem sorgen so genannte „Eilaufträge“ für zusätzliche Unruhe in den Prozessen. Die Losgrößen werden dabei oft auf Basis klassischer Formeln (z. B. Andler) nach Parametern wie beispielsweise Rüstkosten und Maschinen- stundensätzen berechnet. Kosten durch Verschwendungen wie Überproduktion und Sonderaktionen fließen in der Regel unzureichend in die Gesamtkostenbe- trachtung ein. 3.3.1 Die Problemstellung von Produktionsnivellierung mit Heijunka Tagesbezogene Feinplanungen der Planungs- und Steuerungsabteilungen sind oft nach wenigen Stunden bereits „das Papier nicht mehr wert“, auf dem sie erstellt wurden, da die Realität in der Produktion vielen ungeplanten und kurz- fristigen Einflüssen ausgesetzt ist, auf welche die Planungssysteme oft nicht flexibel genug reagieren können. Rekursionen in den Auftragseinplanungen sind daher an der Tagesordnung. Die eigentlichen Ursachen hierfür werden zu wenig systematisch angegangen (vgl. 2.1. Ruhiger, kontinuierlicher Material- fluss). Täglich notwendig werdende „Feuerwehraktionen“ in Produktion und Logistik schlagen dann in der gesamten Wertstromkette bis zu den externen Lieferanten durch („Peitscheneffekt“). Diese falsch verstandene, kostenintensive Flexibilität muss durchbrochen werden. Durch eine definierte, längerfristig ausgelegte Flexibilität muss ein regelmäßiges, wiederkehrendes und damit stan- dardisiertes Produktionsprogramm unter Zuhilfenahme der standardisierten Losgrößenbildung geplant und gesteuert werden: Die Produktionsnivellierung und -glättung. Heijunka ermöglicht eine beruhigte Produktion und Logistik bei gegebener Variantenvielfalt. Sie ist ein wichtiges Werkzeug, das die Pull-Pro- 3.3 Produktionsnivellierung – mit Heijunka Produktion und Logistik stabilisieren 249 duktion mit Kanban stabilisiert und durch Standards in der Einsteuerung von Aufträgen beruhigt. Daher stellt Heijunka eine wichtige Etappe in Richtung einer schlanken, synchronen Produktion dar. 3.3.2 Ziele der Produktionsnivellierung Die Zielsetzungen der Produktionsnivellierung sind: • In den Wertströmen konstante Material- und Informationsflüsse schaffen (Planbarkeit). • Einen beruhigten Produktionsrhythmus durch Entkopplung der Fertigungs- aufträge von den Kundenabrufen sicherstellen (Kundentakt als Basis). • Standardisierte Arbeitsprozesse einrichten, als Voraussetzung für effizientes und stabiles Kaizen oder einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP). • Ein stetiges, planbares Arbeitspensum für Mitarbeiter und Maschinen schaffen. • Transparenz bezüglich Abweichungen vom Soll-Zustand schaffen und Prob- leme schrittweise mit den Mitarbeitern abarbeiten (Visualisierung und Kai- zen bzw. KVP mit den Mitarbeitern). • Bestände entlang der Wertströme minimieren und Durchlaufzeiten stabil verkürzen. • Kundenwirksame Flexibilität bei gleichzeitiger Reduzierung der Gesamtkos- ten ständig erhöhen. 3.3.3 Notwendigkeit verkleinerter Losgrößen Für die Produktionsnivellierung ist es notwendig, deutlich verkleinerte und standardisierte Lose in der Produktion aufzulegen, um dadurch Überproduktion zu minimieren. Die Produktionsmengen und -varianten werden gleichmäßig auf kleinere Zeiträume verteilt, z. B. die Produktion einer Variante von einmal wö- chentlich oder monatlich auf einmal täglich umgestellt. Eine rhythmische, flexi- ble Produktionslogistik setzt die Minimierung der internen Rüstzeiten voraus. Das ermöglicht die dazu nötige erhöhte Rüsthäufigkeit. Typische Schwankungen der variantenbezogenen Kundennachfrage werden durch die gleichmäßige Ver- teilung der Produkte in kleinere Losgrößen über einen von den jeweiligen Wie- derbeschaffungszeiten abhängigen Zeitraum nivelliert und geglättet. Das zu erreichende Ziel ist eine gleichmäßige und dennoch flexible Produktionsauslas- tung, auf die sich Produktion und Logistik optimal einstellen können. Durch die Vorhersehbarkeit in der Produktion können Standards im Material- und Infor- mationsfluss eingeführt und ständig verbessert werden. Ein stabiler KVP-Prozess zur schrittweisen Eliminierung von Verschwendungsursachen wird dadurch erst möglich. Je länger der stabile Planungshorizont ausgeprägt ist, desto wirksamer ist die Produktionsnivellierung. Die sich einstellende Beruhigung der Produktion hat spürbar positive Auswirkungen für alle beteiligten Mitarbeiter und Prozesse. 250 3 Kanban – der Weg ist das Ziel In regelmäßigen, am besten täglichen, Mitarbeiterbesprechungen mit Logistik- planung, Fertigungssteuerung und Produktion werden Fertigungsaufträge (z. B. mit Kanban-Karten) für die jeweilige Schicht in die Plantafeln (oder Heijunka- Tafeln) gesteckt. Die Plantafeln enthalten sinnvoller Weise Aufträge für den ak- tuellen und den Folgetag. Es macht erfahrungsgemäß wenig Sinn, die Aufträge längerfristig, z. B. für die nächsten 10 Folgearbeitstage, zu visualisieren. Sonst wächst die Gefahr, dass alte Gewohnheiten, wie missbräuchliche Bündelung von Aufträgen in großen Losen, praktiziert werden. Definierte Tages-Zeitfenster (z. B. 30 min) auf den Plantafeln unterstützen die Planung der Produktionskapa- zitäten. Der jeweilige Produktionsverantwortliche entnimmt die Karten für den nächsten Zeitraum und lastet nachfolgend seine Aufträge in die Produktion ein. Prozessnahe Visualisierungen der Plantafeln sorgen für eine hohe, zeitaktuelle Transparenz der Fertigungsaufträge. Zudem sind sie ein wichtiges Instrument zur Einbindung aller beteiligten Mitarbeiter und Funktionen. Damit wird die bereichsübergreifende Zusammenarbeit deutlich intensiviert sowie die Motiva- tion der Mitarbeiter zur Erreichung der Produktionsziele verbessert. Abb. 3.3.1 und Abb. 3.3.2 Beispiel einer Kanban-Tafel und einer Produktions-Kanban- Tafel (Quelle Orgatex) Karte 1 Material SAMMELN START EILT INFO Teil X 47110 Teil Y 47007 Teil Z 08150 Karte 1 Karte 1 Karte 2 Karte 2 Karte 2 Karte 3 Karte 3 Auftragsstart START SAMMEL: Es wird gesammelt bis die wirtschaftliche Losgröße erreicht wird. Mit dem Kanban, der in das Startfeld gelangt, ist die vereinbarte Sammelmenge erreicht. Es darf ein neuer Auftrag begonnen werden. START: Falls das Feld „EILT“ erreicht wird, muss sofort ein Auftrag gestartet werden. EILT: Abb. 3.3.3 Funktionsweise der Kanban-Plantafel [Dick 00] 3.3 Produktionsnivellierung – mit Heijunka Produktion und Logistik stabilisieren 251 3.3.4 Heijunka als Steuerungsprinzip In einer „idealen“ Fabrik wird nach einem gleichmäßigen Rhythmus produziert, der sich am Kundenbedarf orientiert. Betrachtet man aber die betriebliche Reali- tät, ist der variantenbezogene Bedarf der Kunden oft unregelmäßig und schwer vorhersehbar. Ebenso können die kundenbezogenen Ablieferintervalle unregel- mäßig oder sporadisch sein. Daher ist eine Entkopplung von Kundenaufträgen und Produktionsprogramm sinnvoll. Dies wird erreicht indem „ideale“ Kunden simuliert werden, die die Produkte gleichmäßig und in kleinen Mengen abrufen. Die tagesbezogene Feinplanung geschieht also unabhängig von den tatsächli- chen, oft unstetig eingehenden Bestellungen der Kunden. In regelmäßigen Ab- ständen ist die Notwendigkeit einer Kapazitätsanpassung zu überprüfen. So kann beispielsweise eine Monatsmenge für eine bestimmte Variante in Ta- gesmengen aufgeteilt werden. Diese Tagesmenge wird EPEI-Wert (EPEI = every part every intervall) genannt (vgl. Abb. 1.22.1). Er reduziert sich dadurch von rund 20 Arbeitstagen auf 1 Tag und erhöht deutlich die Flexibilität. Kundenab- rufe werden also hinsichtlich Menge, Variantenverteilung und Ressourcenauf- teilung gleichmäßig in die Produktion eingelastet, d. h. nivelliert. Nivellierungskriterien können sein: • unterschiedliche Kundentakte im Zeitverlauf, • unterschiedliche Arbeitsinhalte bzw. Zykluszeiten pro Kundenvariante in den Produktionsprozessen, • Versorgungsprobleme in der Wertschöpfungskette, z. B. Rohstoffversorgung durch kritische interne und externe Lieferanten. Zeiteinheit Nachfragemenge pro Variante M en g e Produktionsmenge pro Variante Abb. 3.3.4 Produktionsleveling 252 3 Kanban – der Weg ist das Ziel Diese Parameter können bei der Definition des täglichen Produktionsmusters Berücksichtigung finden. Dabei kann es durchaus notwendig sein, dass für flexible und kurzfristige Einplanungen freie Zeiträume reserviert werden. Bei Bedarf wer- den diese eingelastet, z. B. für kurzfristige Mehrbedarfe, bei spezifischen Auftrags- typen oder exotischen Varianten. Die Einlastung der simulierten Kundenaufträge geschieht am so genannten Schrittmacherprozess (engl. Pacemaker). An diesem Prozess wird die letztendliche Kundenvariante definiert und der kundenrelevante Takt bestimmt (z. B. an der Endmontagelinie). Nach dem Schrittmacherprozess sollten alle nachfolgenden Prozesse, unter Sicherstellung von FIFO (= first-in- first-out), synchron bis zur Kundenauslieferung ausgetaktet sein, um die von den Kunden geforderten oder erwarteten Lieferzeiten stabil gewährleisten zu können. 3.3.5 Visualisierung von Produktionsaufträgen mit Heijunka-Tafeln Um den angestrebten Standardisierungs- und Verbesserungsprozess mit den Mitarbeitern aus Planung, Steuerung und Produktion in Gang zu halten, ist eine Visualisierung vor Ort an den Schrittmacherprozessen erforderlich und hilf- reich. Die Visualisierung erfolgt durch die Heijunka-Tafeln. Tägliche Treffen in der Werkstatt stellen sicher, dass die Produktionsziele weit- gehend erreicht werden und die Abweichungen von dem an der Heijunka-Tafel dargestellten Produktionsmuster systematisch angegangen werden. Hierbei Abb. 3.3.5 und 3.3.6 Beispiel einer Kanban-Tafel bzw. eines Heijunka-Boards (Quelle Orgatex) 3.3 Produktionsnivellierung – mit Heijunka Produktion und Logistik stabilisieren 253 helfen zusätzlich eingesetzte Regelkarten pro Tafel, auf denen die Ursachen für Abweichungen und die Wirksamkeit der Verbesserungsmaßnahmen von Betei- ligten verzeichnet werden. Ziel ist, das (tägliche) Produktionsmuster einzuhalten und dadurch letztendlich auch die Kanban-Regelkreise – im Sinne der definierten Wiederbeschaffungszeiten – stabil zu gestalten. 3.3.6 Die Güte der Produktionsnivellierung Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass durch Nivellierung die Produk- tion und deren flankierende Prozesse, wie Logistik, vorhersehbarer und beruhigter ablaufen. Dies muss durch Kaizen bzw. KVP unterstützt werden, da es trotz schnel- ler Erfolge auch Rückschläge geben kann. Die Verfolgung von Nivellierungs- Kennzahlen, an denen die Güte der Nivellierung (= Abweichungsgrad vom stan- dardisierten Produktionsprogramm) abgeleitet werden kann, ist daher sinnvoll. Abb. 3.3.7 und 3.3.8 (links) Modular steckbare Kanban-Tafeln (Quelle: Orgatex). Abb. 3.3.9 (rechts) Kanban-Tafel in Form eines Wagens und ein Durchschub zur Verwal- tung von Rüstgruppen (z. B. für Heijunka) (Quelle: Orgatex) 254 3 Kanban – der Weg ist das Ziel Abb. 3.3.10 Einflussgrößen auf die Güte der Nivellierung (Beispiel einer Darstellung als Fischgrät- bzw. Ishikawa-Diagramm) Nivellierungs-Kennzahlen können u. a. bestehen aus: • Abweichungs-Prozentsatz, also der Anteil der Abweichungen vom standardi- sierten Produktionsprogramm (Ziel: Minimierung); • EPEI-Wert für Renner- und Exotenvarianten sowie der Durchschnittswert (Ziel: Minimierung); • Losgrößen (Ziel: Minimierung); • Anteil der nivelliert eingesteuerten Varianten in Relation zum Gesamt-Pro- duktionsprogramm (Ziel: 100 %); • Überarbeitungsfrequenz des standardisierten Produktionsprogramms. Auf- grund veränderter interner und externer Rahmenbedingungen entsteht die Notwendigkeit der Anpassung, z. B. durch Änderungen der Kundenabrufe oder Wiederbeschaffungsintervalle (Ziel: Anpassungsfrequenz möglichst hoch, z. B. alle 2 Monate). Um diese Kennzahlen positiv zu beeinflussen, ist es hilfreich, ständig an der Verbesserung der Einflussgrößen zu arbeiten und dadurch die Güte der Nivellie- rung im Tagesgeschäft zu verbessern. Die Produktionsnivellierung mit Heijun- ka-Tafeln kann somit einen wichtigen Beitrag in Richtung einer synchronen Produktion mit kontinuierlichen Materialflüssen leisten. 3.4 Effizienter Materialfluss mit der richtigen Regaltechnik – Dynamik im Lager Klaus Kapalla, BITO-Lagertechnik Bittmann GmbH Schlanker Materialfluss beginnt im Lager. Viele Unternehmen setzen dort noch immer auf statische Regaltechnik – und verlieren so an Effizienz, Servicequalität 3.4 Effizienter Materialfluss mit der richtigen Regaltechnik – Dynamik im Lager 255 und Lieferfähigkeit und verschenken dadurch auch Geld. Besonders Unterneh- men, die ihre Kunden und die interne Weiterverarbeitung Just-in-time beliefern, sind auf Geschwindigkeit gerade im Lager angewiesen. Die dynamische Lagerung mit innovativer Regaltechnik schafft hier Abhilfe. In einem modernen Lager ist das Regalsystem nicht nur der Ort für die Lagerung verschiedener Produkte, sondern auch die Basis für eine schnelle Auftragsabwicklung. Weil die Leistung beim Kommissionieren maßgeblich durch die richtige Bereitstellungsform der Artikel in der richtigen Menge bestimmt wird, ist die passende Regaltechnik und Lagergestaltung für Unternehmen heute eine entscheidende wirtschaftliche Grö- ße. Aber es muss nicht immer Automatisierung sein. Meist genügt zur Optimie- rung des internen Materialflusses ein Durchlaufregalsystem zur manuellen Kommissionierung. Wichtig ist, dass jedes Unternehmen die bestehende Situa- tion im Lager analysiert, die für seinen Bedarf richtige Kommissionier- und Re- galtechnik identifiziert, und sich dann für eine passgenaue bedarfsgerechte Lö- sung entscheidet. Der Break-Even-Point für ein dynamisches Regal liegt bei einer Lagerumschlagsleistung von etwa 20mal pro Jahr. Die für die Lagerumgestaltung notwendigen Investitionen sind durch die Rationalisierungseffekte also schnell kompensiert. Dennoch gilt: Es lohnt sich, nicht gleich die große Lösung zu wäh- len. Wer sich für einen Lagerneubau entscheidet, kann mit aktueller Lager- und Materialflusstechnik planen. Doch nicht immer lohnt der Neubau: Durch so ge- nanntes Tuning bestehender Systeme können Unternehmen den Materialfluss erheblich verbessern. Denn in den Lagerregalen steckt regelrechtes Innovations- potenzial. Wer seine Anforderungen und vorhandenen Systeme genau durch- leuchtet, der kann sein Lager mit einem überschaubaren Aufwand günstig an neue Anforderungen anpassen. 3.4.1 Regalsysteme – So kommt Bewegung ins Lager Für unterschiedliche Lageranforderungen gibt es verschiedene Regalsysteme. Das sind zum einen statische Regale: Archivregale, Fachbodenregale, Großfach- regale, Kragarmregale, Palettenregale, Weitspannregale und Schwerlastregale. Zum anderen können Unternehmen zwischen unterschiedlichen dynamischen Regalen und einem unterschiedlichen Grad an Automatisierung wählen – ver- fahrbare Regalanlagen, Stückgut- und Palettendurchlaufregale, automatisch bediente Kleinteil- und Hochregallager. Seltener entnommene Waren (C-Artikel) mit nur einem Stellplatz lagern ideal in statischen Regalen, wogegen Artikel mit mittlerem Umschlag (B-Artikel) und solche mit sehr hoher Entnahmefrequenz (A-Artikel) gut in Stückgut- und Palettendurchlaufregalen aufgehoben sind. Zur regelmäßigen Kommissionierung von Einzelteilen in sehr hohen Stückzahlen bieten sich zudem automatische Lagersysteme an. Bei der Entscheidung für ein effizientes Lager greifen Unternehmen oft zur ganz großen Lösung: Automatisie- rung. Dann wird in ehrgeizigen Projekten versucht, die Bereitstellung von A- und B-Artikeln auf höchstem Niveau (oftmals mit einem sehr hohen Automatisie- rungsgrad) zu perfektionieren. Der C-Artikel-Betrachtung kommt in solchen 256 3 Kanban – der Weg ist das Ziel Fällen häufig nur wenig Bedeutung zu. Die Folge ist, dass durch die Nichteinbe- ziehung dieser C-Artikel die Auftragsdurchlaufzeiten unvertretbar hoch werden. Die Rationalisierungseffekte sind damit gedämpft und die hohen Kosten für ein automatisches Lager bei weitem nicht gerechtfertigt. Lösungen dieser Art müs- sen sich kurz- bis mittelfristig amortisieren. Unternehmen tun gut daran, vor einer Investition genau zu prüfen, ob der Umbau richtig dimensioniert ist und eine ausreichende Auslastung der neuen Anlage gewährleistet werden kann. Meist erfüllen bereits dynamische Lager mit manueller Kommissionierung die steigenden Anforderungen an Lagerhaltung und Materialfluss. Clevere Lösungen sind zum Beispiel Stückgut- und Paletten-Durchlaufsysteme oder verfahrbare Regalanlagen. Stückgut- (SDS) und Paletten-Durchlaufsysteme (PDS) beschleu- nigen die Kommissionierung und verbessern die Lagerbedingungen. Bei diesem Regaltyp befüllen die Mitarbeiter von der einen Seite das Regal mit den entspre- chenden Produkten oder Paletten, von der gegenüberliegenden Seite wird kom- missioniert. Die Produkte rollen selbsttätig in Kanälen in die Entnahmeposition. Abb. 3.4.1 Fachbodenregal 3.4 Effizienter Materialfluss mit der richtigen Regaltechnik – Dynamik im Lager 257 Was zuerst eingelagert wird, wird auch zuerst entnommen. Das heißt, Unterneh- men können mit Durchlaufregalen wegen der Zwangsführung mit hoher Prozess- sicherheit das First-in-first-out-Prinzip einhalten. Paletten-Durchlaufregale eig- nen sich für Produkte, die in großen Mengen und palettenweise kommissioniert werden. Artikel mit hoher Entnahmefrequenz zur Kommissionierung in kleine- Abb. 3.4.2 und 3.4.3 Optimierung der Kommissionierwege bei Fachbodenregalen im Ver- gleich zu Durchlaufregalen Abb. 3.4.4 Wegzeiteinsparung bei Durchlaufregalen: Sie kann bis zu 40 % gegenüber Fach- bodenregalen betragen. 258 3 Kanban – der Weg ist das Ziel ren Mengen werden Idealerweise in einem Stückgut-Durchlaufregal aufbewahrt. Im Vergleich zu statischen Regalen verkürzen sich die Wegzeiten um 40 bis 70 %. Die Kommissionierer haben direkten Zugriff auf alle gelagerten Produkte und erreichen eine Verkürzung der gesamten Kommissionierzeit um bis zu 40 %. Daneben Schlagen durch den Wegfall überflüssiger Regalgänge zusätzlich bis zu 30 % geringerer Flächenbedarf zu Buche. Letztlich überzeugt die Technik auch durch ihre hohe Bedienungsfreundlichkeit aufgrund einer übersichtlichen Pro- duktanordnung und ergonomisch günstigen Entnahmesituation. 3.4.2 Paletten-Durchlaufsysteme – Kein Problem mit schweren Lasten PDS gibt es in den Varianten mit Rollenleisten und Rollenbahnen. Die Verwen- dung von Rollenleisten als Förderelement ist bei kurzen Kanälen und leichteren Ladungsträgern interessant. Rollenbahnen mit durchgehenden Stahlrollen sind zum Beispiel bei tiefen Kanälen und schweren Paletten die wirtschaftlichere Lösung. Das Palettendurchlaufsystem basiert auf einem bewährten Palettenre- gal. Die Durchlaufebenen werden jeweils mit Gefälle in Stützrahmen eingehängt und können stufenlos in Höhe und Neigung verstellt werden. Mittels Schwer- kraft rollen die Ladungsträger in die Entnahmeposition, integrierte Bremsrollen sorgen für das rechtzeitige Abbremsen. Rollenbahnen ermöglichen die Einlage- rung verschiedener Paletten- oder Behältergrößen innerhalb eines Kanals. Für Unternehmen mit begrenztem Lagerraum und vor allem für solche mit niedri- Abb. 3.4.5 Paletten-Kommissioniergang 3.4 Effizienter Materialfluss mit der richtigen Regaltechnik – Dynamik im Lager 259 gen Lagerhallen bietet sich das PDS ohne Gefälle an. Mit ihm bleibt das Durch- laufprinzip mit all seinen Vorteilen bestehen, nur kann jetzt die gesamte Hallen- höhe für die Lagerung genutzt werden. Mit der Nutzung von PDS können Un- ternehmen die Lagerkapazität auf gleichem Raum um bis zu 60 % erweitern. Dank der räumlichen Trennung der Bereiche für Beschickung und Entnahme können die Mitarbeiter sehr produktiv und geordnet arbeiten, weil sie sich im Lager nicht gegenseitig behindern. Außerdem bietet es mehr Sicherheit, weil Gabelstapler und Kommissionierer nicht im gleichen Gang arbeiten. Die langen Kanäle sorgen als große Reserve im Regalsystem dafür, dass keine Leerzeiten entstehen. 3.4.3 Stückgut-Durchlaufsysteme – Kartonagen und Stückgutgebinde ins Rollen bringen Bei Artikeln mit mittlerer Entnahmefrequenz bietet sich der Einsatz von Stück- gutdurchlaufregalen an. Wegen der Flexibilität sind hierbei nicht-verschraubte – speziell für den Durchlauf von Kartons, Behältern und sonstigen Stückgutgebin- den entwickelte – Systeme vorteilhaft. Die Durchlaufebenen können einfach an die Maße des Lagerguts angepasst werden. Die Verwendung geschlossener Profi- le bietet größtmögliche Sicherheit. Die einzelnen Durchlaufrahmen und Stütz- rahmen sind hoch belastbar. So können Unternehmen auch mehrgeschossige Anlagen und Palettenreservelager über den Durchlaufebenen einrichten. Außer- dem ist eine Nachrüstung mit papierlosen Kommissioniersystemen (Pick-by- light, Pick-by-voice) und automatisches Nachfüllen mit Regalförderzeugen mög- lich. BITO stellt alle Komponenten der Durchlauftechnik selbst her. So kann es die Regale an die Anforderungen der Ladungsträger anpassen. Auch kunden- spezifische, nicht-standardisierte Behälter, Gitterboxen und Paletten können auf diesem Wege in Durchlaufregalen bereitgestellt werden. Abb. 3.4.6 und 3.4.7 SDS-Entnahmeseite und SDS-Rollenbahnen 260 3 Kanban – der Weg ist das Ziel 3.4.4 Lagertuning – eine kostengünstige Lösung Für Unternehmen, die ihre bisherige Regaltechnik weiterhin nutzen möchten, ist das sogenannte Lagertuning eine wirtschaftliche Lösung. Denn Lager- und Re- galsysteme können schnell und kostengünstig an veränderte Situationen, bei- spielsweise bei der Nachfrage einzelner Produkte, angepasst oder entsprechend umgerüstet werden. Statische Regale können problemlos und kostengünstig in dynamische Durchlaufregale umgebaut werden. So können Unternehmen mit der bereits vorhandenen Regaltechnik die Zeiten für Kommissionierung und Beschickung stark verkürzen. Dieser hausinterne Umbau verbessert die betrieb- lichen Abläufe erheblich. Eine optimierte Lagerhaltung verkürzt nicht nur die Durchlaufzeiten, sondern senkt bei vergleichsweise geringem Investment auch die Kosten im Gegensatz zum Neubau. In vielen Fällen steckt noch ungeahntes Potenzial im alten Lager, das bei einer eingehenden Analyse des bestehenden Lagersystems ausgeschöpft werden kann: Angefangen bei einer Artikel-Analyse, mit deren Hilfe sich das Sortiment der aktuellen Nachfragesituation anpassen lässt, über die Umrüstung von statischen Regalen in Durchlaufregalsysteme bis hin zur Optimierung der Arbeitsabläufe des Lagerpersonals. 3.4.5 Höchste Flexibilität – Spaß am Lagern Die BMW-Motorenwerke im englischen Hams Hall setzen auf speziell nach ih- ren Anforderungen gefertigte Paletten- und Stückgutdurchlaufregale von BITO. Für die Produktion von Motoren für den Mini nutzte BMW in Hams Hall bislang Palettendurchlaufregale mit absenkbaren Palettenplätzen zur Entsor- gung der Leerpaletten. Nach Umzug der Produktion nach Brasilien benötigte BMW für die neue Aufgabe – die Produktion von schweren Motoren – eine Er- weiterung der Lagertechnik. Dafür installierte BITO 50 Regaleinheiten mit je drei Regalfeldern. In der Bodenebene der Regaleinheiten befinden sich Rollen- bahnschienen, in der darüber liegenden Ebene Stückgutdurchlaufrahmen und darüber zwei Überfließebenen für Paletten. In den jeweils drei Kanälen mit Rol- lenbahnschienen kann BMW problemlos seine Standard-Stellagen einlagern. In ihnen bewahrt der Automobilhersteller Motoren, Abgassysteme und andere schwere Fahrzeugteile auf. Der Transport der Stellagen erfolgt über einen Ket- tenförderer. Die Stückgutdurchlaufebenen dienen zur Lagerung von Kleinteilen für die Montage. Durch eine besondere Konstruktion und Anordnung der Durchlaufebenen können auf beiden Seiten der Regaleinheiten Kleinteile kom- missioniert werden. Dazu wurden in einem der drei Regalfelder unterhalb der Ebenen ausziehbare Tablare zur Vormontage installiert. Die Durchlaufebenen der anderen beiden Felder laufen dagegen zur anderen Seite, auf der die Ent- nahme der Kleinteile erfolgt. Die statische dritte und vierte Ebene dient als Puf- ferlager für den Materialnachschub. 3.5 Fabrik- und Materialflusssimulation direkt aus einem ERP/PPS-System 261 3.4.6 Bis zu 50 % Raumgewinn Für Unternehmen, die viele verschiedene Produkte auf begrenztem Raum la- gern müssen und Produkte vorrätig haben, deren Umschlagshäufigkeit nicht sehr hoch ist, eignen sich verfahrbare Regalanlagen. Sie bieten die Zugriffs- möglichkeit auf jedes einzelne Lagergut und haben gleichzeitig einen hohen Raumausnutzungsgrad. Im Idealfall bieten solche Anlagen die Verdopplung der Lagerkapazität bei gleicher Fläche im Vergleich zu stationären Anlagen. Verfahrbare Regale lassen sich über Schienen sicher und leichtläufig verfahren. Die Möglichkeit, die Regale bewegen zu können, eröffnet eine Vielzahl von Möglichkeiten, um Lagerplatz und -kosten einzusparen: Auf Regalgänge kann verzichtet und Transportstrecken können verkürzt werden. Weil nur noch ein Bediengang für alle Regalreihen benötigt wird, beträgt der Flächen- bezie- hungsweise Raumgewinn bis zu 50 %. Bis zu 75 % mehr Lagerkapazität lassen sich mit einem verfahrbaren System realisieren. Die Regalzeilen werden einfach zusammen geschoben und nur bei Bedarf geöffnet. Wesentlich ist, dass jedes Unternehmen, die für seinen Bedarf richtige Kommissionier- und Regaltechnik identifiziert, und die für es maßgeschneiderte, individuelle Lösung mit ausrei- chender Flexibilität auch für zukünftige Aufgabenstellungen umsetzt. So kommt Bewegung ins Lager und der entscheidende Schritt hin zum effizienten und schlanken Materialfluss ist getan. 3.5 Flexible, ergonomische Arbeitsplatzgestaltung – Steigerung der Effizienz am Beispiel der manuellen Produktionssysteme (MPS) Jens Henneberg, Bosch-Rexroth Begriffe moderner Organisationsmodelle wie Lean-Production, JIT, Kanban usw., „geistern“ immer häufiger durch die Hallen industrieller Fertigung. Doch leider bleiben sie oft nur in begrenztem Umfang genutzte Theorien. Ihre Um- setzung in Fertigungs- und Montageprozesse erfordern Produktionssysteme, mit denen sich schlanke und effiziente Abläufe konsequent realisieren lassen. Die neue Produktlinie „Manuelle Produktionssysteme (MPS)“ von Rexroth, selbst streng nach Lean-Production-Aspekten entwickelt, ermöglicht eine einfa- che sowie schnelle Planung und Realisierung von schlanken Produktionsein- richtungen. Veränderung – die einzige Konstante: Heutzutage ist Veränderung die einzige Konstante in Fertigungs- und Montage- prozessen. Die Ursachen sind schnelle Innovationszyklen und unsichere Pro- 262 3 Kanban – der Weg ist das Ziel duktlebenszeiten bei gleichzeitig wachsender Variantenvielfalt. Losgrößen und Gesamtstückzahlen lassen sich kaum noch absehen und somit Automatisie- rungsmaßnahmen schwierig darstellen. Häufig findet Automation lediglich in Bereichen so genannter Gleichteile statt, wobei auch hier alles variantenspezi- fisch von Hand zugeführt, beziehungsweise ergänzt wird. Vor diesem Hinter- grund bilden manuelle Produktionssysteme mit einem Höchstmaß an Flexibili- tät die Basis moderner industrieller Fertigung. Die Qualität manueller Produktionssysteme Die Qualität manueller Produktionssysteme spiegelt sich nicht allein in Merk- malen wie Vielseitigkeit, Montageaufwand oder etwa der Anzahl an Komponen- ten wieder. Im Vordergrund stehen vielmehr Möglichkeiten zur Steigerung von Effizienz in Produktionsabläufen oder deren Fokussierung auf Wertschöpfung. Viele Unternehmen versuchen mit modernen Organisationsmodellen wie Kan- ban (als Hilfsmittel zur Just-in-time-Produktion, Fertigung im Kundentakt, Pull-Prinzip, One-piece-flow und vielem mehr) diese Ziele einer „schlanken Produktion“ (Lean-Production) zu erreichen. Mit den neuen Modulen für Ma- nuelle Produktionssysteme (MPS) und der Software MPScalc von Rexroth kön- nen Arbeitsplätze sowie ganze Fertigungs- und Montagelinien schnell an Ar- beitsinhalte angepasst und durch Vermeidung von Verschwendung im Sinne von „lean“ äußerst effizient gestaltet werden. Abb. 3.5.1 Die Komponenten für Manuelle Produktionssysteme (MPS) umfassen Materi- albereitstellung, Arbeitsplätze und Arbeitsplatzausrüstung sowie Verkettung. Der An- wender kann das System zur schlanken Fertigung leicht selbst konfigurieren und erhält alles aus einer Hand. 3.5 Fabrik- und Materialflusssimulation direkt aus einem ERP/PPS-System 263 Vermeidung von Verschwendung Die Verschwendungsvermeidung ist das zentrale Anliegen schlanker Produk- tion. Sie bedeutet, alles zu reduzieren was keine Werte schafft. Dazu zählen War- tezeiten, ineffiziente Prozesse, Fehler oder unnötige Bewegungen genauso wie Überproduktionen, hohe Bestände oder Transporte. Arbeitsprozesse bestehen aus wertschöpfenden Tätigkeiten sowie aus Tätigkeiten, die offensichtliche und verdeckte Verschwendung beinhalten. Das Ziel jeder Fertigungsplanung ist eine schlanke Produktion zu schaffen, indem unwirtschaftliche Abläufe kontinuier- lich minimiert und in Wertschöpfung umgewandelt werden. Das typische Bei- spiel ist die ergonomische Gestaltung der Arbeitsplätze, von deren Design alle Greifbewegungen und Laufwege direkt abhängen. Standardisierte Lösungen aus dem Katalog sind universell verwendbar, erfordern aber fast immer Kompro- misse. Diese wiederum führen zu längeren Laufwegen oder komplizierteren Bewegungsabläufen als notwendig. Das gilt gleichermaßen für alle eingesetzten Arbeitsmittel, seien es Regale, Greifbehälter, Materialwagen oder Verkettungs- komponenten. Mit MPS von Rexroth wird der Standard jedoch völlig neu defi- niert. Das neue manuelle Produktionssystem bietet jedem Anwender seinen eigenen Standard, der es ermöglicht, alle Systemkomponenten in Größe, Form, Aufbau und Anordnung exakt entsprechend den jeweiligen Arbeitsinhalten sowie den Bedürfnissen der Mitarbeiter zu konfigurieren. Abb. 3.5.2 Über dieses Supermarktregal erfolgt die Bereitstellung nach dem Kanban- Prinzip über Rollenbahnen. Die Bestandsinformationen werden mit angezeigt. 264 3 Kanban – der Weg ist das Ziel Standard neu definiert MPS basiert auf dem Aluminium-Profilbaukasten und den bewährten manuellen Arbeitssystemen von Rexroth. Die Entwicklung nach streng ergonomischen und logistischen Gesichtspunkten erfolgte unter Einbeziehung jahrzehntelanger Er- fahrung, u. a. aus mehr als 200 Boschwerken weltweit. Im Vergleich zu den bishe- rigen Baukastensystemen besteht MPS nicht aus Einzelkomponenten, sondern aus kompletten Funktionsmodulen in Plug-and-play-Manier. Eigenschaften wie Maße, Beschaffenheit oder Bauweise werden in Parametern definiert und jedes Funktionsmodul beinhaltet alle Einzelkomponenten in Größe, Form und Anzahl entsprechend dieser Parameter. So genügen beispielsweise zur Konfiguration eines Arbeitstisches die Angaben der Maße und die Auswahl von Funktionen, wie etwa Materialebenen oder ESD-Tauglichkeit, und schon ist ein Arbeitstisch, der bestmöglich für die eigene Produktion geeignet ist, fertig. Erweitertes Produktportfolio für komplette Linien In gleicher Form beinhaltet MPS nicht nur Arbeitsplätze mit Zubehör, sondern darüber hinaus auch Module zur Materialbereitstellung (Regalsysteme, Material- wagen oder Greifbehälter) sowie Komponenten für Materialfluss und Verkettung. Das neue Regalsystem Lean bietet neben variablen Abmessungen eine große Auswahl verschiedenster Fördermedien, was eine flexible Gestaltung der Mate- rialbereitstellung erlaubt. Es kann sowohl als Supermarktregal als auch zur Be- reitstellung von Behältern direkt am Arbeitsplatz genutzt werden. Kerngedanke ist das Kanban-Prinzip zur Vermeidung von zuviel Material im Fertigungsfluss. Hier stehen für die Förderbahnen unter anderem farbige Rollen (rot, gelb, grün) zur Verfügung, so dass Informationen über den Materialbestand durch Ampel- farben im gesamten Prozess unmittelbar sichtbar sind. Alternativ gibt es die Variante XLean, bestehend aus einem Stahlprofil und Rollen mit oder ohne Spurkranz. Der Materialfluss zwischen Arbeitsplätzen sowie in Lager- und Kommissionierbereichen kann mit EcoFlow-Komponenten realisiert werden. Ein Grundprofil genügt zum Aufbau verschiedenster Spurbreiten. Kurven und Weichen erlauben das Anpassen der Förderstrecken an die Anordnung der Ar- beitsplätze und den Materialfluss. Mit den Arbeitsplätzen, dem vielfältigen Re- galsystem, den EcoFlow-Komponenten und dem umfangreichen Zubehörpro- gramm von MPS lassen sich komplette Fertigungs- und Montagelinien nach eigenem Standard und Lean-Production-Grundsätzen verwirklichen. Wunschkonfiguration – verblüffend einfach Lean-Production mit MPS beginnt bereits mit der Software MPScalc zur Planung von Produktionseinrichtungen für die manuelle Fertigung. Sie läuft auf jedem Windows-Rechner und erfordert keine CAD-Software oder -Kenntnisse und ermöglicht, über die Eingabe einiger Wunsch-Parameter, die Konfiguration individuell gestalteter Arbeitsplätze und Materialbereitstellungssysteme. Kon- struktionsaufwand von Stunden oder gar Tagen ist in wenigen Minuten erledigt. 3.5 Fabrik- und Materialflusssimulation direkt aus einem ERP/PPS-System 265 Die entworfenen Objekte werden am Bildschirm dreidimensional dargestellt und mit jedem eingegebenen Parameter sofort aktualisiert. Umgestaltungen bedürfen lediglich der weiteren Eingabe oder der Änderung entsprechender Parameter. So sind professionelle Auslegungen und Konstruktionen, inklusive automatischer Preiskalkulation sowie Zeichnungserstellung der manuellen Pro- duktionssysteme effizient realisierbar. Zum Ausfertigen der Bestellunterlagen genügt allein ein Knopfdruck. Für die Planung ganzer Fertigungslinien gibt es die Möglichkeit, 3-D-Zeichnungen und Stücklisten in praktisch alle gängigen CAD-Systeme zu übertragen. Einsparung von Planungs- und Konstruktionsaufwand MPScalc ermöglicht vor allem die Einsparung ineffizienter Prozesse, wie Pla- nungs- und Konstruktionsaufwand, aber auch die Vermeidung von Fehlern, da die Software, abhängig von den eingegebenen Parametern, automatisch die ent- sprechenden Funktions-Module mit allen dazu gehörenden Komponenten aus- wählt und anpasst. Das einzigartige Planungsinstrument als fundamentaler Bestandteil des MPS trägt erheblich zur Reduzierung von Total Cost of Owner- ship (TCO) bei. Es gibt dem Anwender ein bisher nicht erreichbares Maß an Flexibilität durch schnelle Reaktionsfähigkeit. Entwicklungszeiten von der Idee bis zur Realisierung werden erheblich verkürzt, Veränderungen in bestehenden Linien oder angepasster stufenweiser Invest, wie etwa bei Stückzahlerweiterun- gen, sind leicht und schnell durchführbar. Auch Simultaneous engineering schon während der Produktentwicklungsphase ist einfacher. Abb. 3.5.3 Mit EcoFlow lässt sich der Materialfluss an Arbeitsplätzen, bei der Verkettung sowie im Lager- und Kommissionierbereich einfach realisieren. 266 3 Kanban – der Weg ist das Ziel Abb. 3.5.4 Praxisbeispiel für die individuelle Teilebreitstellung Voraussetzung ist Lean-Production Wesentliches Element des neuen manuellen Produktionssystems ist konsequen- te Lean-Production auch im eigenen Haus eine wesentliche Voraussetzung. Im Mittelpunkt der neu gestalteten Fertigung am Standort Stuttgart steht der Mon- tageablauf im One-piece-flow, die Verringerung der Materialbestände und die Standardisierung des gesamten Ablaufs bis hin zur klaren Trennung zwischen Montage und Logistik, sprich Teile-Bereitstellung. Damit konnten etwa 30 % der benötigten Flächen und 50 % der Laufwege reduziert werden. Neben erhöhter Mitarbeitermotivation sowie stark verbesserter Transparenz und Flexibilität sind das maßgebliche Faktoren der Preisbildung. 3.6 Verpackung – Moleküle des Materialflusses Philipp Dickmann Verändert man bei einem chemischen Molekül nur geringfügig die Anordnung der Atome, so verändern sich die Eigenschaften des gesamten Moleküls deut- lich. Ähnlich wirkt sich die Auswahl der Verpackung enorm vielfältig auf den Materialfluss, die Produktion und letztlich die Rendite eines Unternehmens aus. Von modernen Verpackungen werden heute immer komplexere Eigenschafts- bilder erwartet: Nutzbarkeit als Datenträger, Korrosionsschutz, ökologische Verträglichkeit, Beschädigungsschutz, hohe Materialdichte, geringes Gewicht, geringe Kosten, etc. Die Verpackung beispielsweise eines Montageprodukts, bestehend aus 15 Einzelteilen kann, je nach ausgewählter Verpackungsvariante, 3.6 Verpackung – Moleküle des Materialflusses 267 Kosten in der Spanne eines vier- bis sechsstelligen Betrages pro Jahr verursa- chen. Das einzelne Verpackungselement ist ein C-Teil, also eine Komponente, die in Relation zum Endprodukt sehr wenig Kosten verursacht. Daher wird ihr nur ein geringer Aufwand in der Kostenermittlung zugebilligt. Einzelne Kosten- positionen für Fixkosten, etwa der Kaufpreis für Umlaufmaterial, werden in der Regel hinterfragt und zugeordnet. Dies trifft aber selten für variable Kosten wie Handling, Reinigung, Leerguttransport, Lagervolumenverlust, Lagerhaltung, Bestandsführung oder Beschaffung zu. In Relation zum Kaufpreis können diese Zusatzkosten jedoch den Preis um den Faktor 2−10 übersteigen. Mit interdiszi- plinärer Prozesskostenrechnung lassen sich diese Kosten sehr genau erfassen. Wegen des vermeintlich geringen Potenzials, wird dieser Aufwand fälschlich als nicht notwendig eingestuft. Ebenso wird der Einfluss der Verpackung auf Lage- rung bzw. Lagerdichte nicht zugeordnet, obwohl die Relation vom Lagerplatz zur Materialmenge maßgeblich durch Verpackung definiert wird. Transport, Lagerplatz, Lageranlagen und Lagerzugriffe verursachen enorme Kosten, und trotzdem sind Lagerdichten von unter 50 % nicht selten. Allein bei Hochregal- Lagersystemen mit einem Preis von mehreren Millionen Euro, kann durch Op- timierung der Lagerdichte, bzw. aufgrund der Verpackungen, eine zweistellige Erhöhung der Füllmenge erreicht werden. Verpackung bestimmt außerdem die an einem Arbeitsplatz maximal ergonomisch bereitstellbare Materialmenge und damit die Arbeitsteiligkeit im Materialfluss. Letztlich werden das gesamte Pro- duktionslayout und die Effizienz von vielen einzelnen Verpackungsentschei- dungen ebenso wesentlich bestimmt, wie die Geometrie von Molekülen die äu- ßere Form, das Aussehen und die Eigenschaften eines Stoffes. 3.6.1 Kernaufgaben der Verpackung Verpackung soll in erster Linie den unversehrten Transport von Material ge- währleisten. Verpackung soll aber auch vor Schmutz schützen. Die Spannweite reicht von üblichem Staub über Einwirkungen (wie Späne, Sand, Schnee oder Wasser) bis hin zur Thematik Salzwasserdämpfe bei Seetransport. Auch Feuch- tigkeit, die sich beim Abkühlen an Teilen niederschlägt und zu Oxidation, also z. B. zu Rost führt, kann bei hoher Luftfeuchtigkeit, etwa in den Tropen oder bei Seeluft, extreme Dimensionen annehmen. Mit verschiedenen chemischen Sub- stanzen wie Schutzgasen oder hydrophilen Stoffen, also stark Wasser bindenden Substanzen, kann dies verhindert werden. Lebensmittel, medizinische oder kosmetische Güter stellen hohe Anforderungen an die Reinheit. Verpackungen müssen in diesem Fall nicht nur Staubschutz sondern auch Keimfreiheit garan- tieren, was durch keimtötende Mittel erreicht werden kann. Bei elektronischen oder elektrischen Bauteilen muss Verpackung vor Feuchtigkeit und statischer Aufladung schützen. Kunststoffverpackungen können extrem hohe Ladungen aufbauen, die zur Zerstörung empfindlicher Bauteile führen können. Deshalb werden leitende Partikel, wie etwa Kohle, in den Kunststoff gemischt. 268 3 Kanban – der Weg ist das Ziel 3.6.2 Betriebswirtschaftliche Risiken Im betriebswirtschaftlichen Sinne ist Verpackung nicht wertschöpfend, d. h. der Kunde zahlt für das Produkt. Die Verpackung will er aber eigentlich nicht kaufen. Das Marketing sieht die Funktion der Verpackung vollkommen konträr. Wenn die emotionale Wahrnehmung angesprochen wird oder eine leichte Vergleichbarkeit besteht, übt die Verpackung einen wesentlichen Kaufreiz aus. Hochwertige und sehr kostspielige Verpackungen für Kosmetikartikel, etwa Parfüm, sind ein typi- sches Beispiel. Wenn sie ein Leistungsmerkmal unterstreicht, kann Verpackung auch in industriellen Märkten als Marketinginstrument dienen. Eine stabile, mas- sive Verpackung suggeriert ein hochwertiges Produkt. Falls am Material kein Logo platzierbar ist, transferiert die Verpackung die „Corporate Identity“ des Herstel- lers. Eine andere typische Funktion ist die Ergänzung des Leistungsumfangs eines Produkts durch eine funktionale Verpackung. Eine stabile und tragbare Tasche bzw. ein Koffer für ein elektrisches Werkzeug bedeutet einen Zusatznutzen für den Kunden. Im industriellen Einsatz kann Verpackung auch Werkstückträger oder Tablare bei automatischer Vereinzelung einer Förderstrecke bzw. Lagerhaltung, ersetzen. Verpackung wird zunehmend auch als Träger für Daten verwendet. So werden Verpackungen mit in Zertifizierungen geforderten Liefer- und Rückver- folgungsdaten, mit Zeichen, Barcodes oder Transpondern bedruckt oder ausge- stattet. In vielen Fällen sind die Kosten für die Dokumentationsträger, das Auf- bringen, das Handling und die eventuell notwendigen Anlagen um ein Vielfaches höher, als die Kosten für den eigentlichen Behälter selbst, z. B. im Fall von Kartons. In der Realität werden die Kosten, die Verpackungen im industriellen Supply- Chain-Umfeld in der Summe verursachen, nicht als Prozesskosten ermittelt, da sie fälschlich als vernachlässigbar eingeschätzt werden. Unter Berücksichtigung der Kette an Einzelvorgängen verstecken sich aber hinter den vermeintlich kosten- günstigen Verpackungen vielfach nicht vernachlässigbare Kosten. 3.6.3 Verschwendung in Gebinde, Lager und Transport Verpackung definiert nicht nur Kosten, sondern bestimmt auch die maximale Lagerdichte. Lagerdichte ist der Quotient aus dem Teilevolumen und dem Lager- volumen. Die Lagerdichte ist in Abwägung mit anderen Größen (wie Zugriffs- geschwindigkeit, Verpackungs-, Lager- oder Transportkosten) zu bewerten. Lagerdichte in der Verpackung Diese Größe ist ein Maß für die Verschwendung durch den ungenutzten Platz in der Verpackung. Ein Vergleich aus dem Straßenverkehr lässt die Verschwendung in Hinblick auf das Material transparent werden. Die Verschwendung ist unter- schiedlich hoch, je nachdem, ob eine Person allein, mit einem Fahrrad, einem Motorrad, einem PKW oder einem Bus unterwegs ist. Die Kosten unterscheiden sich recht anschaulich in Anschaffungs-, Transport- und Lagerflächen- bzw. 3.6 Verpackung – Moleküle des Materialflusses 269 Handlingskosten. Bei strenger Betrachtungsweise würden hohle Körper einen schlechteren Füllgrad in der Einzelverpackung erreichen als massive Körper. Für eine pragmatische Aussage werden nur die Außenkanten gewertet. Selbst mit dieser Definition sind selten über 80 % Lagerdichte zu erreichen. Lagerdichteentwicklung Nach den ersten Entnahmen aus dem Gebinde reduziert sich die Dichte konti- nuierlich auf schließlich 0 % (vgl. Abb. 3.6.1, links). Dieser Effekt kann mit klei- neren Gebinden in Standardformaten oder durch dynamische, sich an die Füll- menge anpassende Gebinde reduziert werden, letzteres allerdings nur, wenn dieser Raumgewinn auch in Ladefläche nutzbar gemacht werden kann. Lagerdichte im Lager Am Beispiel Straßenverkehr lassen sich zwei verschiedene Verschwendungstypen gut darstellen. Zum einen ein Parkplatz ohne Markierungen der Stellflächen, dies entspricht einem chaotischen Blocklager. Durch unkoordiniertes Abstellen wird nur eine geringe Dichte erreicht. Andererseits ein Parkplatz, der nur eine fixe Stellplatzgröße aufweist, dies entspricht z. B. einem Hochregal mit einer Gebinde- größe. Wenn unterschiedlich große Fahrzeuge bzw. Teile abgestellt werden müs- sen, führt dies durch die Rasterung zu Verschwendung. Die typische Lagertechno- logie orientiert sich an wenigen fixen Standardgebindegrößen (z. B. Paletten oder KLT). Diese werden eingelagert und behalten ihre Größe bei. Es werden beliebig kleinere Gebinde auf den Lagerplätzen eingelagert. Die Lagerplätze besitzen häu- fig ein physisch fixes Volumen. Eine Palette kann z. B. nur in der passenden oder einer höheren Höhenklasse eingelagert werden. Lagersysteme erlauben dadurch nur eingeschränkt, je nach Dimension, eine optimale Nutzung des Raums. Den Extremfall bilden z. B. Hochregallager mit ganzen Paletten oder Pater- noster mit fixen Kleinladungsträgern, die für „Langsamdreher“ verwendet wer- den. Die „Langsamdreher“ erzeugen kontinuierlich einen hohen Anteil angebro- chener Gebinde, was zu Lagerdichten von lediglich 10−30 % führt (s. Abb. 3.6.1). Abb. 3.6.1 Die geringe Verpackungs- und Lagerdichte führen zu einer enormen Ver- schwendung im Lager. 270 3 Kanban – der Weg ist das Ziel Maßnahmen zur Erhöhung der Lagerdichte In Anbetracht der hohen Kosten, die Lager- und Transportflächen verursachen, werden Potenziale zur Kostenreduzierung schnell deutlich. Einsparungen kön- nen erreicht werden durch: • Zu- und Entnahme von vollständigen Gebinden: Wenn immer ganze Gebinde fließen, ist der Kleinladungsträger oder die Palette immer vollständig gefüllt. • Kontinuierliche Komprimierung der Lagerdichte im Gebinde: Das regelmä- ßige Komprimieren unvollständiger Behälter zu Mischbehältern schafft höhe- re Dichte. • Komprimieren und Anpassen der Lagervolumenanteile: Die Stellplätze wer- den an die notwendige Mischung der Größen angepasst. • Herabstufen von angebrochenen Gebinden: Gebinde, die tatsächlich in klei- nere Klassen passen würden oder die nur fälschlich in eine größere Klasse eingelagert wurden, müssen bereinigt werden. • Kontinuierliche Lagerdichteoptimierung mit flexibler Verpackung im grö- ßenflexiblen Lager: Größenflexible Verpackungen, z. B. Plastiktüten, passen sich in ihrer Ausdehnung dem Volumen des Inhalts an, verglichen mit Ver- packungen mit fixen Außenmaßen, wie Kleinladungsträger. Dieser Vorteil kann zum Erreichen einer kontinuierlichen Optimierung der Lagerdichte ge- nutzt werden. Größenflexible Lagersysteme erlauben das Erreichen einer deutlich höheren Lagerdichte. Eine Optimierung der Dichte in der Höhe kann z. B. mit Liftregalen und Tablaren umgesetzt werden. Nach jeder Kommissio- nierung wird beim Rücklagern die Höhe aktuell angepasst und optimiert ein- gelagert. Mit einer einfachen optischen Abtastung können leere Feldflächen erkannt und bei jedem neuen Einlagerungsvorgang als Leerflächen zugeord- net werden. Diese auch manuell durchführbare Logik kann zu einer Optimie- rung der Lagerdichte um 20−80 % führen. • Valuecycle Optimizing (VCO) (vgl. 2.14 Valuecycle Optimizing): Mit dieser Methode wird eine systematische Optimierung der Verpackung unter Berück- sichtigung aller Notwendigkeiten (Handling, Standardisierung, Packungs- dichte etc.) der betroffenen Bereiche erreicht. Abgestimmte Behältervolumen und Handlinsgrößen werden ermittelt und umfassend umgesetzt. 3.6.4 Einflussgrößen für den Materialfluss Im täglichen Umgang mit Verpackung sind wir uns selten bewusst, welche enormen Auswirkungen Verpackung auf unser Leben hat. Ähnlich verhält es sich beim Materialfluss, denn viele Einflussgrößen werden von der Verpa- ckungsdimensionierung bestimmt: Handling Die ergonomischen Eigenschaften der Verpackung sind die bestimmende Vor- aussetzung für das Handling, den Materialfluss und die Effizienz in Produktion 3.6 Verpackung – Moleküle des Materialflusses 271 und Logistik. Die Form oder das Gewicht der Verpackung entscheiden über das Handling und den notwendigen Zeitbedarf eines Ablaufs. Behältermenge Die Behälterfüllmengen werden nicht bewusst gesteuert. Sie sind vielmehr das Resultat von Kompromissen aus ergonomischen Eigenschaften und Grenzen, Qualitätsanforderungen, vorhandenen Standardbehältern, Zugeständnissen und Möglichkeiten der Lieferanten, Notwendigkeiten des Transports und der La- germethode, den Kosten etc. Die Behältermenge definiert aber maßgebliche Stellgrößen des Materialflusses, etwa Transporthäufigkeit, Lagervolumens, Ka- pitalbindung, Handlingkosten, Dichte und Anzahl von Materialnummern die am Arbeitsplatz bereitgestellt werden können, Notwendigkeit von Kommissio- niertätigkeiten, Dimensionierung des Materialflusses (z. B. Anzahl der Kanban- Karten), Lagerungskonzepte, etc. Losgrößen In der betriebswirtschaftlichen Literatur sind vielfältige Algorithmen zu finden, mit welchen die Losgröße bestimmt wird. In der Realität wird zumindest der Rundungswert der Losgrößen oft durch die Verpackung vorgegeben. Wenn die Transportkosten alle anderen, die Losgrößen bestimmenden Kosten dominie- ren, also eine möglichst hohe Packungsdichte nötig wird, bestimmt die Verpa- ckung dominant die Losgröße. Die Dichte der unterschiedlichen Materialnummern am Arbeitsplatz bestimmt die Wege im Layout Je nach Größe der angedienten Gebinde am Arbeitsplatz ist eine unterschiedli- che Dichte an verschiedenen Materialien je Arbeitsplatz möglich. Soll etwa aus Gitterboxen oder Holzpaletten herausgearbeitet werden, sind nur sehr wenige Materialnummern je Arbeitsplatz oder -raum möglich. Wird das Material in Kleinladungsträgern oder, noch extremer, in kleinen Behältern mit Eingriff angedient, können auf der gleichen Fläche hunderte Materialnummern stehen. Bei der Optimierung des Handlings am Arbeitsplatz muss auch das Handling für die Bereitstellung und Entsorgung berücksichtigt werden. Transport- und Kommissionierhäufigkeit Die Größe des Gebindes und seine Lagerdichte bestimmen proportional die Transporthäufigkeit und den Vereinzelungs- und Kommissionierungsaufwand. Wesentlich ist hier, ein gemeinsames Optimum zwischen Kommissionierauf- wand und Transportaufwand sowie der Greifraumoptimierung am Arbeitsplatz zu erreichen. Schnittstellenprobleme der Bereiche Industrial Engineering, Pro- duktion, Logistik und Supply Chain können zu einseitiger Optimierung und damit in der Summe zu einem Mehraufwand führen. 272 3 Kanban – der Weg ist das Ziel Layout und Materialflussgestaltung Veränderungen der Verpackungs- und Gebindegrößen haben gravierende Fol- gen für die Arbeitsteiligkeit und das Layout. Optimale Materialdichte und eine hohe Materialreichweite kann durch eine Veränderung der Tiefe der Bereiststel- lungsregale und damit des Produktionslayouts erreicht werden. Investitionen und Produktkosten Durch diese Auswirkungen der Verpackungen auf die Losgrößen, die Lager- reichweiten, die Lagertechnik, das gesamte Layout, die Arbeitsteiligkeit und letztlich die Anlieferlokalität, werden die Investitionen wie Lager- oder Gebäu- deerweiterungen und die Produktkosten stark beeinflusst. 3.6.5 Prozessvergleiche von Verpackungsvarianten Ein Großteil der realen Prozesse um die Verpackung werden nicht fundiert wirt- schaftlich hinterfragt und überwacht. Kostenvergleiche werden kaum durchge- führt. Am exemplarischen Vergleich zwischen einem Einwegbehälter, z. B. Stan- dardfaltkarton, und einer Mehrwegverpackung, z. B. Kleinladungsträger (KLT), in gleicher Größe werden im folgenden Abschnitt wesentliche Fakten erläutert. Allgemeine Rahmenbedingungen • Sauberkeit: Grundsätzlich sind frisch gereinigte KLT gleichwertig zu Karto- nagen. Bei Messungen der realen Staubbelastung zeigen KLT eine deutlich höhere Staubmenge als Kartonagen. Bei Kartonagen entsteht die wesentliche Staubemission durch offene Schnittkanten. KLT weisen aufgrund der stati- schen Aufladung eine höhere Staubbelastung auf. Für Anwendungen, bei de- nen es auf Staubfreiheit ankommt, sind antistatische KLT oder staubfreies Handling notwendig. • Ökobilanz: Die Ökobilanz umschreibt die Summe der ökologisch wirksamen Auswirkungen bei der Verwendung eines Materials. Hier werden der Herstel- lungsprozess, die Verarbeitung, die Reinigung, der Transport und letztlich die Entsorgung in der Summe bewertet. Im Vergleich zwischen Umlauf- und Ein- wegverpackungen, z. B. Life Cycle Studien (LCA) [IWIS 03], unterscheidet sich das Ergebnis kaum. Das bedeutet die Einwegverpackung schneidet in der Öko- bilanz gleichwertig zur Mehrwegverpackung ab. Kartons erlauben natürlich eine geringere Nutzungsdauer, sofern die Ware schnell umgeschlagen wird. Die zur Reinigung der KLT notwendigen Chemikalien sowie der Energiever- brauch, z. B. für Rücktransporte des Leerguts, und letztlich die schwierigere Entsorgung von Kunststoff, lassen keine klaren Vorteile pauschal ableiten. • Haltbarkeit – Stabilität – Teileschutz: KLT sind wesentlich stabiler als Kar- tons, robuster im Handling und haben praktische Griffe. Die Teile sind in den KLT besser gegen Beschädigungen von außen geschützt. Beim Herunterfallen 3.6 Verpackung – Moleküle des Materialflusses 273 des KLT bleibt dieser in der Regel unbeschädigt, die Teile im Innern können jedoch vom Aufprall beschädigt sein, ohne dass dies von außen zu erkennen ist. Beschädigungen an Kartons sind optisch gut erkennbar und erlauben das frühzeitige Beheben von Schäden. 3.6.6 Kostenabschätzung Bei Verpackungen entstehen Fixkosten, die einmalig anfallen und sich amorti- sieren können sowie variable Kosten, die kontinuierlich bei jedem Umlauf anfal- len. Bei einem Vergleich müssen beide Kostentypen auf Zeitfenster betrachtet werden. Am Beispiel KLT und Karton werden im Folgenden exemplarisch einige wesentliche Gesichtspunkte erläutert. • Fixkosten (z. B. Anschaffungskosten): KLT sind in der Anschaffung ca. um den Faktor 10 bis 50 teurer als Kartonagen. • Variable Kosten (z. B. Hin- und Rücktransport): Einwegbehälter benötigen keinen Rücktransport, das bedeutet einen Einsparungsvorteil von 50 % der Transportkosten. Nur bei einer Direktbelieferung im Pendelverkehr wird die- ser Nachteil der Umlaufverpackung vollständig neutralisiert. Allerdings wird in diesem Fall meist nicht die volle Ladungsdichte erreicht. Angesichts der aktuellen Trends, die Anlieferhäufigkeit bei nahen Lieferanten zu erhöhen oder Global-Sourcing, bedeutet dies einen zunehmenden Vorteil zugunsten der Einwegverpackungen. • Beschädigungen und Verlust von Behältern im Kreislauf: Der Umlauf von Behältern bedeutet natürlichen Verschleiß und Abnutzung. Auch die Zweck- entfremdung oder schlicht das „Verschwinden“ von Behältern darf nicht au- ßer Acht gelassen werden. Vor allem im Lieferantenkreislauf bei Konzern- strukturen sind Umlaufbestände immer einem nicht vernachlässigbaren Schwund unterlegen. • Reinigung: Umlaufbehälter müssen in regelmäßigen Abständen oder oft auch bei jedem Umlauf gereinigt werden, wobei in Relation zur Anschaffung enorme Kosten entstehen können. Zudem sind für die Überbrückung der Reinigung zusätzliche Behälter notwendig. • Umlaufbestand: Da es sich bei Verpackungen um C-Teile handelt, werden im Regelfall bei jeder notwenigen Bewegung, z. B. Rücktransport, zunächst grö- ßere Mengen gesammelt. Die Disposition des Leerguts erfolgt in größeren Sprüngen und erfordert daher größere Lagerbestände beim Kunden wie auch beim Lieferanten. Spitzenbedarfe, etwa bei der Überbrückung von Vorholun- gen von Betriebsruhen, sind zu berücksichtigen. • Entsorgungskosten: Diese Kosten, die vor allem bei Einwegverpackung rele- vant sind, schließen nicht nur die Kosten für Abfallentsorgung, sondern auch für das Handling, die Stellflächen und die notwendigen Anlagen ein. 274 3 Kanban – der Weg ist das Ziel Bei der Kostenabschätzung sind u. a. folgende zusätzliche Faktoren zu berücksichtigen: • Möglichkeiten einen Pool zu verwenden; • Aufwand für Steuerung und Materialfluss der Verpackung; • Ergonomie am Arbeitsplatz: Effizienz beim Greifen, hohe Packungsdichte im Regal, Material- bzw. Gewichtsdichte pro Material; • Haltbarkeit bei Feuchtigkeit und Nässe; • Handlingsaufwand: Transport und das Reinigen z. B. von Beschriftungen; • Automatisierbarkeit des Handlings; • Lagervolumen: Leergut und Kaufteilepuffer; Die Summe der Kosten für Umlaufverpackung kann bei einem Beispiel von KLT, die im Wochentakt zirkulieren, bei 15 Materialnummern und einer Liefer- strecke unter 3000 km, durchaus einen siebenstelligen Betrag pro Jahr verschlin- gen. Einwegkartons bleiben bei einem Anlieferintervall von ca. einer Woche bei einem vier- bis fünfstelligen Betrag. Grundsätzlich können Umlaufkonzepte je nach Anwendungsfall durchaus auch wirtschaftlicher sein. An diesem Beispiel sollte vielmehr aufgezeigt werden, dass eine umfassende und fundierte Analyse notwendig ist. Ein Vergleich der Verpackungskonzepte kann beträchtliche Aus- wirkungen auf die Produktkosten haben. Das unkritische Anwenden von Stan- dardmehrwegbehältern aus ökonomischen und ökologischen Gründen sollte daher kritisch hinterfragt werden. Poolbildung bei Verpackungen Einige sehr weit verbreitete Behälter wie z. B. Gitterboxen können im Pool ge- tauscht werden. Dabei fällt in der Regel eine Gebühr an‚ die geringer ist als die Transportkosten. Dieses Vorgehen erfordert die Anpassung an wenige Stan- dardgebinde und führt damit überwiegend zu einem schlechten Lagergrad. 3.7 Materialstamm-, Materialfluss- und Wertstromanalysen Ralph Wannenwetsch, ifp GmbH Für die Durchführung von Materialstamm-, Materialfluss- und Wertstromana- lysen gibt es sehr unterschiedliche Ansätze. Bei der klassischen Wertstromanaly- se handelt es sich um eine sehr schnelle und einfache Methode, die Wertströme transparent darstellt, wesentliche Zusammenhänge zwischen Informationsfluss und Materialfluss analysiert und gegebenenfalls in Hinblick auf schlanke Pro- duktionsprozesse Bestehendes verbessert. Dadurch wird eine grundsätzlich stra- tegische Ausrichtung des produzierenden Unternehmens zu kürzeren Durch- laufzeiten und Orientierung am Kundenbedarf angestrebt. Grenzen bestehen bei dieser klassischen Wertstromanalyse in der Bewertung sehr variantenreicher 3.7 Materialstamm-, Materialfluss- und Wertstromanalysen 275 Prozesse und in einer kontinuierlichen und semiautomatischen Anwendung. Detaillierte systemtechnische Auswertungen sind aufwendig in der Datenaufbe- reitung, auch die Anforderungen an die Qualität und Konsistenz der Systemda- ten sind sehr hoch. Dafür können nach einer Festlegung der Schnittstellen und entsprechender Aufbereitung der Systemdaten kontinuierlich sehr detaillierte Ergebnisse erzeugt werden. Diese Ergebnisse können über geeignete Schnittstel- len direkt in die unterstützenden Planungssysteme übernommen werden. Da- durch ist ein hoher Genauigkeits- und Detaillierungsgrad der Planungsergebnis- se zu erwarten. 3.7.1 Variantenentwicklung und Auswirkungen auf die Produktion Produzierende Unternehmen, von den Klein- und mittelständischen Unterneh- men (KMU) bis hin zu internationalen Großkonzernen, sind aufgrund der Kon- kurrenz vieler verschiedener Produktionsstandorte in einer immer effizienter vernetzten Weltwirtschaft darauf angewiesen, ihre Wettbewerbsfähigkeit stetig zu verbessern. Am Standort Deutschland ist es durch die gegebenen wirtschaftli- chen und sozialpolitischen Rahmenbedingungen in fast allen Branchen sehr schwierig über die Kostenführerschaft Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Aus diesem Grund stehen der Kunde und seine individuellen Bedürfnisse noch stär- ker als früher im Mittelpunkt des unternehmerischen Interesses. Durch Innova- 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% 10 25 50 100 200 400 800 Losgröße R ü st ze it [ % ] 19,8% 14,6% 10,4% 7,0% 4,2% 2,4% 0% 5% 10% 15% 20% 25% 0 auf 10 10 auf 25 25 auf 50 50 auf 100 100 auf 200 200 auf 400 400 auf 800 Veränderung der LosgrößeP ro d u kt iv it ät sz u w ac h s [% ] Abb. 3.7.1 Beispielhafter Rüstzeitanteil an der Gesamtprozesszeit und Produktivitätszu- wachs bei einer Verdoppelung der Losgröße (Lebensmittelindustrie) 276 3 Kanban – der Weg ist das Ziel tionsfähigkeit, Qualität und Flexibilität soll für die Kunden ein deutlich wahr- nehmbarer Mehrwert generiert werden, der die bestehenden Kostennachteile ausgleicht und für eine engere Bindung der Kunden an die Lieferanten bzw. Hersteller sorgt. Ein wesentlicher Faktor für die Erhöhung der Kundenzufriedenheit sind kurz- fristig verfügbare und kundenindividuelle Produktvarianten. Vor allem in den traditionellen metallverarbeitenden Industrien (z. B. Automobilbau, Maschinen- bau), aber auch in vielen anderen Branchen wie z. B. die Lebensmittelindustrie, ist die industrielle Produktion daher zunehmend durch die kundenindividuelle Massenproduktion („Mass Customization“) gekennzeichnet. Diese Entwicklung führt in den produzierenden Unternehmen zu einer Erhöhung der Variantenviel- falt, schwer vorhersehbaren und kurzfristigen Kundenabrufen und immer kürzer werdenden Produktlebenszyklen. Die Sicherung der Lieferfähigkeit bei einer gleichzeitigen Beherrschung der Variantenvielfalt ist daher sowohl bei der Produktionsplanung im Tagesgeschäft als auch bei der planerischen Gestaltung von Produktions- und Logistiksyste- men eine wesentliche Kernaufgabe. Oft wird diese Herausforderung in den logis- tischen Prozessen durch einen Bestandsaufbau oder in der Produktion durch die Bereitstellung redundanter Anlagen bzw. Betriebsmittel bei Engpassprozessen gelöst. Dies führt zu • erhöhtem Flächen- und Investitionsbedarf, • ungünstigen Materialflüssen, • intransparenten Prozessen und • einem generellen Anstieg der nicht wertschöpfenden Tätigkeiten (z. B. durch zusätzliches Rüsten aufgrund der resultierenden kleineren Losgrößen). Im Hinblick auf eine Optimierung der gesamten Wertschöpfungskette ist da- her die Gestaltung von Prozessen erforderlich, die eine effiziente und flexible Reaktion auf die individuellen Kundenwünsche ermöglichen, dabei aber trotz- dem den Anforderungen an ein kostenoptimiertes Produktionssystem genügen. Die folgenden Kapitel stellen dar, welche Methoden und Werkzeuge dazu ange- wendet werden können. 3.7.2 Wertstromanalyse In Zusammenhang mit den Methoden und Zielen einer schlanken Produktion (Lean Production) wird heute zunehmend die Wertstromanalyse als Mittel zur Visualisierung und Analyse von Material- und Informationsflüssen eingesetzt. Die Wertstromanalyse wurde entwickelt, um auf schnelle und einfache Weise die Produktionsprozesse für ein Produkt zu analysieren und damit Verschwen- dung im Prozess zu identifizieren. Zielsetzung ist es, den Wertstrom vom Wa- renausgang rückwärts bis zum Wareneingang durchgängig zu beschreiben, um diejenigen Prozessschritte zu identifizieren, die tatsächlich Wertschöpfung ge- nerieren und diese in Hinblick auf kurze Durchlaufzeiten und Bedarfsorientie- 3.7 Materialstamm-, Materialfluss- und Wertstromanalysen 277 rung zu optimieren. Die Darstellung des Wertstroms beschränkt sich dabei meist auf eine repräsentative Produktfamilie, die eine Gruppe von Produkten umfasst, die durch ähnliche Prozessabläufe und Prozessparameter (z. B. Rüstzei- ten) gekennzeichnet sind. Wie in der Abb. 3.7.2 (oberes Diagramm) gezeigt, wird die Ist-Situation der Prozess- und Informationsflüsse bei einer Wertstromanalyse durch einfache Symbole dargestellt. Der Detaillierungsgrad umfasst dabei übergeordnete Pro- zesskategorien bzw. Ressourcen, wie z. B. „Schweißen“ oder „Montage“. Auf der rechten Seite der Abb. 3.7.3 ist die so genannte Future State Map, also die zukünf- tig geplante Situation zu erkennen. Sie basiert auf einer im Planungsteam erar- beiteten Vision, die ausgehend von der Ist-Situation eine möglichst ideale Soll- Situation erarbeitet. Dies wird vor allem durch eine Vermeidung von nicht- wertschöpfenden Tätigkeiten und einer Reduzierung der Durchlaufzeiten in den einzelnen Prozessen erreicht. Deutlich ist z. B. in der Abb. 3.7.2 die Verringerung der sequentiell nacheinander ablaufenden Prozesse hin zu einem kontinuierli- Abb. 3.7.2 und Abb. 3.7.3 Beispiel für eine Wertstromanalyse für den Ist- (oben) und Soll- zustand (unten) [Core 04] 278 3 Kanban – der Weg ist das Ziel chen Teilefluss zu erkennen. Die Future State Map ist die Grundlage für die Um- setzung der Ideal-Vision in ein Soll-Konzept. Grenzen in der Darstellung und Aussagekraft einer Wertstromanalyse bestehen bei der Analyse einer Vielzahl an unterschiedlich ausgeprägten Teilevarianten, da teilweise die gleichen Ressour- cen von mehreren Teileströmen belegt werden. Diese sind in ihrem Zusammen- spiel in der Wertstromanalyse nur sehr schwer zu bewerten. Vereinzelt kann die Methode der Variantenwertströme [Voll 04] angewandt werden, um ähnliche Teilevarianten getrennt voneinander abzubilden. Ab einer gewissen Varianten- vielfalt mit stark unterschiedlichen Ausprägungen kann auch diese Analyse nur unzureichende Ergebnisse liefern, zumal bei einer Veränderung des Produkt- spektrums stets weitere zeitintensive Analysen durchgeführt werden müssen. Für Produktionsprozesse mit einem sehr variantenreichen Artikelspektrum ist es deshalb sinnvoll, Analysenmethoden zu entwickeln, die basierend auf systemi- schen Produktionsdaten eine semiautomatische und damit weitgehend kontinu- ierliche Verifikation und Planung von Produktionsprozessen ermöglichen. 3.7.3 Systembasierte Datenanalyse Vor dem Hintergrund einer immer durchgängigeren und detaillierten Datenwelt innerhalb der Unternehmen (z. B. durch die Anwendung von SAP oder vergleich- barer Systeme), kann die Materialfluss- und Wertstromanalyse ein häufig ange- wandter und weitgehend standardisierter Bestandteil der planerischen Tätigkeiten im Unternehmen werden. Neue Produktvarianten können in bestehende Systeme integriert und die zu erwartenden Auswirkungen bewertet werden. Voraussetzung für eine korrekte, systembasierte Analyse ist die durchgängige Verfügbarkeit kon- sistenter Planungsdaten in den im operativen Einsatz befindlichen Produktions- systemen. Dabei ist es analog zur Wertstromanalyse erforderlich, die Prozesse und Materialflüsse rückwärts vom Warenausgang (Lieferdaten) durch alle Arbeitsfol- gen (Rückmeldungen, Arbeitspläne) bis hin zum Wareneingang (Materialverein- nahmung) zu analysieren und im Planungssystem abzubilden. Diese Zusammen- hänge sind in der nachfolgenden Abbildung dargestellt. Alle zuvor dargestellten Daten sind üblicherweise in den Produktionssyste- men verfügbar und können über standardmäßig vorhandene oder speziell ange- passte Transaktionen exportiert werden. Die derart erzeugten Daten werden anschließend in ein Planungssystem überführt mit dem Auswertungen durchge- führt werden können. Ein solches Planungssystem basiert auf einer einfachen Datenbankanwendung (z. B. Microsoft Access) in der die Planungsdaten konsis- tent gehalten und von der aus automatisierte Schnittstellen zu speziellen rech- nergestützten Planungswerkzeugen bestehen. Neben ausführlichen statistischen Auswertungen, wie z. B. der tatsächlichen Wertschöpfung je Prozessschritt (siehe Abb. 3.7.5), können somit auch Durch- laufzeitanalysen (siehe Abb. 3.7.6), Materialflussanalysen (siehe Abb. 3.7.7) oder Bestandssimulationen (siehe Abb. 3.7.8) durchgeführt werden, die sich an den real abgelaufenen Prozessen orientieren. 3.7 Materialstamm-, Materialfluss- und Wertstromanalysen 279 nednuKnetnarefeiL Produktionsprozess Rückmeldungen Arbeitsplatz Datum/Uhrzeit Materialnummer Arbeitsplan AVO Anzahl Rüstzeit Bearbeitungszeit Arbeitsplan Arbeitsplan AVO Ladehilfsmittel (LHM) Stück pro LHM Lieferdaten Materialnummer Lagerort/Lagerplatz Datum/Uhrzeit Kunde Ladehilfsmittel Stück pro LHM … Materialstamm Materialnummer Bezeichnung Gewicht/Größe … Matbeleginfo Materialnummer Lagerort/Lagerplatz Datum/Uhrzeit Lieferant Ladehilfsmittel Stück pro LHM … Lagerorte Lagerbewegungen Materialnummer Lagerort/Lagerplatz Datum Buchungsart Anzahl Bestand_nach … Systemdaten nednuKnetnarefeiL Produktionsprozess Rückmeldungen Arbeitsplatz Datum/Uhrzeit Materialnummer Arbeitsplan AVO Anzahl Rüstzeit Bearbeitungszeit Arbeitsplan Arbeitsplan AVO Ladehilfsmittel (LHM) Stück pro LHM Lieferdaten Materialnummer Lagerort/Lagerplatz Datum/Uhrzeit Kunde Ladehilfsmittel Stück pro LHM … Materialstamm Materialnummer Bezeichnung Gewicht/Größe … Matbeleginfo Materialnummer Lagerort/Lagerplatz Datum/Uhrzeit Lieferant Ladehilfsmittel Stück pro LHM … Lagerorte Lagerbewegungen Materialnummer Lagerort/Lagerplatz Datum Buchungsart Anzahl Bestand_nach … Systemdaten Abb. 3.7.4 Durchgängige, systembasierte Planungsdatenbasis zur Analyse der Material- flüsse und Wertströme. (LMH: Ladehilfsmittel) Abb. 3.7.5 Produktions- und Planungssysteme im gemeinsamen Einsatz 280 3 Kanban – der Weg ist das Ziel Abb. 3.7.6 Tatsächliche Wertschöpfung je Arbeitsvorgang (AVO) Abb. 3.7.7 Durchlaufzeitunterschiede einer Produktkategorie Die zuvor beispielhaft dargestellten Analysen stellen lediglich einen kleinen Ausschnitt aus der Vielzahl an Ergebnissen dar, die mit Hilfe der Systemdaten und einer spezifisch angepassten Planungsdatenbank generiert werden können. Mit diesen Ergebnissen lassen sich beispielhaft die folgenden Maßnahmen zur Vermeidung von Verschwendung und damit zur Optimierung der Produktions- prozesse unterstützen: 3.7 Materialstamm-, Materialfluss- und Wertstromanalysen 281 • Taktzeitausgleich auf Basis von statistisch ermittelten Durchlaufzeitverhält- nissen für unterschiedliche Teilegruppen, • Materialflusstechnisch optimierte Gestaltung von Transportwegen und An- ordnung von Maschinen-, Puffer- und Lagerbereichen, • Bedarfsgerechte und bestandsorientierte Dimensionierung von Kanban-Regel- kreisen und Supermärkten für die Materialversorgung unter Berücksichtigung der auftretenden Variantenvielfalt und den entsprechend unterschiedlichen Abrufprofilen, • prozess- und produktgruppenspezifische Bewertungen und Vergleiche von durchlaufzeitorientierten One-piece-flow-Strategien und rüstzeitoptimierter Losfertigung für die unterschiedlichen Teilevarianten. Abb. 3.7.8 Materialflussanalyse 0 2.000.000 4.000.000 6.000.000 8.000.000 10.000.000 12.000.000 14.000.000 16.000.000 18.000.000 1 2 3 4 5 6 Abb. 3.7.9 Dynamische Bestandssimulation für unterschiedliche Losgrößenszenarien 282 3 Kanban – der Weg ist das Ziel 3.8 Moderne Fabrikplanung – Materialfluss- und Arbeitsplatzdesign Robert Kuttler, ifp GmbH Um sich in einem stark veränderten Wettbewerbsumfeld – charakterisiert durch verkürzte Produktlebenszyklen, verstärkte Kundenorientierung sowie massiven Kostendruck – behaupten zu können, sind Unternehmen gezwungen, ihr Handeln möglichst flexibel an die neuen Anforderungen anzupassen, um nachhaltig wettbewerbsfähig zu bleiben. Diese Herausforderung bringt eine steigende Komplexität der gesamten Unternehmenssteuerung mit sich, welche sich bereits in der Konzept- und Planungsphase neuer Fabriken auswirkt und berücksichtigt werden muss. Die Fabrikplanung, ausgehend von der Umpla- nung einzelner Teilbereiche bis zur Generalplanung ganzer Produktionssyste- me, spielt dabei die zentrale Rolle. Das oberste Ziel der Fabrikplanung richtet sich dabei stets nach der Gestaltung innovativer, effizienter und realisierbarer Produktions- und Logistiksysteme. 3.8.1 Moderne Werkzeuge in der Fabrikplanung Die Fabrikplanung umfasst typischerweise unterschiedliche Planungsbereiche und -ebenen. Im Wesentlichen gliedert sich das Vorgehen in fünf Schritte mit den entsprechenden Arbeitsinhalten (siehe Abb. 3.8.1). Aufgrund der gestiegenen Anforderungen und der Komplexität moderner Produktionssysteme ist der unterstützende Einsatz moderner EDV-Tools wäh- rend der Planungsphase, insbesondere im Bereich der Grob- und Feinplanung (Schritt 3 und 4), mittlerweile unverzichtbar. Im Vordergrund steht dabei die Beherrschung einer Vielzahl unterschiedlicher Datenmengen, die Vernetzung und Abstimmung über einzelne Planungsschritte und -ebenen hinweg sowie die Reduzierung von Projektierungs- und späteren Umsetzungskosten durch die Vermeidung von Planungsfehlern. Nachfolgend eine Auswahl moderner Pla- nungstools und ihrer Einsatzgebiete im Bereich der Fabrikplanung: Datenbanken während der Planungsphase Die Anwendung von Datenbanken bereits in der frühen Planungsphase zur zen- tralen Vorhaltung aller relevanten Planungsdaten stellt die Planungskonsistenz über alle Ebenen und Bereiche sicher. Typische Planungsdaten dabei sind bei- spielsweise das zu produzierende Artikelspektrum, betriebsmittelspezifische Parameter, Produktstrukturen (Stückliste), Arbeitspläne, Materialbedarf und Materialstammdaten, etc. Durch die Anwendung einer zentralen Datenbank können unterschiedliche Projektteams auf den gleichen Datenbestand zurück- greifen, wodurch die Planungsgenauigkeit bzw. -durchgängigkeit erheblich erhöht wird. Zudem werden Planungsfehler deutlich reduziert. Bei hoher Quali- 3.8 Moderne Fabrikplanung – Materialfluss- und Arbeitsplatzdesign 283 tät der Planungsdaten können Teile in das spätere Produktivsystem übernom- men werden. Anwendung der dynamischen Ablaufsimulation Aufgrund der hohen Planungskomplexität und der Vielzahl von Einflussfak- toren bei der Konzeption moderner Produktionssysteme sind Aussagen zu Flä- chenbedarf, Durchlaufzeiten und Auslastungen, die statisch berechnet wurden, nicht mehr in ausreichender Genauigkeit ermittelbar. Der Einsatz der dynami- schen Ablaufsimulation eignet sich dafür, die Komplexität abzubilden und liefert detaillierte Erkenntnisse über die zu erwartenden Betriebsmittelaus- lastungen, potentiellen Engpässe, benötigten Lager- und Pufferflächen in der Produktion und die zu erwartenden Durchlaufzeiten unter Berücksichtigung dynamischer Parameter [Dick 02]. Aufbauend auf den Daten der zentralen Pla- nungsdatenbank werden virtuell unter unterschiedlichen Bedarfslasten mögli- che Steuerungskonzepte und Logistiksysteme simuliert, die Auswirkungen dar- gestellt und optimale Konzepte ausgewählt. 1. Definition der Zielvorgaben Zu produzierendes Produkt, Produktspektrum, Target-Produktpreis, Ziel-Durchlaufzeit, Ziel-Maschinennutzung, etc. Product-Life-Cylce (PLC) 2. Vorplanung Erstellung „Business plan“, strategische Standortwahl, Erörterung Rahmenbedingungen, etc. 3. Grobplanung Ermittlung der Funktionsflächen, Schnittstellendefinitionen, Blocklayouterstellung, statische Grobdimensionierung, etc. 4. Feinplanung Detaillierte Prozessbeschreibungen, Betriebsmittel- auswahl, Kapazitätsplanung, Produktions- und Lagerflächenermittlung, Ermittlung indirekter Flächen, Materialflussanalyse, Konzeption der Produktionssteuerung, Arbeitsplatzgestaltung, Arbeitszeitmodelle, Planung der Logistiksysteme, Erstellung Detaillayout, etc. 5. Ausführungsplanung Durchführung von Machbarkeitsstudien, Erstellung von Umsetzungsplänen, Planung der Realisierungkosten, Lastenhefterstellung, etc. Abb. 3.8.1 Vorgehensweise eines Fabrikplanungsprojekts, durchgeführt von ifp 284 3 Kanban – der Weg ist das Ziel Abb. 3.8.2 Anlagenplanung mit Hilfe der dynamischen Ablaufsimulation Einsatz von Materialflusssystemen EDV-Systeme zur Materialflussanalyse und Gestaltung von Layouts nach materi- alflussoptimierten Gesichtspunkten unterstützen insbesondere den Feinpla- nungsprozess im Rahmen einer Fabrikplanung. In Abhängigkeit von unterschied- lichen Prozessabläufen der Produkte werden innerbetriebliche Materialströme im Layout hinsichtlich Volumen und Transporthäufigkeit analysiert. Auf Basis dieser Erkenntnisse werden Maschinen systemunterstützt optimal angeordnet sowie entsprechende Transportmittel ausgewählt, um den Aufwand von Materialtrans- porten zu minimieren. [Kapp 05] 3-D-Gestaltung von Arbeitsplätzen Die effiziente Gestaltung von Arbeitsplätzen wird durch den Einsatz von 3-D- Systemen maßgeblich beeinflusst. Neben der Überprüfung von ergonomischen Gesichtspunkten bei der Arbeitsplatzgestaltung helfen die Systeme auch bei der virtuellen Ermittlung von Taktzeiten und der Überprüfung von Kollisionen eines Montagevorgangs, ebenso bei der Planung technischer Anlagen und im Zusammenhang mit manuellen Tätigkeiten. Bereits vor dem Aufbau von Ver- suchsarbeitsplätzen bzw. -anlagen können Durchlaufzeiten und Flächenbedarf an den Stationen simuliert und Erkenntnisse für weitere Optimierungen abgelei- tet werden. 3.8 Moderne Fabrikplanung – Materialfluss- und Arbeitsplatzdesign 285 Abb. 3.8.3 Einsatz von Materialflussplanungssystemen bei der Layoutgestaltung Abb. 3.8.4 Arbeitsplatzgestaltung mit 3-D-Systemen 3.8.2 Integrative Planung und Wandlungsfähigkeit Um die Zielvorgaben komplexer Produktionssysteme zu erreichen, müssen bei der Planung alle Teildisziplinen, wie beispielsweise die Materialflussplanung, die Arbeitsplatzgestaltung, die Ausarbeitung geeigneter Produktionssteuerungen, sowohl einzeln, als auch im Gesamtzusammenhang zu anderen Bereichen best- möglich konzipiert und betrachtet werden. So können ungeeignete Nachschub- Steuerungssysteme das Potenzial eines optimal geplanten Materialflusses zwi- schen den Arbeitsstationen stark schmälern. Durch Unterstützung der digitalen Planung mit modernen Planungstools wird die integrative Planung deutlich verbessert. Ergebnisse einzelner Planungsphasen werden nicht mehr isoliert be- 286 3 Kanban – der Weg ist das Ziel trachtet, vielmehr werden diese zu einem Gesamtoptimum unter der Berück- sichtigung der Zielvorgaben zusammengeführt [Kapp 05]. Aufgrund des sich stark veränderten Wettbewerbsumfeldes und der damit verbundenen Forderung nach erhöhter Flexibilität stehen moderne Fabriken und deren Planung neuen Herausforderungen gegenüber. Moderne Produk- tionssysteme müssen hinsichtlich Größe, Funktion und Struktur an veränderte Rahmenbedingungen schnell anpassbar sein. So genannte Wandlungstreiber, wie beispielsweise externe Markt- und Umweltbedingungen oder Technologien, führen zu einer permanenten Überprüfung der Flexibilität eines Produktions- systems schon während der Planungsphase. Erarbeitete Konzepte in allen Teil- bereichen müssen sich hinsichtlich einer ausreichenden Wandlungsfähigkeit beweisen. Moderne Planungswerkzeuge unterstützen diesen Prozess dadurch, dass unterschiedliche Szenarien schnell und kostengünstig „durchgespielt“ und die damit verbundenen Auswirkungen transparent visualisiert werden können, wodurch eine Bewertung der Wandlungsfähigkeit eines Produktionssystems schon während der Planungsphase möglich wird. Zusammenfassung Aufgrund der gestiegenen Komplexität von Produktionssystemen ist ein Umden- ken bereits in der frühen Planungsphase notwendig. Mit Hilfe des Einsatzes mo- derner Planungshilfsmittel werden in kürzerer Zeit Gesamtsysteme konzipiert, welche den zukünftigen Anforderungen nach erhöhter Flexibilität, Wandlungs- und Leistungsfähigkeit bei reduzierten Gesamtkosten gerecht werden. Nur eine Abb. 3.8.5 Zusammenführung digital geplanter Teilsysteme zum Gesamtkonzept (Projekt- beispiel ifp) 3.9 Virtual Reality und Augmented Reality in der Materialflussplanung 287 durchgängige Fabrikplanung, die über die isolierte Betrachtung einzelner Teilbe- reiche, wie Materialflussplanung, Arbeitsplatzgestaltung etc. hinausgeht, erreicht das Ziel der Gestaltung innovativer, effizienter Produktions- und Logistiksysteme. 3.9 Virtual Reality und Augmented Reality in der Materialflussplanung Johannes Wulz, Lehrstuhl für Fördertechnik Materialfluss Logistik (fml), Technische Universität München Die Virtual- und Augmented Reality Technologie etabliert sich zusehends als Präsentations- und Analysewerkzeug, das die Kommunikation in Planungspro- zessen verbessert und dem Planer hilft, Planungsfehler zu vermeiden. Bei- spielsweise im Bereich der Fertigungsplanung können durch die Darstellung von Produktgeometrie in der realen Fertigungsumgebung bereits ab der De- signphase Engstellen und Kollisionen identifiziert werden. Dadurch entfallen kosten- und zeitintensive Untersuchungen mit materiellen Prototypen. Die dreidimensionale Darstellung veranschaulicht zudem die Planungsstände und bietet eine visuelle Diskussionsgrundlage für alle an der Planung Beteiligten. Das Materialfluss- und Arbeitsplatzdesign wird durch diese zukunftsweisende Technologie erheblich vereinfacht und stellt ein wesentliches neues Hilfsmittel bei der Planung und Einführung eines schlanken Produktionssystems dar. Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) Technologie sind zwei neue, moderne Technologien, die den Prozess der Logistiksystemplanung in Zukunft erheblich effizienter gestalten werden. Hintergrund des Einsatzes sind die stei- genden Anforderungen an die Planung, schneller und effizienter zu arbeiten, aber gleichzeitig mehr Adaptivität im Sinne der Reaktionsfähigkeit zu gewährleisten. 3.9.1 Technologie Der Begriff Virtual Reality bezeichnet eine den menschlichen Sinnen vorge- täuschte, vollständig künstlich erzeugte Umgebung. Diese ermöglicht es, drei- dimensionale rechner-basierte Modelle, wie beispielsweise eine Logistikanlage, in einer neuartigen Art und Weise zu erleben. Im Gegensatz dazu stellt AR die Möglichkeit dar, virtuelle 3-D-Geometrien positionsgenau in Bilder oder Filme einer realen Umgebung zu platzieren. Für den Betrachter verschmilzt so die reale mit der virtuellen Welt [Alt 03]. 3.9.2 Nutzen und Anwendungen VR und AR eröffnen neue Möglichkeiten in der Evaluierung von Planungsständen beziehungsweise -alternativen und der interdisziplinären Teamarbeit. Die virtuel- 288 3 Kanban – der Weg ist das Ziel le Realität ist das ideale Hilfsmittel, komplexe Zusammenhänge in Hinblick auf geometrische und dynamische Sachverhalte zu verstehen und zu untersuchen. Komplizierte Problemstellungen sind dadurch auch fachfremden Personen ein- fach zu vermitteln. Besonders hervorzuheben ist die Möglichkeit, Planungsteams in ihrer interdisziplinären Zusammenarbeit zu fördern. Zum einen kann die Kommunikation [Walt 02] besser gestaltet werden, bedenkt man, dass sich Planer unterschiedlicher Fachrichtungen gemeinsam in der virtuellen Realität bei einer nahezu 1:1-Abbildung eines virtuellen Logistiksystemmodells abstimmen kön- nen. Zum anderen wird auch das Arbeiten an verteilten Standorten wesentlich unterstützt. Moderne VR-Systeme sind in der Lage, per Internetverbindung an ein und demselben VR-Modell an unterschiedlichen Standorten gleichzeitig zu arbei- ten, was zu einer besseren Abstimmung der Teilbereiche und damit zu einem bes- seren Gesamtergebnis führt. Bau- und Anlagenplaner sowie weitere an der Pla- nung beteiligte Bereiche können so in noch engerer Verzahnung kooperieren. Im Vergleich zu den heute konventionellen Methoden ergeben sich vielfältige Nut- zungspotenziale, wie beispielsweise in der Konstruktion bzw. Planung material- flusstechnischer Anlagen. Kostenintensive Versuche und Fehlerbehebungen an realen Anlagen entfallen, da vorab ein virtueller Prototyp zur Reife gebracht wird. Beachtet man die Kosten für den Bau eines physischen Systems, die durchaus im mehrstelligen Millionenbereich liegen können, so wird deutlich, dass der Einsatz von VR-Technologien sinnvoll ist, kostet die Fehlerbeseitigung an realen Materi- alflusssystemen doch wesentlich mehr als an virtuellen Modellen. Während sich die VR für tendenziell große Modellumfänge eignet, ist die AR eher auf den kleineren Rahmen beschränkt. Sie eignet sich zur Überprüfung von Kollisionen zwischen Anlagenteilen und Produkt an problembehafteten Stellen. Dabei werden diese meist bekannten Stellen in der Realität mit virtuellen Pro- duktgeometrien überlagert, um so eine Aussage über den Änderungsaufwand an Abb. 3.9.1 Virtual Reality in der Konstruktion bzw. Planung materialflusstechnischer Sys- teme (Quelle: Lehrstuhl fml) 3.10 Fabrik- und Materialflusssimulation direkt aus einem ERP/PPS-System 289 Anlagen oder Gebäudestrukturen zu erhalten. Diese Anwendung erfolgt haupt- sächlich bei Änderungen am Produkt oder Produktneueinführungen, wie dies beispielsweise in der Automobilindustrie vermehrt der Fall ist. Bei BMW wurden so im Bereich der Montage entlang der Förderstrecke po- tenzielle Kollisionsstellen einer Frontklappe untersucht (Abb. 3.9.2). Die daraus gewonnenen Kenntnisse geben Auskunft über Art und Umfang der notwendig werdenden Umbaumaßnahmen an der Fördertechnik und helfen dabei, die erforderlichen Kosten transparent zu machen [Günt 06]. In „Virtual and Augmented Reality Applications in Manufacturing“ [Ong 04] verweisen S.K. Ong und A.Y.C. Nee auf weitere Anwendungsbeispiele, die bereits teilweise in der Industrie umgesetzt wurden und einen umfassenden Einblick in die Welt der virtuellen Technologien und deren Anwendung geben. Resümie- rend ist davon auszugehen, dass beide Technologien in Zukunft eine große Rolle als Hilfsmittel in der Planung spielen werden und so einen wesentlichen Beitrag zur Gestaltung schlanker Produktionssysteme mit Kanban leisten. 3.10 Fabrik- und Materialflusssimulation direkt aus einem ERP/PPS-System heraus – einfacher ist mehr! Joachim Berlak, FAUSER AG Industriebetriebe sind heute mehr denn je gefordert, ihre Geschäfts- und Produk- tionsprozesse permanent auf die Marktbedingungen und Kundenanforderungen über den gesamten Lebenszyklus einer Fabrik hin auszurichten (s. Abb. 3.10.1). In diesem Kapitel wird die Notwendigkeit eines einfach bedienbaren und in- tegrierten Werkzeugs zur Fabrik-, Layout- und Materialflussplanung für kleine und mittelständische Industriebetriebe diskutiert. Mit JobDISPO FAP (Software Abb. 3.9.2 Virtuelles Modell in realer Fertigung [Günt 06] 290 3 Kanban – der Weg ist das Ziel zur Fabrik- und Materialflusssimulation) existiert ein solches Werkzeug, wel- ches ohne spezielles Simulations-Know-how auskommt und direkt an ein beste- hendes ERP/PPS-System (Enterprise Resource Planning/Production Planning and Scheduling-System) angebunden werden kann. Der Anwender arbeitet wie in einem herkömmlichen Grafikprogramm, verschiebt Ressourcen per Drag and Drop, worauf automatisch eine Ablaufsimulation erfolgt und der Planer die Auswirkungen seines Handelns online und in Echtzeit aufbereitet sieht. Im Bereich der Fabrik-, Materialfluss- und Layoutplanung können hierzu fol- gende Softwarewerkzeuge eingesetzt werden: • Eigenentwickelte Berechnungslösungen oder Datenbanken auf Basis von z. B. MS Excel oder Access zur Aufnahme von Mengengerüsten, Kalkulationen und Analysen. • 2-D/3-D-CAD- oder Grafikprogramme wie z. B. AUTOCAD oder UNI- GRAPHICS zur Modellierung und Visualisierung von Layouts. • Virtual Reality (VR)- und Augmented Reality (AR)-Lösungen (von z. B. vgl. VR und AR) für den „Freiflug“ durch die zu planende Fabrik. • Simulationswerkzeuge von z. B. TECNOMATIX oder DELMIA zur zeitdiskre- ten Ablaufsimulation von Materialflüssen. • Teilintegrierte Werkzeuge wie z. B. MATFLOW oder FASTDESIGN die CAD- Programme um Berechnungswerkzeuge erweitern. Die grundlegende Problematik der oben genannten Softwarewerkzeuge be- steht in ihrer mangelnden Durchgängigkeit und Vernetzung untereinander und in dem teilweise hohen monetären Aufwand, der in Einführung und Betrieb zu investieren ist [Baye 02]. Software zur Ablaufsimulation stellt im Prinzip einen Baukasten zur Verfügung, mit dem der Anwender ein Simulationsmodell für seine spezifische Problemstellung entwickeln kann [Wern 01]. Hierzu benötigt Abb. 3.10.1 Lebenszyklus von Fabriken [Wien 04] 3.10 Fabrik- und Materialflusssimulation direkt aus einem ERP/PPS-System 291 er zum einen Zeit und vor allem Kompetenz und Fachwissen. Zum anderen ist der Aufbau von Simulationsmodellen immer an einen konkreten Zeitpunkt gebunden, an dem die konkrete Problemstellung abgebildet, simuliert und ab- schließend analysiert wurde. Zu einem späteren Termin können sich die Rand- bedingungen geändert haben und damit die Aussagen aufgrund des ursprüngli- chen Modells nicht mehr gültig sein. Vor diesem Hintergrund hat die FAUSER AG im Rahmen eines Forschungsprojekts mit Hochschul- und Industriepart- nern wie der BMW Group, ALCAN, Strama-MPS sowie Scholpp ein neuartiges und integrales Simulationswerkzeug entwickelt [Zäh 04b]. Ziel war es, besonders für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), zum Ausgleich des Man- gels an qualifiziertem Personal und Finanzmitteln, eine einfach bedienbare Software zur Fabrik- und Materialflusssimulation ohne aufwändigen Simula- tionsmodellbau zur Verfügung zu stellen. Dieses Werkzeug wird unter dem Namen JobDISPO FAP von der FAUSER AG vertrieben und greift direkt auf die Stamm- und Bewegungsdaten bestehender ERP-/PPS-Systeme zurück [Berl 04a]. Durch die Eigenschaften dieser Lösung werden weitreichende Nutzenpotenziale für den Anwender ermöglicht: • Simulieren mit realen Daten: Durch ein EAI-Werkzeug wird die Schnittstelle zu einem vorhandenen ERP/PPS-System, wie z. B. MYSAP, NAVISION, Baan, AP oder INFOR konfiguriert. Damit kann direkt auf Aufträge, Stücklisten, Arbeitspläne und Ressourcen zugegriffen werden. Man vermeidet Datenin- konsistenzen und arbeitet stets mit aktuellen Daten. • Simulieren mit geringem Aufwand: Layoutplanung erfolgt wie in einem klas- sischen Malprogramm durch Verschieben von Maschinen per Drag and Drop. Hierfür werden keine Simulationskenntnisse benötigt, deshalb ist auch ein sehr geringer Schulungsaufwand ausreichend. • Simulieren in Echtzeit: Keine zeitliche Halbwertszeit von Simulationsmodel- len und somit eine fortlaufende und aufwandsarme Ablaufsimulation. Zum besseren Verständnis der Verwendung, Funktionalität und des Nutzens von JobDISPO FAP soll folgendes Anwendungsbeispiel dienen. Anwendungsbeispiel Einer der ersten Anwender von JobDISPO FAP ist der Automobilzulieferbetrieb Weh mit mehr als 100 Mitarbeitern aus Illertissen [Berl 04b], der sich von einem reinen Zulieferbetrieb zum führenden Anbieter von Schnellkupplungen für unterschiedliche Anwendungen und einem Pionier auf dem Gebiet der Erdgas- und Wasserstoffbetankung entwickelt hat. Aufgrund der stetig steigenden Nach- frage im Nischenmarkt für Schnelladapter und einem Umsatzwachstum von 40 % im Jahr 2004 war für den Betrieb ein Umzug unumgänglich. Die bestehen- den Flächen konnten nicht erweitert werden, deshalb entschied man sich 2005 zum Neubau auf einem 20 000 qm Areal in unmittelbarer Nachbarschaft. Zur Fertigungsfeinplanung und Betriebsdatenerfassung unterhalb des bestehenden 292 3 Kanban – der Weg ist das Ziel ERP-SYSTEMS von APS DELTA und demnächst NAVISION setzt das Unter- nehmen seit jeher die entsprechenden JobDISPO-Lösungen ein. „Deshalb lag es nahe mit JobDISPO FAP das neu entwickelte Werkzeug zur Fabrik-, Layout- und Materialflussplanung auszuprobieren. Um den Materialfluss und das neue Werk zu dimensionieren, sind wir wie folgt vorgegangen“, so Produktionsleiter Micha- el Döring: 1. ERP-/PPS-Anbindung: Zuerst wird über eine Schnittstelle zum ERP-/PPS- System geschaffen und die Stamm- und Bewegungsdaten, wie z. B. Ressour- cen, Arbeitspläne und Aufträge werden zeitgesteuert übernommen. Da in vie- len Systemen, wie auch in unserem, logistische Informationen innerhalb der Arbeitsgänge zu Behältern und Transportssystemen fehlen, wurden diese nachträglich hinterlegt. 2. Flächendefinition: Für jede zu verplanende Ressource muss die Grundfläche, die Ein- und Ausgangspuffer sowie die Bedienfläche für den Werker definiert werden. Dies erfolgt in einer 2-D-Ansicht, in der wie in einem klassischen Malprogramm gezeichnet werden kann. Der Erstellungsaufwand hält sich aber durch das Anlegen von vordefinierten Mustern in Grenzen. 3. Layoutplanung: Durch die maßstabsgerechte Anordnung der in der Produk- tion benötigten Flächen wird die Zuordnung von Ressourcen durchgeführt. Hierzu wird mittels einer 2-D-Darstellung die Halle samt Mauern und Toren definiert. Auch hier erfolgt die Bedienung analog zu einem Malprogramm. Im Anschluss wird die Anordnung der vorher flächenmaßstabsgetreu festgeleg- ten Ressourcen in der Halle vorgenommen. Des Weiteren können Bereiche, Wareneingang und -ausgang sowie sonstige planungstechnisch relevante Ob- jekte angelegt werden. Durch Drag and Drop, Zoomen sowie einem skalierba- ren Maßstab wird eine einfache und intuitive Bedienbarkeit erreicht. So kann in kürzester Zeit ein erstes Fabrik- oder Bereichslayout gezeichnet werden. Zudem ist es möglich, beliebige Layouts zu verwalten, zu simulieren und zu drucken. 4. Materialflussplanung: Aufbauend auf einem gezeichneten Layout wird dann die Materialflussplanung durchgeführt. Grundlage hierfür sind die Arbeits- gänge, mittels derer die möglichen Transportwege mit einem intelligenten Wegesuchalgorithmus berechnet werden. Hierbei können auch bevorzugte Transportwege, wie z. B. Hallengänge festgelegt werden. Die resultierenden Materialflüsse werden grafisch dargestellt (siehe Abb. 3.10.2). Des Weiteren kann hier die Berechnung einer optimalen Maschinenanordnung unter Be- rücksichtigung der kürzesten Transportwege angestoßen werden. 5. Ablaufsimulation: Nach der Anordnung der Maschinen in der Halle, erfolgt die dynamische Simulation der aus dem ERP/PPS-System importierten Auf- träge über einen frei definierbaren Zeitraum hinweg. Hierbei werden Behäl- ter und Transportsysteme dynamisch anhand des Arbeitsplans angefordert und der Transport auf den vorher ermittelten Transportwegen durchgeführt. Die sich hieraus ergebenden bzw. simulierten Verteil- und Übergangszeiten sowie der Durchlauf der Aufträge werden interaktiv visualisiert. Man kann 3.10 Fabrik- und Materialflusssimulation direkt aus einem ERP/PPS-System 293 die Simulation an beliebigen Stellen anhalten und Probleme eingehend ana- lysieren. Entscheidend ist, dass diese Ablaufsimulation sehr einfach zu hand- haben ist und keinerlei Simulationskenntnisse notwendig sind. Jedoch sind die Freiheitsgrade in der Definition von Stochastiken für Rüst-, Bearbei- tungs-, Transport- und Wiederbeschaffungszeiten sowie Szenarien für Res- sourcenausfälle etwas begrenzter als in herkömmlichen Ablaufsimulations- werkzeugen. 6. Auswertungen: Nach erfolgter Simulation können entsprechende Auswer- tungen über die Qualität der Planung angestellt werden. Mittels verschiedener Reports können tiefgehende Analysen im Rahmen der Fabrik-, Layout-, Ma- terial- und Transportfluss- sowie Logistikplanung durchgeführt werden. 7. Kontinuierliche Verbesserung: Durch ein konfigurierbares Berichts- und Vorschlagswesen können in einer Ausbaustufe automatisierte Verbesse- rungsvorschläge vom System generiert werden. „Mit JobDISPO FAP haben wir das Hallenlayout und die einzelnen Ferti- gungslinien geplant, um optimale Materialflüsse und kürzeste Wege zu errei- chen. Es sind dabei sehr viele Anregungen von uns in die Weiterentwicklung der Software mit eingeflossen“, erklärt Michael Döring. Setzt man den Aufwand in Relation zum erzielten Nutzen, so kommt Herr Döring zu einer klaren Aussage: „Die Investition in JobDISPO FAP war absolut rentabel. Wir haben nun einen kontinuierlichen Rekonfigurierungsprozess und richten so unsere Produktions- strukturen und -prozesse stets optimal auf den Markt hin aus.“ Abb. 3.10.2 Layout- und Materialflussplanung mit JobDISPO FAP 294 3 Kanban – der Weg ist das Ziel 3.11 Störparameter im Materialfluss und in Produktionssystemen Holm Fischäder, Herfried M. Schneider; Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Technischen Universität Ilmenau Logistische und fertigungsbezogene Störungen induzieren Abweichungen bei geplanten Prozessabläufen und -ergebnissen. Unvorhergesehene Einwirkungen auf Produktionssysteme sind in der industriellen Praxis allgegenwärtig. Damit verbunden sind negative Einflüsse auf die strategischen Erfolgsdimensionen Qua- lität, Zeit und Kosten. Speziell Materialflüsse zwischen logistisch eng gekoppelten Produktionsstufen haben eine höhere Anfälligkeit für Störungen. In getakteten Materialflusssystemen haben Störungen schnell weitläufige Unterbrechungen des Materialflusses zur Folge. In den vergangenen Jahren sind im Rahmen der Bemü- hungen um eine „Verschlankung“ der Produktionssysteme immer mehr Prozess- und Ressourcenrestriktionen abgebaut und Wertschöpfungsprozesse hinsichtlich kürzerer Durchlaufzeiten umgestaltet worden [Woma 04, Seki 95]. Fallen System- reserven und Möglichkeiten der Prozessentkopplung (Kapazitäts-, Zeit- und Men- genpuffer) weg, steigt zusätzlich die Störanfälligkeit von Produktionsprozessen. Vor diesem Hintergrund ist das Sicherstellen stabiler Wertschöpfungsprozesse eine Problemstellung des Störungsmanagements. Für die Überwachung der Leis- tungserstellung in Produktionssystemen existieren (Software-)Lösungen, die auf eine (Echtzeit-)Visualisierung von Bedarfs-, Bestands- sowie Kapazitätsinforma- tionen und damit auf eine informatorische Transparenz in mehrstufigen Produk- tionsprozessen abzielen [Graf 04, Alik 04]. Bislang sind jedoch Konzepte, die im Störfall mehrere Wertschöpfungsstufen übergreifende Störungswirkungen prog- nostizieren und die Konfiguration von Maßnahmen der Störungsreaktion unter- stützen, nicht in geeigneter Weise verfügbar. Störungen in Produktionssystemen sind an das Auftreten von Störgrößen ge- bundene, zeitlich befristete und zufällige Einwirkungen auf den Prozess der Leis- tungserstellung. Die Ursachendimension der Störung beschreibt das Auftreten einer solchen – exogen auf das Bezugssystem oder aber (endogen) aus diesem heraus – unabhängig von anderen Größen und nicht kontrollierbar wirkenden Störgrößen (vgl. Abb. 3.11.1 – in Anlehnung an Fischäder/Dittrich [Fisc 04]). Extern induzierte Störungsursachen sind beispielsweise • verzögerte, falsche oder fehlerhafte Materialbereitstellungen durch den Liefe- ranten, • kurzfristige Änderung von Auftragsspezifikationen durch den Kunden. Zu bezugssystem-intern auftretenden Störgrößen zählen • Ausfälle von Betriebs- und Transportmitteln und • Personalausfälle. 3.11 Störparameter im Materialfluss und in Produktionssystemen 295 Störgrößen können Abweichungen geplanter Prozesse hervorrufen. Die Wir- kungsdimension stellt auf diese Abweichungen ab und beschreibt beispielsweise den zeitlichen Verzug eines terminierten Fertigungsauftrages. Die durch die Störgröße induzierte Zustandsänderung des betrachteten Produktionssystems ist von bestimmter Dauer. Die Zeitspanne zwischen Beginn und Ende der Stö- rungswirkung wird als manifeste Störungsphase bezeichnet [Heil 95]. Dieser kann eine so genannte Latenzphase vorausgehen. Sie umfasst die Zeitspanne zwischen der Einwirkung der Störgröße (Störungsursache) und dem Eintritt der durch sie hervorgerufenen Wirkung auf den Auftragsdurchlauf. (vgl. [Heil 95]). In einer umfassenden Sichtweise sind drei Ansatzpunkte für die Stabilisierung von Produktionssystemen zu identifizieren und unter Berücksichtigung ihrer Wechselwirkungen zu gestalten [Pati 01, Heil 95]. Präventives Störungsmanage- ment verfolgt das Ziel, das Produktionssystem so zu gestalten, dass potenzielle Ursachen von Störungen eliminiert werden. Die Unsicherheit, mit der ein System Felder der Störgrößeneinwirkung Bezugssystemintern induziert extern induziert Fall A - Lieferantensicht - Bereitstellung von Verbrauchs- faktoren ist gestört (Lieferungen in unzureichender Qualität, Lie- ferung ausgefallen usw.) - Kundensicht - Kurzfristig und unvorhersehbar treten Änderungen der Produk- tionssystembelastung auf (Modifikation Auftragsumfang und/oder Arbeitsinhalt). Fall D: Überlagerung der Fallgruppen A bis C Potenzialausstattung des Produk- tionssystems unterliegt Störein- flüssen (Produktionsfaktoren Be- triebsmittel und objektbezogene menschliche Arbeit). Intern induzierte Störgrößen führen zu einer (zeitlich befristeten) Redu- zierung des Kapazitätsangebotes. Fall C nachfrageseitig induziert Fall B versorgungsseitig induziert Sowohl die Ressourcenausstattung als auch das Produktionsprogramm unterliegen Störeinflüssen. Abb. 3.11.1 Störgrößeneinwirkungen auf den Materialfluss Latente Phase Zeitliche Reichweite der Pufferung (Bestände, Überkapazität ) Meldezeit Diagnosezeit Entstörzeit Auftritt der Störgröße (Störungsursache ) Beginn der Störungswirkung (auf den Auftragsdurchlauf ) Ende der Störungswirkung Zeit Manifeste Phase Anpassungsplanung und -umsetzung Abb. 3.11.2 Phasen des Störungsverlaufes 296 3 Kanban – der Weg ist das Ziel konfrontiert ist und damit die praktische Vielfalt an Störungsursachen sind im Regelfall so groß, dass das Auftreten von Störungen in betriebswirtschaftlich sinn- voller Weise nicht vollständig vermieden werden kann. Störungsmanagement muss deshalb auch die Strategien Antizipation und Reaktion umfassen. Antizipa- tives Störungsmanagement konkretisiert sich in der Planung und Bereitstellung von Systemreserven in Form von Zeit-, Mengen- und Kapazitätspuffern. Reaktives Störungsmanagement umschließt Sanierungsmaßnahmen und impliziert demge- genüber Rückgriffe auf Potenziale dispositiver Art mit dem Ziel der flexiblen Reak- tion auf eingetretene oder unmittelbar bevorstehende Störungen. Das Manage- ment von Störungen muss integraler Bestandteil von Konzepten der Planung und Steuerung von Materialflüssen sein. Derzeit bestehen konzeptionelle und verfah- rensmethodische Defizite. Die Unterstützung störungsbezogener Entscheidungen in dynamischen Planungs- und Realisierungskontexten bedingt ein Modellsystem, welches die Aufteilung von Maßnahmen in zwei Entscheidungsfelder gestattet: • Reaktionen auf Störungen: Auf störungsbedingte und kurzfristig eingetretene Veränderungen von Kapazitätsangebot und/oder -nachfrage kann mit For- men der zeitlichen, intensitätsbezogenen oder quantitativen Anpassung rea- giert werden. • Maßnahmen der Störungsabwehr: Durch die Einführung von Systemreserven (z. B. redundante Anlagen, Sicherheitsbestände) kann die Ausbreitung von Störungswirkungen in mehrstufigen Produktionsprozessen reduziert werden. Materialflüsse werden (im Störfall) entkoppelt. Verallgemeinerte Entscheidungsnetzpläne und Markov-Ketten bilden eine geeignete methodische Grundlage für die Darstellung von Systemstrukturen und die Analyse der Verhaltensweise gestörter Produktionssysteme (zu einem ent- sprechenden Modellierungsansatz vgl. [Fisc 04] S. 147 ff., [Fisc 05] S. 236 ff., zu einem praktischen Beispiel insbesondere [Fisc 05] S. 241 f.). Unterschiedliche Störungsursachen (Störgrößen) ziehen je nach Ausmaß, Einwirkungsort und -dauer im Produktionssystem unterschiedliche Wirkungen nach sich. Es interes- siert, welche Auswirkungen auf die Materialflüsse im Vergleich zum ungestörten System zu erwarten sind. Prognostizierte Wirkungen von Störungen auf den Auftragsdurchlauf sind die Grundlage für die Konfiguration von Anpassungs- maßnahmen. Das Modellsystem gestattet es, in konkreten Störsituationen echt- zeitnah Aussagen zu treffen. Diese Aussagen klären, inwieweit Störungen inner- halb eines Teilbereiches des betrachteten Produktionssystems absorbiert werden können oder mehr als einen Produktionsbereich betreffen und durch welche Maßnahmen das System aus dem gestörten in den Normalzustand überführt werden kann. Die Darstellung und Bewertung von Störungswirkungen, die meh- rere Produktionsstufen übergreifen, ist Voraussetzung für deren kostenoptimale Kompensation. Störungen beeinflussen Kostenarten, wie • Bearbeitungskosten und verrechnete Gemeinkosten, • Bestandskosten sowie • Lieferrückstandskosten. 3.12 Flexible Entgeltsysteme 297 Kosten der situationsspezifisch zu ergreifenden Anpassungsmaßnahme und Kosten hervorgerufen durch die Störung selbst werden erfasst. Störungsmanage- ment zielt auf die Minimierung dieser beiden Kostenkategorien in ihrer Ge- samtheit ab [Fisc 05]. Der Modellierungs- und Optimierungsansatz ist Kern eines Entscheidungsunterstützungssystems für ein Störungsmanagement. Als Funktionskomponente eines Koordinationsleitstandes liefert das System situa- tionsgerecht eine Informationsbasis und Handlungsvorschläge zur Kompensa- tion von Störungswirkungen. 3.12 Flexible Entgeltsysteme Franz-Josef Stellpflug In vielen Abschnitten des Buches werden Möglichkeiten erfolgreicher Organisa- tionsformen beleuchtet und erklärt. Im Mittelpunkt der unterschiedlichen Orga- nisationen steht als wesentliches Element die Technik, doch die besondere und wichtigste Ressource für den Erfolg ist der MITARBEITER. Es ist daher von be- sonderer Bedeutung, den Mitarbeiter in den Aufbau, die Umsetzung und die Weiterentwicklung von Veränderungsprozessen einzubeziehen. Die Einführung von flexiblen Entgeltsystemen erfordert, wie bei allen Veränderungsprozessen, Einbezug der Mitarbeiter und/oder deren Vertreter. Eine entsprechende Projekt- organisation, die die gesetzlichen und tariflichen Vorgaben berücksichtigt, be- schreibt in einer Betriebsvereinbarung die entsprechenden Regelungen. Dies ist nötig, um den Veränderungsprozess auch in Entgeltfragen beeinflussen und dynamisch gestalten zu können. Es gilt daher für Unternehmen und Mitarbeiter, die Chance aufzugreifen, bei Veränderungsprozessen auch die begleitende Ent- geltstruktur zu hinterfragen, als sich an antiquierte Entlohnungsformen zu klammern. Eine an den Unternehmenszielen ausgerichtete, durchgängige, trans- parente Entgeltstruktur schafft Sicherheit und Motivation bei allen Mitarbeitern. 3.12.1 Arbeiten in Teams Untersuchungen haben ergeben, dass in dezentralen Organisationsformen mit horizontaler Kommunikation erheblich bessere Ergebnisse bezüglich Planungs- stabilität und Reaktionsfähigkeit auf Veränderungen im Fertigungsprozess und Arbeitsinhalte in der Fertigung zu erzielen sind als in zentral gesteuerten Ferti- gungsprozessen [Bull 93]. Dies entspricht im Wesentlichen dem Inhalt von Lean Production. Weiter kann festgestellt werden, dass Firmen, in denen Gruppen- oder Teamarbeit erfolgreich eingeführt wurde Erfolge in Bezug auf: • Zeit, • Qualität, • Kosten und • Motivation 298 3 Kanban – der Weg ist das Ziel erreicht haben. Es sind daher in vielen Produktionssystemen Inhalte zur Grup- pen- oder Teamarbeit enthalten. Als Erfolgsfaktoren für die Umsetzung von schlanken Strukturen bei Team- arbeit haben sich Elemente bewährt, die die Eigenverantwortung der Mitarbeiter stärken. Zu nennen sind hier • Konzentration auf Wertschöpfung, • Übernahme von Aufgaben aus dem TPM, • Mitwirkung bei der Layoutgestaltung (Mirosystem), • Integration indirekter Tätigkeiten, • Qualifizierung der Mitarbeiter, • neue Entlohnungskonzepte, • KVP (Kontinuierlicher Verbesserungsprozess) und • Stärkung des Produktbewusstseins. Von diesen Elementen soll auf den Bereich der neuen Entlohnungskonzepte an dieser Stelle näher eingegangen werden. 3.12.2 Flexibilisierung der Einkommen Nach Einschätzung von Arbeitern und Angestellten in der Metall- und Elektro- industrie in Deutschland sind die Hälfte (51 %) der Befragten für ein leistungs- bezogenes Entgeltsystem. Diese Einschätzung wurde auf die Frage „Was führt zu einer gerechten Entlohnung?“ gegeben [Demo 02]. Immerhin sind 29 % der Be- fragten für feste Einkommen und 20 % unentschieden oder sagten „kommt drauf an“. Nach dem „Äquivalenzprinzip“ von Kosiol [Kosi 62] beinhaltet der leistungsgerechte Lohn zwei Komponenten: 1. das Prinzip der Äquivalenz von Lohn und Anforderungsgrad (Anforderungs- gerechtigkeit) und 2. das Prinzip von Äquivalenz von Lohn und Leistungsgrad (Leistungsgerech- tigkeit i. e. S.). Zum ersten Punkt ergeben sich aus den meisten Tarifverträgen einheitliche Regelungen wie eine Äquivalenz hergestellt werden kann. Zum zweiten Punkt sind entsprechende Freiheitsgrade in der Gestaltung gegeben. Der auf den reinen Mengenausstoß fokussierte Akkord hat in Arbeitssystemen, die um obige Inhalte angereichert wurden ausgedient. Vielmehr sind Entgelte in Form von Prämien oder Leistungsvereinbarungen eher geeignet, die Prozesse zu honorieren. 3.12.3 Beispiel für ein leistungsorientiertes Entgelt Am Beispiel eines leistungsorientierten Entgelts eines Unternehmens der Zulie- ferindustrie wird die Kombination von mehreren Komponenten innerhalb des Leistungsentgelts deutlich: 3.13 Durchgängige Schulungssysteme – Qualifizieren statt kapitulieren 299 Abb. 3.12.1 Entgelt Aufbau Abb. 3.12.2 Aufbau leistungsorientiertes Entgelt Ausgehend von den Zielen des Unternehmens zur Wahrung der Wirtschaft- lichkeit ist das Element der Produktivität enthalten. Im Sinne der Kunden- Lieferanten-Vereinbarung ist der Baustein Qualität für interne wie externe Pro- zesse berücksichtigt worden. Als dritte Komponente werden teamspezifische Kenngrößen, wie Reduzierung der Durchlaufzeit, Sicherung der Anlagennut- zung durch Einhalten der Wartungszeiten, Ordnung, Sauberkeit und Arbeitssi- cherheit, Anzahl durchgeführter Verbesserungen im Team, Bereitschaft zur Qualifikation und Flexibilität honoriert. 3.13 Durchgängige Schulungssysteme – Qualifizieren statt kapitulieren Oliver Kress, ROI Management Consulting AG Schlanker Materialfluss, Lean Production, Kanban und weitere Schlagworte der schlanken Produktion sind für den einen das tägliche Brot, für den anderen eher abschreckendes Neudeutsch. Der teilweise zögerliche oder besser gesagt verhaltene Umgang mit diesen Methoden liegt oft in der missverständlichen Interpretation dieser Begrifflichkeiten. So werden diese Methoden häufig mit Arbeitsplatzvernichtung und Stellenabbau in Verbindung gebracht. Dies ist allerdings ganz und gar nicht der Fall. Häufig werden Veränderungen erst in der Krise durchgeführt, in der man durch andere Umstände gezwungen ist, Arbeitsstellen abzubauen. Beispiele von schlanken Unternehmen zeigen hier 300 3 Kanban – der Weg ist das Ziel jedoch gegenläufige Entwicklungen, sodass nach der Implementierung von Lean-Manufacturing-Methoden neue Arbeitsplätze geschaffen werden konnten. Im Folgenden werden die Möglichkeiten einer Abhilfe solcher Interpretations- defizite diskutiert. So werden mittels durchgängiger Qualifizierungskonzepte Trainingsbausteine beschrieben, die Verständnis für das Thema Lean in seiner Ganzheit und Komplexität schaffen und die Anwendung in der Praxis sowie den Umsetzungserfolg aufzeigen. Auch wird der Aufbau dieser Qualifizierungs- programme erläutert und die Notwendigkeit ihrer konsequenten Umsetzung diskutiert. 3.13.1 Konsequente Umsetzung als Erfolgsgarantie Warum gibt es dieses Missverständnis? Zum einen fehlt es an der nötigen Auf- klärung der Unternehmer, was sie eigentlich mit diesen Methoden erreichen können und zum anderen an der Kenntnis, welche Verpflichtungen auf sie als Führungskräfte zukommen. Um jedem Mitarbeiter vom Shopfloor bis zum Top Management diese Aufgaben und Verantwortungen zu vermitteln, gilt es ent- sprechende Qualifizierungsprogramme zu entwickeln. Dabei ist zu beachten, dass die reine Einführung der schlanken Produktionsmethoden nur einen klei- nen Teil des Erfolgskonzeptes ausmacht. So stellen diese Methoden schlichtweg eine Notwendigkeit der produktiven Produktion dar. Um die Produktivität eines Unternehmens jedoch langfristig zu sichern, bedarf es der konsequenten An- wendung der Lean-Enterprise-Methoden im gesamten Unternehmen sowie deren permanente Weiterentwicklung und Optimierung. Dabei spielt bei der Methodenimplementierung die Unterstützung durch das Management eine tragende Rolle (vgl. 1.18 Probleme sind Schätze). Man muss allerdings lange suchen, bis man Unternehmen findet, die den Wandel zum schlanken Unter- nehmen bereits vollzogen haben. Dieser Wandel wird in den meisten Fällen nur halbherzig vollzogen oder an entsprechende Berater delegiert, die das komplexe Know-how des Lean-Enterprise-Ansatzes nicht vollständig durchdrungen ha- ben. Deshalb werden oftmals in den Unternehmen nur Suboptima erreicht und der halbherzig begonnene Wandlungsprozess zum schlanken Unternehmen endet nicht selten in einem Desaster. Durchgängige Schulungskonzepte Abhilfe kann hier eine fundierte Qualifizierung der Mitarbeiter in den Methoden des ganzheitlichen Lean-Enterprise-Ansatzes leisten. Hierfür werden entspre- chend des Bedarfs der Zielgruppen im Unternehmen spezielle Qualifizierungs- programme entwickelt. Der Erfolg dieser Trainingsprogramme liegt in der auf die Zielgruppe abgestimmten Kombination aus Theorie- und Praxiseinheiten. In den Theorieeinheiten werden den Teilnehmern die Methoden vermittelt, die sie im späteren Alltag für die Lean-Transformation benötigen. Gepaart mit dem Praxis- projekt, bei dem die Teilnehmer in der Analyse, Umsetzung und Stabilisierung 3.13 Durchgängige Schulungssysteme – Qualifizieren statt kapitulieren 301 einer Lean-Implementierung gecoacht werden, ergibt das einen vollen Lernerfolg. Dieses intensive Training eignet sich besonders für Menschen, die im Unterneh- men später eine übergreifende Optimierungs- oder Führungsrolle innehaben. 3.13.2 Wesentliche Bestandteile erfolgreicher Trainingsprogramme Doch wie definiert sich ein erfolgreiches Qualifizierungsprogramm? Was erwar- ten die Teilnehmer? Wie transferiert man spezielles Know-how zielgerichtet, um Komplexität transparent und begreifbar zu machen? Alle diese Fragen gilt es bei der Konzeption von Trainingsprogrammen zu berücksichtigen. 1. Analyse der Problemstellung und Ermittlung passender Konzepte: Zunächst ist das Verständnis und Interesse der Teilnehmer herauszuarbeiten: Was sind deren Belange, Ängste oder Ideen? Nur wenn man die Zielgruppe genau kennt, kann man ein spezifisches Qualifizierungsprogramm entwickeln. Es bedarf daher neben der allgemeinen Konzeption des Trainingsablaufs auch der speziellen Erarbeitung von Trainingsunterlagen. Hierzu zählen neben adäquaten Schulungsunterlagen auch Filme, Best-Practice-Beispiele aus an- deren Firmen oder firmeneigenen Vorzeigebereichen sowie spezielle Simula- tionsspiele. Unter Simulationen versteht man hier die übertragene Darstel- lung von Produktionsprozessen in Modellfabriken. Dies kann im einfachsten Fall eine Anordnung von Stationen sein, an denen Papier in unterschiedli- chen Formen gefaltet werden muss. 2. „Coachen“ statt Anweisen: Ziel ist es, den Teilnehmer durch die Dramaturgie des Trainingsaufbaus kontinuierlich auf die bevorstehenden Aufgaben vor- zubereiten und ihn bei der Umsetzung zu unterstützen. 3. Aufbau interner Kompetenz: Den wesentlichen Vorteil von Qualifizierungs- programmen findet man in der Weitergabe von Wissen an die Personen, die später diese Prozesse in der Praxis realisieren müssen. Nur durch gezielte Weitergabe dieses Wissens gelingt es, den langfristigen und gezielten Know- how-Aufbau zu sichern. Durch die Befähigung der Personen im Unterneh- men schwindet zunehmend auch die Angst vor „neudeutschen“ Begrifflich- keiten. Auch der Wandel von der externen Beratung der Mitarbeiter hin zu der eigenen Identifikation mit diesen Themen beginnt. Nicht selten entsteht ein wahrer Begeisterungsstrom, und im Unternehmen gibt es eine regelrechte Infizierung mit dem „Lean-Virus“. 4. Einbinden: Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass die Scheu vor Neue- rungen dem Interesse und der Aufgeschlossenheit weicht. Solch einen Wandel kann man am besten erzielen, indem man die Mitarbeiter integriert und sogar noch einen Schritt weiter geht und die Mitarbeiter auch für die Realisierung verantwortlich macht. Solche Bewegungen gehen bis hin zu zum Aufbau in- terner Verbesserungsorganisationen, die Aufgaben ehemaliger externer Bera- ter oder Trainer selbstständig übernehmen. Diese Entwicklung ist das Ideal- 302 3 Kanban – der Weg ist das Ziel ziel der Qualifizierungsmaßnahmen. So entsteht ein von innen angetriebener Prozess, der vollständig auf die Belange des Unternehmens ausgerichtet wird. 5. Identifikation der Führung: Funktionieren wird dies allerdings nur, wenn auch die Führung des Unternehmens konsequent auf die Implementierung dieser Methoden baut. Hier dürfen keinerlei Zweifel auftreten. Nur die absolu- te und konsequente Verfolgung der Lean-Gedanken kann den Erfolg des Un- ternehmens ausmachen. Dass dies der richtige Weg ist, zeigen die Unterneh- men, die diesen Weg in aller Konsequenz gegangen sind. Hierzu zählen nicht nur die bekannten japanischen Vorzeigeunternehmen. Auch in Deutschland gibt es durchaus Firmen, die bewiesen haben, dass ihre Mitarbeiter über das Know-how und die Kompetenz für das Implementieren und konsequente Betreiben schlanker Systeme verfügen. Die gezielte und zielgruppenorientierte duale Trainingsmethode hat sie auf ihrem Weg der Transformation begleitet und befähigt. 3.13.3 Erfolgsfaktoren bei der Umsetzung Hierarchieabhängige Qualifizierungsprogramme Mit der alleinigen Gestaltung und dem Willen zur Realisierung solcher Qualifi- zierungsmaßnahmen ist der Erfolg aber noch nicht garantiert. Dazu gehört we- sentlich mehr. So ist es wichtig, dass entsprechende Qualifizierungsprogramme für die entsprechenden Hierarchieebenen konzipiert werden und in definierter Regelmäßigkeit durchgeführt werden. Diese Regelmäßigkeit ist von Unterneh- mensgröße, Lean-Realisierungsgrad sowie der Stellenneubesetzung abhängig. So gibt es beispielsweise Unternehmen, die neue Mitarbeiter erst dann in die Ver- antwortung ihrer neuen Position lassen, wenn diese die für ihre Hierarchieebene angedachte Qualifizierung auch nachweislich durchlaufen haben. Richtiges Verhältnis von Top-Down- zu Bottom-Up-Qualifizierungen: Von ebenso großer Bedeutung ist die richtige Mischung des Verhältnisses von Top-Down- zu Bottom-Up-Qualifizierungen. Eine häufig angewandte Methodik zur Verbreitung der Lean-Kompetenzen im Unternehmen ist die Kaskadenschu- lung. Mit Hilfe dieser Methode wird versucht dieses Wissen möglichst schnell Top-Down in das Unternehmen zu bringen. Prinzipiell ist gegen diese Vorge- hensweise nichts einzuwenden, der Erfolg dagegen oft zu vernachlässigen. Die Gründe hierfür liegen sehr oft in der nur mangelhaften Identifikation der jeweils verantwortlichen Personen mit diesem Thema. Sie sind oft nur unzureichend informiert und delegieren diese Tätigkeit der Informationsweitergabe über die Kaskade meist an Mitarbeiter, die noch weniger informiert sind als sie selbst. Dies führt letztendlich zu einem enormen Informationsverlust entlang der Kas- kade und somit zu einer mangelnden Identifikation mit diesem Thema. Im Ge- genzug entsteht durch Lean-Workshops und Projekten eine gewisse Gegenbe- wegung, die das Thema Lean von Bottom-Up in das Unternehmen trägt. 3.13 Durchgängige Schulungssysteme – Qualifizieren statt kapitulieren 303 Besondere Integration des mittleren Managements Dies führt häufig zu entsprechenden Konflikten zwischen dem Shopfloor und dem mittleren Management. Da die Überzeugung auf dem Top-Management-Level und dem Shopfloor durchaus vorhanden ist, kommt dem mittleren Management eine zentrale Rolle zu, um den Prozess voranzutreiben. Hier fehlt aber häufig mangels entsprechender Qualifikation die Überzeugung von der Sinnhaftigkeit der Lean-Methode. Man identifiziert diese Methode eher mit Kompetenzverlust und der Abgabe von Managementkompetenzen auf den Shopfloor, was wiederum zu einer eher zögerlichen Unterstützungshaltung gegenüber den Lean-Methoden führt. Aus diesem Grund ist bei den zu konzipierenden Qualifizierungsprogram- men dem mittleren Management eine große Bedeutung beizumessen. Angepasste Implementierungsgeschwindigkeit und Qualifizierungssequenzen Auch die richtige Einschätzung der Umsetzungsgeschwindigkeit darf nicht falsch beurteilt werden. Wer glaubt, dass sich solche Methoden in kürzester Zeit im Unternehmen nachhaltig verankern lassen, irrt gewaltig. Dieser Prozess be- nötigt Zeit und Geduld, aber auch entsprechenden Nachdruck und Konsequenz in der Umsetzung. Die Implementierung der Methoden ist dabei nicht das einzi- ge Kriterium, das nötig ist, um eine nachhaltige Lean-Kompetenz zu erreichen. Vielmehr ist ein Mind-Set oder auch Mind-Change der Mitarbeiter notwendig, um diesen Erfolg nachhaltig abzusichern. Konzentration auf das Wesentliche Eine zu hohe Erwartung hinsichtlich der Umsetzungsgeschwindigkeit wird man- che in ihrem Verhalten ungeduldig werden und immer nach neuen Methoden suchen lassen, um möglichst alles zu machen, was gerade in Mode ist. Diese Vorgehensweise führt allerdings in den meisten Fällen nur zu Verwirrung und Orientierungslosigkeit bei den Mitarbeitern und einem weiteren Umsetzungs- stau beim Lean-Vorhaben. Nur eine konsequente, sehr zielgerichtete und der „Change-Geschwindigkeit“ angepasste Umsetzung und Qualifizierung wird den geplanten Erfolg bringen. 3.13.4 Lean-Enterprise-Methoden zur Standortsicherung Der Erfolg lässt keine Zweifel offen. Outsourcing oder Verlagerung der manuel- len Tätigkeiten in östliche Länder muss nicht immer der richtige Weg sein. Vielmehr gilt es, sich auf das vorhandene Potenzial der Mitarbeiter zu konzen- trieren und mit ihnen gemeinsam den Weg des Wandels zu beschreiten. Aber neben aller Qualifizierung ist die klare Aussage des Managements und dessen Integration in den Wandel- und Qualifizierungsprozess ein wesentlicher Teil des Erfolges und besitzt höchste Priorität. 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban Philipp Dickmann Nach Schätzungen von Mercer Management Consulting und dem Fraunhofer Institut wird der Wertschöpfungsanteil in der Automobilindustrie von durch- schnittlich 35 % im Jahr 2002 auf 23 % im Jahr 2015 sinken [Merc 04]. Der Trend, die Produktionstiefe oder allgemeiner, die Wertschöpfungstiefe, zu reduzieren, hat zur Folge, dass die Kaufteile den größeren Teil der Wertschöpfung einneh- men. Die Optimierungspotentiale und der Einfluss auf die Kosten wandern im- mer mehr zu den Lieferanten, vor allem bei größeren Unternehmen oder Kon- zernen. Lieferanten-Philosophien, die auf oberflächlichen Verbindungen zu Lieferanten aufbauen, um immer optimal und schnell den günstigsten Teilepreis zu erhalten, haben sich in vielen Sparten oder Produktbereichen, z. B. im Ma- schinenbau, im besten Fall als kurzfristig erfolgreich erwiesen. Kooperative und nachhaltige Strategien sind der erfolgversprechendere Weg, zumindest mittel- bis langfristig. In der Realität wird sehr wenig in Supply Chain-Konzepte inves- tiert und die Umsetzungen sind daher vielmals oberflächlich. Sie sind auf Studien beschränkt oder nicht nachhaltig umgesetzt. Grundsätzlich lassen sich drei wesentliche Supply Chain-Typen (SC-Typen) unterscheiden (s. Abb. 4.0.1) [Maie 06]: • Beschaffungs- oder produktionsorientierte Supply Chain (SC-Typ 1): Diese Methode zielt auf Kosteneinsparung durch große Losgrößen ab. Typische Anwendungsfälle sind Bereiche mit hohen Rüst- und Beschaffungsfixkosten. Charakteristische Merkmale sind hohe Lager- und Puffermengen, die eine von den Kundenbedarfen entkoppelte Produktion erlauben. • Planorientierte Supply Chain (SC-Typ 2): Die maximale Ausbringung steht im Vordergrund dieses Ansatzes. Bedarfsschwankungen werden über Be- standspufferstrategien ausgeglichen. • Bedarfsorientierte Supply Chain (SC-Typ 3): Durch hohe Geschwindigkeit der Prozesse entlang der Supply Chain wird angestrebt, die Bedarfe innerhalb der Lieferzeit zu beschaffen, zu produzieren und auszuliefern. Bedarfsschwan- kungen werden mit einer flexiblen oder synchronen Produktion abgebildet. Die definierten Typen sind dabei nur bedingt branchenspezifisch. Vielfach entscheiden die Unternehmensstrategien, zu welcher Gruppe ein Unternehmen zählt. Zur Bewertung der Gruppenzugehörigkeit oder allgemein zur Bewertung der Flexibilität lässt sich der Zeitfaktor aus Durchlaufzeit (DLZ) und Wieder- beschaffungszeit (WBZ) in Relation zur Lieferzeit in der Branche heranziehen 306 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban (s. Abb. 4.0.1). Das Optimieren der Flexibilität mit kleineren Losgrößen und DLZ bringen folgende Vorteile [Maie 06]: • Optimierung der DLZ ohne Veränderung des SC-Typs: Im Rahmen der Stu- die von [Maie 06], wurde die Zeitfaktoren um mehr als 40 % reduziert und der Cash Flow wurde um 30 % verbessert. • Veränderung zum bedarfsorientierten SC-Typ: Selbst ein erhöhter Einstands- preis von bis zu 40 % des Ausgangspreises kann durch die reduzierte Kapital- bindung und die Logistikkosten kompensiert werden. Kürzere Reaktionszeiten auf Kundenwünsche können zudem zu einer zusätzlichen Umsatzsteigerung führen. Die in dem Artikel von K. J. Maier beschriebene Studie des Instituts für Pro- duktionsmanagement und Logistik der Fachhochschule München belegt einmal mehr die betriebswirtschaftlich messbaren Vorteile, die eine Ausrichtung des Supply-Chain-Managements (SCM) an den Zielen der flexiblen Produktion bringt. Das Ergebnis zeigt, dass einseitige Einkaufspreis-Orientierung nur zu einer scheinbar fundierten Aussage bezüglich der Einsparung oder der Gesamt- kosten führen kann. Das Ergebnis nimmt eindeutig Stellung für die flexiblen Produktionsmethoden und damit letztlich für TPS. Dies gilt umso mehr, als bei dieser Studie nur einfach greifbare Kostenvorteile berücksichtigt werden konn- ten. Da die Charakteristik von TPS darüber hinaus positiv auf interdisziplinäre Hardfacts und Softfacts im mittel- bis langfristigen Bereich reagiert, kann in einer Studie nur ein kleiner Teil der positiven Auswirkungen gezeigt werden. Um wirkliche Einsparungen zu erreichen, ist es jedoch nötig, die Produktions- prozesse unter Berücksichtigung der Ziele grundlegend zu restrukturieren. Eine genaue Betrachtung von Kanban, Ship-to-line, JIT- oder JIS-Installationen zeigt häufig, dass SCM nur scheinbar, sehr oberflächlich oder in einer sehr geringen Penetration implementiert wurde. Häufig werden nur Kennzahlen anders ermit- pl an or ie nt ie rt treitneirosfradeb treitneirosfradeb :gnureimitpO ruz batsßamsgnutreweB ZLD + ZBW ZL = rotkaftieZ deddA eulaV cimonocE gnureimitpO Op tim ie ru ng sp ot en tia le besc ah ff nu sg - o ed r preisorientiert Optim ierungspotentiale tiezsgnuffahcsebredeiW = tiezfualhcruD = tiezrefeiL = ZBW ZLD ZL Abb. 4.0.1 Typen von Unternehmensnetzwerken [Maie 06]: Der Kennwert Zeitfaktor erlaubt die Bewertung der Lieferantentypen. 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban 307 telt, Verträge geändert, Puffer zu Lieferanten bzw. zum Spediteur verschoben oder Puffer „getarnt“, etwa als Konsignationsbestände, Verlagerung der Be- standsverantwortung oder Frozen Zone. Tatsächliches SCM setzt neben dem Restrukturieren der Produktions- und Logistikprozesse auch ein fundiertes Informationsmanagement voraus: • Feinabruf: Der Abruf stößt (nur) den tatsächlichen Versand an. • Mittelfristige Prognose: Aufgrund der mittelfristigen, mehrmonatigen Be- darfsplanung werden tatsächliche Bedarfsspitzen erkennbar. Wesentlich ist es, Schwankungen, die den Peitscheneffekt auslösen, entgegenzuwirken. • Kapazitätsplanung: Bei SCM in der Praxis wird die Kapazitätsplanung häufig auf Managementebene definiert. Eine konservative Investitionsstrategie ist dabei das leitende Motiv. Eine in Verbindlichkeit und Grenzwerten definierte Kopplung der Kapazität an die mittelfristige Prognose bringt den Vorteil ei- ner mittelfristigen dynamischen Anpassung. • Flexibilität- und Verbindlichkeitsplanung: Flexibilität und Verbindlichkeiten müssen vertraglich klar vereinbart werden, da sich dahinter die Kosten für Cash Flow und Investitionen verstecken. Puffer und Reaktionszeiten können dynamisch mit Faktoren (z. B. 80 % eines Monatsbedarfes) oder statisch als fixe Mengen (2000 Stück) definiert werden. Auch die Verbindlichkeiten und Kapazitätsgarantien können dynamisch an der mittelfristigen Prognose fest- gemacht werden [Dick 04]. • Definition von Logistikparametern: Die Tragweite der Definition der Lo- gistikparameter wird vielfach unterschätzt. Die tatsächlichen Auswirkungen, z. B. von Verpackungen, können enorme Summen annehmen (vgl. 3.6 Ver- packung). • Allgemeine Kooperationsdefinitionen: Dazu gehören verschiedenste Leitsät- ze und Verträge, welche die „Spielregeln“ der Zusammenarbeit verbindlich festlegen. Diese Informationskonzepte entsprechen in ihrer Bedeutung einer Manage- mentaufgabe. Das Ziel von SCM ist es, die für die Kundenanforderungen pas- sendsten Produktions- und Logistikprozesse zu finden, aufzubauen und „in Serie zu schalten“. SCM wird oft mit hoch komplexen IT-Lösungen gleichgesetzt. IT kann tatsächlich in einzelnen Feldern, wie bei der Datenübertragung, unterstüt- zend wirken. Allerdings kann ein hoch entwickeltes SCM auch ohne Internetpor- tale oder EDI-Umsetzungen, also mit einfacheren Mitteln, gleichermaßen effizient umgesetzt werden. Dies stellt gerade für kleine und mittelständische Betriebe einen kostengünstigen Weg dar, SCM zu implementieren. Die Qualität von SCM lässt sich an einer möglichst geringen und übersichtlichen Zahl an Informationen erkennen, die tatsächliche Veränderungen einfach und „mit einer gewissen Träg- heit“ darstellen. Ein weiteres Merkmal sind einfache, standardisierte Manage- mentelemente, die eine kompetente und eindeutige Kommunikation erreichen. Durch SCM sollte folgende operative Arbeitsweise erreicht werden: „Alles läuft von selbst im Tagesgeschäft. Man trifft sich nur regelmäßig, um die Prozesse und 308 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban Abläufe weiterführend zu verstehen und zu verfeinern.“ Hierfür sind jedoch nachhaltige, langfristige Lieferantenentwicklungskonzepte notwendig. Bezogen auf komplexe Portfolios sind Konzepte die auf kurzfristige Preisvorteile spekulie- ren hier kaum konkurrenzfähig. 4.1 Einführung eines Supply Chain Management (SCM) Systems mit speziellen Anforderungen beim Lieferanten-Kanban Philipp Dickmann Der Materialfluss wird heute zunehmend vom Standard des Lieferanten be- stimmt. Hohe Flexibilität, Stabilität, Lieferzuverlässigkeit, geringe Störungsan- fälligkeit, Lagerreichweiten und kurze Produktionszyklen der Lieferkette entwi- ckeln sich zu Entscheidungskriterien. Eine kooperative und erfolgreiche Lieferantenbeziehung darf dabei nicht als Fixum angesehen werden, sondern ist letztlich das Resultat sehr systematischer, langfristiger Zusammenarbeit. Liefe- ranten-Kanban ist ein einfacher und sehr effizienter Weg, um dem Kunden optimalen Service bei minimalen Kosten bieten zu können. Störungsstabile, selbstlaufende Standards statt Improvisation sind von Kunden und Lieferanten anzustreben. Lieferanten-Kanban wurde um 1965 für externe Teile in das Toyota-Produk- tionssystem (TPS) implementiert und ist mittlerweile ein ausgereiftes, etablier- tes System. Im TPS wurden konkrete Ansätze zur Optimierung für Standard- abläufe und Anforderungen an Lieferanten definiert. Mit der Zunahme von Outsourcing und IT-Anbindungen entstanden neue Varianten der Zusammen- arbeit, die stellenweise einschneidende Auswirkungen auf den Materialfluss nehmen. Dieser ist prinzipiell enorm störungsanfällig. Jede Störung vervielfältigt sich zudem über den Snowball-Effekt in einer Kettenreaktion und hat dadurch enorme Kosten zur Folge. Auch eine unausgewogene Reduzierung des Einkaufs- preises oder zu häufiger Lieferantenwechsel führt mittel- bis langfristig zu einer Verschlechterung der Qualität, der Lieferzuverlässigkeit der Lieferanten und letztlich zu höheren Produktionskosten. Qualitätsfehler sind wiederum Haupt- ursachen für Störungen des Materialflusses. Informationstechnologie wird oft- mals als Lösung für diese Schwierigkeiten angepriesen, ist aber häufig der Hauptverursacher dafür. Kanban mit seinen Restrukturierungsmaßnahmen, den definierten Puffern, geringen Herstellprozesszeiten und der Stabilität ge- genüber Störgrößen führt in der Praxis im Vergleich zu enormen Vorteilen. Lieferantenprojekte sind stark der Gefahr der Unstetigkeit ausgesetzt, schon allein aufgrund der langen Entwicklungs- und Einführungszeiten von Produk- ten. Nur ein durchgängiges, kontinuierliches Konzept kann nachhaltig Erfolg bringen. Auch müssen tatsächlich alle Schritte und deren Konsequenzen für den Lieferanten durchgehalten werden, da sonst der Erfolg ausbleibt. Um die Projek- 4.1 Einführung eines Supply Chain Management (SCM) Systems 309 te überschaubarer zu halten, empfiehlt es sich, die Lieferanten nach dem Wert- strom-Konzept auszuwählen und nur sukzessive umzustellen. Ein maßgebliches k.o.-Kriterium sind jedoch strategische Lieferantenentscheidungen, die außer- halb der festgelegten Kriterien als Rahmenbedingung auftreten und den ganzen systematischen Ablauf aushebeln können. 4.1.1 Umsetzung einer schlanken SCM-Lösung mit Kanban Die wesentliche Vorraussetzung für eine erfolgreiche SCM-Optimierung (nach den Anforderungen von Kanban) ist ein Umdenken in der Zusammenarbeit mit den Lieferanten. • Reduzierung der Anzahl der Lieferanten: Mit Standards und Systematik muss der „Wildwuchs“ und übertriebene Kreativität bei Materialien und Lieferan- ten reduziert werden. Dies schafft erst die Voraussetzung für die nötige inten- sive Zusammenarbeit mit den wichtigen Lieferanten (vgl. 1.20 Produktions- und wertstromgerechte Konstruktion mit Standards). • Strategie der Lieferantenfokussierung: Das Verschieben der Kapazitäten zu wenigen „Vorzeigelieferanten“ zielt darauf ab, schlechte Qualität durch be- reits bewährte gute Lieferanten zu ersetzten (s. Kap. 4.1.8 Strategie der Liefe- rantenfokussierung). • Kontinuierliche Maßnahmen zur Lieferantenbewertung und -entwicklung: Wesentlich ist hierbei vor allem ein kurzer Wiederholungszyklus. Es ist weit effizienter, in kurzen Zyklen konkrete Schritte zu optimieren, als aufwendige Maßnahmen im Jahreszyklus zu diskutieren aber keinen realen Fortschritt zu erzeugen (s. Kap. 4.5.3 Lean Lieferantenmanagement; Kap. 4.5 Lieferanten- management und -optimierung). • Intensiv-Lieferantenentwicklung: Kritische Lieferanten, die kontinuierlich Krisensituationen verursachen oder gar vor der Insolvenz stehen, können durch intensive, umfassende Maßnahmen in vielen Fällen „auf Kurs“ ge- bracht werden (vgl. 4.7 Intensiv-Lieferantenentwicklung). • Ausbau von Kooperationen: Systematische Abstimmung und Optimierung der interdisziplinären Abläufe (vgl. 4.6 Kooperationsmanagement). Nach diesen Regeln muss sich das Lieferantenmanagement nachhaltig, ge- schlossen und langfristig ausrichten. Mittelfristig kann damit eine Verbesserung der Lieferantenprozesse erzielt werden. Gleichzeitig werden wichtige Grundla- gen, z. B. für Lieferanten-Kanban geschaffen, etwa hohe Lieferfähigkeit, Qualität und vor allem auch Flexibilität. Um auch bei kurzfristigen Abrufen sicher liefern zu können, sind zwingend kurze Wiederbeschaffungszeit, Durchlaufzeit und kleine Verbrauchssteuerungspuffer (Kanban-Puffer) notwendig. Scheinbares, „simuliertes“ Kanban, bei dem der Lieferant mit Hilfe von hohen Lagerbestän- den bei großen Produktionslosgrößen lediglich im Kanban-Takt ausliefert, kann echte Flexibilität bei geringen Kosten auf Dauer nicht erreichen. Allein aufgrund 310 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban der Nacharbeits- oder Verschrottungskosten bei Änderungen sind derartige Ansätze mittelfristig nicht konkurrenzfähig – zumal natürlich noch sehr viele andere Kostenvorteile bei echter schlanker Produktion entstehen. Mit kurzen Wiederbeschaffungszeiten und Losgrößen kann der Lieferant Kapazitätsspitzen vermeiden und die Bestände sinken (s. Abb. 4.1.1). Bedarfs- bzw. Kapazitäts- schwankungen nehmen ab. Aus Kundensicht ist der Lieferant flexibler, da er auch bei kurzfristigen Bedarfen sicher Liefern kann. Die wesentlichen Schritte bei der Einführung eines SCM z. B. mit Lieferanten- Kanban sind: 1. Definition der konkreten SCM-Zielkriterien, 2. Ableitung konkreter Umsetzungsvorgaben, mit Definition der Verant- wortung, 3. Kommunikation und Schulung der Ziele und Vorgehensweise intern und extern, 4. Start der Umsetzungsprojekte in Phasen, 5. Bewertung und Klassifizierung der Lieferanten und 6. Fokussierung der Materialien auf Lieferanten, die den Zielen entsprechen. 4.1.2 Ziele der Lieferantenkooperation Das TPS strebt ein SCM basierend auf JIT und Kanban an, mit gleichzeitiger Reduzierung der Anfälligkeit gegen Störungen. Aus dieser Basisdefinition lassen sich differenzierte Ziele ableiten: Abb. 4.1.1 Einflussgröße Wiederbeschaffungszeit (WBZ): Kurze WBZ führt zu geringeren Verbindlichkeiten. Bedarfs- und Kapazitätsspitzen werden geringer. 4.1 Einführung eines Supply Chain Management (SCM) Systems 311 Allgemeine Ziele der Lieferantenanbindung [Lepr 05] sind 1. kontinuierlicher Materialfluss, 2. klare Vereinbarungen zur Lieferfähigkeit und Flexibilität, 3. Maßnahmen zur Störungsvermeidung, 4. präventive Qualitätssicherstellung, 5. Selektion der tatsächlich notwendigen Informationsflüsse und Vereinbarun- gen, 6. strukturierter Informationsfluss auch in Krisen, 7. minimale Kosten, 8. hoher Servicegrad und 9. klare und homogenisierte vertragliche Vereinbarungen. Logistische Ziele der Lieferantenanbindung [Lödd 06]: 1. Vermeidung des Bullwhip-Effekts, 2. Bestandsreduzierung, 3. höherer Servicegrad gegenüber dem Endkunden, 4. Verringerung des administrativen Aufwands, 5. gleichmäßigere Auslastung des Lieferanten, 6. Quick Response – aktuelle Daten über Nachfrage und 7. Continuous Replenishment – konstante Lieferintervalle und Zielbestand. Zielkonflikt zwischen dem Lieferanten-Kanban und einseitig preisorientierten Lieferantenstrategien Der Interessenkonflikt zwischen optimalem Preis und optimalen auch internen Prozessen kann durch kompetente und vor allem umfassende Kostenermittlung, z. B. durch interdisziplinäre Prozesskostenrechnung (vgl. Kap. 1.15), sehr fun- diert reduziert werden. Dadurch wird der Druck auf den Einkauf gemildert, ein- seitig nach dem Einkaufspreis optimieren zu müssen, da auch andere Kriterien mit bewertet werden können. Der billigste Anbieter ist mittel- bis langfristig nicht unbedingt immer der günstigste für ein Unternehmen – da Folgekosten berücksichtigt werden müssen, wie Nacharbeit, Lieferschwankungen, Ände- rungskosten, Kosten für Lieferantenwechsel, zusätzlicher Betreuungsaufwand, Qualitätsfolgekosten, Krisenmanagement, Produktionsausfälle, Lieferschwierig- keiten zum Kunden. Um einen Druck zur Einkaufspreisreduzierung aufzubauen, werden zunehmend Einkaufsstrategien angewandt, die einen häufigen Lieferan- tenwechsel anstreben (vgl. Kap. 4.8.3 Lieferantenwechsel). Lieferanten-Kanban sollte ein wachsender, stetiger und kooperativer Prozess sein. Durch kontinuier- liche, intensive Zusammenarbeit entsteht im Einvernehmen eine wirtschaftlich optimale Lösung. SCM sollte grundsätzlich eine Win-Win-Situation zwischen dem Kunden und dem Lieferanten schaffen. Einseitig einkaufspreisorientierte Methoden sind mit ernsthaften, erfolgreichen Umsetzungen von SCM oder im Speziellen mit Lieferanten-Kanban unvereinbar (siehe auch 4.5 Lieferantenma- nagement und -optimierung). 312 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban 4.1.3 Konkrete Umsetzungsvorgaben Die Ziele werden in konkrete Vorgaben transformiert und mit allen internen Abteilungen und den Lieferanten abgestimmt. Diese Vorgaben müssen auch mit allen Verträgen und vertragsähnlichen Unterlagen harmonisiert und darin fi- xiert werden. Es leiten sich folgende konkrete Vorgaben für das Lieferanten- Kanban ab [Lepr 05]: • flexible, atmende Produktion mit dynamischer, freier Mindestkapazität und erst in zweiter Instanz mit Mindestpuffer, • kurze DLZ im Herstellprozess und daher kurze WBZ, • Mindest-Kanban-Puffer zur Reduzierung von Störgrößen und zur Entkopp- lung der Produktion, • hohe Transportqualität ohne Zwischenpuffer, • professioneller Informationsaustausch mit Abbildung der notwendigen Ebe- nen und Fixierung in Verträgen, • automatisierte Kommunikation mit minimaler Datenmenge, • Standardisierung bei Verpackungsabläufen, • Störungsvermeidung und gemeinsame Störungsanalyse (Lieferant und Kunde), • kontinuierliche Maßnahmen zur Verbesserung der Niveaus des Lieferanten, • Null-Fehler-Strategie und kontinuierliche Maßnahmen zur Qualitätsoptimie- rung, • Qualitätssicherungsvereinbarungen und Zertifizierungen, • Reduzierung der Wareneingangsprüfung auf das rechtlich notwendige Maß, d. h. Wegfall der vollständigen Wareneingangsprüfung. 4.1.4 Operative Supply Chain-Steuerung und Dispositonskonzepte Bei Lieferanten-Kanban-Projekten werden die Abläufe, Dimensionierungen und Prozesse der Anbindung der Lieferanten restrukturiert. Ein großer Teil der er- zielten Verbesserungen werden durch diese „Säuberungsaktionen“ verursacht. Es bestehen einige Möglichkeiten, die Verantwortung bzw. Arbeitsinhalte neu aufzuteilen. Häufig wird leider nicht genügend differenziert zwischen den Übertragungsmethoden (EDI, DFÜ, WEB, E-Mail, Fax, Brief) und der Disposi- tionsverantwortung (Kunde oder Lieferant). In diesem Bereich treten vielfach Missverständnisse auf. Grundsätzlich ist zu beachten, dass alle Übertragungsme- thoden mit allen Verantwortungsvarianten kombinierbar sind. Dispositionsverantwortung beim Kunden Eine Steuerung durch den Kunden ist effizienter im Falle von: • werthaltigen Materialien, • möglichst geringer Lagerreichweite, 4.1 Einführung eines Supply Chain Management (SCM) Systems 313 • starken, kurzfristigen Schwankungen, in Relation zur angestrebten Lager- reichweite und • wenn die Mehrzahl der steuerungsrelevanten Störgrößen auf der Kundenseite liegt. Durch den Kunden können informelle Zusatzinformationen zu Störgrößen mit einbezogen werden. Engpässe werden vermieden und Puffer als Lagerbe- stand weniger nötig. Typische Beispiele sind werthaltige Montagebaugruppen oder Fertigungsteile. Es lassen sich folgende Fälle unterscheiden: • Klassische Disposition, z. B. im MRP-System: Der Kunde kann in gängigen MRP-Systemen mit automatischer Bestellschreibung, aber auch mit eKanban, verschiedenste Formen des Bestellanstoßes praktizieren und vom MRP über- tragen lassen. • Lieferanten-Kanban: Der Kunde übernimmt die Verantwortung über die Steuerung und die Dimensionierung. Die Abrufe werden beim Kunden nach dem Ein- oder Zwei-Karten-Kanban gesteuert und angestoßen. Abrufe gehen beim Lieferanten als Feinterminierung kurzfristig ein. Dieses System ist über- lagert durch eine langfristige Grobplanung. Die Bedarfe (d. h. die Kanban- Karte, s. Kap. 3.2 Kanban-Karten) werden über Fax, E-Mail, EDI oder über eine Internetplattform übertragen. • Lieferfenster statt Zeitpunkt: Als Sonderform der Kundendisposition kann anstelle fixer Liefertermine ein Lieferfenster definiert werden. Beliefert der Lieferant mehrere Produkte, können bei gleichem Anlieferintervall kleinere Losgrößen realisiert oder auch die Transportkosten gesenkt werden. Dieser Ansatz wird typischerweise für JIT und Lieferanten-Kanban angewendet und ist als Zwischenform zur Lagerdisposition durch den Lieferanten anzusehen. Dispositionsverantwortung beim Lieferanten: Bei der Disposition durch den Lieferanten wird üblicherweise nur die Dimensio- nierung mit dem Kunden abgestimmt. Eine Steuerung durch den Lieferanten ist effizienter im Falle von • in Relation zu den Handlings- und Transportkosten wenig werthaltigen Ma- terialien, • einer ungenauen Steuerung und Bestandsführung, d. h. höhere Puffer sind möglich und • wenn wesentliche Störgrößen beim Lieferanten liegen. In diesen Fällen ist eine dezentrale bzw. verlagerte Lagerdisposition sinnvoll. Bei nicht geeigneten Produkten ergibt sich ein höheres Lagervolumen und Risi- ko. Der Kunde hat tendenziell eine höhere Kapitalbindung und die Nachteile von höheren Lagerbeständen, etwa eingeschränkte Flexibilität bei Änderungen. Typische optimale Anwendungsfälle sind C-Teile, z. B. Normteile wie Schrauben oder Runddichtringe, etwa im C-Teile-Management oder im Großhandel. Dieses 314 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban Konzept beinhaltet hohe Anforderungen an die Zuverlässigkeit des Lieferanten bzw. des Dienstleisters. Es existieren folgende unterschiedliche Dispositionsverfahren oder Versor- gungsmethoden durch den Lieferanten: • Kanban: Behälter-Kanban durch den Lieferanten ist eine häufig anzutreffen- de Umsetzung für C-Teile. Das System wird mit großzügigen Lagerreichwei- ten gesteuert und eine hohe Lieferfähigkeit ist sicher. • Vendor Managed Inventory (VMI): Der Kunde überträgt seine Lagerbe- stands- und Absatzdaten bzw. den aktuellen Bestand an den Lieferanten. Die Differenz des Bestands (Inventory-Level) entspricht dem Verbrauch und wird verbucht bzw. bezahlt. Umgekehrt erkennt der Lieferant aus den Daten die Bestandsreichweite und Lieferbedarf. Der Name VMI leitet sich von der EDI- Übertragung der Bedarfe und des Bestandes ab [Gesa 02]. • VMI – mit zyklischem Lagerbestand – EDI: Dies ist eine Weiterführung von VMI. Der Lieferant hat hierbei mit dem Kunden abgesprochene Ober- und Untergrenzen des Lagerbestands beim Kunden definiert. Für die Auffüllung ist der Lieferant oder Dienstleister selbst verantwortlich. Wann er genau lie- fert, ist ihm selbst überlassen. • VMI – auf einer Internetplattform: Der Lieferant hat einen direkten Zugriff auf die Lagerdaten seiner Materialien. Das Verfahren ist identisch mit dem zykli- schen Lagerbestands-EDI, nur werden die Daten nicht rhythmisch übertragen, sondern der Lieferant greift auf die Daten eventbezogen und online zu. Sonderformen der Rahmenbedingungen: • Konsignation: Externe Lager in der Nähe oder auf dem Werksgelände des Kunden. Die Dispositionsverantwortung kann getrennt erfolgen. Vielfach wird dieses Konzept in Kombination mit Outsourcing des Eigentums der La- gerbestände angewandt (s. u.). • Outsourcing des Eigentums der Lagerbestände: Die Ware geht in diesem Fall erst zu einem späteren Zeitpunkt als dem der Warenannahme in das Eigen- tum des Kunden über. Sie befindet sich z. B. physisch am Arbeitsplatz, gehört aber noch dem Lieferanten. Die Methode leitet sich vom Warenhauskonzept in Japan ab. Sie ist seit einigen Jahren vor allem durch Discounter bekannt geworden. Dabei wird die Ware beim Bezahlen des Kunden an der Kasse dem Lieferanten verrechnet. Dieses Konzept wird zum Teil in andere Berei- che übernommen. Die Ware kann erst beim Verlassen des fertigen Produkts beim Kunden oder bei Bezahlung des Endkunden verrechnet werden. Die Methode wird beispielsweise angewandt, um große Losgrößen produzieren und liefern zu können, aber dem Kunden die Kapitalbindung zu ersparen. Der Kunde ist jedoch dennoch den Nachteilen hoher Losgrößen ausgesetzt, z. B. bei Änderungen bzw. indirekter Belastung der Kapitalbindungskosten durch den Lieferanten. 4.1 Einführung eines Supply Chain Management (SCM) Systems 315 4.1.5 Abstimmung und Schulung Nach der Definition der Ziele müssen die wesentlichen Anforderungen systema- tisch in konkrete Umsetzungsvorgaben untergliedert werden. Daraus entsteht eine Anforderungsliste für jeden Lieferanten, ein Schulungskonzept, ein homo- genisiertes Vertragswerk und letztlich ein Bewertungskatalog, der mit allen be- teiligten Bereichen abzustimmen ist. Die definierten Ziele werden danach mit allen beteiligten Fachbereichen und Ebenen besprochen. Anhand der Vorgaben und den angepassten, vertraglichen Rahmenbedingungen werden im Anschluss auch die Lieferanten informiert und geschult. Die Schulungsunterlagen und Verträge sollten eindeutig und verständlich sein. 4.1.6 Projektabwicklung Die Projektabwicklung sollte nach den Grundregeln des Verbesserungszyklus nach Deming (vgl. 1.10 TPM) in einen kontinuierlichen Prozess münden, etwa nach dem Konzept von Collaborative Planning Forecasting Replenishment (CPFR). Der Ansatz des CRFR-Commitee verknüpft den Deming-Cycle mit Vendor Managed Inventory (VMI). Hier werden folgende Projektschritte defi- niert (www.cpfr.org), die aber analog für Lieferanten-Kanban gelten: 1. Strategie und Planung: a) Entwickeln einer kooperativen Grundsatzvereinbarung und b) Erstellen eines gemeinsamen Geschäftsplans. 2. Bedarfs- und Versorgungsmanagement: c) Erstellen eines Absatzplans und d) Generieren von Abruf und Vorschau. 3. Umsetzung: e) Abruf erzeugen und f) Produktionsplanerzeugung und Lieferung umsetzen. 4. Analyse: g) Identifikation von Ausnahmen sowie Problemen und h) kooperative Problembehandlung sowie -lösung. Nach einer erneuten Verbesserung der Strategie und der Planung erfolgt ein Neubeginn des Zyklus. 4.1.7 Lieferantenbewertung und -klassifizierung Viele Lieferantenprojekte werden umfassend begonnen und auch in einem Pilot- projekt umgesetzt. Leider wird jedoch nur selten eine nachhaltige Penetration von mehr als 50 % erreicht. Die Ursache liegt einerseits in der langen Dauer die- ser Projekte, und anderseits in den Kapazitätsspitzen, die für die intensive Betreuung der Lieferanten nötig sind. Aus diesem Grund wird eine nachhaltige 316 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban Lieferantenbewertung und -klassifizierung selten über längere Zeit durchgeführt. Erst die stetige Verifikation der Ergebnisse und das Feedback an den Lieferanten ermöglichen reale Fortschritte. Der angestrebte Umfang der Bewertungskriterien ist sehr unterschiedlich und reicht von der einfachen Auswertung der Liefertreue und der Qualität, bis hin zu kompletten Bewertungskatalogen (z. B. Odette). Oft werden nur Hardfacts mittels IT berücksichtigt. Es sollten jedoch auch zusätz- lich Softfacts für Lieferantenbeurteilungen herangezogen werden. „Eine Lieferantenanalyse mit Softfacts die punktuell mit Hardfacts verifiziert wird, ergibt eine zuverlässige, vergleichbar genaue und sehr schnell greifbare Aussage. Diese einfache Methode der Quick-Lieferantenentwicklung ist auch für kleinere Unternehmen mit geringem Aufwand umsetzbar (ca. 2 Minuten Auf- wand pro Lieferant) und erbringt sehr hohe Effizienz“ [Lepr 07b]. Softfacts erfassen Kriterien wie etwa die Arbeitsweise, die Zuverlässigkeit und das Vorgehen bei Schwierigkeiten. Lieferanten sollten absolute Zuverlässigkeit selbständig gewährleisten. Dies setzt Null-Fehler-Strategien, hohe Lieferfähigkeit und kleine, flexible Losgrößen voraus, was meist nur mit TPS erreicht werden kann. Ein schlecht strukturierter oder inkompetenter Lieferant, bei dem der Kunde regelmäßig reklamieren muss, um Ware zu bekommen, ist nicht tragbar. Er wird aber akzeptiert, solange er konkurrenzlos ist. Mangelhafte Servicequali- tät korreliert meist mit höheren Kosten. Die Ermittlung dieser Kosten ist in der Regel schwierig, da sie zeitversetzt auftreten und dann meist nicht mehr zuor- denbar sind (vgl. Kap. 1.15.4 Verifikation nicht konstanter Einflussfaktoren auf die Kostentreiber). Aus den Softfacts kann systematisch die Leistung ermittelt und zur Klassifikation von Lieferanten ergänzend herangezogen werden. Wie in Kap. 4.1.2 dargestellt ist, sollte im Zuge der Veränderung des Lieferan- tenmanagements ein Ausbau von Kooperationen erfolgen. Folgende drei Krite- rien sind bei der Wahl der Kooperationspartner für ein logistisches Netzwerk ausschlaggebend [Lödd 06; Hieb 02; Schön 02]: • Zusammenarbeit wird auf strategischer Ebene, über die Gemeinsamkeiten der Netzwerkstrategie und -interessen, die gegenseitige Abhängigkeit im Netzwerk, das Vertrauen, die Offenheit sowie die Machtverhältnisse unter den Partnern und die Intensität und Art der Kooperation mit einem Partner bewertet. • Koordination beschreibt die Abstimmung der technischen Abläufe, wie die Verknüpfung und Verzahnung der Logistikprozesse, Formalisierungsgrad, Grad der Kommunikation und den Einsatz von IT. • Zusammensetzung beschreibt die organisatorischen und vertragsrechtlichen Komponenten, wie die Anzahl der Wertschöpfungsstufen, die Anzahl der Pro- dukte, die geografische Verteilung des Netzwerks, den Zeithorizont der Ge- schäftsbeziehung sowie die ökonomische und rechtliche Geschäftsbeteiligung. Grundsätzlich ist eine Lieferantenbewertung nur sinnvoll, wenn die Ergebnis- se mit dem Lieferanten zeitnah, offen und direkt diskutiert werden. In vielen 4.1 Einführung eines Supply Chain Management (SCM) Systems 317 Fällen sind dem Lieferanten die Anforderungsprofile unklar oder werden auch sehr konträr von verschiedenen Seiten des Kunden dargestellt – d. h. er weiß vielfach nicht eindeutig, was der Kunde exakt will. Die Lieferantenbewertung muss zu konkreten Verbesserungsmaßnahmen führen, die in einem detaillierten Zeitplan festgelegt und überwacht werden müssen. Letztlich muss eine Fokus- sierung auf Lieferanten mit guten Bewertungen stattfinden, um einerseits die Lieferanten zu belohnen, andererseits einen hohen Servicegrad zu erreichen und letztlich den nötigen hohen Aufwand für schlechte Lieferanten zu reduzieren. 4.1.8 Strategie der Lieferantenfokussierung Eine weitere Bedingung für ein erfolgreiches SCM-Projekt nach den Anforde- rungen von Kanban ist die Strategie der Lieferantenfokussierung. Die Reduzie- rung der Anzahl der Lieferanten, Fokussierung auf Kernlieferanten und das Verschieben der Kapazitäten zu „Vorzeigelieferanten“ sind die Regeln nach denen sich das Lieferantenmanagement nachhaltig und langfristig ausrichten muss. „Gute“ und kooperative Lieferanten erhalten Anreize durch zunehmende Wertschöpfungsanteile und Auftragsvolumen. Man kann die Strategie auch mit dem Motto umschreiben: „Klasse statt Masse“. Es ist das Ziel weniger Lieferan- ten intensiver zu pflegen und zu betreuen (s. Kap. 4.7 Intensiv-Lieferanten- entwicklung), anstatt hoher Aufwendungen für ein Vielfaches an Lieferanten mit vergleichbarem Portfolio zu betreiben. Durch die Lieferantenfokussierung bie- ten sich hohe Kosteneinsparungspotentiale: • Durch die stringente Fokussierung auf Kernlieferanten wird eine Erhöhung des Umsatzes je Lieferant und damit eine Verbesserung der Preisgestaltung erreicht. • Es wird eine Verschiebung des Einkaufsvolumens zu „besseren“ Lieferanten vorgenommen und eine entscheidende Lieferantenverbesserung erreicht. • Der Stellenwert des Kunden beim Lieferanten erhöht sich, ein besserer Ser- vicegrad und stärkere Kooperation bei Krisensituationen sind die Folge. • Krisenmanagement nimmt ab und in der Beschaffung wird es möglich, sich intensiver und erfolgreicher mit den wichtigen Lieferanten auseinander zu setzen. • Durch die Fokussierung entsteht eine engere Zusammenarbeit in der Ent- wicklung. Die Entwicklungskompetenz der Lieferanten wird regelmäßiger und umfassender eingebunden (vgl. Kap. 1.20.6 Lieferanteneinbindung in Entwicklung und Konstruktion). Typische Schritte sind hier permanente oder zumindest routinemäßige Besuche (z. B. wöchentliche) von Konstrukteuren des Lieferanten in der Entwicklung bzw. Konstruktion des Kunden. • Risiken, Neuentwicklungen und spezielle Anforderungen um einen optimalen Nutzen zu erreichen, werden von Anfang an integriert. • Die Entwicklungszeit, Risiken und Fehler in der Konstruktion werden reduziert. 318 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban • Es wird von Einzelteil-Lieferanten auf die Anlieferung von Baugruppen um- gestellt (Systemlieferantenkonzept). Der Lieferant trägt nun die Verantwor- tung für komplexe Baugruppen. Durch den Wegfall bzw. die Reduzierung der Kommunikationsgrenzen nehmen Fehler ab und eine intensivere Zusam- menarbeit wird möglich. • Regelmäßige Lieferantenbewertung und -entwicklung führen zu einer nach- haltigen Verbesserung der Beschaffungsprozesse und der internen Logistik- prozesse (weitere Vorteile vgl. Kap. 4.5 Lieferantenmanagement und -opti- mierung). Die Einsparungspotentiale durch eine Fokuslieferantenstrategie, technische Änderungen oder Prozessoptimierung sind langfristig um das sieben bis zehnfa- che (Faustformel) höher als bei Kostenreduzierung mittels Preisdruck oder Lie- ferantenwechsel. Das Gegenteil von Lieferantenfokussierung sind Parallellieferanten-Konzepte (Quotierung), Strategien zu Volumenreduzierung bei Lieferanten und Ansätze mit häufigem Lieferantenwechsel. Parallellieferanten-Konzepte, mit Splittung (Quo- tierung) der Bedarfe auf verschiedene Lieferanten, sollten generell nur bei Eng- passproblemen und normierbarer, sehr sicher vergleichbarer Leistung angedacht werden. Diese Methoden führen zum Anstieg der Gesamtkosten, da Anlaufschwie- rigkeiten oder auch Qualitäts- oder Prozessmängel auf vielen Ebenen entstehen und mittelfristig hohe Kosten verursachen (s. Kap. 4.8.3 Lieferantenwechsel). Dies trifft besonders auf werthaltige komplexe Produkte zu, die sich durch ihre hohe Differenziertheit vom Wettbewerb abheben. Die zeitversetzt auf verschiedensten Positionen entstehenden Kosten, sind den Ursachen schwer zuordenbar – d. h. der Ursachen-Wirkungs-Zusammenhang ist nicht erkennbar (vgl. Kap. 1.15.4 Verifi- kation nicht konstanter Einflussfaktoren auf die Kostentreiber). 4.2 C-Teile-Management – Ursprung, Chancen, Risiken und Ansatzpunkte Anja Beer Verursacht ein „Cent-Artikel“ eine Produktionsstörung – der Schaden kann tausende Euro betragen – lässt sich dieser ungeplante Kostenblock durch keine Optimierung oder Preisreduzierung mehr kompensieren. Bei fehlender Materi- alverfügbarkeit ist im Verhältnis zum Auftragswert nichts so teuer wie ein feh- lendes C-Teil! Das C-Teilespektrum ist ein häufig vernachlässigtes Optimie- rungspotential, da das Einkaufvolumen im Verhältnis zu A- und B-Teilen niedrig ist. Dem geringen Einkaufsvolumen stehen jedoch hohe Logistikkosten entgegen, die durch die Vergabe an den C-Teile-Dienstleister weitergereicht werden. Mit dem Outsourcing der C-Teile-Logistik übernimmt der Dienstleister die vollständige Verantwortung für die Versorgung mit den Teilen. Der folgende 4.2 C-Teile-Management – Ursprung, Chancen, Risiken und Ansatzpunkte 319 Beitrag soll aus der Sicht eines Anwenders vermitteln, welche Chancen und Risi- ken im C-Teile-Management stecken und welche Ansatzpunkte in der Praxis relevant sind. 4.2.1 Potentiale und Ziele Prinzipiell gilt es, die gesamte Wertschöpfungskette von Verschwendung zu befreien. Dabei muss sich aber der Beschaffungsaufwand am Beschaffungsvolu- men/-wert orientieren. Abbildung 4.2.1 zeigt, dass sich im A-Teile-Bereich hohe Reduzierungen im Teilestückpreis erzielen lassen, während bei C-Teilen der Schwerpunkt in der Optimierung der Prozesse und damit der Logistik-Kosten liegt. [Hirs 01] Im Hinblick auf Preisoptimierung sind C-Teile für den Einkauf nicht interes- sant. Eine optimale Nutzung der Personalressourcen im strategischen und opera- tiven Einkauf wird durch die Konzentration auf A-Teile erreicht. Eine Bestands- optimierung des C-Teilebereichs würde ebenso wenig relevante Einsparungen erbringen. Im Gegenteil, dies ginge unter Umständen zu Lasten der Materialver- fügbarkeit. Dem geringen Einkaufsvolumen stehen also hohe Logistikkosten entgegen. Diese sind bedingt u. a. durch: • Bedarfsermittlung, • Anfrage, Bestellabwicklung und Terminüberwachung, • Warenannahme, Eingangsprüfung und Einlagerung bzw. Bereitstellung am Arbeitsplatz und • Kontrolle und Anweisung der Rechnung. In dem Artikel von G. Hirschsteiner werden alleine für den Prozess der Be- stellabwicklung Kosten zwischen 75 € und 150 € genannt. Dadurch wird deutlich, dass die Prozessoptimierung für C-Teile der Erfolg versprechende Lösungsansatz Abb. 4.2.1 Kostenstrategien nach ABC-Klassifikation [Hirs 01] 320 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban ist. Die Gesamtprozesskette verkürzt sich, die Versorgungssicherheit bzw. die Teileverfügbarkeit erhöht sich, und die Lagerbestände, Kapitalbindung sowie Logistikkosten reduzieren sich teilweise. Im Einkaufsbereich erfolgt eine Optimie- rung durch die Konzentration auf einen oder einige wenige Systemlieferanten. Das Verhandlungspotential konzentriert sich, während der Pflegeaufwand reduziert wird. Durch gebündelte Lieferungen können Transportkosten sowie Aufwand bei EDV-technischer Abwicklung, z. B. ein Beleg mit vielen Positionen oder Einsatz von EDI, reduziert werden. 4.2.2 Charakteristika von C-Teilen C-Teile haben folgende relevante Eigenschaften: • viele Lieferanten und Anbieter; • viele Kleinbestellungen bzw. mehrere Bedarfsanforderungen aus verschiede- nen Bereichen zu unterschiedlichen Zeiten, nur teilweise über einen Zentral- einkauf bündelbar; • hoher Bestellaufwand im Verhältnis zum niedrigen Teilewert; • Ungenauigkeiten bei der Bedarfsbestimmung durch Maximalstücklisten, un- geplanter Verbrauch durch Schwund, Ersatz für Nacharbeiten usw. und • Normteile oder an Normen angelehnte Teile mit z. B. speziellen Beschichtun- gen, nicht gängigen Abmessungen. Als Basis für die Teilefestlegung bieten sich die klassische ABC-Analyse (Klas- sifizierung nach Mengen-Wert-Volumen) sowie die XYZ-Analyse (Stetigkeit des Verbrauchs) an. Die durch MRP-Systeme rechnerisch ermittelten Kennzeichen sollten nicht allein ausschlaggebender Faktor sein. Die Teileauswahl muss einem Team übertragen werden, das das Teilespektrum sowie die Produktion kennt. Der Einkäufer als Koordinator wird dabei vom „Bestellschreiber“ zum Prozess- manager. Er muss also mindestens die Produktion und Logistik sowie die Qualität und Technik einbinden. Aus diesem Team ergeben sich weitere praxisorientierte Ansatzpunkte bzw. Grenzwerte, z. B. für Teilepreis (z. B. < = 5 €), Mindestbedarf (z. B. 5.000 Stück pro Jahr) und Bezug zum Verbrauchs-Ort bzw. Produktbereich. Dieses Team wird die Werte bzw. Rahmenbedingungen festlegen, die zu einer Basisliste führen. Dem folgt die Verifizierung bzw. Plausibilitätsprüfung der systemisch ermittelten Werte, und daraus ergibt sich das Teilespektrum für den Start. 4.2.3 Das Kaufhauskonzept als Ursprung Das Kanban-System hatte seinen Ursprung in den 50er Jahren in Japan. Auf der Suche nach Instrumenten um Just-in-time und Automation in der Automobil- industrie voranzutreiben, bereiste Taiichi Ohno die USA. Dabei beeindruckten ihn die amerikanischen Supermärkte. Ihm wurde bewusst, dass ein Supermarkt 4.2 C-Teile-Management – Ursprung, Chancen, Risiken und Ansatzpunkte 321 ein Ort ist, an dem der Kunde das bekommt, was er benötigt – zum erforderli- chen Zeitpunkt und in der benötigen Menge. Dies führte zu der Erkenntnis: Supermarkt = Just in Time. Die Übertragung der Methoden der Supermärkte auf die Produktion führte zur optimierten Form der Machine-shops in den Produk- tionswerken Japans [Ohno 78]. Durch die Umstellung auf verbrauchsorientierte Beschaffung ist die Sicherstellung der Materialverfügbarkeit unter Beachtung gewisser Rahmenbedingungen gewährleistet. Damit ist auch die geforderte Fle- xibilität bei Bedarfs- bzw. Verbrauchsschwankungen und nicht planbaren Fak- toren, wie z. B. Schwund oder Rücksendungen, gegeben. Voraussetzung dafür sind u. a. richtige Dimensionierung der Kreisläufe, Definition von Sicherheitsbe- ständen als Notfallstrategie und regelmäßige Auswertung der Behälterbewegun- gen. Daraus abgeleitet hat dies über Jahrzehnte zu verschiedenen Varianten der Beschaffung geführt. 4.2.4 Varianten der Beschaffung Mitte der 90er Jahre begann in Deutschland ein Umbruch im Handling der klas- sischen DIN- und Normteile. Zur Reduzierung der Kommissioniervorgänge ging man dazu über, Kleinteile in definierten Anliefergebinden direkt am Arbeits- platz bereitzustellen. Später wurden diese Teile über einen elektronischen Kata- log oder durch internes Scannen und Bedarfsübermittlung zum Lieferanten nachbestellt. Damit wurde bereits der Anteil der internen Handlingskosten re- duziert. Mittlerweile haben sich Händler oder Hersteller als Systemlieferanten etabliert. Die Vereinbarungsmöglichkeiten der Abwicklung sind vielfältig und von den jeweiligen Rahmenbedingungen und Wünschen des Auftragnehmers abhängig. Gängige Varianten sind [Sack 01]: • 1-Behälter-System: Bestellauslösung durch Unterschreiten einer definierten Füllmenge. • 2- bzw. Mehrbehälter-System oder Kanban: Bestellauslösung, wenn ein Be- hälter leer bzw. eine Karte frei wird. • Fest installierter Behälter mit Wiegesystem: Bei Unterschreiten eines „Melde- gewichts“ wird elektronisch eine Anforderung ausgelöst. • Shop-Systeme: Fest definierter Regalbereich pro Lieferant bzw. Hersteller, vor allem im Handel üblich. • Konsignationslager: Fest definierter Teileumfang wird in der Produktion gelagert. Verwaltung und Risiko liegt bis zum Verbrauch beim Dienstleister. Diese Art wird tendenziell für großvolumige, teure Teile verwendet. Bei den Behälter-Systemen kann noch unterschieden werden, ob der Behälter oder die im Regal entstehende Lücke gescannt wird. Die Bestellauslösung kann jeweils durch Mitarbeiter des Auftraggebers oder des Dienstleisters erfolgen. Die Datenerfassung erfolgt heute meist über Scannen, eine Alternative wäre die Eingabe am PC. Die Übermittlung der Daten erfolgt per EDI, Fax, E-Mail, Inter- net oder Kanban-Karte bzw. -Behälter. Die Definition des Zeitpunkts für die 322 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban Abrechnung der gelieferten Teile kann bei Lieferung oder bei Verbrauch erfol- gen. Die Bezahlung kann durch Rechnung oder per Gutschrift-Verfahren für einen definierten Zeitraum erfolgen. Ebenso vielfältig sind die Möglichkeiten der Buchungen. Müssen die Teile im Bestand geführt werden, muss die Zu- gangsbuchung entsprechend geregelt werden. Wird der Datenaustausch mittels EDI-Prozesse unterstützt, kann dieser effektiv und im Prinzip fehlerfrei ablau- fen. Wesentlicher Vorteil der Verlagerung des Gesamtprozesses an einen Dienstleister (d. h. Outsourcing) ist, dass damit das gesamte Erfahrungspotential (Kernkompetenz) des Dienstleister genutzt wird. 4.2.5 Schritte zur Einführung und zum Betrieb Für den Erfolg eines solchen neuen Prozesses ist die interne Akzeptanz von im- menser Bedeutung. Fehlt diese, können die vielfältigsten Fehler und Hindernisse auftreten und das System zu Fall bringen. Die Akzeptanz wird durch frühzeitige Einbindung aller betroffenen Bereiche (speziell Disposition und Technik) bereits bei der bedarfsgerechten Analyse der in Frage kommenden Teile erreicht. Eine zum Vertrag gehörende Qualitätsvereinbarung bildet die weitere Grund- lage bei der Auswahl des geeigneten Partners. Dabei ist der Aufwand für die Erstellung der Vereinbarung (durch die Qualitätssicherung) der Reduktion der Wareneingangskontrollen (ggf. Stichproben) entgegenzustellen. Falls ein Liefe- rantenwechsel offiziell angestoßen werden muss, sollten die eventuell auftreten- den Änderungskosten (z. B. für Prüfläufe, Freigaben durch Kunden) abgeschätzt werden. Als Kriterien für die Auswahl des geeigneten Partners gelten u. a. Zuver- lässigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Vertrauensbasis der Partner und Nähe des Versorgungslagers. Sind die Voraussetzungen gegeben, ersetzt dies auf keinen Fall die detaillierte Vertragsvereinbarung bezüglich Inhalt und Art der Dienst- leistung, Volumen- und Preisvereinbarung sowie Festlegung von Notfallstrate- gien und ggf. Konventionalstrafen. Die Zuständigkeit der vertraglichen Absiche- rung sollte in jedem Fall federführend beim strategischen Einkauf bleiben. Die Festlegung bzw. regelmäßige Überprüfung des Mengenvolumens sowie der lo- gistischen Rahmenbedingungen (wie Anlieferorte, Anlieferzeitpunkte, Behälter- dimensionierung) sollte sinnvollerweise von der operativen Logistik erfolgen. Diese sollte im laufenden Prozess der Ansprechpartner für den Dienstleister sein und die montagetechnische, qualitative, technische Zusammenarbeit koordinie- ren. Um die Funktion und Effizienz der eingerichteten Behälter und Teile- Kreisläufe sicherzustellen, empfiehlt es sich, eine regelmäßige Überprüfung der Umschlagshäufigkeit der einzelnen Behälter durchzuführen. Damit können sowohl verschwundene Behälter als auch „Ladenhüter“ aufgedeckt werden. Zum Service sollten Auswertungen vereinbarter Kennzahlen sowie notwendige regel- mäßige Abstimmungen bezüglich Erweiterung oder Verbesserung der Kreisläufe und gegebenenfalls notwendige Inventuren von Behältern gehören und schrift- lich vereinbart werden. Nicht zu unterschätzen ist die Chance, die das C-Teile- Management zur Standardisierung von Serienteilen bietet. Wenn der Partner 4.2 C-Teile-Management – Ursprung, Chancen, Risiken und Ansatzpunkte 323 genug technische Kompetenz bezüglich der Anwendungsfälle des Kunden be- sitzt, kann dies zu einer Reduzierung der Varianten und damit wieder zur Ver- einfachung der Beschaffung und zur Kostenreduzierung führen. 4.2.6 Grenzen des Systems Eine für die Verlagerung erforderliche Prozesskostenanalyse wird vielfach an feh- lenden Daten scheitern. Eine Übersicht der Leistungen sowie der Vor- und Nachteile bzw. Gewichtung der einzelnen Faktoren muss im Vorfeld ausreichen, um eine Entscheidung zu treffen. Einsparungen bzw. Kostenvorteile durch Vergabe an einen externen Dienstleister werden sich erst nach einiger Zeit zeigen bzw. quantifizieren lassen. Falls eine Dienstleistungspauschale vereinbart wird, lässt sich diese häufig vom Auftragnehmer nur aufgrund von Erfahrungswerten im Vorfeld schätzen. Bedingt durch die sich erst entwickelnde Kundenlösung wird eine Quantifizierung erst mit laufendem Betrieb möglich sein. Dieser Faktor ist aber verhandlungsfähig und wird bei Änderungen des vereinbarten Systems immer wieder Verhandlungs- thema sein. Durch die Abhängigkeit, die für beide Partner entsteht, können Nach- verhandlungen mit zunehmender Dauer schwieriger werden. Kritische Punkte des C-Teile-Outsourcing sind: • Aufgrund spezifischer Systeme wird ein späterer Preis-Leistungs-Vergleich schwierig. • Lieferantenwechsel ist aufwendig und nur mit langem Vorlauf möglich. • Bei Behältersystemen können Behälter verloren gehen. • Eine schlecht geplante bzw. vorbereitete Umstellung kann den Produktions- prozess unterbrechen und intern zu entsprechenden Widerständen bei der Einführung führen. • Falls keine stufenweise Auflösung des eigenen C-Teile-Lagers vorgenommen wird, sind unter Umständen keine Reserven vorhanden. • Nicht klar abgegrenzte oder definierte Aufgaben bzw. Zuständigkeiten der Partner im Vertrag führen zu Problemen bzw. unter Umständen zu Mehrkosten. 4.2.7 Resümee Sinnvolle Anwendungsbereiche für C-Teile Management sind sowohl Produk- tionsmaterialien als auch Hilfs- und Betriebsstoffe. Die Anwendungsmöglichkei- ten und Spielarten sind sehr vielfältig und müssen an den jeweiligen Einsatzbe- reich und dessen Gegebenheiten angepasst werden. Eine möglichst detaillierte, schriftliche Fixierung aller wichtigen Punkte ist für den reibungslosen Prozess notwendig und reduziert Folgekosten. Durch die direkte Bereitstellung der Teile am Arbeitsplatz und eine klare Kostenstruktur der Dienstleistung wird eine direkte Zuordnung zu den Kostenstellen, die Empfänger der Leistung sind, mög- 324 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban lich. Die größten Einsparungen im Prozess werden im Bereich Disposition, Wa- reneingang, Qualitätssicherung und Lager erzielt. Personaleinsparungen werden dabei aber selten erreicht und sind auch nicht primäres Ziel. Vielmehr wird mit dem Outsourcing von C-Teilen eine Konzentration der intern betroffenen Abtei- lungen auf die werthaltigen Teile bzw. Prozesse möglich. Die Teileverfügbarkeit wird bei Einhaltung der gemeinsam festgelegten Regeln sichergestellt. 4.3 C-Teile-Management – optimale Prozesse Mario Graßy, Böllhoff GmbH Unternehmen, die ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten oder verbessern wollen, müssen ihre Kosten verringern und gleichzeitig ihre Qualität und Flexibilität er- höhen – also Prozesse optimieren. Verbesserungspotentiale sind in der gesamten Wertschöpfungskette zu finden – von der Forschungs- & Entwicklungs-Abteilung bis hin zur Auslieferung an den Kunden. C-Teile verursachen bekanntermaßen, obwohl Sie wertmäßig nur 20 % der gesamten Einkaufskosten ausmachen, 80 % der gesamten Beschaffungskosten eines Unternehmens (Abb. 4.3.1). Das Einspar- potential, bezogen auf die Prozesse des beschaffenden Unternehmens, ist daher von übergeordneter Bedeutung im Vergleich zu Einkaufspreisreduzierungen und daher auch der Schwerpunkt dieses Beitrags. Die Anforderungen an ein effizientes C-Teile-Management sind klar definierbar: • Prozessvereinfachung, • Produkt- und Prozessqualität, • Zuverlässigkeit und • kontinuierliche Verbesserung. Abb. 4.3.1 Die 80–20-Regel: Während Befestigungselemente mit lediglich 20 % am gesam- ten Einkaufsvolumen beteiligt sind, entfallen auf sie aber 80 % der gesamten Beschaf- fungskosten. 4.3 C-Teile-Management – optimale Prozesse 325 4.3.1 Prozessvereinfachungen Es gibt einen Unterschied zwischen effizienten Prozessen und effektiven Pro- zessen. Effizient ist ein Prozess dann, wenn die einzelnen Prozessschritte rich- tig – also ohne Fehler – umgesetzt werden. Effektiv ist ein Prozess, wenn es sich um die richtigen Prozessschritte handelt. Ein Beispiel hierfür ist die Wa- reneingangskontrolle. Unternehmen, die den Wareneingang von C-Teilen einer Detailüberprüfung unterziehen, werden in aller Regel diese Prozesse effizient beherrschen, d. h. nach § 377 HGB alle Prüfkriterien durchführen und die Ware bei Fehlerfreiheit dem Lager zuführen bzw. bei Qualitätsmängeln reklamieren. Effektiv ist es, mit dem Lieferanten eine Qualitätssicherungsvereinbarung zu schließen, um von der Prüfpflicht entbunden zu sein. Eine Analyse der gesamten Prozesskette bildet stets die Basis zur Identifizierung der wesentlichen „cost- driver“. Diese gilt es dann detailliert daraufhin zu überprüfen, ob Vereinfachun- gen (also Effizienzsteigerung) oder sogar ein Verzicht bzw. eine Verlagerung auf einen C-Teile-Management-Dienstleister sinnvoll, sein kann (also Effektivitäts- steigerung). Bereits im frühen F&E-Stadium von Produkten und Komponenten ist es sinnvoll, spätere Prozesse bis hin zur Montage mit einzubeziehen. Die Teilevielfalt des Endprodukts hat einen direkten Einfluss auf alle Waren- und Informationsströme. Je geringer die Anzahl an C-Teilen und je standardisierter die C-Teile, desto schlanker sind die Prozesse. Dies steht oftmals dem kreativen Erfindergeist der F&E-Abteilungen entgegen, neue, DIN-/ISO-ähnliche C-Teile zu konstruieren, anstatt auf Bewährtes zurückzugreifen. Lösungen finden sich hierfür in der Definition von Standard-Komponenten in einem Bauteilekatalog, der Restriktion von Einzelteil-Neuaufnahmen oder der Einbindung des Enginee- ring-Supports eines Dienstleisters, der auch im späteren operativen Prozess präsent sein sollte, um kontinuierlich Verbesserungspotentiale aufzuzeigen. 4.3.2 Produkt- und Prozessqualität Die fünf „W“ der Beschaffung – wer liefert was, wann und wie viel wohin – sind von entscheidender Bedeutung für die Beschaffungssicherheit von C-Teilen. Für die Prozesssicherheit allein reicht das nicht aus. Wenn die optimale Be- darfsmenge Just-in-sequence am Point-of-fit ist, sind zwar alle logistischen An- forderungen erfüllt, aber was passiert, wenn die Produktqualität nicht den An- forderungen entspricht? Die richtige Qualität der Produkte bildet damit die Basis für die anforderungsgerechte Prozessqualität, unabhängig von der logisti- schen Leistung. Selbst wenn diese zu 100 % erbracht wird, können Qualitäts- mängel bei Produkten den Produktionsablauf empfindlich stören bzw. sogar stoppen sowie nach der Produktion zu Reklamationen und Rückrufaktionen führen. Geeignete Maßnahmen zur Qualitätssicherung sind die Auswahl eines qualitätsorientierten Dienstleisters, der es versteht, durch eine kompetente technische Beratung die Produkt- und Prozessqualität sicherzustellen sowie eine mit dem Dienstleister gemeinsam durchgeführte Qualitätsvorausplanung. 326 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban Die Qualitätsvorausplanung kann sich permanent an den maximalen Anfor- derungen orientieren und jedes zugekaufte Bauteil einer detaillierten Kontrolle in der eigenen Qualitätssicherung unterziehen. Werfen wir doch mal einen Blick auf den Qualitätsprozess eines technischen Produktes: • Qualitätsplanung, • Definition von Prüfplänen, • Qualitätskontrolle in der laufenden Fertigung, • Endkontrolle und • Ausgangskontrollen vor dem Versand an die Kunden. Die Wareneingangskontrolle kann durch eine Qualitätsvereinbarung nach § 377 HGB ausgeschlossen werden. Bei der Qualitätsvorausplanung ist aber auch die Frage nach dem Sinn und Erfolg von Einzelmaßnahmen zu stellen. Schließ- lich sollte man sich immer der Tatsache bewusst sein, welche massiven Einflüsse z. B. auf eine logistische Systemausprägung genommen werden. Verwenden wir das einfache und allseits bekannte FiFo-Prinzip mit Chargenrückverfolgung innerhalb einer Materialbereitstellung nach dem Kanban-Prinzip. Zwei oder mehrere Behälter befinden sich hintereinander in einem Bereitstel- lungsregal. Die Behälter sind nach dem Prinzip „FiFo mit Chargenrückverfol- gung“ so angeordnet, dass der „älteste“ Behälter vorne, der „jüngste“ hinten steht. Diese sind zusätzlich mit der darin befindlichen Chargennummer beschriftet. Abb. 4.3.2 Wareneingangsprüfung 4.3 C-Teile-Management – optimale Prozesse 327 Was den Prozess der Warenbereitstellung betrifft, ist somit den geforderten Qua- litätsvorschriften Rechenschaft getragen. Es ist aber nicht gewährleistet, dass der Werker auch dokumentiert oder zumindest zeitlich fixiert, aus welchem Behälter er wann das Produkt entnommen bzw. die Charge gewechselt hat? Da man im beschriebenen Fall nur einen Annäherungswert, aber keine defini- tive Aussage erreichen konnte, stellt sich die Frage nach der optimalen Belie- ferungs-Systematik. Neben klassischen Ein- oder Zwei-Behälter-Belieferungs- systemen sind heute auch moderne Warenbereitstellungssysteme, wie z. B. die SmartBin®-Wiegetechnologie oder sensorikgesteuerte Systeme, wie die Sensor- Bin®-Technologie, am Markt verfügbar. Die Qualität bzw. deren Vorausplanung hat nicht nur Einfluss auf das einzel- ne Bauteil, sondern auch und vor allem auf nachgelagerte Prozesse. 4.3.3 Zuverlässigkeit Speziell in C-Teile-Management-Systemen wurde u. a. das Ziel verfolgt, Waren- bestände im eigenen Lager weitestgehend abzubauen und an einen Dienstleister zu verlagern. Dabei besteht die Gefahr, dass man in eine Null-Bestand-Situation (Zero-Stock-Situationen) gerät, wenn sich ein geliefertes Produkt trotz Quali- tätsvorausplanung, Definition von Regeln oder dem Abschluss einer Qualitätssi- cherungsvereinbarung als fehlerhaft und damit als nicht verwendbar erweisen sollte. Wenn diese Eventualität in der Analysephase nicht berücksichtigt wurde, tritt ein ernsthaftes Problem auf. Kann der Dienstleister diesen Missstand in einem akzeptablen Zeitraum beseitigen, könnte man sagen: „Es war dessen Ver- schulden, also ist auch die Beseitigung seine Pflicht.“ Man könnte aber auch feststellen, dass die schnelle Beseitigung in Wirklichkeit Glück war und nun damit beginnen, Fehlermöglichkeits- und Einflussanalysen (FMEA) gemeinsam mit dem Dienstleister zu erstellen. Ein Ziel sollte es immer sein, alle Risiken möglichst in planbaren oder zumindest in akzeptablen Grenzen zu halten. Qualitätskosten, die in der Analysephase anfallen, liegen deutlich unter jenen, die entstehen, sobald sich der Prozess einmal in voller Fahrt befindet (vgl. Abb. 1.20.3). Es kann daher nur logisch und richtig sein, sich über mögliche Störungen im Materialfluss Gedanken zu machen. Im Rahmen von C-Teile-Management-Systemen verantwortet der Kunde in der Regel nicht mehr alle Materialflüsse • vom Hersteller bis ans Band selbst. • vom Hersteller in ein Verteilzentrum bzw. Pufferlager. • vom Verteilzentrum bzw. Pufferlager zu einem Frachtführer. • vom Frachtführer in den Wareneingang. • vom Wareneingang in ein Zwischenlager. Und alternativ: • direkt ans Montageband. 328 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban Jeder dieser Materialflüsse ist grundsätzlich einer gewissen Störanfälligkeit unterworfen. Die möglichen Ursachen für Störungen in Materialflüssen sind wiederum sehr mannigfaltig und können kaum pauschal begründet werden. Für den Notfall sollte jedoch eine Verfahrensanweisung existieren (s. Abb. 4.3.3), die systematisch das Vorgehen bei Störungen beschreibt. Als Minimum sollten jedoch die Faktoren ausgeschlossen werden, die dazu führen, dass eine Störung des Gesamtprozesses, schon bei einem temporären Ausfall eines Einzelflusses, auftritt. Dies können z. B. sein: • Technischer Mangel erst beim Verbau erkannt, • Falsche Ware ans Band geliefert, • Zu geringe Menge für den Produktionszyklus ans Band geliefert, • Ware durch Unfall auf dem Transportweg zerstört, • Falscher Behälter gewählt – > kann am Montageplatz nicht gehandhabt werden, • Zuordnung aufgrund DV-Störungen nicht möglich, • Vereinnahmung aufgrund DV-Störungen nicht möglich und • Information über veränderten Bedarf ist nicht an Dienstleister weitergegeben worden. Bei der Definition optimaler Ablaufprozesse in C-Teile-Management-Syste- men sollte daher immer die Regel gelten, so wenige Schritte wie möglich zu tun, Abb. 4.3.3 Notfallplanung 4.4 Die Erweiterung des C-Teile-Managements 329 diese möglichst selbststeuernd zu gestalten und auf Schnittstellen weitestgehend zu verzichten. Technologische Unterstützungen solcher selbststeuernden Regel- kreise scheinen im Verhältnis zu bekannten Kanban-Varianten, wie der Zwei- bzw. Mehrbehälter-Logik, monetär ins Hintertreffen zu geraten. Dabei beweisen diese aber in der Praxis, dass das Plus an Prozesssicherheit und die Geschwin- digkeit der Informationsflüsse einen fast unbezahlbaren Vorteil bieten können. 4.3.4 Kontinuierliche Verbesserung Potentiale zur Optimierung von Prozessen liegen in allen Bereichen der Supply- Chain. Hauptsächlich wird der Fokus auf aktive Warenbewegung gelegt, da diese objektiv zu betrachten ist und täglich x-mal praktiziert wird. Zusätzliche Poten- tiale können aber auch viel weiter vorn in der Lieferkette lokalisiert werden. Allein der Komplex der Materialbeschaffung stellt einen bedeutenden Faktor dar. Je mehr Leistungen an diesem strategischen Punkt „outgesourct“ werden, desto mehr sollte man sich darauf verlassen können, dass ein bereits beschritte- ner Weg des Global-Sourcing von dem Lieferanten auch weiterverfolgt wird. Die Frage nach Low-Cost-Country-Sourcing ist dabei eine Thematik, die sehr sensi- bel zu behandeln ist. Hierbei große Schritte aus reiner Kostensicht heraus zu veranlassen, hat sich nicht selten relativ zeitnah als Bumerang erwiesen. Global- Sourcing darf nicht nur in Richtung Low-Cost verstanden werden, was zu Lasten der Qualitätsfähigkeit von Einzelteilen und (damit verbunden) ganzer Kompo- nenten gehen kann. Reine Einkaufspreisreduzierungen sind wie eingangs er- wähnt von nachgeordneter Bedeutung, wenn es um das gesamte Kostenreduzie- rungspotential des C-Teile-Managements geht. Als zukunftssicher erweisen sich Strategien mit C-Teile-Management-Partnern, die den Markt im Sinne der Pro- zessvereinfachung, der Prozesssicherheit, der Qualitätssicherheit und der Quali- tätskosten unter Berücksichtigung von Engineering-Leistungen sondieren. Dass diese Strategien auch kostenoptimierend sein müssen, ist eine conditio sine qua non unserer Zeit. 4.4 Die Erweiterung des C-Teile-Managements Florian Seidl, Keller & Kalmbach GmbH Welcher Dienstleister für welches Teilespektrum am besten geeignet? Als das C-Teile-Management in Deutschland eingeführt wurde, war die Keller & Kalm- bach GmbH einer der Pioniere mit der Einführung eines 2-Behälter-Systems bei Siemens im Jahr 1987. Zunächst setzte man bei jenem Produktbereich an, der in der Produktion in der Regel 80 bis 90 % der Anzahl aller Artikel, der im Wert jedoch nur 2−5 % des Einkaufsvolumens ausmacht, das sind Schrauben und andere Verbindungselemente. In diesem Produktbereich gibt es die höchste 330 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban Variantenvielfalt bei sehr geringen Teilewerten. Es ist daher kein Zufall, dass sich zunächst vor allem Schraubengroßhändler – kein Hersteller kann diese Produktbreite abdecken – mit dem C-Teile-Management für industrielle Pro- duktion beschäftigten. Später kamen Elektro-Großhändler dazu, die ein geringe- res Teilespektrum, jedoch mit höheren Teilewerten abdecken und vereinzelt auch Lieferanten von Industrieteilen, wie u. a. Hydraulikverschraubungen. Erst später begann man intensiv auch C-Teile-Management-Systeme für den inter- nen Betriebsbedarf einzuführen. Hier kamen vermehrt reine Dienstleister ins Spiel, welche eine Vielzahl von Produkten wie Werkzeuge, Arbeitsschutz, Hilfs- und Betriebsstoffe, Halbzeuge, Dichtungen, Elektroteile etc. in Bezug auf den Einkauf verwalten. 4.4.1 Welche Teile eignen sich für ein C-Teile-Management in der Produktion? C-Teile müssen für die Produktion in der Regel dem Werker vor Ort zur Verfü- gung stehen. Man wird diese Teile in der Nähe der Produktion lagern und in Form eines 2-Behälter-Systems oder eines anderen automatischen, sich selbst regulierenden Nachversorgungssystems vom Dienstleister bzw. Großhändler nachliefern lassen. Geeignet hierfür sind Teile mit folgenden Charakteristika: • niedriger Verbrauchswert, • geringe Empfindlichkeit bei Transport und Lagerung, • Schüttgutfähigkeit, • hohe Entnahmefrequenz und • konstanter Bedarf. Es sind dies also Teile wie Schrauben, Muttern, Scheiben, Drehteile, Presstei- le, Stanzteile, hydraulische und pneumatische Verschraubungen, Kabelbinder, O-Ringe, Dichtungen, Elektrokleinteile, Rohrschellen, Temperguss-Fittings etc. 4.4.2 Welche Teile sind geeignet für ein C-Teile-Management in der Betriebsinstandhaltung? Hier kann unterschieden werden zwischen Teilen, die ebenfalls stets sofort ver- fügbar sein sollten wie z. B. Schrauben, Dichtungen und Betriebsstoffe, also Tei- le, deren Fehlen zu Betriebsunterbrechungen führen kann und anderen, die eine gewisse Lieferzeit vertragen, z. B. Werkzeuge, Lager- und Betriebseinrichtungen, Roh- und Hilfsstoffe, Arbeitsschutz, Hygienematerialien, Putzmittel, chemisch/ technische Produkte und Vorrichtungen. Auf die erste Gruppe sollten wiederum die oben angeführten Kriterien zutreffen, die anderen Produktgruppen eignen sich für eine Bestellung direkt durch den Werker und eine kostenstellenbezoge- ne Lieferung. 4.4 Die Erweiterung des C-Teile-Managements 331 4.4.3 Was sind die Stärken und Schwächen der möglichen Dienstleister für C-Teile-Management? Die signifikanten Merkmale der beiden großen Anbietergruppen – Großhändler und Einkaufsdienstleister – sind: Der Großhändler ist in der Regel Fachmann in einem oder mehreren Berei- chen, z. B. Keller & Kalmbach bei Schrauben, Zeichnungsteilen, Werkzeugen, Chemie, Arbeitsschutz etc. Dies hat den Vorteil, dass der Dienstleistungspartner gleichzeitig der Fachhandelspartner ist, was bei einem „reinen“ Dienstleister nicht der Fall ist. Außerdem kann ein Teil der Wertschöpfung, die im normalen Handelsgeschäft erzielt wird, bei der Kalkulation des Aufwands in die Waagscha- le geworfen werden. In der Regel wird er auch Rechnungspartner für Teile und Produkte sein, während der Dienstleister in der Regel lediglich die Leistung ver- rechnet. Der Nachteil des Großhändlers ist jedoch, dass er nicht hundert Prozent Wertschöpfung mit der Dienstleistung tätigt, sondern lediglich 10−40 %, der Rest ist Wareneinsatz für seine Vorlieferanten. Er muss daher aufgrund der Deckung der Umlagekosten und Gewinnmarge einen höheren Aufschlag verrechnen. Al- lerdings ist durchaus denkbar, dass er auch als reiner Dienstleister für Bereiche, die nicht zu seinem Kernprogramm gehören, auftritt. Großhändler haben meist eine Lagerhaltung, sie eignen sich also für Produkte, bei denen sich Lagerhaltung anbietet, gleichgültig, ob sie schnell verfügbar sein müssen oder nicht auftragsge- fertigt werden. Der Einkaufsdienstleister ist dagegen lediglich eine zusätzliche Schnittstelle zwischen den Vorlieferanten und dem Kunden. Für seine Dienstleistung muss er selbstverständlich einen entsprechenden Kostenanteil verrechnen. Es gibt auch Mischformen, so z. B. der Anbieter „Simple System“. Simple System ist ein Zu- sammenschluss verschiedener Großhändler für Werkzeuge, Elektroteile, Ver- bindungselemente, Betriebseinrichtungen etc. und bietet eine offene Plattform für elektronische Bestellungen, auf der weitere Lieferanten integriert werden können, an. Sämtliche Kosten dieser Dienstleistung werden von den Lieferanten getragen und sind für den Kunden kostenneutral. Diese Plattform eignet sich besonders für den internen Bedarf. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich Fachhändler eher für den Produktionsbedarf, reine Dienstleister oder eCommerce-Plattformen eher für den internen Bedarf eignen. 4.4.4 Was übernimmt ein C-Teile-Dienstleister? Der C-Teile-Dienstleister übernimmt im Wesentlichen folgende Aufgaben: • innerbetriebliche Logistik, • Einkaufsverantwortung, • aktives Beschaffungsmarketing, • Optimierung der C-Teile, 332 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban • Terminverfolgung, • Reklamationsbearbeitung, • Rechnungsprüfung, • evtl. eine Kontierung nach Kundenwunsch und • statistische Auswertungen. Zusätzlich kann ein Fachhändler als Dienstleister noch übernehmen: • Lagerhaltung, • technische Beratung, • Optimierung der Einkaufspreise, • Qualitätssicherung und • Lieferung in die Produktion (Just-in-time, Just-in-sequence). Hierbei sind sämtliche Abstufungen denkbar, von reiner EDV-mäßiger Bün- delung und Weiterleitung von Einkaufsvorgängen – wobei die Lieferung wie bisher durch den Lieferanten direkt an den Endkunden erfolgt – über Aktivitäten im Einkauf oder in der Logistik wie Kanban-Belieferung. Ebenso können von einem entsprechenden Dienstleister oder Händler mit logistischer Kompetenz entwickelte automatisierte Systeme (RFID o. ä.; vgl. 5.14 Identifizieren mit RFID und/oder Barcode – Auto ID) eingesetzt werden. Damit werden die Bestände in der Produktion oder dem Kundenlager automatisch ermittelt und übermittelt und entsprechende Nachlieferungen auslöst. Es können auch noch zusätzliche logistische Dienstleister wie Spediteure eingesetzt werden. Die Systeme sind mit höherem und geringerem Komplexitätsgrad sowohl bei großen wie kleinen Kun- den anwendbar. Im Handwerk gibt es z. B. Systeme, bei denen die Regale im Kundenlager beschriftet sind und per einfachem Barcodeleser Bestellungen aus- gelöst werden können, die vom Kunden dann eingeräumt werden. Im Handel ist die „Regalpflege“ von Produktbereichen direkt durch den Hersteller oder Groß- Abb. 4.4.1 Typisches Teilespektrum im Durchschubregal 4.4 Die Erweiterung des C-Teile-Managements 333 händler gang und gäbe. Bei Großunternehmen kann die Servicetiefe der Dienst- leistung bis hin zur direkten Versorgung der Produktion gehen oder bei betriebs- internen Gütern bis zur Lieferung auf Kostenstellen. Hier ein Beispiel für ein umfassendes C-Teile-Management: Die Firma Krones AG stellt das gesamte Spektrum von Maschinen für die Ge- tränkeindustrie her. Als Spezialmaschinenbauer hat die Firma ein sehr großes Teilespektrum. Es existierten zwei Kanban-Lieferanten, der eine war für Ver- bindungselemente, der andere für Elektroteile zuständig. Im Jahr 2001 ent- schloss man sich, weitere C-Teile zu integrieren. Innerhalb von acht Monaten hat Keller & Kalmbach, die Lieferung für sämtliche Teile mit einem Einzelwert unter 3,- € übernommen. Es handelt sich hierbei z. Zt. um ca. 4.000 Teile von 300 Lieferanten, z. B. Verschraubungen, Schläuche, Federn, Schilder, O-Ringe und Zeichnungsteile. Diese Teile werden in über 30 Supermärkte in 3 verschiedenen Werken im Rahmen eines 2-Behältersystems täglich produktionsnah verbracht. Krones konnte mit diesem System die Lieferantenanzahl erheblich reduzieren, sein Zentrallager um über 30 % entlasten, erhebliche Reduzierungen bei Be- stands- und Personalkosten erreichen und gleichzeitig den reibungslosen Ablauf der Produktion sicherstellen. Im Rahmen einer „Open-book-policy“ wurden die für den Dienstleister entstandenen Kosten zunächst vergütet. Im Verlauf von drei Jahren wurden in gemeinsamer Arbeit die Einkaufspotentiale genutzt, wo- bei die Handelsspanne beim Kernprogramm „Verbindungselemente“ voll in das Abb. 4.4.2 C-Teile-Bereitstellung 334 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban Projekt einfloss. Die Einkaufspreise wurden, unterstützt durch ein steigendes Umsatzvolumen (z. Zt. fast 10 Mio €), gemeinsam optimiert sodass nur eine sehr geringe effektive Mehrbelastung für Krones entstand. 4.4.5 Wo sind die Grenzen des C-Teile-Managements? Teile, die sich nicht für eine Belieferung durch den Großhändler oder Kanban- Belieferung eignen: • Typische A- und B-Artikel, also hochwertige Artikel. • Artikel, die nur sporadisch benötigt werden. • Artikel, bei denen keine sicheren Vorhersagen über ihre Bedarfsmenge ge- macht werden kann. • Technisch sehr anspruchsvolle Artikel mit hoher Beratungsintensität und der Notwendigkeit eines ständigen technischen Supports des Lieferanten. • Transport- oder lagerungssensible Güter. Bei allen anderen Gütern muss der Anwender selbst entscheiden, ob der zu- sätzliche Aufwand für ein C-Teile-Management seine interne Kostenersparnis kompensiert. Wichtig ist, dass er die Kostenreduktion auch konsequent weiter- verfolgt, sodass sie nicht auf dem Papier stehen bleibt. Diese Kosten können z. T. aufgefangen werden, wenn Dienstleister eingeschaltet werden, die gleichzeitig Fachhandelskompetenz besitzen und damit einen Teil ihrer Handelsmarge auf- grund des gestiegenen Umsatzvolumens mit dem jeweiligen Kunden zur Deckung ihrer zusätzlichen Kosten verwenden können. Auch ist klar zwischen Produkten zu unterscheiden, die aufgrund des technischen Know-hows zwingend hersteller- gebunden sind, bei denen keine Lieferantenwechsel und auch keine Einkaufs- preisreduzierungen möglich sind, und Artikeln, bei denen die Einsparung des Fachhandels-Dienstleisters zum Teil an den Kunden weitergegeben werden kann. Üblich ist hier die 50:50–Regelung, d. h. dass 50 % des erzielten Kostenvorteils mittels Preisreduzierung an den Kunden weitergegeben werden, während 50 % der Handelspartner zur Deckung seines Einkaufsaufwands verwenden kann. Das ist also eine echte Win-Win-Situation für beide Seiten! 4.5 Lieferantenmanagement und -optimierung Colin Herron, University of Newcastle Upon Tyne, Großbritannien; Philipp Dickmann Die Qualität des Materialflusses in Unternehmen wird maßgeblich von den Lieferanten bestimmt. Die Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit mit den Lieferanten werden im Einkaufs- und Lieferantenmanagement definiert. Mo- derne ERP-Systeme bieten komfortable Möglichkeiten, dies steuerungstech- 4.5 Lieferantenmanagement und -optimierung 335 nisch abzubilden. Die Qualität des Materialflusses wird vollständig abgebildet und dokumentiert. Eine Optimierung findet jedoch nur in kleinen Teilberei- chen, wie der Datenübertragung und -darstellung statt. Um eine tatsächliche Verbesserung der Prozesse zu erreichen, sind umfassende Maßnahmen auf ande- ren Ebenen notwendig. Am Beispiel der Automobilindustrie lassen sich grund- legende Konzepte, wie „Preisfokus“-Strategien, qualitätsmanagement-orien- tierte (QM-orientierte) Methoden (z. B. des europäischen Automobilherstellers ODETTE) und kooperative, auf Lean Production basierende Methoden (z. B. beim japanischen Automobilhersteller Nissan) unterscheiden. Komplexere Ziel- vorgaben für Lieferanten sind den einseitig kostenfokussierten Methoden mit- tel- bis langfristig in einer einfachen Konkurrenzsituation klar überlegen. Das trifft besonders bei Produkten zu, die eine nachhaltige Zusammenarbeit erfor- dern. Allerdings sind an Lean Production orientierte Methoden im SCM in Europa noch wenig verbreitet. Lean Methoden zur Lieferantenbewertung erlau- ben durch ihre praxisnahen umfassenden Kennzahlen eine kontinuierliche Ver- folgung des Lieferantenniveaus und der Lieferantenprozesse. Der Aufwand ist jedoch im Vergleich deutlich geringer. Sie zielen dabei, wie die QM-orientierte Methoden, primär auf die Optimierung des umfassenden Herstellprozesses ab. Am Beispiel von Nissan werden hier Ansätze vorgestellt, die effizient eine hohe Preisreduzierung erreichen. 4.5.1 Konzepte zur hochvolumigen Einkaufspreisreduzierung Klassische Einkaufsstrategie Hier wird die Schnittstelle zum Lieferanten klassisch im rechtlichen Sinn inter- pretiert. Der Leistungsumfang, dessen Rahmenbedingungen weitestgehend aus gesetzlichen Regelungen bestehen, wird zu einem verhandelten Preis festgelegt. Das entspricht der klassischen Arbeits- und Kompetenzaufteilung im Unter- nehmen, wobei Einkauf und Beschaffung als rein betriebswirtschaftliche Diszi- plin verstanden wird. In Europa herrschte bis vor 20 Jahren dieses Prinzip vor: Bei einer fairen, nachhaltigen Zusammenarbeit zwischen dem Kunden und dem Lieferanten ist der größtmögliche nachhaltige Nutzen für beide Seiten zu erzie- len. Daraus leitet sich ein gleichberechtigtes Verhältnis zwischen Preis, Qualität und der differenzierten Leistung des Produktes ab. Der Umsetzungserfolg ist jedoch maßgeblich von langjähriger persönlicher Erfahrung in den Branchen bestimmt. Üblicherweise werden hierbei die Lieferanten nicht systematisch nach interdisziplinären herstellprozessbezogenen Kriterien bewertet, sondern Ver- gleichspreise, Erfahrungswerte und das „Bauchgefühl“ des Einkäufers sind die Basis der Kaufentscheidung. Kurzfristige Gewinnorientierung Aus den USA stammende, strikt auf den Trend von Aktienkursen (shareholder value) ausgerichtete Konzepte haben die klassischen Einkaufsstrategien in Eu- 336 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban ropa mittlerweile weitgehend verdrängt. Diese extrem auf den kurzfristigen Gewinn fokussierte Denkweise hat eine dominante Preisorientierung in der Einkaufsstrategie zur Folge. Konsequent und schnell auf kleinste negative Ten- denzen zu reagieren, führt tatsächlich zu einer deutlichen Verbesserung der Situation. Bei großer Marktmacht, monopolähnlicher Stellung, keiner nachhal- tigen Kunden-Lieferanten-Bindung oder anderen speziellen Marktsituationen haben sich diese aggressiven Konzepte kurzfristig als gewinnbringend erwiesen. Bei nachhaltigen Lieferantenverbindungen ist die Situation jedoch anders, da sich das Verhältnis analog der Spieltheorie von Neumann und Morgenstern entwickelt [Neum 44] (vgl. 1.18 Probleme sind Schätze). Der Druck des Kunden auf die Preise, erhöht beim Lieferanten zunächst den Leidensdruck und zwingt ihn zur Optimierung der Abläufe (s. Abb. 4.5.1). Das einseitige Senken des Ein- kaufspreises (Selektionsdruck) und das Ausklammern aller anderen Aspekte nötigt den Lieferanten zu einseitig kostenorientierten wertanalytischen Lö- sungsansätzen, um langfristig überleben zu können. Letztendlich führt dieses Selektionskriterium zu einem Wechsel des Angebots von „Premiumprodukten“ Abb. 4.5.1 Grundlegende Ansätze zur Optimierung von Lieferanten 4.5 Lieferantenmanagement und -optimierung 337 hin zu „Billigprodukten“. Herstellungsprozesse, die Produkte mit sehr geringer Lebenszeit oder schlechter Produktqualität erzeugen, sind bei dieser Methode im Vorteil. Die Folge des unausgewogenen Preisdrucks in der Praxis Von den Lieferanten wird weiterhin ein möglichst hohes Produktions- und Qua- litätsniveau gefordert. Dies erfordert auf der Seite der Lieferanten eine immer größer werdende Zahl an Maßnahmen, Aufwendungen und Kosten, z. B. für Prüfmittel oder Prüfvorgänge, komplexe Produktionsmittel, Schulungen, vielfäl- tigste Dokumentation oder auch Personalkosten. Preisfokusstrategien favorisie- ren jedoch in erster Linie starke Preisreduzierungen und lassen den Weg, wie die niedrigen Preise erreicht werden, weitgehend unberücksichtigt. Indirekt wird damit eine Leistungsreduzierung in Kauf genommen. Generell ist es legitim und richtig, zu hinterfragen, in wie weit Leistungen nötig sind. Einwände gegen Leis- tungsreduzierung sind allerdings häufig berechtigt. Beim Kunden ist es intern meist politisch schwierig Leistungsreduzierungen des Produkts durchzusetzen. Verhältnismäßig einfach ist dies bei einem Lieferantenwechsel oder bei Out- sourcing. Aus diesem Grunde nimmt bei Maßnahmen zur Preisreduzierung das heikle Thema des Anforderungsprofils bzw. des Produktionsstandards des Lie- feranten eine untergeordnete Rolle ein. Durch diese Tabuisierung werden aus einer langjährigen Kooperation gewachsene, hoch entwickelte Strukturen des Lieferanten vernachlässigt und als nicht kostenrelevant angesehen. Bei einem fundierten Vorgehen muss jedoch das tatsächliche Anforderungsprofil und das zu erwartende Risiko differenziert betrachtet werden (vgl. 1.15 Differenzierte Prozesskostenrechnung; 4.8 Outsourcing und Lieferantenwechsel). Ausweichstrategien bei unausgewogenem Preisdruck Eine weitere erfolgreiche Ausweichstrategie der Lieferanten ist die geplante und ungeplante Entwicklung zu untransparenten Kostenstrukturen. In vielen Fällen ist es ihm nicht möglich, anfallende Kosten direkt auf den Kaufpreis des Pro- dukts zu übertragen. Sie werden daher zunächst intern und später auch extern unter anderen Positionen verrechnet. Im Sinne eines Selektionskriteriums führt dieser Prozess zu komplexen Kostenstrukturen, Quersubventionierung und zeitlicher Verzerrung. Die klare Zuordnung zu einzelnen Produkten geht verlo- ren und eine Vergleichbarkeit ist nicht mehr gegeben. Die Veränderung der „Spielregeln“ (hin zu einer nicht an Nachhaltigkeit orientierten Zusammenar- beit) führt dazu, dass der Lieferant zukünftig nur mehr die nötigsten Anforde- rungen des Kunden erfüllt. Typische Folge beim Kunden ist der starke Anstieg der offenen aber auch der verdeckten Kosten, z. B. durch Qualitätsmängel, den Anstieg der Lagerbestände und der Störungen. Hr. José Ignacio López de Arriortúa etablierte den „Purchased Input Concept Optimisation with Suppliers“-Ansatz (PICOS-Ansatz). Das spanische Wort Picos steht wörtlich für „Gipfel“ (als Symbol für Spitzenleistungen), aber auch „Pi- ckel“ bzw. „Spitzhacke“ und umschreibt damit die eigentliche Bedeutung des 338 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban Begriffs ([Lamm 94], S. 356, Anm. 1). Der PICOS-Ansatz wurde als Methode zur Kostenreduktion und Rationalisierung des Wertschöpfungsprozesses in seiner Gesamtheit tituliert. Tatsächlich wurden aber aus einer Machtposition heraus die Konditionen zugunsten des Automobilherstellers verschoben, oder es wurde versucht, auf einen billigeren Lieferanten zu wechseln. Diese Methode wurde als „Politik der eisernen Faust“ bekannt (nähere Erläuterung in S. 282 in [Lamm 94]). Die ADAM OPEL AG war in Europa wohl das bekannteste Opfer dieser stark einseitig kostenorientierten Politik. Trotz des kurzfristigen Vorteils entsteht bei dieser Philosophie über Jahre meist eine nachhaltige Schädigung des Unternehmens und damit der Rendite. Bei differenzierten, komplexen Produkten mit vielfältigen Eigenschaften und langer kooperativer Entwicklungszeit führen diese Konzepte mittel- bis langfris- tig zu deutlich höheren Kosten. Dies ist selbst bei C-Teilen der Fall, etwa durch Vernachlässigung der Qualitätsansprüche, des Servicegrads oder der Flexibilität. Einkaufspreisorientierung Immer größere und schnellere Handelsplätze, Marktplätze oder – modern formu- liert – Plattformen stellen eine konsequente, moderne Variante der Einkaufs- preisorientierung dar. Die elektronische Datenübertragung, beispielsweise die Übertragung von Daten nach dem EDI-Standard, ermöglicht heute die weltweite Abwicklung von Geschäftsprozessen, wie z. B. Rechnungsbuchungen oder Bestel- lungen. In den letzten Jahren haben sich auch Marktplätze etabliert, in denen Wa- ren z. B. online im Internet in Sekundenbruchteilen aus dem weltweiten Angebot verstärkte Wertanalyse Preisreduzierung Einsparung nicht unmittelbar erkennbarer Leistungen Einsparung von Puffern günstigere unexaktere Herstellverfahren Zunahme der Fehlerhäufigkeit & „Schlupf“ zum Kunden günstigere Unterlieferanten Häufigkeit der Störungen beim Kunden nimmt zu Abb. 4.5.2 Ausweichstrategien gegen unausgewogenen Preisdruck: Spirale der Preisredu- zierung – Beim Kunden erhöhen sich Herstellkosten und Reklamationen drastisch. 4.5 Lieferantenmanagement und -optimierung 339 der Zulieferer ausgesucht und bestellt werden können. Während bis vor einigen Jahren noch elitäre, rein für Unternehmen verwendbare Plattformen existierten, haben sich mittlerweile auch offenere Plattformen etabliert. Gebrauchte Maschinen werden beispielsweise bei EBAY direkt neben Konsumgütern für den privaten Gebrauch verkauft – alles auf der gleichen Plattform. Solche Konzepte sind bei spezifischen Produkten, deren Leistungsvergleich nicht mit einfachen Kennzah- len oder Standards möglich ist, oder die eine jahrelange gemeinsame Entwicklung voraussetzen, nicht sinnvoll. 4.5.2 Qualitätsmanagement-orientierte Konzepte zur Lieferantenoptimierung Die Zunahme der Komplexität der Produkte, Herstellprozesse und Lieferanten- anforderungen erfordert, die Entwicklung von Standards für Lieferanten. Um einen ungestörten Materialfluss zu gewährleisten, wurden Maßnahmen zur Prä- vention von Krisenfällen definiert. Als Konsequenz der Preisfokusstrategien hat sich die SCM-Philosophie etabliert, ergänzt durch die in Nordeuropa und Nord- amerika verinnerlichten QM-Konzepte. Vom Qualitätsmanagement (QM) zum SCM-Standard der europäischen Automobilindustrie (ODETTE) Von der europäischen Automobilindustrie wurde ein einheitlicher Standard in der „Organisation for Data Exchange by Tele Transmission in Europe“ (Odette, www.Odette.org) basierend auf vorhandenen Qualitätsmanagement-Systemen entwickelt. Dieses Konzept ist sehr umfassend, aber auch aufwendig in der Um- setzung. Es stellt sehr hohe Ansprüche an die Zulieferer der Automobilindustrie in Europa und erreicht damit eine durchgängige Standardisierung des Supply Chain Management (SCM). Die Vorgehensweise von ODETTE lehnt sich an die DIN-Zertifizierungsmethode an. In diesem Forum wurden sehr umfassende Standards für Kommunikation, Austausch von technischen Daten und Logistik-Management definiert. Die euro- päische Fahrzeugindustrie will damit eine erfolgreiche Basis für die Zusammenar- beit mit ihren globalen Partnern erreichen. Die Konzepte wurden für Beziehungen von Partnern im Umfeld hochkomplexer Konzernstrukturen maßgeschneidert. Einerseits wurden konkrete Normen definiert wie Formate für Datenübertra- gung, Behälterbeschriftungen oder die Verwendung von Transpondern bzw. Barcodes. Andererseits wurden, angelehnt an die Vorgehensweise bei Qualitäts- zertifizierungen, Checklisten entwickelt, die umfassende Fragestellungen der Zusammenarbeit erfassen und lenken. Zur Jahrtausendwende wurden die ersten Zertifizierungen umgesetzt und erste A-Lieferanten, wie etwa die VOITH Pro- duktgruppe Retarder von VOLVO, nach der ODETTE-Klassifizierung ausge- zeichnet. Durch den Standard können Automobilhersteller (OEM’s) und Liefe- ranten Synergieeffekte nutzen, unnötige Zertifizierungen werden eingespart. 340 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban Vorgehensweise von ODETTE ODETTE bewertet die Qualität der Produkte, der Zusammenarbeit und der Zu- lieferunternehmen. Dieser Maßstab wird bei einer Lieferanten- oder Produktent- scheidung gleichberechtigt zum Preis herangezogen. Die Zertifizierungen for- dern, die Prozesse der Produkt- und Lieferqualität umfassend zu kontrollieren und zu dokumentieren. Die Lieferanten werden aufgefordert, eine Klassifizierung der Unterlieferanten anzuordnen. Die Lieferanten müssen zunächst ihren Status für jede Frage der Checkliste in einer Selbstbewertung ermitteln. Die Antworten werden über eine individuelle Gewichtung zu einer Gesamtpunktzahl zusammengeführt. Damit kann der Kun- de mit geringem Aufwand eine umfassende Verifikation vornehmen. Das Konzept erfüllt allerhöchste Ansprüche, z. B. beim Logistik-Audit mit dem Global Materials Management Operations Guide (Global MMOG), mit ca. 70 Grundfragen und 3 bis 15 untergeordneten Fragestellungen. Nahezu jede denkba- re Problemstellung wird abgefragt. In dem Guide werden Vorgaben für Notfall- pläne bei Streik oder Naturereignissen, elektronische Datenübertragung bis hin zum Einsatz simulativer Planungstools definiert. Inwieweit die Vorgaben, etwa der Zwang zu EDI oder simulativen Tools, eine sinnvolle Lösung für alle Unternehmen darstellt, ist fraglich. Die Methode ist hoch komplex und daher extrem aufwändig. In der Praxis wird meist nur eine vereinfachte Bearbeitung und Überprüfung umgesetzt. Die Fragen und Zielvorga- ben sind primär auf Konzernstrukturen abgestimmt, daher sind sie auf KMU nur eingeschränkt übertragbar. Der derzeitigen Entwicklung, in kleineren Unter- nehmensstrukturen zu arbeiten, wird das Konzept dadurch nicht gerecht. Flankierend finden bei ODETTE Projekte zur Kostenreduzierung statt, sofern Lieferanten die geforderten Kostenziele nicht erreichen. Hierbei werden im Re- gelfall unter der Hoheit des Einkaufs die Kostenstrukturen und mögliche Kos- tenreduzierungspotentiale wertanalytisch ermittelt. Dazu wird die klassische betriebswirtschaftliche Kostenstruktur der Produktkosten, als Basis für Reduzie- rungen Verbesserungen herangezogen. 4.5.3 Lean-Philosophie-orientierte Lieferanten- und Kostenoptimierung Die japanische Automobilindustrie hat sehr früh begonnen, das 1966 von T. C. Ohno [Ohno 78] bei Toyota für interne Abläufe entwickelte Kanban-System auf Lieferanten auszudehnen. Spätestens mit der „zweiten Lean Revolution“ [Takes 95] bzw. der „zweiten Revolution in der Automobilindustrie“ [Woma 92] (vgl. Tabelle 1.1.1) wanderte die Bedeutung der Einbindung der Lieferanten in den Brennpunkt. Die Zuliefererlandschaft bestand in Japan vielfach aus „Kiretsu“, also Familienunternehmen, die weit reichende Kooperationen zu den OEM hatten, welche meist einen Eigenkapitalanteil an der Gesellschaft [Sako 03] besaßen. Der in Japan bevorzugte Ansatz unterscheidet sich vor allem in der Prozessorientierung 4.5 Lieferantenmanagement und -optimierung 341 und der Einbindung von Lean-Know-how im Vergleich zu den ergebnisorientier- ten bzw. an kurzfristigen Gewinnen orientierten Methoden, die vor allem in den USA, aber auch in Europa von J. I. López präferiert wurden (vgl. 4.5.1 Konzepte zur hochvolumigen Einkaufspreisreduzierung). Der kooperative Umgang mit den Lieferanten ist daher nach der japanischen Philosophie das Herzstück des Lieferantenmanagements. Lieferanten werden hier als „Teil der Familie“ ver- standen, was sich, bezogen auf das beteiligte Kapital, auch betriebswirtschaftlich widerspiegelt. „Einen Sohn verstößt man nicht, wenn er die Vorgaben nicht Tabelle 4.3.1 Vergleich Odette und Lean Lieferantenbewertung [Lepr 07b] Methode Odette Lean Lieferantenbewertung Vorgehen Qualitätsmanagementbasiert Best Practice Vorteile • viele Bewertungskriterien • sehr detailliert • sehr fundiert („110 %ige“ Lösung) • wenige, aber aussagekräftige Bewertungskennzahlen • fundierte ganzheitliche Aussage • prozess- und damit kosten- orientiert • deckt Verschwendungen auf • schnell durchführbar • nach Anforderung skalierbar • überschaubares Ergebnis • Führt durch Anpassen an praxistaugliche Best Practi- ce-Lösungen (evtl. mit Bera- tungsleistung) zur sicheren und tragfähigen Prozessop- timierung und zu starker Kostenreduzierung. Nachteile • extrem zeitaufwändig • teuer • nicht häufig wiederholbar • sehr umfangreich • starr, da als Standard fixiert • Ergebnis aufgrund der Men- ge der Daten schwer aus- wertbar • Bewertungsschwerpunkt Qualität setzt Best Practice und Lean Wissen des Auditors voraus Zielgruppe Konzerne Konzerne, Mittelstand kleine Unternehmen 342 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban erreichen kann, man hilft ihm“. Intensive Kooperation tritt an die Stelle von Parallellieferantenstrategien. Diese auf den ersten Blick triviale Philosophie führte zu einem vollkommen anderen Lösungsansatz in Japan. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Lieferantenentwicklung mit Lean-Methoden sehr effektiv zur direkten Reduzierung des Kaufpreises angewendet werden kann. Sie elimi- niert selektiv und detailliert Verschwendung. Interdisziplinär werden verschie- denste Bereiche optimiert und gleichzeitig nimmt bei dieser Kostenreduzierung das Risiko, das generell mit Änderungen einhergeht, ab. Die Methode ermög- licht zudem einen exakteren globalen Vergleich von Lieferanten und kann in unterschiedlichsten Branchen oder Herstellprozessen angewandt werden. 4.5.4 Lieferantenentwicklung am Beispiel Nissan Bei Nissan Motor Manufacturing Uk Ltd. wurde um 1997 erkannt, dass der Lö- wenanteil der Kosten (65 %) und damit des Potentials zur Optimierung bei den Lieferanten liegt. Der Trend hielt an und der Anteil liegt heute bei ca. 70 %. Weiter- führende Unterstützung bzw. Beratung der Lieferanten mit Lean-Know-how wurde hier folglich als besonders wirtschaftlich und lohnenswert angesehen. Dies war die Geburtsstunde von „Total Cost Investigation“ (TCI) einem Team zur Unterstützung des bereits etablierten „Supplier Development Team“ (SDT – Lieferantenentwicklungsteams). Hierzu wurden Teams aus Spezialisten zur Lie- ferantenentwicklung gebildet, um Lieferanten zu unterstützen. In Europa wurden dazu Mitarbeiter aus der Produktion, etwa aus dem Werk Sunderland Newcastle, herangezogen, da diese einen hohes Maß an Verständnis für die Problemstellungen ihrer Lieferanten hatten. Das Werk Sunderland wurde 2006 zum achten Mal vom „World Market Research Center“ (WMRC) als das effizienteste Automobilwerk Europas und erstmals auch Nordamerikas ausge- zeichnet. Mit der Hilfe der erfahrenen Praktiker entstand eine kooperative Stimmung und die Lieferanten erkannten sehr schnell, dass ihnen eine aufrichtige, offene Kundenbeziehung mit einer nützlichen Highlevel-Consultingleistung gewährt 1997 2008 Wertschöpfung intern Wertschöpfung beim Lieferanten Abb. 4.5.3 Der Wertschöpfungsanteil bei Nissan ist gering und nimmt ab. Der Großteil der Wertschöpfung liegt beim Lieferanten. Damit bestimmen die Lieferanten auch ent- sprechend die Leistung. 4.5 Lieferantenmanagement und -optimierung 343 wurde. Die Lieferantenstrategie unterschied kurz- bis mittelfristige Maßnahmen TCI (die eng eingegrenzt und preisorientiert erfolgten) und mittel- bis langfristig wirkende Maßnahmen SDT, die sich beide gegenseitig ergänzten. Wie der Name „Total Cost Investigation“ erkennen lässt, war es das klare Ziel für Nissan, eine Kostenoptimierung für die eigenen Produkte zu erreichen. Auch wenn der Titel des Konzepts eine hohe Kostenorientierung erkennen lässt, steht ein bilateraler und symbiotischer Charakter im Vordergrund. Beide Partner profitieren von der Zusammenarbeit in hohem Maße. Befürchtungen, dass der OEM mit viel Aufwand und unter dem Vorwand der Unterstützung nur versu- che, rücksichtslos Kosten zu senken, entkräfteten sich meist im Verlauf eines solchen Projekts von selbst. Der Verbesserungseffekt, Kostenvorteile und die Methoden wurden in der Regel vom Lieferanten auch auf andere Produkte über- tragen. Sofern der Lieferant die Unterstützung richtig nutzte, konnte ein deutli- cher Prozess- und Kostenvorteil für den gesamten Herstellprozess, inklusive angrenzender Bereiche, entstehen. Die kooperative und offene „Durchleuchtung“ des Anforderungsprofils hatte einen enormen betriebswirtschaftlichen Effekt. Verschwendung wurde auf bei- den Seiten (Lieferant und Kunde) eliminiert. Die Exponentialkurve der Kosten bei Produktentwicklungen (vgl. Abb. 1.20.3) hat zur Folge, dass sich die meisten der relevanten Einsparungen in Design-Änderungen oder Neuentwicklungen nieder- schlagen, also erst mittel- bis langfristig wirtschaftlich wirksam werden. Durch die kooperative Optimierung der Prozesse und den Einsatz von Best Practice- Beispielen konnte Verschwendung umfassend eliminiert und Einsparung erzielt werden. Die Folgen ungewollter Leistungseinbrüche, etwa in der Qualität oder Lieferfähigkeit, blieben aus. Der Lieferant kann sein Kostenziel erreichen und damit einen nachhaltigen Preisvorteil weitergeben. Das Vorgehen verursacht einen in Relation zu anderen Verfahren vergleichbaren direkten Personalbedarf und sonstigen Aufwand. Die vielfältigen positiven Auswirkungen und damit letztlich Kosteneinsparungen sind aber ungleich höher als bei einfachen Metho- den des Preisvergleichs. Andere positive Auswirkungen werden nicht direkt zugeordnet erfasst, etwa die Reduzierung des Krisenmanagements beim Kunden oder beim Lieferanten. Im Vergleich zu gängigen QM-basierten Methoden ist der Aufwand für Organisation, Dokumentation und Datenbearbeitung ebenfalls erheblich geringer. Es bleibt klar festzustellen, dass eine herausragende Produk- tivität in einem Unternehmen grundsätzlich nur mit einer mindestens gleichwer- tigen Spitzenleistung der Lieferanten möglich ist. 4.5.5 Umsetzung einer Lieferantenoptimierung mit Lean-Philosophie Im Konzept von TCI wurden 23 Checkpunkte definiert. Japanisch heißt „ni“ zwei und „san“ drei, was zu der Bezeichnung „Nisan“-Checkpunkte (23-TCI- Checkpunkte) führte. Verglichen mit ODETTE sind Lean-Methoden sehr wenig 344 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban differenziert, daher ist ein viel geringerer zeitlicher Aufwand zur Bearbeitung nötig. Die 23-Punkte zielen darauf ab, Kosten zu reduzieren und Verschwen- dung zu eliminieren. Durch die präventive Wirkung der Lean-Philosophie ist es möglich, eine effiziente und wirtschaftliche Produktion im interdisziplinären Zusammenspiel auch aller angrenzenden Bereiche zu erzeugen. Das TCI-Team besteht (nach Bedarf) im Allgemeinen aus Produktion, Ein- kauf, Logistik und Qualität. Entsprechend der Branche, der Problemstellung, der Kostentreiber und letztlich dem Land variiert natürlich die Zusammensetzung dieser Teams. Der angestrebte Zeitrahmen ist kurz- bis mittelfristig. Die Kenn- zahlen, die beim Lieferanten aufgenommen werden, identifizieren die Optimie- rungspotentiale. Die von der Bewertung betroffenen Bereiche sind: Planung Beschaffung Prozess Prüfung Lagerung Transport Abb. 4.5.4 Bei der Bewertung durch das TCI-Team werden folgende Bereiche analysiert und optimiert. Der wesentliche Unterschied zu QM-Methoden liegt darin, nicht nur primär Kostenpotentiale oder Probleme aufzuzeigen, sondern in allen Bereichen hoch- wertige, bewährte Alternativen und deren Potentiale aufzuzeigen. Die Umset- zung dieser Optimierungsmaßnahmen wird nicht nur vom Lieferanten gefor- dert, sondern zusammen mit den Trainern geplant und realisiert. Maßstab sind dabei bekannte Best Practice-Beispiele. Formal wird damit natürlich auch das Ziel der Kostenreduzierung angestrebt, der Weg ist aber deutlich kooperativer und unterstützt den Lieferanten. Das TCI-Konzept geht bei Nissan nahtlos in das SDT über, ein mittel- bis langfristig angelegtes Lieferantenoptimierungssys- tem mit breiter Anwendung von Lean-Methoden. Die Lieferantenbewertung betrachtet neben der aktuellen Situation auch maßgeblich die Gesamtentwicklung eines Unternehmens. Beim Vergleich von Lieferanten ist bei geringem Unterschied von Preis und Qualität entscheidend, welcher sich schneller und effizienter entwickelt. Er kann dem Kunden in ab- sehbarer Zeit die bessere Leistung zum besseren Preis bieten. 4.5 Lieferantenmanagement und -optimierung 345 Lean-basierte wirtschaftliche Schlüsseldaten bringen eine bessere Vergleich- barkeit als die anderweitig üblichen Assessments für Lieferanten oder der einfa- che Vergleich der Einkaufspreise. Es lassen sich dabei nicht nur die Ist-Kosten, sondern auch verdeckte Ursachen der Verschwendung erkennen. Die differen- zierte, pragmatische und ausgewogene Betrachtungsweise erlaubt eine einfache und kostenrichtige Vergleichbarkeit von internationalen Produktionsstandor- ten. Um Lean-Kennzahlen ergänzte wirtschaftliche Kennzahlen erlauben eine deutlich fundiertere Aussage, als andere gängige Methoden, die vielfach Punkte wie z. B. die Gemeinkostenaufteilung nicht ausreichend berücksichtigen. Breites Anwendungsfeld Die Vernetzung der Standards unter den großen japanischen Automobilherstel- lern wurde schon früh erzeugt. Die großen Drei – Nissan, Toyota und Honda – trieben den Austausch und die Standardisierung in Hinblick auf Lean in der Lieferantenentwicklung sehr umfassend voran. Ein Vorgehen, das von der Briti- schen Regierung ebenfalls angestrebt wurde, um allen Automobillieferanten in Großbritannien den Zugang zu schlanken Herstellungsmethoden zu ermögli- chen. Nach der Bildung der Nissan/Renault-Allianz wurde die Methode der kooperativen Lieferantenentwicklung (TCI) in veränderter Form unter dem Namen „Alliance Supplier Improvement Activity“ (ASIP) in Abstimmung mit Renault fortgeführt. ASIP benutzt ein Team von Fachingenieuren aus Logistik, Produktion und Konstruktion. Lean-basierte Lieferantenentwicklung bewirkt nicht nur die direkte Reduzie- rung des Kaufpreises, sondern vermindert zahlreiche indirekte Kosten. Diese 57% 32% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Nissan Sunderland Durchschnitt in Europa Schlechtester Produktionsstandort in Europa 68% Effizienz Abb. 4.5.5 Effizienzvergleich von Nissan (mit Lean Lieferantenmanagement) mit anderen Herstellern in Europa. Das Nissan-Werk (Sunderland) im Hochlohnland England benö- tigt 25−75 % weniger Lohnkosten und Arbeitsstunden pro Fahrzeug als alle anderen vergleichbaren Werke in Europa und Nordamerika [Harbour-Report 2001]. 346 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban Methode des Lieferantenmanagements, mit einer konsequenten Einführung von Lean Methoden, ist für beliebige Herstellungsprozesse erfolgreich anwendbar und führt zur Steigerung der Konkurrenzfähigkeit. Es ist jedoch eine spezifische Anpassung der Grundlage des TPS notwendig. Die Basis ist hierbei eine Produk- tivitätsbedarfsanalyse, gefolgt von einer maßgeschneiderten Unterstützung für jedes Unternehmen [Herr 06]. Es können damit nachhaltige Kostenvorteile im Vergleich zu gängigen einkaufspreisorientierten Methoden mit geringerem bü- rokratischen Aufwand als bei Qualitätsmanagement-basierten Systemen erreicht werden. Lieferanten-Kanban Lieferantenbewertung Lieferantenfokussierung Auditierung & Gespräche Lieferantenentwicklung B es t P ra ct ic e Le an K rit er ie n O pe n B oo k & V C A Lean Lieferantenmanagement Lean Lieferantenmanagement A kt iv e En tw ic kl un g Le an M et ho de n Nachhaltig stabile Lieferantenprozesse Sehr hohe Lieferfähigkeit der Lieferanten Störgrößenreduzierung (Kaizen/VCO) Abb. 4.5.6 Lean-Lieferantenmanagement (Quelle: Lepros GmbH): • Hauptfokus neben der Entwicklung der Lieferanten ist eine konsequente Reduzierung der Störgrößen (im Materialfluss des Lieferanten und intern beim Kunden). • Lieferantenbewertung und Lieferantenfokussierung erfolgen regelmäßig mittels Lean- Kennzahlen (TCI-Punkte). • Lieferantenauditierung und -gespräche werden durch Valuecycle Analyse unterstützt, gegebenenfalls auch mit Openbook-Strategie. • Lieferantenentwicklung wird in kooperativer Zusammenarbeit mit dem Lieferanten und unter Einsatz von Lean-Methoden durchgeführt (z. B. Kanban, Materialfluss- Kaizen oder Valuecycle Analyse sowie unter Bezugnahme auf Best Practice Beispiele). • Anbindung der Lieferanten erfolgt über Lieferanten-Kanban und strikte Umsetzungs- vereinbarungen. • Das Team zur Umsetzung dieses Konzepts sollte interdisziplinär zusammengesetzt und als Stab unter der Geschäftsleitung angesiedelt sein. • Ergebnisse: Mittelfristig führt die Methode zu nachhaltig stabilen Lieferantenprozessen und hoher Lieferfähigkeit der Lieferanten. Da die Methode einen tiefen Einblick in die Strukturen der Lieferanten gibt, können Preispotentiale ohne nachträgliches Risiko voll genutzt werden [Lepr 07b]. 4.6 Kooperationsmanagement – Netzwerke 347 4.6 Kooperationsmanagement – Netzwerke Netzwerke – Allheilmittel der weltweiten Prozessoptimierung? Peter Schmidt, J. BAYER GmbH & Co. KG Im Zeitalter des Internets ist es möglich, innerhalb von Sekunden weltweit unter den günstigsten Konditionen zu kaufen und zu verkaufen. Die Auswirkungen des World Wide Web (WWW) auf wesentliche Funktionsbereiche eines Unter- nehmens sind enorm. Als Folge des WWW gibt es insbesondere auch für die Materialwirtschaft eine Fülle völlig neuer, inzwischen auch ausgereifter Soft- waretools, welche das Handling wesentlich erleichtern, eine hohe Prozesssicher- heit bieten und vor allem die wesentlichen Prozessinhalte eines standardisierten Beschaffungsprozesses nachbilden. Parallel dazu hat sich durch die fortschrei- tende Globalisierung der Märkte auch auf der Anbieterseite (Verkäufer) eine entsprechend hohe Akzeptanz des Mediums WWW herausgebildet, mit der Folge, dass sich immer mehr Lieferanten- bzw. Einkaufsportale herausbilden, die zu einem intensiven Waren- bzw. Dienstleistungsaustausch, zuerst im B-to- B-Bereich (Vertriebsweg „business to business“) führen. Trotz dieser grundsätz- lich positiven Entwicklung ist die anfängliche überbordende Euphorie bezüglich des WWW als einfaches, schnelles und weltweit einsetzbares „Allheilmittel“ zur Optimierung des Waren- und Informationsflusses auf nationalen und interna- tionalen Plattformen/Marktplätzen inzwischen wieder verflogen. Warum? Zum einen, weil sich in der Realität der webbasierte Einkaufsprozess vor allen Dingen auf den Einsatz einkaufspreisdominierter Methoden und bran- chenspezifischer Standardprozesse konzentriert, welche nur für einen stark eingegrenzten Teil von Produkten und Anwendungen einsetzbar ist. Zum ande- ren, weil gerade durch das Medium WWW immer mehr die in den letzten Jahr- zehnten eingetretenen, gravierenden, weltweit sichtbaren Marktveränderungen sichtbar werden. Elementare Trends sind dabei sowohl der Übergang vom Ver- käufermarkt zum Käufermarkt und damit von der reinen Massenfertigung zur maßgeschneiderten Massenfertigung (Mass Customization) als auch die neue Philosophie des Shareholder-Value-Ansatzes als Bewertungsbasis einer nachhal- tigen Unternehmens(wert)entwicklung. 4.6.1 Was sind Netzwerke? Netzwerke im engeren Sinne Als Netzwerk bezeichnet man den Verbund mehrerer Computer, die miteinan- der kommunizieren können. Man unterscheidet hierbei zwei Typen von Netz- werken, diese heißen (Local Area Network) LAN und Wide Area Network (WAN). Server und Clients sind wesentliche Bestandteile der meisten Netzwer- ke. Diese werden in der Regel dazu verwendet, vielen Clients Informationen oder Ressourcen, wie z. B. einen Drucker, über einen Server zentral zugänglich 348 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban zu machen. Das Internet ist das heute wichtigste und größte Netzwerk. Der Aus- tausch der Daten erfolgt über so genannte Netzwerkprotokolle. Bei dieser Definition steht die Betrachtung von Netzwerken als reines Organi- sationsmittel (Hardware und Software), welches zur Optimierung eines Gesamt- systems eingesetzt wird, im Vordergrund. Netzwerke im weiteren Sinne Bei der Betrachtung im weiteren Sinne wird die reine Einordnung von Netzwer- ken als Bündel von Hardware- und Softwaretools im Rahmen der Strukturorga- nisation wesentlich erweitert. Zu dem rein ordnungspolitischen Einsatzmittel kommen Einheiten mit Gestaltungsfunktion hinzu. Die Definition wird auf die lockeren Zusammenschlüsse von Akteuren (einzelne Personen, Organisationen, Einrichtungen) aus unterschiedlichen Bereichen, die sich im Rahmen von Ko- operationsvereinbarungen zu einer Zusammenarbeit verpflichten, ausgedehnt. 4.6.2 Netzwerke – die nächste Evolutionsstufe der klassischen Managementmethoden zur Prozessoptimierung? Infolge der geänderten Marktanforderungen ist in der Unternehmensphiloso- phie eine verstärkte Fokussierung auf eine markt- und kundenorientierte Aus- richtung zu beobachten. Die erfolgreiche Umsetzung einer marktorientierten Unternehmensführung fordert die kompromisslose Ausrichtung der in der Ser- vicequalität ausgedrückten, auf den spezifischen Markt ausgerichteten Schlag- kraft eines Unternehmens. Das Optimum der „Servicequalität“ [Kenz 03] eines Unternehmens ergibt sich aus der Verknüpfung der bestimmenden Faktoren: Produkt, Organisation und Mensch (s. Abb. 4.6.1). Es wird nur dann erreicht, wenn es gelingt, diese drei Fak- toren derart zusammen zu führen, dass sie potenzierend und nicht nur additiv wirken. Aus dieser Betrachtungsweise heraus ergibt sich zwangsläufig auch das Diktat einer ganzheitlich ausgerichteten Betrachtungsweise der Unternehmung bzw. der Unternehmensprozesse. Diesen Anspruch kann eine web-Netzwerkab- wicklung, mit einem preisoptimierten und -dominierten Einkaufsprozess nicht erfüllen. Dem Anspruch nach optimalen Gesamtergebnissen wird nur durch die durchgängige Betrachtung und Einbindung der gesamten Logistikkette entspro- chen. Gerade diese ganzheitliche Betrachtungsweise macht gleichzeitig deutlich, dass das Medium Netzwerk bzw. „Internet“ nur ein Werkzeug ist, das bei richti- gem Gebrauch über Erfolg oder Misserfolg mitentscheidet, letztendlich struktur- bedingt aber keine ganzheitliche Betrachtung stemmen kann. Im Gegenteil – die verstärkt implementierte Philosophie der marktorientierten Unternehmensaus- richtung, in Verbindung mit der durch die Globalisierung erzwungenen Prozess- optimierung, führt durch den Zwang der ganzheitlichen Betrachtungsweise sehr schnell zur Rückbesinnung auf die bewährten klassischen Führungsinstrumente. Mehr und mehr ist unternehmerische Leitkultur erforderlich, um sich völlig neue 4.6 Kooperationsmanagement – Netzwerke 349 und entscheidende Wettbewerbsvorteile zu sichern. Aus dieser Sicht heraus ist es nicht überraschend, dass gerade jetzt die Themen Kooperationsmanagement bzw. Netzwerke stärker diskutiert und ihre Bedeutung für eine erfolgreiche Un- ternehmensführung und die Erreichung entscheidender Wettbewerbsvorteile stärker in den Vordergrund tritt. Diese Vorteile sind in erster Linie durch eine entsprechende strategische Ausrichtung zu erreichen, z. B. durch schlanken Ma- terialfluss und Lean Production. Der Einsatz neuer Organisationsmittel wie das Internet, unterstützt lediglich die optimale Zielerreichung. In dieser Hinsicht sind sowohl das World Wide Web als auch andere Netzwerke nur als Instrumente der Zielerreichung zu betrachten. Netzwerke sind also in keiner Weise als eigenstän- dige Managementtools mit Strategiecharakter zu betrachten, sondern die Folge des Einsatzes strategischer Grundsatzentscheidungen. Der strategische Ansatz verbirgt sich dagegen hinter einer traditionsreichen, klassischen, unternehmeri- schen Managementmethode – dem Kooperationsmanagement. 4.6.3 Kooperationsmanagement Definition Kooperation Kooperation ist jede Art von freiwilliger zwischenbetrieblicher Zusammenarbeit (z. B. bei Forschung und Entwicklung, Produktion, Einkauf, Vertrieb etc.), ohne dass die Kooperationspartner ihre rechtliche und wirtschaftliche Selbstständig- keit verlieren. Berücksichtigt man die Definition von Netzwerk im weiteren Sinne, sind Kooperationen letztlich nichts anderes als „beseelte“ Netzwerke. Der Begriff „Netzwerk“ ist also nichts anderes als „alter Wein in neuen Schläuchen“, wenn auch zugegebenermaßen der Kelterungsprozess deutlich verfeinert und beschleu- nigt worden ist. Kooperationen – Turboinstrumente „Kooperationen bilden aufgrund der Aufgabenverteilung sowohl einen Ansatz zur Risikostreuung (Investitionsaufteilung), zum Fehlerausgleich (Weitergabe von Erfahrung), zur Leistungssteigerung (Konzentration auf Kernkompetenzen) sowie zur Kostendegression (Kapazitätsausgleich)“ [DNEG 06]. Produkt +(X) +(X)Organi- sation Mensch Service- qualität Abb. 4.6.1 Das Optimum der drei Faktoren – Produkt, Organisation, Mensch – führt zu einer optimalen der Servicequalität. 350 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban Interne Logistik Produktion Marketing und Verkauf Kunden- dienst Externe Logistik Infrastruktur des Unternehmens Personalmanagement Technologische Entwicklung Beschaffung G ew inn G ew in n Abb. 4.6.2 Modell der Wertkette [Port 89] Diese sehr sachliche und enge Definition wird der Bedeutung und des im Ko- operationsgedanken vorhandenen Synergiepotentials auf den ersten Blick bei weitem nicht gerecht. Sehr gut zeigt sich dies bei genauerer Betrachtung der Wertkette nach Porter. „Die Wertkette zeigt, wie sich der Gesamtwert eines Produktes aus den Wert- schöpfungsaktivitäten und der Gewinnspanne zusammensetzt. Im unteren Teil der Wertkette sind die primären Aktivitäten aufgeführt, die sich mit der physi- schen Herstellung des Produktes beschäftigen, wobei zwischen vor- und nachgela- gerten Aktivitäten unterschieden wird. Porter sieht in den Wertaktivitäten die Bausteine von Wettbewerbsvorteilen.“ [Pfoh 00]. Kooperationen sind unter Berücksichtigung der Wertkette die Klammer zwi- schen einer bereichsübergreifenden Sicht der Wertschöpfungspotentiale einer Unternehmung und der praktischen prozessorientierten Umsetzung unter Nut- zung von Netzwerken im engeren Sinne [Port 89]. Unter Zugrundelegung dieser Interpretation ist auch für die Zielsetzung von schlankem Materialfluss (lean production) die bereichsübergreifende Betrachtung ein entscheidender Erfolgs- faktor. Eine unternehmensübergreifende Betrachtung und das explizite Ziel der Leistungssteigerung und Kostendegression führt nahezu zwangsläufig zur Frage „Kooperation – ja oder nein?“. 4.6.4 Erfolgsfaktoren des Kooperationsmanagements Kooperationen sind schon definitionsbedingt nicht einfach erfolgreich zu ma- nagen, da es sich um mindestens zwei selbstständige Einheiten handelt. Auf- grund der Ausgangssituation besteht von Natur aus ein hohes Konfliktpotential. 4.6 Kooperationsmanagement – Netzwerke 351 Die Kunst des Kooperationsmanagements besteht darin, diese latent vorhande- ne Konfliktenergie für einen gemeinsamen Wettstreit nach der „besten Lösung“ zu nutzen. Um die Erfolgsträchtigkeit einer Kooperation von vorneherein zu erhöhen, ist vorab die Überprüfung der Kooperationsfähigkeit der künftigen Partner anhand nachstehender Bausteine äußerst empfehlenswert. Von besonderer Bedeutung sind bei dieser kritischen Überprüfung die Er- folgsfaktoren • Partner können sich aufeinander verlassen, • Genaue und klare Festlegung der jeweiligen Aufgaben und Verantwortung, • Offener, funktionierender Informations- und Datenaustausch und • gewinnbringend für alle Partner. Erfolgreiches Kooperationsmanagement erreicht das Optimum in der Schaf- fung einer stabilen Win-Win-Situation. 4.6.5 Kanban – ein wesentliches ordnungspolitisches Element fertigungsorientierter Kooperationsformen Ein großer Teil der verschiedenen Kooperationsformen konzentriert sich auf die Bereiche Fertigung bzw. Materialwirtschaft. Je nach Ausprägung der Koopera- tionsform sind für deren Umsetzung unterschiedliche Organisationsmethoden und -formen erforderlich. Gerade im Zusammenhang mit fertigungsorientierten bzw. beschaffungsorientierten Kooperationen hat das Thema Kanban in den letzten Jahren sehr stark an Bedeutung gewonnen. Insbesondere auf der im Hin- blick einer Kooperation zugrunde liegenden Steuerungsphilosophie bieten sich durch den Einsatz von Kanban ganz entscheidende Vorteile. Über Kanban kann vor allen Dingen die Organisation nach dem KISS–Prinzip (d. h. keep it safe and Abb. 4.6.3 Bausteine einer Kooperation 352 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban simple) sehr gut umgesetzt werden. Durch die starke Vereinfachung der Kom- munikation mittels klarer Spielregeln in Verbindung mit disziplinierter Einhal- tung der Prozessparameter, kann durch Kanban eine deutliche Reduzierung der Durchlaufzeit, Steigerung der Flexibilität und Vereinfachung der Organisation erreicht werden. 4.6.6 Win-Win-Situation Unter welchen Voraussetzungen ist ein Ziel schnellstmöglich zu erreichen und das Ergebnis dauerhaft optimal zu halten? Durch reine Preis- und/oder Kosten- orientierung? Durch Einkaufsmacht? Durch strikte, webunterstützte Prozessori- entierung? Durch hohe Fertigungstiefe? Diese Fragen lassen sich noch um viele Themen erweitern. Doch wird klar, dass keines dieser Kriterien allein in der Lage ist, das ökonomische Min/Max-Prinzip zu realisieren. Erfolgsentscheidend ist letztendlich die maßgeschneiderte Kombination aus allen Faktoren, also die „übergreifende Betrachtungsweise entsprechend dem Gedanken der Wertkette, Kooperation, Netzwerke und Kanban-Organisation“ [Port 89]. Dies gilt auch ganz besonders für das Thema „schlanker Materialfluss und Lean Production“, was in der Praxis die Konzentration auf die eigenen Stärken bedeutet. Gleichzei- tig erfolgt über ein entsprechendes Kooperationsmanagement die Nutzung ex- terner Kernkompetenzen durch eine Art Shop-in-the-shop-System. Externe Lie- feranten werden über ein virtuelles Netzwerk an die eigene Organisation angegliedert, ohne dass die spezifischen Eigenheiten des Zulieferers oder des eigenen Unternehmens aufgegeben werden müssen. Im Gegenteil: Durch diese Konstellation erfolgt eine Dezentralisierung und Verlagerung der Verantwor- tung und des Steuerungsprozesses vor Ort, mit der Folge einer enormen Markt- nähe und deutlichen Erhöhung der Flexibilität. Im Rahmen dieses Prozesses ist dabei der Einsatz von Kanban ein wichtiges ordnungspolitisches Struktur- merkmal, welches seine Vorteile voll entfalten kann, wenn es durchgängig bei allen Prozessteilnehmern eingesetzt wird. Offener, eindeutiger Informationsaus- tausch, entsprechend dem Kooperationsmanagement ergibt eine erhebliche Bestandsoptimierung, deutliche Abwicklungsvereinfachung und Flexibilität bei gleichzeitig hoher Lieferbereitschaft und damit die gewünschte Win-Win- Situation. 4.7 Intensiv-Lieferantenentwicklung Eva Dickmann, Lepros GmbH; Philipp Dickmann Problemlieferanten können schleichend, oder als kurzfristige massive Krise, ein Risiko für den Kunden darstellen. Schleichend führen verschiedene Störgrößen durch einen kontinuierlichen Snowball-Effekt oder durch den Peitscheneffekt 4.7 Intensiv-Lieferantenentwicklung 353 (beides s. 2.1 Ruhiger, kontinuierlicher Materialfluss) mittelfristig zu enormen Kosten. Da diese Vorgänge sehr komplex und oft zeitlich entkoppelt sind, wer- den sie selten erkannt. Die tatsächlichen Kosten für derartige Störungsphänome- ne sind schwer zu eruieren, da sie sich aus vielen kleinen Teilkosten zusammen- setzen. Nicht selten binden fünf bis zehn Lieferanten in der Disposition oder im Einkauf das Gros der Kapazität und verursachen die Mehrzahl der Störungen. Die Gründe für die Störungen sind nicht nur bei den Lieferanten zu suchen, son- dern auch bei den Kunden. Daher ist es wesentlich, Verbesserungsmaßnahmen zunächst bei den Kunden selbst vorzunehmen. Grundsätzliche Strategien zur Analyse der Störgrößen und des Peitscheneffekts führen fast immer zu erhebli- chen Verbesserungen und zur Risikominimierung. Ein Lieferant kann den Kun- den durch regelmäßige oder gravierende Mängel in wirtschaftliche oder marktre- levante Probleme stürzen bzw., im Fall einer drohenden Insolvenz, den Kunden in seiner Existenz bedrohen. Für diese Problemstellung wurde basierend auf der Methode der klassischen „Due Diligence“, die „Process Due Diligence“ entwi- ckelt, die speziell die Prozesse der unterschiedlichen Arbeitsbereiche bei Liefe- ranten analysiert und optimiert. Due Diligence ist ein gängiges Verfahren für Unternehmensübernahmen oder -aufkäufe unter schwierigen Rahmenbedin- gungen. In abgeänderter Form und durch Lean-Elemente ergänzt hat sich dieser Ansatz auch für gravierende oder lang anhaltende Lieferantenprobleme bewährt. 4.7.1 Unterschätzte Auswirkungen von Krisenlieferanten Nach einer Studie [Merc 04] liegt die Wertschöpfung in Deutschland bei Auto- mobilisten im Jahr 2015 bei nur noch 23 %. Das Abflachen der Produktionstiefe und die Konzentration auf Kernkompetenzen haben dazu geführt, dass der größte Teil der Potentiale und Probleme nicht mehr in den Händen der Firmen liegen, sondern bei den Lieferanten. Gleichzeitig wird nur ein Bruchteil der Per- sonalkapazitäten insgesamt, aber auch im strategischen Einkauf, für die pro- zessbezogene Verbesserung der Kunden-Lieferanten-Beziehungen, Logistikop- timierung und die Entwicklung der Lieferanten aufgewendet. Noch immer liegt der Schwerpunkt der Lieferantenoptimierung auf der Senkung der Kaufteilprei- se und nicht auf der Optimierung der Abläufe. Lieferengpässe und Qualitäts- mängel werden, um die eigene Lieferfähigkeit nicht zu gefährden, hingenommen und firmenintern kompensiert. In kaum zu erfassendem Maße müssen Einkauf, Logistik, Qualität und Produktion Kapazitäten für zusätzliche Wareneingangs- kontrollen, Werkerselbstprüfungen, Dokumentationen, Krisenmanagement und andere „Workarounds“ aufbringen, um dem eigenen Engpass zu entgehen. Es entstehen sehr viele, einzelne, kleine Zusatzaufwendungen, die nur bei gravie- renden Kumulationen ein Ausmaß erreichen, dass die tatsächlichen Kosten transparent werden lässt (vgl. Abb. 4.7.1). Der Umfang der Aufwendungen, die zur Beseitigung derartiger Störungen notwendig sind, wird in der Regel nur in den operativen Ebenen emotional wahrgenommen. 354 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban 4.7.2 Lieferantenprobleme bei Konzernen Vor allem in Großkonzernen mit zentralistischen, strategischen Einkaufsent- scheidungen fehlt die nachhaltige Rückkopplung zum Ergebnis des eigenen Handelns. Die zusätzlichen Kosten, durch Störungen, die in einer Kettenreak- tion entstehen, werden weder in der Gemeinkostenrechnung noch in der her- kömmlichen Standard-Prozesskostenrechnung, auf den Verursacher bezogen, ermittelt (s. Kap. 1.15 Differenzierte Prozesskostenrechnung). Diese Aufgaben- stellung ist sehr anspruchsvoll aufgrund des zeitlichen Versatzes der Vielzahl der Einzelpositionen und der nicht auf Prozesskostenrechnung ausgerichteten Kostenstruktur. Die Chance, Entscheidungen aufgrund fundierter Daten zu fällen oder zu verifizieren, wird daher oft verschenkt. Die interdisziplinäre Pro- zesskostenrechnung (vgl. 1.15 Differenzierte Prozesskostenrechnung) kann die notwendige Kostentransparenz erreichen, um die entstandenen Kosten Liefe- ranten oder Produkten zuzuordnen. Abb. 4.7.1 Die Kostenentwicklung auf der Zeitachse entspricht der Entwicklungskosten- kurve. Einseitige Einkaufspreisoptimierung führt häufig zu erheblichen Folgekosten. 4.7.3 Lieferantenprobleme bei klein- und mittelständischen Unternehmen In klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU) liegt die Wertschöpfung oftmals bei ca. 80 % [Lepr 04]. Aufgrund der entsprechend höheren Steuerungs- tiefe wirken sich auch wenige zu spät gelieferte Teile durch den Snowball- und den Peitscheneffekt ungünstig auf das Einhalten der Liefertermine aus. Das Sicherstellen des vom Kunden geforderten Servicegrads wird überwiegend mit 4.7 Intensiv-Lieferantenentwicklung 355 dem Vorhalten hoher Lagerbestände abgesichert. Engpässe werden durch kos- tenintensive Sonderaktionen behoben. Selbst wenn die Sonderaktionen durch den Kunden verursacht werden, können diese Kosten in der Regel nicht direkt auf den Kunden verrechnet werden und führen zu Ertragsproblemen. Als Aus- weichstrategie werden dem Kunden in einer Art „Scheibchenmethode“ diverse Zusatzkosten zum Beispiel für Sondertransportkosten, Verpackungszuschläge, etc. aufgeschlagen. Dies wiederum geht zu Lasten der guten Kunden-Lieferan- ten-Beziehung. Trotz der anteilig höheren Kapitalbindung zum Puffern von Lieferantenproblemen und Sicherheiten für das Risikomanagement können KMU, aufgrund der in Relation sehr viel geringeren Gemeinkostenanteile, kon- kurrenzfähig gegenüber größeren Unternehmen auftreten. Durch frühzeitige Interventionen können die KMU ihren Wertschöpfungsanteil im Vergleich zu Konzernen ausbauen. 4.7.4 Provokation eines Lieferantenmarktes durch Auslastungsorientierung und Verzögern von Investitionen Unternehmen zögern bei Investitionen grundsätzlich zu Recht. Sie wollen das Risiko so weit wie möglich hinausschieben, um die Gefahr einer Fehlinvestition zu verringern. Je länger eine Investition hinausgeschoben wird, desto geringer ist das Risiko. Vorhandene Kontingente und Kapazitäten sollen möglichst voll aus- gereizt und neue Anlagen sofort unter Volllast betrieben werden, um eine opti- male, kurze Amortisationszeit zu erreichen. Auch gegenüber den Lieferanten wird versucht, die Risiken zu minimieren, indem verbindliche Aussagen verzö- Krisenmanagement aufwendigere Prüfverfahren „Durchlaufzeitsyndrom“ provisorische Nacharbeiten Manuelle Spezialaufträge Qualitätsmangel Prozessmangel Krisenmanagement aufwendigere Prüfverfahren „Durchlaufzeitsyndrom“ provisorische Nacharbeiten Manuelle Spezialaufträge Lieferengpass vom L. Krisenmanagement aufwendigere Prüfverfahren „Durchlaufzeitsyndrom“ provisorische Nacharbeiten Manuelle Spezialaufträge zögernde Investitionsstrategie Schwankungen im Abruf Abb. 4.7.2 Ursache-Wirkung-Diagramm für Lieferantenprobleme. Der Snowball-Effekt wird beispielsweise durch unzureichend abgestimmtes Einkaufsverhalten ausgelöst. 356 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban gert werden. Große Investitionen beim Lieferanten, wie sie zur Kapazitätssteige- rung, bei Neuprodukten oder Serienanläufen nötig sind, werden daher termin- richtig gefordert, aber für den Bedarfstermin zu spät verbindlich zugesagt. Durch die Strategie des Kunden entstehen Engpässe beim Lieferanten. Die Kosten, die durch die Engpässe beim Kunden und beim Lieferanten entstehen, sind im Vor- hinein nicht greifbar. Sie werden in Relation zu einem höheren Risiko bei großen Investitionen gern in Kauf genommen. Der Kunde hat somit den Engpass mit verschuldet und muss ihn und die Konsequenzen daraus tragen. Es entsteht da- durch eine Machtposition zu Gunsten des Lieferanten (Lieferanten- oder Zutei- lungsmarkt). Der Lieferant kann durch die Machtposition indirekt Preiserhö- hungen, in Form von Sonderkosten oder Zuschlägen, durchsetzen. Das Problem dabei ist: Die Folgekosten für langfristige, „hausgemachte“ Engpässe sind häufig höher als das Investitionsrisiko. Mit den Ansätzen von Lean Automation kann bei passenden Anwendungen, aufgrund wesentlich geringerer Investitionssummen mit einem entsprechend geringeren Risiko, früher investiert werden. Vielfältige Störungen bleiben erspart und die Flexibilität steigt. 4.7.5 „Feuerlöschen“ als Normalzustand Als Hauptaufgaben von Einkauf und Beschaffung wird die Verhandlung von Preisen, Konditionen sowie die Lagerdisposition angesehen – für strategische, systematische Einkaufsoptimierung bleibt vielfach kaum Zeit. In der Praxis sind Einkäufer oder Disponenten zudem den größeren Teil ihrer Zeit mit Krisenma- nagement beschäftigt. Kostenintensive, eigentlich nur als Ausnahme sinnvolle Abläufe sind Normalität. Im operativen Geschäft wird zwar erkannt, dass es immer die gleichen Teile und Lieferanten sind, die aufhalten, und die im Tages- geschäft zu Fehlteilen führen, dieser Umstand wird aber in der Regel nicht sys- tematisch angegangen. In der Praxis kann dies über 50 % der Zeit in Disposition, Produktionssteuerung, Qualität und Einkauf ausmachen. Analog einer flacheren 50-80% der Zeit für 10-20% der Lieferanten 50–80% der Zeit für 10–20% der Lieferanten Zeit für die restlichen Lieferanten Abb. 4.7.3 Etwa 10−20 % der Lieferanten verursachen 80 % des Krisenmanagements und bestimmen dadurch 50−80 % der Arbeit in Einkauf und Beschaffung (Quelle: Lepros GmbH). 4.7 Intensiv-Lieferantenentwicklung 357 Abb. 4.7.4 Vergleich der Kosten verschiedener Betreuungsstrategien beim Kunden (in Bezug auf den Lieferanten): Durch hohen Aufwand bei der Produktentstehung und -einführung sinken die Betreuungskosten sehr schnell auf einen Minimalwert und die Qualität steigt sehr schnell auf ein Maximum. Alle Alternativstrategien führen zu dauer- haft schlechteren Qualitätsstandards und in der Summe höheren Gesamtkosten. 358 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban Hauptkrümmung einer Pareto-Verteilung verursachen nur wenige Lieferanten den Großteil der Störungen. Die Ursachen für die Störungen sind vielfältig: Ne- ben den bereits erwähnten Gründen sind Lieferantenhopping-Strategien einer der Hauptverursacher für schlecht entwickelte Lieferanten. Ein anderer Punkt sind unausgereifte Produktentwicklungen bzw. Defizite im Change Management, die zu einer Flut an kostenintensiven und riskanten Ände- rungen führen. Letztlich ist als Hauptverursacher der einseitig kaufpreisorien- tierte Kostendruck zu nennen, der zum Akzeptieren von unzureichenden Liefe- rantenstandards drängt oder zum Reduzieren der Leistungen von bestehenden Lieferanten. 4.7.6 Wege aus dem Krisenmanagement Wege aus dem Krisenmanagement? In den meisten Fällen fehlt nicht der Wille zur Krisenbewältigung, sondern das Bewusstsein, dass Krisenmanagement vorliegt (s. Kap. 2.1.1 Krisenmanagement im Tagesgeschäft, Tabu oder Wirtschaftsfaktor). Ist das Problem und vor allem das Ausmaß erst einmal erkannt, können folgende Punkte ein Hindernis für die Beseitigung darstellen: • Fehlendes Bewusstsein für die realen Ausmaße und die tatsächliche Kostenflut. • Starke Abhängigkeit aufgrund zu geringer Marktmacht beim Lieferanten. • Der Lieferant ist der einzige Anbieter. • Abhängigkeit von einer gemeinsamen Entwicklung. • „Feuerlöschen“ ist Gewohnheit und gehört zum Tagesgeschäft. • Fehlende Kapazität zum Beenden der Missstände. • Mangelnde Bereitschaft der Fachabteilungen zur kooperativen Zusammenar- beit. • Fehlende Erfahrung oder Kompetenz in interdisziplinärer, teamorientierter Lieferantenentwicklung. Kurzfristig ist eine sehr hohe Personalkapazität nötig, um das Problem fun- diert zu beheben. Selbst Konzerne haben Kapazitätsprobleme in den operativen Bereichen, und es werden nur rudimentäre Maßnahmen von strategischen Zent- ralfunktionen unternommen. Diese Teams sind von den realen Problemen der Gemba weit entfernt und nahezu ausschließlich an einer Kostenreduzierung orientiert. Einige Automobilisten (vgl. 4.6 Lieferantenmanagement und Lieferan- ten-Optimierung) haben die Notwendigkeit der prozessorientierten, koopera- tiven Lieferantenoptimierung in ihrer Tragweite, auch bezogen auf die Kosten, erkannt und stellen Ressourcen dafür bereit. Da Spezialisten für solche Projekte nur zeitlich beschränkt notwendig sind, werden firmenübergreifende Teams aus den operativen Bereichen zusammengestellt und durch externe Auditoren oder Spezialisten ergänzt. Dieser Ansatz findet auch bei KMU immer häufiger An- wendung. Mit geringem zeitlichem Aufwand, oft innerhalb weniger Tagen, kön- 4.7 Intensiv-Lieferantenentwicklung 359 nen besonders kritische Lieferanten effektiv optimiert werden, wodurch enorme Kapazitäten im eigenen Herstellprozess frei werden. Ansätze der japanischen Automobilisten, Best Practice-Erfahrungen und interdisziplinäres Know-how lassen sich auf die Problemstellung von KMU hervorragend anwenden. Ein Ver- gleich der Tätigkeiten im Einkauf vor und nach einer Lieferantenentwicklung ergibt eine deutliche Verschiebung vom Krisenmanagement zu strategischen Aufgaben. Das Ergebnis ist neben geringeren Durchlaufzeiten, Beständen und Prozesskosten letztlich auch eine Reduzierung des Einkaufspreises. 4.7.7 Process Due Diligence – die Intensiv-Lieferantenentwicklung Der aus der US-amerikanischen Investmentbankwirtschaft stammende Begriff der „Due Diligence“ bedeutet wörtlich übersetzt „erforderliche oder gebührende Sorg- falt“. Er beschreibt technisch den Sorgfaltsmaßstab, der für die eingeschalteten Berater und das Management gilt, das ein Unternehmen erwerben möchte [Wege 94]. Die Methode wird ursächlich angewendet, um detaillierte Informationen (im Bezug auf Risiken die der Verkäufer dem Käufer möglicherweise vorenthalten will) bezüglich des Kaufgegenstandes zu gewinnen. Basierend auf einer Open- book-Strategie wird eine ergänzende Untersuchung aller relevanten Kriterien durchgeführt. Eine komplette Due Diligence-Untersuchung beinhaltet betriebs- wirtschaftliche (commercial and financial), rechtliche, steuerliche, umweltbezo- Abb. 4.7.5 Krisenmanagement für wenige Lieferanten ( 360 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban gene sowie technische und managementorganisatorische (HR & Management) Themen. Die „Process Due Diligence“, die in der Produktion oder bei Lieferanten- problemen angewandt wird, ergänzt den klassischen Ansatz um die Prozesse der Produktion, Logistik, Qualität und den Einkauf. Die Methode wurde für Lieferan- ten entwickelt, zu denen eine starke Abhängigkeit besteht, die aber gleichzeitig wirtschaftliche Probleme haben. Das Ziel der Maßnahme ist, die geeignetste und günstigste Sicherstellung der Versorgung zu erreichen. Dies kann in Form einer Übernahme, Beteiligungen, einer einmaligen Zahlung oder veränderter Koopera- tionsbedingungen stattfinden. Falls die mittel- bis langfristige Versorgung nicht zufrieden stellend wiederherzustellen ist, kann das Ergebnis einer solchen Studie auch der intensive Aufbau eines neuen Lieferanten sein. Die Methode kann zudem bei Insourcing angewendet werden, wenn ein Produktionsunternehmen oder ein Unternehmensteil aufgekauft werden soll. Ablauf: 1. Lieferantenanforderungsprofil: Da „Process Due Diligence“ vorwiegend vom Kunden ausgeht und die Beziehung des Lieferanten zu dem Kunden detail- liert untersucht werden soll, muss als erster Schritt das Festlegen des Liefe- rantenanforderungsprofils erfolgen. Hierzu werden die Notwendigkeiten und Anforderungsprofile einem Soll-Ist-Vergleich unterzogen. Alle relevanten Schnittstelleninformationen bezüglich des Lieferanten werden daraus syste- matisiert und die Zielvorgaben für die Lieferanten festgelegt. 2. Auditierung mit einem interdisziplinären Team: Mit einem interdisziplinären Team aus Spezialisten wird anschließend beim Lieferanten eine Auditierung in allen notwendigen bzw. betroffenen Bereichen durchgeführt. Bei der „Process Due Diligence“ können auch Spezialisten aus den Bereichen Recht, Psycholo- gie, IT, Simulation, REFA und Transportlogistik hinzugezogen werden. 3. Vorbereitung der Entscheidung: Die Potentiale des Lieferanten werden mit dieser fundierten, interdisziplinären Methode in wenigen Tagen analysiert und Optimierungspotentiale und Entscheidungen des Kunden vorbereitet. Das Ergebnis bildet die Basis zu einer umfassenden Beseitigung von regelmä- ßigen oder schwerwiegenden Lieferantenproblemen. Anstoß und Anwendung von Intensiv-Lieferantenentwicklung Bei einer bevorstehenden Insolvenz oder einer gravierenden Schädigung des Kunden durch einen Lieferanten, bei einem hohen Kostenanteil zur Schadensre- gulierung von Engpässen und einem hohen Anteil an Krisenmanagement fallen die Kosten der nur wenige Tage dauernden Process Due Diligence kaum ins Ge- wicht. Im Falle eines Krisenlieferanten liegt als Anstoß zumeist eine Kostenab- schätzung des Risikomanagements vor, zum Beispiel eine detaillierte Prozess- kostenrechnung. Bestehen marktrelevante, strategische Gründe, ist der anfallende Personalaufwand immer vernachlässigbar. Bei Lieferanten, die eine Kostenexp- losion, als Folge des Snowball-Effektes verursachen, ist die größte Hürde das Erkennen des Problemumfangs. Der Kunde hat sich an eine schleichende Ver- 4.8 Outsourcing und Lieferantenwechsel 361 schlechterung gewöhnt. Intensiv-Lieferantenentwicklung sollte sich in diesem Fall an dem Motto orientieren: „Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende“. 4.8 Outsourcing und Lieferantenwechsel Philipp Dickmann; Eva Dickmann, Lepros GmbH; Wolf-Michael Gerth Lean Philosophien zielen auf nachhaltige, iterative Verbesserung der Prozesse ab. Outsourcing und Lieferantenwechsel hingegen bezwecken einen Neuanfang mit anderen Partnern, um Ziele wie Reduzierung der Lohnkosten, Erhöhung der Flexibilität oder höhere Kompetenz von Spezialisten zu erreichen. Oft bergen solche einschneidenden Veränderungen aber ein hohes Risiko, wie eine Kosten- steigerung nach der Realisierung. Hubert Linhardt, Vorstand der Voith Siemens Hydro Power Generation, verweist daher darauf, dass Verlagerungen nicht im- mer lohnenswert und Probleme oft unerkannt bleiben. Er spricht von nur mehr 5 % Kostenvorteil, die etwa in China zu erreichen sind [Dier 06]. Die große Ge- fahr besteht darin, dass ein auf den ersten Blick überragender Vorteil den Auf- wand zur Überprüfung des Risikos nicht mehr sinnvoll erscheinen lässt. Das Risiko sollte allerdings nicht unterschätzt werden, denn immerhin kommt rech- nerisch auf jedes dritte Outsourcing ein „Zurückholen“ der Prozesse (Insourcing) [Kink 04]. Urteilssichere Kostenrechnung ist aufwändig, da eine interdisziplinäre und prozessbezogene Kostenermittlung hierfür notwendig ist. Für die Kostenab- schätzung sollte ein Projektplan und eine Checkliste erarbeitet werden. Zur Ent- scheidungsfindung ist eine fundierte Vorbereitung mit Kernkompetenzanalyse, Make-or-buy-Analyse (MoB) und prozessbezogener Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA) notwendig. Lean-Philosophien setzen auf konstante, nachhaltige Lieferantenbeziehun- gen, die über langjährige Optimierungsprozesse zu einer marktentscheidenden Effizienz führen. Kontinuierlich und in kleinen Schritten werden über Jahre hinweg iterativ exakt die Anforderungen des Marktes und des Kunden in pro- duktionsnahen und -fernen Bereichen abgebildet. Diese Prozesse führen vor allem zu höherer Effizienz, aber in vielen Fällen auch zu einem höheren Nutzen für den Kunden, der aber nicht in betriebswirtschaftlichen Kennzahlen zuge- ordnet wird. 4.8.1 Outsourcing Das Wort „Outsourcing“ setzt sich aus den Begriffen „outside“, „resource“ und „using“ zusammen, es werden also Prozesse dauerhaft an andere Unternehmen vergeben [Hopf 00]. „Off-shoring“ ist der Sonderfall des Outsourcings, bei dem Prozesse ins Ausland verlagert werden. In den Medien und der politischen Dis- 362 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban kussion in Hochlohnländern erscheint die Reduzierung der Personalkosten der Hauptgrund für derartige Konzepte in Unternehmen zu sein. Zudem werden Globalisierung und das Anpassen an die Veränderungen des globalen Markts ausschlaggebend als Antrieb für Outsourcing und Lieferantenwechsel identifi- ziert. Tatsächlich sind die Beweggründe der Unternehmen wesentlich vielfältiger. Eine Studie zu Out- und Insourcing-Entscheidungen des Fraunhofer Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) bezogen auf die Metall- und Elek- troindustrie, chemische und Kunststoff verarbeitende Industrie in Deutschland [Kink 04] hat gezeigt, dass 41 % der Unternehmen Herstellprozesse ausgelagert haben. Hierbei wurden folgende vorherrschende Gründe für Auslagerungen ge- nannt: geringere Kosten (ca. 75 %), der Ausgleich von Über- bzw. Unterauslas- tung (ca. 64 %) und Flexibilität (ca. 53 %). Ergänzend sollten aber noch weitere Ziele als bestimmende Motivation erwähnt werden, etwa die Verbesserung der Prozessqualität, Outsourcing als Druckmittel zum Reduzieren der eigenen Perso- nalkosten oder die Erschließung neuer Märkte durch Präsenz und/oder Partner- schaften vor Ort. 4.8.2 Insourcing Das Wort „Insourcing“ setzt sich zusammen aus den Begriffen „in“, „resource“ und „using“ und beschreibt den Vorgang, Wertschöpfungsprozesse von einem externen Unternehmen in das eigene Unternehmen zurück zu holen [Zäh 04]. In der gleichen Studie wie oben gaben etwa 50 % der Befragten als Gründe für In- sourcing an: unzureichende Qualität der Leistungen, mangelnde Flexibilität und geringe Kompetenz. Nicht erreichte Kosteneinsparungen werden nicht explizit angegeben, sind aber aus den angegebenen Gründen zwingend abzuleiten. In derselben Studie [Rein 99] wird festgestellt, dass sich der Faktor der Off- shoring-Aktivitäten im Vergleich zu den Insourcing-Aktivitäten mehr als hal- biert hat (von Faktor 6,5 im Jahr 1997 auf den Faktor 3 im Jahr 2001). Diese Proportion zeigt sehr deutlich, dass das Risiko von Outsourcing nicht vernach- lässigbar ist. Die angestrebten Ziele werden zu einem beträchtlichen Anteil nicht erreicht und dabei handelt es sich vor allem um die Kostenziele. Insourcing stellt „in den Augen der Unternehmensleitung“ keinen Erfolg dar, es existieren daher wenige Publikationen. Im Interesse, Kapital besser gegen Fehlinvestitionen zu schützen, bleibt zu hoffen, dass zukünftig vermehrt wissenschaftliche Studien den tatsächlichen Umfang und die Gründe für Insourcing umfassend darstellen. Großkonzerne, wie die deutschen Premium-Segment-Automobilhersteller, ver- fügen über langjährige, sehr umfangreiche Erfahrung mit Outsourcing und Lie- ferantenwechsel. Hier werden mit hohem Aufwand ausgefeilte Methoden ange- wendet, um erfolgreich Outsourcing und Lieferantenwechsel zu praktizieren und die Risiken, und vor allem die gesamten Kosteneinflüsse, umfassend zu erkennen. Im Vergleich zu den anderen Automobilherstellern wird hier eine Zunahme der eigenen Wertschöpfung von 2002 bis 2015 prognostiziert: Daimler Chrysler + 4 %, BMW + 15 % und AUDI + 30 % [Merc 04]. Diese erwartete Ent- 4.8 Outsourcing und Lieferantenwechsel 363 wicklung hat vielerlei Gründe und trägt der gesamten Kostensituation Rech- nung. Bei Unternehmen, die weniger als 20 % Personalkosten aufweisen, kann selbst Off-shoring in Billiglohnländern nur maximal 5 % Lohnkostenoptimie- rung erreicht werden [Dier 06], dies jedoch mit einem in Relation sehr hohem Risiko. Andere Methoden, z. B. Kaizen, Valuestream-Management, Lieferanten- optimierung, können einen wesentlich größeren Effekt, mit einem im Vergleich sehr viel geringeren Risiko erreichen. 4.8.3 Lieferantenwechsel Lieferantenwechsel beschreibt ebenfalls einen Wechsel der Prozesspartner zum Erlangen eines Wettbewerbsvorteils. Es werden in diesem Fall nicht interne Pro- zesse zu einem externen Partner, der die Prozesse wirtschaftlicher erbringen kann, vergeben, sondern Prozesse, die bereits extern vergeben sind [Hard 97]. Diese Ansätze vernachlässigen häufig eine umfassende Kostenermittlung, z. B. für Änderungen, und lassen die Folgekosten außer Acht. Grundsätzlich ist bei jedem Lieferantenwechsel zu berücksichtigen, dass von beiden Partnern über mehrere Jahre ein enorm kostspieliger Lernprozess vollzogen werden muss. Selbst ein Kostenvorteil im unteren zweistelligen Prozentbereich kann hierbei leicht durch Aufwendungen kompensiert werden. Zusätzliche Aufwendungen sind möglich: • Präventive zusätzliche Aufwendungen für Wareneingangskontrolle, Prüfpro- zesse durch die Qualität, Aussortierprozesse, Werkerselbstprüfung, etc. Diese Aufwendungen fallen am betroffenen Prozess und in den darauf folgenden Produktionsstufen an. • Abstellmaßnahmen bei ungeplanten Problemen, wie Nacharbeiten, Demon- tagen, Reparaturen und Freigaben mit einer Kettenreaktion an Qualitätsprü- fungen, die ebenfalls in allen folgenden Prozessen auftreten können. • Höhere Anforderungen an Anlagen, um die neue Qualität der Teile fehlerfrei verbauen zu können und die Ausgangsqualität konstant zu halten. • Fehlervermeidungsmaßnahmen entlang der SC-Kette, wie Statistiken, Kri- senmanagement, Änderungen an Arbeitsplänen, Verbesserungskreise, Ände- rungsprozesskosten, Aufwand für Dokumentation etc. • Umgestaltung der IT, Entwickeln und Abarbeiten neuer Kontrolllisten, exak- tere und bessere Datenerhebung, neue leistungsfähigere Soft- und Hardware wird erforderlich. • Kosten für eine Verschlechterung der Fertigproduktqualität inklusive Rekla- mationsbearbeitung, Risikomanagement, Maßnahmen zu Optimierung der Lieferantenqualität. • Reduzierung der Absatzzahlen aufgrund unzufriedener Kunden. • Aufwendungen für Lieferantenbetreuung und -entwicklung. • Krisenmanagement in allen Ebenen des Unternehmens, inklusive zum Liefe- ranten und zum Kunden. 364 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban Abb. 4.8.1 Die typische Entwicklungskurve des Lieferantenstandards und der realen Kosten bei der Lieferantenentwicklung oder der Einführung eines Neulieferanten im Maschinenbau oder Automobilzulieferbereich. Der Verlauf macht deutlich, dass oft Jahre notwendig sind, um eine optimale Zusammenarbeit zu erreichen und letztlich die Investi- tion für die Neueinführung zu amortisieren. 4.8.4 Kostenrechnung Die Kostenrechnung soll Abläufe darstellen und Fehlentwicklungen aufzeigen. Die sehr differenziert in MRP vorliegenden Daten verleiten dazu, Kosten ohne Verifikation zu betrachten und darauf basierend vorschnell Entscheidungen zu fällen. Es bedarf einer sehr genauen Betrachtung der Teilprozesse und einem aufwendigen Vorgehen, um die tatsächlichen Kosten in ihrer Komplexität und ihrem Risiko richtig abzuschätzen und richtig zu entscheiden. Gerade der bei Konzernen überwiegende Gemeinkostenblock wird nicht ausreichend differen- ziert bewertet und daher bei Outsourcing-Entscheidungen nicht genug hinter- fragt. Bei Outsourcing der Produktion reduzieren sich die Gemeinkosten im direkten Produktionsbereich nur in geringen Umfang, da indirekte Bereiche (nicht der Produktion zugeordnet) davon kaum betroffen sind. Auch beim Ver- gleich der Stundensätze von Maschinen oder Mitarbeitern darf nicht übersehen werden, dass verschiedene Kosten in die Zuschläge einfließen, die später auf andere Kostenträger verteilt werden müssen, d. h. als Kosten erhalten bleiben. Beim Kostenvergleich müssen diese Kosten entsprechend ihrer Auswirkung betrachtet werden. Ein anderer entscheidender Block, der falsch bewertet wird, ist die zu erwartende Kompetenz, die sich in Effizienz und Qualität abbildet. Die Automobilindustrie fordert von neuen Lieferanten präventiv Zusatzleistungen während der Startphase. Dies dient der Prozess- und Risikoabsicherung. Der 4.8 Outsourcing und Lieferantenwechsel 365 Lieferant muss präventiv zusätzliche Personalkapazitäten erbringen, die erst reduziert werden, wenn der Kunde die gewünschte Leistung feststellt. Der Liefe- rant trägt somit das Risiko und am Anfang auch gegebenenfalls hohe Zusatzkos- ten. Dies führt zu einer hohen Motivation, Probleme schnell abzustellen. Viele Unternehmen verfolgen jedoch eine andere Politik: Rentable Maßnahmen sollen nicht mit überzogenen Forderungen „schlecht gerechnet“ werden. Diese Politik hat jedoch zur Folge, dass Kunden die mangelhafte Leistung belegen und etwaige Qualitäts- und Lieferprobleme selbst puffern müssen. Die Abhängigkeit des Kunden von den Lieferungen bewirkt einen Verhandlungsvorteil des Lieferan- ten. Der Kunde muss Nachbesserungen der Konditionen und schlechte Leistun- gen akzeptieren. Kostenverursacher ermitteln Die 5-W-Methode des TPS lehrt, die Ursachen mehrfach zu hinterfragen. Es soll die Gefahr umgangen werden, nur Symptome zu behandeln, anstatt die Ursa- chen zu beseitigen. Dies gilt im Besonderen für die Datenanalysen als Basis für Outsourcing oder Lieferantenwechsel. Ein schönes Beispiel hierfür sind die Auswirkungen von zu hoher Differenzierung der Verantwortlichkeiten. Das Re- sultat sind viele Hierarchieebenen, mit einer umständlichen, stark abgegrenzten und ineffizienten Arbeitsweise. Die betriebswirtschaftliche Auswirkung sind hohe indirekte Zuschläge. Da die Gemeinkosten in die Stundensätze mit einflie- ßen sind die Produktionskosten in solchen Unternehmen ebenfalls sehr hoch. In der Folge ist die Gefahr groß, dass betroffene Produktionsstandorte bei einem oberflächlichen Vergleich als sehr viel teurer bewertet werden, als etwa Produk- tionsstandorte fremder Unternehmen ohne diese Zuschläge. Der Ausweg Out- sourcing der Produktion bringt in diesem Fall jedoch nicht den erwünschten positiven Effekt für die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens. Die interdiszipli- näre Prozesskostenrechnung (vgl. 1.15 Differenzierte Prozesskostenrechnung) hilft die tatsächlichen Kostenverursacher zu identifizieren und damit eventuelle Fehlinvestitionen zu verhindern. 4.8.5 Kernkompetenzanalyse (KKA) [Zäh 04] Kernkompetenzen sind effiziente Prozesse und Leistungen, die für den Kunden einen Mehrwert bringen und für Wettbewerber nur schwer zu imitieren bzw. zu substituieren sind. Zur Kernkompetenzanalyse [Rein 99] werden Kaufkriterien (z. B. Preis, Sicherheit, Haltbarkeit und Endgeschwindigkeit) über Marktanaly- sen soweit möglich ermittelt und gewichtet. Als zweiter Schritt werden techni- sche und wirtschaftliche Produkteigenschaften (z. B. Festigkeit, Oberflächengüte und Fertigungskosten) klassifiziert. Diese für den Kauf entscheidenden Merk- male stellen einen erhöhten Kundennutzen dar und werden mit der Produktspe- zifikation verknüpft. Das Resultat der geänderten Produktspezifikation bzw. Spezifikationswerte klassifiziert die Prozesse und Kompetenzen der Wertschöp- 366 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban fung (z. B. Entwicklung, Fertigung oder Montage). Hierzu wird ein Kompetenz- portfolio mit den Dimensionen „Kundenwert“ und „relative Stärke“ der Kompe- tenz aufgestellt. Je nach Lage der Kompetenz im Portfolio kann eine strategische Handlungsempfehlung gegeben werden. 4.8.6 Make-or-buy-Analyse (MoB) mit Risikofaktoren MoB ist eine Entscheidungsfindungsmethode, die ergänzend zur strategisch unterstützenden Kern-Kompetenz-Analyse die entscheidungsrelevanten Kosten betrachtet. Dazu müssen alle Kosten der Alternativen, die be- und entlastend anfallen, systematisch ermittelt und verglichen werden. Die Schwierigkeit liegt darin, alle Positionen für relevante Kosten vollständig und realitätsnah zu er- mitteln. Um möglichste Vollständigkeit zu erreichen, können Checklisten ba- sierend auf Projektplänen und alten MoB-Analysen unterstützend verwendet werden. Die alten Aufzeichnungen sollten allerdings mittel- bis langfristig nach der Umsetzung auf die Zielerreichung vollständig verifiziert werden, ansonsten besteht die Gefahr, falsche Annahmen einfach erneut heranzuziehen. Fehl- einschätzungen der realen Kostensituation entstehen aber trotzdem und kön- nen, solange nicht ausreichend Prozessbezug bei der Kostenstruktur besteht, nicht verifiziert werden. In vielen Fällen stehen die notwendigen Daten nicht in geeigneter Form zur Verfügung. Im Fall von Produktionsverlagerung kann daher Valuecycle Optimizing (VCO), interdisziplinäre Prozesskostenrechnung und Process Due Diligence (vgl. 4.7 Intensiv-Lieferantenentwicklung) sehr effizient vollständige, prozessbezogene Daten liefern. Dann können realisti- Potenzial- kompetenz „Neue Märkte suchen“ Kern- kompetenz „Stärken ausbauen“ Basis- kompetenz „Outsourcing anstreben“ Defizit- kompetenz „Kooperation suchen“ Kundenwert der Kompetenz S tä rk e de r K om pe te nz Abb. 4.8.2 Kernkompetenzanalyse mit Handlungshinweisen (nach [Zäh 04] und [Rein 99]) 4.8 Outsourcing und Lieferantenwechsel 367 schere Kosten zum Vergleich errechnet werden, z. B. Qualität, Liefertreue, Ka- pitalbindung, Flexibilität. Von vielen Unternehmen wird das Risiko einer un- wirtschaftlichen Verlagerung aufgrund einer zu stark vereinfachten, einseitigen Hochrechnung unterschätzt. Aus diesem Grund kann in den ermittelten Zah- lenreihen je Prozess und Position ein Risikofaktor ergänzt werden. Der Risiko- faktor sollte aus einer prozessbezogenen Fehlermöglichkeits- und Einflussana- lyse (Prozess-FMEA) abgeleitet werden. Die so ermittelten Kosten werden, abhängig vom Produktlebenszyklus und dem betrachteten Intervallen der Ab- satzprognose diskontiert und zu differenziert. Wenn die Summe der diskon- tierten Auszahlungen für den Fremdbezug den kleineren Zahlungswert besitzt, ist ein Outsourcing aus Kostengründen zu bevorzugen [Zäh 04]. Da die Kos- teneinschätzung nur ein unvollständiges Bild ergibt, sollte ergänzend eine Mat- rix der wesentlichen zusätzlichen Einflusskriterien gebildet werden. Um eine umfassende, integrierte Betrachtung von Hardfacts (wie Kosten) und Softfacts (wie Strategien, Trend und Risiko) zu erhalten, kann das vereinfachte Multikri- terienmodell von Ghandforoush [Ghan 88] verwendet werden. 4.8.7 Chancen und Risiken – abwägen und optimieren Die goldene Regel des Outsourcing: „Je größer das Potential erscheint, desto größer ist das Risiko!“ Zur Absicherung des Risikos verwenden viele Unterneh- men Checklisten, um optimale Abläufe und vollständige Kostentransparenz zu erreichen. Möglichst alle wesentlichen Punkte sollten von Anfang an umfassend hinterfragt werden, um nicht später Konflikte lösen zu müssen. Das finanzielle Risiko eines Outsourcings ist beträchtlich, daher ist es sinnvoll, zur Entschei- dungsunterstützung eine Risikoanalyse vorzunehmen. Hierfür kann eine pro- zessbezogene Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (Prozess-FMEA) ange- wandt werden. Die FMEA sollte basierend auf einer möglichst umfassenden Checkliste und unter Einbeziehung externer Spezialisten durchgeführt werden. Mit einer unvoreingenommenen Entscheidungsfindung, basierend auf dieser sachlichen Information, können das Risiko und die Potentiale sachlich fundiert abgeschätzt werden. Das Risiko einer Fehlentscheidung sinkt damit beträchtlich. Da es bei Outsourcing fast immer um sehr gewichtige Entscheidungen geht, sollte kein unnötiges Risiko eingegangen werden. Bei Konzernen werden oftmals für solche Fälle erfahrene spezialisierte Dienstleister einbezogen. Eine temporä- re, hohe Kapazität an erfahrenen Spezialisten kann dadurch professionell und zeitnah realisiert werden. Vielfach sind diese Spezialisten intern nicht vorhan- den. In manchen Fällen wird auch die Geschäftsleitung von betroffenen Berei- chen kommissarisch externen Dienstleistern oder Spezialisten übergeben. Die internen Vorgesetzten sind in vielen Fällen nicht qualifiziert, um diese Grenzsi- tuationen des betrieblichen Umgangs kompetent, neutral und optimal für die betroffenen Mitarbeiter zu meistern. 368 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban 4.9 Logistik-Outsourcing – Checkliste Wolf-Michael Gerth; Eva Dickmann, Lepros GmbH Der Erfolg eines Outsourcing-Projekts wird maßgeblich vom systematischen Vorgehen bestimmt. Eine fundierte, umfassende Vorbereitung der Entscheidung durch Kernkompetenzanalyse, Risikoanalyse (Prozess-FMEA) und MoB-Ana- lyse kann helfen, Risiken richtig einzuschätzen. Basierend darauf sollte eine unvoreingenommene, nur von Fakten getragene Entscheidungsfindung ange- strebt werden. Letztlich müssen die Ziele dann aufgrund möglichst detailliert ausgearbeiteter Checklisten und Projektpläne umgesetzt werden. In den vergan- genen Jahren wurde vor allem im Bereich der Automobilzulieferer zunehmend Logistik-Outsoucing angestrebt, daher soll im Folgenden eine Checkliste exem- plarisch dargestellt werden. 4.9.1 Logistik-Outsourcing Die Versorgung von Produktion und Montage wird häufig auf Logistikdienst- leister übertragen. Die Betreuung der Logistikkette reicht vom Lieferanten (Dis- position) über die Kommissionierung in Vorratsbehälter (z. B. Werkstückträger), der Breitstellung in der Produktion bis hin zu externen Bearbeitungsschritten („verlängerte Werkbank“, Lohnbearbeiter). Im Rahmen dieser Prozesse, deren physischen Prozessketten und Informationsflüssen, können durch unterschiedli- che Einflüsse und mangelhafte Vorbereitung erhebliche Reibungsverluste im Materialfluss entstehen. Ziele des Outsourcing Der Logistikdienstleister verfügt über Spezialwissen seiner Branche, das in den eigenen Prozessen zielgerichtet zum Einsatz kommen soll. • Keine eigenen Investitionen in Gebäude und Technik, sondern Entrichtung einer Nutzungsgebühr. • Konzentration auf die eigenen Kernkompetenzen. Aus komplexen Prozessen, die während einer Lieferantenbeziehung entste- hen, ist es zwar möglich, Standorte und Techniken zu wechseln, aber kaum das ausführende Logistikunternehmen. 4.9.2 Checkliste für Logistik-Outsourcing Checklisten leisten einen wesentlichen Beitrag zum vollständigen und erfolgrei- chen Outsourcing. Sie sollten schon in der Vorbereitung zur Entscheidungsfin- 4.9 Logistik-Outsourcing – Checkliste 369 dung weitestgehend detailliert sein. In vielen Unternehmen die häufiger Out- sourcing betreiben, werden solche Listen immer wieder neu angewandt und verfeinert. Zur zielführenden Umsetzung sind zudem vor allem ausreichend Kapazität und Kompetenz nötig. So kann das Risiko minimiert werden, dass über längere Zeiträume nach dem Outsourcing kein zufriedenstellender Materi- alfluss gewährleistet werden kann und zudem die Kostenziele weit überschritten werden (vgl. Abb. 1.7.5 Phasen und Arbeitsthemen im Outsourcingprozess). 1. Vorbereitungen für ein erfolgreiches Outsourcing in der Logistik a) Aufbau von physischen Prozessketten mit folgenden Inhalten: • Wareneingang, • Wareneingangsprüfung. • Lager und Kommissionierung, • Versorgung und • Entsorgung an Produktion/Montage. b) Etablieren eines Informationsflusses zwischen Lieferant und Unternehmen, c) Aufbau eines Kennzahlensystems zur Steuerung der einzelnen Prozesse, d) Aufbau eines Tools zur Planung von Veränderungen und deren Auswirkun- gen auf Produktion und Lieferantenbeziehung, e) Festschreibung von Zielen für mindestens ein Jahr (Open-Issue-List). f) Erstellung von Ausschreibungsunterlagen an Logistikdienstleister. Vorbereitungsphase Feinplanung Realisierung Perspektiven 1 4321 432 Abgleich • Erstellung Ausschreibung • • Entscheidung Dienstleister • IST – Aufnahme Prozesse • Analyse Kommunika- tionsstruktur • Mengengerüst • Soll -Konzept • EDV -Konzept • Schnittstellen- beschreibung • Prozesskennzahlen • Workshop Mitarbeiter • Teambildung • Training on the Job • Projektmanagement • Integration in QM -System • kurzfristige Projekte • mittelfristige Projekte • langfristige Projekte • Einführung KVP • Projektmanagement • Logistik Kennzahlen-- system • Umfang Outsourcing • Zieldefinition • Prüfung Personal wirtschaft/rechtliche Grundlagen - Vergleich Dienstleister E iO E Ziel erreichtiO iOniO niO EniO © Ing. Büro Gerth Abb. 4.9.1 Vorgehensweise Outsourcing 370 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban 2. Kriterien der Entscheidung für einen Logistikdienstleister als Partner a) Finanzielle Unterschiede bei einer langfristigen und differenzierten Betrach- tung (mind. 6 Monate; einzelne Prozessketten sollten getrennt betrachtet und bewertet werden) b) Change Management mit Vorgaben für Verbesserungen. 3. Realisierung Tabelle 4.9.1 Beispiel einer Vorgehensweise bei Logistik-Outsourcing Vorbereitungsphase Stufe 1 Stufe 2 Stabilität der Prozesse Stabilität der Prozesse Stabilität der Prozesse Klärung und Vorbereitung zur Übernahme von x-Mit- arbeitern Integration der übernom- menen Mitarbeitern in die Organisation des Dienst- leisters Pflege und Förderung der Mitarbeiter im Rahmen der Organisation des Dienstleisters Feinanalyse der Prozesse Überarbeitung der Feinana- lyse der Prozesse Identifikation von Einspar- potentialen Identifikation von Einspar- potentialen Aufbau des Entwicklungs- planes für die Realisierung von Einsparpotentialen Realisierung von Einspar- potentialen Einführung eines kontinu- ierlichen Verbesserungs- prozesses (KVP) Definition von leistungsbe- zogenen Abrechnungsein- heiten Variable, leistungsbezoge- nen Abrechnung der in Stufe 1 definierten Einhei- ten Definition von notwendigen Fixkosten Abrechnung der definierten Fixkostenblöcke Vorbereitung zu Übergang Stufe 1 Vorbereitung zu Übergang Stufe 1 4. Entwicklung der Lieferantenbeziehung zwischen Dienstleister und Unternehmen a) Monatliches Reporting der vereinbarten Kennzahlen (incl. Pflege der Pro- zessketten) im Rahmen eines Jour-fix mit folgenden Themen: • Veränderungen (Vergangenheit) und • Vorbereitungen in Projekten (Zukunft): b) Abarbeiten der Tätigkeiten im Rahmen der Open-Issue-List. 4.10 Transport-Logistik im Rahmen des Supply Chain Management 371 4.10 Transport-Logistik im Rahmen des Supply Chain Management Claus-Eduard Wittmann Eine zunehmend wichtige Rolle im Supply Chain Management (SCM) spielt das Thema Transport-Logistik: Mit abnehmender Wertschöpfungstiefe in den Un- ternehmen steigt indirekt proportional der Anteil an Kaufteilen und der Bedarf an Transporten von Lieferanten zu Kunden. Das in diesem Bereich vorhandene Potential gilt es zu erkennen und zu optimieren. Denn: Fehleinschätzungen haben gravierenden Einfluss auf das SCM, unter anderem sind hohe Mehrkosten die Folge. Die Beschaffung wird immer internationaler und die Bestandsopti- mierung stellt ein wesentliches Ziel im SCM dar, sodass die Transporte diesem Ziel angepasst sein müssen. Vor allem die eingebundenen Transport- und Logis- tikpartner haben diesen wachsenden Anforderungen gerecht zu werden. Da heute das Gros der Lieferungen noch immer durch LKW-Transporte abgedeckt wird, soll hier speziell auf diesen Bereich näher eingegangen werden. 4.10.1 Die Auswahl des Logistikpartners Um auf den Transport – und auf die damit verbundenen Kostenpotentiale – über- haupt Einfluss nehmen zu können, muss das Unternehmen die grundsätzliche Entscheidung treffen, die Transportlogistik inhouse abzuwickeln und damit die Transportkosten selbst zu tragen. Nur dann besteht die Möglichkeit, durch das Sendungsvolumen und die damit verbundenen Tonnagezahlen, ein interessantes Volumen für den Speditionsmarkt zu erzielen. Dieses Mengengerüst dient als Basis für die erforderliche Ausschreibung, um Angebote von verschiedenen Wettbewerbern einzuholen und die aktuellen Transportkosten vergleichen zu können. Da aber Sendungsmenge und Tonnageverteilung allein noch keinen ausreichenden Inhalt für die Ausschreibung darstellen, sollten noch folgende Faktoren in die Beurteilung miteinbezogen werden: Sendungszahlen je Relation (PLZ), Laufzeiten für Sendungen, Zeitfenster für Anlieferungen und Abholungen, Zahlungsziel, Abwicklung und Ansprechpartner im Tagesgeschäft, Eskalations- strategien und nicht zuletzt die Preistabellen mit Regelungen von Nebenkosten, wie Tauschgebühren für Gitterboxen oder Euro-Paletten, Sperrigkeitsregelungen, Dieselzuschlag und Mautgebühren. Auch sollten nationale und internationale Sendungen getrennt angefragt werden. Diese Vielzahl von Punkten zeigt, dass bei jeder Ausschreibung das Anforderungsprofil an das jeweilige Geschäft und den Produktionsstandort sehr genau und sehr individuell definiert werden muss, um eine objektive Vergleichbarkeit der Angebote zu erzielen. Oberstes Gebot bei der Auswahl des Dienstleisters ist, dass nie der Preis das allein ausschlaggebende Auswahlkriterium darstellen darf. Nicht der billigste Anbieter ist gefragt, sondern der günstigste! Neben dem Preis spielen Qualitätsfaktoren eine entscheidende Rolle. Um diese zu beurteilen, können zahlreiche objektive Kriterien, wie z. B. 372 4 Supply Chain Management (SCM) mit Kanban Zertifizierungen nach DIN EN ISO 9002, VDA-Normen, Umsatzvolumen oder Branchenbeurteilungen in Fachzeitschriften herangezogen werden. Aber auch der persönliche Kontakt mit den Unternehmen ist im Auswahlprozess unerläss- lich: Wie ist der erste Eindruck? Wie werden Prozesse in der Spedition dargestellt? Passt die Unternehmenskultur zum eigenen Betrieb? Und welche Leistungsstärke vermitteln die in den Ablauf eingebundenen Partner? Allgemeingültige Empfeh- lungen sind hier kaum möglich, da die Entscheidung von zahlreichen individuel- len Faktoren abhängt. Sowohl die großen Branchenführer mit ihren ausgebauten internationalen Netzwerken als auch die mittelständischen Anbieter mit ihren kurzen Hierarchiewegen und oft individuelleren Lösungen haben ihre Stärken – aber auch Schwächen. Ist die Entscheidung für einen Partner gefallen, sollte es im Interesse beider Parteien liegen, eine mittel- bis langfristige, partnerschaftliche Beziehung anzustreben und diese auch vertraglich zu fixieren. Nur dann ist die Planungssicherheit für einen definierten Zeitraum gegeben, die als Basis für wei- tere Optimierungen unerlässlich ist. Vertraglich fixiert werden sollten der detail- lierte Inhalt der Ausschreibungen, Themen wie Anpassungsklauseln zum verein- barten Tarif, der Geltungszeitraum der Vereinbarung, der Qualitätsnachweis der erbrachten Leistung, Kündigungsregelungen, Gerichtsstand, Geschäftsbedingun- gen sowie eine Salvatorische Klausel. Dringend anzuraten ist die Prüfung des Vertrags durch einen Juristen. 4.10.2 Das Optimierungspotential Im Rahmen der Ausschreibung zeigt sich meist, dass die Preise der Anbieter um 30 % und mehr voneinander abweichen – das tatsächlich vorhandene Einspa- rungspotential hängt dann stark von den individuellen Rahmenbedingungen des jeweiligen Unternehmens ab. Ferner sollte geprüft werden, ob bei den internen Abläufen Sendungen und Prozesse so zusammengefasst werden können, dass auch dort ein Ratioeffekt zu erzielen ist. Denkbar sind Abrufrhythmen in der Disposition, wie z. B. Wochenabrufe im Rahmen von Kanban-Systemen. Grund- sätzlich gilt hier: Je größer die Sendung, desto günstiger der Tarif je Einzelteil. Auch Synergie-Effekte mit dem Spediteur, beispielsweise durch gebündelte Lie- ferungen von Lieferanten einer gemeinsamen Relation (PLZ-Gebiet), sind mög- lich. Diese Beispiele zeigen, dass beide Partner kontinuierlich an der Optimie- rung dieser Abläufe – und damit des gesamten SCM – arbeiten müssen, um die Kosten bei gleich bleibender oder besserer Leistungsqualität zu senken. 4.10.3 Die Schnittstellen mit anderen SCM-Bereichen Wie sich bereits erkennen lässt, kann der externe Prozess der Transporte nicht losgelöst im SCM betrachtet werden. Wichtige Schnittstellen gibt es zur Disposi- tion und internen Logistik, zum Wareneingang, zum Einkauf, zur Rechnungsprü- fung und zur Buchhaltung. Ziel der Disposition ist es, unter Berücksichtigung der 4.10 Transport-Logistik im Rahmen des Supply Chain Management 373 Bestandsziele eine permanente Verfügbarkeit der Teile für die Produktion zu gewährleisten. Die Transporte werden in diesen Arbeitsabläufen häufig noch nicht optimal berücksichtigt. Wenn hier das Gefühl für diese Kosten verstärkt werden kann und ggf. Richtlinien für Sonderfahrten und Abrufrhythmen festge- legt werden, so hat dies direkten Einfluss auf den Wareneingang, der optimierte Mengen (z. B. Wochenmengen) vereinnahmen kann. Der Verwaltungs- und Handlingsaufwand reduziert sich entsprechend, was sich wiederum positiv direkt auf die Kosten je Einzelteil auswirkt. Auch für den strategischen Einkauf stellt das interne Transportkosten-Management eine Optimierung dar, da dann in den Einkaufspreisen nur direkte Kosten enthalten sind. Diese höhere Kostentranspa- renz vereinfacht einen Vergleich der Einkaufspreise erheblich. Die Rechnungs- prüfung hat den Vorteil, dass Speditionsrechnungen nur noch von einer definier- ten und begrenzten Anzahl von Kreditoren erstellt wird. Werden dann die jeweiligen Preistabellen noch elektronisch in der Rechnungsprüfung hinterlegt, ist eine optimale Prüfung möglich. Und die Buchhaltung kann zum Kosten spa- renden Gutschriftverfahren übergehen, da durch gut eingespielte Prozesse nur noch selten Abweichungen vorkommen. 4.10.4 Fazit Durch die Optimierung der Transporte in Zusammenarbeit mit allen beteiligten Partnern lässt sich nicht nur bei den Transportkosten ein erheblicher Ratioeffekt erzielen, sondern auch die an den Schnittstellen beteiligten internen Bereiche bieten erhebliche Verbesserungs- und Einsparungspotentiale. Wie hoch dieses Potential tatsächlich ist, hängt davon ab, wie weit die Prozesse im Unternehmen bereits optimiert und aufeinander abgestimmt sind. 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss Eva Dickmann, Lepros GmbH In der Mitte des 20. Jahrhunderts hielten die ersten Rechnersysteme in den Fir- men Einzug. Mit deren Leistungsfähigkeit konnten aber nur einfache betrieb- liche Abläufe dargestellt werden. Es gab isolierte Kleinlösungen in Bereichen wie Finanzwesen, Personalwirtschaft, Materialwirtschaft und Produktionssteuerung. Unter den isolierte Lösungen war kein Datenaustausch möglich. Production Planning and Scheduling (PPS) Anfang der 80er Jahre entstanden erste Systeme zur Produktionsplanung und -steuerung (PPS) als Insellösungen. Eines der ersten war PICS (Production In- formation and Control System) von IBM. Ein Themenschwerpunkt bei der PPS- Entwicklung war die Stücklistenauflösung. Insbesondere bei der Einzel- und Serienfertigung, mit ihrem weit gefächerten Sortiment, zeigt sich früh, dass die Verwaltung der vielfältigen Stücklisten, ebenso wie die rechenaufwändigen Ver- fahren der Stücklistenauflösung, den Einsatz von EDV-Systemen rechtfertigen. Mit dem Preissturz der EDV hielten arbeitsplatzgebundene Systeme Einzug in Büro und Produktion. Neue Möglichkeiten der Vernetzung und Client-Server- Architekturen stellten die Daten am Ort der Entscheidung zur Verfügung. Jetzt nahm auch die Dringlichkeit zu, die Daten unter den einzelnen Softwarekompo- nenten auszutauschen. Der Grund lag im steigenden Aufwand, ähnliche oder gleiche Daten in mehrere Systeme einzupflegen und in der damit verbundenen Fehlerhäufigkeit. Material Requirements Planning (MRP) Material Requirements Planning Systeme (MRP-Systeme) erzeugen basierend auf der Primärbedarfsermittlung, also den Kundenbedarfen und Ersatzteilauf- trägen unter Berücksichtigung der Lagerbestände, ein Produktionsprogramm mit Planaufträgen. Über die Verknüpfung von Arbeitsplänen und Stücklisten werden in den Produktionsaufträgen auf der Sekundärebene wiederum Bedarfe erzeugt, aus denen in weiteren darunter liegenden Ebenen, Planaufträge sowie letztlich Produktions- und Beschaffungsaufträge generiert werden. [Kans 99] 376 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss Production Resource Planning (MRPII) MRP-Systeme werden im Production Resource Planning (MRP II) System durch einen Kapazitätsbelastungsausgleich ergänzt. Kapazitätsüber- und -unterschrei- tungen werden dargestellt und in einem iterativen, manuell vorgenommenen Durchgang mit dem MRP-System optimiert. Unterschiede zwischen Produk- tions- und Vertriebsplan bleiben unberücksichtigt und müssen manuell gegen- gesteuert werden. Konkurrierende Belegungen eines Produktionsmittels für Teile verschiedener Aufträge werden nur getrennt voneinander betrachtet und „Doppelbelegungen“ beim Endtermin nicht einkalkuliert. Die Folge sind Ter- minverschiebungen. Vor allem bei langen Durchlaufzeiten führen kurzfristige Veränderungen zum Durchlaufzeitsyndrom [Kans 99]. Aufgrund hoher Auslas- tung und fehlender Ausgleichsmöglichkeit kommt es zu Auftragsunterbrechun- gen und schlechter Lieferfähigkeit. Dies führt zu einer Spirale wiederholter Stö- rungen. Dadurch verlängert sich die Durchlaufzeit zunehmend und die Lieferfähigkeit verschlechtert sich weiter. Die MRP-Systeme werden im Durch- laufzeitsyndrom als Verursacher angesehen. Tatsächlich ist dies den zu hohen physischen Durchlaufzeiten oder Wiederbeschaffungszeiten in Relation zur nötigen Flexibilität (Flexibilitätsparadoxon, s. Kap. 2.1 Ruhiger, kontinuierlicher Materialfluss) zuzuschreiben. Enterprise Resource Planning (ERP) Enterprise Resource Planning (ERP) verbindet die bestehenden Insellösungen miteinander. Die Kernfunktionen der ERP-Systeme beruhen auf der Vernetzung unter anderem von MRP und MRP II, internem und externen Rechnungswesen und Personalwirtschaft. Die Schwäche des Systems ist, dass es die Produktionska- pazität bei allen Termin- und Mengenüberlegungen als unbegrenzt voraussetzt. Das hat zur Folge, dass keine Betrachtung der Kapazität und der Durchführbarkeit der Aufträge erfolgt. So sind auch die heutigen ERP-Systeme darauf beschränkt, Daten zu verwalten und reale Operationen in einem System parallel dazu abzubil- den. Es handelt sich um Transaktionssysteme, die auch als Enterprise Resource Execution and Administration (EREA) bezeichnet werden. Das grundlegende Problem bei MRP, MRP II und ERP sind Effekte, wie etwa der Bullwhip-Effekt, das Flexibilitätsparadoxon, der Snowball-Effekt, die mangelhafte Datenqualität und das Problem der Fehlerfortpflanzung bei großen vernetzten Datenmengen. Diese Effekte werden jedoch kaum als Ursachen erkannt. Versuche, sie mit komplexen Algorithmen zu kompensieren, führten zu keinem überzeugenden Ergebnis. Supply Chain Execution (SCE) und Supply Chain Planning (SCP) mit Advanced Planning and Scheduling (APS) Aus der Sichtweise des Valuestream-Mangements ist Supply Chain Management (SCM) die Planung und Steuerung von Material-, Informations- und Finanzströ- men. Durch die ständig steigenden Anforderungen an die Minimierung der Kos- ten in der Produktion und der zunehmenden Genauigkeit der Datenverarbeitung 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss 377 nimmt die Marktdurchdringung mit Software zur Unterstützung von SCM zu. Dabei verteilt sich der Einsatz von Software-Produkten zu gleichen Teilen auf die Bereiche Supply Chain Planning (SCP) und Supply Chain Execution (SCE). SCE- Systeme erhöhen die Effizienz und Zuverlässigkeit des Beschaffungsmanage- ments von ERP-Systemen über alle Wertschöpfungsstufen und generieren eine automatische Umsetzung der Planungsergebnisse [Gesa 02]. SCP wird als strategische, taktische und operative Planung des Wertschöp- fungsnetzwerks verstanden. Mit zunehmenden Planungshorizont steigt die Zahl der Freiheitsgrade der Planung oder umgekehrt formuliert, es sinkt die Zahl der Restriktionen (engl. Constraints). • Constraint Based Planning (CBP): Mit einer Planung mit Restriktionen las- sen sich komplexe Logistikketten in unterschiedlichen Detaillierungsgraden wirklichkeitsnah abbilden. Constraints stellen die Verfügbarkeit der Ressour- cen, wie Mitarbeiter und Maschinen, dar. MRP/ERP PPSPPS Stücklisten Bedarfevon Kunden Material- Stammdaten Bedarfe je Material Bedarfsrechnung Vertrags- konditionen mit Lieferanten Fertigungs- aufträge Bestellungen bzw. Lieferabrufe Vertrags- konditionen mit Lieferanten Fertigungs- aufträge Bestellungen bzw. Lieferabrufe Fertigungs- aufträge Bestellungen bzw. Lieferabrufe viele Kunden-Lieferantenstufen = Advanced Planning and Scheduling (APS) Abb. 5.0.2 Stufenweiser Aufbau von APS-Systemen aus den Elementen von PPS und ERP- Systemen. Abb. 5.0.1 Verhältnis von ERP-, SCE- und APS-Systemen [Gesa 02] 378 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss • Simultanous Planning (SP): Durch simultane Planung werden alle Ressour- cen gleichzeitig und nicht sequentiell betrachtet. • Incremental Planning (IP): Mit diesem System kann die Planung kontinuier- lich erfolgen und Änderungen können bidirektional verfolgt werden. Muss ein Plan geändert werden, lassen sich die Auswirkungen dieser Änderungen in beide Richtungen der Supply Chain weitergeben, sowohl in Richtung der Zulieferer als auch in Richtung Endkunde. Module von APS-Systemen Die Basis für die erfolgreiche Einführung eines APS-Systems ist die Optimierung der Versorgungsprozesse und das Einbeziehen aller Beteiligten in ein aktives Change Management. Die Bezeichnung der einzelnen Module von APS-Systemen wurden von [Gesa 02] übernommen, können aber in anderen Systemen andere Namen, aber ähnliche Inhalte haben: • Strategic Supply Chain Planning: Die strategische Planung der Versorgungs- ketten umfasst die Konfiguration des Wertschöpfungsnetzwerks und die Fest- legung des Lieferprogramms. Es werden physische Rahmenbedingungen, wie die Produktionskapazität, festgelegt bzw. verwaltet. • Demand Planning und Customer Collaborating Planning: Aufnahme der erwarteten Absatzzahlen der Endprodukte für die Planung und die Erfassung der wahrscheinlichen Abnahmemengen mit Lieferdaten und Lieferstandorten (vgl. 4.1 Einführung eines Supply Chain Management Systems). • Master Planning: Als Instrument der taktischen Supply Chain Planung wird hier die Zuordnung von Forecasts, Reservierungen und Kundenaufträgen zu den Produktionsressourcen und Fertigungszeiten vorgenommen. Im Gegen- satz zur ERP ermöglicht APS den Durchlauf alternativer Planungsszenarien. • Supplier Collaboration Planning: Hier werden entsprechend der Ergebnisse der taktischen Supply Chain Planung Materialien angefragt, reserviert und Be- stellungen ausgelöst sowie die Bedarfe zum Unterlieferanten weitergegeben. • Plant Scheduling und Transportation Planning: Zur Planung der Soll-Aus- lastung der einzelnen Anlagen wird ein detaillierter Produktionsplan erstellt und die Bewegungen innerhalb der gegebenen Struktur und auf den Trans- portkapazitäten gebucht. Dies trifft nicht nur für die Beschaffung, sondern auch für Transporte innerhalb der Produktion zu. • Order Promising: Das Ergebnis der taktischen Supply Chain Planung und der Erstellung eines Produktionsplans sind verfügbare Mengen für Kundenauf- träge sowie frei verfügbare Mengen. Die frei verfügbaren Mengen stehen dem Vertrieb, zum Beispiel über ein Auftragsmanagementsystem, zur Verfügung und können mit einer konkreten Lieferzusage an den Kunden weitergegeben werden. So weiß der Kunde jederzeit, wann und ob seine Teile zur Verfügung stehen. Ist ein Produkt nicht verfügbar, kann es bei hoher Dringlichkeit durch Cross- oder Upspelling, durch einen anderen Auftrag beliefert werden. Mit 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss 379 diesem Verfahren sollte aber sorgsam umgegangen werden, da sonst auf vie- len Ebenen extreme Schwankungen und eine unsichere Versorgungslage ent- steht (vgl. 2.1.1 Snowball-Effekt). Einschränkungen bei der firmenübergreifenden Integration Nur wenige APS-Systeme leisten einen simultanen Abgleich der Materialverfüg- barkeit [Stad 00]. Generell ist eine durchgängige Anbindung mehrer Firmen möglich. So hat zum Beispiel die Axxom Software AG einen neuen Ansatz zur Kalkulation und Optimierung großer Netzwerke mit mehreren hundert Standor- ten, vielen Kunden sowie tausenden Produkten [Axxo 05]. Planungsebene, Auf- trag und strategische Ebene werden hier angeboten. Es ist theoretisch möglich, in Bestände und Kapazitäten des Lieferanten zu blicken. In der Praxis sind ent- sprechende Lösungen aber nicht erwünscht, da die Firmen die meisten Interna, wie Wiederbeschaffungszeiten, Kapazität, Auslastung, nicht im Detail preisge- ben wollen. Als Nebenfunktion eignen sich diese Tools hervorragend um neben der internen SCM-Steuerung eine operative oder simulative Preiskalkulation durchzuführen. Da derartige Systeme enorme Datenmengen miteinander ver- netzen, ist natürlich auch die Frage der Fehlerbehaftung und der Fehlerfort- pflanzung in den Ergebnissen ein beträchtliches Hindernis (s. Kap. 5.1.2 Stör- größen im modernen Materialfluss und in MRP-Systemen). Zusätzliche Auswertungen füllen Lücken MRP-Systeme können (trotz der heute extrem breiten Funktionalitäten) den- noch nicht alle für die individuelle Alleinstellung nötigen Funktionen und Aus- wertungen im Standard bieten. Bei der Lean Umfrage 2007 bestätigte sich, dass 0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% 40% 45% bis 10 bis 50 bis 100 bis 150 bis 250 über 250 A nz ah l d er e rg än ze nd en A us w er tu ng en Befragte Abb. 5.0.3 Anzahl der zusätzlichen Auswertungen neben dem MRP-System [Lepr 07]: Über 40 % der Befragten gaben an, bis zu 50 zusätzliche Anwendungen zu verwenden. Da die Umfrage vornehmlich in Logistik, Einkauf und Produktion durchgeführt wurde, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Summe über alle Fachbereiche hinweg noch wesentlich höher liegt. 380 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss bei den meisten Unternehmen sehr viele zusätzliche Programme neben dem MRP-System existieren. Über 90 % der Befragten gaben an, zusätzliche Tools zu verwenden, wobei es Unternehmen gab, die bis zu 250 Zusatzprogramme benut- zen. Bei einer derartig großen Menge an in der Regel nicht zentral koordinierten Programmen besteht die Gefahr von Wildwuchs. Lediglich 25 % der Studienteil- nehmer hatten weniger als zehn zusätzliche Auswertungen. Spezialanwendungen im Produktionsbereich Spezifische Anforderungsprofile und Problemstellungen haben eine Vielzahl neuer EDV-Anwendungen entstehen lassen. Der Erfolg von klein- und mittel- ständischen Unternehmen hat z. B. zu speziellen kleineren IT-Lösungen mit push- oder pull-Ansätzen geführt. Mit modernen Rechenmethoden können aus Historien heute sehr exakte Bedarfshochrechnungen ermittelt werden. Diese Tools haben sich vor allem im Handel etabliert, wären aber auch für Produk- tionsbereiche sinnvoll. Es existieren auch zahlreiche dynamische Simulations- methoden für unterschiedliche Problemstellungen des Materialflusses: Von der Selektion optimaler Steuerungsalgorithmen, über die optimale Dimensionierung von Kanban-Kreisen auf der Zeitachse, bis hin zur Simulation vollständiger, komplexer Produktions- und Kanban-Abläufe. Neue ergonomische Kommuni- kationswege stellen einen weiteren Bereich an Neuentwicklungen dar, z. B. gra- fische Programmabläufe (mit Bildern geführte Montage- und Materialfluss- prozesse) oder ergonomische Schnittstellen (mit RFID, Spracherkennung und Brillen zur Visualisierung). Die neue Herausforderung der IT: Richtiger Umgang mit fehlerbehafteten Daten und optimalen physischen Abläufen Viele IT-Ansätze, wie komplexe Simulationsmodelle oder Hochrechnungen, sind akademisch betrachtet extrem interessant. In der realen Umsetzung kann aber kein korrelierender Erfolg festgestellt werden. Die Ursache ist in der Regel in der enormen Fehlerbehaftung der Basisdaten zu suchen. IT setzt prinzipiell fehlerfreie Daten oder eine vernachlässigbar kleine Fehlerbehaftung voraus. Durch die große Masse an Daten, die eingebunden und verknüpft werden, ist dies physikalisch, aufgrund der Eingabefehlerbehaftung und der Fehlerfort- pflanzung, ein äußerst unrealistischer Ansatz. Datenpflege und konsistente Da- ten sind kein „disziplinarisches Thema“, sondern ein Effekt oder eine Aufgaben- stellung, die bis heute in IT-Anwendungen weitestgehend ignoriert wird. Letztlich sollte auch das Flexiblitätsparadoxon nicht vergessen werden, d. h. die IT kann letztlich nur reale physische Abläufe visualisieren und abbilden. Umge- kehrt bilden physische Abläufe den Vorgang der IT nur teilweise ab, da der Zu- sammenhang nicht reversibel ist. Wesentlich ist und bleibt es, die optimalen Prozesse „eins zu eins“ in der IT umzusetzen, also Lean Production Systeme zu erzeugen und die Reduzierung der Störgrößen in Hinblick auf die Fehlerhaftig- keit der Daten zu erreichen. 5.1 Reduzierung von Fehlerraten in IT-Systemen und im Materialfluss 381 5.1 Reduzierung von Fehlerraten in IT-Systemen und im Materialfluss Eva Dickmann, Philipp Dickmann; Lepros GmbH EDV-Systeme werden in der unternehmerischen Praxis als komfortables Archiv- medium mit einer hohen Zugriffsgeschwindigkeit, nahezu unbegrenztem dezen- tralen Zugriff und mit extrem hoher Speicherkapazität genutzt. Dateneingaben, -ausgaben und -übertragungen sind schnell, mit wenig Aufwand und weniger Fehlern möglich. Aufwendige Berechnungen basierend auf weltweit verteilten Datenbeständen können auf „Knopfdruck“ oder im Hintergrund ermittelt wer- den. Aufgrund stetig steigender Rechenleistung können informationstechnische Systeme (IT-Systeme) sehr viele Informationen mittels komplexer Algorithmen miteinander verrechnen. Bei der Berechnung von Prognosen aber weichen die Ergebnisse vielfach deutlich von der Realität ab. Die Haltung gegenüber den Ergebnissen von ERP- Systemen ist häufig zu unkritisch. Betriebliche Datenerfassung, MRP, ERP oder auch Simulationstools sind grundsätzlich den Gesetzmäßigkeiten der physikali- schen Fehlerfortpflanzung unterworfen. Da Daten prinzipiell zu einem gewissen Prozentsatz mit Fehlern behaftet sind, enthalten errechnete Daten deutlich mehr Fehler und sind unexakter als die verwendeten Basisparameter. Anders als in der Physik, werden die Ergebnisse von IT-Produkten jedoch prinzipiell ohne Angabe von Abweichungen und Ungenauigkeiten angegeben. Da der Anwender nur sehr aufwendige, wenige oder gar keine Möglichkeit hat, die Daten zu prü- fen und zu bewerten, muss er sie als exakt betrachten und sie seinen Handlun- gen zugrunde legen. Dieses Vorgehen wird oft dadurch unterstützt, dass die zentrale EDV von der Unternehmensleitung vorgegeben und als zentraler „Ner- venstrang“ und Wissensbasis des Unternehmens angesehen wird. Der Kontext „Fehler“ wird bei ERP wegen der tatsächlich sehr komplexen, kaum fassbaren Realität und der nur begrenzt in Rechenmodellen fassbaren Zusammenhänge wissentlich ausgespart. Dabei sind die Daten von Produktions- und Logistik- steuerung von vielen Parametern abhängig. Sie berechnen sich u. a. aus Progno- sen zukünftiger Verkaufszahlen, bereits erfolgten Bestellungen, Kundenprogno- sen, Lagerbeständen, Auftragsbuchungen, Stücklisten, Kapazitäten, Kalendern, Materialstämmen etc. All diese Informationen sind von zahlreichen Vernetzun- gen oder funktionalen Zusammenschlüssen abhängig und zum Teil selbst feh- lerbehaftete Berechnungen oder nur Abschätzungen. Es entsteht eine kaum zu überblickende Komplexität und Dynamik. Dem operativen Endanwender ist die Fehlerbehaftung der Daten häufig bewusst. Er benutzt daher verschiedenste Ausweichstrategien, um dennoch erfolgreich mit derartigen Systemen zu arbei- ten. Spätestens in Fällen, in denen MRP-Information nicht nur unterstützen, sondern Prozesse aktiv führen sollen, sind sehr hohe Aufwendungen nötig, um eine ausreichende Aussagequalität zu erreichen. Daher sollte bei der Planung und Entscheidung für vollautomatische Steuerungen der nötige Aufwand zur 382 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss Datenpflege und die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Reduzierung von Da- tenfehlern (vgl. 2.14 Valuecycle Optimizing) nicht unberücksichtigt bleiben. Anderenfalls muss mit einem hohen Maß an Störungen, mit steigenden Lager- beständen, einem gleichzeitigen Einbruch der Lieferfähigkeit und enormen Aufwand für Krisenmanagement gerechnet werden. 5.1.1 Unternehmensstrukturelle und soziologische Auswirkungen moderner IT-Systeme Datenverarbeitung führt zu neuen Potentialen und Abläufen in Unternehmen Die Fähigkeit, Abläufe optimal zu beherrschen, entscheidet über den Erfolg von Organisationen, Unternehmen, Nationen oder Kulturen – also aller Energone. Die Entwicklung der Schriften und Zahlen war auf diesem Weg ein Meilenstein. Sie ermöglichte es, komplexe Abläufe im Zusammenleben größerer Menschengrup- pen zu verwalten. In den letzten zwei Jahrzehnten wurde diese Möglichkeit durch die Informationstechnologie und im Speziellen durch das Internet radikal vergrö- ßert. Ihr Einfluss hat sich auf alle Organisationsstrukturen ausgewirkt und unser Leben, aber auch die Prozesse in nahezu jedem Unternehmen gravierend verän- dert. Viele der heute üblichen Abläufe und Geschäftsfelder wurden erst dadurch möglich. Wir kämpfen heute nicht mehr damit, die anfallenden Datenmengen zu erfassen, sondern vielmehr mit der Frage, wie wir aus der extremen Masse der Daten einen sinnvollen Nutzen zu ziehen. Besonders deutlich wird dies bei der Aufgabenstellung, betriebliche Prozesse mit MRP oder ERP Systemen zu steuern. Prognosequalität – „Der Blick in die Glaskugel“ mit Angabe der Toleranz Die Zukunft vorhersagen zu können, ist ein Menschheitstraum. Das Vertrauen in Prognosen ist jedoch immer abhängig von den Rahmenbedingungen ihrer Präsentation. Wo in vergangen Zeiten mystische Verknüpfungen zur Untermau- erung herangezogen wurden, setzt man heute auf die moderne Mathematik und die Informationstechnologie. Tatsache ist jedoch: Solange nicht absehbare oder eliminierbare Veränderungen oder Störgrößen auftreten, bleiben Prognosen un- sicher. Prognosen können nur für einfache Zusammenhänge mit wenigen, gut vorhersehbaren Störgrößen und für einen kurzen Zeitraum mit einer höheren Sicherheit richtig sein. Wir verwenden heute ausgereifte Algorithmen und Rech- nersysteme für die Prognose von Flugbahnen, des Wetters oder auch zur Unter- nehmenssteuerung. Diese modernen Methoden dürfen aber nicht darüber hin- wegtäuschen, dass es sich letztlich immer noch um den Blick in die Glaskugel handelt. Um eine fundierte Aussage zu treffen, müssen Prognoseverfahren im- mer physikalisch betrachtet werden und die zu berücksichtigende Fehlerquote angegeben werden. Denn: Prognosen sind immer Schätzungen mit einer mehr oder minder hohen Eintreffenswahrscheinlichkeit (= Prognosegüte; Wahr- scheinlichkeit mit der die Prognose die Realität richtig vorhersagt). 5.1 Reduzierung von Fehlerraten in IT-Systemen und im Materialfluss 383 Die „gläserne“ Fabrik: CIM, Leitstandskonzepte, zentralistisches Controlling und Integration von Funktionen durch IT Transparenz in Prozessen und Entwicklungen und unterstützt die Online-Pro- zesslenkung durch optimale Daten. Die Ansätze der „gläsernen“ Fabrik, Computer Integrated Manufacturing (CIM) oder der Leitstand waren logische Fortsetzungen der Idee einer „allmäch- tigen und 100-prozentigen Steuerung“ durch die IT [Iwer 05]. Die Philosophie des zentralistischen Controlling suggeriert, dass aufgrund dieser absoluten Trans- parenz nahezu fehlerfreie Entscheidungen und Zielvorgaben (Drill-down-Repor- tings) entstehen und die perfekte Integration von Funktionen mittels IT (also auch der fehlerfreien Zusammenarbeit der Fachbereiche) möglich ist. Der Ansatz vernachlässigt jedoch gewichtige reale Rahmenbedingungen im Unternehmen und hat sich aus folgenden Gründen in der Praxis als nicht sinnvoll erwiesen (Tei- le nach [Iwer 05]): • Die exakte Detailplanung lässt keinen Freiraum für Kreativität (Zielkonflikt). • Statische, standardisierte und wenig flexible Ablaufstrukturen sind notwendig. • Vollständige und fehlerfreie Basisdaten sind nötig. • Das Beschreiben, Bewerten und Buchen jedes kleinsten Prozesses erzeugt einen enormen bürokratischen Aufwand. • Der Umfang der Dokumentation führt zu einer hohen Trägheit und ist nicht wertschöpfend. • Aufgrund der Vernetzung und der Gleichzeitigkeit der Zugriffe und Auswer- tungen sind Fehlerkorrekturen nur eingeschränkt oder gar nicht wirksam. • Die Controlling-Philosophie kann nur unter Berücksichtigung der Summe der Fehlerrate aller Ebenen zu aussagefähigen Entscheidungen führen. IT-Fiktions-Paradoxon und die Verhinderung von Bottom-up-Prozessen Die IT zielt darauf ab, ein Unternehmen von einem „zentralen Schreibtisch“ aus, „ferngesteuert“, vollständig und perfekt zu lenken. Sie simuliert dabei alle we- sentlichen im Unternehmen ablaufenden Prozesse – und stellt die Veränderun- gen systemisch dar, wie in einem Film. Es entsteht eine Entkoppelung von der physischen Welt durch die Simulation: Die Grenze zwischen Realität und Fik- tion verschwimmt. Aufgrund der IT-Fiktion versucht der Anwender z. B. einen reversiblen (umkehrbaren) Lenkungsprozess zu erreichen [Dick07], ähnlich wie sich etwa Kinder beim Fernsehen in die Handlung derart eingebunden fühlen, dass sie den Darstellern durch warnende Rufe helfen wollen. Der IT-Anwender hat den Eindruck, er könne aktiv in die Abläufe eingreifen. Der reale Informa- tionsfluss ist jedoch nur scheinbar oder teilweise umkehrbar und die tatsächli- chen Prozesse in Unternehmen (z. B. Steuerungsprozesse) entwickeln sich weit- gehend entkoppelt von der IT, also real irreversibel. Fehler oder unerwünschte Ereignisse können meist nicht direkt durch IT-Prozesse kompensiert werden, sondern Menschen müssen immer wieder aktiv eingreifen und Teilaufgaben kreativ umgestalten. Die Abhängigkeit und der Prozesszwang von DV-Systemen 384 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss behindert in der Praxis eine kreative Bottom-up-Entwicklung realer Prozesse. Die starren Rahmenbedingungen verhindern Optimierungen, die der Mitarbei- ter anstreben würde, um seine Arbeit zu erleichtern (vgl. Kap. 5.13 Production Synchronized Software (PSS) und Kap. 5.4 Kaizen in der IT). Tatsächlich ist eine Prozessverbesserung nur durch persönliche Anwesenheit, differenziertes analy- tisches Diskutieren und Entscheiden mit den Betroffenen vor Ort zu erreichen. Dies alles sind Vorgehensweisen, die moderne betriebliche IT-Systeme durch Basisdaten und analytische Kennzahlen unterstützen können. 5.1.2 Störgrößen im modernen Materialfluss und in MRP-Systemen Materialfluss ist heute stark IT-geprägt. Ohne die vielfältigen Möglichkeiten der IT wären die oft hochkomplexen Zusammenhänge in Materialflusssystemen kaum mehr zu beherrschen. Der moderne Materialfluss ist einer großen Zahl von Fehlermöglichkeiten in unterschiedlichsten Ebenen und Ursachen-Wir- kungs-Kreisen ausgesetzt. IT-Daten suggerieren dem unkritischen Anwender größte Exaktheit und Si- cherheit. Vielfach wird dieser „Black Box“ blind vertraut und eine höhere Auto- mation angestrebt, um die „Fehlerquelle Mensch“ zu umgehen. Dabei darf je- doch nicht übersehen werden, dass IT stark von Fehlern bzw. Unschärfen der Basisdaten und von der Fehlerfortpflanzung geprägt ist. Der reale Umfang von Störungen und Fehlern in MRP-Systemen Wie fehlerbehaftet MRP-Systeme tatsächlich sind, verdeutlicht folgendes Bei- spiel (Tabelle 5.1.1): Tabelle 5.1.1 Datenaufkommen eines mittelständischen Montagebetriebs im Automobil- zulieferbereich mit ca. 300 Mitarbeitern [Lepr06]. Eingabeparameter: ca. 100 – ca. 25 % Mussfelder Materialstämme: ca. genützte 20.000 Materialstamm- daten Datenfelder: ca. genützte 0,5−1 Million Stücklistendaten Verknüpfungen: ca. 70.000 – in 4 Stücklistenstufen Bedarfsverursacher: ca. 20 verschiedene Bedarfsverur- sachertypen Bedarfstermine: ca. 300.000 Bedarfsplanung Veränderung von Terminen: ca. 210.000 pro Monat Daten- aufkommen Datensätze: ca. 5 Millionen Datenfelder 5.1 Reduzierung von Fehlerraten in IT-Systemen und im Materialfluss 385 Ergebnis der Analyse des Datenaufkommens (vgl. Abb. 5.1.3 Spirale der Feh- lererhöhung): • Selbst dieses kleine Unternehmen hat mit rund 5 Millionen Datenfeldern eine enorme Datenmenge und damit auch ein hohes Fehlerpotential. • Es werden täglich rund 300.000 Bedarfstermine berechnet. Manuelles Verifi- zieren ist bei diesem Volumen nicht mehr möglich. • Ca. 70 % der Bedarfstermine werden mindestens einmal monatlich verändert. Die errechneten Terminmengen ändern sich sehr dynamisch, teils täglich. Eine manuelle Kontrolle ist auch aus diesem Grunde ebenfalls nicht mehr machbar. • Das Fehlerpotential ist bei komplexeren Unternehmensstrukturen noch deut- lich höher. Fehlerursachen in MRP-Systemen Da ein MRP-Entwickler kaum alle aktuellen und zukünftigen Eventualitäten bedenken kann, sind MRP-Systeme immer fehlerbehaftet. Durch die operative Arbeit aller Anwender nimmt die Anzahl der Fehler und Störungen kontinuier- lich zu. Je komplexer und dynamischer die Systeme sind, desto stärker unterlie- gen sie dieser Entropie (Entropie = Maß der Unordnung). Modifikationen in der IT lösen aber weder das Problem der Entropie, noch die Fehlerursachen (z. B. Eingabefehler oder Fehler in den physischen Abläufen). IT-Ansätze sind zwar hilfreich, erreichen aber meist nur wenig. Tatsächlich stimmen die realen phy- sischen Abläufe häufig nicht mit den Ergebnissen der IT überein. Das System vermittelt dem Benutzer nur ein verschwommenes Bild der Realität. Zur Ver- meidung größerer Krisen bedienen sich die verantwortlichen Benutzer oft der Möglichkeit, die Steuerungsparameter der zu modifizieren. Sie schaffen dadurch unkoordinierte Sicherheiten am geplanten System vorbei. Die Entropie, Degene- ration und Verschwendung innerhalb des Materialflusses steigt dadurch. Eine hohe Lieferzuverlässigkeit kann unter diesen Rahmenbedingungen nur durch einen enormen Aufwand für Krisenmanagement und kontinuierlich steigenden Sicherheiten (Verschwendung) erreicht werden. Tatsächlich findet der Großteil der Störungen in der physischen Ebene des Materialflusses und auf dem mensch- lichen Entscheidungsweg statt. Im Materialfluss mit MRP ist z. B. Folgendes zu beobachten: • Inkonsistenzen aufgrund fehlerhaften oder unvollständigen Datenabgleichs oder redundanter Daten. • Inkonsistenzen aufgrund unvollständiger oder unterbrochener Datenüber- tragungen. • Fehlerhafte automatisch gesetzte Standardwerte (Dummy oder Default- Werte). • Nicht durchgängige Berechtigungs- und Buchungsstrukturen. • Verwechslungen bei redundanten oder ähnlichen Feldern (z. B. Preis). • Unklare Verantwortung der Pflege (z. B. Abweichung von Einmalerfassung). 386 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss • Aktualisierungsfehler (veraltete oder nicht mehr benötigte Daten). • Hohe Komplexität der realen Abläufe und Datenmodelle (führen zu erschwer- ter Datenkontrolle). • Fehlerhafte Basisdaten durch Fehler bei manuellen Eingaben (Fehlerrate 5−8 %). • Relative Datengenauigkeit – Schätzwerte bei Preisen oder Rundungsfehler bei Zeiten. • Kumulation von Rundungen über Berechnungsfolgen. • Hochrechnungsfehler, Prognosefehler. • Mehrdimensionale Fehlerfortpflanzung – Schneeball-Effekt von Fehlern [Dick07]. • Unexakte Steuerungsalgorithmen, die die Realität ungenau oder falsch ab- bilden. • Feldmissbrauch – z. B. die Abbildung von verschiedenen Zahlen in einem Bildformat, wodurch kaum Plausibilitätsprüfungen mehr möglich sind. • Physikalische Fehlerfortpflanzung, etwa über die Bedarfsrechnungsstufen. • Peitschen-Effekt – die Amplitude der errechneten Prognose nimmt über die Produktionsstufen zum Lieferanten zu. (Bullwhip-Effekt) [Dick07]. • Fehlerzunahme mit dem Prognosehorizont. • Punktuelles Informationsmanagement. • Störungs-Puffer-Korrelation: Vielfältige Pufferbildung führt zu unkoordinier- ten Puffern, die keinen sicheren Schutz gegen Engpässe bieten und gleichzei- tig den Bullwhip-Effekt unterstützen. • Stauphänomene [Dick07]: Die Materialflussgeschwindigkeit ist unnötig ge- ring und Störungen werden vervielfältigt. • Spirale der Fehlerratenerhöhung: Führt zu extremen Vervielfältigungseffekt von Fehlern in MRP. • Hohe Dynamik der Veränderung, im Besonderen der Bedarfe. • Änderungs-, Ein- und Auslaufmanagement führt zu extremer Fehlerbehaftung. • IT-Fiktions-Parodoxon [Dick07]. • Vergrößerung der Losgrößen und Abruffixierung führt zu häufigem Ver- schieben und vielen dokumentierten Ständen mit sehr unterschiedlichem Wahrheitsgehalt. Bei Unzufriedenheit mit der Datenqualität wird vornehmlich nur in der IT nach Lösungen gesucht. Dabei wird übersehen, dass IT nur einen kleinen Teil der Informationsprozesse abbildet. Zur nachhaltigen Optimierung von IT- Fehlern sind fast immer auch Veränderungen des gesamten Herstellungsprozes- ses sinnvoll bzw. notwendig. In der Folge werden einige wesentliche Fehlerursa- chen detaillierter erläutert: • Fehlerzunahme mit dem Prognosehorizont: Moderne Prognosen verwenden hoch ausgereifte Algorithmen und die leistungsstärkste verfügbare Rechner- hardware. Mit den Möglichkeiten der IT sind wir heute tatsächlich in der La- ge, eine wachsende Zahl an Basisparametern zu integrieren, um immer exak- 5.1 Reduzierung von Fehlerraten in IT-Systemen und im Materialfluss 387 tere Prognosen zu errechnen. Dabei bleibt jedoch unberücksichtigt, dass mit der Zunahme der Einzelparameter, Störgrößen und deren Einflussparameter auch die Anzahl der Einzelfehler in den Basisdaten zunehmen. Die Einbin- dung dieser sehr hohen Zahl an Daten führt selbst bei hoher Genauigkeit der Algorithmen zu einer ebenso hohen Fehlerbehaftung. Gerade weil derart viele Daten eingebunden werden, ist das Ergebnis aufgrund der Fehlerfortpflan- zung kaum mehr als eine grobe Schätzung. In industriellen Abläufen werden Prognosesysteme jedoch unreflektiert als Führungs- und Entscheidungs- grundlage verwendet. Die Prognosegüte wird dabei vielfach nicht kontrolliert. Die hohe Anzeigeexaktheit der IT suggeriert dem Anwender grenzenlose Ex- aktheit und Datenqualität. Die Qualität von MRP-Daten unterliegt vielen Einflüssen auf der Zeitachse (siehe Abb. 5.1.1): − Kurzfrist-Bedarfsprognose: Bedarfe in der Vergangenheit, nicht zeitnahe Buchungen oder vorgezogene Bedarfe verfälschen die Prognosequalität – also die Bedarfsrechnung im Kurzfristbereich gravierend. − Mittelfrist-Bedarfsprognose: Mittelfristig weist die Prognose hohe Verän- derungen auf, ist aber im Durchschnitt sehr exakt. − Langfrist-Bedarfsprognose: Zunehmende Blockbedarfe bzw. unvollständi- ge Bedarfe in der Zukunft und die schlechte Vorhersehbarkeit verfälschen die Prognosequalität gravierend. • Fehlerursache: hohe Komplexität und Datenmenge: Grundsätzlich sind IT- Anwendungen für die Verarbeitung komplexer Strukturen und hoher Daten- mengen sinnvoll. Andererseits zeigt die Fehlerrechnung, dass genau bei die- sen Fällen der Aussagewert der Rechnung extrem abnimmt. Um optimale Ergebnisse zu erreichen, sollte daher immer versucht werden, möglichst ein- fache Zusammenhänge und geringe Datenmengen bzw. Parameter einzubin- den. In der Praxis entwickelt sich jedoch aufgrund realer Zwänge ein konträ- res Vorgehen (vgl. Abb. 5.1.2): Zeit in Monaten D at en qu al itä t 100% Abb. 5.1.1 Unterschiede der Datenqualität auf der Zeitachse: Exemplarisch am Beispiel eines mittelständischen Unternehmens (Quelle: Lepros GmbH). 388 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss • Dynamische Fehlerfortpflanzung: Besonders im Fall der Bedarfsrechnung in MRP wird deutlich, wie die Vernetzung der IT-Funktionen zur extremen Er- höhung der Fehlerquote führt. • Abnahme der manuellen Kontrollmöglichkeit: Vor allem bei starker Dynamik (z. B. bei häufiger Bedarfsveränderung), komplexen Modellen (komplexe Pro- duktions- bzw. Stücklistenstrukturen) oder bei hoher Datenmenge (große Mengen an verschiedenen Einzelteilen oder Kunden) ist die manuelle Kontrol- le der ermittelten Werte schwierig. Eine Überprüfung der Daten auf Plausibili- tät ist jedoch unerlässlich. Vor einer Datenbereinigung sollte eine Systemver- einfachung erfolgen. Die Prozesse dürfen hierbei nicht an Software-Standards angepasst werden, sondern müssen ganzheitlich vereinfacht werden. IT-Tools bieten vielerlei Möglichkeiten Plausibilitäten zu prüfen oder auch zu erzwin- gen, können aber strukturelle Maßnahmen keinesfalls ersetzten. − Schnelldreher: Wenige hundert häufig verbrauchte Teile erzeugen über 80 % der Bedarfstermine, des Umsatzes und der Rendite. Durch die hohen Stückzahlen und kontinuierlichen Veränderungen ist eine manuelle Über- prüfung der Bedarfe kaum möglich. Eine stichpunktartige Prüfung wird durch die hohe Änderungshäufigkeit erschwert. Mit hohem Aufwand und spezifischen IT-Prüfungen wird zumeist nur eine punktuelle Verbesserung erzielt. − Langsamdreher: Mehrere tausend Materialnummern mit geringen Bedar- fen erzeugen geringen Umsatz und Rendite. Durch die langen zeitlichen Zyklen entsteht trotzdem eine Verschlechterung der Datenqualität (Entro- pie). Die hohe Menge an Materialien und Kundenverknüpfungen hat zur Fol- ge, dass keine vollständige Überprüfung der Bedarfe und Basisparameter möglich ist. 2. Hohe Datenmenge 1. Hohe Komplexität 3. Hohe Menge an Datenfehlern 4. Fehler- fortpflanzung 5. Geringer Aussagewert 6. Hohe Störungs- häufigkeit 7. Erhöhung der Sicherheiten 8. Schlechte Effizienz 9. Erhöhung der Komplexität Wird behoben durch neue Komplexität Abb. 5.1.2 Reale Zwänge und Vorgehensmuster führen zu immer komplexeren IT-Lösun- gen – Die Spirale der Komplexität setzt sich in Gang. (Quelle: Lepros GmbH) 5.1 Reduzierung von Fehlerraten in IT-Systemen und im Materialfluss 389 Treiber Änderungshäufigkeit Fortschrittszahl Bedarfsmenge Termin Gestern Heute Fortschrittszahl Bedarfsmenge Termin Gestern Heute Fehlerfortpflanzung z.B. Bedarfsrechnung Σ Einzelfehler = Ergebnisfehler Einzelfehler in Datenfeldern der Materialstämme, bei Stücklistenzusammenhängen und Bedarfsterminen 3%1% 2% 6% = Steigerung über Stücklistenstufen Bedarf 1 3 5 Zeitintervall je Stücklistenstufe Bedarf 1 3 5 Zeitintervall je Stücklistenstufe Fehlerrate der Basisdaten 1–5% Datenfehler z.B. 50.000–250.000 Datenfehler Steigerung = ^ Abb. 5.1.3 Die vier Dimensionen der Erhöhung der Fehlerquote in MRP: Prinzipiell sind Basisdaten immer fehlerbehaftet. Bei der weiteren Verarbeitung (z. B. Bedarfsrechnung) potenzieren sich die Fehler. Die Fehlerquote erhöht sich dabei als Produkt der Fehler der Basisdaten. Durch die weitere Verkettung aller Stücklistenebenen multiplizieren sich die Fehler auf jeder Stufe. Diese Spirale der Fehlerratenerhöhung wird zudem durch die Dynamik der kontinuierlichen Aktualisierung beschleunigt. (Quelle: Lepros GmbH) Anzahl Bedarfe je Material A nz ah l M at er ia ln um m er n 80% Umsatz Schnelldreher Langsamdreher geringer Aufwand für Datenpflege hoher Aufwand für Datenpflege hoher Aufwand für Datenpflege Abb. 5.1.4 Pflegeaufwand für Daten bei Schnell- und Langsamdrehern: Datenmengen und -dynamik unterscheiden sich je Materialgruppe bzw. Anforderungsprofil stark. In der Summe erzeugen beide Gruppen einen gleichermaßen hohen Aufwand, sodass eine ma- nuelle Datenpflege nicht mehr ausreichend ist [Lepr 06]. Es sind systematische Fehlerre- duzierungsmaßnahmen nötig. 390 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss Grundsätzlich sollten folgende Maßnahmen zur Optimierung der manuellen Pflege befolgt werden: • Verwenden von wenigen Standardparametern. • Prüfung der Datenkonsistenz von Massendaten. • Abgestimmte durchgängige Puffersysteme. 5.1.3 Verbesserung der Datenqualität Die folgenden Schritte führen langfristig zu einer Verbesserung der Datenqualität: 1. Reale Abläufe strukturieren und vereinfachen • Vereinfachung der Materialflusssysteme mit dem Ziel einfacher Kunden- Lieferantenbeziehungen • „Verschlankung“ der Strukturen – mittelfristig unnötige Prozesse eliminie- ren, z. B. Lagerkommissionierung durch Direktbereitstellung (Ship-to-line) ersetzen (vgl. Kap. 2.2.4 „Das Einfachste ist das Beste“). • Iterative Planungs- und Abstimmungsrunden (Bedarfsplanungs- und Kapazi- tätsplanungsmanagement, vgl. Kap. 2.12.3 Iterative Managementstruktur). • Spielregeln für die Mitarbeiter definieren und deren Einhaltung überprüfen: „Zeitnahes“ Buchen, das Vorziehen von Aufträgen, das Einhalten der abge- stimmten Schlagzahl (Takt) von Vertrieb, Produktion, Logistik und Einkauf. • Komplexität der IT und physischer Prozesse reduzieren – unnötige Papiere und doppelte Eingaben eliminieren. • Dezentralisierung der Strukturen (Gemba-Orientierung): Der Werker sollte möglichst mündig und selbständig agieren können, auch wenn die Prozesse trotzdem überwacht werden müssen (vgl. Kap. 1.16 Dezentrale und schlanke Strukturen). • Lean-Ansätze umsetzen – die umfassenden Ansätze der Lean Production führen zu einem ganzheitlichen, sich kontinuierlich verbessernden Effekt mit der Folge der Entwicklung von einfachen und transparenten Abläufen. IT- Fehler werden damit im Vorfeld systematisch vermieden. • So weit als möglich von Push auf Pull-Konzepte umstellen – von plangesteu- erten Algorithmen auf verbrauchsgesteuerte Systeme (vgl. Kap. 2.3 Grundle- gende Steuerungsverfahren). 2. Ergonomie der Eingaben, Arbeitsweise und Ausgabe mit IT optimieren • Präventive Maßnahmen, um die Qualität der Eingaben und die Arbeitsweise zu verbessern mittels Poka Yoke in der IT, stringenter Standards in der IT, Plausibilitätsprüfungen, Defaultwerte, etc. (vgl. Kap. 5.13 Production Syn- chronized Software). • Die kontinuierliche Verbesserung der IT führt zur Optimierung der Schnitt- stellen zur IT (vgl. 5.4 Kaizen in der IT). 5.1 Reduzierung von Fehlerraten in IT-Systemen und im Materialfluss 391 • Neue visuelle IT-Ansätze erlauben ein leichteres, schnelleres und vor allem fehlerärmeres Arbeiten (vgl. 5.11 Visualisierte Informationstechnologie; 5.12 Papierlose Fertigung und visualisierte Arbeitsanweisungen). • Maßgeschneiderte IT-Lösungen, die synchron zu den realen Prozessen ablau- fen, erlauben eine deutlich ergonomischere, effizientere und fehlerärmere Arbeitsweise. (vgl. 5.13 Production Synchronized Software). 3. Gesamtprozesse auf Fehlervermeidung ausrichten • Vereinfachen der Komplexität der Abläufe: Reale Abläufe vereinfachen und anschließend unnötige Datenmengen, Parameter und IT-Funktionen redu- zieren. • IT-Systeme auf den übergeordneten Informations- und Materialfluss ausrich- ten. IT sollte als „ein Zahnrad im Getriebe“ verstanden und als solches opti- miert werden. • Störgrößenanalyse im Informations- und Materialfluss systematisch optimie- ren: Nur durch die systematische Analyse des Gesamtsystems werden die Ur- sachen der Störgrößen u. a. im Teilbereich IT klar erkenntlich. Ein Teil der Ursachen ist durch nicht in der IT abgebildete Prozesse verursacht. • Hybride Steuerungskonzepte führen aufgrund der Einbindung zusätzlicher Parameter zum früheren und besseren Erkennen von Störungen und zu ei- nem kontinuierlichen Verbesserungsprozess (vgl. Kap. 2.10 Matrixhybride Materialflusssteuerung). • Systematische Fehlervermeidung hat Vorrang vor der Datenpflege: Kontinu- ierliche intensive Datenpflege ist wichtig, sie kann die Fehlervermeidung je- doch nicht ersetzen. • Fehlerquoten ermitteln, bewerten und Datenkonsistenz im System erhöhen. • Datengenauigkeit für den Anwender transparenter darstellen: Unschärfen und Fehler sollten für den Anwender abrufbar sein. • Verstärkte Einbindung von Softfacts in die IT-Informationen. • Prozess Synchronized Software: Basierend auf dem realen, aber auch idealen Material- und Informationsfluss benötigen Unternehmen oder Produkte maßgeschneiderte Speziallösungen (vgl. Kap. 5.13 Produktion Synchronized Software). Durchgängige Fehlerprävention in und um IT-Systeme Grundsätzlich werden wir auch zukünftig zunehmend mit IT konfrontiert wer- den, denn die Durchdringung steigt weiterhin stetig an. Alle Abläufe die hinrei- chend in Code beschreibbar sind, werden langfristig durch IT-Prozesse unter- stützt. Ergänzend müssen Softwareprodukte • flexibel bzw. variierbar sein, • auf Daten basieren, deren Aufwand zur Erstellung vertretbar ist, • fehlerfrei und in hoher Qualität vorhanden sein. 392 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss Folgende Kriterien sind entscheidend, um Fehlerfreiheit zu erreichen: • Fehlerfreies, optimales Abbilden der Prozesse, • effiziente Unterstützung zur Fehlerfreiheit, • Unterstützung der Transparenz von Unschärfen. Fehlerfreiheit ist ein Entscheidungskriterium im Wettbewerb. Dies gilt für die Hersteller der Softwareprodukte, aber auch für die Kunden die die Programme nutzen. Der Erfolgsfaktor Informationsmanagement ist eine Schlüsselkompetenz. Durch neue IT-Systeme wurde die beschleunigte Wissensverknüpfung und Globa- lisierung erst möglich gemacht. Jedoch muss es vom Informationsmanagement bis hin zur Informationstechnologie möglich werden, komplexe Aufgaben • schneller, • mit weniger Aufwand, • ohne Fehler zu bewältigen. Um in zukünftigen Märkten erfolgreich agieren zu können, müs- sen IT-Anwendungen all diese Kriterien erfüllen. 5.2 EDV-Unterstützung moderner Produktionsabläufe am Beispiel von Kanban unter Betrachtung konsistenter Daten Georg Mack Jedes Unternehmen produziert für Märkte und Kunden. Für jedes zu liefernde Produkt existiert ein „Rezept“ oder eine Erzeugnisstruktur mit Stücklisten, Zeichnungen, Arbeitsplänen usw., wonach eingekauft, gefertigt, geprüft, mon- tiert, verpackt und ausgeliefert wird. Ziel jedes Unternehmens ist es, diese wert- schöpfenden Prozesse mit minimalem Aufwand zu durchlaufen. Schlanker Ma- terialfluss und Lean Production sind ein Beitrag, um mit dem Produkt am Markt erfolgreich operieren zu können. In welchem Umfang Methoden aus diesem Buch hierfür hilfreich sein können, hängt vom Produkt selbst ab, seinem Ent- wicklungs- und Konstruktionsstand, dem Lebenszyklus mit Einlaufphase, Hoch- und Auslaufphase, den einfließenden Innovationen und Weiterentwicklungen und der Komplexität des Produktes. Nahezu jedes Unternehmen verwendet integrierte IT-Anwendungen und Informationstechnik, zumindest für die Teil- bereiche Vertrieb, Produktion, Warenwirtschaft, Beschaffung und Einkauf. Es ist eine „ganzheitliche“ Aufgabe, diese Anwendungen zu optimieren. Dieses Buch liefert hierzu vielerlei Ideen. Um redundante, im Besonderen unzusam- menhängende, also widersprüchliche Datenkonstellationen zu erkennen, ist eine Einbindung in die vorhandene IT-Landschaft zwingend. Der Autor geht im Fol- genden von Produktfamilien aus, welche in Varianten ausgeliefert werden. 5.2 EDV-Unterstützung moderner Produktionsabläufe 393 5.2.1 Schlanker Materialfluss mit Kanban und MRP am Beispiel des „Fertigproduzierens“ einer Montage im Kundentakt Das Ziel, ein fertiges Produkt termingerecht auf Kundenabruf bzw. Kundenbe- stellung auszuliefern, setzt eine „Verschlankung“ des Materialflusses voraus. Als Basis dafür muss • der Lieferant die Qualitätssicherung für die Komponenten übernehmen. • der Lieferant direkt am Verbrauchsort (am Arbeitsplatz des Werkers) anlie- fern. • das Endprodukt, bezogen auf den Kundenabruf, zum spätmöglichsten Zeit- punkt „fertig produziert“ werden. • der Werker die Bauteile aus dem vollen Gebinde entnehmen und verbauen. Sie werden nicht mehr speziell für einen Auftrag kommissioniert oder vorge- schaltet kommissioniert bereitgestellt. • sichergestellt werden, dass die Arbeitsschritte im Prozess in Realzeit selbst abgemeldet (zeitnah gebucht) werden. Grundvoraussetzung für diese Art von Materialflussdesign ist eine entspre- chende Fabrikplanung, Arbeitsplatzgestaltung und Arbeitsablaufplanung. Ge- eignet sind Grund- und Variantenbauteile die häufig vorkommen. Problema- tisch sind kundenspezifische und „instabile Bauteile“ (bestehende Bauteile, die während der Aus- und Einlaufsteuerung ersetzt werden). Im Gegensatz zu einer zu frühen und mehrwöchigen Auftragseinplanung bietet Produktion im Kun- dentakt größtmögliche Flexibilität und kurze Lieferzeiten durch die tägliche Einplanung zu einem möglichst späten Zeitpunkt. Die Praktiker wehren sich zuweilen gegen diese kurzfristige Einplanung, da sie bei Störungen praktisch keine Zeitreserven haben. Die „problematischen“ Bauteile „hat man leicht im Griff “, wenn diese konventionell abgewickelt werden, also im Fertigteillager liegen und von dort dem Kundenauftrag zugeführt werden. Für Bauteile, die zur Lagerung am Verbrauchsort geeignet sind, werden Behältergrößen, Anzahl und Inhalte definiert. Die Methode der Versorgung ist aus nachfolgender Grafik ersichtlich. Bei dem Beispiel in Abb. 5.2.1 wurde der Arbeitsplatz für die Lagerung von Bauteilen für eine bestimmte Reichweite ausgelegt. Unterstellt wurde: Die Men- gen einer Anlieferungseinheit reichen bei allen drei Teilen jeweils für sechs Schichten. Mit den Lieferanten ist vertraglich vereinbart, dass: 1. dem Lieferanten Veränderungen der Schichten angezeigt werden. Seine Pro- duktion passt er selbst an. 2. bei Teil 1 spätestens in Schicht 5 ein voller Behälter angeliefert wird. 3. bei Teil 2 spätestens in Schicht 5 zwei volle Behälter angeliefert werden. 4. bei Teil 3 spätestens in Schicht 9 ein voller Behälter angeliefert wird. Häufig wird der Anlieferungszeitpunkt nicht schichtbezogen, sondern ar- beitstagbezogen vereinbart. 394 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss Abb. 5.2.1 Versorgung eines Verbrauchsortes Scheinbarer Widerspruch: Die Versorgung mit Kanban-Behältern erfolgt auf der Basis des Verbrauchs durch kurzfristiges Auffüllen der leeren Behälterplätze. Beschaffung und Fertigung der Komponenten ist problemlos, wenn die Beschaffungs- oder Fertigungszeit kurz genug ist. Muss mit größeren Zeiten operiert werden, entsteht ein massives Prob- lem. In diesem Fall muss die Beschaffung der Komponenten auf Basis von MRP- Daten geplant und freigegeben werden. Bei dieser realistischen Konstellation sind die Bestimmungen für ein- und denselben Gegenstand – für einen schlanken Mate- rialfluss einerseits und eine optimale Fertigung/Beschaffung andererseits – zuein- ander widersprüchlich, also inkonsistent. Ein Beispiel: Eine Schmelze mit einer besonderen Metalllegierung reicht für eine Menge, die dem Jahresbedarf ent- spricht. Hier ist eindeutig, dass der Verbrauch nur die Versorgung am Verbrauchs- ort regeln kann, MRP aber den Zeitpunkt und die Menge der Fertigung für Be- schaffung und Fertigung bestimmen sollte. 5.2.2 Absatz- und Materialbedarfsplanung mit EDV Genaue Beobachtungswerte erhält man aus der Fortschreibung der Absatzpla- nung. Absatzpläne werden über mehrere Perioden, d. h. über Wochen, Monate, Quartale und Jahre, erstellt und roulierend fortgeschrieben. Die Absatzplanung ist Basis für MRP und die Vertragsgestaltung mit den Lieferanten über: 1. Kapazitätsreservierung, Vorlauf z. B. bis zu 12 Monaten. 2. Freigabe von Vormaterial, Vorlauf z. B. bis zu 6 Monaten. 3. Freigabe für die Bearbeitung, Vorlauf z. B. 5–20 Wochen. 5.2 EDV-Unterstützung moderner Produktionsabläufe 395 4. Diese Primärdaten aus MRP sollten Basis für die Dimensionierung von Kan- ban-Systemen darstellen (s. Abb. 5.2.1). Die oben erwähnten Verträge mit den Lieferanten müssen die Kanban-Dimensionen wie Behältergröße, Inhalt und Menge enthalten, sowie auch die 5. Freigabe zur Lieferung, Vorlauf z. B. 5 Arbeitstage. 5.2.3 Konsistente Daten mit EDV Die Produktion ist, wie bereits eingangs erwähnt, in fast alle Aktivitäten des Un- ternehmens eingebunden, d. h. für die Abwicklung des Produktionsprozesses in der IT muss auf permanent aktualisierte Daten anderer Bereiche zugegriffen wer- den. Dies ist nur mit modernen IT-Anwendungen möglich. Konsistente Daten sind erstrebenswert. Planwerte, insbesondere aus mittel- und langfristiger Pla- nung, sind Schätzwerte. „Statistisch gesehen ist eine Schätzfunktion konsistent, wenn ihre Schätzwerte bei wachsender Beobachtungsanzahl mit gegen Null stre- bender Wahrscheinlichkeit vom wahren Wert abweichen“ [Broc 84]. Abb. 5.2.2 Absatzplanung und Materialbedarfsplanung Tabelle 5.2.1 Vergleich des Kanban-Prinzips mit einer mit MRP kombinierten Kanban- Steuerung (hybrides MRP-Kanban, Tabelle zu Abb. 5.2.2) Kanban-Prinzip: Kanban-Steuerung mit EDV (hybrides MRP-Kanban): 1. Langfristige Planung auf Verbrauchs- basis ist nicht ratsam! 1. Prognosen sichern die Planung der Res- sourcen usw. 2. Sicherheiten verschiedener Art sichern die Produktion 2. Produktion von Komponenten gesichert durch MRP 3. Kundenaufträge erzeugen Verbrauch an Komponenten 3. Materialverfügbarkeit gesichert durch Kanban-Steuerung 4. Mit den Daten aus mittel- und langfristi- ger Planung ist der Lieferant in der Lage, seine Produktion zu planen. 396 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss Mit EDV-unterstützter Kanban-Steuerung auf Basis eines Absatzprogramms erhält man aktuelle Daten. Dazu wird zum Beispiel die Tatsache genutzt, dass das Verhältnis von „Absatzplan“ und „Produktion im Kundentakt“ in einem logi- schen Zusammenhang steht. Ebenso sind die Abweichungen von Absatzplan und Umsatz gleich den Abweichungen von Absatzplan und dem Verbrauch an Kom- ponenten. Dies sind konsistente Daten. Wenn Produktionsplanzahlen über meh- rere Beobachtungszeitpunkte konstant bleiben und den Umsatzzahlen entspre- chen, entstehen konstante Daten für die Freigabe von Vormaterial und Fertigung. Da zuerst von einem „Fertigproduzieren im Kundentakt“ ausgegangen wurde, schlagen nun die Marktschwankungen durch, sodass bei dieser Art der Steuerung in der Regel Abweichungen von Plan- und Umsatzzahlen entstehen werden. Tat- sächlich sind im Beschaffungsprozess des „schlanken Materialflusses“ Abwei- chungen vom „Absatzplan“ zum „Kundenauftrag“ problemlos, auch wenn dies in 2-stellige Prozentbereiche „ausufert“. Für das Betriebsergebnis sind Plusabwei- chungen vom Absatzplan erfreulich, wenn durch die enge Kooperation mit den Lieferanten und dessen Flexibilität keine Versorgungsengpässe entstehen. Minus- abweichungen können höchst ärgerlich sein, wenn sich die Kosten der nicht voll- ständig vermeidbaren Überproduktion teilweise oder voll auf das Ergebnis des Unternehmens auswirken. 5.2.4 Datenpflege Mit Manufacturing Resource Planning (MRPII) wird erkannt, ob der Verbrauch eines Bauteils, eines Produkts oder einer Produktfamilie zur Steuerung des Nachschubs für Kanban geeignet ist. Die konsequente Einbindung in die rele- vanten Anwendungen der vorhandenen IT bedeutet, dass alle Entscheidungen auf ein- und derselben Datenbasis erfolgen. Um eine aktuelle Datenbasis zu erreichen sind folgende Punkte zu beachten: • Die Datenerfassung für Bestands-, Arbeitsfortschreibung, Fertigmeldung usw. sollte im Prozess erfolgen. • Plausibilitätsprüfungen bringen fehlerfreie Daten (z. B. „Leermeldung fehlt“, oder nach Leermeldung: „Bestand ist noch xxx“). • Die konsequente Einbindung relevanter Anwendungen erleichtert die Kom- munikation, etwa wenn Informationen elektronisch weitergeleitet und in den relevanten IT-Anwendungen dokumentiert werden. Weiterhin gehört zu jedem Materialfluss auch ein Wertfluss, d. h. durch die Fortschrittsmeldungen im Prozess wird das Auftragscontrolling automatisch aktualisiert. 5.2.5 Innovationen umsetzen 1. Mitarbeiterschulung: Um Innovationen realisieren zu können, ist eine viel- seitige Qualifikation der Mitarbeiter notwendig. Dazu gehört vor allem, dass 5.3 EDV-Unterstützung moderner Produktionsabläufe 397 ein Mitarbeiter mehrere Aufgaben beherrscht. Dazu ist außer den extern er- lernten Kenntnissen die interne Mitarbeiter-Qualifizierung für den Erfolg entscheidend. 2. Kundenkontakte: Um Trends bei der Produktpalette, aber auch bei Absatz- zahlen frühzeitig zu erkennen, sind die Mitarbeiter mit Kundenkontakt ge- fordert. 3. Lieferantenkontakte: Anforderungen müssen ständig mit den Möglichkeiten der Lieferanten in Übereinstimmung gebracht werden. 4. Verwaltung und Rechnungswesen: Lieferungen werden in der Regel aufgrund eines Wareneingangs bezahlt. Bei Lieferanten-Kanban kann dies auch anders erfolgen: Z. B. können Bestände erst dann ins Eigentum übernommen wer- den, wenn ein Behälter angebrochen wird, ein Behälter leer ist oder die Ware geliefert wird. Bezahlt werden kann dann monatlich im Gutschriftverfahren. Gleichzeitig werden mangelhafte Teile reklamiert und belastet. 5.3 IT in der Produktion Friedhelm Michels, SPS Management Consultants Deutschland GmbH Die Verwendung einer leistungsfähigen Informationstechnologie in den produ- zierenden Unternehmen (leistungsfähig, gemessen an der durchgesetzten In- formationsmenge) liegt zurzeit sehr im Trend. Es erscheint jedoch wichtig, zwi- schen Anwendungen zu unterscheiden, die in den ablaufenden Prozessen die Eliminierung der vorhandenen Verschwendungen erleichtern und solchen, die sie erschweren. Denn nur dadurch wird eine höhere Produktivität erreicht, Da- tensammlungen sind zunächst nichts anderes als Verschwendung. Die ungeheuren Fähigkeiten neuer Datenbanksysteme in Bezug auf Echtzeit- erfassung von Daten und extrem schneller Auswertung umfangreichster Daten- bestände, lässt die Verwendung dieser Systeme zur Steuerung der wertschöp- fenden Vorgänge als ideal erscheinen, vor allem bei hoher Typenvielfalt und komplexen Fertigungsabläufen. Man sollte eigentlich in der Lage sein: 1. ideale Reihenfolgen für hochproduktive Abläufe durch Simulationen zu fin- den und 2. sehr schnell ablaufrelevante, respektive qualitätsrelevante Problempunkte durch Analyse der Ist-Abläufe aufzuspüren und Verbesserungen zu imple- mentieren. Die Erfahrung bestätigt diese Hoffnungen nicht. Die Kosten für die Imple- mentierung der Datenbanksysteme werden häufig nicht „eingespielt“. Auch die Fähigkeit, durch die Ist-Analyse die Verbesserung der Prozesse stark zu be- schleunigen, zeigt sich nicht in dem erwarteten Umfang. 398 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss 5.3.1 Das Prinzip von Datenbanksystemen, Reporting- oder Analysefunktionen Bei dem Aufbau der Datenbanksysteme und der Reporting- bzw. Analysefunk- tionen setzt man im Prinzip geschlossene Systeme voraus, in denen sämtliche Einflussgrößen prinzipiell erfassbar sind: Materialflüsse und -bestände, Energie- flüsse und -bestände, Informationsflüsse und -bestände. In der Praxis werden durch vernünftige Reflexion wesentliche und unwesentliche Faktoren voneinan- der getrennt. Dadurch ist eine nahezu komplette Beschreibung des Systems möglich, auch wenn nicht alle Größen in allen Einzelheiten zugänglich sind [Zade 65]. Bei den Analysefunktionen werden sehr häufig statistische Verfahren angewendet. Diese setzen mehr oder weniger voraus, dass die Einflussgrößen unabhängig streuen. Die beeinflussten Messgrößen streuen daher ebenfalls ge- mäß einer bestimmten Verteilung. Kurz gesagt: Die eingesetzten Datenbanksys- teme sind von ihrer Struktur her für geschlossene bzw. offene Systeme mit einer genauen Kontrolle der Zufluss- und Abflussgrößen („quasi-geschlossen“) geeig- net. Die entscheidende Frage für den Einsatz dieser Systeme ist, ob es sich bei der Produktion um ein geschlossenes bzw. um ein kontrolliertes, offenes System handelt bzw. ob man die Produktion in solche Systeme umwandeln kann. 5.3.2 Produktionsprozesse lassen sich schlecht als geschlossenes System abbilden Die Beobachtung der tatsächlichen Vorgänge in der Produktion zeigt, dass die konkrete Situation in typischen deutschen und europäischen Unternehmen nicht dazu geeignet ist, sie mit den Werkzeugen der schnellen Datenbanken zu erfassen. In aller Regel gelten entsprechende Überlegungen auch für die anderen Unternehmensprozesse wie Konstruktion, Einkauf, Vertrieb, Unternehmenslei- tung. Punkte, die deutlich machen, dass die Abläufe nicht geeignet sind in Da- tenbanken abgebildet zu werden: 1. Die Abweichungen bei der Herstellung von Produkten schwanken erheblich. 2. Ursachenanalyse wird in der Regel statistisch durchgeführt. Fehlerkategorien werden grob bzw. ungenau gefasst. Zum Beispiel die Fähigkeiten der zufällig anwesenden Mitarbeiter spielen eine große Rolle. 3. Viele Arten kleiner Abweichungen werden nicht als Fehler erfasst, sondern gehören faktisch zur Arbeit der Montage- bzw. Bedienungsmitarbeiter. Ab- weichungen und Justierarbeiten werden nicht unterschieden. 4. Es wird nicht beachtet, dass ähnliche Fehlerbilder sehr verschiedene Ursa- chen haben können. Die Reihe der Argumente ließe sich lange fortsetzen. 5.3 IT in der Produktion 399 5.3.3 Verschwendung zu eliminieren sollte im Focus stehen Sehr wesentlich in diesem Zusammenhang ist, dass alle diese Punkte erhebliche Verschwendungen darstellen. Sehr häufig sind Mitarbeiter in der Produktion nur zu 10–20 % mit wertschöpfenden Prozessen beschäftigt, wobei der eigentlich wertschöpfende Vorgang davon auch nur einen Bruchteil darstellt. Erste Ansät- ze, Verschwendung zu vermeiden sind hier: • Eine konsequente Visualisierung der Abläufe. • Ein Stückzahl- bzw. Produktionsfortschritt-Management auf 15-Minuten- bis maximal 30-Minutenbasis. • Ein nachdrückliches Fehlermanagement mit autonomatisierten, deutlich wahrnehmbaren Andon- und Abschaltsystemen. Die Erzeugung von Qualität im Prozess – nicht durch Qualitätsprüfung – be- nötigt eine ähnliche Systematik. Grundlagen sind die auf hohem Niveau realisier- ten 6-S-Maßnahmen. Ziel ist die Erzeugung hoch standardisierter, rhythmisch auflaufender Prozesse. Dies gilt nicht nur für die wertschöpfenden, sondern auch für die indirekten Abläufe. Beispiele sind das Toyota-Produktionssystem oder Verallgemeinerungen, wie etwa das synchrone Produktionssystem. 5.3.4 Sinnvoller Einsatz von IT In Einzelprozessen hat die IT sicherlich auch in den Vorstufen eine große Be- deutung: • Schnelle Identifizierung für verschiedene Zwecke, z. B. Barcode, Tracing. • Einstellung von Werten in Maschinen und Vorrichtungen. • Erstellen von Teilelisten für die Kommissionierung. • Erfassung von Daten für Nachkalkulation. • Etc. Für die Realisierung einer sorgfältigen Visualisierung spielen die grafischen und Layoutmöglichkeiten der Textverarbeitungsprogramme eine wichtige Rolle. Im Warenwirtschaftsbereich, im Einkauf und Vertrieb, im Buchhaltungs- und Rechnungswesen haben sich die Datenbanksysteme bewährt und sollten weiter- verwendet werden. 5.3.5 Synchrone IT Es bleibt die Frage, ob auch nach einer Einführung der oben dargestellten relativ fehler- und verschwendungsarmen Prozesse eine Detailsteuerung der Produk- 400 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss tion durch IT-Systeme notwendig ist. In der Regel reicht ein Monitoring des wesentlichen Materialverbrauchs um eine realistische Nachkalkulation zu er- möglichen. Eine Idealvorstellung einer hochproduktiven, verschwendungsar- men Produktion geht davon aus, dass das „Tagesgeschäft“ nur in kleinen Teams organisiert und gesteuert wird. Entscheidend ist es hier, eine Systematik aufzu- bauen, in der jeder Einzel(!)abweichung sofort durch den Teamleiter, unter- stützt durch Teamkommissionierer und Teamverbesserungsmanager, nachge- gangen werden kann. Es folgt dann die Analyse und eine nachhaltige Behebung. Inwiefern hier die Unterstützung von IT-Systemen unterstützend wirken kann, ist schwer zu beurteilen. Erste Erfahrungen von Unternehmen, die die neue Produktionsweise zu implementieren begonnen haben, zeigen, dass man in der Regel mit sehr einfachen handgeführten bzw. selbst programmierten Systemen auskommen kann. Unter Umständen liegt hierin noch ein zukunftsweisendes Thema für IT-Anwendungen. 5.4 Kaizen in der IT Sebastian Reimer, KAIZEN® Institute Deutschland Das Ziel heutiger IT-Organisationen muss die optimale Unterstützung der wich- tigsten Geschäftsprozesse sein. Um den hiermit verbundenen Herausforderun- gen zu begegnen, sind vollkommen neue Lösungsansätze notwendig. Die Infor- mationstechnologie (IT) stellt mittlerweile eine zentrale Geschäftskomponente innerhalb eines Unternehmens dar. Im Rahmen von Lean Production und schlankem Materialfluss muss die IT in Zukunft vollkommen neue Strukturen und Prozesse unterstützen. Dazu ist Kaizen-Methodenkompetenz notwendig. Für IT-Organisationen gilt: Je zufriedener ihre Kunden sind, desto sicherer sind die Arbeitsplätze der IT-Mitarbeiter und desto größer ist die Anerkennung der Leistung durch die Kunden. Wenn Ihre Kunden mit Ihnen zufrieden sind, schaf- fen Sie dadurch auf Dauer ein besseres Arbeitsklima und eine höhere Arbeits- leistung. Eine neue Dimension bekommt der Verbesserungsprozess durch die Einbeziehung der IT. Verluste und Verschwendung stecken zum Beispiel in Suchzeiten durch schlechte Ablagestrukturen, Redundanz durch Mehrfachabla- ge, Fehler und Ausfälle durch Mangel an Qualifikation etc. Verschwendung vermeiden, die Wertschöpfung steigern, effizient arbeiten und die Qualität verbessern: das sind die Ziele von Kaizen. Die Methoden, die bisher in Fertigung und Dienstleistung erfolgreich angewandt werden, lassen sich gut auf die IT übertragen. Ob Hardware, Software oder Anwendung – in allen Bereichen steckt großes Verbesserungspotential, das sich mithilfe der Kai- zen-Werkzeuge erschließen lässt. Die Jagd nach Verlusten und Verschwendung in der IT stellt für die Anwender und für die Systembetreuer eine Herausforde- rung dar. Ein Beispiel ist der Einsatz einer neuen Software für einen Fachbereich – nehmen wir mal das Qualitätsmanagement. Damit dies reibungslos funktio- 5.4 Kaizen in der IT 401 niert, bedarf es eines optimalen Zusammenspiels zwischen dem Fachbereich Qualität, dem IT-Bereich und den Anwendern, die das System später nutzen sollen. Ein wichtiger Punkt ist das Training der Anwender. Neben der Fachkom- petenz ist dabei in starkem Maße Methodenkompetenz gefragt. 5.4.1 Der Mensch steht über der Technik Die einfachen und bewährten Kaizen-Methoden eignen sich hervorragend, um eine neue Software ohne Reibungsverluste einzuführen. Schließlich sollen nicht die IT-Systeme die Menschen steuern, sondern wir möchten die Technik nutzen, um unsere Aufgaben effizienter zu bewältigen. Ein IT-System ist immer nur so gut, wie der Mensch, der es bedient. Die Menschen stehen im Vordergrund! Dabei erkennen wir folgende Zielgruppen: die Anwender, den Fachbereich, den IT-Bereich und das Management. Alle haben unterschiedliche Anforderungen. Die Anwender wollen eine schnelle und einfache Unterstützung ihrer Aufgaben. Der Fachbereich möchte neue Produkte effizient einführen. Ziel des IT-Bereiches ist es, die Prozesse optimal zu steuern. Das Management bevorzugt mobile Struktu- ren bis hin zur Kostentransparenz. Wir gliedern die verschiedenen Anwen- dungsbereiche in sechs Kategorien. Diese sind: Infrastruktur, Netzwerk, Appli- kation, Support, Kommunikation und Warenwirtschaft. Kombiniert werden diese Kategorien mit den unterschiedlichen Kaizen-Methoden. Daraus entsteht eine Matrix, die den Anforderungen der unterschiedlichen Zielgruppen gerecht wird. Eine Potentialanalyse gibt Aufschluss darüber, wo im Unternehmen Chan- cen zur Verbesserung stecken. Selbst aus einer Best Practice kann immer noch eine „Better Practice“ werden. „Wissen, wo man steht“ – das ist eine Voraussetzung um Ziele zu formulieren und zu verfolgen. Deshalb empfehlen wir vor dem Einsatz der Kaizen-Methoden in der IT eine Potentialanalyse. Ähnlich wie bei einem Audit wird anhand eines Fragebogens der Ist-Zustand erfasst. Gemeinsam mit dem Kunden ermitteln wir den angestrebten Soll-Zustand. Daraus lässt sich dann eine Roadmap für die erforderlichen Maßnahmen ableiten. 5.4.2 Den Stein ins Rollen bringen mit der 5-S-Kampagne Die 5-S-Kampagne ist ideal, um eine gute Ausgangsbasis zur Steigerung der Effizienz im IT-Bereich zu schaffen. Diese Methode wird schon seit Jahren in Produktion und Administration als Ausgangsbasis zur kontinuierlichen Verbes- serung erfolgreich eingesetzt. • Sortiere aus: Das erste „S“ steht für „Sortiere aus“. Das ist in den verschiede- nen Kategorien gar nicht so einfach, aber für einen reibungslosen Material- fluss enorm wichtig. Denn es geht nicht nur um die Entsorgung von Papier, Akten, Hardware und Computern. Ebenso wichtig sind die virtuellen Berei- 402 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss che wie Laufwerke, Ordner, Dateien, Datenbänke, alte Stammdaten, E-Mails, um nur einige zu nennen. Gleichzeitig werden beim Aussortieren festgestellte Mängel in einer Liste erfasst. • Systematische Ordnung: Beim zweiten „S“ geht es um die „Systematische Ord- nung“. Das Ziel in der IT ist dabei die Reduzierung von Suchzeiten. Denken wir dabei an eine logische Ordnerstruktur oder die Nutzung von gemeinsamen Laufwerken. Welche Software benötigen wir wirklich? Alles hat seinen Platz. • Sauber halten: Der nächste Schritt, das dritte „S“ beinhaltet das Ziel „sauber halten“. Das heißt, es wird darauf geachtet, dass die einmal aufgestellte Ord- nung eingehalten wird. Arbeitsutensilien, Hilfsmittel (PC, Telefon, Festplatte, Desktop, Mailbox, Kopierer etc.) und das Umfeld sind stets sauber und ein- satzbereit. Regelmäßige Aktionen wie „Putz die Festplatte“ sorgen dafür, dass dies so bleibt. • Standardisieren: Auch beim vierten „S“, wo es um das „Standardisieren“ geht, ist noch viel zu tun. Zum Beispiel die Standardisierung der Ablage für gemeinsam genutzte Laufwerke, Standards für das Speichern von Dateien oder Hardwarestandards. • Selbstdisziplin und ständige Verbesserung: Wichtig für den langfristigen Erfolg ist das fünfte „S“, das für „Selbstdisziplin und ständige Verbesserung“ steht. Um den guten Zustand zu halten, sind Patenschaften und die Festlegung von Verantwortlichkeiten hilfreich. Ein Mängelerfassungssystem und Maß- nahmenpläne sind gute Tools für die Umsetzung weiterer Verbesserungen. Die Zeitdauer für eine 5-S-Kampagne im IT-Bereich ist unterschiedlich. Sie ist abhängig von der Größe der Teams und der zur Verfügung stehenden Zeit. Im Schnitt sollte man ein Jahr einplanen, um eine 5-S-Kampagne sauber durchzu- führen. Aufgrund unserer bisherigen Erfahrungen lassen sich damit in der IT folgende Ergebnisse erzielen: Verbesserung der Qualität, weniger Fehler, schnel- lere Abwicklung der Aufgaben, Steigerung der Wirtschaftlichkeit durch weniger Verschwendung, mehr Flexibilität und Raum für Innovationen. Das gesamte Arbeitsumfeld der IT verbessert sich und die Motivation der Mitarbeiter steigt. 5.4.3 Die nächsten Schritte Wenn die 5-S-Kampagne erfolgreich durchgeführt wurde, folgen die nächsten Schritte im Verbesserungsprozess. Nun gilt es, weitere Effizienzpotentiale zu entdecken, zum Beispiel mit der Methode Prozessmapping. Dabei werden die Prozesse unter die Lupe genommen. Die Aufzeichnung des Ist-Zustandes zeigt, wo Verzögerungen, Schwachstellen, Schleifen, Doppelarbeit, andere Verluste und Verschwendungen lauern. Auch hier sind es die Mitarbeiter, die viel bewegen können. Anhand eines Zeitstrahls wird ein Vorgang unter dem Aspekt näher beleuchtet: Wer macht was wann? Es werden Bearbeitungszeit und Durchlaufzeit (Liegezeiten) addiert. Oft ist den Mitarbeitern gar nicht bewusst, welche und wie viele Personen eingebunden sind. Wenn der Ist-Zustand erfasst ist, wird gemein- 5.5 Elektronische Kanban-Systeme (eKanban) 403 sam ein Soll-Prozess gestaltet, der möglichst frei von Verschwendung ist. Bei komplexen Prozessen oder zur Dokumentation ist der Einsatz einer speziellen Software sinnvoll. 5.5 Elektronische Kanban-Systeme (eKanban) Eva Dickmann, Lepros GmbH eKanban ist die rechnergestützte Abbildung der Kanban-Steuerungsmethode, wobei die physische Karte in einem Kanban-Kreis durch Bestände und Aufträge im EDV-System ersetzt wird. Die bereits erwähnten Varianten von Kanban kön- nen auch in diesem Fall unterschieden werden. Hinter vielen der als eKanban titulierten Systeme verstecken sich andere Steuerungsalgorithmen. Häufig zu finden ist unter anderem die Ampelsteuerung und die Bestellbestandssteuerung in einem MRP-System. Entscheidend bei der Einführung eines elektronischen Systems ist zudem, ob es parallel zu einem physischen Kanban installiert ist oder als reine eKanban Lösung läuft. Bei der Einführung eines eKanban-Systems ist analog zur Einführung eines physischen Systems vorzugehen. Lediglich Zu- satzthemen, die bei einer Neueinführung von EDV-Systemen üblich sind, müs- sen in die Projektplanung mit einbezogen werden, wie die Schnittstellenproble- matik, Datenübernahme aus dem MRP-System, Konsistenz der Daten und die Gewöhnung der Mitarbeiter an das System etc. 5.5.1 eKanban als Visualisierung der Bestellbestandssteuerung In der Regel wird die klassische Verbrauchssteuerung als eKanban bezeichnet. Es handelt sich dabei um eine „Pull“- oder Bestellbestandssteuerung, üblicher- weise im MRP-System. Aufgrund von Lagerdaten und Planbedarfen wird der Verlauf des Materialflusses, der Kanban-Fluss, synthetisch errechnet. Dabei werden abfließende Bestände in einem Konto gesammelt und bei Erreichen der Mindestauftragsmenge eine Bestellung oder ein Auftrag gestartet. Diese abstra- hierte Form von Kanban entsteht aufgrund einer verhältnismäßig geringen Änderung von Standard-MRP-Rechenalgorithmen. eKanban sollte neben der Bestellbestands-Logik auch die Visualisierung des Umlaufbestands beinhalten. Der Umlaufbestand untergliedert sich dabei in Lagerbestand, Aufträge bzw. Bestellungen und in Sammelmengen befindliche Teilmengen. Die Summe dieser Mengen, die ein Vielfaches der Behältermengen darstellen, entspricht der An- zahl der Kanbans oder dem theoretischen maximalen Umlaufbestand. Gängig ist zudem die Visualisierung ähnlich der Kanban-Tafel. Es werden analog zur An- zahl der Kanban-Karten Felder je Material definiert, die den Sammelmengen entweder durch Farben oder Positionen zugeordnet werden. Wie beim physi- schen Ablauf wird die Sammeltafel bei einer großen Anzahl an Karten unüber- 404 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss sichtlich. Der Auftragsstart kann auch manuell durch die Ampelsteuerung oder durch Kanban mit Übergangsbereich erfolgen. Dabei werden die Karten solange gesammelt, bis die Mindestbestellmenge erreicht ist. Sobald diese erreicht wird, werden die betroffenen Karten (Felder auf der Bildschirmmaske) farbig (z. B. gelb) dargestellt und es kann bestellt werden. Erreicht die Zahl der Karten den „roten“ Bereich, muss der Auftrag oder die Bestellung sofort gestartet werden. 5.5.2 eKanban basierend auf einem Warehouse-Management- System (WMS) Die allgemeinen Schwächen der MRP-Steuerung treffen auch auf diese abstra- hierte Kanban-Steuerung zu. Sie besitzt keinen direkten Bezug zum physischen Materialfluss. Daher werden viele Störgrößen nicht erkannt, die beim realen physischen Kanban erkannt werden können. Die Steuerung ist daher deutlich weniger stabil und benötigt mehr Sicherheitsbestände. Hybride Steuerungsan- sätze sind bei Standard-Systemen in der Regel nicht ohne „Klimmzüge“ reali- sierbar, da entweder die eine oder eben die andere Steuerung alternativ aktiv sein kann. Sinnvoll ist die Anbindung der Kanban-Steuerung an ein Warehouse- Management-System (WMS) bzw. Lagerverwaltungssystem (LVS) mit konkre- ten Behältern. Das System errechnet dann nicht nur den abstrakten Material- fluss, sondern ist näher am realen Bestand in Behältern. Die Gebinde erbringen sehr nützliche Zusatzinformationen, die zu einer Absicherung des Materialflus- ses herangezogen werden können. Es existieren elektronische Karten mit Num- mern, die tatsächliche physische Behälter mit Barcodes oder Transpondern darstellen. Sobald ein Behälter als „Leer“-Meldung gescannt wird, wird die Be- hälternummer, Transporteinheitsnummer (TE-Nummer), Transpondernummer oder eben Kanban-Nummer in ein Feld der Sammelmenge geschrieben. Sobald die Sammelmenge, die je Material im Materialstamm hinterlegt ist, erreicht wird, wandert die TE-Nummer in das Feld für Aufträge und der Auftrag wird nach der jeweiligen Auftragsstartregel angestoßen. 5.5.3 Varianten des Auftragsstarts Automatischer Auftragsstart Mit dem Erreichen der Sammelmenge wird der Auftrag automatisch gestartet. Dies bringt den Vorteil, dass manuelle Tätigkeiten und auch Zeit eingespart werden. Der Abstraktionsgrad von eKanban birgt aber den Nachteil, dass der Start aufgrund einer abstrakten Simulation keine Abweichungen der Realität berücksichtigt. Ähnlich wie alle automatischen Planungs- und Dispositions- verfahren ist dieses System nur sinnvoll bei höheren Sicherheitsbeständen, etwa bei C-Teilen. 5.5 Elektronische Kanban-Systeme (eKanban) 405 Eventgesteuerter Auftragsstart Auslöser kann zum Beispiel das Scannen eines konkreten physischen Behälters oder einer Karte an einem Kanban-Board sein. Der Vorteil dieser Variante liegt in der Nähe zum realen Materialfluss und der höheren daraus abzuleitenden Steue- rungsgenauigkeit. Der Auftragsstart wird in der Produktion durch manuelles Scannen mit einem Handscanner, durch anklicken in einer IT-Lösung oder mit- tels einer transponderfähigen Kanban-Karte ausgelöst (vgl. 3.3 Produktions- nivellierung). Bei der eventgesteuerten Variante kann der Auftragsstart auch mit Transponder oder Barcode automatisch nebenbei erfolgen. Dies kann durch eine räumliche Zwangsführung geschehen, wie in einer Sammeltasche, einer Schiene am Regal, einem Briefkasten oder an der Kanban-Tafel. Auftragsstart unter Berücksichtigung von Kapazitätsregeln Bei weiterentwickelten eKanban-Lösungen werden Algorithmen zur Kapazitäts- steuerung mit der eKanban-Steuerung überlagert oder es wird ein sachnum- mernneutrales Kanban verwendet. Der Auftragsstart kann dann nach Zeit, über mehrere zusammengefasste Materialnummern oder durch zusätzlich frei ge- wordene Kapazität aus Lagerzugängen, gesteuert werden. Als sehr praktikabel erweist sich dabei die dezentrale Event-Steuerung der Produktionszelle, die einer hybriden oder matrixhybriden Steuerung (2.10. Matrixhybride Material- flusssteuerung) entspricht. Die Produktion eines Loses wird durch den Verant- wortlichen, mit Unterstützung der Priorisierung in der Software, ausgelöst. Wird in einer Fertigungszelle Kapazität frei (d. h. Kapazität, in Stückzahl oder als Zeiteinheit), kann der Werker auswählen, welchen der Aufträge (im gelben Bereich der Kanban-Tafel) er als nächsten starten will. Manueller Auftragsstart Komfortablere Programme erlauben den Auftragsstart über das Anklicken von Karten durch einen „Steurer“. Dies kann entweder ein Werker, ein Meister oder Abb. 5.5.1 Ein Beispiel einer Kanban-Oberfläche (Quelle: Cellfusion®) 406 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss eine zentrale Steuerungsinstanz sein. Die Vorteile, die durch das Einbringen menschlicher Kompetenz entstehen, überwiegen das Fehlerrisiko. Mit visuellen physischen Behältern können z. B. Inventurdifferenzen und Störungen besser erkannt werden. Nachteile physischer Kartensteuerung (entfällt bei eKanban) • Buchungen müssen redundant vorgenommen werden. • Der Transport physischer Karten benötigt Zeit, die sich in Pufferbeständen auswirkt. • Physische Karten können verloren gehen oder vervielfältigt werden. • Buchungen im MRP sind zusätzlich nötig. • Manuelles Handling für Karten oder Buchungsbelege bedeutet manuellen Aufwand. • Dezentrale Verantwortung kann missbraucht werden, Kanban-Controlling ist daher nötig. • Tools zur Kontrolle der Umlaufmengen sind aufgrund kontinuierlicher Stö- rungen, z. B. Differenzen oder Fehlbuchungen, notwendig. • Manuelle Abstimmung mit dem Lagerverwaltungssystem ist nötig. Abb. 5.5.2 Ein Beispiel für eine Kanban-Maske mit der typischen Visualisierung der Kar- ten – Das Softwaresystem SIGNAL (Quelle: Signal®) 5.5 Elektronische Kanban-Systeme (eKanban) 407 Vorteile von physischem Kanban bzw. Nachteile von eKanban • Physische Karten sind näher am realen physischen Materialfluss als EDV. Fehler im Materialfluss und Inventurdifferenzen werden frühzeitig erkenn- bar. Ist das Material am falschen Ort, fehlt es oder sind die Puffer zu klein bzw. zu groß – alle diese Differenzen sind visuell in der physischen Welt ein- fach und sicher erkennbar. • Visueller Materialfluss ist sicherer als die „Blackbox“ EDV. Da der Material- fluss visuell und greifbar ist, werden Fehler direkt sichtbar. Eine Fehlerredu- zierung ist durch ein Netz aus vielen einfachen physischen Prozessen mög- lich. Das multifunktionale und hoch komplexe Problemlösungsverständnis des Menschen kann hierbei wesentlich sensibler, sicherer und flexibler kom- plexe Störgrößen erkennen und gegensteuern. Software ist starrer und kann komplexe Vorgänge nicht flexibel genug beherrschen, z. B. bei Qualitätsprob- lemen oder Information die nur mündlich kommuniziert werden. • Fehler im MRP wirken sich stärker auf den Materialfluss aus. Viele Fehler oder Störgrößen im MRP-System (z. B. Ungenauigkeiten in der Auftragsver- waltung oder der Materialbuchung) wirken sich stark auf eKanban aus. • Bei physischen Kanban steuert der Werker – das System berät. Das IT-System bildet ein sehr einfaches Umfeld für den Werker. Der Werker steuert selbstver- antwortlich und fehlerfreier als eine automatische EDV. Er nutzt Informatio- nen zum Steuern, die der EDV unzugänglich sind. Selbst bei Ausfall der EDV kann weiter produziert werden, da die physischen Abläufe trotzdem möglich 0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% 40% gar nicht Auftragsbuchungen Kommissionierbuchungen Behälterfluss Lieferung Kanban in MRP Kopplung von Kanban mit IT Befragte Abb. 5.5.3 Kopplung von Kanban mit IT [Lepr 2007]: Bei ca. 37 % der Unternehmen ist das Kanban-System nicht mit IT gekoppelt. Die häufigsten Kopplungen und damit An- wendungen von eKanban sind bei der Auftragsverbuchung und der Kommissionierung festzustellen. 408 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss sind. Buchungen müssen jedoch später nachgeholt werden. Es entstehen aber weder Ausfallzeiten von Anlagen oder Werkern, noch kommt es zu Terminver- schiebungen oder Engpässen, da der Takt gehalten werden kann. Hybride Systeme kombinieren die Vorteile aus beiden Methoden (s. Kap. 2.9 Hybride Steuerungskonzepte). 5.5.4 Einführung von eKanban-Steuerungen Elektronische Kanban-Steuerungen oder ähnliche Steuerungen haben deutliche Vorteile, benötigen jedoch besondere Vorrausetzungen und haben Schwachstel- len. Einsparungen durch die Einführung von eKanban entstehen (wie bei Kan- ban und Just-in-time) primär nicht durch den Vorteil der Steuerungsalgorith- men, sondern durch die notwendigen Umstrukturierungen. Im Vergleich zu konventionellem Kanban sind mit eKanban weniger Optimierungen der Abläufe und Layouts notwendig, da eKanban weniger Vereinfachungen und Visualisie- rungen „erzwingt“. Die EDV-Anbindung wird jedoch deutlich optimiert. Es werden vereinfachte und nicht redundante Buchungen bzw. Abläufe der Karten, der Behälter- und sonstiger Auftragsdaten angestrebt. Mit neuen Buchungsmög- lichkeiten mittels Barcodes oder Transpondern kann der Werker einfach, schnell und sicher buchen. Da der wesentliche Fortschritt durch die Restruktu- rierung der physischen Prozesse entsteht, erbringt ein von „der Stange“ gekauf- tes Kanban-System (z. B. Standard eines MRP-Systems) oft nicht den gewünsch- ten Erfolg bei der Umsetzung. Der Einführung von eKanban sollte daher eine fundierte Analyse und Beratung vorausgehen, um einen für die IT sinnvollen physischen Ablauf zu erzeugen. Das eKanban-System muss sich den für den Produktionsablauf optimalen Gegebenheiten unterordnen und nicht umgekehrt. Eine professionelle Umsetzung ist sehr störgrößenresistent. Entscheidende Vor- aussetzung ist ein einfacher, möglichst fehlerfreier Datenfluss und eine hohe Datenqualität. Die nötige Datenqualität muss durch systematische Maßnahmen zur Fehlerreduzierung innerhalb zwangsgeführte Eingaben, Defaultwerte) und auch außerhalb (z. B. Zwangsführungen gegen fehlende Disziplin bei Buchungen oder nicht zeitnahe Buchungen) der IT erzeugt werden (vgl. 5.1 Reduzierung von Fehlerraten in IT-Systemen und im Materialfluss). Eine Detaillierung der Daten (z. B. durch kleinere Materialmengen, Losgrößen und Buchungsintervalle und exakter zuordenbare Vorgänge, Orte und Zeiten) erlaubt eine verbesserte Plausibilitätsprüfung der Buchungen (vgl. 2.14 Valuecycle Optimizing). Ande- rerseits erhöht sich durch die deutlich größere Datenmenge zwangsläufig die absolute Zahl fehlerhafter Daten, sofern dies nicht systematisch verhindert wird. Bei Systemeinführung kann durch mangelnde Datenanpassung im Vorfeld ein hoher nachträglicher Aufwand für Datenpflege entstehen. Welche Systemansätze lassen sich nutzen? Es existiert ein umfangreiches An- gebot an eKanban Lösungen am Markt, das sich in drei Bereiche gliedern lässt: 5.5 Elektronische Kanban-Systeme (eKanban) 409 Standardlösung der großen MRP-Anbieter Diese Systeme, die für ein breites Kundenklientel entwickelt wurden, sind zum Teil unflexibel und aufwendig in Anpassung und Pflege. Es wird selten eine effi- ziente, passgenaue Lösung erreicht. Um dennoch eine Umsetzung zu erzielen wird in vielen Fällen versucht, die vorhandenen optimalen Abläufe an die star- ren Vorgaben der Standards anzupassen. Da der Einsatz von Standard-MRP- Systemen häufig unumgänglich ist, bleibt in vielen Fällen nur die Möglichkeit spezifische Oberflächen mit Lean-Know-how zu erzeugen. Standardlösungen auf anderen Plattformen Mittlerweile gibt es neben den Angeboten der großen Softwarehäuser auch an- dere Lösungen mit hervorragenden Ansätzen. Wertstromsoftware-Produkte und Mikro-MRP-Systeme sind hier nur zwei Beispiele. Die Arbeitsabläufe der realen Behälter und der Kanban-Prozesse sind hier wesentlich differenzierter abgebil- det. Es sind z. B. über Transpondertechnik physische Kanban-Tafeln möglich, die pragmatisch physische Kanban-Steuerungen unterstützen. Insgesamt sind diese Lösungen in Bezug auf Kanban höher spezialisiert und daher deutlich effizienter im Einsatz. Sie integrieren ausgereifte Standardfunktionalitäten zur Datenerfassung. Lageranbindung und Buchungen sind meist deutlich flexibler als bei großen Systemen möglich. Speziallösungen – Production Synchronized Software (PSS) [DicE 04] Speziallösungen kommen dort zu Einsatz, wo Standardlösungen nicht mehr ausreichen. Vor der Entwicklung einer Spezialsoftware sollte jedoch eingehend untersucht werden, ob keine ausgereifte Standardlösung die vorhandene Aufga- benstellung erfüllt. Aufgaben, die nicht mit gängigen Systemen lösbar sind, können produktionsspezifisch optimal gelöst werden. Zu diesen Problemstel- lungen gehören: • Viele Produktionsstufen sollen mit Kanban abgedeckt werden. • Eine sehr hohe Kanban-Penetration ist erwünscht (z. B. über 80 %,), trotz vieler Steuerungsvarianten und Sonderfällen. • Hybrides Kanban soll systematisch umgesetzt werden. • Materialnummernneutrales Kanban mit Kapazitätsteuerung ist nötig. • Spezielle Anforderungen im Controlling, z. B. Bestandscontrolling für Kanban/ Just-in-time oder die Erfassung des spezifischen Wertestroms (Value stream) müssen erreicht werden. • Spezielle Dimensionierungstools (z. B. mit Simulation) sollen eingebunden werden. • Anbindungen von Maschinen und Steuerungen sind notwendig. • Eine durchgängige automatische Abbildung individueller oder unüblicher Prozessabläufe soll umgesetzt werden, z. B. elektronischer Bestellvorgang und 410 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss Abwicklung von Einkaufsvorgängen durch den Werker am Montagearbeits- platz oder im Internet. • Informationstools für Lieferanten-Kanban oder Vandor Inventory Manage- ment sollen angebunden werden. • Komfortable Systeme zur Fehlerreduzierung müssen umgesetzt werden, wel- che die Daten der Kanban-Steuerung, des Lagerverwaltungssystems (LVS), von Maschinen und Anlagen sowie dem MRP-System integrieren. Im Zuge der Ablösung von Altsystemen (IT) zur Jahrtausendwende wurden in vielen Unternehmen Herstellungsprozesse und indirekte Prozesse an die Abläufe der modernen Standard-IT-Lösungen angepasst. Die Optimierung von Abläufen führt zu vielen kleinen Wettbewerbsvorteilen, die letztlich in der Summe über die Konkurrenzfähigkeit eines Unternehmens entscheiden können. Insbesondere die Methoden der schlanken Produktion ziehen ständige Anpassungen und Optimie- rungen nach sich, die aber auf keinen Fall von starren IT-Rahmenbedingungen behindert werden dürfen. Oft ist die individuelle Anpassung eines Standard- Systems an Lean-Prozesse so teuer, dass von einer Realisierung abgesehen wird. Die Entwicklung eines neuen Systems ist oft günstiger. Da der Umfang einer Lösung zur Kanban-Unterstützung „überschaubar“ ist, ist eine produktionssyn- chrone Software (vgl. Kap. 5.13 PSS) ein finanzierbarer Weg, eine maßgeschnei- derte stabile Lösung zu erhalten. Zudem können Unternehmen damit sicherstel- len, dass im Wettbewerb entscheidende Abläufe und IT-Lösungen nicht von anderen Unternehmen genutzt werden. 5.6 Simulationsbasierte Optimierung der operativen Produktionsplanung und Lagerhaltung in heterogenen Produktionssystemen Thomas Rücker, Herfried M. Schneider, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Technischen Universität Ilmenau Einen möglichen Ansatz zur Modellierung und Integration unterschiedlicher Ma- terialflusssteuerungsverfahren stellt das Production-Authorization-Card (PAC) Konzept von Buzacott und Shanthikumar dar. Das PAC-Konzept [Buza 92; Buza 93; Rück 06; Rück 04; Schn 05; Schn 03] ist das leistungsfähigste aller generalisier- ten Verfahren zur Materialflusssteuerung, da es imstande ist, sowohl einen Men- genpuffer als auch einen Zeitpuffer abzubilden. Damit ermöglicht es die Darstel- lung der meisten konventionellen Verfahren zur Materialflusssteuerung anhand weniger Parameter. Unter Zugrundelegung des PAC-Konzepts wurde ein effizien- ter Optimierungsalgorithmus entwickelt, der eine ganzheitliche Optimierung der Produktionsplanungs- und Lagerhaltungsparameter eines heterogenen Produk- tionssystems unter Verwendung des PAC-Konzepts ermöglicht. Zur simulationsbasierten Modellierung, Analyse und Optimierung der PAC- Parametereinstellungen von einfachen sowie komplexen Produktionssystemen 5.6 Simulationsbasierte Optimierung der operativen Produktionsplanung 411 wurde in der Simulationsumgebung MLDesigner® [Rück 06; Schn 05] eine Bib- liothek entwickelt. Die vorgefertigten Module dieser Bibliothek erlauben es, mit sehr geringem Zeitaufwand innerhalb der grafischen Benutzeroberfläche das Modell eines PAC-gesteuerten Produktionssystems aufzubauen und zu optimie- ren. Die Struktur des Simulationsmodells wird dabei festgelegt, indem die ver- schiedenen Module der Bibliothek per drag-and-drop zusammengestellt und entsprechend der Produkt- und Prozessstruktur des abzubildenden Produk- tionssystems durch Relationen miteinander verbunden werden. Zur Opti- mierung von PAC-gesteuerten Produktionssystemen wurde eine Heuristik ent- wickelt [Rück 04]. Diese ist imstande, ausgehend von einem einfach zu ermittelnden Startwert, innerhalb von wenigen Optimierungsschritten eine op- timale bzw. nahezu optimale Steuerungspolitik aufzufinden und unter weiterer Verwendung dieser zusätzliche optimale bzw. nahezu optimale Steuerungspoli- tiken zu ermitteln. Dieses Verfahren lässt sich als Weiterentwicklung einer Hill- climbing-Suche charakterisieren. Die Hillclimbing-Suche ist ein lokaler Such- algorithmus, der den Suchraum nicht systematisch erkundet, sondern von einer aktuellen Parameterkombination auf diejenige der benachbarten Parameter- kombinationen übergeht, die den größten Zuwachs der Zielfunktion verspricht. Sie ähnelt damit dem Gradientenverfahren. Weiterhin kann das Optimierungs- verfahren zur Optimierung aller konventionellen, mit PAC darstellbaren Steue- rungspolitiken (z. B. Kanban, MRP, Conwip) eingesetzt werden. Sie zeichnet sich durch eine hohe Lösungsqualität, eine hohe Lösungswahrscheinlichkeit sowie einen geringen Ressourcenbedarf aus. Das Bestandssenkungspotential des PAC-Konzepts in Verbindung mit der Heuristik wurde anhand des Modells eines realen Produktionssystems nachge- wiesen [Rück 04]. Bei diesem handelt es sich um drei hintereinander angeordne- te, durch Puffer entkoppelte Bearbeitungslinien. Darin werden mit elektrischen und elektronischen Bauteilen (Widerstände, Kondensatoren, ICs etc.) bestückte Platinen in vier verschiedenen Varianten hergestellt. Der Produktion liegt fol- gender linearer Fertigungsprozess zugrunde: Abb. 5.6.1 Prinzipskizze des betrachteten Produktionssystems 412 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss • Zelle 2: Automatisierte Bestückung der Vorderseite einer Komplexplatine mittels Industrierobotern, Aufbringen der Lötpaste und Verlöten der Bauteile mit der Komplexplatine; • Zelle 1: Automatisierte Bestückung der Rückseite einer Komplexplatine mit- tels Industrierobotern, Aufbringen der Lötpaste und Verlöten der Bauteile mit der Komplexplatine; • Zelle 0: Handbestückung der Komplexplatine mit größeren Bauteilen, Ver- einzelung der Komplexplatine in mehrere Einzelplatinen. Bei den elektrischen und elektronischen Bauteilen sowie bei den unbestück- ten Komplexplatinen handelt es sich um Zukaufteile, von denen angenommen werden kann, dass sie stets in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. Die Bearbeitungsprozesse innerhalb der Zellen 0, 1 und 2 gliedern sich in mehrere Teilprozesse, von denen jeweils einer den Engpass beschreibt, welcher den Durchsatz durch die Zelle sowie die Wartezeit der Platinen vor der Bearbeitung in der Zelle determiniert. Ein Vergleich, der unter Zugrundelegung der im Optimierungsverfahren ge- wonnenen PAC-Parameterkombinationen mit den im laufenden Betrieb des Systems eingestellten Steuerungsverfahren (Base Stock mit einer ausschließli- chen, geplanten Bevorratung auf der kundenseitigen Produktionsstufe) liefert folgende Ergebnisse: • Steuerungspolitik 1: Bei einer leichten Verringerung der durchschnittlichen Anzahl der nicht unverzüglich gelieferten Produkte B(0) um 11,04 % kann eine Verringerung der mittleren Bestandskosten E(2) um 32,03 % erzielt werden. • Steuerungspolitik 2: Bei einer leichten Verringerung der Bestandskosten E(2) um 1,10 % kann eine Verringerung durchschnittlichen Anzahl der nicht un- verzüglich gelieferten Produkte B(0) um 92,44 % erzielt werden. Abb. 5.6.2 Vergleich der eingesetzten konventionellen Steuerungspolitik mit den optima- len PAC-Steuerungspolitiken 5.7 Simulationsbasierte Optimierung der operativen Produktionsplanung 413 Das volle Nutzenpotential des PAC-Konzepts lässt sich, da eine „händische“ Realisierung im Rahmen der dezentralen Materialflusssteuerung und Produk- tionsvollzugsplanung aufgrund der Vielzahl an Kartentypen zu aufwendig ist, nur durch eine EDV-gestützte Implementierung ausschöpfen. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, nicht durch die Restriktionen der konventionellen Steuerungs- verfahren (MRP, Kanban, Base Stock u. a.) beschränkt zu sein, wodurch es mög- lich ist, die gesamte Bandbreite der Parametrisierungsmöglichkeiten des PAC- Konzepts auszunutzen und somit eine optimale Steuerungspolitik zu ermitteln. 5.7 Kanban Dimensionierungs-Systeme (KDS) Philipp Dickmann; Eva Dickmann, Lepros GmbH Kanban ist ein sehr einfaches und überschaubares Konzept der Steuerung. Sein wesentlicher Vorteil liegt in den dezentralen Strukturen, die von den operativen Mitarbeitern selbst gesteuert werden können. Voraussetzung ist ein strukturier- ter und schlanker Materialfluss mit wenigen Zwischenpuffern, der klare Kunden- und Lieferantenbeziehungen erkennen lässt. Hauptziele um einen effizienten Materialfluss zu erreichen sind: Just-in-time-ähnliche Logistikabläufe, wenig ver- zweigte Produktionsabläufe oder Materialströme und kurze Durchlaufzeiten. Am besten geeignet für Kanban sind Bereiche in denen der Lieferant nur sehr wenige Kunden zu versorgen hat, da hier die einfache Kapazitätsabstimmung visuell übernommen werden kann. Bei Systemen mit einer großen Anzahl an Produkten oder Kunden über eine Zelle, einem Netz aus verschiedenen Ebenen oder bei permanenten Veränderungen und Schwankungen ist eine optimale manuelle Dimensionierung nur eingeschränkt handhabbar. Neben den gängigen statischen Methoden der Dimensionierung existieren ergänzende, neuere Ansätze. Hybride Steuerungsinformationen können zur Dimensionierung verwendet werden. Bei- spiele sind: MRP, Produktionsplan, Historienentwicklung, Kapazitätsbelastung oder Lagergradentwicklung. Die Dimensionierung kann in einem iterativen Pro- zess kontinuierlich verbessert werden. Durch IT-Unterstützung kann eine konti- nuierliche Auswahl der optimalen Steuerungsmethode, mit dem Ziel der besten Steuerung der Materialien, erreicht werden. Eine optimale Dimensionierung liegt nur dann vor, wenn sie kontinuierlich und dynamisch auf der Zeitachse verifiziert wird. Um komplexe Steuerungs- und Materialflussproblemstellungen lösen zu können, sind auch Simulationsmodelle zur Dimensionierung sinnvoll. 5.7.1 Komplexität der Dimensionierung Mit der steigenden Zahl der Kunden nimmt die Transparenz und damit die Ak- zeptanz der Kanban-Tafel oder des Hajunka-Boards sehr stark ab. Dieser Zu- sammenhang gilt grundsätzlich analog beim elektronischen Kanban. Zur manu- 414 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss ellen Dimensionierung ist auf der einen Seite eine durchgängige Steuerung von Kundenbedarfen mit Kanban oder mit Kanban-ähnlichen Methoden sinnvoll (hohe Kanban-Penetration). Ungünstige Kumulationen und der Peitscheneffekt (vgl. Kap. 2.1 Ruhiger, kontinuierlicher Materialfluss; vgl. Kap. 2.2 Wertschöp- fungsanalyse des Materialflusses) können dadurch vermieden werden. Auf der anderen Seite reduziert eine durchgängige Steuerung mit vielen Bau- gruppen auf mehreren Produktionsebenen die Transparenz und ist für den ope- rativen Mitarbeiter zu komplex. Ursachen und Wirkungen können kaum mehr zugeordnet werden. Dies gilt im Besonderen für Lieferantenanbindungen über eine oder mehrere Ebenen. Auch starke Schwankungen, kurze Produktlebens- zyklen oder Einflüsse von Ein- und Auslaufsteuerungen sind ebenfalls ungünstige Rahmenbedingungen für Kanban (siehe Abb. 5.7.1). Zudem wird Kanban heute nicht nur mehr ausschließlich in eingeschränkten, optimalen Einsatzgebieten verwendet. Alle diese Faktoren erschweren grundsätzlich die Steuerung und Dimensionierung, vor allem aber die manuelle Handhabbarkeit. Basierend auf diesen in der Realität ungünstigen Rahmenbedingungen wur- den EDV-Lösungen mit komplexen Steuerungsalgorithmen entwickelt. Aller- dings werden dabei schlechte Abläufe und Verschwendung als unbeeinflussbare Rahmenbedingung dogmatisiert. Daher wird nicht selten versucht, mittels High- tech-IT-Lösungen Symptome zu „heilen“. Bei mangelhafter Zielerreichung wird in der Folge fälschlich die Software als Verursacher der Probleme angesehen. Grundsätzlich ist eine umfassende, offene Restrukturierung der komplexen Ab- läufe ein unverzichtbarer Projektschritt der sich nicht durch IT ersetzen lässt. Abb. 5.7.1 Komplexität der Dimensionierung: Über n-Produktionsstufen (von den Liefe- ranten bis zu den Kunden) nimmt die Komplexität der Kanban-Dimensionierung zu [Dick 02]. 5.7 Kanban Dimensionierungs-Systeme (KDS) 415 Erst danach können optimale Steuerungsmethoden und Dimensionierungsal- gorithmen aufgesetzt werden (vgl. 1.5 Flexible Produktion; 1.6 Das Synchrone Produktionssystem). Nach einer fundierten Einführung kann mit modernen Kanban oder Kanban-ähnlichen Steuerungen, auch unter untypischen Rahmen- bedingungen, eine extreme Verbesserung erreicht werden. Fast immer tritt Kan- ban dabei als eine der tragenden Säulen in einem matrixhybriden Steuerungs- konzept auf (vgl. Kap. 2.10 Matrixhybride Materialflusssteuerung). Die Frage der Dimensionierung umfasst aber nicht nur das Optimum, sondern auch die Ab- grenzung: „Wann wird welches Material optimal mit welcher Methode gesteuert?“ 5.7.2 Statische Dimensionierung – Standardlösungen Als Ergänzung zum eKanban bieten Systemhäuser Standardlösungen zur Unter- stützung der Kanban-Dimensionierung an, die auf statischen Algorithmen bzw. Berechnung basieren. In Ausnahmefällen werden Störgrößen, Sicherheiten in Zeit oder Bestand, Verbrauchs-, Losgrößen- und Durchlaufzeitschwankungen diffe- renziert berücksichtigt (vgl. 2.5 Dimensionierung von Kanban-Regelkreisen). In der Praxis wird vielfach schlicht aufgrund von Erfahrungen, Standardwerten, Analogien, einfachen Faustformeln sowie Tests mit kontinuierlicher Verbesse- rung dimensioniert. 5.7.3 Dimensionierung mittels hybrider Steuerungsinformationen Für die operativen Steuerungsentscheidungen bei Auftragsstart und -freigabe werden in matrixhybriden Steuerungen (vgl. 2.10 Matrixhybride Materialfluss- steuerung) ergänzende Informationen herangezogen. Analog werden in der Praxis zur Dimensionierung der Kapazitäten und des Materialflusses ebenfalls ergänzende Informationsquellen berücksichtigt. Um eine Kanban-basierte Steu- erung mit höchster Lieferfähigkeit bei minimalen Puffern zu erreichen, können folgende ergänzende Informationen in einem Dimensionierungssystem einge- bunden werden: • MRP: Die Plandaten aus MRP-Systemen weichen in der Regel vom realen Verbrauch ab, da sie auf Prognosen basieren. Bei Kanban-Anwendungen können Bedarfsprognosen aus dem MRP-System dennoch, als eventbezogene Kennzahl, zur hybriden statischen oder dynamischen Berechnung verwendet werden. • Produktionsplan: In der Realität weicht die Produktionsplanung grundsätz- lich vom MRP-System oder von der Vertriebsplanung ab. Sie orientiert sich unter anderem an Produktionskapazitäten, den physischen Bedürfnissen des Materialflusses und den kalendarischen Rahmenbedingungen. Im Gegensatz zu anderen Dimensionierungsinformationen sollte die Produktionsplanung bezogen auf Arbeitsplätze oder Kanban-Kreise angewandt werden. 416 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss • Historienentwicklung: Die Hochrechnung des tatsächlichen Verbrauchs stellt eine hochwertige ergänzende Informationsquelle dar. • Lagergradentwicklung [Dick 02c]: Der Lagergrad ist die Reichweite des Bestands in Relation zur Wiederbeschaffungszeit oder zur Durchlaufzeit. Über- oder Unterschreitungen des Lagergrads kennzeichnen nicht nur rele- vante Informationen für das Bestandscontrolling, sondern weisen auch auf falsch eingeschätzte Störgrößen und falsche Dimensionierung hin. 5.7.4 Iterative Prozessoptimierung Die Analyse der Prognosegüte zeigt die Abweichungen von Prognose zu realem Verbrauch auf. Sie ermöglicht einen Lerneffekt zur Verbesserung zukünftiger Prognosen. Dieses Vorgehen ist auch auf der Ebene anderer Kennzahlen sinn- voll, die zur Kanban-Dimensionierung herangezogen werden, beispielsweise für: Durchlaufzeit, Losgröße, Lagerbestand, Auftragsbestand oder Lagergrad [DicE 04]. Kontinuierliche, punktuelle oder schwankende Abweichungen erlau- ben im Kontext Rückschlüsse, inwieweit eine Reduzierung von Sicherheitsbe- ständen sinnvoll oder möglich ist. Durch kritische Analysen wächst das Wissen um die Zusammenhänge. Die resultierenden Maßnahmen führen zur kontinu- ierlichen Verbesserung der Abläufe. Bei Steigerung der Sicherheit des Material- flusses können die Pufferbestände in einem iterativen Prozess reduziert werden. Mit zunehmender Anwendungsdauer dieses Ansatzes steigert sich die Stabilität der Lieferfähigkeit, auch bei extremen Schwankungen oder Störungen. Durch die schlanker werdende Dimensionierung wird es möglich, Kanban auch kon- kurrenzfähig in untypischen Bereichen einzusetzen, etwa bei höherer Dynamik der Veränderung und bei weniger kontinuierlichem Charakter der Bedarfsent- wicklung. In der Praxis überwiegen die Vorteile der iterativen Prozessoptimie- rung (vgl. 2.14 VCO), etwa wachsende Stabilität und geringere Kapitalbindung, Abb. 5.7.2 Theoretische Entwicklung der Bestandskurve (im Fall Lagergrad = 2): Ver- gleich Kanban und MRP 5.7 Kanban Dimensionierungs-Systeme (KDS) 417 bei weitem die Vorteile einer „ausgefeilten“ Steuerung. Dimensionierungssys- teme sollten daher alle individuell nötigen Informationen und Dokumenta- tionsmöglichkeiten für eine umfassende iterative Prozessoptimierung bieten. 5.7.5 Dynamische Auswahl der Steuerungsmethode – am Beispiel MRP und Kanban Bei einer heterogenen Materialflussstruktur (vgl. 2.11 Heterogene Materialfluss- systeme) werden verschiedene Steuerungsverfahren, entsprechend ihrer speziel- len Eigenschaften, in den unterschiedlichen Bereichen eingesetzt. Folglich ist die Frage, die es zu klären gilt: Welches Verfahren ist in welchem Anwendungsfall sinnvoll und wodurch kann diese Abgrenzung erreicht werden? Typischerweise wird Kanban eingesetzt, solange keine starken Schwankungen der Verbräuche auftreten. Im Grenzfall ist Kanban aus Steuerungssicht nicht mehr ideal, wenn ein anderes Verfahren mit geringerer durchschnittlicher Lagerreichweite das gleiche Ergebnis (eine gleiche oder höhere Liefertreue) erzielen kann. Zur Ab- grenzung gegenüber plandatenbasierten Verfahren kann die Kennzahl des La- gergrads sinnvoll verwendet werden. Bei einem Lagergrad größer als eins liegen die einzelnen Bedarfstermine außerhalb der Wiederbeschaffungszeit oder der Durchlaufzeit. Planbasierte Verfahren erreichen, mit einem im Mittel geringeren Lagerbestand, gleiche Liefertreue. Um volle Lieferfähigkeit zu erreichen, ist rechnerisch kein kontinuierlicher Bestand, wie bei bestandsbasierten Verfahren (z. B. Kanban) notwendig. Abb. 5.7.3 Dynamische Auswahl der Steuerungsmethode mit Lagergrad und Bedarfscha- rakteristik 418 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss Zeitachse, z.B. 12 Monatsfenster S tü ck za hl b zw . A nz ah l K ar te n Optimierungspotential, im Vergleich zu konstanter Dimensionierung Konstante Dimensionierung Dynamische Dimensionierung Bedarfsentwicklung Abb. 5.7.4 Beispiel einer dynamischen, angepassten Dimensionierung von Kanban auf der Zeitachse mit Prinzipdarstellung des Einsparungspotentials Bei der realen Analyse des erreichten Lagergrades von Materialien, die mit bedarfsorientierten Verfahren gesteuert werden, wird, an der Grenze vom punktuellen Verbrauch zum Seriencharakter, selten ein Lagergrad von kleiner oder gleich zwei erreicht. Störgrößen und Bedarfsverschiebungen führen bei dieser Steuerung zur Erhöhung der Bedarfe oder zur Lieferunfähigkeit. Dro- hende Lieferunfähigkeit wird durch Bestandsaufbau vermieden. Um Störungen ohne gravierende Einbrüche der Lieferfähigkeit zu überstehen, ist in der be- trieblichen Praxis ein Lagergrad um 2,5 bis 3 häufig notwendig. Der Lagergrad kann als entscheidende Kennzahl zur Abgrenzung zwischen MRP und Kanban angewandt werden, es müssen aber zusätzlich die Bedarfscharakteristik, Durchlaufzeit, Losgröße, Kapitalbindung oder die notwendige Sicherheit je Ma- terialnummer berücksichtigt werden. Eine statische oder dynamische Ermitt- lung der Kanban-Eignung kann dadurch auch eingeschränkt automatisiert erfolgen. Bei einer dynamischen Steuerungsentscheidung wird auf der Zeitleiste be- stimmt, ab wann ein Material sinnvoller mit der einen oder der anderen Methode zu steuern ist. Ähnliche Abgrenzungen sind gegenüber dem C-Teilemanagement und/oder kapazitätsbasierten Konzepten möglich. Automatisierte Lösungen vereinfachen die Selektionskriterien und vernachlässigen damit wesentliche Po- tentiale zur Verbesserung der Steuerung, etwa die Fragen: Warum benötigt ein Material sehr hohe Sicherheitsbestände? Sind diese gerechtfertigt? Sind Lager- reichweiten aufgrund hoher Wiederbeschaffungszeiten notwendig oder redu- zierbar? Die IT-Unterstützung der manuellen Auswahl der Steuerungsmethode ist jedoch ein wesentlicher Baustein, der von einer Dimensionierungssoftware geleistet werden sollte. 5.7 Kanban Dimensionierungs-Systeme (KDS) 419 5.7.6 Dynamische Dimensionierung entlang der Zeitachse Gängige Kanban-Dimensionierung geht von der Voraussetzung aus, dass sich der Verbrauch, der innerhalb des Kanban-Kreises eigendynamisch gepuffert wird, nur innerhalb einer geringen Schwankungsbreite verändert. Die statische Dimen- sionierung wird aus einer Momentaufnahme oder einer, in der Regel zufälligen, Zeitspanne errechnet. Der Kanban-Kreis ist jedoch kontinuierlich Schwankun- gen des Verbrauchs und Störgrößen ausgesetzt. Eine statische Dimensionierung kann nur zum aktuellen Betrachtungszeitpunkt als optimal angesehen werden. Basiert sie auf einem Zeitraum, wäre sie nur dann ideal, wenn der Einfluss von Schwankungen und Störungen während der gesamten Zeitspanne konstant ist. Da dieser Fall in der Realität jedoch auszuschließen ist, muss eine statische Di- mensionierung zum Idealfall abweichende Puffer aufweisen. Eine theoretisch optimale Dimensionierung auf der Zeitachse setzt sich aus unendlich vielen, kon- tinuierlich neu errechneten Dimensionierungen zusammen [Dick 02]. Das be- trachtete Zeitintervall sollte dabei gegen Null gehen. Physischer Materialfluss bildet die physischen Bewegungen von Material, Bewegungen, Behältern und Informationen ab. Materialfluss besitzt eine Träg- Abb. 5.7.5 Reales Beispiel einer dynamischen Dimensionierung [Dick 02c] 420 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss heit, eine Eigenschaft, die sehr plakativ mit der Massenträgheit vergleichbar ist. Realistische Veränderungen können nur unter Berücksichtigung einer real sinnvollen Trägheit abgebildet oder gepuffert werden. Mit Einweg-Kanban- Karten (vgl. Kap. 3.2 Kanban-Karten) kann bei jedem Auftragsstart die Anzahl der Karten mit einer neuen Dimensionierung festgelegt werden. Die Dimensio- nierung und damit die Kartenzahl hat vielfältige Querindikationen, die bei jeder Änderung Risiken im physischen Ablauf entstehen lassen, z. B. fehlerhafte Ver- änderung des Umlaufbestands, der Durchlaufzeit, der räumlichen Anordnung oder der Bestände. Bei sehr dynamischen Lösungen ist eine ausgereifte statisti- sche und physische Methodik notwendig, die eine höhere Fehlerrate kompen- sieren muss. Durch die hohe Dynamik wird gleichzeitig eine hohe operative Automation notwendig. Die Vorteile der einfachen visuellen Abläufe und der dezentralen Kompetenz von Kanban gehen verloren. Der Wegfall dieser Eigen- schaften führt wiederum zu Störungen. Mit zunehmender Kürze des Zeitinter- valls der Änderungen nähert sich die Kanban-Steuerung dann dem Charakter einer MRP-Steuerung an. Die Stabilität trotz realer Störungen, z. B. aufgrund kurzfristiger Bedarfsverschiebungen, nimmt ab. Es existiert ein Break-even- point, ab dem die tatsächlichen Nachteile durch Fehler und Aufwand in Rela- tion größer sind als die Vorteile durch die exakte Steuerung. Eine durch IT unterstützte, dynamische Abbildung zur manuellen Dimensionierungsentschei- dung ist auch unter praktischen Bedingungen lohnenswert, das Zeitintervall sollte jedoch auf keinen Fall zu kurz gewählt werden. 5.7.7 Simulationsbasierte Kanban-Dimensionierung Um große Datenmengen und komplexe Problemstellungen sowohl in der Pro- duktion als auch in Entwicklungsumgebungen iterativ zu optimieren, sind Si- mulationsmodelle sinnvoll. Die bisher vorgestellten Methoden zur Dimensionie- rung sind in der Summe hoch komplex und auf der Zeitachse sehr dynamisch. Simulative Modelle zur iterativen Ermittlung der optimalen Dimensionierung, unter Berücksichtigung aller verschiedenen Ansätze auf der Zeitachse, bieten die Möglichkeit, alle Daten, trotz ihrer Komplexität zu integrieren. Auch die Auswahl der Steuerungsmethode kann in den Simulationsprozess integriert bzw. mittels Simulation ermittelt werden (vgl. 5.6 Simulationsbasierte Optimierung). Simulationsmodelle können eine hohe Zahl von Einflussparame- tern verarbeiten. Bei steigender Komplexität des Modells, Zahl der Annahmen bzw. Abschätzungen und Fehlerbehaftung der Einzelwerte nimmt die Aussage- genauigkeit allerdings gravierend ab. Die Parameter und die Komplexitätstiefe sind daher bei der Konfiguration der Modelle mit Bedacht zu wählen. Zudem hat es sich als sinnvoll erwiesen, Simulationsmodelle als Entwicklungsumge- bung zu verwenden. Die aus der Simulation gewonnen Erkenntnisse sollten dann in statische IT-Produkte umgesetzt werden. 5.8 Mikro-MRP-Systeme 421 Abb. 5.7.6 Beispiel der Funktion einer dynamischen Kanban-Dimensionierungssoftware [Dick 02, Dick 02b] 5.8 Mikro-MRP-Systeme Jörg-Dieter Ehlers, Leonardo Group GmbH Die Wandlung von einer rein funktionsorientierten Verrichtungsmethodik zu einer dem wirtschaftlichen Optimum entsprechenden Fliessfertigung beginnt stets mit der Gestaltung eines am Pull-Prinzip-orientierten Wertstroms (siehe Abb. 5.8.1). Erfolgreiche Veränderungsprozesse werden in aller Regel in Teil- schritten realisiert, da sich die Veränderungen sowohl auf die Prozessstruktur als auch auf die gesamte Auftragsabwicklung auswirken. Gemeinhin werden jedoch nur die Wertschöpfungsprozesse verändert nicht aber die Dispositionsverfahren und die Art der Auftragsabwicklung. Um den Veränderungsprozess kompro- misslos und vollständig (d. h. mit allen Elementen siehe Tabelle 5.8.1) vollziehen zu können, stehen neue Standard-Miniatur-Software-Tools (Micro-MRP-Sys- teme) zur Verfügung. Sie beinhalten die MRP-Funktionen (Manufacturing Re- source Planning), sind jedoch ausschließlich auf das Pull-Prinzip ausgerichtet. Und: Sie ermöglichen die komplette Steuerung über die gesamte Wertschöp- fungskette nach der Kanban-Methodik. Da sie sich mit den konventionellen ERP- Systemen verbinden lassen, wird der Umstellungsprozess problemlos bewältigt. Derartige Systeme sind innerhalb kürzester Zeit einsatzbereit, sodass der Umstel- lungsprozess ohne Zeitverzögerung stattfinden kann. Außerdem bedarf es dabei 422 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss keiner IT-Spezialisten, da diese Systeme in aller Regel auf der Microsoft©-Office- Basis aufgebaut sind, das in den meisten Unternehmen vorhanden ist. Oft behindern vorhandene ERP-Systeme den Umstellungsprozess. Man ver- sucht mit diesen Systemen den Wertstrom abzubilden, damit der Einsatz eines Subsystems verhindert werden kann. Dabei wird jedoch nicht beachtet, dass diese Funktionsähnlichkeiten absolut keine Übereinstimmung mit den Zielen des Lean-Production aufweisen. Das Ergebnis ist: Der konzipierte Wertstrom wird aufgrund eingegangener Kompromisse nicht realisiert und der erwartete wirtschaftliche Nutzen stellt sich nicht ein. Eine weitere Anforderung an Micro-MRP-Systeme ist die Skalierbarkeit. D. h. sie muss in der Lage sein, sich der Unternehmensentwicklung so anzupassen, dass eine Erweiterung mit derselben Software möglich ist. Nur so ist eine Konti- nuität des Veränderungsprozesses gewährleistet. Die Vorteile eines derartigen Einsatzes liegen auf der Hand: Neben der Pro- zess-Umstellung wird der wirtschaftliche Nutzen schon während Reorganisation nachweisbar. Folgendes Beispiel soll diese These verdeutlichen: In aller Regel kann man bei dem Einsatz eines derartigen Tools von einer Halbierung der Ma- terialbestände ausgehen. Wenn nun beispielsweise der Materialbestand von 2.500.000 € um 50 % gesenkt wird, dann werden 1.250.000 € an gebundenem Ka- pital freigesetzt. Bei einem Lagerkostensatz von 20 % lassen sich so jährlich rund 250.000 € einsparen. Wenn man darüber hinaus die Prozessstruktur auf One- Piece-Flow ändert und dabei die entsprechenden Unterstützungsfunktionen der Software nutzt, lassen sich Produktivitätsvorteile von bis zu 33 % erreichen. Der Aufwand für die Installation eines derartigen Systems ist im Verhältnis zu seinem Nutzen minimal. In aller Regel wird ein Return-on-investment (ROI) in weniger als einem halben Jahr erreicht. Eben dieses Kosten-Nutzen-Verhält- nis macht den Einsatz eines derartigen Mikro-MRP-Systems als Subsystem zu einem bestehenden ERP-System sinnvoll und äußerst attraktiv. Abb. 5.8.1 Beispiel eines Wertstroms als durchgängiges Pull-Prinzip 5.8 Mikro-MRP-Systeme 423 Tabelle 5.8.1 Checkliste: Standardfunktionen eines Mikro-MRP-Systems (Quelle: Soft- waresystem SIGNAL, Leonardo Group GmbH) Funktion Baustein Ziel Datenanalyse ABC-/XYZ-Analyse Kanban-Potential darstellen XYZ-Klassifizierung Anpassen der Kanban-Mengen an die Absatzschwankungen Mengenberechnung Kanban-Mengen Berechnung der Anzahl der im Regel- kreis benötigten Kanban-Karten auf- grund unterschiedlicher Regelkreis- bedingungen (pro Artikel) Dynamische Anpassung Roulierende Berechnung mit gezielter Information, bei welchen Artikeln die bestehenden Kanban-Mengen anzu- passen sind Supermarktdimension Dimensionierungsvorschläge der Supermärkte innerhalb der Regelkreise Versorgungszyklus Berechnung des Rhythmus, in dem die Verbräuche aufzufüllen sind Losgröße Ermittlung der Losgrößen (oder Ab- rufmengen) nach unterschiedlichen Kriterien (DLZ, Takt, EPEI, Mindest- mengen etc. – u. a. auch auf Grundlage des zur Verfügung stehenden Rüst- budgets) Zeitberechnung Liniendimension Dimensionierung der in einem Re- gelkreis einzusetzenden Ressourcen (Betriebsmittel, Mitarbeiter) Rüstbudget Ermittlung der im Zeithorizont zur Verfügung stehenden Rüstzeit EPEI Berechnung des Intervalls, in dem Standardprodukte gefertigt werden IPK Anzahl der physisch bereitzustellenden Kanban-Plätze innerhalb des Regel- kreises Heijunka Berechnungsvorschlag zwecks Gestal- tung einer manuellen Sequenzplanung (Heijunka-Board) Kanban-Karte Gestaltung und Druck Gestaltung der Kanban-Formate (Standard und Sonderformat) sowie deren Druck zur Einmal- und/oder Mehrfachverwendung 424 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss Funktion Baustein Ziel Kanban-Management Sonderaufträge Erfassen bzw. Übernehmen (aus ERP- System) und Nivellieren großer Be- darfsmengen, einzelner Aufträge sowie Erstellen von Einmal-Kanban-Karten dafür Registrierung Erfassen der Kanban-Zustände (VOLL, LEER, ggf. auch die Chargen-Nummer, etc.) via unterschiedlicher Inputme- dien (Tastatur, Barcode-Scanner, RFID-Terminal) Plantafel Darstellung des Kanban-Status nach diversen Anforderungen wie FIFO, Wait&Work, Ampel, Kundentakt, etc. incl. Frühwarnung Fälligkeitsanalyse Analyse der Kanban-Stati in Bezug auf ihre Fälligkeit (insbesondere bei An- bindung externer Lieferanten) Journal Speicherung der Kanban-Bewegungen zur Analyse bei Kartenverlust Kapazitätsbelastung Belastungsübersicht über den aktuel- len Kapazitätsbedarf auf der Basis der leeren Kanban-Karten Datenmanagement Datentransfer Übernahme von Kanbans (oder der Kanban-Daten) aufgrund einer beste- henden Lieferverkettung mit Kunden sowie Übermittlung von Kanbans (bzw. der Kanban-Daten) an Lieferan- ten Datenaustausch Online-Datenaustausch mit überge- ordnetem ERP-System Controlling Lagerumschlag Umschlagsanalyse der Artikel, detail- liert sowie aggregiert nach diversen Klassifizierungen Simulation Was-wäre-wenn-Funktion, d. h. Prü- fung der Stellgrößen außerhalb der Systemeinstellung in Bezug auf die ITO-Auswirkung Kennzahlen Verschiedene individuelle Kennzahlen, wie z. B. Produktivität, Liefertreue, Servicegrad Tabelle 5.8.1 (Fortsetzung) 5.9 Schlanke Software steuert Geschäftsprozesse und Materialflüsse im Mittelstand 425 Abb. 5.8.2 Beispiel eines Wertstroms als durchgängiges Pull-Prinzip 5.9 Schlanke Software steuert Geschäftsprozesse und Materialflüsse im Mittelstand Joachim Berlak, FAUSER AG Die deutsche Wirtschaft wird vor allem durch rund 3,3 Millionen kleine und mittlere Unternehmen (KMU) geprägt, die heute 99,7 % aller Unternehmen in Deutschland darstellen, 70,2 % der Arbeitsplätze anbieten und 81,6 % aller Lehr- linge ausbilden [BfWA 03]. Unternehmen werden dem Typus KMU zugeordnet, wenn Sie u. a. weniger als 250 Mitarbeiter beschäftigen und bis 40 Millionen Euro Umsatz erwirtschaften [IfM 03]. Industrielle KMUs müssen heute viele Herausforderungen meistern: • Sie leiden in der Regel unter Ressourcenknappheit, insbesondere in Bezug auf Personal und finanzielle Mittel [Haus 00]. • Sie nehmen vornehmlich die Rolle des Lieferanten in nationalen als auch globalen Wertschöpfungsnetzwerken ein und müssen hier den entsprechen- den Turbulenzen widerstehen [Bach 03]. • Sie wandeln sich vom handwerklich geprägten Betrieb zum Industrieunter- nehmen [Schw 05]. Vor diesem Hintergrund stehen KMUs oftmals mehr als Großbetriebe vor einer existenziellen Notwendigkeit, Geschäfts- und Produktionsprozesse sowie Materi- alflüsse schlank, effektiv und effizient zu organisieren um die Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit ihres Betriebes zu gewährleisten. Hierbei stellen ver- schiedene Softwareprogramme ein zentrales Werkzeug dar, Mensch, Organisa- 426 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss tion und Produktionstechnik zu vernetzen und zu synchronisieren. Mittelständi- sche Betriebe stehen aus verschiedenen Gründen vor der schwierigen Aufgabe, eine für sie passende Software zu finden, einzuführen und dann täglich zu betrei- ben [Berl 03]. Der Softwaremarkt für ERP-Lösungen teilt sich auf kleinere, mittlere und größere Unternehmen auf, wie dies in der Zufriedenheitsstudie in Abb. 5.9.1 plakativ dargestellt wurde. Viele Anwendungen der großen Anbieter wurden für Großunternehmen kon- zipiert und, ausgehend von der kaufmännischen Seite, aus Finanzbuchhaltung und Controlling heraus entwickelt. Neben Schwächen in der Abdeckung der Produktion weisen diese Programme meist auch hohe Anschaffungs- und Be- triebskosten und eine eingeschränkte Eignung für den industriellen Mittelstand auf. Oft sind sie zu starr, schwierig bedienbar und zu teuer. Deshalb existiert eine Vielzahl von kleineren Softwareherstellern, welche sich meist branchen-, anwen- dungs- oder funktionsspezifisch (z. B. spezielle Lösungen für den Maschinen- und Anlagenbau) als auch durch die Entwicklung von Hilfs- und Zusatzpro- grammen für die ERP-Systeme größerer Anbieter spezialisieren. Die FAUSER AG fokussiert mittelständische Industriebetriebe und entwickelt, vertreibt und war- tet Softwarelösungen unter dem Markennamen JobDISPO [Berl 04]. Mittlerweile arbeiten über 450 Industrieunternehmen weltweit aus dem Werkzeug-, Formen-, Maschinen-, Anlagen-, Apparate- und Sondermaschinenbau, der Metall- und Kunststoffbe- und -verarbeitung, der Lohnfertigung sowie Zulieferindustrie mit JobDISPO-Lösungen. Wie durch schlanke Software ein nachhaltiger Mehrwert für KMUs erzielt werden kann, soll im Folgenden an zwei konkreten Beispielen aus dem Werkzeug- und Maschinenbau [9,10] aufgezeigt werden. Abb. 5.9.1 ERP-Zufriedenheitsstudie 2005 [Schu 05] 5.9 Schlanke Software steuert Geschäftsprozesse und Materialflüsse im Mittelstand 427 5.9.1 Anwendungsbeispiel Werkzeugbau Die Martin GmbH aus Neunkirchen bei Saarbrücken produziert mit 35 Mitarbei- tern Werkzeuge, Vorrichtungen und Sondermaschinen vornehmlich für Kunden aus der Automobilindustrie, sowie aus der Klima-, Kälte- und Medizintechnik und für namhafte Hersteller von Haushalts- und Gartengeräten. Durchschnitt- lich 6−8 Wochen Durchlaufzeit bei Werkzeugen, 4−6 Wochen bei Vorrichtungen sowie 8−12 Wochen bei Sondermaschinen unterstreichen die Schnelllebigkeit des Geschäfts. Knapp 150 Aufträge laufen gleichzeitig in der werkstattorientierten Fertigung, wobei aufgrund der reinen Einzelfertigung ein nicht repetitiver Mate- rialfluss vorherrscht. „Unser altes aber namhaftes ERP-System haben wir nur rudimentär für den Vertrieb und die Auftragsabwicklung verwendet. Wie viele andere ERP-Systeme war es auf die Serienproduktion ausgelegt, für die Einzelfer- tigung viel zu komplex und schwerfällig. Eigentlich konnten wir diese Lösung nur als Schreibmaschine verwenden und hatten verschiedenste Insellösungen zur Steuerung der Materialflüsse. Lange Zeit konnten wir das Problem noch aus- sitzen. Wir ahnten zu der Zeit nur, wenn etwas in der Fertigung schief lief. Es gab viele Terminsitzungen, der Projektfortschritt wurde oft zu Fuß abgefragt. Damals haben die Werker ihre Stundenzettel wöchentlich abgegeben und eine Sekretärin hat damit eine Datenbank befüllt. Fünf Wochen später hatten wir dann aktuelle Rückmeldedaten, da war das Werkzeug schon raus. 2004 musste Schluss sein mit Improvisation, Blindleistung und Verschwendung“, erklärt Geschäftsführer Herr Martin. Heute läuft es Dank JobDISPO besser. Voraussetzung für ein agierendes Management der Materialflüsse ist eine Betriebsdatenerfassung in Echtzeit. Abb. 5.9.2 Schlanke Software zur Steuerung von Materialflüssen 428 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss „Heute drucken wir nur noch die Fertigungszeichnungen mit Auftragsnummer aus, die Werker buchen ihre Zeiten am PC mit Barcodescanner zurück. Wir sind nun in der Lage, eine konsequente Vor-, Begleit- und Nachkalkulation für jedes Werkzeug zu fahren. Der Regelkreis zwischen Planung und Ausführung ist nun geschlossen“, verdeutlicht Herr Martin. „Wir wissen jetzt, was in der Fertigung los ist und verlassen uns nicht mehr einzig auf unser Bauchgefühl. Wir agieren nun, statt wie früher nur zu reagieren. Wir konnten bisher nicht nur unsere Ter- mintreue und Durchlaufzeiten nachhaltig verbessern, sondern auch unsere Kos- ten für die Auftragsverwaltung und -abwicklung um knapp 30 % reduzieren. JobDISPO hilft uns dabei, da wir schlank, ohne detaillierte Stammdaten und mit wachsenden Stücklisten arbeiten können“. 5.9.2 Anwendungsbeispiel Maschinenbau Die Werkzeugmaschinenfabrik Ziegenhain GmbH wurde im März 1998 aus der NAXOS-Union ausgegliedert und Geschäftsführer Werner Schwalm startete auf dem alten Gelände mit 15 Mitarbeitern komplett neu. Heute fertigt WMZ als eigenständige GmbH zusammen mit sieben namhaften Werkzeugmaschinenbau- ern wie Präwema, Pittler, Diskus Werke oder Buderus Schleiftechnik unter dem Dach der DVS-Gruppe kundenspezifische Fertigungslösungen in den Bereichen Drehen, Verzahnen und Schleifen. WMZ liefert hier als verlängerte Werkbank mechanische Einzelteile (z. B. die Komplettbearbeitung vom Drehen, Bohren, Fräsen, Schleifen, Schweißen bis hin zum Lackieren), komplette Baugruppen (Schwenkmodule, Ladeportale oder Revolverköpfe), komplett montierte Werk- zeugmaschinen bis hin zu eigenen Produkten (Motorspindeln). Seit 1998 setzt WMZ JobDISPO ERP zur integrierten Auftragsabwicklung sowie JobDISPO MDC zur Betriebsdatenerfassung ein. Hierdurch ist die Organisation des Betriebes trotz schnellen Wachstums stets schlank geblieben. Derzeit arbeiten 68 Werker und 12 Mitarbeiter in 3-D-Konstruktion, Arbeitsvorbereitung und Management. Ziel für 2006 ist es, das nachhaltige Wachstum auf 90 Mitarbeiter fortzusetzen und die Montage- und Lagerhalle auf eine Größe von 2000 m² zu erweitern. Der Erfolg von WMZ hat vielfältige Erklärungen. Zum einen besitzt der Betrieb eine sehr hohe eigene Wertschöpfungstiefe, alle Lieferanten sitzen strategisch in der Nähe. Zum anderen konzentriert man sich auf die Kernkompetenz der hochpräzisen Zerspa- nung und Komplettbearbeitung als Dienstleistung. Im Mittel betragen die Durch- laufzeiten 6−8 Wochen, vom Maschinenbett bis zum fertigen Zubehör. Komplette Maschinen werden in weniger als 5 Monaten ausgeliefert. Um schnell zu sein, legt man sich bei WMZ Rohmaterial auf Lager. Über 250 zeitgleiche Aufträge mit je- weils 5−10 Arbeitsgängen erzeugen komplexe Materialflüsse. Ohne die schlanken JobDISPO-Lösungen wäre das nicht einfach handhabbar. „Ich steuere heute den gesamten 85-Mann-Betrieb sowie die resultierenden Materialflüsse mit zwei Re- ports aus JobDISPO ERP: der Maschinenbelegungs- und der Bestellvorschlagsliste. 5.10 Produktionsoptimierung mit SAP am Beispiel Kanban 429 Natürlich habe ich darüber hinaus Zugriff auf alle relevanten betriebswirtschaftli- chen Daten, falls ich sie benötige. Für die alltäglichen Entscheidungen genügen mir aber diese beiden Auswertungen. Unser nachhaltiges Wachstum bestätigt dies. Um in dem harten und weltweit ausgetragenen Wettbewerb im Werkzeugmaschinen- bau erfolgreich zu sein, müssen wir als Mittelständler sehr flexibel, schnell und spezialisiert sein. JobDISPO hilft uns hier permanent Verbesserungen u. a. unserer Materialflüsse zu realisieren. Software ist ein Werkzeug und muss daher schlank sein. Der Mix aus guten Mitarbeitern, Organisation und Software macht den Un- terschied im Wettbewerb.“, verdeutlicht Geschäftsführer Herr Schwalm. Beide Praxisbeispiele zeigen den nachhaltigen Mehrwert, der durch schlanke, einfach zu bedienende und kostengünstige Softwarewerkzeuge für die Steuerung von Geschäftsprozessen und Materialflüssen in mittelständischen Industriebe- trieben erreicht werden kann. 5.10 Produktionsoptimierung mit SAP am Beispiel Kanban Christian Kuhn, SAP AG Der Einsatz von Informationstechnologie ist ein wichtiger Faktor für eine erfolg- reiche Lean Manufacturing-Strategie. Am Beispiel der integrierten eKanban- Lösung in der „mySAP Business Suite“ soll aufgezeigt werden, wie moderne Soft- warelösungen Lean Manufacturing unterstützen, steuern und insbesondere opti- mieren können, um die gesetzten Ziele zu erreichen. In den folgenden Abschnitten wird deutlich herausgearbeitet, welche Charakteristiken entsprechende Software- lösungen besitzen müssen, um alle Effizienzpotentiale ausschöpfen zu können. 5.10.1 Erweiterung der Kanban-Philosophie durch Integriertes eKanban In der Logistik und auch in der Fertigung, stellt sich stets die Frage nach der Planungstiefe im Materialfluss: In welchem Umfang muss man die Materialbe- wegungen planen und leiten, und inwieweit ist eine Selbststeuerung oder prag- matische Ausführung sinnvoll? Generell ist es jedoch stets notwendig, die Transparenz über den Materialfluss zu erhalten, um eine effektive Überwachung und rechtzeitiges Eingreifen in Problemsituationen gewährleisten zu können. Weiterhin sind auch selbststeuernde Prozesse mit anderen logistischen Prozes- sen im Unternehmen vernetzt, wie beispielsweise Beschaffung, Bestandsverwal- tung oder Lieferungslogistik. Dies bedeutet, dass Kanban, wie auch andere Lean Manufacturing-Komponenten, nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern 430 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss nur im Zusammenhang mit der Gesamtlogistik im Unternehmen zu einer effi- zienten Strategie wird. Diese Aussage gilt genauso für die IT-Unterstützung: Nur eine Kanban-Lösung, die andere Logistik-Komponenten integriert, kann eine optimale Unterstützung der Lean Manufacturing-Prozesse gewährleisten. Genau dieser Philosophie folgt die SAP und hat ihre elektronische Kanban-Lösung (eKanban) vollständig in die klassischen ERP-Prozesse integriert. Für den Be- nutzer ist die Bedienung und der Informationsfluss transparent und einheitlich – ohne Systemwechsel. Ein weiterer Vorteil des integrierten Ansatzes ist der Entfall jeder Art von Datenreplikation zwischen verschiedenen Systemwelten, alle Prozesse laufen auf den gleichen konsistenten Stammdaten. Weiterhin ist durch die SAP-Technologie die volle Skalierbarkeit gewährleistet, von einfachen Prozessen und kleinem Volumen bis hin zu komplexen Unternehmensstruktu- ren mit sehr hohem Datendurchsatz. 5.10.2 Adaptives Prozessmodell als Grundlage für eKanban eKanban basiert auf einem flexiblen Prozessmodell, das primär aus Regelkreisen aufgebaut wird. Hiermit wird die Definition und Bedienung erleichtert und die Automatisierung des Materialflusses ermöglicht. Der Regelkreis dient zur Festle- gung der Beziehung zwischen Quelle und Ziel, inklusive detaillierter Steuerpara- meter, wie beispielsweise die Zahl der umlaufenden Kanban-Behälter. Insbeson- dere wird auch die Art der Wiederbeschaffung festgelegt – also Eigenfertigung, Umlagerung oder auch Fremdbeschaffung bzw. Bestellung. Die Bestandssituation kann mithilfe einer interaktiven grafischen Kanban-Tafel überwacht werden, damit ist auch die Transparenz und Verfolgbarkeit sichergestellt. In Ausnahmesi- tuationen – beispielsweise einer Verzögerung der externen Beschaffung – können jederzeit geeignete Maßnahmen eingeleitet werden. Das Kanban-Prozessmodell ist hierbei hoch adaptiv, bei Änderung der Rahmenbedingungen kann es schnell und flexibel den neuen Anforderungen angepasst werden. Das System leistet hierbei auch Unterstützung, beispielsweise durch eine automatische Kanban- Berechnung. Hierbei werden Anzahl und Größe der Kanban-Objekte durch Ana- lyse der Verbrauchs- und Bedarfswerte dynamisch optimiert und dem Logistik- verantwortlichen vorgeschlagen. Für den Bediener ist das Arbeiten mit Kanban sehr einfach: Bei Aufbrauch des Materials meldet er das Kanban-Objekt (physisch typischerweise ein entsprechender Behälter) als „leer“ – alle Folgeprozesse erle- digt das System hochautomatisiert im Hintergrund, ohne weiteren notwendigen Bedienereingriff. Kommt der neue Behälter am Verbrauchsort an, wird „voll“ gemeldet und der Teilprozess ist damit abgeschlossen. Unabhängig von Art und Komplexität der Wiederbeschaffung sind die Prozesse standardisiert und die Bedienung einheitlich, der administrative Aufwand wird auf ein Minimum – nämlich den Statuswechsel – reduziert. Selbstverständlich können die Kanban- Meldungen wahlweise auf Basis gängiger Technologie durchgeführt werden – also neben entsprechenden grafischen Bedieneroberflächen in verschiedenen Anwen- dungen der Logistik auch mit mobilen Geräten („Handhelds“) und Barcodele- 5.10 Produktionsoptimierung mit SAP am Beispiel Kanban 431 sern. Weiterhin ist über entsprechende offene Schnittstellen auch die direkte Anbindung von Automatisierungssystemen möglich. 5.10.3 Erweiterte Kanban-Prozesse unterstützen die Philosophie Diverse Sonderabwicklungen unterstützen und verbessern das verbrauchsgesteu- erte Grundprinzip von Kanban. Beim ereignisgesteuerten Kanban beispielsweise ist das Erzeugen eines neuen Kanban-Objektes nicht durch die Regelkreisparame- ter fixiert, sondern wird individuell über entsprechende Kanban-Impulse ange- stoßen. Der Impuls kann auch automatisiert durch vom System erkannte Situa- tionen ausgelöst werden. Zudem kann als weitere Variante der „Mengenimpuls“ eingesetzt werden. Hierbei wird nicht der gesamte Kanban-Behälter „leer“ gesetzt, sondern es werden individuelle Verbräuche gemeldet. Das System bestimmt dann den Triggerpunkt für einen neuen Kanban-Impuls selbstständig. Weiterhin ist die Integration der Bedarfsplanung möglich, sodass lang- und mittelfristige Bedarfs- voraussagen für Kanban-Materialien getroffen und innerhalb und außerhalb des Unternehmens kommuniziert werden können. Durch den Verbrauch wird direkt und automatisiert die Beschaffung kontrolliert. Durch diese Selbststeuerung wer- den Überproduktion und unnötige Warenbewegung vermieden. Der Bestand und die Durchlaufzeiten werden reduziert, der Buchungsaufwand und die Zahl der Fehlbuchungen minimiert. Über eKanban angestoßene Prozesse sind vollständig integriert in die Bestandsverwaltung, den Einkauf und in die Produktion. Nach Triggern eines Kanban-Objektes mit Eigenfertigung wird beispielsweise direkt eine Produktionseinteilung oder ein Produktionsauftrag angelegt, eine Rückmel- dung des Auftrags setzt auch einen entsprechenden Status des Kanban. Auch die Kostenrechnung für ein Kanban kann hiermit implizit durchgeführt werden, um ein integriertes Controlling zu ermöglichen. Dies ist ein wesentlicher Vorteil im Vergleich zu isolierten oder manuellen Kanban-Systemen. 5.10.4 Kollaborative Prozesse um Kanban Nicht nur innerhalb einer Betriebsstätte, sondern gerade auch im Zusammenwir- ken mit Partnern in der Supply Chain zeigt die erweiterte Kanban-Philosophie ihre Vorteile. Lieferanten können einfach und intuitiv über Portaltechnologie in die Materialflussprozesse eingebunden werden. Über den „Inventory Collabora- tion Hub“ ist das webbasierte Anbinden der Partner möglich. Diese erhalten di- rekten Zugriff auf alle notwendigen Informationen, werden über kritische Ver- sorgungssituationen informiert und können damit unmittelbar auf kurzfristige Anforderungen reagieren. Natürlich ist auch eine klassische Anbindung der Lie- feranten über EDI-Technologie (Electronic Data Interchange) möglich. Die Durchdringung der Just-in-time-Abwicklungen in der Logistik führt ebenfalls zu einer Erweiterung der Kanban-Lösung, um dem Lieferanten die Anlieferung von Materialien in genau festgelegter Menge, Zeit und Ort per Abruf mitzuteilen (Mengenabruf). Die betriebswirtschaftliche Abwicklung beruht dabei auf ausge- 432 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss handelten Lieferplänen, die damit auch für Kanban mit Fremdbeschaffung Ver- wendung finden. Weiterhin werden die Prozesse beim Lieferanten und Abnehmer durch die informationstechnische Integration logistischer Nachrichten (bei- spielsweise Lieferavis und Lieferbestätigung) eng verzahnt. 5.10.5 eKanban mit SAP – Aktuelle Trends und Zusammenfassung Im Bereich der betriebswirtschaftlichen Analytik werden neue Potentiale eröffnet: Die gesammelten Prozessdaten können aggregiert, zu Informationen transfor- miert und bewertet werden, um daraus wertvolles Wissen zur Entscheidungsun- terstützung abzuleiten. Mithilfe des „Business Information Warehouse“ werden die Kanban-Prozesse und Regelkreise durch die Auswertung des Materialflusses (beispielsweise Durchlaufzeiten und Bestandsauswertungen) optimiert. Über den Einsatz von RFID-Technologie (Radio Frequency Identification) können Kanban- Prozesse nahezu komplett automatisiert werden, sodass keine direkte Bedienerin- teraktion notwendig ist. Durch das Auslesen von RFID-Tags an den Kanban- Objekten wird ein entsprechender Impuls an die Statusverwaltung ausgelöst und damit eine Änderung direkt im System verarbeitet. Generell kann zusammenge- fasst werden, dass die richtige IT-Unterstützung elementarer Baustein einer Lean Abb. 5.10.1 Optimierung der Kommunikation mit Kanban-Zulieferern über Portaltech- nologie 5.11 Visualisierte Informationstechnologie 433 Manufacturing-Strategie ist, um die Produktivität der Fertigung und damit die Wertschöpfung zu optimieren. Insbesondere Kanban-Lösungen müssen in die Gesamtlogistik integriert und mit den assoziierten betriebswirtschaftlichen Pro- zessen synchronisiert werden, um ihr volles Potential ausnutzen zu können. 5.11 Visualisierte Informationstechnologie Kersten Ellerbrock, CellFusion Inc. Die Arbeitsumgebung vieler Menschen wird seit Jahren konsequent und immer vollständiger mit Informationstechnologie (IT) ausgestattet. Unsere moderne IT vermittelt heute Informationen vornehmlich in Form von Zahlen und Buchstaben, anstelle von für Menschen wesentlich geeigneteren Bildern. Die visualisierte In- formationstechnologie und Führung ist dagegen ein neuer Ansatz, der speziell im Produktionsbereich viel versprechende Ergebnisse hervorbringt. Die Einsatzbe- reiche erstrecken sich von Produktion mit hoher Montagekomplexität und hoher Änderungsfrequenz bis zur Montage von variantenreichen Produkten und Nut- zung moderner Model-Mix-Strategien. Die neuen Strategien bewirken eine Erhö- hung der Flexibilität, die Reduzierung der Komplexität bei Variantenvielfalt und fast automatisch eine signifikante Erhöhung der Qualität und Effizienz durch ver- besserte Visualisierung und Ergonomie. 5.11.1 Der Mensch und seine Sinne Die einzelnen Sinne des Menschen können, im Vergleich zu anderen Lebewesen, als „unterentwickelt“ betrachtet werden. Menschen nehmen, selbst im Vergleich Abb. 5.11.1 Vor allem bei manuellen Produktions- und Logistikprozessen werden vielfäl- tige Abläufe über die Augen koordiniert. (Quelle Cellfusion) 434 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss zu unseren Haustieren, Geruch und Geräusche nur unterdurchschnittlich war. Obwohl wir, biologisch betrachtet, primär auf das Sehen ausgelegte Lebewesen sind, ist unser Sehvermögen trotzdem vergleichsweise schlecht. Daraus lässt sich ableiten, dass für die Evolution des Menschen nicht die Sehschärfe entscheidend sein konnte. Wesentlich war vielmehr die Fähigkeit, visuelle Informationen schnell in sachliche, logische Zusammenhänge zu bringen und sofort gezielt Ak- tivitäten daraus abzuleiten. Diese Nutzung der Sinne und insbesondere ihre Kombination sind die ausschlaggebenden Gründe für den Evolutionsstand des Menschen. Die menschlichen Sinne haben sich als „Allrounder“ entwickelt, die Kombination von „sehen“ und „umsetzen“ brachte den Erfolg. 5.11.2 Schnelleres Lernen durch systematische Führung Täglich setzen wir unsere Sehfähigkeit und Kombinatorik ein, sobald wir mor- gens unsere Augen öffnen. „Sehen, erkennen, verstehen … und lernen“, beginnt in der Kindheit und setzt sich im gesamten Leben fort. Dabei ist es von Rahmen- bedingungen und Hilfen abhängig, wie gut oder schnell man lernt. Warum gelingt es bereits Kindern aufwändige, sogar komplexe Lego®-Bausätze innerhalb von Minuten perfekt zusammenzustecken? Warum ist es möglich, beispielsweise IKEA®-Möbelbausätze ohne jegliche Erfahrung in Minuten zu montieren? Weil wir Bilder und Bildfolgen vor uns „sehen, erkennen und verstehen“. Dies sind nur zwei Beispiele, aber sie zeigen, dass Bilder sehr viel schneller verstanden und sicherer umsetzt werden als textbasierte Bauanleitungen, die häufig zudem Abb. 5.11.2 Der operative Mitarbeiter im Produktionsumfeld muss vielfältige Informatio- nen verarbeiten. (Quelle: Cellfusion) 5.11 Visualisierte Informationstechnologie 435 sprachlich unzureichend und schwer verständlich beschreiben, was zu tun ist. Die systematische Führung durch Bilder und Bildfolgen ermöglicht es, täglich Infor- mationen aufzunehmen, zu verstehen und Tätigkeiten auszuführen, die wir so noch nie durchgeführt haben. Dem Menschen wurde es „in die Wiege gelegt“, Bilder zu interpretieren; dagegen werden Zahlen und Buchstaben erst seit weni- gen tausend Jahren genutzt. Zu lange wurden in der Informationstechnologie die Vorteile von Bildern vergessen und allein an Buchstaben und Zahlen festgehalten, und da fragen wir uns manchmal, warum Informationstechnologie vielen Men- schen so kompliziert erscheint. Bilder haben aber noch weitere Vorteile: „Bilder sagen mehr als tausend Worte“, „Bilder kennen keine Grenzen“ und erfordern weder Sprachkenntnisse noch Übersetzungen. Immer mehr Unternehmen be- schäftigen Mitarbeiter vieler Nationalitäten und Sprachkulturen auch bei der Fertigung von Produkten. Vor diesem Hintergrund ist es umso überraschender, dass konventionelle Informationswissenschaft fast ausschließlich mit Zahlen und Buchstaben arbeitet. Seit einiger Zeit gibt es nun aber neue strategische Lösungen zur wesentlich ergonomischeren und daher effizienteren Nutzung von Abbildun- gen, Bildern, Fotos und Fotokombinationen und sogar integrierten Prozessvideos für Fertigungsprozesse: Visualisierte Informationstechnologie. 5.11.3 Besser und produktiver durch systematische Führung In der Produktions- und Logistikwelt ist der Einsatz von Visualisierung inzwi- schen wettbewerbsentscheidend, denn unser Markt- und Verbraucherverhalten Abb. 5.11.3 Eine durch „Visual Factory“ unterstützte Folge von Montageschritten: Zu- sammenstecken und Verschrauben, Erfassung von Qualitätsabweichungen, Mess- und Kalibrierungswerten und Materialidentifizierung zur Montageführung und lückenlosen Rückverfolgung bei Automobilradios. (Quelle: Cellfusion) 436 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss hat sich in den letzten Jahren wesentlich verändert. Der Kunde möchte „sein“ individuelles Produkt erwerben, ausgesucht und zusammengestellt aus einer Vielzahl von Varianten und Optionen. Produktlebenszyklen verkürzen sich stän- dig, neue Produkte und neue Technologien kommen in rasanter Geschwindigkeit auf den Markt. Und dies ist nicht nur in der High-Tech-Industrie der Fall, in der die Produktlebenszyklen inzwischen eher in Wochen als in Monaten gemessen werden. Es spiegelt sich überall wider: Auch in der Automobilbranche, der Kon- sumgüterindustrie und im Maschinenbau breiten sich diese Anforderungen aus. Für Produktionsunternehmen bedeutet dies, dass Fertigungs- und Montagepro- zesse immer variantenreicher werden. Produktionsmitarbeiter sind immer grö- ßerer Variantenzahl und Komplexität gegenübergestellt. Alles muss schneller, besser, produktiver und prozesssicherer werden. Aber welche Hilfen bieten wir den Mitarbeitern wirklich? Oder überlassen wir alles nur der Erfahrung? Erfah- rung ist sicherlich sehr wichtig, allein die Philosophie „Übung macht den Meis- ter“ kann den neuen Anforderungsprofilen in Produktionsunternehmen heute jedoch nicht mehr gerecht werden. Die Fertigungsumgebung verändert sich zur modernen, schnellen, variantenreichen Mixed-Modell-Produktion mit extrem kurzen Produktlebenszyklen. Die Zahl der Produkte mit unterschiedlichsten Varianten, Optionen, häufigen technischen Änderungen und Weiterentwicklun- gen nimmt zu, gleichzeitig müssen dabei höchste Montagegenauigkeit, Qualität und Lieferfähigkeit sichergestellt werden, bei möglichst geringen Sicherheitsbe- ständen. Die alleinige Nutzung der „Erinnerung“ reicht Mitarbeitern im moder- nen Produktionsprozess vielfach nicht mehr, um diese komplexen und durch immer kürzere Änderungszyklen gekennzeichneten Prozesse optimal zu erfüllen. Der Mitarbeiter sollte durch ergonomische und „natürliche“ Methoden unter- stützt werden, denn sie dienen als Mittel zum Zweck, nicht als Selbstzweck. Ein Werksleiter eines führenden Fertigungsunternehmens für Traktoren in den USA brachte es auf den Punkt: „Ich dachte immer, wir haben sehr viele, sehr erfahrene Mitarbeiter, die seit fünfzehn oder mehr Jahren für unser Unternehmen arbeiten, und die brauchen keine visualisierte Montageführung, die wissen, was sie tun! Aber nun wird mir immer klarer, die gehen bald in Heerscharen in den Ruhestand … und was machen wir, wenn die jungen, noch unerfahrenen Mitarbeiter kom- men …?“ Sehr viele Produktionsunternehmen sind aus diesen und anderen Gründen seit Jahren dazu übergegangen, Zeichnungen oder Fotos in der Ferti- gung als visualisierte „Gedächtnisstütze“ aufzuhängen. Dies ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung, hat aber noch einen hohen Preis: Ein hoher Aufwand war erforderlich durch die Erstellung und Verteilung neuer Informationen und insbe- sondere durch häufige Änderungen. Diese Informationspolitik ist eine Einbahn- straße: Es fehlte die ganzheitliche Umsetzung des Informationsaustauschs. 5.11.4 Der Quantensprung in der Produktion In den letzten Jahrhunderten waren Menschen primär darauf angewiesen, zu lesen und zu kommunizieren um zu lernen. Das letzte Jahrhundert war das Zeit- 5.12 Papierlose Fertigung und visualisierte Montageführung und Qualitätssicherung 437 alter der Computertechnologie. Heute wird „sehen, erkennen, verstehen und lernen“ durch Multimedia und modernste Technologie unterstützt und das wird, durch ständig weiter fallende Hardwarepreise, viel einfacher und vor allem erschwinglicher als früher. Dies gilt nicht nur für den Privatgebrauch, sondern vor allem für die Arbeitswelt. In diesem Jahrhundert gilt es also, die verschiede- nen Vorteile zu kombinieren. Der Einsatz von Personal Computern hat sich in den Firmenbüros bereits vor vielen Jahren erfolgreich durchgesetzt. In vielen Unternehmen werden mit Computereinsatz ausschließlich die indirekten Berei- che assoziiert, denn in der Produktion soll doch „nur“ gefertigt werden. Wozu also in Informationstechnologie am Fertigungsarbeitsplatz investieren? Hier wurden Investitionen gern als „nicht sinnvoll und überzogen“ eingespart. Dabei wurde zu lange übersehen, dass die Produktion die wirklich wertschöpfende Prozesskette darstellt. Andererseits sind es die Mitarbeiter in den administrati- ven Bereichen und im Management, die ganz besondere Erwartungen an die Fertigung haben: Man erwartet höchste Qualität, beschleunigte Fertigungspro- zesse, höchste Produktivität, höchste Transparenz, korrekte Fertigungskennzah- len und das alles sofort. Alle diese Anforderungen und Informationen müssen aber immer noch manuell und verbal verteilt und manuell zusammengestellt werden. Wirklich moderne Lösungen integrieren visualisierte Informations- technologie und interaktive Prozess- und Qualitätsinformationsübermittlung schnell, einfach, präzise und elektronisch. Mit fallenden Hardwarepreisen, neu- en, erfrischenden Erkenntnissen zum Thema „moderne Fertigung“ und ange- trieben von Geschäftsstrategien wie „Schlanke Produktion“ (Lean Manufactu- ring), „Null-Fehler“ (Zero Defect) Toleranzreduzierung (Zero Tolerance) und „Modell-Mix“-Produktion fallen die „Schranken“ in immer mehr Unternehmen für eine moderne Informationstechnologie. 5.12 Papierlose Fertigung und visualisierte Montageführung und Qualitätssicherung Kersten Ellerbrock, CellFusion Inc. Die neueste Generation strategischer Informationstechnologie bietet moderne, interaktive Lösungen für innovative Unternehmen, um veränderten Anforde- rungen von Kunden und Märkten Rechnung zu tragen. Elektronische Verteilung von visualisierten Arbeitsanweisungen an Montage- und Qualitätskontrollstati- onen kann vor allem bei hoher Produktvarianz, hoher Änderungshäufigkeit und modernen Fertigungsstrategien, wie bei der Model-Mix-Fertigung helfen eine neue Dimension von Effizienz und Performance zu erreichen. Nebenbei bietet es einen vernetzten Real-time-Informationsfluss und die Integration von Früh- warnportalen, die helfen, ungeplanten Entwicklungen so schnell und effizient wie möglich entgegenzuwirken. 438 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss 5.12.1 Ziele bildgeführter IT im Produktionsbereich Produktionsmitarbeiter sollen die Produktvielfalt schneller, kundenbedarfsge- recht, mit größerer Flexibilität und höherer Qualität produzieren. Produktions- und Prozessinformationen müssen gleichzeitig für die Fertigung und alle an- grenzenden Bereiche zur Verfügung stehen. Informationen sollen nicht nur elektronisch an Fertigungsmitarbeiter verteilt werden, sondern auch online, als konsolidierte Fortschritts- und Managementkennzahlen, zurückkommen. Ne- benbei muss eine lückenlose Rückverfolgbarkeit gewährleistet werden, wobei die Produkt-, Prozess-, Verfahrens- und Qualitätsdokumentation automatisch, während des Fertigungsprozesses, erzeugt werden soll. Dies muss alles ohne Zeitverlust für die Fertigungsmitarbeiter und die Fachabteilungen ablaufen, bei Hochvolumenfertigung ebenso wie bei One-piece-flow-Produktion. Abb. 5.12.1 Visual Manufacturing Operation: Ein Beispiel für bildgeführte Montage eines Automobilradios (Quelle: Cellfusion) 5.12.2 Elektronische Verteilung von visualisierten Arbeitsanweisungen an Montage- und Qualitätskontrollstationen Einer der ersten Anwendungsbereiche visualisierter Informationstechnologie war die elektronische Verteilung von visualisierten Arbeitsanweisungen an Montage- und Qualitätskontrollstationen, denn moderne Produktionsstrategien stellen höchste Anforderungen an Aktualität und Genauigkeit. Die Anweisungen orientieren sich klar an Produkt- und Arbeitssequenzen und nutzen heutige Multimedia-Möglichkeiten, d. h. Zeichnungen, Fotos und Prozessvideos. Es wird 5.12 Papierlose Fertigung und visualisierte Montageführung und Qualitätssicherung 439 detailliert aufgezeigt, was und wie zu montieren ist. Sprach- und Verständnis- probleme entstehen nicht, sondern werden sofort überbrückt. Einarbeitungs- zeiten für neue Mitarbeiter und Informationsübermittlung bei Produktmo- dellwechsel werden deutlich verkürzt. Mitarbeiter sind dadurch flexibel an verschiedensten Arbeitsstationen einsetzbar, da Experten-Know-how nun in einfachen Bildern elektronisch für jeden zur Verfügung steht. Dies war bereits vor Jahren die Zielrichtung des Anwendungsbereichs „Visualisierte Montage- anweisungen“, aber „das Leben steht nicht still“, die Evolution der „Visual Fac- tory“ ging weiter in Richtung „Interaktivität“ und papierlose Prozesse. 5.12.3 Interaktive Fertigungsprozesse Papier wird im Unternehmen vielfältig genutzt und ist überall zu finden, natürlich auch in der Produktion. Es ist in jeglicher Form vorhanden, von Papierdokumen- ten, Formularen und Listen bis letztendlich zur elektronischen Form, als Listen und Excel®-Tabellendateien. Informationen werden in der Fertigung „aktiv“ ge- nutzt oder nur „statisch“ ausgehängt: Berichte über Qualitätsabweichungen, Feh- lerlisten, Maschinenausfalllisten, Produktivitätskennzahlen, Mitarbeiterlisten, Qualifikationsübersichten, Änderungshinweise, Informationen zur Lagerhaltung. Diese Informationen werden in der Regel manuell geführt und aufbereitet. Dieses Vorgehen ist sehr aufwendig, birgt zudem Probleme im Zugriff und führt vor allem zu Aktualisierungsproblemen. Die Datenhaltung ist durch heutige Doku- mentations- und gesetzliche Nachweispflicht extrem aufwendig. Seit Jahren set- zen führende Unternehmen Lean Manufacturing-Prinzipien in allen Bereichen um. Lean-Grundsätze schließen neben Prozessoptimierung Themen wie die Er- kennung von Verschwendung und die Vermeidung von „nicht-wertschöpfenden“ Prozessen systematisch ein. Was bedeutet das in diesem Zusammenhang? Jegli- ches Papier, manuelles Aufschreiben und auch die elektronische Variante des Papiers, alles muss aus der Fertigung verbannt werden. Das Erfassung von Daten und Informationen auf Papier ist eindeutig ein „nicht-wertschöpfender“ Prozess und hat darüber hinaus andere „nicht-wertschöpfende“ Prozesse und Aktivitäten zur Folge. Papierauswertungen sind beispielsweise nicht überall verfügbar und müssen manuell in andere Auswertungen, Listen oder Systeme übertragen wer- den. Die Informationen sind erforderlich, die manuellen Aktivitäten und Prozesse aber nicht. Sie verursachen Kosten, binden Mitarbeiter, sind oft fehlerträchtig und führen daher vielfach zu falschen Entscheidung, zumindest aber zu verspäteten Entscheidungen. 5.12.4 Papierlose Fabrik Es geht auch ohne Papier, da die Evolution der Informationstechnologie inzwi- schen komfortable, interaktive Möglichkeiten für alle Arbeitsplätze anbietet, auch am Produktionsarbeitsplatz. Durch die technologische Weiterentwicklung 440 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss Abb. 5.12.2 und Abb. 5.12.3 Eine durch „Visual Manufacturing Operation“ unterstützte Folge von Montageschritten: Zusammenstecken und Verschrauben eines Automobil- radios (Quelle: Cellfusion) von Hardware und Anwendungen wurde aus der einfachen, visualisierten Montageführung ein fertigungsstationsbezogenes „Portal“. „Visual Factory Portal“ von Cellfusion ermöglicht beispielsweise Produktionsmitarbeitern alle erforderlichen Arbeiten, Prozesse und Funktionen „visualisiert und interaktiv“ unterstützt durchzuführen und das manuelle Aufschreiben auf Papier zu erset- zen. In einer modernen Fabrik wird damit, natürlich papierlos, Zero Defect und Total Quality sichergestellt, umgesetzt durch interaktive Funktionen „in- 5.12 Papierlose Fertigung und visualisierte Montageführung und Qualitätssicherung 441 nerhalb“ der visualisierten Anweisungen und Anwendungen, bereits während des Fertigungsprozesses. Prozessorientierte Informationstechnologie sorgt für erhöhte Effizienz: • Visualisierung erhöht die Montagegeschwindigkeit und -genauigkeit gravie- rend durch schnelleres Erkennen der Fertigungs- und Montageinhalte bei va- riantenreichen Produkten oder hohem Produktmix. • Für den Fertigungsprozess erforderliche Komponenten können durch visua- lisierte Steuerung zielgenau und schnell entnommen werden, Verwechslun- gen werden bei sehr ähnlich aussehenden Teilen durch farbcodierte Warnun- gen vermieden. • Mess-, Prüf- und Kalibrierungswerte werden als Ziel und aktuelle Werte au- tomatisch im Prozess festgehalten, Frühwarnportale sorgen für Informations- fluss im Falle von unerwarteten Abweichungen. • Checklisten stellen sicher, dass alle Arbeitsschritte durchgeführt wurden. • Personaleinsatz, Qualifikation und praktische Erfahrung wird automatisch fortgeschrieben und sorgt für einen flexibleren zukünftigen Personaleinsatz. • Interaktive Funktionen ermöglichen auf Knopfdruck die Materialbeschaffung mittels elektronischem Kanban und Just-in-time-Signal. • Schnellster Online-Informationsfluss bei Problemen, Störungen und Ausfäl- len in alle Bereiche – von Linienlogistik, Instandhaltung, Wartung, Ferti- gungsplanung bis ins Management – ist gewährleistet. • Transportmittel können interaktiv angefordert, gesteuert und verfolgt werden. Diese und weitere Funktionen erfolgen elektronisch, denn „Zeit ist Geld“ und das kann durch verkürzte Prozessketten und Eliminierung von manuellen und „nicht-wertschöpfenden“ Tätigkeiten schnell verdient werden. 5.12.5 Frühwarnportale – Aktion anstatt Reaktion oder Statistiken Informationen werden mit diesen Lösungen heute automatisch und elektronisch verteilt (beispielsweise als visualisierte Montage- und Qualitätsanweisungen), Störungen oder die Nachschubsteuerung von Materialien setzen sich in Echtzeit (real-time) in einen elektronischen Workflow um und bewirken, dass nachgela- gerte und übergeordnete Prozesse und Abteilungen immer auf dem neusten Stand sind. Dadurch kann ungeplanten Entwicklungen frühzeitig und strate- gisch entgegengewirkt werden, bevor diese einen Einfluss auf Produktivität und Effizienz haben. Die verschiedenen Ebenen des Managements haben die Mög- lichkeit, im Sekunden- oder Minutenraster zu reagieren und nicht mehr im Ta- ges-, Wochen- oder Monatsraster. Dieses strategische Frühwarnmanagement hat viele positive Nebenwirkungen, die schnell zu drastischen Verbesserungen in Produktivität und Qualität führt. Und wie bei Nebenwirkungen üblich, muss 442 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss dafür nicht einmal etwas getan werden. Automatisch werden heute alle Ferti- gungskennzahlen genau dort erzeugt, wo sie entstehen und real-time in moder- nen Fertigungs- und Qualitätsinformationsportalen zur Verfügung gestellt. Mehr noch – und dies ist der gravierende Unterschied zu üblichen Betriebsda- tenerfassungssystemen (BDE) – Informationen werden in „pro-aktiven“ Syste- men sofort in einen „workflow“ umgesetzt, Informationen sind keine Statisti- ken, sondern werden umgehend verteilt und aktiv genutzt. BDE-Systeme hingegen bilden die Abläufe in verschiedenen Intervallen der Vergangenheit ab, ermöglichen den Eingriff aber erst, wenn „das Kind schon in den Brunnen gefal- len ist“. Die Anhäufung von Fertigungsdaten und das Erzeugen von Statistiken haben vielfach keine positiven Effekte auf die aktuelle Entwicklung. Letztendlich werden sie nicht mehr wirklich angesehen, da sie immer zu spät kommen. Es geht um Aktion statt Reaktion, da Schnelligkeit zählt. Je schneller ein Problem erkannt und behoben ist, umso eher ist 100 % Produktivität oder Qualität wieder sichergestellt, danach sind dann fast keine Statistiken mehr erforderlich. Dies bedeutet einen weiteren Schritt zur Eliminierung von nicht-wertschöpfenden Prozessen. Wie sieht dies praktisch aus? Wenn Fertigungsmitarbeiter zum Bei- spiel ein Materialversorgungsproblem schnell „per point & click“ melden, weiß der Verantwortliche für Linienlogistik bereits in einem Sekundenbruchteil spä- ter Bescheid und kann die entsprechenden Aktivitäten zur Lieferung anstoßen. Das gleiche gilt für jegliche Art von Störung, von Maschinen, Equipment, Mate- rial, Werkzeugen und Vorrichtungen und Qualität: Ein automatischer Workflow wird angestoßen. Dieser Effekt endet auch nicht bei Informationen über den Fortschritt der Produktivität und Effizienzkennzahlen, sondern beinhaltet sogar ein elektronisches Kaizen- und KVP-Workflow-System. Letztendlich ist eine lückenlose Rückverfolgbarkeit als Zusatznutzen vorhanden, da der Informa- tionsfluss an dem Ort beginnt, an dem die Informationen entstehen. Und dies bedeutet für gefertigte Produkte: Im Produktionsablauf direkt am Arbeitsplatz. Integrierte Online-Managementkennzahlensysteme Zur sofortigen Behebung von Störungen und zur schnellen Verbesserung von Prozessen wird die Produktion in Echtzeit messbar. Manager und Werksleiter mussten üblicherweise auf ihre manuell zusammengetragenen „Overall Equip- ment Efficiency“-(OEE) und „First Passed Yield“-(FPY) Auswertungen viel zu lange warten. Mit dem neuen integrierten Real-time-Managementkennzahlen- system sind diese auf Knopfdruck verfügbar, darstellbar auf jeder gewünschten Hierarchie- oder Verdichtungsstufe. Dies sichert die großartige Möglichkeit, bei Problemen oder negativen Tendenzen sofort einzugreifen, anstatt nach Stunden oder Tagen Statistiken auszuwerten. Alle Produkt-, Produktionsprozess- und Qualitätsinformationen und Ergebnisse werden direkt an Arbeitsstationen au- tomatisch oder mit einfachstem point-&-click festgehalten. Der Aufwand wird massiv reduziert. Mit einem verbesserten Produktionsniveau kann kostengüns- tig gefertigt werden. Höchste Kundenzufriedenheit sichert Marktanteile und höhere Gewinnmargen. 5.13 Production Synchronized Software (PSS) 443 5.12.6 Die Zukunftsvision in der Informationstechnologie Der nächste evolutionäre Sprung: Visualisierte Anwendungen und Systeme der neuesten Generation reifen mit hoher Geschwindigkeit. Interaktive Visualisie- rung in laser- und sprachgesteuerten Hightech Brillen, dies alles klingt auf den ersten Blick nach Sciencefiction. Vor zehn Jahren konnte man von Flachbild- schirmen und gigahertzschnellen PCs nur träumen, da diese Technologie noch unerschwinglich war. Noch vor fünf Jahren haben viele Unternehmen gezögert, PCs in die Fertigung zu stellen. All dies ändert sich mit rasanter Geschwindigkeit. Auch heute sind sprachgesteuerte Laserbrillen noch (zu) teuer und werden kurz- fristig nur in speziellen Bereichen Einsatz finden, in denen vollständige Mobilität für Fertigungsmitarbeiter ein Muss ist, wie im Automobilbau. Dies wird sich ebenfalls schnell ändern. Heute werden die Anwendungen für die nächste Gene- ration der Technologie entwickelt, vollständig integrierte Lean Fertigungs-, Qua- litäts-, und Logistikunterstützungen auf allen Ebenen. Die Evolution einer modernen Fabrik Von manueller Informationsübermittlung wie Text, verbaler Kommunikation und gedruckten Bildern über elektronische Verteilung von interaktiven Multi- media-Anwendungen an Fertigungsarbeitsplätze bis zu mobilem Equipment und High-tech Laserbrillen (vgl. 5.15 Neue Ansätze ergonomischer Kommunika- tionstechnologien): Was kommt danach? Die Hologramm-Projektionstechno- logie und Visualisierung wird „State-of-the-art“. 5.13 Production Synchronized Software (PSS) Eva Dickmann, Lepros GmbH Der Trend zum Standard hat dazu geführt, dass eine Vereinheitlichung der Pro- duktions- und Logistikprozesse und somit auch der zugehörigen Software- Produkte entstanden ist. In manchen Bereichen wurden spezifische Produk- tions- oder Logistikabläufe an die Bedürfnisse von IT-Produkten angepasst. Oft führte dies zu einer Verbesserung der Prozesse, da die Abläufe von Standard- softwareprodukten tatsächlich einen guten Ablauf abbilden. In anderen Fällen wurden jedoch hoch entwickelte, effiziente Prozesse, die einen deutlichen Wett- bewerbsvorteil darstellten, dem Standard geopfert. Für viele Branchen und Pro- duktionsbereiche anwendbare Standard-Softwareprodukte, wie ERP oder auch APS, decken umfassend und perfekt vernetzt alle Funktionen beliebiger Herstel- lungsprozesse ab. Zudem existieren spezielle Tools, die besondere Aufgabenge- biete wie Kanban mit effizienten Standards abdecken. Letztlich bleiben aber noch einige firmenspezifische Spezialthemen und spezielle Anforderungsprofile, die sich gar nicht, nur begrenzt oder mit hohem Aufwand über Standards dar- stellen lassen. „Produktion Synchronized Software“ und „Process Synchronized 444 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss Software“ [DicE 04] sind maßgeschneiderte Softwarelösungen, die effiziente Prozesse der physischen Welt in der elektronischen Welt abbilden – darin be- steht der Wettbewerbsvorteil für die Unternehmen. 5.13.1 Optimaler Prozess und Standard-MRP-Systeme Die Benutzeroberflächen der Standardanwendung wurden für eine breite Masse unterschiedlichster Produktionsprozesse und für verschiedene Branchen entwi- ckelt. Ein sehr breites Anforderungsprofil kann mit einer großen Menge an Funktionen flexibel abgedeckt werden. Durch die breite Funktionspalette ent- stehen aus der Sicht der einzelnen Anwendung Diskrepanzen zu den optimalen Prozessen. Diskrepanzen der Standardanwendungen zum optimalen Prozess [DicE 04]: • Es existieren Informationen, die nicht benötigt werden. • Information sind ähnlich oder redundant. • Daten sind nur mit mehrfachen Sprüngen oder Abfragen erreichbar. • Daten, die benötigt werden, sind nicht verfügbar. • Hardware-Anbindungen, z. B. an Maschinen, Anlagen, Scanner oder Steue- rung fehlen. • Durch komplexe Eingaben und zu wenigen Korrekturalgorithmen entsteht eine hohe Fehlerrate. • Der Datentransfer, z. B. WEB-Anbindung oder zu Subsystemen (z. B. Lager- verwaltungssysteme, engl. Warehouse Managementsysteme) fehlt. • Eine Änderung seitens des MRP-Herstellers wird oft als zu teuer bewertet, ist nicht erwünscht oder auch nicht möglich. Grundsätzlich bleibt festzustellen, dass Standards Lücken aufweisen. Durch Ausweichstrategien wird versucht, diese mehr oder weniger provisorisch zu schließen. Wünschenswerte Eigenschaften der IT-Systeme, in Hinblick auf optimale Prozesse und hohe Effizienz: • Exakte Abbildung von realen, sinnvollen und schnellen Abläufen. • Vorhandensein eines Minimums an Daten, die für den Prozess benötigt wer- den – weniger ist hier mehr. • Vollständige Bereitstellung aller Daten, die für den Prozess benötigt werden. • Pro Prozess oder Arbeitsablauf möglichst nur eine Oberfläche bzw. keine oder wenige Sprünge. • Einfache, gut zu bedienende Funktionen, zum Beispiel Standardeingaben durch Funktionsbuttons. 5.13 Production Synchronized Software (PSS) 445 Folgen einer mangelnden Anpassung der Benutzeroberflächen an den Produktionsprozess: In den Unternehmen wird angestrebt, weitestgehend Standardmasken zu ver- wenden. Speziallösungen oder Abweichungen von Standards werden vermieden, um Programmierkosten zu sparen, Folgefehler zu vermeiden und bei Release- wechseln Zeit, Kosten und Risiken zu reduzieren. Die Auswirkungen dieser Strategie sind in vielen Unternehmen deutlich zu erkennen: • Umständliches Arbeiten mit IT: z. B. hoher Zeitaufwand, viele Eingaben, komplizierte Abläufe, viele Störungen, viele Fehler, wenig Akzeptanz. • Schlechte Datenqualität: z. B. viele Fehler in den Eingaben, Verwechslungen, Verständnisprobleme aufgrund der hohen Komplexität, fehlende Plausibili- tätsprüfungen, wenig Servicegrad zur Fehlervermeidung. • Manuelle „kleine“ Tabellen: Differenzen der bestehenden IT-Systeme zu den realen Anforderung und notwendigen Abläufen führen zu sehr effizienten, kleinen, selbst erzeugten und manuellen Tabellen. Diese Listen sind inhaltlich oft unerlässliche und sehr effiziente Hilfsmittel. Sie bedeuten aber manuellen Aufwand für Eingabe bzw. Pflege und sind zudem fehleranfällig und unstabil. • „Selbst erstellte“ Tabellen- und Datenbankanwendungen: Derartige Pro- gramme kompensieren die Schwächen der bestehenden IT-Landschaft punk- tuell. Um eine passende Anwendung mit allen nötigen Daten zu erzeugen, wer- den Daten komplex verknüpft und zu hilfreichen, praxisbezogenen Lösungen umgesetzt. Durch fehlendes fachliches Wissen in der Anwendungsentwicklung und der Entwicklung von relationalen Datenbanken, mit zum Teil selbst er- worbenen Programmierkenntnissen, werden Programme entworfen die fehler- anfällig, instabil, umständlich in der Bedienung, nicht vernetzbar und schlecht wartbar sind. Zudem ist, das in diesem Bereich häufig verwendete Datenbank- Managementsystem Access®, nur bedingt geeignet für Multiuserbenutzung und die große Zahl der Datensätze, die im Produktionsumfeld gegeben sind. Hierdurch werden die Applikationen langsam und erzeugen hohen Speicher- bedarf. Die geringe Ausgereiftheit und Fehleranfälligkeit der Tools und die mangelnde Aufgeschlossenheit der „selbsternannten Entwickler“ führt bei den Anwendern zu geringer Akzeptanz. Nur bei ausgetüftelter Datenauswahl führt dieser Weg bei kleinen Anwendungen zum Erfolg. Letztlich unterstreicht diese Problematik die Notwendigkeit von Production Synchronized Software. Da selbst heute noch bei großen Automobilherstellen mehrere hundert allein stehende Programme existieren, in denen u. a. Bestandsdaten oder Stücklisten getrennt gepflegt und ausgewertet werden, wird der große Aufholbedarf sichtbar. 5.13.2 Unabgestimmte IT-Landschaften verhindern effiziente Prozesse Was behindert eine Verbesserung der IT-Landschaft in Bezug auf effizientere Abläufe in den Unternehmen: 446 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss • Geringes interdisziplinäres Verständnis, Interesse oder Qualifikation der IT- Mitarbeiter. • Zu oberflächliche und abstrakte Betrachtung der interdisziplinären Prozesse. • Stark auf einen Hersteller oder einen Standard fixierte Sichtweise bei der Optimierungsbetrachtung in den Unternehmen. • Geringe Selbstkritik in der Optimierung der IT-Prozesse und der Schnittstellen. In der Praxis bedeutet das, dass Prozesse an die EDV-Lösung angepasst wer- den, bzw. auf hoch entwickelte Prozesse verzichtet wird. Soll die hohe Leistungs- fähigkeit der Produktion durch speziell angepasste Softwarelösungen gestützt werden, können basierend auf Standard-MRP-Systemen oder beliebigen anderen Systemen passende Spezialanwendungen aufgesetzt werden. Der Vorteil liegt in der individuellen professionellen Anpassung der Prozesse an den optimalen Produktionsablauf, der Reduzierung der „Datenflut“, einer Abstimmung der IT- Landschaft und einer professionellen, also stabilen und fehlerfreieren IT. 5.13.3 Eigenschaften effizienter individueller PSS-Tools Anstatt mehrer komplexer Benutzeroberflächen, die trotzdem nicht alle notwen- digen Daten bereitstellen, arbeiten die operativen Mitarbeiter (z. B. der Produk- tion, oder anderer indirekter Bereiche) mit möglichst nur einer maßgeschneider- ten Oberfläche. Diese sollten ergonomisch optimiert sein, alle nötigen und gleichzeitig keine überflüssigen Daten mehr enthalten. Gleichzeitig sollten alle Abb. 5.13.1 Typische Untergliederung von Softwareprodukten in Produktionsunternehmen 5.13 Production Synchronized Software (PSS) 447 nötigen Aktionen angestoßen werden können. Elemente von PSS die zu Effizienz führen sind [DicE 04]: • Prozessanalyse: Detaillierte Analyse der Prozesse, auch der physischen Pro- zesse, mit den direkten Mitarbeitern. • Informationsanalyse: Welche Informationen benötigt der Werker? Welche hat er? Woher bekommt er die Informationen? Wie sollte er arbeiten? (vgl. Kap. 2.11 Heterogene Materialflusssysteme) • Professionelles Datenbankdesign: garantiert eine Anwendung mit hoher Per- formance. • Professionelle Anwendungsentwicklung: Basierend auf einer fundierten Ana- lyse der Anforderungen an die Informationsflüsse kann maßgeschneidert eine professionelle Anwendung entwickelt werden. • Poka Yoke – „Mach es gleich richtig“[Möll 97]: Durch die DV-technische Weiterverarbeitung potenzieren sich Fehler (z. B. in einem kleinen Material- stamm von 10.000 Datensätzen à 50 Felder können mehr als 50.000 fehlerhaf- te Felder entstehen; s. Kap. 5.1 Reduzierung von Fehlerraten in IT-Systemen und Materialfluss). Im Durchschnitt sind nur 90 % der Eingaben korrekt – das ist eindeutig zu wenig, um eine erfolgreiche Materialflusssteuerung si- cherzustellen. Die Oberfläche oder die Arbeitsweise sollte so gestaltet sein, dass sie hilft, Fehler zu vermeiden. Fehlerhafte Eingaben müssen soweit mög- lich eingeschränkt werden. Die Gefahr von Tippfehlern nimmt ab, wenn die Eingaben nicht händisch erfolgen. Geführte Eingaben (z. B. die Auswahl aus Pop-up-Menüs, Buttons mit hinterlegten komplexen Funktionen, Scannen von Barcodes), Plausibilitätschecks, Minimierung der Datenmenge und tabel- larische Visualisierungen sind Hilfsmittel, dies zu erreichen. • Führung von Standardeingaben: Standardaufgaben, z. B. mit häufigen gleich- artigen Eingaben, können über einfache Buttons mit hinterlegten Funktionen erleichtert und beschleunigt werden. Standardfunktionalitäten wie Auftrags- freigaben können direkt vom operativen Mitarbeiter angestoßen werden und müssen nicht den „langen Weg“ über indirekte Bereiche nehmen. Abrufe per Internet können automatisch generiert werden. Diese kleinen Hilfsmittel bringen die größte Effizienz im operativen Umgang. • Kontinuierliche Verbesserungsprozesse: Bei der Einführung von neuen IT- Systemen wird ein sehr hoher Aufwand betrieben. Bereits vorhandene Daten werden mit viel Kapazität verifiziert, übertragen, das neue System zum Lau- fen gebracht. 90−95 % der Aufgaben werden im Projektablauf erledigt, die restliche Feinabstimmung geht dann in einen kontinuierlichen Prozess über. Die Feinabstimmung wird in der Realität jedoch nur selten über einen langen Zeitraum und oft mit sehr geringen Kapazitäten durchgeführt. Kontinuierli- che Verbesserungen der IT-Konzepte, angelehnt an die Methoden von TPS und Kaizen, können die Effizienz der IT mittel- bis langfristig deutlich erhö- hen (vgl. Kap. 5.4 Kaizen in der IT). 448 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss 5.13.4 Anwendungsgebiete von PSS Prozess- oder produktionsynchrone Software kann in allen erdenklichen IT-An- wendungsfällen umgesetzt werden. Im Bezug auf die Entwicklung eines optima- len modernen Materialflusses sind folgende typische Umsetzungen zu nennen: • Professionelle Implementierung eines maßgeschneiderten Programms in Standardsoftwaresysteme (z. B. MRP-System): Das vorhandene MRP-System kann die Aufgabenstellung nicht vollständig erfüllen. Teile des MRP können mit beliebigen anderen Systemen kombiniert werden. Der Steuerungsteil kann dann über ein PSS-Tool abgebildet werden. • Spezifische eKanban-Unterstützungen oder Umsetzungen, die zum Beispiel Maschinen- bzw. Anlageninformationen oder Internetportale nutzen. • Steuerungsalgorithmen, die mehrere Produktionsstufen und Anlagenpro- zesse integrieren. • Steuerung und Abgrenzung heterogener Materialflüsse und diverser Steue- rungslogiken (Kanban-Varianten, MRP und Sonderfälle, wie die Abbildung von hybriden Steuerungen und matrixhybriden Systemen, materialnum- mernneutrales Kanban, Kapazitätsteuerungen etc.) • Abbildung spezieller Controllingtools, z. B. komplexere spezifische Value- stream-Controllingtools, prozessbezogene Zeiterfassungsfunktionalitäten zur Prozesskostenrechnung etc. • Einbindung von Simulationstools in Materialfluss und Produktionsabläufe zur Planung. • Anbindung von Maschinen und Steuerungen. • Spezifische Informationstools für Lieferanten-Kanban- oder Vendor Inven- tory Management-Komponenten. • Komfortable individuelle Anbindung von Lagerverwaltungssystemen (LVS), Maschinen und Anlagen an MRP-Systeme. 5.14 Identifizieren mit automatischer Identifikation (Auto-ID) – Radio Frequency Identification (RFID) und/oder Barcode Thomas Rosenhammer, Bluhm Systeme GmbH Automatisiertes Kennzeichnen und Identifizieren in der Logistik ist für einen sicheren Ablauf mehr als nur eine Option. Je nach Menge der Produkte bzw. Waren, die bewegt werden, liegt hier auch ein enormes Einsparpotential. Als selbstverständlich wird die Kennzeichnung von Gütern mittels eines Etiketts und eines Barcodes vorausgesetzt, aber ist dies die einzige (sinnvolle) Möglich- keit? Folgender Abschnitt setzt sich mit dem Thema Auto-ID auseinander und betrachtet insbesondere die Möglichkeiten von Radio Frequency Identification (RFID) im Warenfluss. 5.14 Identifizieren mit Auto-ID, RFID und/oder Barcode 449 5.14.1 Auto-ID – Welche Technologien gibt es? Automatische Identifizierung, kurz Auto-ID, begegnet uns im täglichen Leben bei Zutrittskontrollen, an der Supermarktkasse, beim Bankautomaten usw. Dem Bereich Auto-ID sind folgende Systeme zuzuordnen: • Barcode (1D und 2D Codes), • Chipkarten/Magnetkarten, • OCR-(Optical Character Recognition)-Klarschrifterkennung, • Biometrische Verfahren, • Iris-Scan, • Fingerabdruck-Scan, • Handflächen-Scan und • RFID. 5.14.2 Gegenüberstellung der verschiedenen Technologien Wie bereits erwähnt, sind Barcodes als Standard im Materialfluss etabliert. Wel- che Vor- und Nachteile die verschiedenen Technologien bieten, kann der fol- genden Übersicht entnommen werden: Tabelle 5.14.1 Gegenüberstellung der Identifikationstechnologien Leseabstand Lesege- schwin- digkeit Daten- menge Schrei- ben Verschlüs- selung, Daten- sicherheit Kosten Barcode Linear Code ca. 0,5 m (*1)(*2) +++ + nein O + Barcode 2-D Code ca. 0,4 m (*1) + ++ nein O ++ Chipkarten auf Kontakt ++ +++ ja + + Magnetkarten auf Kontakt + + ja O + OCR** ca. 0,1 m (*1) + +++ nein O +++ Biometrische Verfahren auf Kontakt + +++ nein +++ +++ RFID bis zu 5 m (*3) +++ (*3) +++ ja +++ +++ (*3) *1 abhängig von Lesegerät, 0 keine Distanzangabe für Standardlesegerät + niedrig *2 mit Long-Range Scanner bis zu 10 m ++ mittel *3 UHF Technologie mit 2 W Leistung +++ hoch ** Optical Character Recogniton 450 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss Die Klarschrifterkennung Optical Character Recogniton (OCR) ist Standard im Bereich der Briefpost. Die Verteilungszentren sortieren automatisch nach Postleitzahlen. 2-D-Code, z. B. Datamatrix, wird häufig im Dokumentenfluss eingesetzt, z. B. bei Behörden. Datamatrix findet sich etwa im Adressfeld oder zwischen den Lochungen bei den Schreiben des Finanzamts. Barcode EAN128 (European Article Number), in Form einer „Nummer der Versandeinheit“ (NVE), hat sich für den übergreifenden Warentransport, d. h. zwischen Unter- nehmen, durchgesetzt. Ähnlich, nur mit dem Medium RFID, versucht die GS1 (Normierungsorganisation: Global Standards for Business) dies mit dem Elek- tronischen Produktcode (EPC) zu etablieren. Die biometrischen Verfahren, Chip- und Magnetkarten spielen im Materialfluss keine wesendliche Rolle. Grund dafür ist, dass diese Technologien ihre Informationen nur über Kontakt- Lesegeräte weitergeben. 5.14.3 Barcode versus RFID Unternehmen befürchten vielfach, dass sie bei der Einführung von automatisier- ter Kennzeichnung und Identifizierung aufs „falsche Pferd setzen“. Deshalb hier ein Überblick der Vor- und Nachteile der beiden Haupttechnologien Barcode und RFID: Vorteile RFID: • Möglichkeit, ohne Sichtkontakt Produkte zu identifizieren, • Lese- und Schreibmöglichkeit, • Bulk Reading (gleichzeitiges Lesen mehrer Produkte), • Möglichkeit, beim Einsatz von Spezialchips Spezialapplikationen zu lösen – z. B. RFID Chip, der auch die Temperatur speichern kann, für den Transport von Tiefkühlware. Vorteile Barcode: • Preiswerte, flächendeckend verfügbare, standardisierte Technik und • Einheitliche Normierung (EAN, UPC Code Standards). 5.14.4 Eigenschaften von Transpondern Dieser Tage wird viel über RFID berichtet. Meist im Zusammenhang mit der Metro Group und dem Future Store. Das kleine Detail, dass es sich hier um die so genannte Ultra-high-frequency-RFID (UHF-RFID) Technologie handelt, wird selten erwähnt, dabei ist diese wegen der großen Lesereichweiten die eigentliche Neuheit. Grundsätzlich ist RFID keine neue Technologie, sie ist den meisten bereits durch den täglichen Gebrauch „bekannt“, sei es die Wegfahrsperre im 5.14 Identifizieren mit Auto-ID, RFID und/oder Barcode 451 Auto, der Türöffner am Firmentor oder die Zeiterfassung in den Betrieben usw. RFID-Tags oder auch Transponder können nach einer Vielzahl von Eigenschaf- ten eingeordnet und unterschieden werden. Nicht jeder Transponder eignet sich, aufgrund unterschiedlichster Eigenschaften, für Aufgaben im Materialfluss. Abbildung 5.14.1 gibt eine Übersicht über die Eigenschaften von RFID. 5.14.5 Einsatzbeispiele verschiedener Frequenztypen Eine pauschale Aussage, welche Bauform, wie viel Speicher oder welche Fre- quenz geeignet ist, kann nicht getroffen werden und sollte je nach Aufgabenstel- lung untersucht werden. Am wichtigsten erscheint die Unterscheidung anhand der Frequenz. Die RFID-Technik ist von der Low-frequency- (LF) über die High- frequency- (HF) zur UHF-Technik „gewachsen“. Für die verschiedenen Fre- quenzen sind immer eigene Lese- und Schreibgeräte nötig; die zueinander nicht kompatibel sind. Tabelle 5.14.2 Unterschiede der Frequenztypen für RFID-Lese- und Schreibgeräte LF – 125 KHz HF – 13,65 MHz UHF – 868 MHz Frequenz 125 KHz 13,65 MHz 866−868 MHz Europa 902−928 MHz USA 950−956 MHz Japan Leseabstand bis ca. 5 cm (*1) bis ca. 40 cm (*1) bis ca. 5 m (*1) Lesegeschwindigkeit gering mittel hoch Lesen und Schreiben mit Spezialchip Standard Standard Bulk Reading nein Standard Standard Datenmenge schlecht mittel hoch Standardisierung Lesegeräte mittel mittel gering Preise für Lesegerät mittel mittel sehr hoch Preise für Tag mittel mittel mittel *1: mit den max. in Deutschland erlaubten 2 Watt Leistung, abhängig von Antennen RFID Frequenz Aktiv/Passiv Bauform Normierung Read only, Read/write Speicher Abb. 5.14.1 Übersicht der Eigenschaften von RFID 452 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss LF – 125 KHz • Wegfahrsperre im Auto. • Brieftaubenidentifizierung: Transponder wird mit einer Manschette am Bein der Taube befestigt, im am Eingang des Taubenschlages befindet sich das Le- segerät. • Skipass-Kontrolle (u. a. Swatch Access Uhr). • Zutrittskontrolle. • Markierung von Schlachtvieh. • Kennzeichnung von Bierkegs. HF – 13,65 MHz • Bibliotheken: Kennzeichnung von Büchern. • Haustiere: „Impfnachweis“ in Glastranspondern unter der Haut. • Sportveranstaltung: Zeitnahme. • Zutrittskontrolle. UHF 868 MHz • Sportveranstaltung: Zeitnahme. • KFZ: Reifendrucküberwachung. • KFZ: „Keyless Entry“ – schlüsselloser Eintritt (Kombination aus HF und UHF Technik). • Logistik: Kennzeichnung von Paletten, Lesen beim Durchfahren des Staplers durch „RFID-Gates“. Auto-IDs stellen mit dem eingesetzten Datenmedium die Weichen, für die Anwendbarkeit Technologie. 5.14.6 Ersetzt RFID den Barcode – Wo sind die Grenzen? Ersetzt die RFID Technik bald den Barcode? – Dies ist nicht zu erwarten, da der Strichcode eine unschlagbar günstige Technologie ist. RFID im Bereich Auto-ID ist eine Ergänzung. Folgendes Beispiel belegt das: „Wenn Sie morgens am Früh- stückstisch sitzen und einen Blick auf Ihre Müslipackung, Marmeladengläser, Butter, Milchtüten usw. werfen, werden Sie auf jedem dieser Produkte ein EAN- Barcode für die automatische Identifizierung an der Supermarktkasse finden.“ Um wie viel würde sich der Preis des Produktes reduzieren, wenn der Barcode auf der Verpackung weggelassen wird? „Um 0,00 Euro!“ Anders verhält es sich bei der Kennzeichnung mit RFID. Hier würde immer- hin ein Mikrochip mit Antenne eingespart. Nach Einschätzung der deutschen Abteilung der Standardisierungsorganisation – GS1 Germany (Global Standards One) – wird eine Kennzeichnung des Einzelprodukts im Konsumgüterbereich frühestens in 10−15 Jahren erwartet, wenn überhaupt. Einsparungen lassen sich allerdings im Bereich der Logistik erzielen, etwa bei der Kennzeichnung von Paletten und anderer Ladungsträger. 5.14 Identifizieren mit Auto-ID, RFID und/oder Barcode 453 Vorteile der Kennzeichnung mit RFID: • Eindeutige Zuordnung der Güter innerhalb der Logistikkette. • Das Lesen und Beschreiben der RFID-Tags kann automatisiert werden, das bedeutet Zeitersparnis. • Zusatzapplikationen werden Realität, z. B. Transponder zur Qualitätsverbes- serung, der überwacht, dass Tiefkühlprodukte keine Mindesttemperatur überschreiten. • Weniger Schwund, da verlorene Teile aufgespürt werden können. • Messwerte und Rückverfolgungsdaten können am Produkt mit geringem Aufwand automatisch ergänzt werden. • Daten verbauter Einzelteilen, Baugruppen oder Teile, die bei Nacharbeit aus- getauscht wurden, können Baugruppen am Objekt zugeordnet werden. • Informationen können dezentral direkt am physischen Material mit höherer Zuordnungssicherheit mitgeführt werden. Auch wenn z. B. Behälterzuord- nungen vertauscht werden, bleiben die Daten richtig. Für den Materialfluss innerhalb eines Unternehmens ist man nicht an Standards oder Normen gebunden. Es kann sowohl das Medium (Barcode, Chipkarte, RFID etc.) als auch die Detailspezifikation (z. B. Barcode = > 2-D-Code = > DataMatrix) frei gewählt werden. Verlässt der Materialfluss das Unternehmen und soll die Kennzeichnung auch von Kunden gelesen und weiterverwendet werden, macht es Sinn, die bereits bestehenden Normen zu verwenden. 5.14.7 Verwendete Auto-ID-Standards • EAN-8-, EAN-13-Code: Die European Article Number wird bei Konsumgütern verwendet. Der EAN-Code (European Article Number) beinhaltet ein Län- derkennzeichen, eine Betriebsnummer und eine Anzahl von freien Zeichen für die Artikelnummer. Ein EAN-13- oder EAN-8-Code wird in Deutschland von der GS1 ehemals CCG (Centrale für Coorganisation) auf Antrag verge- ben. Der EAN-8- bzw. EAN-13-Code kennzeichnet Produkt z. B. von der Her- stellung bis zur Supermarktkasse. • NVE Label (Nummer der Versandeinheit): Die Nummer der Versandeinheit ist eine weltweit eindeutige Nummer zur Identifizierung einer Versandeinheit (z. B. Palette). Zur Generierung einer NVE ist eine Betriebsnummer von GS1 Germany erforderlich. Das NVE-Label wird mit der EAN-128-Strichcode-Sym- bologie generiert. Datenbezeichnung, z. B. „00“ Kennzeichen die enthaltenen Informationen, wie z. B. Artikelnummer, Chargennummer, Mindesthaltbar- keit, Gewicht. Eine NVE-Kennzeichnung ist eindeutig, alle Teilnehmer garan- tieren, dass sich eine NVE-Nummer frühestens nach 10 Jahren wiederholt. Die Details wie das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD), Gewicht, Bestellnummer etc. können – müssen aber nicht – in einem zweiten oder dritten Barcode auf dem NVE-Label angegeben werden. Dies wird meist individuell zwischen Lieferant und Kunden definiert. 454 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss • ISBN-Code für Bücher: Die 13-stellige EAN für Bücher und andere Verlags- produkte wird erzeugt, indem der 10-stelligen ISBN (International Standard Book Number) die Zahl 978 vorgesetzt wird bzw. 977 bei Zeitschriften mit ISSN Code (International Standard Serial Number). Eindeutige Kennzeich- nung von Printprodukten ist möglich. Umfangreiche Datenbanken sind vor- handen. So können anhand der ISBN-Nummer Printprodukte bestellt, nach- bestellt oder nachgedruckt werden. • EPC (Electronic Product Code): Im Gegensatz zum herkömmlichen Barcode wird für die Speicherung ein RFID-Tag genutzt. Es ist eine mittelfristige Ablö- sung des NVE-Labels angestrebt. Mit dem EPC ist auch eine übergreifende Datenbank „ein Internet der Güter“ geplant. Die meisten in der Praxis realisierten RFID-Anwendungen sind Individuallö- sungen, die in einem Unternehmen, z. B. bei der Produktion bis zum Warenaus- gang, Anwendung finden. Der hohe Preis für einen RFID-Tag amortisiert sich hier, weil die meisten Anwendungen die Behälter oder eine Karte, und nicht die Waren kennzeichnen und diese in einem Kreislauf immer wieder verwenden. Die in der Praxis (bisher) eingesetzte Technologie ist LF oder HF. 5.15 Neue Ansätze ergonomischer Kommunikationstechnologien zu MRP-Systemen Michael F. Zäh, Henning Rudolf, Wolfgang Vogl, Mathey Wiesbeck, Institut für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften (iwb), Technische Universität München Die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Betriebe hängt laut einer aktuellen Stu- die des Fraunhofer ISI [Schirr 03] entscheidend von der Fähigkeit ab, „mit tech- nologisch führenden Produkten und einer flexiblen und leistungsfähigen Pro- duktion kundenindividuelle Produkte höchster Qualität herstellen zu können“. Der vorliegende Beitrag behandelt ergonomische Kommunikationstechnologien in der hochvariantenreichen, manuellen Montage. Die zu lösenden Problemfel- der sind zum einen die Bereitstellung einer großen Anzahl an Bauteilen für die Vielzahl der Varianten und zum anderen die Führung des Mitarbeiters durch einen hochkomplexen Montageablauf mit unterschiedlichen Arbeitsschritten. Basis für neue wirtschaftliche Lösungen sind eine effiziente Identifikation der Bauteile sowie eine ergonomische Bereitstellung von Arbeitsanweisungen für den Montagemitarbeiter. Im vorliegenden Artikel werden verschiedene Systeme zur Objektidentifikation, zur Erstellung von Montageanweisungen und zu deren Bereitstellung aufgezeigt. Es werden jeweils die Vor- und Nachteile der Einzelsys- teme dargestellt. Darüber hinaus wird das Potential bei der Verbindung zu einem Gesamtansatz in einem Montageszenario für eine hochvariantenreiche Montage aufgezeigt. Im folgenden Kapitel „Identifikation im Montageprozess“ werden die für die Umsetzung notwendigen Anforderungen an die Identifikationstechnik 5.15 Neue Ansätze ergonomischer Kommunikationstechnologien zu MRP-Systemen 455 erläutert und die verschiedenen Technologien miteinander verglichen. Im An- schluss daran erfolgt eine Betrachtung der Methoden und Systeme zur Erstellung von Montageanweisungen und der Möglichkeiten zu deren Visualisierung. 5.15.1 Techniken zur Identifikation im Montageprozess Die effiziente und eindeutige Identifikation im Montageprozess steht in Bezug zur Identifikation in Produktions- und Logistikanwendungen. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick verschiedener Techniken gegeben, die miteinander im Anschluss verglichen werden. Weiterführende Detailinformationen zur Identifi- kationstechnologie finden Sie im Beitrag 5.14 Identifizieren mit RFID und/oder Barcode – Auto-ID. Klarschrift Die Klarschrifterkennung (engl. Optical Character Recogniton: OCR) erlaubt die Erkennung von Information in maschinell oder auch handschriftlich erstellten Texten. Vorteil hierbei ist, dass seitens der bestehenden Informationsträger keine aufwändigen Änderungen durchzuführen sind. Die komplexere Erken- nung von Handschriften kann zur Weitergabe von Informationen, wie Fehler- meldungen oder variantenspezifischen Merkmalen, an im Montageablauf fol- gende Arbeitsplätze verwendet werden. Barcode Der Barcode (Strichcode) besteht aus einem Feld von parallel angeordneten Strichen und Trennlücken in einem bestimmten Muster und wird durch opti- sche Laserabtastung ausgelesen. Aufgrund seiner geringen Kosten und der ho- hen Standardisierung hat sich der Barcode in den vergangenen Jahrzehnten zur meistverbreiteten Identifikationstechnik entwickelt [Fink 02; And 04]. Zu den Nachteilen des Barcodes zählen, dass das Auslesen der Informationen eine di- rekte Sichtverbindung zwischen dem Lesegerät und dem Barcode erfordert und der Barcode im Vergleich zu anderen elektronischen Identifikationstechniken relativ anfällig gegenüber Feuchtigkeit, Verschmutzung und Beschädigung ist. Chipkarten Chipkarten sind elektronische Datenspeicher, die wegen der besseren Handha- bung in eine brieftaschentaugliche Plastikkarte integriert sind. Über Kontaktfe- dern wird in einem Lesegerät eine galvanische Verbindung zu den Kontaktflä- chen der Chipkarte hergestellt [Fink 02]. Einer der wesentlichen Vorteile der Chipkarte liegt darin, dass die in ihr gespeicherten Informationen weitestgehend gegen unerwünschten Zugriff und Manipulation geschützt sind [Fink 02]. Ein Nachteil der Chipkarte ist die Anfälligkeit der Kontakte für Abnutzung, Korro- sion und Verschmutzung. 456 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss Radio Frequency Identification (RFID) Der Begriff RFID bezeichnet eine Technologie, bei der mobile Datenspeicher über Funk ausgelesen und beschrieben werden können. Ein RFID-System be- steht aus den folgenden drei Komponenten [Fink 02]: • Einem mobilen Datenspeicher, Transponder oder auch Tag genannt. Trans- ponder ist ein Kunstwort, das sich aus den beiden englischen Begriffen „transmitter“ (Sender) und „responder“ (Antwortgeber) zusammensetzt. Der Transponder kann ausgelesen und je nach Ausführung auch wieder beschrie- ben werden. • Einem Schreib-/Lesegerät, das die in seinem Ansprechbereich befindlichen Transponder gezielt ansprechen, ihre Daten auslesen und die Transponder je nach Ausführung neu beschreiben kann. Das Schreib-/Lesegerät verfügt über eine Schnittstelle, die die Anbindung des RFID-Systems an ein Computersys- tem erlaubt. • Einem Rechner, der die Aktivitäten des RFID-Systems über eine Applika- tionssoftware steuert. Im Montageprozess ermöglicht die RFID-Technik eine vielfältige Entwick- lung der situationsbezogenen Interaktion, welche über die reine Identifikation hinausgeht. Transponderbehaftete Bauteile können Geometrieinformationen oder Handhabungsanweisungen tragen und ermöglichen in bestimmten Umge- bungen eine Erfassung ganzer Regalsysteme („Pulkerfassung“). Vergleich der Identifikationstechniken Die oben genannten automatischen Identifikationssysteme (Auto-ID-Systeme) stehen in verschiedenen Anwendungsfeldern im Wettbewerb. Ein Vergleich der Systeme bezüglich ausgewählter Eigenschaften ermöglicht die gezielte Auswahl einer Identifikationstechnik. Tabelle 5.15.1 Vergleich der Identifikationstechniken Systemparameter RFID Barcode Chipkarte OCR Leistungsfähigkeit Typische Datenmenge (Byte) 16−64 k 1−100 16−64 k 1−100 Lesegeschwindigkeit (incl. Handhabung) sehr schnell schnell schnell schnell Lesereichweite 0−100 m 0−50 cm direkter Kontakt < 1 cm Variabler Informationsträger ja nein ja nein Sichtkontakt erforderlich nein ja ja nein Pulkfähigkeit möglich nein nein nein Lesbarkeit durch Personen unmöglich bedingt unmöglich sehr gut Kosten hoch sehr gering gering mittel 5.15 Neue Ansätze ergonomischer Kommunikationstechnologien zu MRP-Systemen 457 Systemparameter RFID Barcode Chipkarte OCR Funktionssicherheit Empfindlichkeit: mechanische, thermische, chemische Einflüsse gering hoch hoch hoch Einfluss von Feuchtigkeit und Verschmutzung eher gering sehr hoch sehr hoch sehr hoch Einfluss von elektromagneti- schen Störquellen u. U. sehr hoch kein Ein- fluss kein Ein- fluss kein Ein- fluss Einfluss von Zwischen- und Hintergrundmaterial u. U. hoch Totalausfall Totalausfall Totalausfall Einfluss von Richtung und Lage eher gering hoch sehr hoch hoch Einfluss von Abnutzung und Verschleiß kein Ein- fluss mittel mittel hoch Sonstiges Informationssicherheit mittel gering hoch sehr gering Standardisierung gering sehr hoch sehr hoch 5.15.2 Methoden und Systeme zur Erstellung von Montageanweisungen Die Montage stellt die Vollendungsphase des Produktentstehungsprozesses dar, in die die Ergebnisse sämtlicher vorhergehender Produktionsbereiche eingehen. Sie umfasst damit nicht nur ein mechanisches Fügen aller Einzelteile und Bau- gruppen, sondern schließt auch alle erforderlichen Nebentätigkeiten ein. Sie kann in folgende Teilfunktionen untergliedert werden: • Kommissionieren. • Handhaben. • Justieren (Einstellen, Abstimmen, Anpassen). • Kontrollieren. • Fügen und • Sonderfunktionen (Reinigen, Entgraten, Markieren, …). Aufgrund der Komplexität der Aufgabe ist es oftmals notwendig, diese de- tailliert in Form eines Montagearbeitsplans zu strukturieren (s. Abb. 5.15.1). Der Montagearbeitsplan enthält Informationen über das Erzeugnis, die Be- triebsmittel am jeweiligen Arbeitsplatz sowie über die Reihenfolge der konkre- ten Montagearbeitsvorgänge mit den dazugehörigen Vorgabezeiten [Ever 77, Ever 02]. Tabelle 5.15.1 (Fortsetzung) 458 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss Abb. 5.15.1 Montagearbeitsplan Laut einer aktuellen Studie der Universität Hannover [Drab 04], an der 75 deutsche Unternehmen aus den Bereichen Automobil sowie Maschinen- und Anlagenbau beteiligt waren, stellt sich die eingesetzte Systemlandschaft im Be- reich der Arbeitsplanung wie folgt dar: Abb. 5.15.2 EDV-Systeme in der Arbeitsplanung Hiernach nutzen 32 % der befragten Unternehmen SAP R/3 mit dem Modul PP für die Arbeitsplanerstellung. Der zweitgrößte Anteil mit 25 % verwendet Eigen- entwicklungen auf der Basis proprietärer Softwaresysteme, wie zum Beispiel Microsoft Excel©. Ein weiterer großer Teil der Unternehmen (20 %) führt die Er- stellung von Arbeitsplänen ohne jegliche Softwareunterstützung durch. Lediglich 2 % der Unternehmen nutzen das von der Stuttgarter Firma Camos© entwickelte 5.15 Neue Ansätze ergonomischer Kommunikationstechnologien zu MRP-Systemen 459 Expertensystem Camos.CAPP. Camos.CAPP ist trotz dieses geringen Gesamtan- teils Marktführer bei der Generierung von Stücklisten und Arbeitsplänen komple- xer Produkte. Neben dem Begriff des Montagearbeitsplans wird häufig auch der Ausdruck der Arbeitsunterweisung verwendet, der sich lediglich im Detaillierungsgrad unter- scheidet. So beschreibt die Arbeitsunterweisung auszuführende Arbeitstätigkeiten im Detail und wird in der Montage beispielsweise für die Einarbeitung neuer Ar- beitskräfte oder bei einem stark variierenden Aufgabenspektrum eingesetzt [Esch 03]. Während in der Vergangenheit Arbeitsanweisungen meist manuell erstellt und den Mitarbeitern in Papierform zur Verfügung gestellt wurden, werden heute oftmals softwaretechnische Lösungen gewählt, die den Mitarbeitern Informatio- nen zur Verfügung stellen. Ein Vorteil dieser Methode ist, dass der Austausch durch eine zentrale Veränderung der Arbeitsanweisungen deutlich einfacher ist als bei papierbasierten Anweisungen. Durch eine Erweiterung derartiger Systeme mit Identifizierungstechnologien können Informationen dynamisch – in Abhän- gigkeit von der Verfügbarkeit, vom Ort, von Material oder Werkzeug – erstellt werden. 5.15.3 Visualisierung/Ausgabe von Montageanweisungen Insbesondere in der Kommissionierung ist eine hohe Varianz an Arbeitsinhalten vorzufinden, da hier eine kundengerechte Bedarfsmenge eines oder mehrerer Artikel zusammengeführt und für die Versendung bereitgestellt wird. Aus die- sem Grund ist bisher die größte Systemunterstützung auch im Bereich der Kommissionierung zu finden. Die häufigsten Arten sind dabei Pick-to-light- Systeme, bei denen der Kommissionierer die Artikel aufgrund eines Lichtsignals greift, das ein Lämpchen am jeweiligen Lagerplatz anzeigt, bei denen der Kom- missionierer per Sprachsteuerung seine Picklisten abarbeitet. Pick-to-light-Systeme werden überwiegend von Lagertechnik-Anbietern an- geboten, während Pick-by-voice-Systeme von Spezialisten auf dem Gebiet der Spracherkennung entwickelt werden (s. Abb. 5.15.3). Beide Systemarten werden Abb. 5.15.3 Pick-to-voice Gerät (Quelle: Vocollect Europe) 460 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss über Schnittstellen von übergeordneten Systemen der Lagerverwaltung ange- sprochen. 5.15.4 Pick-to-vision-Systeme Während sich die beiden vorher vorgestellten Technologien zum Großteil auf den Einsatz in der Kommissionierung beschränken, eröffnet Pick-to-vision unter Verwendung der Augmented Reality Technologie (AR; „erweiterte Reali- tät“) ein weitaus breiteres Einsatzfeld. Hierbei werden dem Menschen auf inno- vative Weise orts-, situations- und zielgerichtet Informationen zum betrachteten Objekt ins Blickfeld eingeblendet. Als Ausgabegeräte werden typischerweise Datenbrillen, sog. Head-Mounted Displays (HMD) oder Projektoren verwendet. Dabei werden passend zu den gerade im Blickfeld befindlichen Gegenständen gespeicherte Informationen in visueller Form zur Verfügung gestellt. Diese kön- nen bspw. an das fokussierte Objekt angeheftet sein oder überlagern dieses und erweitern so die Realität um kontextrelevante Daten. Produkt- beziehungsweise Prozessinformationen können so intuitiv genutzt werden. Für den Einsatz von Augmented Reality (AR) gibt es eine Vielzahl an Umsetzungsmöglichkeiten, um das reale und das virtuelle Bild miteinander zu überlagern (vgl. 3.9 Virtual Reali- ty und Augmented Reality in der Materialflussplanung). Die Informationen werden jeweils mit räumlichem Bezug eingeblendet. So können z. B. Greifpunkte auf die jeweiligen Fächer eines Regals überlagert werden. Hierfür ist es notwendig, dass die Position des Werkers relativ zu seiner Umwelt erfasst wird. Hierfür wurde ebenfalls eine Vielzahl an so genannten Tracking- Methoden zur Erkennung von Position und Orientierung entwickelt [Hush 04]. Abb. 5.15.4 Pick-to-vision in der Montage 5.15 Neue Ansätze ergonomischer Kommunikationstechnologien zu MRP-Systemen 461 Mithilfe dieser Technologie ist es möglich, dem Monteur benötigte Informa- tionen, wie Arbeitsanweisungen oder technische Zeichnungen situationsgerecht direkt am Arbeitsplatz ins Blickfeld einzublenden. Ein zukünftiges Forschungs- ziel ist es, ähnlich wie bei Pick-to-light- oder Pick-to-voice-Systemen, die not- wendigen Informationen aus übergelagerten Planungssystemen zu übernehmen und aufgabenspezifisch anzupassen. Ebenso waren in der Vergangenheit RFID- Systeme weitgehend Individualentwicklungen, was vor allem in der Vielzahl verschiedener Anbieter, Technologien und Anwendungsfelder begründet lag. Mit der zunehmenden Reife bzw. Standardisierung der Technologie und der damit einhergehenden Größe der zu realisierenden Systeme verlieren diese aber nach und nach ihren Prototypencharakter und es verschiebt sich der Fo- kus hin zum Aufbau komplexer Gesamtsysteme [Thie 05]. Zentraler Aspekt ist dabei die Gestaltung der Softwarearchitektur zur Steuerung der eingesetzten Optical-See-Through (OST) reale Welt halbdurch- lässiger Spiegel Monitor Optical-See-Through (OST) reale Welt halbdurch- lässiger Spiegel Monitor Video-See-Through (VST) reale Welt Monitor Mischer Kamera Video-See-Through (VST) reale Welt Monitor Mischer Kamera Projection-AR (PAR) Projektor reale Welt Projection-AR (PAR) Projektor reale Welt Monitor-AR (MAR) Kamera Mischer Monitor-AR (MAR) Kamera Mischer Abb. 5.15.5 Visualisierungsverfahren mithilfe von AR Abb. 5.15.6 Trackingverfahren zur Erkennung von Position und Orientierung 462 5 EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss Hardware und zur Einbindung weiterer Informations- und Visualisierungssys- teme [Kuba 03]. Szenario für die hochvariantenreiche Montage: Aufgrund des großen Variantenspektrums können die Montageinhalte nicht mehr für alle Produkte in gleichmäßige Montagearbeitsgänge aufgeteilt werden, denen einzelne Arbeitstakte zugeordnet werden können. Aus diesem Grund ist für ein derartiges Produktionssystem ein Trend zu Einzelstationen mit einem höheren Anteil an Komplettbearbeitung zu erwarten. Am Institut für Werk- zeugmaschinen und Betriebswissenschaften wurde daher ein Montageszenario für eine hochvariantenreiche, manuelle Montage entwickelt, bei der Bauteile mithilfe der RFID-Technologie erkannt und chaotisch einem Durchlaufregal zugeordnet werden können. Dem Monteur werden der Lagerort und die notwen- digen Montageschritte auf eine HMD-Datenbrille ausgegeben. Der hier vorge- stellte Aufbau ermöglicht, die für die Montage bereitgestellten Bauteile am Ver- bauort zu identifizieren bzw. durch entsprechende Sensoren im Bereitstellregal zu lokalisieren. Die aus dem Lager angeforderten Teile werden dazu in mit Transpondern ausgestatteten Behältnissen geliefert. Zugleich können behältnis- und bauteilspezifische Merkmale (z. B. Maße, Gewichte, Schwund etc.) direkt am Behältnis hinterlegt werden, um diese in nachgelagerten Arbeitschritten ohne Zugriff auf zentrale Datenstrukturen zu verwenden. Das Regal teilt dem Arbeits- platz mit, mit welchen Komponenten es vorkommissioniert ist und in welchen Einschüben sich diese befinden. Wird die Fertigung eines spezifischen Auftrages eingelastet, wird zunächst überprüft, welches Regalsystem an welchem Montage- arbeitsplatz am besten vorkommissioniert ist. Auf dieser Basis wird der Monta- gearbeitsplatz ausgewählt, in dessen Auftragsliste das zu montierende Produkt eingereiht wird. Gleichzeitig wird in den Lagerbereich ein Kommissionierauftrag entsandt, mit welchen Behältern das Regal zusätzlich zu bestücken ist. Sobald das Regal mit den notwendigen Behältern bestückt wurde, wird der Auftrag freigege- ben. Beim Befüllen des Regalsystems wird dem Kommissionierer (mithilfe von Augmented Reality) mitgeteilt, welche Behälter für die weiteren Aufträge in der Auftragsliste nicht mehr notwendig sind und entsprechend ausgetauscht werden können. Die Behälter, die in das Regal geschoben werden, teilen dem übergeord- neten Informationssystem per RFID mit, welche Materialien sie enthalten. Diese werden in einem zweiten Schritt den einzelnen Fächern (z. B. durch Kontakttas- ter) zugeordnet. Sobald der Montagemitarbeiter seinen Auftrag beginnt, wird ermittelt, welche Bauteile für die nächsten Arbeitsschritte benötigt werden und wo sich diese im Regal befinden. Dann wird ein AR-basiertes Pick-to-vision durchgeführt, bei welchem dem Montagemitarbeiter das Fach und die Anzahl der zu greifenden Bauteile mitgeteilt wird. Nach dem vollständigen Greifen der für die kommenden Arbeitsschritte notwendigen Bauteile werden die folgenden Montagevorgänge per AR dargestellt. Das hier vorgestellte System eignet sich für die Montage komplexer hochvari- antenreicher Produkte. Die hierfür notwendigen Anforderungen können nur mit 5.15 Neue Ansätze ergonomischer Kommunikationstechnologien zu MRP-Systemen 463 einer hohen Systemunterstützung beherrscht werden. Im vorliegenden Szenario wurden hierfür die Basistechnologien AR, RFID und Arbeitsplanungssystem und deren systemtechnische Verknüpfung vorgestellt. Das Institut für Werkzeugma- schinen und Betriebswissenschaften (iwb) mit seinem Lehrstuhl für Montagesys- temtechnik und Betriebswissenschaften beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Montageplanung. Speziell die Montageplanung hochvariantenreicher Pro- dukte wird in einem aktuellen BMBF-Projekt „MUSKIM“ methodisch weiterent- wickelt. Abbildungsverzeichnis Abb. 0.0.V Die Chancen neuer Perspektiven nutzen – herausragende, nachhaltig und im Nachhinein erfolgreiche Ansätze entstehen häufig aus veränderten Blickwinkeln. ............................................... XI Abb. 0.0.1 Die interdisziplinären Aufgabenstellungen im Materialfluss ............ 1 Abb. 0.0.2 Kapitel-Struktur des Buches: Die fünf Elemente des Materialflusses müssen für ein Optimum „verzahnt“ sein.......... 2 Abb. 1.1.1 Anteil der eingebundenen Belegschaft bei Lean-Projekten.............. 10 Abb. 1.1.2 Lean-Projekte mit wenigen Lean-Elementen: Umfassende Umsetzungen sind selten. .................................................................... 11 Abb. 1.2.1 Durchschnittliche Höhe der Lieferfähigkeit: Die Lean-Umfrage zeigt hohe Verbesserungspotentiale in Bezug auf die Lieferfähigkeit. .......................................................... 15 Abb. 1.4.1 Das Kaizen-Prinzip .............................................................................. 22 Abb. 1.4.2 Kaizen-Management-System (KMS) .................................................. 23 Abb. 1.5.1 Fertigungsdurchlaufzeit....................................................................... 26 Abb. 1.5.2 Prozessverknüpfung statt funktionaler Trennung............................ 28 Abb. 1.6.1 Das Ford Produktionssystem .............................................................. 31 Abb. 1.6.2 Das Synchrone Produktionssystem .................................................... 33 Abb. 1.7.1 Bestandteile der Supra-Adaptivität .................................................... 34 Abb. 1.7.2 Struktur und Themenfelder des Verbundes ...................................... 35 Abb. 1.7.3 Flexibilitätsmanagementprozess......................................................... 36 Abb. 1.7.4 Bestandteile des adaptiven Planungskonzepts .................................. 38 Abb. 1.7.5 Phasen und Arbeitsthemen im Outsourcingprozess......................... 40 Abb. 1.7.6 Anforderungen und Lösungsansätze für Mitarbeitereinsatz im supra-adaptiven Umfeld ................................................................ 42 Abb. 1.8.1 Positionierung von LCIA ..................................................................... 44 Abb. 1.8.2 Reihenfolgen von Low Cost Intelligent Automation......................... 45 Abb. 1.9.1 Einfache Poka Yoke Vorrichtung: Werkstückträger ......................... 47 Abb. 1.9.2 Einfache Poka Yoke Vorrichtung – Tableau mit Farbmarkierungen .......................................................... 48 Abb. 1.10.1 Die 8 Säulen von TPM.......................................................................... 52 Abb. 1.10.2 Säule 2 – Autonome Instandhaltung .................................................. 55 Abb. 1.10.3 Säule 3 – Geplante Instandhaltung ..................................................... 56 Abb. 1.10.4 Säule 4 – Schulung und Training ........................................................ 57 Abb. 1.11.1 Kontinuierlicher Verbesserungsprozess ............................................ 59 466 Abbildungsverzeichnis Abb. 1.13.1 Visualisierung von Messdaten im BMW-Intranet mit dem CAQ-System QDA................................................................. 71 Abb. 1.14.1 Das Deming Verbesserungsrad mit dem PDAC-Zyklus................... 76 Abb. 1.14.2 „Alle Mitarbeiter schieben, aber es bewegt sich nichts“................... 77 Abb. 1.15.1 Verteilung direkter zu indirekter Kosten in mittelständischen Unternehmen oder Konzernen........................................................... 79 Abb. 1.15.2 Das Eisberg-Phänomen – Der Großteil des Eisbergs ist nicht sofort sichtbar – ähnlich verhält es sich mit den Gemeinkosten ............................................................................... 79 Abb. 1.15.3 Übersicht der Kostenrechnungsmethoden........................................ 81 Abb. 1.15.4 Aufwand für Wareneingang und Bereitstellung am Arbeitsplatz bei Langsam- und Schnelldrehern...................................................... 83 Abb. 1.16.1 Ebenen der Dezentralisierung und des schlanken Managements....................................................... 92 Abb. 1.17.1 Die sechs Level des effizienten Service-Managements mit Kaizen............................................................................................. 95 Abb. 1.19.1 Änderungshäufigkeit, Änderungsaufwand und Änderungskosten ....................................................................... 106 Abb. 1.19.2 Theoretischer und realer Projektfortschritt bei stufenweise geplanten Verbesserungsprojekten.................................................. 111 Abb. 1.19.3 Hohe Verbesserungs-Potentiale mit Lean ....................................... 111 Abb. 1.19.4 Strategische Unternehmensplanung – „Anbau“ oder „Umbau“ von Unternehmen versus Ausrichtung am Optimum.................... 114 Abb. 1.19.5 Biologische Entwicklungsprozesse in Unternehmen...................... 115 Abb. 1.20.1 Preis-Leistungs-Abhängigkeit: Eine höhere Leistung zahlt sich überproportional aus. Hochwertigere Produkteigenschaften benötigen zusätzliche Aufwendungen in Konstruktion sowie Produktion und verursachen dadurch höhere Kosten ........ 118 Abb. 1.20.2 Wertanalyse bestimmt den maximalen Nutzwert eines Produktes .................................................................................. 119 Abb. 1.20.3 Kostenentwicklung für die Bereinigung eines Entwicklungsfehlers ................................................................. 120 Abb. 1.20.4 Top-down-Verlauf des Konstruktionsprozesses ............................ 122 Abb. 1.20.5 Abhängigkeit des wirtschaftlichen Risikos von der Stückzahl ...... 127 Abb. 1.20.6 Elemente einer modernen Konstruktion ......................................... 129 Abb. 1.22.1 Vergleich von konstantem Produktionstakt und „atmender Produktion“ ............................................................. 133 Abb. 1.22.2 Vergleich von entkoppelter Produktion und Produktion im Kundentakt.................................................................................... 134 Abb. 2.1.1 Staus und longituditionale Schwingungen ...................................... 140 Abb. 2.1.2 Krisenmanagement in der Beschaffung........................................... 141 Abb. 2.1.3 Snowball-Effekt .................................................................................. 144 Abb. 2.1.4 Der Peitscheneffekt (Bullwhip-Effekt) führt zu Stop-and-go bei den Lieferanten............................................................................. 145 Abbildungsverzeichnis 467 Abb. 2.1.5 Geringe Flexibilität ist die Hauptursache für Störungen................ 147 Abb. 2.1.6 Vergleich der prinzipiellen Entwicklung des Umlaufbestands zwischen klassischer Produktion, Kanban, Null-Bestands- Produktion und hybrider Kanban-Steuerung. ................................. 148 Abb. 2.2.1 Reduzierung der Prozesse durch Lean-Methoden: Durch „ausgefeilte“ Lean-Methoden ist es möglich, den Großteil der Prozesse entfallen zu lassen.................................. 152 Abb. 2.2.2 Layout-Vergleich der drei Materialflusskonzepte: Automatische Hochregallösung, Pufferlagerkonzept und Lean Intelligent Logistics ........................................................... 154 Abb. 2.2.3 Kostenvergleich der drei Materialflusskonzepte: Automatische Hochregallösung, Pufferlagerkonzept und Lean Intelligent Logistics ........................................................... 155 Abb. 2.3.1 Die grundlegenden Steuerungsverfahren agieren basierend auf unterschiedlichen Informationen im Materialfluss.................. 157 Abb. 2.3.2 Eigenschaftsprofile grundlegender Steuerungsverfahren .............. 157 Abb. 2.3.3 Anzahl der Veränderungen in der Auftragsreihenfolge in den Unternehmen .......................................................................... 160 Abb. 2.4.1 Vergleich zwischen Hol- und Bringprinzip ..................................... 164 Abb. 2.4.2 Kanban-Varianten im Einsatz........................................................... 167 Abb. 2.5.1 Momentaufnahme eines Kanban-Zyklus......................................... 170 Abb. 2.5.2 Berechnung von Mittelwert und Standardabweichung der Nachfrage...................................................................................... 174 Abb. 2.7.1 Regelkreis der Dezentralen Bestandsorientierten Fertigungsregelung (DBF) ................................................................. 179 Abb. 2.8.1 Aufbau eines PAC-gesteuerten Produktionssystems...................... 181 Abb. 2.9.1 Übersicht der hybriden Steuerungsalgorithmen............................. 185 Abb. 2.9.2 Optimierung des Erfüllungsgrads durch die hybride Kombination von Steuerungen ......................................................... 188 Abb. 2.9.3 Sicherheit durch hybride- und matrixhybride Steuerungen – „Zwei Augen sehen mehr als eines“.................................................. 189 Abb. 2.9.4 Besseres Erkennen von Fehlern und Störungen mit der Kombination mehrerer Steuerungsverfahren – z. B. Hybrides MRP-Kanban.............................................................. 190 Abb. 2.9.5 Kanban-Penetration in der Industrie............................................... 191 Abb. 2.10.1 Die drei Ebenen der matrixhybriden Steuerung am Beispiel Kanban-MRP.................................................................. 193 Abb. 2.10.2 Reale Hoheit der Steuerungsentscheidung ...................................... 194 Abb. 2.10.3 Eignung der Steuerungsarten Kanban/MRP für das Teilespektrum eines komplexen Produktes........................ 196 Abb. 2.10.4 Vergleich der klassischen Kanban- und der hybriden Steuerung für ein komplexes Produkt.............................................. 196 Abb. 2.11.1 Klassische heterogene Steuerungsmatrix, hier am Beispiel einer Beschaffungsmatrix .................................................................. 198 468 Abbildungsverzeichnis Abb. 2.11.2 Eine reale heterogene Steuerungsmatrix am Beispiel eines mittelständischen Automobilzulieferbetriebs – ein „kunterbunter Blumenstrauß“ ................................................... 199 Abb. 2.11.3 Bedarfscharakteristik im Lebenszyklus ........................................... 201 Abb. 2.11.4 Die optimale Steuerung in Abhängigkeit von der Häufigkeit der Bedarfe.......................................................................................... 203 Abb. 2.11.5 Die optimale Steuerung in Abhängigkeit von der Abruflosgröße....................................................................... 204 Abb. 2.11.6 Grafik zur systematischen Auswahl der heterogenen Steuerungsmethoden, abhängig von der realen Transportzeitverteilung eines Unternehmens ................................ 205 Abb. 2.12.1 Umsatzrendite in Abhängigkeit von der Liefertreue...................... 207 Abb. 2.12.2 Planungen der verschieden Fachbereiche: Sie unterscheiden sich gravierend. ................................................... 207 Abb. 2.12.3 Kleine Losgrößen erreichen durch die feinere „Rasterung“ eine exaktere Annäherung an den Verlauf der Kundenbedarfe ..... 209 Abb. 2.13.1 Mit Lean Production, VCA und VCO werden Störgrößen eliminiert und Sicherheitspuffer systematisch minimiert ............. 212 Abb. 2.13.2 Der dynamische Anteil im Materialfluss hat zugenommen, Momentaufnahmen statischer Bestände haben einen immer geringeren Aussagewert..................................................................... 214 Abb. 2.13.3 Vom Kanban-Kreis über den Materialflusskreis zum Werteumlauf (Valuecycle). ...................................................... 216 Abb. 2.13.4 Darstellungsformen des Umlaufbestandes...................................... 217 Abb. 2.13.5 Der Aussagewert von Lagerbestand oder Auftragsbestand alleine ist in dynamischen Materialflüssen sehr beschränkt ......... 218 Abb. 2.14.1 Die Elemente von Valuecycle Optimizing ....................................... 221 Abb. 2.14.2 Vergleich klassisches Kaizen und Materialfluss-Kaizen ................ 221 Abb. 2.14.3 Systematische Störgrößeneliminierung im Materialfluss (WEQS: Wareneingangsprüfung)..................................................... 223 Abb. 2.14.4 Visualisierung von Verbesserungspotentialen durch VCO ........... 226 Abb. 3.0.1 Gesamtoptimierung geht vor einzelnen Suboptimierungen.......... 229 Abb. 3.1.1 Beteiligte Unternehmensbereiche bei der Kanban-Einführung.... 234 Abb. 3.1.2 Beispielhafte Prozesskette zur Einführung von Kanban-Steuerungen ................................................................. 235 Abb. 3.2.1 Inhalte bzw. Muster einer Kanban-Karte ........................................ 239 Abb. 3.2.2 Form und Darstellung der Kanban-Karten können sehr unterschiedlich sein ........................................................................... 241 Abb. 3.2.3, Abb. 3.2.4 und Abb. 3.2.5 Beispiele von Gitterboxen oder Metallbehältern.......................................................................... 242 Abb. 3.2.6, Abb. 3.2.7 Karten am Karton ............................................................ 242 Abb. 3.2.8, Abb. 3.2.9 und Abb. 3.2.10 Beispiele von Briefkästen bzw. Sammeltafeln ............................................................................. 242 Abb. 3.2.11 und Abb. 3.2.12 Beispiele von Magnettaschen ................................ 244 Abbildungsverzeichnis 469 Abb. 3.2.13 und Abb. 3.2.14 Beispiele von Drahtbügeltaschen .......................... 244 Abb. 3.2.15 bis Abb. 3.2.18 Beispiele von Kleinladungsträgerkarten ................ 244 Abb. 3.2.19 und 3.2.20 Flache Tafeln sind für Schränke im Büro geeignet. Sie sind ein Beispiel für Gemeinkosten-Kanban. ............................ 246 Abb. 3.2.21 Klebebänder zur Markierung von Stellflächen................................ 247 Abb. 3.2.22 und Abb. 3.2.23 Vereinfachte Bereitstellungskonzepte mit Wagen im Durchschubbahnhof ................................................. 247 Abb. 3.3.1 und Abb. 3.3.2 Beispiel einer Kanban-Tafel und einer Produktions-Kanban-Tafel.............................................. 250 Abb. 3.3.3 Funktionsweise der Kanban-Plantafel ............................................. 250 Abb. 3.3.4 Produktionsleveling ........................................................................... 251 Abb. 3.3.5 und 3.3.6 Beispiel einer Kanban-Tafel bzw. eines Heijunka-Boards....................................................................... 252 Abb. 3.3.7 und 3.3.8 Modular steckbare Kanban-Tafeln .................................. 253 Abb. 3.3.9 Kanban-Tafel in Form eines Wagens und ein Durchschub zur Verwaltung von Rüstgruppen (z. B. für Heijunka)................... 253 Abb. 3.3.10 Einflussgrößen auf die Güte der Nivellierung ................................. 254 Abb. 3.4.1 Fachbodenregal................................................................................... 256 Abb. 3.4.2 und 3.4.3 Optimierung der Kommissionierwege bei Fachbodenregalen im Vergleich zu Durchlaufregalen ............. 257 Abb. 3.4.4 Wegzeiteinsparung bei Durchlaufregalen: Sie kann bis zu 40 % gegenüber Fachbodenregalen betragen............................................ 257 Abb. 3.4.5 Paletten-Kommissioniergang............................................................ 258 Abb. 3.4.6 und 3.4.7 SDS-Entnahmeseite und SDS-Rollenbahnen .................. 259 Abb. 3.5.1 Die Komponenten für Manuelle Produktionssysteme (MPS) umfassen Materialbereitstellung, Arbeitsplätze und Arbeitsplatzausrüstung sowie Verkettung ............................... 262 Abb. 3.5.2 Über dieses Supermarktregal erfolgt die Bereitstellung nach dem Kanban-Prinzip über Rollenbahnen. Die Bestandsinformationen werden mit angezeigt. ........................ 263 Abb. 3.5.3 Mit EcoFlow lässt sich der Materialfluss an Arbeitsplätzen, bei der Verkettung sowie im Lager- und Kommissionierbereich einfach realisieren............................... 265 Abb. 3.5.4 Praxisbeispiel für die individuelle Teilebreitstellung ..................... 266 Abb. 3.6.1 Die geringe Verpackungs- und Lagerdichte führen zu einer enormen Verschwendung im Lager. .................................. 269 Abb. 3.7.1 Beispielhafter Rüstzeitanteil an der Gesamtprozesszeit und Produktivitätszuwachs bei einer Verdoppelung der Losgröße (Lebensmittelindustrie).............................................. 275 Abb. 3.7.2 und Abb. 3.7.3 Beispiel für eine Wertstromanalyse für den Ist- und Sollzustand .............................................................. 277 Abb. 3.7.4 Durchgängige, systembasierte Planungsdatenbasis zur Analyse der Materialflüsse und Wertströme............................. 279 Abb. 3.7.5 Produktions- und Planungssysteme im gemeinsamen Einsatz ..... 279 470 Abbildungsverzeichnis Abb. 3.7.6 Tatsächliche Wertschöpfung je Arbeitsvorgang (AVO)................. 280 Abb. 3.7.7 Durchlaufzeitunterschiede einer Produktkategorie ....................... 280 Abb. 3.7.8 Materialflussanalyse........................................................................... 281 Abb. 3.7.9 Dynamische Bestandssimulation für unterschiedliche Losgrößenszenarien ....................................... 281 Abb. 3.8.1 Vorgehensweise eines Fabrikplanungsprojekts .............................. 283 Abb. 3.8.2 Anlagenplanung mit Hilfe der dynamischen Ablaufsimulation ... 284 Abb. 3.8.3 Einsatz von Materialflussplanungssystemen bei der Layoutgestaltung ................................................................... 285 Abb. 3.8.4 Arbeitsplatzgestaltung mit 3-D-Systemen....................................... 285 Abb. 3.8.5 Zusammenführung digital geplanter Teilsysteme zum Gesamtkonzept .......................................................................... 286 Abb. 3.9.1 Virtual Reality in der Konstruktion bzw. Planung materialflusstechnischer Systeme..................................................... 288 Abb. 3.9.2 Virtuelles Modell in realer Fertigung ............................................... 289 Abb. 3.10.1 Lebenszyklus von Fabriken............................................................... 290 Abb. 3.10.2 Layout- und Materialflussplanung mit JobDISPO FAP.................. 293 Abb. 3.11.1 Störgrößeneinwirkungen auf den Materialfluss ............................. 295 Abb. 3.11.2 Phasen des Störungsverlaufes ........................................................... 295 Abb. 3.12.1 Entgelt Aufbau.................................................................................... 299 Abb. 3.12.2 Aufbau leistungsorientiertes Entgelt................................................ 299 Abb. 4.0.1 Typen von Unternehmensnetzwerken – Der Kennwert Zeitfaktor erlaubt die Bewertung der Lieferantentypen. ................ 306 Abb. 4.1.1 Einflussgröße Wiederbeschaffungszeit (WBZ): Kurze WBZ führt zu geringeren Verbindlichkeiten. Bedarfs- und Kapazitätsspitzen werden geringer. .......................... 310 Abb. 4.2.1 Kostenstrategien nach ABC-Klassifikation ..................................... 319 Abb. 4.3.1 Die 80–20-Regel.................................................................................. 324 Abb. 4.3.2 Wareneingangsprüfung..................................................................... 326 Abb. 4.3.3 Notfallplanung.................................................................................... 328 Abb. 4.4.1 Typisches Teilespektrum im Durchschubregal............................... 332 Abb. 4.4.2 C-Teile-Bereitstellung........................................................................ 333 Abb. 4.5.1 Grundlegende Ansätze zur Optimierung von Lieferanten............. 336 Abb. 4.5.2 Ausweichstrategien gegen unausgewogenen Preisdruck ............... 338 Abb. 4.5.3 Der Wertschöpfungsanteil bei Nissan ist gering und nimmt ab. Der Großteil der Wertschöpfung liegt beim Lieferanten. .............. 342 Abb. 4.5.4 Bei der Bewertung durch das TCI-Team werden folgende Bereiche analysiert und optimiert. ...................................................... 344 Abb. 4.5.5 Effizienzvergleich von Nissan (mit Lean Lieferantenmanagement) mit anderen Herstellern in Europa............................................................................................. 345 Abb. 4.5.6 Lean-Lieferantenmanagement.......................................................... 346 Abb. 4.6.1 Das Optimum der drei Faktoren – Produkt, Organisation, Mensch – führt zu einer optimalen der Servicequalität. ................ 349 Abbildungsverzeichnis 471 Abb. 4.6.2 Modell der Wertkette ......................................................................... 350 Abb. 4.6.3 Bausteine einer Kooperation............................................................. 351 Abb. 4.7.1 Die Kostenentwicklung auf der Zeitachse entspricht der Entwicklungskostenkurve. Einseitige Einkaufspreisoptimierung führt häufig zu erheblichen Folgekosten. .............................................................. 354 Abb. 4.7.2 Ursache-Wirkung-Diagramm für Lieferantenprobleme ................ 355 Abb. 4.7.3 Etwa 10−20 % der Lieferanten verursachen 80 % des Krisenmanagements und bestimmen dadurch 50−80 % der Arbeit in Einkauf und Beschaffung............................................ 356 Abb. 4.7.4 Vergleich der Kosten verschiedener Betreuungsstrategien beim Kunden (in Bezug auf den Lieferanten).................................. 357 Abb. 4.7.5 Krisenmanagement für wenige Lieferanten ( 472 Abbildungsverzeichnis Abb. 5.7.3 Dynamische Auswahl der Steuerungsmethode mit Lagergrad und Bedarfscharakteristik ................................................................. 417 Abb. 5.7.4 Beispiel einer dynamischen, angepassten Dimensionierung von Kanban auf der Zeitachse mit Prinzipdarstellung des Einsparungspotentials ................................................................ 418 Abb. 5.7.5 Reales Beispiel einer dynamischen Dimensionierung.................... 419 Abb. 5.7.6 Beispiel der Funktion einer dynamischen Kanban-Dimensionierungssoftware ................................................ 421 Abb. 5.8.1 Beispiel eines Wertstroms als durchgängiges Pull-Prinzip............ 422 Abb. 5.8.2 Beispiel eines Wertstroms als durchgängiges Pull-Prinzip............ 425 Abb. 5.9.1 ERP-Zufriedenheitsstudie 2005 ........................................................ 426 Abb. 5.9.2 Schlanke Software zur Steuerung von Materialflüssen .................. 427 Abb. 5.10.1 Optimierung der Kommunikation mit Kanban-Zulieferern über Portaltechnologie ...................................................................... 432 Abb. 5.11.1 Vor allem bei manuellen Produktions- und Logistikprozessen werden vielfältige Abläufe über die Augen koordiniert. ................ 433 Abb. 5.11.2 Der operative Mitarbeiter im Produktionsumfeld muss vielfältige Informationen verarbeiten. ............................................. 434 Abb. 5.11.3 Eine durch „Visual Factory“ unterstützte Folge von Montageschritten zur Montageführung und lückenlosen Rückverfolgung bei Automobilradios.............................................. 435 Abb. 5.12.1 Visual Manufacturing Operation: Ein Beispiel für bildgeführte Montage eines Automobilradios ..... 438 Abb. 5.12.2 und Abb. 5.12.3 Eine durch „Visual Manufacturing Operation“ unterstützte Folge von Montageschritten: Zusammenstecken und Verschrauben eines Automobilradios...................................... 440 Abb. 5.13.1 Typische Untergliederung von Softwareprodukten in Produktionsunternehmen ............................................................. 446 Abb. 5.14.1 Übersicht der Eigenschaften von RFID............................................ 451 Abb. 5.15.1 Montagearbeitsplan ........................................................................... 458 Abb. 5.15.2 EDV-Systeme in der Arbeitsplanung ............................................... 458 Abb. 5.15.3 Pick-to-voice Gerät ............................................................................ 459 Abb. 5.15.4 Pick-to-vision in der Montage .......................................................... 460 Abb. 5.15.5 Visualisierungsverfahren mithilfe von AR ...................................... 461 Abb. 5.15.6 Trackingverfahren zur Erkennung von Position und Orientierung................................................................................ 461 Tabellenverzeichnis Tabelle 1.1.1 Der Konkurrenzvorteil von Lean Production................................ 8 Tabelle 1.5.1 Durchlaufzeit zu Arbeitszeit .......................................................... 26 Tabelle 1.12.1 Sigma Werte und ihre Bedeutung ................................................. 64 Tabelle 1.12.2 Six Sigma Phasen mit ihren Aktivitäten und den eingesetzten Methoden und Werkzeugen............................. 65 Tabelle 1.13.1 Typische Module eines CAQ-Systems .......................................... 68 Tabelle 1.15.1 Vergleich eines typischen Aufwands bei Langsam- und Schnelldrehern ........................................................................ 83 Tabelle 1.22.1 Die drei Mu: Die drei wesentlichen Verschwendungsarten des Toyota Produktionssystems.................................................. 132 Tabelle 2.2.1 Vergleich der drei grundlegenden Materialflusskonzepte: Automatische Hochregallösung, Pufferlagerkonzept (mit Verlagerung des Zentrallagers) und Lean Intelligent Logistics. Am Beispiel der Automobilindustrie: Vergleich der interdisziplinären Kosten über 10 Jahre Laufzeit. ............... 155 Tabelle 2.8.1 PAC-Parametereinstellungen für verschiedene elementare Steuerungspolitiken.................................................. 183 Tabelle 2.10.1 Typische Störgrößen, die mit einem hybriden Steuerungsalgorithmus abgestellt werden können ................... 195 Tabelle 2.11.1 Optimaler Anwendungsbereich von Steuerungsgrundkonzepten ................................................. 200 Tabelle 2.11.2 Beispiel typischer, idealisierter Kundenanforderungsprofile .. 201 Tabelle 3.1.1 Artikelklassen geeignet für Kanban............................................ 232 Tabelle 4.3.1 Vergleich Odette und Lean Lieferantenbewertung.................... 341 Tabelle 4.9.1 Beispiel einer Vorgehensweise bei Logistik-Outsourcing......... 370 Tabelle 5.1.1 Datenaufkommen eines mittelständischen Montagebetriebs im Automobilzulieferbereich mit ca. 300 Mitarbeitern ............ 384 Tabelle 5.2.1 Vergleich des Kanban-Prinzips mit einer mit MRP kombinierten Kanban-Steuerung ............................................... 395 Tabelle 5.8.1 Checkliste: Standardfunktionen eines Mikro-MRP-Systems ... 423 Tabelle 5.14.1 Gegenüberstellung der Identifikationstechnologien................. 449 Tabelle 5.14.2 Unterschiede der Frequenztypen für RFID-Lese- und Schreibgeräte ......................................................................... 451 Tabelle 5.15.1 Vergleich der Identifikationstechniken...................................... 456 Literatur [Alic 03] Alicke, K. 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Index 3-Mu Verschwendungsarten 132 5A-Aktion 50, 93 5S-Aktion 401 Kaizen 22 Seiketsu (Standardisierung) 22 Seiri (Sortiere aus) 22 Seiso (Sauber halten) 22 Seiton (Systematische Ordnung) 22 Shitsuke (Selbstdisziplin und ständige Verbesserung) 22 5-S-Kampagne in der IT 401 5W-Methode 8, 50, 77, 97 6R – Ziele der flexiblen Produktion 27 6-VCO-Verschwendungsarten 224 6W-Methode 51 8 Säulen von TPM 53 ABC-Analyse 320 Ablaufsimulation 292 Absatzplanung mit EDV 394 Adaptivität FlexLog, Flexibilität 35 ForLog 34 Logistiksysteme 41 MitLog, Mitarbeiter 41 NutzLog, Nutzenverteilung 40 PlanLog, Planung 37 Supra-adaptive Logistik- systeme 34 SysLog, Informationssysteme 37 TransLog, Transport 39 Alliance Supplier Improvement Activity (ASIP) 345 Amortisationszeit 142 Ampel-Steuerung 159 Analysefunktionen 398 Änderungshäufigkeit bei Serienteilen 105 Dynamik 105 Kennwert 105 Qualität 105 Verlauf Änderungskosten 106 Änderungskosten 106 Änderungsmanagement Änderungsverfolgung 107 Checkliste 104 in der Praxis 104 Lean 107 technisch 103 Veränderungsprozesse siehe Lean Veränderungs- prozesse 110 Andon 9 Anwendungsentwicklung 447 APS-System Advanced Planning and Scheduling System 376 Aufbau 377 Arbeitsablaufstudie 86 Arbeitsanweisungen eletronisch verteilt 438 Arbeitsplanung EDV-Systeme 458 Arbeitsplatzdesign 282 Arbeitsplatzgestaltung manuelle Produktionssysteme (MPS) 261 Assemble to order (ATO) 184 Atmende Produktion 133 486 Index Auftrags-Kanban 167 Auftragsproduktion 158 Auftragsstart automatisch 404 eventgesteuert 405 manuell 405 nach Kapazitätsregeln 405 Varianten 404 Augmented Reality (AR) 287, 460 Auslastungsorientierung 202, 355 Auslaufmanagement 386 Auto-ID-Standards 453 Autonomation 9, 30 Autonomatisierungsprinzip 43 Autonome Instandhaltung 55 Babylon Syndrom 3 Bandstopp 97 Barcode 448, 452 Base Stock 159 Bedarfscharakteristik 200 Bedarfsprognose 387 Behälter-Kanban 167 Behältermenge 271 Belastungsorientierte Auftragsfreigabe (BOA) 162 Steuerung 161 Best Practice 343 Konstruktionssystem 125 Leitsätze 7 Lieferantenentwicklung 341 Bestände dynamische 214 statische 214 Bestandscontrolling siehe Controlling Bestandsführung 213 Kanban-Karten 165 Bestandsgenauigkeit 215 Bestandsklassen 214, 216 -kontrollen 216 -logik 215 Bestandsorientierte Verfahren 158 Bestandssteuerung 163 Big Three 51 Bottom-Up Qualifizierung 302 Bottom-up-Prozess 78, 97 Bottom-up-Prozesse Verhinderung von 383 Break-even-point 420 Buchungshorizonte 213 Bulk Reading 450 Bullwhip-Effekt 145, 386 Business-Administration (BA) 33 CAD-Systeme 126 Change Agents 109 Change Management Fehler 110 Organisatorische Rahmen- bedingungen 109 Pioniertheorie 108 Ursprung 108 Veränderungsmanagement 108 Collaborative Planning Forecasting Replenishment (CPFR) 315 Computer Aided Quality Management (CAQ) 67 Grundlagen 67 Praxis 68 Computer Integrated Manufacturing (CIM) 383 Constant Work in Process (CONWIP) 161, 180 Constraint Based Planning (CBP) 377 Control Plan 68 Controlling Bestands- 215 Kanban- 224 Logistik- 211 Projekt- 230 Umlaufbestand 217 Valuecycle Analyze 211 Conwip-Kanban-Steuerung 186 Crossspelling 378 C-Teile Dienstleister 321 Eigenschaften 320 Index 487 Grenzen 323 Kaufhauskonzept 320 Management 318, 324 Betriebsinstandhaltung 330 Dienstleister 331 Eignung der Teile 330 Grenzen 334 Zuverlässigkeit 327 Outsourcing 323 Produktqualität 325 Shop-Systeme 321 Supermarkt-Prinzip 320 Varianten der Beschaffung 321 Das Einfachste ist das Beste 148 Datenaufkommen 384 Datenbankdesign 447 Datenbanksystem 398 Datenbrille 462 Datenpflege 396 Datenqualität Verbesserung 390 Deming-Kreis Shewhart cycle 54, 76, 98 Design for Six Sigma (DFSS) 63 Design Review Based on Failure Mode 121 Dezentrale bestandsorientierte Fertigungsregelung (DBF) 178, 186 dezentrale Steuerung 14 Dezentrale Verantwortung 88, 406 Dezentralisierung 390 Firmenstruktur 89 indirekte Bereiche 89 Kanban 98 produktionsnahe Bereiche 88 selbständige Geschäfts- bereiche 91 Strukturen 86 Stufen 88 Warenfluss 89 Differenztypen 214 Dimensionierung durch hybride Steuerungs- informationen 415 dynamische- 184, 419 dynamische- mit Simulation 187 hybride- der Regelkreise 192 hybrides Kanban 184 iterativ 416 Kanban Dimensionierungs- Systeme (KDS) 413 Kanban-Regelkreise 168 Komplexität 413 simulationsbasiert 420, 421 Standardlösungen 415 statisch 415 Dimensionierungssystem ergänzende Informationen 415 Direktbereitstellung 150 Dispositonskonzepte 312 Dispositonsverantwortung 312 DMAIC Prozess 63 DRBFM 121 Drill-down-Reportings 383 Due Diligence 359 Durchlaufzeit (DLZ) 203, 305 kurz 151 Durchlaufzeitsyndrom 144 Durchschubregal 217 Dynamische Dimensionierung 419 EDI-Technologie 431 Einfaches Optimum 149 Einführung von Kanban 230 Ein-Karten Kanban 165 Einkaufspreisreduzierung hochvolumig 335 Einkaufsstrategie klassisch 335 Eintreffenswahrscheinlichkeit 382 Eiserne Faust 338 eKanban 403 adaptives Prozessmodell 430 Einführung 408 erweiterte Kanban-Prozesse 431 intigriertes 429 488 Index mit SAP 432 Nachteile 407 Standardlösungen 409 Visualisierung der Bestellbestandssteuerung 403 Warehouse-Management- System 404 Electronic Data Interchange (EDI) 431 Elektronische Kanban-Systeme (eKanban) 168, 403 Energontheorie 100 Engpass 140 Engpasssteuerung 202 Enterprise Resource Execution and Administration (EREA) 376 Enterprise Resource Planning (ERP) 376 Entgeltsysteme 297 Entropie 385 Entscheidungskompetenz dezentral 192 Entwicklungspartnerschaften 128 Ergebnisorientierung 74 Ergonomie IT-Systeme 390 ERP-Zufriedenheitsstudie 426 Ethik im Unternehmen 97 Every part every intervall (EPEI) 133, 251 Evolutionsstufe des Managements Netzwerke 348 Fabrikplanung 282 3-D-Gestaltung 284 Dynamische Ablauf- simulation 283 mit Materialflussplanungs- systemen 284 Wandlungsfähigkeit 285 Fehlerfortpflanzung 386 dynamisch 388 Fehlerhafte Basisdaten 386 Fehlermanagement 399 Fehlermöglichkeit- und Einflussanalyse (FMEA) 51, 67, 68, 327, 367 Fehlerquoten 391 Fehlerraten Reduzierung von 381 Fehlerreduzierungsmaß- nahmen 389 Fehlervermeidung 391 Fertigproduzieren 396 Fertigung papierlos 437 Fertigungsdurchlaufzeit (FDLZ) 24 Fertigungsprozess interaktiv 439 Fertigungsregelung dezentral, bestandsorientiert (DBF) 139 First Passed Yield (FPY) 442 First-in-first-out (FIFO) 217 Regalsysteme 257 Fitness-for-use 60 Flexibilität 5, 35–37, 90, 102, 130– 132, 147 Kundenorientierung 131 Flexibilitätsparadoxon 144, 376, 380 Flexible Produktion 23 Flexible Verpackungen 270 FMEA 123 Ford Produktionssystem 6, 32 Fordismus 58 Fortschrittszahlenkonzept (FZK) 161 Freikapazität 143, 202 Frozen Zone 151 Frühwarnportale 441 Future State Map 277 Fuzzy Logic 30 Gauß 29 GD-Cube 121 Good-design 123 Index 489 Good-discussion 123 Good-dissection 123 Gemba 87 Gemba-Orientierung 75, 86, 97, 390 Konstruktion 128 Gemeinkosten 82 Gemeinkostenmaterial 213 Gesamtanlageneffektivität (OEE) 54 Geschäftsprozesse Software 425 Global Materials Management Operations Guide (Global MMOG) 340 Global-Sourcing 105 Grundssatz der Evolution 102 Hängeförderer 151 Harzberger Modell 99 Hawthorne Studie 108 Head-Mounted Displays 460 Heijunka als Steuerungsprinzip 251 Losgrößen 249 Nivellierungs-Kennzahlen 253 Nivellierungskriterien 251 Problemstellung 248 Produktionsglättung 248 Produktionsleveling 251 Produktionsnivellierung Güte 253 Tafeln 252 Ziele 249 Heterogene Materialfluss- systeme 197 Highlevel-Consultingleistung 342 Hillclimbing-Suche 411 Historienentwicklung 208, 416 HMD-Datenbrille 462 Hochregallager 151 Hybride Steuerung Conwip-Kanban 186 Dimensionierung siehe Dimensionierung funktional 187 Horizontale- (HHS) 186 Kombinationsmöglichkeiten 188 Markov Decision Process (MDP) 187 matrixhybrid siehe Matrixhybride Steuerung Steuerungskonzepte 184 Synchro MRP 186 Vertikale- (VHS) 186 Zielsetzung 189 IDEAS 63 Identifikation Auto-ID 448 Technologien 449 Identifikationstechniken Vergleich 456 IDOC 63 Imperativer Führungsstil 99 Incremental Planning (IP) 378 Inkonsistente Daten 394 In-Process-Kanban-Karten IPK 18 Insourcing 362 Integral Control 161 Intensiv-Lieferanten- entwicklung 352 Durchführung 360 Interdisziplinäre differenzierte Prozesskostenanalyse (IDP) 85 interdisziplinäres Team 360 Internet 382 Invention 103 Inventurzählung 214 Investitionen Verzögerung 355 Isolated islands 9 IT-Fiktions-Paradoxon 383 IT-System Fehlerprävention 391 Fehlerraten 381 maßgeschneidert 391 schnelles Lernen 434 490 Index synchron 399 systematische Führung 434 Unternehmensstrukturelle und soziologische Auswirkungen 382 JobDISPO FAP 291 Jobenrichment 87 Just-in-sequence (JIS) 16 Just-in-time 150 Just-in-time (JIT) 16 Kaizen 20, 98 5S-Aktion 22 Element des TPS 20 Gemba, Ort des Geschehens 20 Gemba-Kaizen 21 Gembutsu, die realen Dinge 20 Gemjitsu,Fakten 21 Grundsatz 20 in der IT 400 indirekte Bereiche, Lean Office 92 Kaizen-Board 55 Kobetsu 53 Management-System 21, 22 Materialfluss-Kaizen 148 Muda, Verluste und Verschwendung 20, 94, 132 Visualisierung 96 Kanban 227 Ampel- 176 Auftrags- 167, 216 Auftragsstart nach Kapazitäts- regeln 405 Behälter- 167 Bestandssteuerung 163 Bestellbestands- 176 Betrieb 228 BOA– 178 Controlling 224 CONWIP– 177 dezentrale Steuerung 14 Dimensionierung siehe Dimensionierung Dimensionierungs-Systeme (KDS) 413 dynamische Varianten 185 Eigenschaften 13 Einführung 168 Ein-Karten- 165 Einweg-Karten- 168 eKanban 403 Element des TPS 11 Elemente 12 für Gemeinkostengüter 245 Größe 169 „Hausfrauen“- 245 Karten siehe Kanban-Karten kollaborative Prozesse 431 Konzeptentwicklung 235 Kopplung mit IT 407 Kreis 12, 165 Kreislauf 171 Lieferanten-Kanban siehe Lieferanten-Kanban Lieferfähigkeit, Liefertreue 14, 206 Manager 227 Materialnachschub- 167 Materialnummernneutrales- 166 Mehrbehälter- 228 Mindestbestands- 176 mit Transponder-Techno- logie 168 nach der Implementierung 236 Nachschub 217 Nachteile der Karten- steuerung 406 PAC 178, 181 Delivery Advice Notes 182 Generierung 183 Material Tags 182 Process Tags 182 Requisition Tags 182 Penetration 185, 196, 414 Prinzipien zur Einführung 230 Projektcontrolling 230 Index 491 Projektmanagement 230 Projektplan 234 Projektteams 232 Pull-Philosophie 163 Reduzierung der Puffer 195 Regelkreis 227 Regeln 227 Schulung 236 Sicht- 166 Steuern ohne EDV 13 Steuerungsverfahren 162 Stop-and-go- 176 Tafel, Plantafel 13, 170 Umlaufzeit 222 Umsetzung 236 Varianten 165 Verfahrensablauf 12 Verfahrensregeln 215 Voraussetzungen für 231 Vorteile der Karten- steuerung 407 Zwei-Karten- 165 Zykluszeit (KZZ) 170 Kanban-Karten 165, 236 Anbringung 240 Behälter-Kanban 237 Einweg- 237, 243 Hüllen oder Taschen 243 im Thermotransferdruck 243 Informationen auf 238 Informations- 165 In-Process (IPK) 18 Kartenformate 240 Kartenmaterial 243 KLT-Karten 245 Kunden- 165 Laminierte Karte 243 Produktions- 165 Sicht- 238 Sonderkarten 238 Steuerungsvarianten durch 237 Transpondertechnologie- Kreisläufe 238 Kanban-Tafel RFID 405 Transponderfähig 405 Kapazitätsreservierung 394 Kapitalbindung 204 Kennwert Änderungshäufigkeit 105 Kernkompetenzanalyse (KKA) 365 Kettenreaktion 143 Keyless Entry 452 KISS-Prinzip 351 KMU 425 Kobetsu-Kaizen 53 Kommissionierung 149 Kommunikation mit Kanban-Zulieferern 432 Konsignation 314 Konsignationslager 321 Konsistente Daten 395 Konstruktion Anforderungsveränderungs orientiert 129 auf der Supply Chain 128 klassisches Ziel 126 nutzwertoptimal 126 produktionsgerecht 128 qualitätsgerecht 126 Standards 123 wertstromgerecht 117, 128 Konstruktionsprozess Top-down 122 Win-Win 122 Konstruktionssystem automatisiert 125 Kooperationsmanagement 347 Kooperationspartner Kriterien für Auswahl 316 Kostenoptimierung 343 Kostenrechnung differenzierte Prozess- 80 Kostentreiber 82 Prozesskosten 78 Kostentreiber 82 492 Index Krisenlieferanten 353 Krisenmanagement 141 Wege aus 358 Krisenmanager 142 Kundenbedarf 206 Kundenerwartungszeit (KEZ) 24 Kunden-Lieferanten- Beziehung 353 Kundenorientierung 10, 14, 32, 60, 130, 135 Flexibilität 131 in der Lieferkette 130 Kundenplanungshorizonte 210 Kundentakt 14, 33, 131, 132, 149 Lager Flexibilität 260 Lagerdichte 268 Lagertuning 260 Paletten-Durchlaufsysteme (PDS) 256, 258 Pick-by-light 259 Pick-by-voice 259 Raumgewinn 261 Regalsysteme 255 Regaltechnik 254 Stückgut-Durchlaufsysteme (SDS) 259 Lagergrad 204, 418 Entwicklung 416 Lagerhaltung Simulationsbasierte Optimierung 410 Lagerprodukion 158 Lagerreichweite 204 gering 202 Langsamdreher 82, 105 Lean Automation 142 Lean Intelligent Logistics (LILO) 148 Lean Lieferantenmanagement 346 Preispotentiale optimal Nutzen 346 Lean Management 90 Lean Office 136 Kaizen in den indirekten Bereichen 92 Lean Production 5, 61, 96, 261 Management 96 Systeme 380 Lean Revolution 340 Lean-Veränderungsprozesse 110 Lieferantenanalyse 316 Lieferantenanbindung 346 Ziele 311 Lieferantenanforderungsprofil 360 Lieferantenauditierung Lean 346 Lieferantenbewertung 315 mit Lean 341, 346 mit ODETTE 341 Lieferanteneinbindung 124 Lieferantenentwicklung Intensiv- 352 Lean 346 Nissan 342 Team 346 Lieferantenfokussierung 124, 317 Kosteneinsparungs- potentiale 317 Lieferantengespräche 346 Lieferantenhopping 358 Lieferanten-Kanban 308 Lieferantenbewertung 315 Lieferantenklassifizierung 315 Projektabwicklung 315 Schritte zur Einführung 310 Umsetzung 312 Ziele 310 Zielkonflikt 311 Lieferantenklassifizierung 315 Lieferantenkooperation Ziele 310 Lieferantenmanagement 334 Lean 346 Preispotentiale optimal Nutzen 346 Index 493 Lieferantenmarkt Provokation 355 Lieferantenoptimierung 334 Lean-Philosophie-orientiert 340 ODETTE 339 Qualitätsmanagement- orientiert 339 Umsetzung 343 Lieferantenplanung 210 Lieferantenprobleme bei KMU 354 bei Konzernen 354 Lieferantenwechsel 361, 363 Zusatzaufwand 363 Lieferfähigkeit, hoch 202 Life Cycle Studien (LCA) 272 Local Control 161 Logistikcontrolling siehe Controlling Logistik-Outsourcing Checkliste 368 Logistikpartner 371 Optimierungspotential 372 Logistikpartner Auswahl 371 Logistikplanung 209 Logistisches Netzwerk 316 Longituditionale Schwingun- gen 140 López de Arriortúa 337 Losgröße 150 Low Cost Intelligent Automation (LCIA) 31, 43, 131 LCIA-Vorrichtungen 46 Make-or-buy-Analyse (MoB) 366 Make-to-order (MTO) 158, 184 Make-to-stock (MTS) 158, 184 Management Energontheorie 100 Entlohnungskonzepte 101 Ethik 96 gelebte Vorbildfunktion 101 imperativer Führungsstil 99 interdisziplinäre Qualifika- tion 101 interhierarchische Ausbil- dung 101 kooperativer Führungsstil 99 Lean Enterprise 101 Managementkreis 98 Managementverträge 101 prozessorientiert 73 Spieltheorie 100 zielorientiert 72 Managementkennzahlen- systeme 442 Managementkompetenz Gemba-Orientierung 205 Managementstruktur iterativ 210 Managementziele 97 Manuelle Produktionssysteme (MPS) 262 Marktschwankungen 396 Maß der Unordnung (Entropie) 385 Massenproduktion Mass Customization 276 Material Requirements Planning (MRP) 15, 375 Materialbedarfsplanung mit EDV 394 Materialbereitstellung 149 Materialfluss am Arbeitsplatz 149 Bullwhip-Effekt 145 Durchlaufzeitsyndrom 144 Fehlerraten 381 innerbetrieblich 149 longituditionale Schwingun- gen 140 Materialfluss-Kaizen 148 mit Kanban und MRP 393 Optimierung 148 Regeln 140 ruhig, kontinuierlich 139 494 Index Steuerung 142 Störgrößen 384 Störparameter 294 Störungen 143 überbetrieblich 150 Wertschöpfungsanalyse 148 Materialflussanalyse 274, 281 Materialflussdesign 282 Materialflussplanung 292 Virtual Reality 287 Materialflusssimulation aus dem MRP 289 Simulieren mit realen Daten 291 Materialflusssysteme heterogene 197 Materialnachschub-Kanban 167 Materialnummernneutrales Kanban (MNK) 166 Materialstammanalyse 274 Matrixhybride Materialflusssteuerung siehe Matrixhybride Steuerung Matrixhybride Steuerung (MHS) 187, 191 Beispiel 197 Chaos der Steuerungs- informationen 191 Kanban-MRP Steuerung 193 Kanban-Puffer reduzieren 195 Steuerungsebenen 193 Logik 193 Physis 193 Softfacts 193 Störgrößenreduzierung 194 Zielsetzung 189 Meantime between failure (MTBF) 56 to repair (MTTR) 56 Methods-Time Measurement (MTM) 219 Mikro-MRP-Systeme 421 Montage bildgeführt 438 Führung visualisiert 437 hochvariantenreiche 462 im Kundentakt 393 Techniken zur Identifiktion 455 Montageanweisung Visualisierung und Ausgabe 459 MPScalc 262 MRP-Systeme Fehlerursachen 385 Störgrößen 384 MUSKIM 463 Nachhaltigkeitsökonomie 4 Netzwerke 347 Nivellierung siehe Heijunka Null-Bestands-Konzept 146 Null-Fehler-Strategie 47 ODETTE 339 Off-shoring 361 One-piece-flow 16, 30, 131 Openbook-Strategie 346, 359 Open-Issue-List 369 Optical Character Recognition (OCR) 449 Optimized Production Technology (OPT) 162 Organisation for Data Exchange by Tele Transmission (ODETTE) 339 Outsourcing 361 C-Teile 318 des Eigentums der Bestände 314 Kostenrechnung 364 Logistik Checkliste 368 Overall Equipment Effectiveness (OEE) 54, 442 Paired-Cell Overlapping Loops of Cards with Authorization POLCA 178 Pareto 29 Peitscheneffekt 145 Pflegeaufwand für Daten 389 Index 495 physische Materialfluss- kriterien 204 Pick-by-voice 459 Pick-to-light 459 Pick-to-vision 460 Pick-to-voice 459 PICOS-Ansatz 337 Pioniertheorie 108 Auftauphase (unfreezing) 108 Bewegungsphase (moving) 109 Einfrierphase (refreezing) 109 Planungesebenen Iterative 211 Planungsgüte 202, 210 Plug-and-play 264 Poka Yoke 8 Ablauf, Aktivitäten 50 bei IT-Eingaben 447 Eigenschaften, Elemente 48 Element des TPS 46 Fehlervermeidungsstrategien 46 Methoden, Regeln 49 Qualitätsphilosophie 47 Vorrichtungen 50 Portaltechnologie 432 Preisdruck 337 Premiummarken-Strategie 118 Primärdaten 395 Prioritätsfindung 13 Probleme sind Schätze 97 Production Authorization Card (PAC) 162, 181 Production Information and Control System (PICS) 375 Production Planning Systeme (PPS) 375 Production Resource Planning (MRPII) 376 Production Synchronized Software (PSS) 409, 443 Anwendungsgebiete 448 Eigenschaften 446 Produktentstehung 117 Produktion auftragsorientiert 183 End of Production (EOP) 103 Flexibilität 124 IT 397 lagerorientiert 183 mit bildgeführter IT 438 Start of Production (SOP) 103 Produktionsablauf EDV-Unterstützung 392 komplex 185 Produktionsglättung 10, 248 Produktionsnivellierung siehe Heijunka Produktionsplan 209 Produktionsplanung Simulationsbasierte Optimie- rung 410 Produktionsprozess als geschlossenens System 398 Produktionssystem 43 Störparameter 294 Toyota 11 Produktlebenszyklus 202 Produktplanung 129 Prognose Güte 382 Qualität 382 Verfahren 382 Prognose-basierte Steuerung 160 Prognosehorizont 386 Prozess Reduzierung der 152 Prozess Due Diligence 360 Prozesse kollaborative 431 Prozesskosten Analyse, interdisziplinär differenziert 85 unberücksichtigte Faktoren 84 Prozesskostenrechnung Analyse 86 Arbeitsablaufstudie 86 496 Index differenziert 78 Standard 81 Wertestrom, Valuestream Analyse 86 Werteumlauf, Valuecycle- Analyse 86 Zeiterfassung 86 Prozessmapping 402 Prozessoptimierung 5W-Methode 77 Bottom-up-Prozess 78 Iterativ 416 Shewhart cycle 76 Strategie 76 Prozessorientierung 71, 97 Element des TPS 72 Management 73 Prüfplanung 68 Pull Philosophie 163 Prinzip 158 Push Philosophie 163 Qualitätsmanagement 339 (QM) 58 Qualitätssicherung visualisiert 437 Quick-Lieferantenent- wicklung 316 Radio Frequency Identification (RFID) 448 Rechnungswesen 397 REFA 219 Regelkarten 13 Reportingfunktion 398 RFID Frequenztypen 451 Grenzen 452 Schreib- und Lesegeräte 451 Vorteile 453 Rolled Throughput Yield (RTY) 64 Rüstzeitanteil 275 Schnelldreher 83, 105 Schrittmacherprozess 252 Schulungssysteme 299 SensorBin 327 Servicegrad (Lieferfähigkeit) 173 Shareholder 97 Ship-to-line 150 Shop-in-the-shop 352 Sicherheitsbestand Toyota-Formel 171 Sicherheitsfaktor 172 Sicht-Kanban 166 Simulationsbasierte Kanban- Dimensionierung 420 Simultaneous Engineering 105 Simultanous Planning (SP) 378 Six Sigma 62 DFSS, Design for 63 DMAIC Prozess 63 Einführung 62 Infrastruktur 64 Methodeneinsatz 65 Probleme 66 Sigma Wert 63 Software 66 SmartBin 327 Snowball-Effekt 143 Softfacts 4 Soft-Kapital 74 Source Inspection 46 Spieltheorie 30, 100 Spirale der Fehlerraten- erhöhung 386 Standard-MRP-Systeme 444 Standards Innovationen 76 Stauphänomene 140, 386 Steuerung der Herstellprozesse Managementaufgabe 206 Steuerungsalgorithmen 386 Hybride, operative 185 Optimierung 205 Steuerungschwankungen 174 Steuerungsmanagement 205 Dezentralisierung der Verantwortung 208 Index 497 Steuerungsmethode siehe Steuerungsverfahren Steuerungsselektive Kriterien 200 Steuerungsverfahren 139 Ampel-Steuerung 159 Auftragsproduktion 158 Bedarfscharakteristik 200 bedarfsorientierte 158 belastungsorientierte 161 bestandsorientierte 158 Bestellbestand 159 reservierte Bestände 159 variable Bestelllosgröße 159 zeitlich definierte Bestandsgrenze 159 Bestellrhythmus 159 dynamische Auswahl 417 Eigenschaftsprofile 157 Grundlagen 156 hybride Steuerungskonzepte siehe Hybride Steuerung indirekte Steuerungs- kriterien 203 Kanban siehe Kanban 160 Kriterien zur Auswahl 200 Lagerprodukion 158 Mindestbestand 159 mit Karten 175 Ampel-Kanban 176 Belastungsorientierte Verfahren 177 Bestandsorientierte Steuerung 176 Bestellbestands-Kanban 176 BOA-Kanban 178 CONWIP-Kanban 177 Mindestbestands-Kanban 176 Minimal Blocking 176 PAC-Kanban 178, 181 POLCA 178, 180 Prognosebasierte Verfahren 176 Stop-and-go-Kanban 176 Workload Control 177 Prognosebasiert 160 Stop-and-go 159 Vorhersehbarkeit der Bedarfe 202 Steuerungungssysteme Outsourcing 198 Stichtagsinventur 214 Störgrößen Analyse 147 Reduzierung 194 Störgrößenanalyse 391 Störparameter ermitteln 219 Suchalgorithmus 411 Supermarkt 228 Prinzip 10 Supplier Development Team (SDT) 342 Supply Chain Bedarfsorientierte 305 beschaffungs- oder produktionsorientierte 305 Flexibilität 307 Kapazitätsplanung 307 Logistikparameter 307 Management (SCM) 305 mittelfristige Prognose 307 planorientierte 305 Wertschöpfungsanalyse 149 Supply Chain Execution (SCE) 377 Supply Chain Management (SCM) 305 Lieferanten-Kanban siehe Lieferanten-Kanban Lieferantenkooperation 310 mit Kanban 309 Optimierung 309 Projektabwicklung 315 Schulung 315 Supply Chain Planning (SCP) 377 Supra-Adaptivität 34 498 Index Synchro MRP 186 Synchrone Produktion 229 Maßnahmen 229 Synchrones Produktionssystem (SPS) 30 Syntegration 116 Systemlieferanten 318 Systemlieferantenkonzept 125 Taylor Produktionssystem Taylorismus 58 Theory of Constraints 142, 222 Time-to-market 105 Konstruktion 126 Total Cost Investigation (TCI) 342 Anwendungsfeld 345 Checkpunkte: 343 Konzept 344 TCI-Team 342 Total Cost of Ownership (TCO) 265 Total Productive Maintenance (TPM) 52 Total Productive Management (TPM) 51 8 Säulen von 53 Definition 52 Ziele 53 Total Quality Control TQC 61 Total Quality Management 60 Total Quality Systems (TQM) 59 Totzeiten 224 Toyota Produktionssystem (TPS) 5, 6, 31 Elemente 8 Entwicklung 6 Ethik 97 Lieferanten-Kanban 308 Managementziele 97 Regeln 8 Trackingverfahren 461 Transponder Eigenschaften 450 Technologie 451 Transponderfähige Kanban- Tafel 405 Transpondern 404 Transponder-Technologie 168, 339, 405 Transport-Logistik 371 Trichtermodell 140 Überproduktion 132 Ultra-high-frequency-RFID 450 Umgekehrter Warenfluss 89 Umlaufbestand 217 Berechnung 169 Entwicklung 148 Umlaufzeit 222 Umschlagshäufigkeit 204 Unentbehrlichkeits-Strategien 75 Unitstrukturen 90 Unternehmensentwicklung mit Lean 102 Upspelling 378 Ursache-Wirkung-Diagramm 50, 59 Valuecycle Analyze (VCA) 86, 211, 215 Valuecycle Optimizing (VCO) 86, 192, 219 Projektablauf 224 Valuestream Analyze (VSA) 86, 276 Variantenentwicklung 275 Variantenvielfalt 105 Variantenwertströme 278 Vendor Inventory Manage- ment 448 Vendor Managed Inventory (VMI) 40, 314 auf einer Internetplattform 314 mit Deming-Cycle 315 mit zyklischem Lager- bestand 314 Veränderungsmanagement siehe Change Management 108 Index 499 Veränderungsprozesse siehe Lean Veränderungsprozesse 110 Verbesserungspotentiale visualisieren 226 Verpackung 266 Kosten 273 Lagerdichte 268 Materialdichte 271 Ökobilanz 272 Prozesse 272 Verschwendung Arten 224 eliminieren 399 Ursachenanalyse 224 Verschwendungsarten 3-Mu 132 Vertriebsplanung 208 Virtual Reality (VR) 287 Visual Factory 435 Visual Manufacturing Operation 438 Visualisierte Informationstechnologie 433 Visualisierungsverfahren 461 Vorausschauende Qualitätsplanung (APQP) 68 Warehouse-Management System (WMS) 404 Wareneingangskontrolle 353 Wareneingangsprüfung 150 Wertaktivität 350 Wertanalyse 118 nutzwertoptimale Konstruktion 126 Werteumlauf 216 Wertschöpfungsanalyse 151, 220 des Materialflusses 148 Wertschöpfungsanteil Nissan 342 Wertschöpfungsanteil in der Automobilindustrie 305 Wertschöpfungstiefe 305 Wertstrom Pull-Prinzip-orientiert 421 Wertstromanalyse 274 wertstromgerechte Konstruktion 117 Wiederbeschaffungszeit 203 (WBZ) 305 Work-in-process (WIP) 25, 29, 214, 218 Workload-Control 186 World Market Research Center (WMRC) 342 XYZ-Analyse 320 Zeiterfassungssoftware 86 Zuteilungsmarkt 356 Zwei-Karten Kanban 165 Zweite Welle der Lean Produktion 89 Zykluszeitabweichung 174 3540795146 Inhaltsverzeichnis Die Struktur von schlankem Materialfluss mit Lean Production, Kanban und Innovationen 1. Elemente moderner, schlanker Produktionssysteme 1.1 Lean Production – das Toyota Produktionssystem (TPS) 1.1.1 Entwicklung 1.1.2 Innovationen und Regeln des TPS 1.2 Kanban – Element des Toyota Produktionssystems 1.2.1 Verfahrensablauf 1.2.2 Elemente 1.2.3 Eigenschaften der Steuerungsmethode 1.3 Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Just-in-time-, Just-in-sequence- und One-piece-flow-Fertigungskonzepten 1.3.1 Just-in-time (JIT) 1.3.2 Just-in-sequence (JIS) 1.3.3 One-piece-flow (Einzelstückfluss) 1.3.4 Beispiel aus der Praxis 1.4 Kaizen 1.4.1 Der Begriff Kaizen 1.4.2 Gemba-Kaizen 1.4.3 5S-Aktion 1.4.4 Das Kaizen-Management-System 1.5 Flexible Produktion 1.5.1 Problem der Planung 1.5.2 Flexible Produktion nach dem Lean-Ansatz ermöglicht es, weitestgehend von Planung unabhängig zu werden 1.5.3 Lange Produktionsdurchlaufzeiten in PPS 1.5.4 Die Alternative 1.5.5 6R – Das Ziel der flexiblen Produktion 1.5.6 Festlegung der Fertigungskapazität und Aufbau einer Fertigungslinie 1.5.7 Festlegung der Materialbereitstellung und Aufbau der Materiallogistik 1.5.8 Grundtheoreme betrieblichen Handelns 1.6 Das Synchrone Produktionssystem (SPS) 1.6.1 Die Elemente 1.6.2 Strikte Kundenorientierung 1.6.3 Begriffsfelder des Synchronen Produktionssystems (SPS) 1.7 ForLog – neue Ansätze zur Adaptivität, Bayerischer Forschungsverbund Supra-adaptive Logistiksysteme 1.7.1 FlexLog – Flexibilität und Adaptivität 1.7.2 SysLog – IS-Architekturen supra-adaptiver Logistiksysteme in der Automobilindustrie 1.7.3 PlanLog – Modellierung und Planung adaptiver Fabrikstrukturen 1.7.4 TransLog – Logistikdienstleister-Organisation und Transportnetzwerkstrukturen 1.7.5 NutzLog – Vorteilsausgleich-Nutzenverteilung 1.7.6 MitLog – Mitarbeiterqualifizierung und -mobilität 1.8 Low Cost Intelligent Automation (LCIA) 1.8.1 Das Prinzip in Hochlohnländern 1.8.2 Die flexiblere Lösung 1.8.3 Umsetzung 1.8.4 Veränderung der Abläufe 1.8.5 Wachstum des Unternehmens-Know-hows 1.9 Poka Yoke – Fehlervermeidungsstrategien 1.9.1 Qualitätsphilosophie, abgeleitet von Poka Yoke 1.9.2 Eigenschaften und Elemente 1.9.3 Methoden und Regeln 1.9.4 Ablauf von Aktivitäten 1.10 Total Productive Management (TPM) 1.10.1 Definition 1.10.2 Das Gesamtsystem TPM 1.10.3 Die 4 Basissäulen des Managementsystems 1.11 Qualitätsmanagement 1.11.1 Der Qualitätsbegriff im betrieblichen Sinne 1.11.2 Anwenderbezogene Qualitätsdefinition 1.11.3 Abschließende Bemerkungen zum Thema „Qualität“ 1.11.4 Pragmatische Ansätze für den schlanken Materialfluss mit Lean Production 1.12 Six Sigma 1.12.1 Abgrenzung von Lean, TQM, TPM und Six Sigma 1.12.2 Aufwand für die Six Sigma Einführung 1.12.3 Das Vorgehen mit DMAIC und DFSS 1.12.4 Sigma Wert und Philosophie 1.12.5 RTY (Rolled Throughput Yield) 1.12.6 Infrastruktur im Unternehmen 1.12.7 Methodeneinsatz 1.12.8 Softwareeinsatz 1.12.9 Führung und Probleme bei der Einführung 1.12.10 Aussichten von Six Sigma 1.13 CAQ-Systeme – Computergestütztes Qualitätsmanagement 1.13.1 Grundlagen von CAQ-Management 1.13.2 CAQ-Systeme in der Praxis 1.14 Prozessorientierung – Ursachen ermitteln, statt Symptome beheben 1.14.1 Prozessorientierung – ein Element des Toyota Produktionssystems (TPS) 1.14.2 Wachstum der indirekten Bereiche durch Ergebnisorientierung 1.14.3 Prozessoptimierungsstrategien 1.15 Differenzierte Prozesskostenrechnung 1.15.1 Kostenrechnung 1.15.2 Komplexitätsproblem im „IT-Zeitalter“ 1.15.3 Prinzip der Standard-Prozesskostenrechnung 1.15.4 Verifikation nicht konstanter Einflussfaktoren auf die Kostentreiber 1.15.5 Konsequenzen von unberücksichtigten, nicht konstanten Einflussfaktoren – am Beispiel Großserienteil und Ersatzteil 1.15.6 Ablauf einer interdisziplinären, differenzierten Prozesskostenanalyse (IDP) 1.15.7 Interdisziplinäre Arbeitsablaufstudie als Basis einer differenzierten Prozesskostenrechnung 1.16 Dezentrale und schlanke Strukturen – Gemba-Orientierung 1.16.1 Räumliche Nähe korreliert mit sozialer Nähe 1.16.2 Dezentrale Verantwortungsstrukturen – die Entscheidung zur Verantwortung beim Spezialisten 1.16.3 Stufen der Dezentralisierung 1.16.4 Lean Management 1.17 Kaizen in den indirekten Bereichen 1.17.1 Weniger Fläche, schnellerer Durchlauf und Effizienzsteigerung sind gefragt 1.17.2 Strukturierte Vorgehensweise 1.17.3 Visualisierung steigert den Erfolg 1.18 Probleme sind Schätze – Management-Ethik als Folge der Lean Production 1.18.1 Ethik und Managementziele des Toyota Produktionssystems (TPS) 1.18.2 Der Managementkreis – verbesserte Kommunikation und Führung 1.18.3 Probleme sind Schätze – Kooperativer Führungsstil 1.18.4 Ethik als evolutionäres Erfolgskonzept 1.18.5 Maßnahmen zum nachhaltigen Managementerfolg 1.19 Veränderungen im Unternehmen 1.19.1 Technisches Änderungsmanagement 1.19.2 Veränderungsmanagement – Change Management 1.19.3 Dynamische, ganzheitliche Lean-Veränderungsprozesse 1.19.4 Dynamische Evolution in eine erfolgreiche Zukunft 1.20 Produktions- und wertstromgerechte Konstruktion 1.20.1 Von klassischen ingenieurmäßigen Konstruktionsabläufen zur fundierten Produktentstehung 1.20.2 Wertanalyse – Produkte fundiert nach abgestimmten Zielen definieren und entwickeln 1.20.3 Konstruktionsqualität 1.20.4 Konstruktionsfehler vermeiden mit GD-Cube (GD[sup(3)]) und Design Review Based on Failure Mode (DRBFM) 1.20.5 Standards – die Basis für professionelle Konstruktion 1.20.6 Lieferanteneinbindung in Entwicklung und Konstruktion 1.20.7 Automatisierte Konstruktionssysteme 1.20.8 Von der montagegerechten zur wertstromgerechten Konstruktion 1.21 Kundenorientierung 1.21.1 Kundenorientierung in der Lieferkette 1.21.2 Das neue Entscheidungskriterium heißt Flexibilität 1.22 Vertriebsqualität – Prognose 1.22.1 Überproduktion und Kundentakt 1.22.2 Kundenorientierte Unternehmensstrukturen 1.23 Neue Ansätze zur Vermittlung moderner und schlanker Produktionsmethoden 2. Grundlegende Steuerungsverfahren im heterogenen Logistiknetz mit Kanban 2.1 Ruhiger, kontinuierlicher Materialfluss 2.1.1 Regeln für einen kontinuierlichen und störungsfreien Materialfluss 2.2 Wertschöpfungsanalyse des Materialflusses – „Das Einfachste ist das Beste” und Lean Intelligent Logistics (LILO) 2.2.1 Materialfluss am Arbeitsplatz 2.2.2 Innerbetrieblicher Materialfluss 2.2.3 Überbetrieblicher Materialfluss 2.2.4 „Das Einfachste ist das Beste” 2.2.5 Lean Intelligent Logistics (LILO) 2.3 Grundlegende Steuerungsverfahren 2.3.1 Bedarfsorientierte Verfahren 2.3.2 Bestandsorientierte Verfahren 2.3.3 Prognosebasierte Verfahren 2.3.4 Belastungsorientierte Verfahren 2.3.5 Generalisierte oder funktionale Steuerungen 2.4 Die Kanban-Steuerung 2.4.1 Kanban – der Allrounder 2.4.2 Die Steuerung und ihre Eigenschaften 2.4.3 Varianten der Steuerungsmethode 2.4.4 Varianten der Steuerungsebene 2.4.5 Varianten aufgrund der Karten 2.5 Dimensionierung von Kanban-Regelkreisen 2.5.1 Berechnung des Umlaufbestandes 2.5.2 Berechnung des Sicherheitsbestandes 2.5.3 Beispiel 2.6 Steuerungsverfahren mit Karten 2.6.1 Bestandsorientierte Verfahren 2.6.2 Prognosebasierte Verfahren 2.6.3 Belastungsorientierte Verfahren 2.6.4 Funktionsbasierte flexible Steuerung 2.7 Dezentrale Bestandsorientierte Fertigungsregelung (DBF) 2.7.1 Funktionsweise 2.7.2 Anwendungsgebiete 2.7.3 Erweiterungen 2.7.4 Alternative Verfahren 2.8 Das Production Authorization Card (PAC)-Konzept – ein Metakonzept zur Materialflusssteuerung 2.9 Hybride Steuerungskonzepte 2.9.1 Hybride operative Steuerungs-Algorithmen 2.9.2 Hybride Steuerungen in der Simulation zur Ermittlung des optimalen Algorithmus und zur dynamischen Dimensionierung 2.9.3 Hybride Steuerungen nach einer erweiterten Definition der Materialflusssteuerung 2.10 Matrixhybride Materialflusssteuerung 2.10.1 Matrixhybride Steuerung (MHS) – das Chaos der Steuerungsinformationen nutzen und beherrschen 2.10.2 Dezentrale Entscheidungskompetenz 2.10.3 Hybride Dimensionierung der Regelkreise 2.10.4 Matrixhybride Kanban-MRP-Steuerung 2.10.5 Reduzierung von Störgrößen durch Abgleich 2.10.6 Reduzierung der Kanban-Puffer ohne Risiko 2.10.7 Ausweitung der Kanban-Penetration bei komplexen Produktionsprozessen und Produkten 2.10.8 Ergebnisse am Beispiel Voith 2.11 Heterogene Materialflusssysteme 2.11.1 Direkte steuerungsselektive Kriterien 2.11.2 Indirekte Steuerungskriterien 2.12 Steuerungsmanagement 2.12.1 Steuerung der Herstellprozesse – eine Managementaufgabe 2.12.2 Integration hybrider interdisziplinärer Informationen beim Steuerungsmanagement 2.12.3 Iterative Managementstruktur 2.13 Logistikcontrolling im schlanken Materialfluss mit der Valuecycle Analyze (VCA) 2.13.1 Intransparenz der Kostenstrukturen 2.13.2 Dynamische contra statische Bestände 2.13.3 Die neuen Differenztypen im schlanken System 2.13.4 Valuecycle Analyze (VCA) 2.14 Valuecycle Optimizing (VCO) 2.14.1 Dimensionierung von Kanban und Just-in-time Steuerungen 2.14.2 Methoden des TPS, Wertschöpfungsanalyse und zeitwirtschaftliche Methoden übertragen auf den Kanban-Kreis 2.14.3 Die Umlaufzeit als Basis der Betrachtung 2.14.4 Die Methode des Valuecycle Optimizing 2.14.5 Projektablauf 2.14.6 Kanban-Controlling 2.14.7 Anwendungsfälle 3. Kanban – der Weg ist das Ziel 3.1 Projektmanagement zur Einführung von Kanban-Steuerungen 3.1.1 Prinzipien zur Einführung von Kanban-Steuerungen 3.1.2 Voraussetzungen zur Einführung von Kanban-Steuerung 3.1.3 Zusammensetzung des Projektteams und Aufgaben 3.1.4 Projektplan 3.1.5 Definition von Prozessen nach der Implementierung 3.2 Kanban-Karten 3.2.1 Steuerungsvarianten, die sich durch den Karten-Typ bzw. das Karten-Handling definieren 3.2.2 Sicht-Kanban-Karten: 3.2.3 Informationen auf der Karte 3.2.4 Hardware der Karten 3.2.5 Kanban für Gemeinkostengüter 3.3 Produktionsnivellierung – mit Heijunka Produktion und Logistik stabilisieren 3.3.1 Die Problemstellung von Produktionsnivellierung mit Heijunka 3.3.2 Ziele der Produktionsnivellierung 3.3.3 Notwendigkeit verkleinerter Losgrößen 3.3.4 Heijunka als Steuerungsprinzip 3.3.5 Visualisierung von Produktionsaufträgen mit Heijunka-Tafeln 3.3.6 Die Güte der Produktionsnivellierung 3.4 Effizienter Materialfluss mit der richtigen Regaltechnik – Dynamik im Lager 3.4.1 Regalsysteme – So kommt Bewegung ins Lager 3.4.2 Paletten-Durchlaufsysteme – Kein Problem mit schweren Lasten 3.4.3 Stückgut-Durchlaufsysteme – Kartonagen und Stückgutgebinde ins Rollen bringen 3.4.4 Lagertuning – eine kostengünstige Lösung 3.4.5 Höchste Flexibilität – Spaß am Lagern 3.4.6 Bis zu 50 % Raumgewinn 3.5 Flexible, ergonomische Arbeitsplatzgestaltung – Steigerung der Effizienz am Beispiel der manuellen Produktionssysteme (MPS) 3.6 Verpackung – Moleküle des Materialflusses 3.6.1 Kernaufgaben der Verpackung 3.6.2 Betriebswirtschaftliche Risiken 3.6.3 Verschwendung in Gebinde, Lager und Transport 3.6.4 Einflussgrößen für den Materialfluss 3.6.5 Prozessvergleiche von Verpackungsvarianten 3.6.6 Kostenabschätzung 3.7 Materialstamm-, Materialfluss- und Wertstromanalysen 3.7.1 Variantenentwicklung und Auswirkungen auf die Produktion 3.7.2 Wertstromanalyse 3.7.3 Systembasierte Datenanalyse 3.8 Moderne Fabrikplanung – Materialfluss- und Arbeitsplatzdesign 3.8.1 Moderne Werkzeuge in der Fabrikplanung 3.8.2 Integrative Planung und Wandlungsfähigkeit 3.9 Virtual Reality und Augmented Reality in der Materialflussplanung 3.9.1 Technologie 3.9.2 Nutzen und Anwendungen 3.10 Fabrik- und Materialflusssimulation direkt aus einem ERP/PPS-System heraus – einfacher ist mehr! 3.11 Störparameter im Materialfluss und in Produktionssystemen 3.12 Flexible Entgeltsysteme 3.12.1 Arbeiten in Teams 3.12.2 Flexibilisierung der Einkommen 3.12.3 Beispiel für ein leistungsorientiertes Entgelt 3.13 Durchgängige Schulungssysteme – Qualifizieren statt kapitulieren 3.13.1 Konsequente Umsetzung als Erfolgsgarantie 3.13.2 Wesentliche Bestandteile erfolgreicher Trainingsprogramme 3.13.3 Erfolgsfaktoren bei der Umsetzung 3.13.4 Lean-Enterprise-Methoden zur Standortsicherung 4. Supply Chain Management (SCM) mit Kanban 4.1 Einführung eines Supply Chain Management (SCM) Systems mit speziellen Anforderungen beim Lieferanten-Kanban 4.1.1 Umsetzung einer schlanken SCM-Lösung mit Kanban 4.1.2 Ziele der Lieferantenkooperation 4.1.3 Konkrete Umsetzungsvorgaben 4.1.4 Operative Supply Chain-Steuerung und Dispositonskonzepte 4.1.5 Abstimmung und Schulung 4.1.6 Projektabwicklung 4.1.7 Lieferantenbewertung und -klassifizierung 4.1.8 Strategie der Lieferantenfokussierung 4.2 C-Teile-Management – Ursprung, Chancen, Risiken und Ansatzpunkte 4.2.1 Potentiale und Ziele 4.2.2 Charakteristika von C-Teilen 4.2.3 Das Kaufhauskonzept als Ursprung 4.2.4 Varianten der Beschaffung 4.2.5 Schritte zur Einführung und zum Betrieb 4.2.6 Grenzen des Systems 4.2.7 Resümee 4.3 C-Teile-Management – optimale Prozesse 4.3.1 Prozessvereinfachungen 4.3.2 Produkt- und Prozessqualität 4.3.3 Zuverlässigkeit 4.3.4 Kontinuierliche Verbesserung 4.4 Die Erweiterung des C-Teile-Managements 4.4.1 Welche Teile eignen sich für ein C-Teile-Management in der Produktion? 4.4.2 Welche Teile sind geeignet für ein C-Teile-Management in der Betriebsinstandhaltung? 4.4.3 Was sind die Stärken und Schwächen der möglichen Dienstleister für C-Teile-Management? 4.4.4 Was übernimmt ein C-Teile-Dienstleister? 4.4.5 Wo sind die Grenzen des C-Teile-Managements? 4.5 Lieferantenmanagement und -optimierung 4.5.1 Konzepte zur hochvolumigen Einkaufspreisreduzierung 4.5.2 Qualitätsmanagement-orientierte Konzepte zur Lieferantenoptimierung 4.5.3 Lean-Philosophie-orientierte Lieferanten-und Kostenoptimierung 4.5.4 Lieferantenentwicklung am Beispiel Nissan 4.5.5 Umsetzung einer Lieferantenoptimierung mit Lean-Philosophie 4.6 Kooperationsmanagement – Netzwerke 4.6.1 Was sind Netzwerke? 4.6.2 Netzwerke – die nächste Evolutionsstufe der klassischen Managementmethoden zur Prozessoptimierung? 4.6.3 Kooperationsmanagement 4.6.4 Erfolgsfaktoren des Kooperationsmanagements 4.6.5 Kanban – ein wesentliches ordnungspolitisches Element fertigungsorientierter Kooperationsformen 4.6.6 Win-Win-Situation 4.7 Intensiv-Lieferantenentwicklung 4.7.1 Unterschätzte Auswirkungen von Krisenlieferanten 4.7.2 Lieferantenprobleme bei Konzernen 4.7.3 Lieferantenprobleme bei klein- und mittelständischen Unternehmen 4.7.4 Provokation eines Lieferantenmarktes durch Auslastungsorientierung und Verzögern von Investitionen 4.7.5 „Feuerlöschen“ als Normalzustand 4.7.6 Wege aus dem Krisenmanagement 4.7.7 Process Due Diligence – die Intensiv-Lieferantenentwicklung 4.8 Outsourcing und Lieferantenwechsel 4.8.1 Outsourcing 4.8.2 Insourcing 4.8.3 Lieferantenwechsel 4.8.4 Kostenrechnung 4.8.5 Kernkompetenzanalyse (KKA) 4.8.6 Make-or-buy-Analyse (MoB) mit Risikofaktoren 4.8.7 Chancen und Risiken – abwägen und optimieren 4.9 Logistik-Outsourcing – Checkliste 4.9.1 Logistik-Outsourcing 4.9.2 Checkliste für Logistik-Outsourcing 4.10 Transport-Logistik im Rahmen des Supply Chain Management 4.10.1 Die Auswahl des Logistikpartners 4.10.2 Das Optimierungspotential 4.10.3 Die Schnittstellen mit anderen SCM-Bereichen 4.10.4 Fazit 5. EDV-Unterstützung in der Produktion und im Materialfluss 5.1 Reduzierung von Fehlerraten in IT-Systemen und im Materialfluss 5.1.1 Unternehmensstrukturelle und soziologische Auswirkungen moderner IT-Systeme 5.1.2 Störgrößen im modernen Materialfluss und in MRP-Systemen 5.1.3 Verbesserung der Datenqualität 5.2 EDV-Unterstützung moderner Produktionsabläufe am Beispiel von Kanban unter Betrachtung konsistenter Daten 5.2.1 Schlanker Materialfluss mit Kanban und MRP am Beispiel des „Fertigproduzierens” einer Montage im Kundentakt 5.2.2 Absatz- und Materialbedarfsplanung mit EDV 5.2.3 Konsistente Daten mit EDV 5.2.4 Datenpflege 5.2.5 Innovationen umsetzen 5.3 IT in der Produktion 5.3.1 Das Prinzip von Datenbanksystemen, Reporting-oder Analysefunktionen 5.3.2 Produktionsprozesse lassen sich schlecht als geschlossenes System abbilden 5.3.3 Verschwendung zu eliminieren sollte im Focus stehen 5.3.4 Sinnvoller Einsatz von IT 5.3.5 Synchrone IT 5.4 Kaizen in der IT 5.4.1 Der Mensch steht über der Technik 5.4.2 Den Stein ins Rollen bringen mit der 5-S-Kampagne 5.4.3 Die nächsten Schritte 5.5 Elektronische Kanban-Systeme (eKanban) 5.5.1 eKanban als Visualisierung der Bestellbestandssteuerung 5.5.2 eKanban basierend auf einem Warehouse-Management-System (WMS) 5.5.3 Varianten des Auftragsstarts 5.5.4 Einführung von eKanban-Steuerungen 5.6 Simulationsbasierte Optimierung der operativen Produktionsplanung und Lagerhaltung in heterogenen Produktionssystemen 5.7 Kanban Dimensionierungs-Systeme (KDS) 5.7.1 Komplexität der Dimensionierung 5.7.2 Statische Dimensionierung – Standardlösungen 5.7.3 Dimensionierung mittels hybrider Steuerungsinformationen 5.7.4 Iterative Prozessoptimierung 5.7.5 Dynamische Auswahl der Steuerungsmethode – am Beispiel MRP und Kanban 5.7.6 Dynamische Dimensionierung entlang der Zeitachse 5.7.7 Simulationsbasierte Kanban-Dimensionierung 5.8 Mikro-MRP-Systeme 5.9 Schlanke Software steuert Geschäftsprozesse und Materialflüsse im Mittelstand 5.9.1 Anwendungsbeispiel Werkzeugbau 5.9.2 Anwendungsbeispiel Maschinenbau 5.10 Produktionsoptimierung mit SAP am Beispiel Kanban 5.10.1 Erweiterung der Kanban-Philosophie durch Integriertes eKanban 5.10.2 Adaptives Prozessmodell als Grundlage für eKanban 5.10.3 Erweiterte Kanban-Prozesse unterstützen die Philosophie 5.10.4 Kollaborative Prozesse um Kanban 5.10.5 eKanban mit SAP – Aktuelle Trends und Zusammenfassung 5.11 Visualisierte Informationstechnologie 5.11.1 Der Mensch und seine Sinne 5.11.2 Schnelleres Lernen durch systematische Führung 5.11.3 Besser und produktiver durch systematische Führung 5.11.4 Der Quantensprung in der Produktion 5.12 Papierlose Fertigung und visualisierte Montageführung und Qualitätssicherung 5.12.1 Ziele bildgeführter IT im Produktionsbereich 5.12.2 Elektronische Verteilung von visualisierten Arbeitsanweisungen an Montage-und Qualitätskontrollstationen 5.12.3 Interaktive Fertigungsprozesse 5.12.4 Papierlose Fabrik 5.12.5 Frühwarnportale – Aktion anstatt Reaktion oder Statistiken 5.12.6 Die Zukunftsvision in der Informationstechnologie 5.13 Production Synchronized Software (PSS) 5.13.1 Optimaler Prozess und Standard-MRP-Systeme 5.13.2 Unabgestimmte IT-Landschaften verhindern effiziente Prozesse 5.13.3 Eigenschaften effizienter individueller PSS-Tools 5.13.4 Anwendungsgebiete von PSS 5.14 Identifizieren mit automatischer Identifikation (Auto-ID) – Radio Frequency Identification (RFID) und/oder Barcode 5.14.1 Auto-ID – Welche Technologien gibt es? 5.14.2 Gegenüberstellung der verschiedenen Technologien 5.14.3 Barcode versus RFID 5.14.4 Eigenschaften von Transpondern 5.14.5 Einsatzbeispiele verschiedener Frequenztypen 5.14.6 Ersetzt RFID den Barcode – Wo sind die Grenzen? 5.14.7 Verwendete Auto-ID-Standards 5.15 Neue Ansätze ergonomischer Kommunikationstechnologien zu MRP-Systemen 5.15.1 Techniken zur Identifikation im Montageprozess 5.15.2 Methoden und Systeme zur Erstellung von Montageanweisungen 5.15.3 Visualisierung/Ausgabe von Montageanweisungen 5.15.4 Pick-to-vision-Systeme Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Literatur Index A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Z /ColorImageDict > /JPEG2000ColorACSImageDict > /JPEG2000ColorImageDict > /AntiAliasGrayImages false /CropGrayImages true /GrayImageMinResolution 150 /GrayImageMinResolutionPolicy /Warning /DownsampleGrayImages true /GrayImageDownsampleType /Bicubic /GrayImageResolution 150 /GrayImageDepth -1 /GrayImageMinDownsampleDepth 2 /GrayImageDownsampleThreshold 1.50000 /EncodeGrayImages true /GrayImageFilter /DCTEncode /AutoFilterGrayImages true /GrayImageAutoFilterStrategy /JPEG /GrayACSImageDict > /GrayImageDict > /JPEG2000GrayACSImageDict > /JPEG2000GrayImageDict > /AntiAliasMonoImages false /CropMonoImages true /MonoImageMinResolution 600 /MonoImageMinResolutionPolicy /Warning /DownsampleMonoImages true /MonoImageDownsampleType /Bicubic /MonoImageResolution 600 /MonoImageDepth -1 /MonoImageDownsampleThreshold 1.50000 /EncodeMonoImages true /MonoImageFilter /CCITTFaxEncode /MonoImageDict > /AllowPSXObjects false /CheckCompliance [ /None ] /PDFX1aCheck false /PDFX3Check false /PDFXCompliantPDFOnly false /PDFXNoTrimBoxError true /PDFXTrimBoxToMediaBoxOffset [ 0.00000 0.00000 0.00000 0.00000 ] /PDFXSetBleedBoxToMediaBox true /PDFXBleedBoxToTrimBoxOffset [ 0.00000 0.00000 0.00000 0.00000 ] /PDFXOutputIntentProfile (None) /PDFXOutputConditionIdentifier () /PDFXOutputCondition () /PDFXRegistryName () /PDFXTrapped /False /Description > >> setdistillerparams > setpagedevice


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