Originalia | original articles DOI : 10. 10 16/ j .dza .20 12 .06.004 15 Dt. Z tschr. f. Akupunktur 55, 2 / 20 1 2 S. Takayama1, R. Okitsu2, K. Iwasaki3, M. Watanabe1, T. Kamiya1, A. Hirano1, A. Matsuda4, Y. Monma4, T. Numata1, H. Kusuyama1, S. Hirata5, A. Kikuchi1, T. Seki1, T. Takeda1, N. Yaegashi1 Die Rolle der Traditionellen Ostasiatischen Medizin bei Opfern der Erdbeben-Tsunami-Katastrophe im März 2011 in Japan Role of oriental medicine in the great East Japan earthquake Shin Takayama, Department of Traditional Asian Medicine Graduate School of Medicine Tohoku University 2-1 Seiryo-machi Aoba-ku Sendai-shi Miyagi 980-8575, Japan Übersetzung und Überarbeitung Dr. Ulrich Eberhard Medicina Familiar y Complementaria Dt. Facharzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren Joaquín Montes Jovellar 4 E-28002 Madrid Tel.: +34 (0) 9 15 / 64 38 87
[email protected] 1 Department of Traditional Asian Medicine, Graduate School of Medicine, Tohoku University, 2-1 Seiryo-machi, Aoba-ku, Sendai-shi, Miyagi 980-8575, Japan 2 Aomori Jikei Hospital, 146-1 Yasutachikano, Aomori-shi, Aomori 038-0021, Japan 3 Nishitaga National Hospital, 2-11-11 Kagitorihoncho, Taihaku-ku, Sendai-shi, Miyagi 982-8555, Japan 4 Graduate Medical Education center, Tohoku University hospital, 1-1 Seiryo-machi, Aoba-ku, Sendai-shi, Miyagui 980-8574, Japan 5 Wakuyacho National Health Insurance Hospital, 278 Wakuya nakaeminami, Wakuyacho, Toda-gun, Miyagi 987-0121, Japan NACHDEM WIR ÜBER AKUPUNKTUR IN KRISENGEBIETEN (Kenia DZA 4/2010, Haiti DZA 2/2011) SOWIE IN DER NOTFALLMEDIZIN BEI UNS (DZA 4/2010, 3/2011) BERICHTET HABEN, HABEN WIR NUN DIE GELEGENHEIT, IHNEN DIE ÜBERSETZUNG EINES JAPANISCHEN ARTIKELS ZUR ANWENDUNG DER KAMPO-MEDIZIN NACH DEM ERDBEBEN IN JAPAN 2011 NAHEZUBRINGEN. Erstveröff entlichung in NIHON TOYOIGAKU ZASSHI (Kampo Medicine [former name: The japanese Joumal of Oriental Medicine]) No. 5/2011. Mit freundlicher Genehmigung des Executive Offi ce of JSOM (The Japan Society for Oriental Medicine). Übersetzung und Überarbeitung von Dr. Ulrich Eberhard. Kampo Medicine, used with permission; completeness and accuracy of the translation by Ulrich Eberhard, MD. Kampo Medicine does not accept responsibility for the completeness and accuracy of the translated labels and legends. Zusammenfassung Nachdem am 11. März 2011 ein schweres Erdbeben den Osten Japans erschütterte, verursachte der darauff olgende Tsunami noch verheerendere Schäden. Praktisch wurden in der betrof- fenen Region alle sozialen Versorgungseinrichtungen lahmge- legt oder zerstört, so auch die medizinische Basisversorgung [1, 2]. Wir leisteten ärztliche Unterstützung in den betroff enen Ge- bieten, indem wir hauptsächlich die traditionelle Medizin, wie sie in Japan praktiziert wird, anwandten. Dort, wo Infrastruk- turen mit modernen medizinischen Einrichtungen zerstört wa- ren, wurden traditionelle Methoden auf der Basis von einfacher körperlicher Untersuchung und Behandlung mit Kampo-Phyto- therapie, Akupunktur & Moxibustion bzw. Massagen wirksam eingesetzt. Diese erwiesen sich sowohl für die Diagnostik als auch für die Therapie als sehr nützlich in einer derartig kri- tischen Situation. Schlüsselwörter Großes Ostjapanisches Erdbeben, Katastrophe, Ostasiatische Medizin, Kampo, Akupunktur Abstract The Great East Japan earthquake and tsunami disaster that occur- red on March 11, 2011 seriously destroyed Japanese social acti- vities the medical system included. We provided medical support to the damaged area, and mainly performed Oriental medicine. Traditional methods using physical diagnoses and the treatments with herbs, acupuncture, and massage were eff ective, where any infrastructure had suff ered or any modern medical facilities had been destroyed. Acute phase infectious disease, common colds, and hypothermia were dominant. Allergies increased two weeks later, and there was much mental distress, and chronic pain sym- ptoms one month later. We prescribed Kampo herbal medicines for common colds, hypothermia, allergies, and mental distress. Moreover, we also performed acupuncture and kneaded patients’ body to reduce pain, stiff ness, and edema. These treatments were eff ective for both physical and mental distress. Thus we believe that Oriental medicine is valuable in disaster situations. Keywords Great East Japan earthquake, disaster, oriental medicine, Kampo, acupuncture Einführung Das Erdbeben, das sich am 11. März 2011 um 2:46 Uhr nach- mittags ereignete, verursachte aufgrund seiner Stärke von 9,00 und dem hierdurch ausgelösten Tsunami im Osten Japans enor- me Schäden. Durch die Unterbrechung der Verkehrswege mus- ste sich die Bevölkerung im Zentrum von Sendai rund um die Uhr selbst um Trinkwasser, Nahrungsmittel und Brennstoff kümmern. Der entstandene Schaden in der Küstenregion war noch größer. Etwa 26.000 Tote und Vermisste wurden regi- striert und, laut Angaben, über hunderttausend Gebäude zer- stört (Anmerkung des Übersetzers U. E.: die neuesten offi ziellen Zahlen sind: 15.854 Tote, 26.992 Verletzte und 3.155 Vermis- ste). Viele Evakuierungszentren, Schulen und öff entliche Ge- meinderäume waren aufgrund der Straßenschäden und Über- schwemmungen von der Außenwelt abgeschnitten. Im Umkreis der Stadt Ishinomaki gab es mehr als 300 isolierte Evakuierungszonen, alle jedoch mit erheblichen Versorgungs- AkupunkturD e u t s c h e Z e i t s c h r i f t f ü rDZA DZA 16 Dt Z tschr f Akup. 55, 2 / 20 1 2 Originalia | original articles schwierigkeiten. Dank der militärischen Hilfskräfte, der Frei- willigenhilfe und Materialsendungen und ärztlicher Hilfe aus aller Welt konnten nach und nach ärztliche Behandlungen in diesen Zonen durchgeführt werden. In den Städten Ishinomaki, Onagawa und Higashi-Matsushima leistete unser Notfallteam („Einheitliches Hilfsteam für die Zonen von Ishinomaki“) nicht nur ärztlichen Beistand, sondern verfasste zusätzlich Berichte über die hygienischen Zustände, die vom Rot-Kreuz-Kranken- haus von Ishinomaki gesammelt und überwacht wurden, um einen Seuchen-Einsatzplan zu erarbeiten. Bei der Auswahl der Behandlungsfälle unmittelbar nach dem Unglück unterstützte die Kampo-Sektion an der Abteilung für Innere Medizin der Universitätsklinik von Tohoku die Notfall- abteilung derselben Klinik. Außerdem bestand eine enge Kooperation unter den Abteilun- gen bei der Zuteilung der Patienten, und innerhalb der Kampo- Abteilung wurde schrittweise mit der Kampo-Behandlung be- gonnen. Innerhalb der ersten Woche nach dem Unglück wurden in den am stärksten betroff enen Gebieten sowie in den Evaku- ierungszonen von Ishinomaki und Onagawa Methoden der tra- ditionellen Medizin vom medizinischen Notfallteam der Uni- versitätsklinik Tohokus eingesetzt. Kampo-Phytotherapie ebenso wie Akupunktur & Moxibustion sind üblicherweise Bestandteil der Therapie an der Universi- tätsklinik von Tohoku, wenn die westliche Medizin an ihre dia- gnostischen oder therapeutischen Grenzen stößt oder als kom- plementäre Behandlungsmethode bei schwer kranken Patienten. Diese hier wiedergegebene Erfahrung einer ärztlichen Koopera- tion zeugt von einer neuen, erfolgreichen Behandlungsstrate- gie mit Einsatz von traditioneller Medizin in Katastrophen- situationen. Methoden und Ergebnisse Die hier wiedergegebenen medizinischen Daten wurden aus den Einsatzprotokollen der Notärzte in den Evakuierungszonen von Ishinomaki und Onagawa gewonnen. Es handelt sich um Angaben über Alter, Symptome, Verlaufsbeobachtungen unter der angewandten Therapie, beginnend vom 10. Tag bis zwei Monate nach dem Erdbeben. Die Anwendung von Kampo (n = 220) dauerte bis ca. zwei Monate nach dem Ereignis, und die hier durchgeführte Studie befasst sich mit dem klinischen Verlauf (Veränderung der Sym- ptome) und die Beziehung zu den angewandten Kampo-Rezep- turen. Akupunktur & Moxibustion bzw. Massagen (n = 513) erfolgten von der vierten bis achten Woche nach dem Ereignis. Diesbe- züglich wurde der klinische Verlauf in Bezug auf die behandel- ten Körperzonen ausgewertet. Für diese Studie wurden die Op- fer des Unglücks nicht direkt befragt, sondern die Daten lediglich den Unterlagen entnommen. Kampo-Phytotherapie Kurz nach dem Unglück zeigten sich als häufi gste Symptome Kälteempfi nden und Durchfälle auf der Basis von Infektionen und Hypothermie. Zwei Wochen später breiteten sich Husten und Allergien aus, und nach einem Monat kamen vermehrt psychisch bedingte Störungen und Schmerzzustände hinzu. Gegen Kälteempfi nden und Hypothermie setzte man 屲嫷⓳ (den Außenbereich lösende Mittel) und 䂸孞⓳�(den Innenbe- reich wärmende Mittel) ein. Gegen Husten und Allergien ka- men ▥䡿⓳�(Schleim verwandelnde Mittel) zum Einsatz. Bis zwei Wochen nach dem Unglück litt ein großer Teil der Be- völkerung an Hypothermie und gastrointestinalen Beschwerden (Gastroenteritis) (s. Tabelle 1). Zur Behandlung von 欷嫷峋 (Wind-Kälte im Außenbereich) wurde Kakkon tō oder Maō tō oder Keishi tō oder Maō bushi saishin tō verschrieben; wenn gleichzeitig Halsschmerzen auftraten, zusätzlich Kikyō tō. Bei Hypothermie durch 挹䦃₼ (Kälteschädigung der Mitte) wur- de Tōki shigyaku ka goshuyu shōkyō tō oder Ninjin tō ange- wandt. Für Fälle von gastrointestinaler Entzündung mit Be- gleiterscheinungen wie Erbrechen und Diarrhö wurde eine orale Rehydratationslösung zusammen mit Gorei san verabreicht. Im Zeitraum 2.–4. Woche nach dem Erdbeben nahmen allergi- sche Symptome zu (s. Tabelle 2), vorwiegend starker Husten- reiz, Halsbeschwerden, Nasensekretion und Juckreiz der Au- gen. Bei unproduktivem Hustenreiz rezeptierte man Bakumondo tō und gegen die allergischen Symptome Shōseiryū tō oder Eppi ka jutsu tō. In der Zeit danach (4.–8. Woche) waren eine Zunahme von psychischen Symptomen festzustellen, wie Gereiztheit, Unruhe, depressive Verstimmtheit, Schlafstörungen u. dgl. (s. Tabelle 3). Diese Zustände wurden mit Yokukan san und Kamikihi tō be- handelt. Gegen die häufi g vorkommenden Obstipationsbe- schwerden setzte man Mashinin gan oder Ijōki tō oder Junchō tō ein. Für die angeführten Rezepturen gibt es zahlreiche Publi- kationen und Wirksamkeitsnachweise [4–9]. Tabelle 1 Hauptsymptome der Patienten (n = 72), die in den ersten beiden Wochen nach dem Erdbeben mit Kampo-Phytotherapie behandelt wurden. Halsentzündung 34 % Husten 18 % Gastroenteritis 16 % Rhinitis 14 % Hypothermie 13 % Konjunktivitis 3 % Kopfschmerzen 2 % Tabelle 2 Hauptsymptome der Patienten (n = 72), die in der 2.–4. Woche nach dem Erdbeben mit Kampo- Phytotherapie behandelt wurden. Rhinitis 23 % Husten 23 % Halsentzündung 15 % Psychische Symptome Erschöpfung, Schlafstörungen, Depression, Angst 13 % Konjunktivitis 11 % Obstipation 7 % Gastroenteritis 7 % Kopfschmerzen 1 % Dt Z tschr f Akup. 55, 2 / 20 1 2 1 7 DZA Originalia | original articles S. Takayama Die Rolle der Traditionellen Ostasiatischen Medizin bei Opfern der Erdbeben-Tsunami-Katastrophe im März 2011 in Japan In dieser extremen Notsituation zeigte sich der Wert der tradi- tionellen Kampo-Phytotherapie. Nicht nur, dass viele der be- schriebenen Beschwerden der unter den außergewöhnlich schwierigen Bedingungen ausharrenden Evakuierten gebessert werden konnten, die Kampo-Medizin erwies sich auch als ein- fache und praktikable Methode, die ohne technische Hilfsmittel auszukommen versteht [3] und erwies sich deshalb als beson- ders geeignet in dieser katastrophalen Ausnahmesituation. Akupunktur & Moxibustion Schmerzzustände seitens des Bewegungsapparats traten zu- nehmend etwa ab der vierten Woche nach dem Beben auf. Es klagten immer mehr Menschen über Gliederschmerzen, Schmerzen durch Verspannungen in Schulter-, Rücken- und im Lenden-Hüftbereich. In diesen Fällen wurde manuell therapiert – mit Akupunktur & Moxibustion und Massagen. Bei der Durchführung der Aku-Moxa-Therapie galt die Vorga- be bestimmter örtlicher und zeitlicher Hygienekriterien. Um Infektionen vorzubeugen, wurden nur solche Personen behan- delt, welche die Möglichkeit hatten zu duschen oder zu baden. Darüber hinaus wurde die Akupunktur nur nach gründlicher Hautdesinfi zierung durchgeführt. Als Stichtechnik wurde in den meisten Fällen die Methode der schnellen Einführung und schnellen Entfernung der Nadeln angewandt. Auch war die Anwendung von Haut- oder Dauernadeln erfolgreich. Diese Behandlungen fanden großen Anklang und wurden von 90 % der Patienten als wirksam bezeichnet. Durch Anwen- dung von Massagen und Akupunktur konnten die körperli- chen Schmerz- und Spannungszustände erfolgreich behandelt werden. Zusammenfassung Aus den Daten eines zentral gelegenen Krankenhauses der Ka- tastrophenregion, dem Rot-Kreuz-Krankenhaus von Ishinomaki, geht hervor, dass in den ersten Tagen nach dem schweren Erd- beben viele der Überlebenden an erheblicher Hypothermie lit- ten. Einige Faktoren waren ursächlich dafür verantwortlich: die niedrigen Temperaturen bei gleichzeitigem Strom-, Gas- und Wasserausfall in den meisten Evakuierungszonen und Knapp- heit an Decken. Die Mehrzahl der Obdachlosen schlief auf aus- gebreiteten Kartons auf dem Fußboden. Im Laufe der ersten beiden Wochen nach dem Ereignis häuften sich Fälle von Erkältungskrankheiten, Unterkühlung und ga- strointestinalen Entzündungen. Die fernöstliche Medizin be- zeichnet diese Symptomatologie als 欷嫷峋�(Wind und Kälte fesseln den Außenbereich), ⍆⮹椌䡔㦮� (Stadium Großes Yang, durch schädigende Kälte hervorgerufen), 挹䦃₼�(Käl- te-Übel befällt die Mitte) und 䦃₼ₘ棿�(Dreifache Yin-Erkran- kung durch direkte Schädigung). In der kalten Umgebung war Kampo das wirksamste orale Arzneimittel, um die Körper auf- zuwärmen. Vor allem auch Kinder litten häufi g unter Erbrechen und Diar- rhö als Ausdruck von gastrointestinalen Entzündungen. In vie- len Fällen beruhte dies auf kontaminiertem Trinkwasser. Die Wasserversorgung wurde allgemein zum Problem. Um Trink- wasser zu sparen, wurde kein Wasser zum Waschen der Hände vergeudet, und die Wasserrückstände in Schwimmbädern wur- den aufgebraucht. Die mangelnden Hygienezustände waren mitverantwortlich für die Verbreitung von Infekten, insbeson- dere des Gastrointestinaltrakts. Zwei Wochen nach der Katastrophe registrierte man ein An- wachsen der Fälle mit trockenem Reizhusten, Erbrechen und Kopfschmerzen, Nasensekretion und Konjunktivitis. Man führ- te diese Allergiesymptome einerseits auf die Staubkonzentrati- on der Luft zurück, die aufgrund der Eintrocknung der großen Schlammmassen aufgetreten war, die der Tsunami mit sich ge- rissen hatte und andererseits auf den sich zunehmend verstär- kenden Frühjahrs-Pollenfl ug. Viele Menschen halfen tagsüber die Trümmer zu beseitigen und kehrten abends voll mit Staub- und Schlammresten in die Ob- dachlosenunterkünfte der Evakuierungszentren zurück. Der nächtliche Hustenreiz vieler beeinträchtigte die Nachtruhe an- derer in den Massenunterkünften und führte zu erheblichen psychischen Belastungen. So kamen neue Symptome auf we- gen Schlafl osigkeit, Wasserknappheit und dem psychischen Stress, in der traditionellen Medizin als 㺦棿₰壩-Symptome bezeichnet (Leerezustand von Ki und Yin). Hierbei zeigte sich der Einsatz der Kampo-Phytotherapie als sehr wirksam und vorteilhaft. Patienten mit Reizhusten erhiel- ten die Rezeptur Bakumondo tō, und bei Allergiebeschwerden Shōseiryū tō oder Eppi ka jutsu tō. Antihistaminika rufen oft als Nebenwirkungen Konzentrationsschwäche oder Schläfrig- keit hervor. So erfuhren auch viele Räumungshelfer im Notfall- einsatz dank der Einnahme von Kampo eine Besserung der Symptome und eine Steigerung ihrer Arbeitsleistung. Etwa einen Monat nach dem Unglück war – wie bereits er- wähnt – eine Zunahme der psychovegetativen Beschwerden festzustellen. Man führte dieses Phänomen auf den Psy- chostress zurück, der bei den Betroff enen durch die lange Eva- kuierungszeit und die anhaltenden Nachbeben anhielt. Im Laufe der wochenlangen Evakuierungszeit nahm die Zahl der Patienten, die unter Schmerzen seitens des Bewegungsap- parats litten, konstant zu. Diese wurden mit Akupunktur & Moxibustion und traditioneller Massage behandelt. Sowohl diese manuellen Therapien als auch die nachträglichen Gesprä- che mit den Patienten führten zu körperlicher und seelischer Entspannung. Schlussfolgerung Die Traditionelle Ostasiatische Medizin wurde schon vor zwei- tausend Jahren praktiziert, als es noch keine hoch entwickelten Diagnostikapparate gab und die Ärzte nur mit ihren fünf Sin- Tabelle 3 Hauptsymptome der Patienten (n = 36), die in der 4.–8. Woche nach dem Erdbeben mit Kampo-Phytotherapie behandelt wurden. Psychische Symptome Erschöpfung, Schlafstörungen, Depression, Angst 45 % Obstipation 16 % Rhinitis 11 % Husten 9 % Halsentzündung 9 % Kopfschmerz 6 % Konjunktivitis 2 % Gastroenteritis 2 % AkupunkturD e u t s c h e Z e i t s c h r i f t f ü rDZA DZA 18 Dt Z tschr f Akup. 55, 2 / 20 1 2 Originalia | original articles nen diagnostizierten. In der langen Geschichte dieser traditio- nellen Heilkunde fi nden wir Naturkatastrophen, Kriege und menschliches Leiden, wie man beispielsweise den Texten aus dem Shang Han Lun entnehmen kann. Jedoch gibt es kaum aktuelle Erfahrungsberichte aus neuerer Zeit über die Anwen- dung der Traditionellen Ostasiatischen Medizin in Katastro- phensituationen mit abgeschnittenen Verkehrswegen, Isolie- rung großer Bevölkerungsteile, totalem Energieausfall und Wasserknappheit. In Katastrophensituationen wie nach dem großen Erdbeben im Osten Japans im Jahre 2011 bieten sich die Methoden der Tra- ditionellen Ostasiatischen Medizin mit Kampo-Phytotherapie, Akupunktur & Moxibustion und Massagen als wirksame Alter- nativen oder Ergänzung der modernen Medizin an, um die me- dizinische Grundversorgung der betroff enen Bevölkerung zu gewährleisten. Tabelle 4 Kampo-Rezepturen und deren Zusammensetzung* Kakkon tō [Ge Gen Tang] – Pueraria-Mixtur (Kap. 9.34)* Rad Puerariae 8.0, Herba Ephedrae 4.0, Fruct Jujubae 4.0, Cort Cinnamomi 3.0, Rad Paeoniae 3.0, Rad Glycyrrhizae 2.0, Rhiz Zingiberis vir. 0.5 Maō tō [Ma Huang Tang] – Ephedra-Dekokt (Kap. 9.51) Herba Ephedrae 5.0, Sem Armeniacae 5.0, Cort. Cinnamomi 4.0, Rad Glycyrrhizae 1.5 Keishi tō [Gui Zhi Tang] – Zimt-Dekokt (Kap. 9.45) Cort Cinnamomi 4.0, Rad Paeoniae 4.0, Fruct Jujubae 4.0, Rad Glycyrrhizae 2.0, Rhiz Zingiberis vir. 0.5 Maō bushi saishin tō [Ma Huang Fu Zi Xi Xin Tang]-Ephedra- Aconitum-Asarum-Dekokt (Kap. 9.32) Herb Ephedrae 4.0, Rad Asiasari 3.0, Rad. Aconiti praep. 0.5 (1.0) Kikyō tō [Xing Ren Tang] – Aprikosenkern-Dekokt (–) Rad Glycyrrhizae 3.0, Sem Armeniacae 2.0 Tōki shigyaku ka goshuyu shōkyō tō [Dang Gui Si Ni Jia Wu Zhu Yu Sheng Jiang Tang] – Angelika-Vier Kalte-Extremitäten-Dekokt mit Evodia und Ingwer (Kap. 9.97) Fruct Jujubae 5.0, Rad. Angelicae acut. 3.0, Cort Cinnamomi 3.0, Rad Paeoniae 3.0, Caul Akebiae 3.0, Rad Asiasari 2.0, Fruct Evodiae 2.0, Rad Glycyrrhizae 2.0, Rhiz Zingiberis vir. 0.5 Ninjin tō [Ren Shen Tang] – Ginseng.Dekokt (Kap.9.56) Rad Ginseng 3.0, Rhiz. Atractylodis ovatae 3.0, Rad. Glycyrrhizae 2.0, Rhiz. Zingiberis exsicc. 1.0 Gorei san [Wu Ling San] – Fünf-Ingredienzen-Mixtur (Kap. 9.19) Rhiz Alismatis 6.0, Polyporus umb. 4.5, Pach Hoelen 4.5, Rhiz. Atractylodis ovatae 4.5, Cort Cinnamomi 3.0 Bakumondo tō [Mai Men Dong Tang] – Ophiopogonis-Dekokt (Kap. 9.3) Rad Ophiopogonis 10.0, Tub Pinelliae 5.0, Oryza sativa 5.0, Fruct Jujubae 3.0, Rad Ginseng 2.0, Rad Glycyrrhizae 2.0 Shōseiryū tō [Xiao Qing Long Tang] – Kleiner-Blauer-Drachen- Dekokt (Kap. 9.91) Tub Pinelliae 6.0, Herb Ephedrae 3.0, Cort Cinnamomi 3.0, Rad Paeoniae 3.0, Fruct Schisandrae 3.0, Rad Asiasari 3.0, Rad Glycyrrhizae 2.0, Rhiz Zingiberis exsicc. 1.0 Eppi ka jutsu tō [Yue Bi Jia Zhu Tang] – Dienstmädchen-Dekokt mit Atractylodis (Kap. 9.17) Gypsum fi br. 8.0, Herb Ephedrae 6.0, Rhiz. Atractylodis lanc. 4.0, Fruct Jujubae 3.0, Rad Glycyrrhizae 2.0, Rhiz Zingiberis vir. 0.5 Yokukan san [Yi Gan San] – Leber-Kontroll-Mixtur (Kap. 9.102) Rhiz Atractylodis lanc 4.0, Pach Hoelen (=Poria) 4.0, Rad Angelicae acutilobae 3.0, Ram Uncariae cum unci 3.0, Rhiz Cnidii 3.0, Rad Bupleuri 2.0, Rad Glycyrrhizae 1.5 Kamikihi tō [Jia Wei Gui Pi Tang] – modifi z. Dekokt zur Wieder- belebung der Milz (Kap. 9.46) Rad Astragali 3.0, Rad Bupleuri 3.0, Rad Ginseng 3.0, Rhiz Atractylodis ov. 3.0, Pach Hoelen (= Poria) 3.0, Sem Zisyphi 3.0, Fruct Euphoriae 3.0, Rad Angelicae acutil. 2.0, Rad Polygalae 2.0, Fruct Jujubae 2.0, Fruct Gardeniae 2.0, Rad Glycyrrhizae 1.0, Rad Saussureae 1.0, Rhiz. Zingiberis vir. 0.5 Mashinin gan [Ma Zi Ren Wan] – Cannabis-Mixtur (Kap. 9.52) Sem Cannabis 5.0, Sem Armeniacae 2.0, Cort Magnoliae 2.0, Fruct Aurantii immat 2.0, Rad Paeoniae 2.0, Rad Rhei 1.0–5.0 (variable Dosis, separate Verpackung für Dekokt, vgl. Leitfaden Kampo-Medizin) * aus Eberhard U.: Leitfaden Kampo-Medizin, Elsevier 2003 Literatur 1. The Fire and Disaster Management Agency: The Tohoku Pacifi c Ocean Earthquake (Great East Japan Earthquake) in 2011 (115th report) 2. Furukawa K, Arai H. Earthquake in Japan. Lancet 2011;377(9778):165 3. Yuzo S, Toshihiko H, Makoto A et al. Introduction to KAMPO, Elsevier Japan K.K.:2005;pp 53–6 4. Kubo T, Nishimura H. 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