82 | Chemie in unserer Zeit | 35. Jahrgang 2001 | Nr. 2 Ölfeldchemikalien Kein Erdöl ohne die Chemie WALTER GULDEN Auf dem Bohrturm: Bohrmeißel vor dem Einbau. [Foto: Clariant] E rdöl und Erdgas sind heute mit Abstand die wichtigstenEnergieträger der industrialisierten Welt. Sie bilden außerdem die Rohstoffbasis für die Chemische Industrie. Deren petrochemische Primärprodukte gewinnt man heu- te zu etwa 96 Prozent aus Erdöl und Erdgas statt wie früher aus Kohle [1]. Rund sieben bis acht Prozent des weltweit geförderten Rohöls (3,4 Milliarden Tonnen pro Jahr) wer- den petrochemisch verarbeitet. Das sind jährlich etwa 250 Millionen Tonnen Öl [2]! Weniger bekannt ist, dass die Erdölindustrie auf spezi- elle Chemikalien angewiesen ist, die bei allen Stufen der Öl- und Gasproduktion eingesetzt werden.Sie ermöglichen vie- le Prozesse erst und machen sie wirtschaftlich (Abbildung 1). Die eingesetzten Mengen liegen oft nur im niedrigen Prozent- oder sogar im ppm-Bereich. Es handelt sich dabei vor allem um verschiedene wasserlösliche und öllösliche Po- lymere und um maßgeschneiderte nicht ionische und kat- ionische Tenside und Tensidkombinationen, aber auch um Basischemikalien. Charakteristisch für das Geschäft mit Öl- feldchemikalien ist, dass man technischen Service zur Anwendung dieser Spezialprodukte leistet. Das weltweite Geschäftsvolumen schätzte man Ende 1998 einschließlich der Commodities auf etwa fünf Milliarden US-Dollar. Rohstoffe für die Chemie: Erdöl, Erdgas, Schwefel Das bereits in den Erdölfeldern fast vollständig von Wasser, Salzen und kolloidalen Feststoffen befreite Rohöl wird in den Raffinerien nochmals gereinigt und dann über Destil- lation in Fraktionen getrennt.Naphtha (Rohbenzin), das im Siedebereich von etwa 70 bis 140 °C anfällt, ist dabei der bedeutendste Rohstoff der Petrochemie.In Röhrenspaltöfen (Steamcrackern) werden in Gegenwart von Wasserdampf bei Temperaturen von 750 bis 850 °C daraus Ethylen, Pro- pylen, Buten und Butadien gewonnen. Neben diesen Olefi- nen fallen auch flüssige, aromatische Spaltprodukte wie Benzol, Toluol und Xylol sowie Synthesegas an. Die Olefi- ne und Aromaten sind heute die wichtigsten Primärchemi- kalien der Chemischen Industrie [3]. Die Weiterverarbei- tung führt zu einer großen Vielfalt an Kunststoffen und ver- edelten Produktlinien (Abbildung 2). Weniger bekannt ist ein weiterer Rohstoff, den die Erd- öl- und Erdgasindustrie der Chemie zur Verfügung stellt: hochreiner, elementarer Schwefel.Bei der Aufbereitung von schwefelwasserstoffhaltigem Erdgas fallen alleine in Deutschland jährlich mehr als eine Million Tonnen Schwe- fel an [5]. Deutsches Erdgas deckt etwa 20 Prozent unseres Auf den Ölfeldern werden in allen Bereichen der Ölförderung spezielle Chemikalien in kleinsten Mengen eingesetzt, ohne die sich das Öl nicht wirtschaftlich gewinnen lässt. Umge- kehrt ist Erdöl der Rohstoff zur Produktion dieser Substanzen. Nr. 2 | 35. Jahrgang 2001 | Chemie in unserer Zeit | 83 A N G E W A N D T E C H E M I E | K E I N E R D Ö L O H N E D I E C H E M I E Gasverbrauchs. Da es aber mit bis zu 22 Volumenprozent Schwefelwasserstoff vergesellschaftet sein kann, muss die- se toxische und korrosive Komponente über eine Reini- gungsstufe entfernt werden. Dazu wäscht man absorptiv mit selektiven Lösemitteln auf Basis von Aminen, endver- schlossenen Glykolethern oder Thiophenderivaten.Der ex- trahierte Schwefelwasserstoff wird in Claus-Anlagen erst partiell zu Schwefeldioxid verbrannt, die entstehende Mi- schung aus zwei Teilen Schwefelwasserstoff und einem Teil Schwefeldioxid dann an einem Bauxitkatalysator zu ele- mentarem Schwefel und Wasser umgesetzt.Der Schwefel ge- langt in Bahnkesselwagen in flüssiger Form in die chemi- schen Fabriken, wo er zu Schwefeldioxid und Schwefeltri- oxid (für Sulfierungen), aber hauptsächlich zu Schwefel- säure verarbeitet wird. Wenn im Rahmen einer europäischen Kraftstoffrichtli- nie für alle Kraftstoffsorten bis 2005 ein verbindlich fest- gelegter Schwefelgehalt von maximal 50 ppm einzuhalten ist, werden mit Sicherheit aus den deutschen Raffinerien noch mehrere hunderttausend Tonnen elementarer Schwe- fel dazukommen. Gegenseitige Abhängigkeit zwischen Ölindustrie und chemischer Industrie Naphtha ist der bedeutendste Rohstoff der Petrochemie. Seine Spaltprodukte begründen ihrerseits wieder viele Produktlinien. A B B . 2 | D I E W I C H T I G S T E N PRO D U K T L I N I E N D E R PE T RO C H E M I E A B B . 1 | C H E M I E- U N D M I N E R A L Ö L I N D U S T R I E 84 | Chemie in unserer Zeit | 35. Jahrgang 2001 | Nr. 2 Die Bohrspülung transportiert, kühlt, schmiert und stabilisiert Erdöl- und Erdgaslagerstätten werden meistens in Tiefen von 1000 bis 6000 Metern angetroffen. Es ist nicht so, dass sich unter dem Meeresboden der Nordsee, in Saudi-Arabi- en oder Westsibirien große unterirdische Ölseen und riesi- ge Gasblasen befinden, die nur „angebohrt“ und „angezapft“ werden müssten. Erdöl und Erdgas befinden sich in winzi- gen Hohlräumen poröser Speichergesteine, die nach oben von undurchlässigen Deckschichten abgeschlossen sind.Je- de Lagerstätte steht unter einem bestimmten Druck, der mit der Tiefe zunimmt (alle zehn Meter um etwa ein Bar). Auch die Temperatur nimmt mit der Tiefe zu und zwar je 1000 Meter um etwa 30 °C. Nach seismischen Untersu- chungen wird der Ort der Bohrung festgelegt.Erst durch ei- ne aufwändige und kostspielige Bohrung mit Rotary-Bohr- anlagen kommt man an die wertvollen Kohlenwasserstoffe heran.Dabei wird durch das hohle Bohrgestänge eine Spül- flüssigkeit, die Bohrspülung, gepumpt und zirkuliert.Durch Öffnungen am Bohrmeißel tritt sie aus, nimmt das abge- bohrte Gestein (Bohrklein) auf und transportiert es zwi- schen Bohrlochswandung und Gestänge nach oben. Hier wird sie im Schüttelsieb vom Bohrklein befreit und wieder in den Umlauf geschickt (Abbildung 3). Neben der wichti- gen Transportfunktion kühlt und schmiert die Bohrspülung und kompensiert den Lagerstättendruck. Außerdem stabili- siert sie die Bohrlochwand durch einen Filterkuchen. Kommt die Zirkulation zum Stillstand, hält sie aufgrund ih- rer nichtnewtonschen Fließeigenschaften durch Vergelung (Strukturviskosität) alle Feststoffe in Schwebe, so dass Meißel und Bohrgestänge durch sedimentierendes Material nicht blockiert werden. Weder die Bezeichnung „Bohrspülung“ noch der engli- sche Ausdruck „drilling mud“ (Bohrschlamm) geben die enormen technischen Anforderungen an diese hochent- wickelten Transportflüssigkeiten wieder. Die Bohrspülung und ihre Bestandteile sind außergewöhnlichen Belastungen ausgesetzt: Temperaturen bis über 200 °C, Druck von meh- reren hundert bis über tausend Bar, hohen Scherkräften, hohen Elektrolytgehalten bis zur Sättigung (auch mit zwei- wertigen Kationen), wechselnden pH-Werten. Die wasserbasische Bohrspülung Die Grundlage der wasserbasischen Spülung ist eine Ton(Bentonit)-Suspension, die bereits die Minimalanforde- rungen an das rheologische Verhalten erfüllt. Aber erst der Zusatz von organischen Polymeren bringt die notwendigen Variationsmöglichkeiten in der Rheologie und Viskosität.Er vermindert auch den Wasserverlust an der Bohrlochwan- dung durch einen wenig durchlässigen Filterkuchen aus Ton- und Polymerkolloiden [6]. Je nach Anforderungsprofil und Temperaturbelastung verwendet man als Polymer: Stär- ke und Stärkeether (z. B. Carboxymethylether), Cellulo- seether (wie Carboxymethylcellulose CMC, Carboxyme- thylhydroxycellulose CMHEC und Hydroxyethylcellulose HEC verschiedener Molekulargewichte und Substitutions- grade, vgl. Abbildung 4a), Xanthan (ein Biopolymer), mo- difizierte Kondensationsprodukte von Ketonen und Alde- hyden, Copolymere auf Basis von Acrylamid, Acrylsäure, AMPS und Vinylamiden (Abbildung 4b). Die Einsatzmengen liegen dabei zwischen ein bis drei Prozent. Stärke, meist aus Kartoffeln gewonnen, war das erste organische Polymer, das in wesentlichen Mengen als Bohrspüladditiv verwendet wurde.Als sehr preiswertes Pro- dukt hat sie immer noch ihren Markt; ihre Temperatur- und Scherbelastbarkeit ist jedoch bei etwa 100 °C erreicht. Außerdem ist Stärke sehr anfällig für Bakterien, so dass man gleichzeitig ein Bakterizid anwenden muss.Eine chemische Modifizierung mit Monochloressigsäure zu Carboxymethyl- stärkeether bringt gewisse technische Verbesserungen, ist aber teurer. Am Markt durchgesetzt haben sich jedoch seit vielen Jahren die halbsynthetischen Polymere auf Basis chemisch modifizierter Cellulose.Die wasserunlösliche Cellulose ver- schiedener Holzarten (zum Beispiel Fichte und Buche) und von Baumwolle wird im stark alkalischen Milieu mit Mo- nochloressigsäure, Ethylenoxid oder mit Gemischen aus beiden zu den entsprechenden Celluloseethern umgesetzt und dadurch wasserdispergierbar bis wasserlöslich ge- macht. Hauptprodukt ist Carboxymethylcellulose (CMC), die je nach Ausgangszellstoff ein breites Viskositätsspek- trum abdeckt. Die teilweise oder vollständige Substitution der drei Wasserstoffatome der Hydroxy-Gruppen am Cel- lulose-Molekül ergibt den durchschnittlichen Substituti- onsgrad (DS).Handelsübliche CMC hat einen DS von 0,5 bis 1,5; die Wasserlöslichkeit steigt mit dem DS. Hydroxy- ethylcellulose (HEC) und der Mischether Carboxymethyl- hydroxyethylcellulose (CMHEC) sind weniger empfindlich Die Spülflüssig- keit wird durch das Gestänge nach unten ge- pumpt, tritt am Bohrmeißel aus und transportiert das Bohrklein nach oben. Im Schüttelsieb wird das Bohrklein ab- getrennt und die Spülflüssigkeit wieder in den Umlauf geschickt. A B B . 3 | Z I R KU L AT I O N D E R B O H R S P Ü LU N G Nr. 2 | 35. Jahrgang 2001 | Chemie in unserer Zeit | 85 A N G E W A N D T E C H E M I E | K E I N E R D Ö L O H N E D I E C H E M I E gegen Calcium als CMC, werden aber aus Preisgründen nur begrenzt eingesetzt (Abbildung 4). Die Celluloseether sind bis etwa 150 °C temperaturstabil. Bei höheren Tempera- turen werden sie thermisch abgebaut und die Bohrspülung geschädigt, was zu hohem Wasserverlust an der Bohr- lochwandung führt. Einen festen Platz als Bohrspüladditive haben inzwi- schen die Biopolymere vom Typ Xanthan eingenommen.Es sind leicht anionische Heteropolysaccharide, die von der Bakterienspezies Xanthomonas campestris in Fermenta- tionsprozessen aus Saccharose erzeugt werden. Die Mole- kulargewichte liegen bei 2 – 15 · 106.Die Xanthanlösungen zeigen eine ausgeprägte Scherverdünnung und geben der Bohrspülung strukturviskose Eigenschaften, die besonders in feststoffarmen Spülungen (reduzierter Bentonit-Einsatz) genutzt werden. Bei den selteneren, sehr tiefen Bohrungen im Bereich von 5000 bis 8000 Meter sind Temperaturen im Bohrloch von bis zu 250 °C möglich.Als Ergänzung zu CMC sind dann vollsynthetische Polymere notwendig [7, 8]. Bewährt ha- ben sich vor allem Homo- oder Copolymere mit AMPS als wichtigem Monomerbaustein (Abbildung 4b und Glossar). Diese Verbindungen sind aufgrund der durchgehenden C- C-Verknüpfung deutlich thermostabiler als alle Polysaccha- ride und im Vergleich zu teilverseiften Polyacrylamiden sehr tolerant gegenüber Calcium. Feldbeispiele zeigen, dass bei übertiefen Bohrungen (7000 bis 8000 Meter) mit diesen Bohrspüladditiven Temperaturen von über 220 °C be- herrscht werden [9]. Dabei lassen sich bei steigender Tem- peratur CMC-konditionierte Spülungen problemlos in Co- polymer-konditionierte überführen. Neben Ton und Polymeren enthalten Bohrspülungen Beschwerungsmittel wie BaSO4 (Schwerspat), CaCO3 oder auch Hämatit (Fe2O3), um das spezifische Gewicht einzu- stellen und damit den Lagerstättendruck zu kontrollieren. Mit anderen Additiven wie Bioziden, Schmiermitteln, Ent- schäumern, Verflüssigern, Flockungsmitteln oder Korrosi- onsinhibitoren werden die jeweiligen Anforderungen ab- gedeckt: So bekämpft man mit Inhibitoren das Bakterien- wachstum und die Korrosion, die Schmiermittel reduzie- ren die oft hohen Reibungskräfte zwischen Bohrstrang und Verrohrung oder Bohrlochwand. Die Entschäumer sollen den durch Turbulenzen entstandenen Schaum gering hal- ten.Verflüssiger und Flockungsmittel steuern die Rheologie der Bohrspülung. Die ölbasische Bohrspülung Beim Durchteufen (Durchbohren) wasserempfindlicher Tonschichten mit hohen Quellraten oder bei Ablenk- und Horizontalbohrungen mit hohen Reibungskoeffizienten sind Öl- oder Ölinvertspülungen eine Alternative zur was- serbasischen Spülung. Öl als äußere Phase inhibiert die quellfähigen Tone und liefert die gewünschte Schmierwir- kung.Bis Anfang der achtziger Jahre hat man diese Öl-Emul- sionsspülungen mit Dieselöl und Emulgatorensystemen for- muliert. Es war damals üblich, das Bohrklein bei Offshore- Bohrungen im Meer zu entsorgen. Das abgebohrte Materi- al mit anhaftendem, toxischem, aromatenhaltigem Öl und biologisch nicht abbaubaren Emulgatoren belastete die See. Die erhöhten Umweltauflagen verlangten eine Änderung der Kohlenwasserstoff(KW)-Basis. Über gereinigte, aroma- tenarme Mineralöle, Paraffine oder Polyalphaolefine ge- langte man schließlich zu maßgeschneiderten, aerob und anaerob biologisch abbaubaren, langkettigen Estern oder Acetalen.Diese erfüllen bestens die Anforderungen an Um- weltverhalten und technischer Leistungsfähigkeit, haben aber ihren Preis. A B B . 4 | T Y PI S C H E B O H R S P Ü L P O LY M E R E : a) Natrium-Car-boxymethyl-Hy- droxyethyl-Cellu- lose (NaCMHEC), b) AMPS-N-Me- thyl-N-Vinyl- acetamid-Acryl- amid-Terpolymer, c) Polyacrylamid teilverseift. E R D Ö L R E S E RV E N | Wie lange kann die Chemische Industrie noch auf preiswerte fossile Rohstoffe zurückgreifen? Es kommen gute Nachrich- ten von der Mineralölindustrie [4]: Bei den Ölreserven hat sich die erfreuliche Ent- wicklung der letzten Jahre fortgesetzt. Mit einem Zuwachs von 1,5 Prozent gegen- über 1997 erreichten die weltweiten Re- serven 1998 mit 140,6 Milliarden Tonnen den höchsten je dagewesenen Wert! Der Verbrauch lag 1998 weltweit bei 3,35 Mil- liarden Tonnen. Zu den sicher bestätigten Reserven zählen nur die Funde, die bereits durch Bohrungen nachgewiesen und mit heutiger Technik wirtschaftlich förderbar sind. Dazu zählen nicht die Mengen, deren Lage und Mächtigkeit man zwar genau kennt, die aber zu heutigen Preisen noch nicht rentabel abgebaut werden können wie Ölschiefer und Teersande. Dieses Koh- lenwasserstoff-Potential übertrifft noch um ein Vielfaches die bestätigten Men- gen. Ähnliches gilt für die Erdgas-Reserven. Sie lagen 1998 bei 145,6 Billionen Kubik- metern bei einem Gesamtverbrauch von 2,4 Milliarden Kubikmetern im Jahre 1998 [4]. Mit den neuen Rekordständen der Weltreserven für Öl und Gas setzt sich der Trend der letzten Jahre fort, dass trotz langsam steigender Förderung der Vorrat an sicher bestätigten Reserven stabil bleibt. a b c Stillgeleg- ter Tief- pumpen- antrieb beim Erdöl- museum Wietze (bei Celle). 86 | Chemie in unserer Zeit | 35. Jahrgang 2001 | Nr. 2 Inzwischen legten die Gesetzgeber für die Nordsee „ze- ro discharge“ fest, so dass Bohrklein und verbrauchte Bohr- spülung an Land entsorgt oder rekonditioniert werden müs- sen. Der Trend geht eindeutig zu wasserbasischen Spülun- gen mit umweltverträglichen Inhaltsstoffen, die die tech- nischen Anforderungen voll erfüllen [10].Damit ist die Che- mische Industrie gefordert. Neue Polymere, die besser in- hibieren, und Varianten der Glykolchemie sind Beispiele für diese Entwicklung. Zementation: Verrohrung des Bohrlochs Wenn in der ersten Bohrphase die vorgesehene Bohrtiefe erreicht ist, wird der Bohrvorgang unterbrochen und die- ser Abschnitt verrohrt. Der Ringraum zwischen dem Rohr und der offenen Bohrlochwand wird mit einem Zement- schlamm gefüllt. Der ausgehärtete Zement verbindet das Rohr mit dem Gebirge, stabilisiert und dichtet ab (Abbil- dung 3). Die Zementaufschlämmung besteht im wesentli- chen aus Tiefbohrzement, einem speziellen Portland-Ze- ment mit vermindertem Aluminatgehalt und Wasser. Ähnlich wie bei der Bohrspülung lässt sich mit Ad- ditiven (etwa ein bis zwei Prozent) das An- forderungsprofil steuern.Je nach Bedarf wird die Abbindezeit beschleunigt oder verzögert. Dafür werden CaCl2, Ca-Lig- ninsulfonat oder CMHEC eingesetzt.Um die Fließeigenschaften zu verbessern, wenn der Zement-Slurry verpumpt wird, werden Dispergatoren oder Rei- bungsverminderer zugesetzt. Modifi- zierte Melaminharze oder Polynaph- thalinsulfonate (PNS) sind die Produk- te der Wahl. Als PNS bezeichnet man Kon- densationsprodukte aus Naphthalinsulfonsäure und Formaldehyd mit einem Kondensationsgrad von 6 bis 7. Schließlich muss auch der Wasserverlust an der Bohrlochswand kontrolliert werden, da das Wasser für die Hydratation zu Zementstein benötigt wird. CMHEC, HEC, Polyvinylalkohole oder moderne Copolymere, die über einen breiten Temperaturgradienten wirksam sind, werden hier angewendet. Rissbildung erhöht die Gasdurchlässigkeit Ziel jeder Erdöl- und Erdgasbohrung ist natürlich die möglichst schnelle und weitgehende Förderung der gefunde- nen Kohlenwasserstoffe, um die Inves- tition rentabel zu machen. Geringe Durchläs- sigkeit der öl- oder gasführenden Formationen kön- nen dem entgegenstehen.Deshalb wird oft schon vor För- derbeginn über die Sonde der Porenraum chemisch be- handelt oder eine hydraulische Rissbildung (hydraulic frac- turing) im Öl- oder Gas-Träger durchgeführt. Ein relativ einfaches Verfahren ist die chemische Be- handlung der Bohrung im Bereich der erdöl- oder erdgas- führenden Schicht. Dabei werden Säuren oder Säuregemi- sche eingepresst, die in der Regel mit Tensiden (zur besse- ren Benetzung) und Korrosionsschutzmitteln versetzt sind. 15prozentige Salzsäure oder auch Gemische mit Flusssäure lösen carbonatische oder silikatische Bestandteile auf, rei- nigen die Bohrlochwand von Bohrspül- und Zementations- rückständen und öffnen die Poren für einen erleichterten Gas- und Ölzufluss. Die meist unlegierten Stähle der Bohr- lochausrüstung (Rohre, Pumpen, Ventile) werden durch den Zusatz von Imidazolinen oder Propargylalkohol vor der Korrosion durch die Säuren geschützt. Schutzwerte von 95 bis 98 Prozent sind durchaus üblich. Für die endgültige Reinigung von Säure, Ölemulsionen, Asphalten- und Paraf- finresten haben sich Lösungsvermittler wie Ethylenglykol- monobutylether bewährt. Wesentlich aufwändiger, aber auch effizienter, ist die hydraulische Rissbildung, die vor allem bei Gaslagerstätten angewendet wird (Abbildung 5). Man pumpt durch das Bohrloch unter hohem Druck (bis zu 1000 bar) spezielle Flüssigkeiten in die wenig durchlässige Formation, so dass diese mit langen Klüften aufreißt und Abzugskanäle für das Gas bildet. Es gibt Beispiele, wo die Förderrate durch den Riss („Frac“) von Null auf 10.000 m3 Erdgas in der Stunde gesteigert wurde. Der besondere Trick dieser Technologie besteht darin, dass über eine viskose Trägerflüssigkeit ein Stützmittel in die entstehenden Risse gedrückt wird. Diese werden so offengehalten und gewährleisten die gewünschte hohe Durchlässigkeit für das Gas. Auch hier braucht man die Chemie [11]. Zwar genügt für flache Ölbohrungen einfacher Quarzsand mit hohem Rundungsgrad (Ottawa-Sand), für tiefe Gasbohrungen je- doch erfüllt nur extrem fester Sinterbauxit alle Anforde- rungen an Festigkeit, spezifischem Gewicht und Korro- sionsbeständigkeit. Die Trägerflüssigkeit soll sowohl die hydraulische Energie übertragen, die zum Aufbrechen des Gebirges benötigt wird, als auch das Stützmittel in den zuvor erzeugten Riss transportieren. Aus Sicherheits- und Kostengründen haben sich durch Polymere verdickte, was- serbasische Fluide gegenüber Öl oder Wasser-in-Öl-Emul- sionen durchgesetzt.HEC, Xanthan, Guar-Mehl, aber vor al- lem Hydroxypropylguar (HPG) machen die Lösung so vis- kos, dass die Tragfähigkeit für das Stützmittel gewährleistet ist.Bei großen Rissen können das 200 bis 300 Tonnen Stütz- mittel sein. Guar und mit Propylenoxid an den Hydroxy- gruppen zu HPG modifizierter Guar haben sich am Markt durchgesetzt. Vernetzt man mit Aluminium-, Titan- oder Zirkonium- salzen, erhöht sich die Ausgangsviskosität und Tempera- turstabilität. Wenige Stunden nach der Behandlung muss die Visko- sität der Trägerflüssigkeit gebrochen werden, um sie prob- lemlos zurückzufördern. Enzyme oder Ammoniumpersul- fat, die zur Depotwirkung mikroverkapselt sein können, dienen als „breaker“. Abb. 5 Verfahren der hy- draulischen Riss- bildung (vorher und nachher). Nr. 2 | 35. Jahrgang 2001 | Chemie in unserer Zeit | 87 A N G E W A N D T E C H E M I E | K E I N E R D Ö L O H N E D I E C H E M I E Primär- und Sekundärförderung Bei Bohrlöchern für die Ölförderung werden in der ersten Gewinnungsphase die Expansionskräfte der Lagerstätte ge- nutzt.Diese kommen durch gelöste Gase (Erdölbegleitgase), Gaskappen und die Triebkräfte des in jeder Lagerstätte vor- handenen Wassers zustande. Zu Beginn reicht die Lager- stättenenergie aus, um ohne Hilfsmittel genügend Öl pro Zeiteinheit an die Oberfläche zu fördern. Solange der stati- sche Druck an der Bohrlochsohle und die Gasentlösungs- energie zusammen die Schwerkraft und die Reibungsver- luste im Steigrohr überwinden, spricht man von eruptiver Förderung. Sie ist vergleichbar mit einer Spraydose, deren Ventil man betätigt. Lässt die Lagerstättenenergie während der Förderperiode nach, muss von außen Energie zugeführt werden.Das geschieht entweder durch das Einpressen von Gas (Gasrückführung) oder durch elektrische Tauchkol- benpumpen, deren Antriebe über Tage man als „Pfer- deköpfe“ kennt (Abbildung 6). Man schätzt, dass weltweit etwa 15 bis 20 Prozent des in den Lagerstätten vorhande- nen Öls nach dieser Primärfördermethode gewonnen wer- den können. Erst das Einpressen von Wasser über Injektionsbohrun- gen an den Randzonen des Erdölfeldes ermöglicht einen Entölungsgrad von bis zu 35 Prozent, in einigen High-Tech- Provinzen mit Horizontalbohrungen (zum Beispiel in man- chen Feldern der Nordsee) wurden sogar 60 Prozent er- reicht. Eine um ein Prozent erhöhte Ausbeute entspricht dabei einem Zuwachs der globalen Reserven von ein bis zwei Jahren des Welterdölverbrauchs [12]. Die Wasserflut- verfahren, bei denen sehr große Wassermengen in die La- gerstätte eingepresst werden, bezeichnet man als Sekun- därförderverfahren (Abbildung 7). Die Palette der Rohöle reicht von sehr schweren, zähflüssigen, oft teerartigen, fast schwarzen Ölen bis zu außerordentlich leichten, strohfarbigen Varianten mit sehr hohem Gasgehalt. Die Dichte liegt zwischen 0,65 - 1,02 g · cm-3, meist bei 0,8 - 0,9 g · cm-3. Rohöle sind Mi- schungen aus sehr vielen chemischen Verbindungen. Jede "Rohölprovenienz" ist dabei eine einmalige Mischung, die in ihrer Zusammensetzung und in ihren Eigenschaften kei- nem anderen Vorkommen genau gleicht. Sie ändert sich zu- dem noch während der Förderung. Die Kohlenwasserstoffe im Rohöl gehören folgenden Gruppen an: Alkanen (n- und i-Paraffine), Cycloalkanen (Naphthene) und Aromaten. Daneben finden sich in ver- hältnismäßig geringen Mengen die Elemente Schwefel, Stickstoff, Sauerstoff, Vanadium und Nickel, die häufig in Heterocyclen vorliegen. Reinigung des Rohöls Vor der Destillation in der Raffinerie muss Rohöl von Gas, Wasser, Salz und feinen Feststoffen gereinigt werden. Raffi- nerien übernehmen nur Rohöl mit maximal ein bis zwei Prozent Wasser und 0,02 Prozent Salz. Gerade in wasser- gefluteten Ölfeldern – und das sind die meisten auf der Welt – steigt der Wassergehalt im Öl enorm an. Salzhaltiges La- Elektrische Tauch- kolbenpumpen helfen, das Öl aus der Tiefe zu för- dern, sobald die Lagerstättenener- gie nachlässt. A B B . 6 | T I E F P U M PE N F Ö R D E R U N G gerstättenwasser und Flutwasser ist in winzigen Tröpfchen in die Ölphase eingebunden.Begünstigt wird dies durch im Rohöl vorkommende natürliche Emulgatoren wie Salze der Naphthensäuren und durch die Turbulenz des Gaslift-Ver- fahrens und in den Tiefpumpen. Stabilisierend auf die Was- ser-in-Öl-Emulsionen wirken außerdem kolloidal verteilte Asphaltene, Paraffine und Erdölharze sowie anorganische, 88 | Chemie in unserer Zeit | 35. Jahrgang 2001 | Nr. 2 ölbenetzte Feinteilchen wie Tone oder Eisensulfide. Diese Verbindungen werden an der Wasser-Öl-Grenzfläche ad- sorbiert, bilden einen stabilen Film und verhindern so die natürliche Agglomeration und Koaleszenz der mikrofein ver- teilten Wassertröpfchen. Weitere stabilisierende Faktoren von Ölfeld-Emulsionen sind die Temperatur, Viskosität, Was- sergehalt und Tröpfchengröße, die Dichtedifferenz zwi- schen Öl und Salzwasser und das Alter der Emulsion.Öl aus alten Feldern enthält heute oft deutlich über 90 Prozent Wasser. Dennoch lohnt es sich, dieses „Wasser mit Fettau- gen“ zu fördern und aufzubereiten. Entschäumer und Schauminhibitoren Zunächst wird in meist mehrstufigen Gas-Öl-Separatoren das Begleitgas vom Öl entlöst, gesammelt und gesondert verwertet.Die Separatoren sind nichts anderes als sehr groß- kalibrige Rohre, die horizontal oder schräg angeordnet sind. Das Rohöl tritt am oberen Ende ein und fließt langsam zum Abflussstutzen am unteren Ende. Das Gas löst sich in Blä- schen aus dem Öl und wird über ein Gasventil abgesaugt. Allerdings kann es beim Entlösungsvorgang zu starker Schaumbildung kommen, die die Kapazität des Separators sehr reduziert und den Ölproduktionsprozess stört.Die do- sierte Zugabe von Schaumverhütungsmitteln und/oder Ent- schäumern vor dem Eintritt in den Separator hilft in den meisten Fällen. Wirksame Verbindungen dafür sind höhere Alkohole wie Octanole, Siliconöle und Fluorsilicone (Ab- bildung 8).Üblicherweise werden diese Substanzen in Koh- lenwasserstoffen gelöst (5 – 25prozentig). Die Dosiermen- gen liegen im Bereich von 3 – 5 ppm bei den Siliconölen und 0,5 – 5 ppm bei den Fluorsiliconen. Entscheidend für die Wirkung der Entschäumer ist, dass sie in Wasser unlös- lich und in der Rohölphase sehr wenig löslich sind. Demulgatoren und Emulsionsspalter Wesentlich aufwendiger und sensibler ist es jedoch, das oft hochsaline Wasser und die Feststoffe von der Wasser-in-Öl- Emulsion abzutrennen. Auch dies geschieht bereits im Öl- feld, denn die erheblichen Wassermengen können vor Ort über Injektionsbohrungen wieder in die Lagerstätten zurückgepresst werden. Anschließend hat man nur das wertvolle Rein-Öl über Pipelines zu transportieren, das mit weniger Energieaufwand gepumpt werden kann als die höher viskosen Emulsionen. Hat die Ölemulsion die Gasseparatoren durchlaufen, ge- langt es in eine weitere Anlage, den Treater.Um Rohöl wirt- schaftlich vom Wasser abzutrennen, kombiniert man Ab- setzzeit, thermische und manchmal elektrische Behandlung und dosiert sorgfältig ausgewählte Emulsionsspalter. Diese Emulsionsspalter oder Demulgatoren mit stark grenz- flächenaktiven Eigenschaften reichern sich zunächst an den Phasengrenzflächen an. Dabei orientieren sich die hydro- philen Anteile zur Wasserseite, die hydrophoben Reste zur Ölseite.Aufgrund ihrer stärkeren Grenzflächenaktivität ver- drängen die gerichteten Spaltermoleküle die natürlichen Emulgatoren von der Grenzfläche und wirken destabilisie- rend. Sie bilden aber selbst keinen solchen Film aus, da sie in geringerer Konzentration nicht emulgieren können. Außerdem ist es wegen der chemischen Struktur des Spal- ter-Moleküls entropisch günstiger, wenn dieses in die Grenz- fläche eintritt.Es kommt zur Agglomeration und Koaleszenz Abb. 7 Sekun- därförderung: Um den Ent- ölungsgrad zu er- höhen, werden an den Randzonen des Erdölfeldes über Injektions- bohrungen große Wassermengen in die Lagerstätte gepresst. [Bild: Clariant] A B B . 8 | T Y PI S C H E S I L I CO N - E N T S C H Ä U M E R Oben: Polydimethylsiloxan. Unten:Fluorsilicon (Poly(methyl- 3,3,3-trifluorpropyl)siloxan). Nr. 2 | 35. Jahrgang 2001 | Chemie in unserer Zeit | 89 A N G E W A N D T E C H E M I E | K E I N E R D Ö L O H N E D I E C H E M I E der Wassertröpfchen mit anschließender Phasentrennung von Öl und Wasser [13] (Abbildung 9). Die Geschichte der Spalter-Chemie beginnt in den zwan- ziger Jahren mit Türkischrotöl (sulfoniertes Rizinusöl) und Petrolsulfonaten. Wirksame Dosiermengen betrugen min- destens 1000 ppm. Nach oxethylierten Fettsäuren, Alkoho- len und Alkylphenolen haben sich schließlich im Laufe von Jahren Ethylenoxid/Propylenoxid-Blockpolymere („Pluro- nics“) und p-Alkylphenol-Formaldehyd-Harze mit Ethylen- oxid/Propylenoxid (EO/PO) durchgesetzt (Abbildung 10). Vernetzungsreaktionen, mit denen die Molekulargewichte erhöht werden sollen, und vor allem die Abstufung mit Ethy- lenoxid und Propylenoxid, um den richtigen HLB-Wert (sie- he Glossar) einzustellen, spielen eine entscheidende Rolle. Neben diesen nichtionischen Tensiden haben sich leicht kationische Verbindungen wie Polyesteramine einen festen Platz in den Spaltersortimenten erobert. In der Regel wird von Service-Ingenieuren im Ölfeld an frischen Emulsionen eine maßgeschneiderte Spalter-Mischung erarbeitet. Nach positivem Labortest („bottle test“) mit dem optimierten Pro- dukt wird die Ölgesellschaft durch einen Wochen dauern- den Betriebsversuch von der Wirksamkeit überzeugt. Ent- scheidende Kriterien sind schnelle, vollständige Entwässe- rung und Entsalzung bei möglichst niedriger Aufbereitung- stemperatur (Energieeinsparung) und geringem Spalterein- satz. Die Demulgatoren-Wirkstoffe sind Polymere im Mole- kulargewichtsbereich von 500-20.000 mit breiter Moleku- largewichtsverteilung.Damit sie dosierbar und handhabbar werden, müssen sie in Lösungsmitteln eingestellt werden. Geeignete Lösungsmittel sind meist Gemische aus Aroma- ten und Alkoholen. Sie dienen gleichzeitig als „carrier“ für die Spalterwirkstoffe und transportieren diese an die Öl- Wasser-Grenzfläche. Moderne Demulgatoren-Systeme kön- nen mit nur zehn bis fünfzig Gramm Produkt eine Tonne Rohölemulsion spalten! Die Demulgatoren sind sicher die wichtigsten aller Ölfeldchemikalien, denn ohne sie würden in kurzer Zeit die meisten Ölaufbereitungsanlagen dieser Welt stillstehen.Man rechnet, dass etwa 40 Prozent der von der Erdölindustrie verbrauchten Produktionschemikalien auf diese Produktgruppe entfallen. Das beim Spaltvorgang abgetrennte Emulsionswasser kann sehr selten direkt in die Lagerstätte reinjiziert, in Ge- wässer oder das Meer entsorgt werden. Mehrere tausend ppm Restöl sind oft als Öl-in-Wasser-Emulsion eingebunden und müssen mit Invert-Spaltern oder Flockungsmitteln ent- fernt werden. In der Nordsee gelten heute 40 ppm Restöl als Obergrenze, in anderen Regionen sogar nur 10 ppm. Man verwendet dafür synthetische wasserlösliche oder was- serdispergierbare Polyelektrolyte. Sie sind meist von katio- nischer Natur im Molekulargewichtsbereich von 104 bis 107, wie quaternäre Polyacrylamide, Polyethylenimin- Hydrochloride oder Poly-DADMAC (Poly-Diallyl-Dimethyl- Ammoniumchlorid). Es hat sich bewährt, die Flockungs- mittel in hoher Verdünnung und bei starker Turbulenz zu dosieren. Abb. 9 Die Emulsionsspalter oder Demulgatoren reichern sich an den Phasengrenzflächen an und verdrängen die natürlichen Emulgatoren. Es kommt zur Phasentrennung nach den unterschiedlichen Dichten von Wasser und Öl. [Foto: Clariant] a a b c b c 90 | Chemie in unserer Zeit | 35. Jahrgang 2001 | Nr. 2 Paraffininhibitoren und Fließverbesserer Die meisten Rohöle sind bei Raumtemperatur bewegliche Flüssigkeiten und daher leicht zu pumpen. Das kolloid- disperse Vielstoffgemisch Erdöl enthält jedoch in unter- schiedlichen Mengen n-Paraffine, Asphaltene und Erdöl- harze, die bei Temperatur- und Druckabsenkung feste Ab- lagerungen an Rohrleitungen und Behältern bilden können. Die Wachsausfällungen führen zu einer rauen Oberfläche der Pipeline-Wandung. Es resultieren turbulente Strömun- gen und Druckaufbau im Rohrleitungssystem.Im schlimms- ten Fall wird bei weiterer Abkühlung der Stockpunkt des Öls erreicht und der Pipeline-Transport kommt zum Erlie- gen. In kalten Wintermonaten (Sibirien!) oder auch schon auf dem Meeresboden bei Wassertemperaturen von vier bis fünf Grad sind deshalb Ölleitungen gefährdet. Paraffininhibitoren oder auch Stockpunktserniedriger können den Stockpunkt des Rohöles durch die Verände- rung der Morphologie der auskristallisierenden Paraffine beeinflussen [15]. Besonderes Kennzeichen dieser öllösli- chen, polymeren Inhibitoren ist eine paraffinähnliche Mo- lekülstruktur, aber mit polaren Seitenketten. Kristallisieren die Paraffine aus, werden die Inhibitoren im Kristallgitter mit eingebaut und behindern durch ihre Verzweigungen, dass Gelstrukturen anwachsen und sich ausbilden. Der Pa- raffinstockpunkt wird dadurch herabgesetzt und die Rheo- logie des Öls günstig beeinflusst. Die Paraffinkristalle kön- nen nicht mehr an den Metalloberflächen anhaften. Typische Stockpunktserniedriger sind Ethylen-Vinyl- acetat-Copolymere mit einem Vinylacetat-Gehalt von 18 bis 40 Prozent, Polyacrylsäureester und Methacrylsäureester von höheren Alkoholen (bis C22), Poly-Malein-, Bernstein- und Fumarsäureester und Copolymere. Hinzu kommen tensidische Strukturen wie Fettamin- und Nonylphenol- Oxalkylate, die vor allem durch ihre dispergierenden Ei- genschaften auf Asphaltene und Paraffine die Wirkung von Stockpunktserniedrigern sehr unterstützen. Ein klassisches Beispiel für ein gut auf Inhibitoren ansprechendes Rohöl ist das von Bombay High: Mit einer Dosierung von 250 – 300 ppm Inhibitor kann der Stockpunkt durchaus um 15 bis 20 °C gedrückt werden.Leider gibt es auch Rohöle, die nur durch Temperaturerhöhung fließfähig werden und auf Stockpunktserniedriger kaum ansprechen. Ein interessantes physikalisches Phänomen zur Rei- bungsverminderung an der Rohrleitungswand kann beim Transport von Rohöl oder Kohlenwasserstoffen ausgenutzt werden: extrem hochmolekulare Poly-(α-Olefine) mit Mo- lekulargewichten von etwa 5 · 105 – 106 können turbulen- te Strömungen (Reynolds-Zahl > 2300) „beruhigen“ und da- durch einen geringeren Fließwiderstand erzeugen [16].Das bedeutet einen höheren Durchsatz bei gleichem Aufwand an Pumpenergie oder weniger Energieaufwand für das Ver- pumpen des nominellen Fördervolumens. Bereits 50 ppm Polymer können die Reibung um etwa 25 Prozent verrin- gern. Vergleichbare Effekte liefern die hochmolekularen, wasserlöslichen Polyacrylamide in Flutwasser-Injektionsan- lagen. Wasser Die Förderung von Erdöl ist untrennbar mit der gleichzei- tigen Förderung von Wasser verbunden. Bei Förderbeginn einer Sonde können es Spuren sein, gegen Ende der För- derphase sind es oft weit über 90 Prozent Wasseranteil. So liegt der Verwässerungsgrad der deutschen Ölfelder derzeit bei 92 Prozent im Durchschnitt! Das heißt 11,5 m3 Wasser müssen produziert, behandelt und reinjiziert werden, um 1 m3 Rohöl zu gewinnen. In den deutschen Ölfeldern fallen täglich etwa 75.000 m3 Emulsionswasser an, die nach der Abtrennung des Öls in die Lagerstätten zurückgepumpt wer- A B B . 1 0 | D E M U LG ATO R E N A B B . 1 1 KO R ROS I O N S - I N H I B I TO R E N A B B . 1 2 S T E I N V E R - H I N D E R E R Nr. 2 | 35. Jahrgang 2001 | Chemie in unserer Zeit | 91 A N G E W A N D T E C H E M I E | K E I N E R D Ö L O H N E D I E C H E M I E den, um den Druck zu erhalten und so viel Öl wie möglich aus dem Reservoir auszufluten.Die Lagerstättenwässer sind in der Regel salin, manchmal bis zur Sättigung. Typische Werte liegen zwischen zwei und 15 Prozent an Kochsalz, Calcium- und Magnesiumchlorid.Aber auch Sulfate und Car- bonate kommen vor, sowie Barium und Strontium-Ionen. Die gleichzeitige Präsenz der sehr häufig auftretenden Ga- se Schwefelwasserstoff und/oder Kohlendioxid liefert hoch- korrosive Lösungen.Korrosion und sich ablagernde schwer- lösliche Salze („Scale“) sind daher im Ölfeld ein ständiges Problem [17].Ebenso die Anwesenheit von anaeroben, sul- fatreduzierenden Bakterien, die beim Wachstum Schwefel- wasserstoff produzieren und Lochfraß-Korrosion verur- sachen. Korrosionsinhibitoren Ölfeldausrüstungen und Rohrleitungen werden aus Ko- stengründen in der Regel aus unlegierten Stählen gefertigt. Die ungeschützten Metallteile sind deshalb an den Grenz- flächen zu Wasser, Wasser-in-Öl-Emulsionen oder auch zu Gassystemen elektrochemischer Korrosion ausgesetzt. In der Erdölindustrie sind massive Formen der Metallzer- störung bekannt, die zu hohen Reparaturkosten und Pro- duktionsausfällen führen, aber auch zu erheblichen Um- weltschäden durch austretendes Rohöl. Der Einsatz von organischen, filmbildenden Korrosi- onsinhibitoren ist weit verbreitet. Kationische, meist stick- stoffhaltige Verbindungen sind substantiv, werden adsor- biert und ziehen als dünner Film auf die Metalloberflächen auf. Man erlangt oft über 90prozentigen Schutz. Typische Filmbildner sind Fettamine und deren Salze, zum Beispiel Quats, Diamine, Amidamine und Imidazoline, oxethylierte Amine und Heterocyclen wie Mercaptobenzthiazole, Pyri- din- und Piperazinderivate (Abbildung 11). Die Inhibitoren können je nach Anwendungsgebiet wasserlöslich, wasser- dispergierbar oder öllöslich sein. Korrosionsmechanismen sind äußerst komplex und die Auswahl einer wirksamen In- hibitorformulierung erfordert viel Erfahrung und Geduld. Die Dosiermengen, bezogen auf das Wasservolumen, lie- gen bei 25 – 50 ppm. Scale-Inhibitoren und Biozide Druck- und Temperaturänderungen im Förderprozess und die Vermischung von Lagerstätten- und Injektionswasser können dazu führen, dass schwerlösliche Salze wie CaCO3, BaSO4 und SrSO4 ausgefällt werden. Dadurch setzen sich Rohrleitungen, Ventile und Wärmetauscher zu, verbunden mit erheblichen Produktionsstörungen. Besonders im Off- shore-Bereich ist durch das Fluten mit Seewasser das Risi- ko der Steinbildung in den Förderleitungen sehr groß.In der Öl-Industrie ist es üblich, diesen „Scale“ durch spezielle In- hibitoren zu verhindern. Bewährt haben sich Polyacrylsäu- ren, Polymaleinsäuren und Copolymere im Molekular- gewichtsbereich von 1.000 bis 10.000 und verschiedene Varianten von Aminomethylenphosphonsäuren (Abbildung 12). Scale-Inhibitoren können in unterstöchiometrischen Mengen in das Kristallwachstum eingreifen, es begrenzen und die feinen Kristalle dispergieren. Bei kontinuierlicher Dosierung reichen 2 – 20 ppm Produkt aus.Bei einem neue- ren Verfahren wird periodisch ein größeres Volumen Scale- Inhibitor in den Bereich der Bohrlochsohle eingepresst.Aus diesem Depot wird der Inhibitor kontinuierlich mitgeför- dert und verhindert bereits in der Steigleitung die Steinbil- dung. Bakterien sind allgegenwärtig, auch in den Ölfeldern. Anaerobe, sulfatreduzierende Bakterien, zum Beispiel De- sulfovibrio desulfuricans, können Sulfat in Schwefelwas- serstoff umwandeln. Wenn über das Injektionswasser die Bakterien eingetragen werden, versauern die Erdöllager- stätten, und es kommt zu Korrosionsschäden.Die Betreiber der Wasserflutanlagen sind deshalb gezwungen, kontinu- ierlich 0,5 – 1 ppm Bakterizid zuzusetzen, um vor allem die sessilen Bakterienkulturen zu bekämpfen. Bakterizide zer- stören die Zellmembran der Bakterien. Grenzflächenaktive Stoffe, wie quartäre Ammoniumverbindungen aber auch Al- dehyde wie Glutaraldehyd und Formaldehyd sowie Iso- thiazolon-Derivate sind hier sehr wirksam. Ausblick Nach den beiden Ölkrisen 1973/74 und 1979/80 bemühten sich die Öl- und die Chemische Industrie um Verfahren und Produkte, mit denen sich der Entölungsgrad der Lager- stätten erhöhen lässt – möglichst bis über 60 Prozent. Der Begriff der Tertiärförderung (enhanced oil recovery) war in aller Munde. Tenside, die die Grenzflächenspannung zwischen Öl und Wasser erniedrigen sollten, wurden ent- wickelt, ebenso temperatur- und salzstabile Polymere, um die Viskosität des Flutwassers zu erhöhen [18]. Der an- G LOSSA R | AMPS - 2-Acrylamido-2-Methylpropan-Sulfonsäure Carrier - Trägerflüssigkeit CMC - Carboxymethyl-Cellulose CMHEC - Carboxymethyl-Hydroxyethyl-Cellulose DADMAC - Diallyl-Dimethyl-Ammoniumchlorid DS - Durchschnittlicher Substitutionsgrad EO - Ethylenoxid Frac - hydraulisch erzeugter Riss in der Lagerstätte HEC - Hydroxyethyl-Cellulose HLB-Wert - „hydrophilic lipophilic balance“, Maß für die Wasser- bzw. Öl-Löslich- keit von vorwiegend nichtionischen Tensiden und Emulgatoren HPG - Hydroxypropyl-Guar KW - Kohlenwasserstoff PNS - Poly-Naphthalin-Sulfonsäure PO - Propylenoxid Quat - Quaternäre Ammonium-Verbindung VAC - Vinylacetat 92 | Chemie in unserer Zeit | 35. Jahrgang 2001 | Nr. 2 schließende Ölpreisverfall Ende der achtziger Jahre hat die Entwicklung stark gebremst, denn viele dieser Verfahren sind momentan nicht rentabel. Die Zukunft wird zeigen, wann sie vielleicht doch gebraucht werden. Die Anforderungen der Behörden und damit der An- wender an die toxikologischen und ökologischen Eigen- schaften der Ölfeldchemikalien werden zunehmend ver- schärft. Vor allem im Offshore-Bereich werden „green chemicals“, also biologisch leicht abbaubare und nicht toxische Produkte vorgeschrieben. Man wird das Gesamt- risiko abschätzen müssen aus möglicher Eintragsmenge und ökologischem Verhalten. Immer niedrigere Einsatzkonzen- trationen und geringere Umwelteinwirkungen der Produk- te werden die Folge sein.Daher gibt es einen laufenden For- schungsbedarf bei der chemischen Industrie, um mit immer neuen Produkten diesen Anforderungen gerecht zu wer- den. Zusammenfassung Die Mineralölindustrie und die Chemische Industrie sind eng miteinander verknüpft: Petrochemische Primärprodukte sind heute die Rohstoffbasis schlechthin für die industrielle Orga- nische Chemie, und umgekehrt ist die Exploration und Pro- duktion von Öl und Gas untrennbar mit dem Einsatz einer Vielzahl Spezialchemikalien und auch Basischemikalien ver- bunden. Die Einsatzmengen der Ölfeldchemikalien liegen oft nur im niedrigen Prozent- oder ppm-Bereich. Vor allem wasserlösliche und öllösliche Polymere sowie eine breite Palette von Tensiden und Tensidkombinationen machen viele Prozesse der Aufsuchung und Gewinnung von Öl und Gas erst möglich und wirtschaftlich. So sind beim Boh- ren Celluloseether, Xanthan-Biopolymere und wasserlösliche Copolymere unverzichtbare Komponenten der zirkulierenden Bohrspülung. Sie steuern die Rheologie und wirken als Schutz- kolloide. Beim Zementieren der Verrohrung wirken verschie- dene Polymere als Dispergatoren und Reibungsverminderer und halten den Wasserverlust unter Kontrolle. Bei der Förderung von Rohöl werden beim Gasentlö- sungsprozess Silicon-Entschäumer gebraucht und bei der Ab- trennung des Emulsionswassers von Rohöl spielen Demulga- toren (Emulsionsspalter) eine wichtige Rolle. Ethylenoxid/Pro- pylenoxid-Blockpolymere und p-Alkylphenol-Formaldehyd- Harze mit Ethylenoxid und Propylenoxid variiert, bilden die Grundlage dieser für die Aufbereitung von Rohöl wichtigen Produktgruppe. Öllösliche Poly-acrylsäureester und Ethylen- Vinylacetat-Copolymere wirken als Paraffininhibitoren und Fließverbesserer. Beim Rohrleitungstransport können extrem hochmolekulare Poly(α-Olefine) turbulente Strömungen „be- ruhigen“ und Pumpenergie einsparen. Die Sekundärförderung von Erdöl ist mit dem gleichzeitigen Anfall erheblicher Men- gen von salinem Wasser verbunden. Korrosion, Bakterienbe- fall und Steinbildung (scaling) machen große Probleme. Inhi- bitoren auf Basis kationischer, stickstoffhaltiger Tenside, spe- zielle Aldehyde sowie Polyacrylsäuren und Aminomethylen- phosphonsäuren schaffen hier Abhilfe. Summary Today's industrial organic chemistry is almost 100 % depen- dant on the petrochemical raw materials from the oil and gas industry. Conversely the oil and gas industry relies on a wide range of speciality chemicals that are needed in all stages of exploration and production. These are largely water and oil- soluble polymers and tailor-made surfactants and surfactant combinations that often show their effect already in the ppm- dosagerange. The chemistry and mode of action of these specialities is well documented as are the various application areas in oil and gas drilling, the treatment of crude oil and the removal and processing of the considerable quantities of co-produced water in the oil fields. Danksagung Commserv GmbH, Frankfurt, danke ich für das Bildmateri- al, Frau Ute Arnold für die perfekte Textverarbeitung und Herrn Dr. Frank Holtrup für die Gestaltung der Formel- bilder. Literatur [1] K. Weissermel und H.-J. Arpe, Industrielle Organische Chemie, 5. Aufl., VCH, Weinheim, 11999988, S. 9. [2] W. J. Petzny und K. J. Mainusch, Erdöl Erdgas Kohle 11999999,, 115, 597. [3] Mineralöl und Raffinerien, Mineralölwirtschaftsverband e.V., Hamburg Nov. 11999999, 38. [4] OELDORADO '99, Esso AG, Hamburg, 11999999.. [5] Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung e.V., Hannover, Jahresbericht '9988, 18. [6] G. R. Gray, H. C. H. Darley und W. F. Rogers, Composition and Properties of Oil Well Drilling Fluids, 4th Edition, Gulf Publishing Company, Houston, 11998800, S. 547. [7] M. Hille, Paper SPE 13558, Int. Symp. On Oilfield and Geothermal Chemistry, Phoenix, Arizona, April 9-11, 11998855.. [8] J. P. Plank, Oil & Gas Journal 11999922, March 2, 40. [9] K. 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Ab Ende 1968 Hoechst AG, Frankfurt, Anwendungstechnik Fluorchemie, später Polymer- und Tensidchemie, Schwerpunkt Metallbearbeitung, Bergbau- und Erdölindustrie. Ab 1997 Clariant GmbH, Frankfurt, F&E-Leiter BU II. Seit 1999 im Ruhestand. Korrespondenzadresse: Dr. Walter Gulden, Schweriner Weg 5, 65719 Hofheim/Ts. E-mail:
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