Bewegend wie damals JAN SCHLÜTER über das Grubenunglück K aumein Ereignis hat unsereRegionsostark erschüttert ie die Kohlestaubeplosion in der Grube Stolenbach bei Bor- kenor 2Jahren. Undkaum ein Ereignis hat uns so sehr berührt und gerührt ie die dramatische Rettung on sechs Bergleuten am dritten Tag nach dem erheerenden Unglück. 51Männer erlorendamals ihr Leben, sechs Geretteteur- denumInbegriff des Wunders onStolenbach. Mit dieser SonntagsZeit erinnernir an diedramatischenEreignisse omJuni 1988, als Trauer über dieielenTotenundFreude über dieGerettetensodicht beieinanderlagen. Wirsprachenmit einemder Überlebenden, mit Helfern, Be- treuern, PolitikernundJourna- listen. Undir eigen, iedas schrecklicheEreignis das Le- benimRaumBorkennachhal- tigerändert hat. AlleInformationentragen dau bei, sich mit demAbstand on2Jahrennocheinmal ei- nenEindruckondenEreignis- senuerschaffen. Dieielen Kinder, diedamals ihrenVater erlorenhaben, sindheuteer- achsen. Einige on ihnen er- densichanihrenVater nicht einmal mehr erinnern können. Siekennennur dieErählun- genihrer AngehörigenundBe- richteaus denMedien. ImInternet könnenSie, lie- beLeserinnenundLeser, diese Seitenebenfalls anschauenund herunterladen. Außerdemfin- denSieauf .hna.deeite- reBilder undeineanimierte Grafik. LIEBE LESER HI NTERGRUND Die 51 Toten Von den 51 Bergleuten, die das Grubenunglück in Borken-Stolzenbach am1. Juni 1988 nicht überleb- ten, stammten 13 aus der Türkei. Die Namen in al- phabetischer Reihenfolge: Ali-Asker Akarsu, Sela- hattin Alkan, Hamit Alkus, Michael Andreas, Serafet- tin Barlas, Michael Bartz, Paul Bilinsky, Klaus Böh- nert, Helmut Brandau, Horst Budnitz, Dursun Büyüktürk, Ali Buzdag, Er- win Cassel, Murat Celik, Walter Drescher, Klaus Ell- rodt, Uwe Feldbusch, Die- ter Fennel, Ernst Hapke, Dieter Henke, Hans-Joa- chimHergenröder, Hans Hirschner, Egon Holzhau- er, Walter Kraft, Erich Kuhn, Reinhold Kuhn, Horst Landsiedel, Michael Matys, Cevdet Mete, Heinz Morgen, AlfredNiewienda, Dieter Nuhn, Burhan Öl- cek, Faik Ölcek, Dieter Ro- senau, Rudolf Roth, Eder- can Saglam, Kemal Sag- lam, Otto Sawitzki, Jörg Schmidt, Karl-Dieter Schnurr, Helmut Schulz, Gerald Sindermann, Hans- Jürgen Specht, Helmut Strenzel, BayramTüysüz, Johann Walter, Günter Weidemeier, Oliver Wett, Wilfried Wilhelmi, Wil- helmWittig. Das Unglaubliche wurde wahr, sechs Bergleute konnten nach cirka 65 Stunden noch gerettet werden - „Das Wunder von Stolzenbach“ titelte unsere Zeitung amMorgen danach. sturmdes Fernsehens undder Presse anfangs überfordert, erst nachundnachschütten sie die Hinterbliebenen der Opfer. Trotdem kam es u dramatischen Senen: Hinter- bliebene, die sich erfolgt fühlten, arfen mit Steinen nachdenJournalisten. Der Überlebene Wilfried- Dönch arbeitet heute in Bor- ken. Er leitet als Maschinen- bau-Meister den städtischen Bauhof. ImGespräch mit un- serer Zeitung sagte er, ihn habe- iedieanderenÜberle- benden - or allemimmer eine Frage gequält: „Warumhabe ich überlebt und der Kollege nicht?“ Wilfried Dönch hat ini- schen für sich eine Antort gefunden. „Ichglaube, dass ist diesegeisseVorbestimmung imLeben.“ Unser Online-Angebot um- fasst die komplette Beilage „Stolzenbach“ als PDF-Datei sowie eine Bildergalerie, eine animierte Grafik, einen Live- Mitschnitt vom Hessischen Rundfunk und eine Diaschau. †www.hna.de/stolzenbach Neid und Wut“, sagt er. Neid or allem darüber, dass die Hinterbliebenen finanielle Hilfe bekamen und bekom- men. Noch heute ahlt die E.ON28 Kindern, die ihre Vä- ter erloren, jedenMonat 153 Euro. Borken-Stolenbach, das ar auch der Beginn einer neuen Epoche: Das Medien- eitalter begannander Kohle- grube - mit all seinen negati- en Begleiterscheinungen. Nochnie arenso iele Jour- nalistenausganDeutschland bei einem Unglück auf der Jagd nach Informationen und Sensationen. Dabei arenalle erlaubten und unerlaubten Mittel Recht, umeta an Bil- derderOpferukommen. Die Hilfskräftearenmit demAn- überältigend ie nie. Das Programmur Unterstütung on Betroffenen und Hinter- bliebenen urde beispielge- bend. Stolenbach ar die Ge- burtsstundefür dieBetreuung on Katastrophen-Opfern. Nach Stolenbach ussten Ärte und Pschologen, ie man anderen Menschen, die unter den massien Folgen on Unglücken leiden, helfen kannundmuss. Heute, sagt einer der Über- lebenden des Unglücks, Wil- friedDönch, sei dieSolidarität mit den Opfern eit gehend erblasst. „Wenn das Alltags- lebeneinkehrt, kommenauch VON FRANK THONI CKE UND OL AF DE L L I T U m 12.29 Uhr ar am 1. Juni 1988 die Welt noch in Ordnung in Borken-Stolenbach. DieKum- pel derFrühschicht arenie eh und je eingefahren. Eine Minute später ar nichts mehr so ie früher: Eine ge- altige Detonation erschüt- terte um12.35Uhr die Braun- kohleeche. Wie sich später herausstellt, handelte es sich umeineKohlestaubeplosion. So etas hatte es uor im Braunkohlebergbau nie gege- ben. 51Bergleutesterbeninden Stollen, acht erden über Tageerlett. Drei Tage später geschieht dann das, oran niemand mehr geglaubt hatte - das Wunder onStolenbachtritt ein: Sechs Kumpel erdenge- rettet. Sie überlebtenineiner Art Sauerstoffblase. Das Unglück on Stolen- bachar die größte Katastro- phe, die die Region seit dem ZeitenWeltkriegerschütter- te. Noch nie aren so iele Menschenbei einemeinigen Unglück ums Leben gekom- men, noch nie aren Trauer und Betroffenheit so groß. Aber auch die Hilfe ar so Warumausgerechnet ich? Die Grubenkatastrophe vonStolzenbachwarf Fragenauf undhatte auchetwas Gutes 8ad Hersfeld Hann. Münden Fritzlar 8ad Karlshafen CÖIIINCEN KA55EL Homberg Eschwege Witzen- hausen Northeim A49 A! A! A4 B80 B3 B¿! B¿! B83 B3 B! B80 Treysa 8orken Stolzen- bach $TDLZENBACH Ein eingeschlossener Berg- mann- Ausschnitt aus der Ge- dächtnismauer ander Gedenk- stätte Stolzenbach. Foto: privat Seite 2 Die vier Tage von Stolzenbach- eine Chronik Seite 3 Manches ist ver- blasst - einGerette- ter berichtet Seite 4 Ohne jede Scham- die Katastrophe unddie Medien Seite 5 Die Frage nach dem Warum- Interview mit einemPfarrer Seite 6 InTrauer vereint - deutsche undtürki- schenOpfer Seite 7 Chance inder Kata- strophe- dieRegion Borkenheute Inhalt Wochenend−Ausgabe 24.Mai/25.Mai 2008 Zu den schersten Gru- benunglücken in Deutschland gehören die Eplosionen • auf der Steinkohle-Ze- cheCarolinenglückinBo- chum1898mit 116 Toten (Ursache: Schlagetter- und Kohlenstaubeplosi- on, • der Steinkohle-Zeche Radbod in Bockum-Höel 198 mit 348 Toten (Schlagettereplosion undGrubenbrände), • der Steinkohle-Zeche Monopol Schacht Grim- berg 3/4 in Bergkamen 1944mit 107 Toten • und1946mit 405Toten (Ursachenunklar) • und in der Steinkohle- Grube Luisenthal/Völklin- gen 1962 mit 299 Toten (Schlagettereplosion). Tief ins Beusstsein der Deutschen grub sich die Bergerkskatastro- phe in der Eisenergrube Lengede (bei Salgitter) 1963 ein - or alleme- gen der Rettung on elf Kumpel rund 14 Tage nachder Katastrophe: Am 24. Oktober 1963 brach gegen 2 Uhr ein ur Grube gehörender oberirdischer Klärteich ein, orauf Massen Schlammund Wasser in die Grube Mathilde ein- brachen. Vonden129un- ter Tage tätigenMännern konntensichdie meisten über Wetterbohrlöcher und Schächte ins Freie retten. Am1. Noember konn- ten drei eitere Bergleu- te, die sich per Klopfei- chenbemerkbar gemacht hatten, aus einer Luftta- sche geborgen erden. DaeitereRettungsarbei- tenaussichtslosschienen, urdedastechnischeRet- tungsgerät abgebaut und eggefahren. Einer der Hauer schlug dagegen or, in einem „Alter Mann“ genannten Gebiet nacheiterenVer- schüttetenusuchen. Am 3. Noember konnten nacheiner Bohrungüber- raschend Lebenseichen on eiteren Kumpeln empfangen erden, die in 58 Metern Tiefe einge- schlossen aren. Von 21 Bergleuten, die sichnach demWassereinbruch u- nächst indenStollenret- ten konnten, aren nur noch11amLeben. DieBergunggelangmit der so genannten Dahl- buschbombe, einer Kap- sel, die indie Tiefe gelas- sen urde. Unter Tage half ein heruntergelasse- ner Steiger den ge- schächten Überleben- den beim Einstieg. Am 7. Noembererblickteder lette Gerettete um14.2 Uhr das Tageslicht. Somit hatte die Katas- trophe29Menschenleben gefordert. (bli) Legende Lengede Das Wunder vonLengede: Mit der „Dahlbuschbom- be“ wurden die Überle- benden geborgen. Kumpel. Man ersucht, ihn mituschleppen, presst ihm das Mundstück des Selbstret- ters auf die Lippen. Doch der Mannist tot. DieGruppemuss ihn urücklassen. Sie flieht eiter or demtödlichenGas. Für Sekunden gelingt es, Funkkontakt mit der Zechen- Ein Bild der Zerstörung: Die Grube Stolzenbach wenige Stunden nach der verheerenden Explosion. Foto: dpa VON FRANK THONI CKE D erTagbeganniejeder andere imTiefbauStol- enbach. Um6.45 Uhr fährt dieFrühschicht ein. Eini- ge hundert Meter omHaupt- schacht entfernt, imSüdfeld, arbeiten fünf so genannte Ka- meradschaften on ei bis drei MannimVortriebundim Rückbau. Schlosser erledigen unterTageUmbauarbeiten. Im OstfeldsindandiesemMorgen sechs Kameradschaften einge- sett. Pünktlich um 12 Uhr fährt eine eitere ein. Im Nordfeldarbeitensechs Kame- radschaften. 57 Bergleute, Schlosser undElektriker unter Tage. 12.35 Uhr: Die Erde bebt in Stolenbach. Eine gealtige Eplosion erschüttert die Ze- che. Nicht nur die Grube und die Schächte sind betroffen, sondern auch Anlagen über Tage. Tonnenschere Trüm- merteile fliegenüber 1 Me- ter eit. Die Energieersor- gung, Kommunikationssste- me, BeetterungunddieSeil- fahrteinrichtungen fallen so- fort aus. Die Raucholke, die über der Grube aufsteigt, ist kilometereit usehen. 12.40 Uhr: Die acht Kumpel, die bei der Eplosion über Tage erlett urden, erden bereits ersorgt. Inder nächs- ten Stunde treffen Gruben- ehren, unter anderem aus Clausthal-Zellerfeld, ein. 13.40 Uhr: ErsterErkundungs- gangder Grubenehr. 14Uhr: Die Rede ist unächst on 6 Verschütteten. Ver- eifelte Angehörige erschei- nenander Zeche. Unter Tagespielensichdra- matischeSenenab: Diesechs Bergleute, die später gerettet erdensollen, ersuchen, aus demStollenlabrinth heraus- ukommen. Doch Gas er- sperrt den Fluchteg. Sie müs- sen urück. Dabei entdecken sie einen scher erletten leitung herustellen. Hauer Thomas Geppert gibt die Posi- tion durch: „1 Norden 4/5, sechs Personen.“ Frauenaus Stolenbachbil- den eine Hilfsgemeinschaft. Sie ersorgendie Retter, aber auchdieAngehörigender er- unglückten Bergleute. Für sie DerTag, andemdieErdebebte Chronikeiner Katastrophe: Kohlestaubexplosioninder Grube Stolzenbach- der erste Tag ird auf der Zeche etra ein Schutraum eingerichtet, in demsie on den inischen hunderten Journalisten und Schaulustigen an der Grube nicht belästigt erden kön- nen. 16Uhr: EpertengebendieUr- sache des Unglücks bekannt: Es handeltesichumeineKoh- lestaubeplosion. So etas hatte es imBraunkohleberg- baunochniegegeben. 19.25 Uhr: Im Nordschacht erden ei Tote gefunden. Sie erden noch nicht gebor- gen, eil die Suche nachVer- missten und Überlebenden Vorranghat. 20.25 Uhr: Drei eitere Tote erden gefunden. Speialis- ten der Grubenehr Essen treffenein. 22Uhr: Die Zahl der Vermiss- tenirdoffiiell mit 57ange- geben. genbeginnen. Damit ill man das tödlicheGas aus demStol- lenbekommen. 8Uhr: 29 Tote urden ini- schenentdeckt. 11 Uhr: Die Vorbereitungen ur Bergung der Toten begin- nen. Während des gesamten Ta- ges sind die Grubenehren unter Tage. Sie erkundenei- ter das Süd-, Ost- und Nord- feld. ImOstfeld erden Boh- rungen begonnen. Journalis- D er Morgen des 2. Juni graut nochlangenicht, aber es steht bereits fest: Mindestens 16 Bergleute sind tot. Ihre Leichenurden bereitsgefunden, erdenaber nochnicht geborgen. Dennunächst muss eiter nach Überlebenden gesucht erden. Die Rettungsmann- schaftensetenihrefieberhaf- teSuchefort. 3.30 Uhr: Belüftungsbohrun- DieZahl derTotensteigt Der zweite Tag: Fieberhafte Suche underster Katastrophentourismus ten bemerken das und strö- mendorthin. Das Gebiet ird abgesperrt. Ein Katastrophen-Touris- mus sett ein. Die Poliei ap- pelliert überdenRundfunkan die Menschen, die eiter an- dauernden Rettungsarbeiten nicht ubehindern. Mittlereile urden 35 Tote entdeckt. Die Borkener Hauptschule ird umTreff- punkt für Helfer, Angehörige und Hinterbliebene umfunk- tioniert. In der Turnhalle sol- len die Leichen aufgebahrt erden. Der Zugangur abge- sperrten Schule ird on der Poliei kontrolliert. 17 Uhr: DerersteToteirdge- borgen. Weiterefolgen. 18Uhr: Die Identifiierung der Leichenbeginnt. In der Turnhalle nehmen dieHinterbliebenenAbschied. Pschiater und Pschologen beginnen mit ihremHilfspro- grammfür dieTrauernden. HI NTERGRUND Steinkohle älter als Braunkohle Braunkohleisteinfossiler Brennstoff, derzurEner- gieerzeugungeingesetzt wird. Sieisteinbräunlich- schwarzes, oft lockeres Se- dimentgestein, dasdurch Pflanzenresteentstand. DerSchwefelgehaltkann biszudrei Prozentbetra- gen. Hauptentstehungszeit wardasTertiär. Wiebei derSteinkohlewurden auchbei derBraunkohle abgestorbeneBäume, SträucherundGräservon Sedimentenüberdeckt. Unter Druckentstandsoin einemgeomechanischen ProzessKohle. DaBraunkohleerdge- schichtlichjüngerals Steinkohleist, unterschei- detsiesichvondieser deutlich: Siehateinenhö- heren Schwefelgehalt und einegröbere, lockere Grundmasse. Deutschlandzählt nach wievorzudengroßen Braunkohlegebieten(wie dieUSA, Russland, Grie- chenlandundAustralien). AnderStromerzeugung istBraunkohleinDeutsch- landzurund25Prozent beteiligt. Bei derVerfeuerung vonBraunkohleentsteht dashöchstklimaschädli- cheKohlenstoffdi- oxid. (tho) HI NTERGRUND Routinemäßige Sprengung führte zur Katastrophe „AuslösenderFaktorfür dasExplosionsunglück wareineroutinemäßige SprengungineinemStre- ckenabzweig. DieUnter- suchungenergaben, dass sichimBereichder Sprengstelleeinunerwar- tetreaktionsfähiger Braunkohlestaubangerei- chertundabgelagerthat- te. DieserStaubwurde durchdieSprengungauf- gewirbeltundgezündet. Aufgrundderörtlichen Verhältnissekonntesich eineanfänglicheAbflam- mungzueinerLaufexplo- sionentwickeln. Daeine Braunkohlenstaubexplosi- on unter den in der Grube Stolzenbachgegebenen Verhältnissenbisherals unmöglichgalt, befanden sichinderGrubekeineEx- plosionsperren, sodass die einmal angelaufeneExplo- sionfastdasgesamteun- tertägigeGrubengelände durchlaufenkonnte.“ Aus: HorstSchönhut: DieGewerk- schaftFrielendorf ird imOstfeld gebohrt, um die Grube u entlüften. Als man das Bohrgestänge über der Pfeilerstrecke5nachoben ieht, erden Geräusche ge- hört. Esscheint sichumKlopf- eichenuhandeln. Sicherist: Hier, ei Kilometer omE- plosionsort entfernt, befindet sich in 17 Meter Tiefe nicht Gas, sondernLuft. Plötlich gibt es ieder Hoffnung: Haben doch noch Bergleute die Katastrophe überlebt? D er dritte Tag bricht an und die Hoffnung auf Überlebende des Un- glücks sinkt. 10Uhr: Bergamtschef Erin Braun sagt: „Nach menschli- chemErmessenkannes keine Überlebenden mehr geben.“ DieHausbesucheonMitar- beiternder Werksfürsorgebe- ginnen. Den Hinterbliebenen ird Geld übergeben, damit sie sich Trauerkleidung kau- fenkönnen. 22.30 Uhr: Seit 3 Stunden Geräusche ausderTiefe Der dritte Tag: DieHoffnungensinken- dochin170MeternTiefe ist nochLuft ... Seit TagenimEinsatz(vonlinks): hr-TeamWolfgangPfetzing(†), Martin Steinhoff und Jörg Gücking Foto: Koch Samstag, 24. Mai 28 Sonntagszeit spezial SZ-ZG2 Handsgabesnochnicht, aber die DDR eistierte noch. Helmut Kohl ar schonsechs JahreKanler undhatte nochehnei- tere or sich - ein kurer Blickauf dasStolenbach- Jahr 1988: 18. Februar: Generalsek- retär Michail Gorbatschow betont, dassjedersoialis- tische Staat sein gesell- schaftliches Sstem frei ählenkönne. 16. Mär: Giftgasangriff der Luftaffe on Iraks Diktator SaddamHussein auf die Kurden und Ass- rer in Halabdscha (eta 5Tote). 14. April: InGenf irdein Abkommen geschlossen, das denAbug der soje- tischen Truppen aus Af- ghanistanregelt. 8. Mai: Bei der Stichahl umdas Amt des franösi- schenStaats- präsidenten sett sich Amtsinha- ber François Mitterrand (Foto) mit 54 Proent der Stimmen gegen seinen Mitbeerber, Premiermi- nister Jacques Chirac, durch. 8. Mai: Nachderorausge- gangenen Barschel-Affäre geinnen die Soialde- mokraten bei den Land- tagsahlen in Schlesig- Holstein die absolute Mehrheit der Mandate. Björn Engholmbildet die RegierunginKiel. 18. Mai: Bayer Leverkusen geinnt im Elfmeter- schießen den Uefa-Cup gegen Espanol Barcelo- na. 25. Juni: Die Niederländi- sche Fußballnational- mannschaft geinnt durch ein 2: über die UdSSRdie Fußballeuropa- meisterschaft in Deutsch- land. 3. Juli: Über dem Persi- schen Golf ird ein Air- bus der Iran Air ersehent- lich durch die USS Vin- cennes abgeschossen. 29 Tote. 16. August: Gladbecker Geiseldrama. Zei orbe- strafte Bankräuber neh- mennachihremÜberfall auf die Deutsche Bank in Gladbeck (NRW) mehr- fach Geiseln und fliehen. Beor sie nach mehreren Tagen überältigt er- den können, hat es drei Totegegeben. 28. August: BeimFlugtag onRamstein(Rheinland- Pfal) kollidierten drei Flugeuge. Eines stürt in die Zuschauermenge. 7 Todesopfer. 21. Deember: Aufgrund einer Bombeneplosion an Bord stürte eine PanAm-Boeing über Lo- ckerbie in Schottland ab. Alle 259 Menschen an Bordsoie 11Einohner Lockerbies sterben. (bli) DasJahr 1988 Gladbecker Geiseldrama: Bankräuber Dieter De- gowksi undGeisel SilkeBi- schof. Die junge Frau ist wenig später tot. Foto: dpa pen auf Hochtouren, umdie nochimmer inerschiedenen Stollenabschnitten orhande- nehoheKonentrationantöd- lichemKohlenmonoid abu- bauen. Die nun gefundenen Kum- pel aren noch am Leben, eil sie sich in eine Strecke urückgeogen hatten, in die das tödliche Gas nicht ordrin- gen konnte, eil sich dort VON FRANK THONI CKE E sist reinerZufall, dassin dieser Nacht das Team des Hessischen Rund- funks mit dembereits erstor- benen Wolfgang Pfeting (Ka- mera), Martin Steinhoff (Re- dakteur) und Jörg Gücking (Ton) genauanjener Stelleist, ander bei Suchbohrungenim Ostfeld der Zeche Klopfgeräu- schegehört urden. 2.10Uhr: Die Fernsehleute bie- tendenMännernder Gruben- ehr an, ihr Richtmikrofon u benuten. Das hr-Team hört tatsächlichTöne aus der Tiefe - erklären kann man sich die Geräuscheunächst nicht. Aus Kassel trifft technische Verstärkung ein. An7 Meter Kabel erschindet ein hoch- empfindliches Mikrofon in der Tiefe. Plötlichsind Stim- menda. Satfetensinduhö- renie„... diehabeneinLoch gebohrt“. (Sie können sich unter www.hna.de/go/blogeinenMit- schnitt dieser Sene anhören.) 4.21Uhr: Was niemand mehr uhoffenagte: EinRettungs- trupp findet unter Tage die sechs Überlebenden- über 6 Stundensindseit der Eplosi- onergangen. Obohl kaumnoch damit gerechnet ordenar, Überle- bende bergen u können, a- ren Rettungstrupps immer ieder indieGrubegegangen. In der Nacht stießen mehrere Trupps indennördlichenGru- benbereich or. Zugleich liefen über Tage die Belüftungspum- DasWundervonStolzenbach Der vierte Tag: Sechs Bergmänner werdenamfrühenMorgendochnochlebendgeborgen eine Art Luftblase gebildet hat- te. Als die Grubenehr kommt, leuchten die einge- schlossenen Kumpel ihren Rettern mit Taschenlampen entgegen. Die Geretteten erden rund ei Kilometer bis u dem Wetterschacht gebracht, über den sie schließlich ans Tages- licht gelangen. 5.35Uhr: Es geschieht, as kei- nermehrfürmöglichgehalten hatte: Als Erster der Einge- schlossenen ird Hein Röse mit einemFörderkorb ans Ta- geslicht gebracht. Seit der E- plosion sind 65 Stunden er- gangen. Ein Wetterschacht ar ur behelfsmäßigen För- deranlage umgebaut orden. Nacheinander und eineln kommen auch die Anderen nachoben. Es sindnebenRöse die Bergmänner Thomas Gep- pert, Egon Dehn, Ahmet Bat- kan, Helmut Gessner undWil- friedDönch. Diese sechs über- lebten, 51Bergmännerstarben inder GrubeStolenbach. Kumpel und Retter fallen sichindie Arme. Die Angehö- rigeneilenur Grube. Tränen fließen. Das „Wunder on Stolenbach“ist geschehen. Die sechs Überlebenden von links: Heinz Röse, Wilfried Dönch, Helmut Gessner, Ahmet Batkan, Egon Dehn und Thomas Geppert. Es ist der 4. Juni 1988 und seit der Explosion sind mehr als 65 Stunden vergangen. Foto: Berger langsamerblassen: „Manhat heuteProbleme, sichallesor- ustellen: Wo stand elches Gebäude?“ Steigerstube, Ein- gang, Kantine - all das lasse sich nur noch erahnen. „Vie- les ergisst manimLaufe der Jahre“, sagt Dönch. AuchdieSolidarität, diean- fangs inBorkenherrschte, sei erblasst, hat Dönchbeobach- tet. „Wenn das Alltagsleben einkehrt, kommenauchNeid undWut.“ Einigeseienegen der Entschädigungenneidisch geesen, unerständlich für Dönch: „Was nütt einem Geld und Gut, enn man krank ist oder das Liebste im Leben erloren hat? Da sollte sich jeder mal Gedanken ma- chen.“ Wilfried Dönch, der Über- lebendeonStolenbach, er- steht auchnicht, dass es man- chen Frauen on Verstorbe- nen erübelt orden sei, enn sie neue Partner fan- den: „Wie es imHeren aus- sieht, kann doch keiner se- hen.“ le angemeldet geesen. Doch das klapptenicht. „Ichkonnte mich nicht konentrieren“, erklärt Dönch. ImHerbst nach dem Unglück urde ein Ar- beitskreis gebildet, es gabps- chologische Unterstütung. „Es hat gut getan, u hören, dass andere dieselben Proble- me haben“, erinnert sich Dönch. Besonders eine Frage habe die Überlebenden gequält: „Warum habe ich überlebt und arum der Kollege nicht?“ Dönch hat für sich eine Antort gefunden: „Ich glaube, das ist diese geisse Vorbestimmung im Leben.“ Dönch ging u AEG nach Kassel, arbeitete dort als Be- triebsschlosser. Als er hörte, dass in Borken eine Stelle in der Stadteraltung frei ar, bearber sich. Heuteleitet er den städtischen Bauhof, ist Maschinenbau-Meister. So hat er beruflich häufig an der Gedenkstätte in Stol- enbachutunundstellt fest, ie manche Erinnerungen Es dauerte Monate, bis er be- griff, dass sichseinLebenund das der ganenRegionfür im- mer erändernürde. Schon or der Katastrophe ar er für die Technikerschu- der Tiefe befreit urden. An- fangs herrschte pure Freude, erinnert er sich. Die sechs usstennicht, as geschehen ar, ussten nichts on den Toten. Dies dämmerte ihm um ersten Mal, als er sich kur nach der Rettung nach ei- nemKollegenerkundigte: „Da ar nur Kopfschütteln und TränenindenAugen.“ „Warumhabeichüber- lebt undwarumder Kollegenicht?“ WI LFRI ED DÖNCH Erst uhause, durchLuftbil- der imFernsehen, urdedem damals 21-Jährigen das Aus- maßder Katastrophebeusst. VON OL AF DE L L I T I mmer ieder. Dieselben Fragen, dieselbe Geschich- te. Wilfried Dönch muss immer ieder erählen, ie es damals ar, als er aus der Grube Stolenbach gerettet urde, als einer on sechs Überlebenden. Neulichurde er sogar gefragt, ob er mit in die Schule kommen ürde. Das Grubenunglück ar Un- terrichtsthema. „Ich habe dich imFernse- hengesehen“, bekamWilfried Dönchfrüher oft uhören. Es gefalleihmabergarnicht, ie einStardargestellt uerden, sagt der 41-Jährige. Die Zeit ist ja nicht stehen geblieben an dem Tag, als DönchundseineKollegenaus Somanches ist verblasst WilfriedDönchist einer der sechs Überlebendendes Stolzenbach-Unglücks Bild oben: Er will kein Star sein: Wilfried Dönch ist einer von sechs Überlebendendes Grubenunglücks. Unser BildentstandamBor- kener Badesee Stockelache. Bildlinks: WilfriedDönchimKleinbusdesDRK. DiesechsÜberle- bendenwurdenzusammenvomBergwerksgelände ineinKran- kenhaus gebracht. Fotos: Dellit/Koch DOKUMENTATI ON „Dann denkt man langsam: Haben sie uns vergessen?“ Wie die Tage des Eingeschlos- senseinsunddieRettungwa- ren, schilderte einer der Kum- pel demReporterMartin Steinhoff vomHessischen Rundfunkam4. Juni. Hier Auszüge: „Wirhabengehört, dassda gebohrtwordenist. Ja, und gesternNachmittag, dafing irgendwoWasseranzulau- fen. Dahabensiegebohrt undhabensieso'nbisschen Schlämmeangebohrt, das kamdannruntergelaufen. Unddahabenwirhochge- guckt, dassahauswieein Rohr oder so wie‘n Loch. Und dahabenwirgeklopptundge- macht, unddahabtihrunsge- hört... Wirhabennurgedacht: Wenn keinBohrerodersodrinist, kommtdasnichtobenan. Es sindjafast200Meterdahoch. AberdurchdasMikrofon scheint‘sjadochfunktioniert zuhaben. Daswarauf jeden Fall beruhigend, wenndage- bohrtwurde, dashälteinen immer aufrecht, wennda oben was gemacht wird ... Und dann war Ruhe bis heute Nacht, und daswaranstrengend, weil nichts mehr passierte da oben. Danndenktmanlangsam: Ha- bensieunsvergessen?Dann rechnenSiemitnichtsmehr... Wennmandauntenliegt, so ‘ne Weile, dann sieht man Lich- ter, diegibt‘sgarnicht. Und wenndannLichterkommen, die‘swirklichgibt, wenndann auf einmal jemandumdieEcke kommt, womantagelangda- rauf hofft, das ist ... wir sind auf siezugestürzt, unddahaben sieunserstmal zurückge- schickt, weil wirineineGas- wolkereinliefen. Unddahaben wirsoApparateumgehängt gekriegt, somit Sauerstoff, und dannsindwirschönlangsam nachvorngelaufen. Unddann habensieunsgetragenden RestderStrecke.“(tho) Samstag, 24. Mai 28 Sonntagszeit spezial SZ-ZG3 nicht. Am nächsten Morgen hießes, 57Bergleuteseienun- ter Tageeingeschlossen. Für die, die draußenarte- ten, dauerte die Katastrophe noch Tage. Christel und Mat- thiasHeßlerbekamendieAuf- gabe ugeiesen, die Angehö- rigenu begleiten, enntote Bergleute geborgen orden aren. „Es ar hammerhart“, sagt Heßler, diedamals27Jah- re alt ar. Sie holtendie Ver- andten der Toten uhause ab oder nahmensie inder Sport- halle in Empfang, o die Lei- chen lagen. Die Meisten hät- ten die Toten sehen ollen, er- innert sich die Retterin. Und siear immer mit dabei. Zuhause darüber geredet An pschologische Betreu- ung für die Rettungskräfte habe damals niemand ge- dacht. „Wir haben uhause iel darüber geredet“, erinnert sich Christel Heßler. Und sie sammelte Artikel aus Zeitun- genund Zeitschriften. Sie hat sogar einmal begonnen, die Ausschnitte u sortieren und aufukleben. Doch sie habe baldieder aufhörenmüssen, die Erinnerung habe u sehr geschmert. „Wir kannten sie ja alle“, sagt Christel Heßler über die Opfer. DenBergmann, der die Schicht egen eines Fußball- spiels getauscht hatte; diebei- den türkischen Brüder, die nur ausnahmseise gemein- samin einer Schicht arbeite- ten; denjungenMann, der ei- nen Tag später einen neuen Job anfangen ollte - beim Rettungsdienst Heßler. Erst ehn Jahre nach dem Unglück schaffte es Christel Heßler, die Gedenkstätte in Stolenbachubesuchen. Ver- gessenkönne sie die Tage des Unglücks nie. Diese Tage und das Bild on der Grube, gan inSchar. VON OL AF DE L L I T E s gibt einBild, das Chris- tel Heßler nie ergessen ird: das Grubengelän- de in Stolenbach kure Zeit nach demUnglück. Schar hat siedas BildinErinnerung. Schar und mit Menschen, dieumHilfeschrien. Nur ölf Minuten hatten Christel Heßler und ihr Bru- der Matthias andiesem1. Juni 1988 on Gombeth aus ge- braucht, nach dem alarmie- renden Anruf. „Die Grube ist in die Luft geflogen“, hatte eine Stolenbacherin gesagt. Die Nummer om priaten Rettungsdienst Heßler hatten dieMenschenimKopf. EplosioninderGrube?Un- möglich, glaubtemandamals. „Ichdachte, es äre einFlug- eugabstur“, erählt Christel Heßler. Doch die Grube ar irklich in die Luft geflogen, über Borkenstandeingroßer, scharer Pil. Die erfahre- nenRetter nahmeneinenVer- letten auf und fuhren ihn nach Fritlar ins Kranken- haus. So, dachte Christel Heßler, ürde es eitergehen: Ver- lette ersorgen, in die Kran- kenhäuser bringen, helfen. Doch unächst konnten sie nicht iel tun, außer Tragen u bringen und Zelte aufu- bauen. „Und dann ging das Warten los“, sagt Christel Heßler. Neue Gerüchte EineStundenachder Katas- trophearendieerstenAnge- hörigenanderGrube. Heßlers betreuten sie, aren einfach da, arteten mit ihnen. Im- mer neue Gerüchte schirr- ten umher, erinnert sich Christel Heßler, dochechteIn- formationengabes nicht. Die Ausmaßedes Unglücks ließen sich nicht erahnen. Noch DieAngehörigenzu denTotenbegleitet Christel Heßler war ersteRetterinamUnglücksort - undkanndenTagbis heutenicht vergessen Alle habenberichtet: Christel Heßler hat Artikel über das Grubenunglück gesammelt. Foto: Dellit UnserAutor FrankThonicke(53), inBer- lingeboren, arbeitetseit Ende1979fürunsereZei- tung. Erist verheiratet undhatzwei Kinder. Vor zwei Jahren erhieltThoni- ckeden Wächterpreis derdeutschenTagespresse fürseineBerichterstattung überdieunzulässigeVer- quickungvondienstlichen undprivatenInteressenbei hr-Sportchef JürgenEmig. tende und landende Hub- schrauber übertönten jedes Wort. Zischen Poliisten und Journalistenkames ueinem Handgemenge. Eine Frau, ermutlich eine Angehörige, hielt die Belage- rung nicht mehr aus. Sie Wir aren so iemlich die ersten Journalisten, die am Unglücksort eintrafen. Es sah schrecklich aus. Der Eingang umStollenar ueinemrie- sigen scharen Loch geor- den, aus demes qualmte. Ich erde das Bild nie ergessen, ie die Männer der Gruben- ehr langsam, mit schleppen- denSchrittenundhängenden Schulternaus diesemLochhe- rauskamen. SiehattenSchut- kleidung an und Atemgeräte gegendas tödlicheGas um. Es sahaus, alsärensiedemgie- rigen Schlund der Hölle ent- kommen. Alssiedielebensret- tende Vermummung ableg- ten, sah man Erschöpfung, Vereiflung und Hoffnungs- losigkeit inihrenerschmut- tenGesichtern. Meiser per Hubschrauber Es ging chaotischuinden ersten Stunden nach der E- plosion. Immer mehr Journa- listen kamen nach Borken. Die Kunde on einem Berg- erksunglück, das spätestens nachdemWunder onLenge- demit Mthenbesett ist, hat- teschnell dieRundegemacht. Die Reporter kamenaus gan Deutschland. Hans Meiser, da- mals in der RTL-Nachrichten- redaktion, schebte per Hub- schrauber ein. Lastagen karrten die Sendetechnik an, die flugs aufgebaut urde. Wohnmobile aren eine Art Feldküche, inder Kollegenfür KollegenKaffeekochten. Das alles ar damals noch neu. Die Mediengesellschaft mit ihren priaten Fernseh- sendern steckte noch in den Kinderschuhen. Die Priaten tatenalles, umanInformatio- nen u kommen, ebenso ie VON FRANK THONI CKE M eine persönliche Bor- ken-Geschichte be- gannschoneinhalbes Jahr or der Katastrophe. Im Noember 1987 machten ir eine Reportage über die Men- schen bei der Preag. Der An- lass: 1993 sollte endgültig Schluss sein mit dem Kraft- erkBorken, unddamit äre auch der Braunkohletagebau amEndegeesen. Ich schrieb damals: „Nach dem Montangeset kann je- der, der 25 Jahre imBergbau arund5Jahrealt ist, Vorru- hestandsgeld kassieren. Das erden die meisten Kumpel, die ur Zeit noch die Braun- kohle in Borken brechen, er- reichen.“ Was ichund niemand ahn- te: 51 Kumpel sollten genau das nicht erreichen. Sie star- benunter Tage, beimgrößten Unglück, das denBraunkohle- bergbau in Deutschland je ereilte. Es muss kalt geesen sein in jenen tragischen ersten Ju- nitagen 1988. Ich erinnere michdaran, dass ichunserem Fotografen Lothar Koch, der die ersten Unglückstage in Borkenrund umdie Uhr aus- harrte, umjanichtsuerpas- sen, arme Kleidungsstücke mitbringenmusste. Als ir on Kassel über die A 49 das erste Mal umOrt der Katastrophe fuhren, ussten ir noch nichts omAusmaß des Unglücks. Eine riesige Raucholkesteheüber der Ze- che, hatte es unächst gehei- ßen. Es hatte eine Eplosion gegeben, so iel ussten ir. Wie schlimmes irklichar, ahntenir nochnicht. OhnejedeScham Die Katastrophe wurde zummedialenGroßereignis - eine persönliche Erinnerung die Kollegen der Bouleard- presse. Informationen, dashießor allem Fotos der ermissten und toten Kumpel u bekom- men. Geld, iel Geldurdege- boten, undmanchenReporter schien bei der Informationsbe- schaffung alles recht und bil- lig u sein: Da erkleidete mansichalsPfarrer, umindie Familienundanentsprechen- deBilder ukommen. Jede Beegung auf dem GrubengeländelösteeinBlit- lichtgeitter aus. Eine Presse- konferen fand unmittelbar ordemZelt statt, indemVer- lette ersorgt urden. Star- schrie „Ihr Scheine“, und ein Backstein flog Richtung Jour- nalisten. Dochmit Steinenlie- ßen sich derlei Ausüchse nicht eindämmen. Hessischer RundfunkundRTLbautenun- terdessen auf dem Gelände riesigeSendemastenauf. Kameras als Waffen Der Kannibaleundalleähn- lichenmedialenGroßereignis- se aren damals noch eit eg. Und so ar Stolenbach ielleicht auchdieerstemulti- mediale Sensation, die in der Proin spielte. Mit einem Schlag ar die so genannte Weltpresse in eine Gegend eingefallen, umdie sich nor- malereise niemand scherte. Helfer, trauernde Hinterblie- bene und hoffende Angehöri- geurdenur gejagtenBeute. Die Waffenarendie Teleob- jektieder Kameras. Es dauerte, bis manbei der Zechenleitung diesenJagdse- nen Einhalt gebieten konnte. Für direkt Betroffene urden speielle Räume eingerichtet, in denen sie or Journalisten geschütt aren. Dort aren sie auch sicher or dengaffendenBlickender ielen Schaulustigen. Auch das ar Borken- das ersteUn- glück, u demein regelrechter Katastrophentourismus ein- sette. HNA-Chefredakteur Lothar Orechoski schrieb damals in seinemKommentar: „Was sich danach draußen abspiel- te, hatte erschütternde und leiderauchgroteskeZüge. Das Unglück urde umgehend umSpektakel. Was bloß, so muss man fragen, macht uns soschamlos neugierigauf das Unglückder anderen?“ ScharenvonJournalisteneiltennachder Katastrophe ins kleine ÖrtchenStolzenbach. Nicht immer ging es soruhig undzivilisiert zuwie bei dieser kurzen Pressekonferenz mit Hessens Innenminister Gottfried Milde (CDU). Foto: Koch Hoffen und Bangen: Kumpel aus Stolzenbach warten auf Nach- richten aus der Unglücksgrube. Selbstretter: Aktivkohle-Filtergeräte konnteneinenMannfür zirka eineStunde mit Sauerstoff versorgen. Archivfotos: Koch TrauerundVerzweiflung: Ange- hörige der Kumpel amRande der Anlage. Zerstört: Betonbrocken flogen durch die Wucht der Explosionbis zu100mweit und trafen auch eine Hütte beimGrubeneingang. Samstag, 24. Mai 28 Sonntagszeit spezial SZ-ZG4 Die Rettungskapsel: Helfer der Grubenwehr befesti- gensie amHakeneines Krans, umdie Überleben- den aus der Grube zu bergen. Mit dem Schrecken davongekommen: Otto Kraft machte währendder Explosion Pause über Tage undüberlebte so das Un- glück. Archivfotos: Koch Bohrung zumEntlüften der Grube. NachdemUnglück: AngehörigeundKumpel bangenum die verschütteten Bergleute. schenGemeindeinder Borke- ner Stadtkirche. Das ar einesehr starkeEr- fahrung, dass das möglich ar. holfen und uns auch mal in den Arm genommen haben. Eine gute Erfahrung ar auch die gemeinsame Trauer- feier mit der türkisch-islami- diedieIdeehatten, das Mikro- fon in den Schacht herabulas- sen. Das Wort Wunder ist ein Ausdruck großer Dankbar- keit, auchgegenüber Gott. So habeiches empfunden. Ist der 1. Juni 2008, 20Jahre nachdemUnglück, für Sie ein bedeutsamer Tag? KRÜCKEBERG: Ich denke jedes Jahr daranurück. Der 1. Juni ird für michimmer einein- schneidendes Datumbleiben. Die Begleitung der Betroffe- nenhat sehr iel Kraft gekos- tet, aberesaraucheinegute Erfahrung, dass ir uns im Kollegenkreis gegenseitig ge- Verschütteten. Als dann der Bergerksdirektor Lohr die Namender Totenorlas, habe ichgebetet: Psalm23unddas Vaterunser. Als dann die sechs überle- benden Bergleute gerettet wurden, sprachmanvomWun- der von Stolzenbach. Ist der Be- griff Wunder aus Ihrer Sicht richtig? KRÜCKEBERG: EinWunder ist ja etas Subjekties. Für mich aresunderbar, ieumdas Leben der Verschütteten ge- kämpft urde. Es ar einVer- dienst der Rettungsmann- schaften und der Menschen, nur sagen: Wir können ersu- chen, dasgemeinsammit euch ausuhalten. Und das ar auch unsere Deise. Wir aren ja ge- nauso erschüttert ie alle an- deren, die Angehörigen, die KollegenundFreunde der er- schüttetenBergleute. Die Frage nach dem„Wa- rum“ urde natürlich immer ieder gestellt, aber man eißeigentlich, dassdasnicht eiterführt. Wir aren ein- fachda und habendenAnge- hörigengesagt: Wennihr uns braucht, könnt ihrunsanspre- chen. Tag und Nacht haben ir usammen geartet und gehofft, auf die Rettung der VON OL AF DE L L I T P farrer Siegfried Krücke- berg ar in den Tagen derKatastropheonStol- enbach Pfarrer in Borken. Wir sprachen mit ihm über diese Zeit, über die Belastun- gen und die Arbeit mit den An- gehörigen. Wenn Sie an das Unglück von Stolzenbach denken, wel- ches Bildkommt Ihnenals Ers- tes in den Sinn? SIEGFRIED KRÜCKEBERG: Mir kommt die Turnhalle in den Sinn, inder dieLeichenaufge- bahrt urden, und in der die Angehörigen Abschied on den Toten nehmen konnten. DaseiteBildist dieSitua- tionumdieGrubeherum, o eingroßerRummel herrschte, mit der Presse, den Kameraa- genundso eiter. Auchiele Angehörige aren nach Stol- enbach gekommen, und na- türlich die Angestellten der Grube. Als Pfarrer hatten Sie eine besondere Rolle. Wie haben Sie das erlebt? KRÜCKEBERG: Ichar andiesem Tag unteregs geesen und kam nachhause. Ich hörte meinenAnrufbeantorter ab. Die Stimme unseres damali- gen Bischofs Dr. Hans-Gernot Jung ar drauf. Er sagte, er habeondemUnglückinStol- enbachgehört. Da habe ich sofort bei der Preußen Elektra angerufen, um mehr u erfahren. Dort ar man unächst sehr u- rückhaltend. Wir Pfarrerkolle- gen haben uns dann beraten und beschlossen, nach Stol- enbachufahren, umunsere Hilfeanubieten. SicherlichwurdenSiehäufig mit der Frage nach dem„Wa- rum“ konfrontiert. Was haben Sie geantwortet? KRÜCKEBERG: Eine Antort da- rauf gibt es nicht. Man kann „Warum?EineAntwort gibt esnicht“ Pfarrer SiegfriedKrückeberg, vor 20JahrenPfarrer inBorken, imInterviewüber die Katastrophe undihre Bewältigung In Trauer vereint: Angehörige der Kumpel von Stolzenbach. Hinten links: Liselotte Funcke (FDP), damals Ausländerbeauftragte der Bundesregierung. Foto: Koch nert sich noch genau an „die große Freude der Angehörigen unddieEnttäuschungderjeni- gen, derenMänner undSöhne nicht dabei aren“. Für Gerd Haug begann die schlimmste Aufgabe in der Zeit danach. Er ar einer der Preag-Verantortlichen, die die Hinterbliebenen der Kata- strophe besuchten, umihnen ihr Beileid ausudrücken. Die gane Trauer, das gane Lei- den: „Das ging irklichunter dieHaut.“ Haug besucht regelmäßig die Gedenkfeiern für Stolen- bach. Wichtigist ihm, dassdie Erinnerung achgehalten ird an die Geschichte der Stadt. Deshalb sette er sich für das Bergbaumuseumein. Helfer. Im Krafterk bauten seine Männer eine Rettungs- bombe, diespäter indenWet- terschacht, der für Atemluft unter Tagesorgte, eingelassen urde. Leider ergeblich. Auch das Krafterk lief ei- ter, lediglich einer on drei Blöcken urde omNet ge- nommen. Inall derZeit kamenimmer ieder schlechte Nachrichten aus der Tiefe: „Es urde ein Toter nach demanderen ge- funden.“ Und dann kamder Moment, der gan kur einen FunkenHoffnung indie Trau- er brachte: die Rettung der sechs Bergleute. „In diesem Moment hat man die Tragik ergessen“, sagt Haug. Doch der ährte nur kur, er erin- chen traf sich die Runde da- mals. Irgendann erreichte Lohr einAnruf, esaroneinerE- plosion die Rede. Vielleicht ein eplodierter Lüfter, dachte man, denn, iegesagt, Braun- kohle konnte nicht eplodie- ren. Lohrfuhrlosundmeldete sich später. Die Katastrophe ar eingetreten. Haug half dabei, das Gru- bengelände, so gut ie mög- lich, abusichern, gegen den Ansturm on Schaulustigen und Medien. Vor allem die Einsatentrale unddie Ange- hörigenmusstenabgeschottet erden, erinnert sichder heu- te73-Jährige. Er organisierte unter ande- remdie Verpflegung für die VON OL AF DE L L I T B raunkohle hat einen Wasseranteil on bis u 5Proent. EineEplosi- on? Ausgeschlossen. Das dach- tebis1988auchGerdHaug. Er kannte sich aus mit Kohle, dennerardamalsauf siean- geiesen. Haug ar imJahr der Katastrophe Chef des Bor- kener Kohlekrafterks. An diesem1. Juni saßen ier Männer u einem Arbeitses- senusammen, die inBorken iel Einfluss hatten: Bürger- meister Bernd Heßler, Berg- bauchef Walter Lohr, der kauf- männische Leiter, Hein Ha- mann, und Gerd Haug. In To- denhausen ar das, erinnert sich Haug, eta alle ier Wo- DasgingunterdieHaut GerdHaugwar indenTagender Katastrophe Direktor des Borkener Kraftwerks ErwarKraftwerksdirektor: GerdHaugvoreineraltenLore, einem Erinnerungsstück aus demBorkener Bergbau. Foto: Dellit ZurPerson Dr. Siegfried Krückeberg (50) ist BeauftragterderEvangelischen KirchevonKurhessen-Waldeck fürdenprivatenHörfunk. Der evangelischeTheologeistver- heiratetundlebtinFrankfurt. Krückebergwarwährenddes StolzenbacherUnglücksPfarrer inBorken. (ode) Foto: privat Samstag, 24. Mai 28 Sonntagszeit spezial SZ-ZG5 T ief im Erdreich Nordhessens liegen Schäte ergraben: Braunkohle und Kalisal in gealtigen Mengen, Kupferschiefer, Scher- spat, Eisen, Ton und Ba- salt. Bei Korbach soll so- gar bis heute mit einer TonneGolddiegrößteLa- gerstätte Deutschlands schlummern. Über Jahrhundertehin- eg on Bergleuten aus den Tiefen gekratt, lie- ferten die Bodenschäte an der Oberfläche den Treibstoff für Industrie undArbeitspläte, trugen u Wohlstand und Ener- gieersorgungbei. Wirtschaftlich bedeut- samist nur nochder Kali- Abbau zwischen Werra und Fulda. Das Reier imhes- sisch-thüringischen Grengebiet bietet heute 42 Menschen Arbeit, die in einem Stollenss- temon der Größe Mün- chens das or 25 Millio- nen Jahren entstandene Kali ur Düngemittelge- innungabbauen. 4 bis 5 Jahre lang ar die nordhessische Braunkohle ichtigster heimischer Energieträ- ger. Inischen ird sie nicht mehr gebraucht. Im Habichtsald bei Kassel ar der geplanteTagebau ebenso heftig umstritten ie amHohen Meißner. Bürgerinitiatie kämpf- ten für den Erhalt der Landschaft undhattenEr- folg: Im Habichtsald schloss die Zeche Marie imJuli 1966, auf der Kalbe amMeißnerar1974mit demTagebau Schluss. In Kaufungen hatten die Kumpel bis 1971 3,3 Mil- lionenTonnenBraunkoh- legefördert. Am Meißner, bei Bad WildungenundSontraso- ie in der Schalmhat- ten die Bergleute imLie- gen Kupferschiefer aus denoft nur einenhalben Meter dicken Flöen ge- kratt. Das lette Berg- erk schloss Anfang der 6er Jahre. Heute spielt der Berg- bauaußererhalbder Kali- reiere kaum noch eine Rolle. In Großalmerode holen noch fünf Kumpel Ton aus der Erde, der - eil besonders feuerfest - elteit begehrt ist. In Lindau-Lamerden ird noch Gips abgebaut, in Kassel ird Tuffstein für die laufende Herkules-Sa- nierung geonnen. Zum Bau on Bahnstrecken und Autobahnen sind im Druseltal bei Kassel und bei Hessisch Lichtenau noch einige Basaltbrüche inBetrieb. (tom) Geschichte desBergbaus inderRegion Schwere Arbeit unter Tage: Seit Jahrhunderten holen Bergleute in Nord- hessen Bodenschätze aus demUntergrund. Trauerfeier für die Opfer: Die Särge der türkischen Toten waren mit Nationalfahnen bedeckt. Foto: Koch als er seinenVater inder Gru- be Stolenbach erlor. In den ersten Jahren nach der Kata- strophe ar der Junge häufig uGast bei Professor Schüffel. Man unterhielt sich, und manchmal maßmansichum Zeitertreib im Armdrücken. Dannsagte der Junge, dass er das gerne mit seinemVater ge- macht hätte. 1998, ehnJahre nachdem Unglück, erkundigtenir uns bei, as denn aus demkleinen Türken georden sei. Er sei einkräftiger junger Mannge- orden, „der seinen Weg geht“, sagte Schüffel damals. Der Wissenschaftler sollte Recht behalten. Heute ist aus demJungeneinManngeor- den, der an der Uni in Frank- furt Soiologiestudiert hat. ganisierte, entrale Hilfe auf drei Jahre beschränkt ar, gibt es auch heute keine Sta- tistiken, as aus denBetroffe- nengeordenist. Nicht nur der Zusammen- halt der Türken und Deut- schen nach der Katastrophe ar bemerkensert. In Stol- enbach urde ielfach Neu- landbetreten: ZumerstenMal gab es einSpektakel der Mas- senmedien, das diePoliei auf denPlanrief. UndumerstenMal gabes inDeutschlandHilfe für Men- schen, die unter einer „post- traumatischen Belastungsstö- rung“ oder dem „Katastro- phensndrom“ litten. Das ist unter anderem gekenneich- net durch Herrhthmusstö- rungen, Magenschmeren, VON FRANK THONI CKE W enn Prof. Wolfram Schüffel (69) anStol- enbachdenkt, sieht er Menschen, die usammen- arbeiten, sich unterstüten, helfen, Trost spenden. Ersieht türkische und deutsche Fami- lien, die in der Trauer nicht getrennt, sondernereint a- ren. Die„GrauenWölfe“, diemi- litante, rechtsetremeOrgani- sation der Türken, hatte da- malsetraegenStolenbach ihreZentraleeiteiseinKas- sel. Man ollte dokumentie- ren, dass Türken on deut- schen Unternehmen ausge- beutet, ja erheit ürden. Das misslang gründlich. Tür- kenundDeutscheninBorken ließensichnicht auseinander- diidieren. Insofern ar die Beälti- gung des Unglücks on Stol- enbach orbildhaft, sagt Prof. Schüffel. Der frühereChef der Pschosomatik an der Unikli- nik Marburg ar der Koordi- nator eines bis dahinbeispiel- losen Hilfsprogramms: Der Stolenbachhilfe. Intensive Betreuung Drei Jahre lang betreuten Geistliche, Pschologen, Werksfürsorger, Betriebsräte soieFrauenundMänner der Preagdie Opfer des Unglücks: dieHinterbliebenen, dieÜber- lebenden, KollegenundHelfer der erstenStunden, Tage und Wochen. KlararonAnfangan: Die Stolenbachhilfe sollte auf drei Jahre beschränkt sein. Schüffel: „Nach diesen drei Jahren aren die Betroffenen keine Opfer mehr“. Sie ur- den teileise aber eiter be- treut. In ambulanten Praen, anderUniklinikMarburg. Aus Opfern mit Sonderbetreuung aren normale Patienten des deutschen Gesundheitsss- temsgeorden. Unddadieor- In der Trauer vereint Das Grubenunglücklieferte Erkenntnisse auchfür andere Opfer, sagt Psychotherapeut Schüffel Scheißausbrüchen und Schlaflosigkeit. Dass Stolenbach diese Krankheit ins Beusstseinder Öffentlichkeit beförderte, fin- det Professor Schüffel im Rückblickerstaunlichundbe- merkensert. „Wir Deut- schen sind schließlich seit demWeltkrieg ein traumati- siertes Volk“, sagt er. Doch erst nach Stolenbach sei auf demGebiet hierulande - an- ders als imAusland- sstema- tischgeforscht orden. Er geht seinenWeg IndenGenuss der Erkennt- nissekommenjett alleOpfer onKatastrophen. Dennnicht alle übersteheneinso drama- tischesUnglückiederkleine Türke, der neunJahrealt ar, Prof. WolframSchüffel leitete von1976bis 2005diePsycho- somatische Klinik des Zen- trums für Innere Medizin der Philipps-Universität Marburg Foto: Thonicke ten Zeugen hatte der Anruf, den der Landrat amSamstag der Unglückoche erhielt, so gegen 4 Uhr. Es ar die gute Nachricht mittenindendunk- lenTagendes Unglücks: Sechs Bergleute aren gefunden orden, undsielebten. Jürgen Hasheider ar dabei, als die Männer andie Oberfläche ka- men, urückins Leben. Rettunginaller Stille Es sei gut geesen, dass die Rettung in relatier Stille ge- schehen sei, erählt der E- Landrat. Nach 65 Stunden in der Tiefe, 65 Stundenmit der ständigen Angst, es könne ieder etas passieren, hätte Rummel den Überlebenden geschadet, ist er sicher und sagt über die undersame Ret- tung: „Bei aller Betroffenheit über die hohe Zahl der Opfer ar das ein Moment der Be- freiung.“ Am1. Juni 28, 2 Jahre nach demUnglück, ill Jür- gen Hasheider ieder in Bor- ken sein. Er möchte an der Trauerfeier teilnehmen, mit derder51Opfergedacht ird, dieanjenemMittochumka- men. • Jürgen Hasheider (70) war von1984 bis 2002 Landrat im Schwalm-Eder-Kreis. Er ist ver- heiratet und hat zwei Kinder. Heute lebt Hasheider in Bad Hersfeld. teil, dass diese Anrufe nicht ohne eiteres abgehört er- denkonnten. Dennauchdas sei onBou- leardjournalisten gemacht orden, eta der Funker- kehr der Feuerehren, sagt Hasheider. Keine unerünsch- Kritikernschonfür einRelikt der Vergangenheit gehalten orden ar, so Hasheider. Nun urden die Fernmelder gebraucht, sie ogen Telefon- leitungen om Nordfeld der Grube ur Einsatleitung. Das hatte unter anderemdenVor- erbraucht. Das Funktelefon urde on den Rettungskräf- ten ständig benutt, on Handar damals nochkeine Rede. Desegen kam auch der Fernmeldeug der Feuerehr um Einsat, der uor on VON OL AF DE L L I T D er 1. Juni 1988 ar für Landrat Jürgen Hashei- der (SPD) eingan nor- maler Mittoch, bis u dem Anruf kur or 13 Uhr. Schlim- mes Unglück in Stolenbach, Näheres noch nicht bekannt. Hasheider sette als oberster Katastrophenschüter alle He- bel inBeegung. KureZeit später ar er am Ort der Katastophe. „Es herrschteChaos, überall lagen Trümmer herum, Menschen rannten orientierungslos durch die Gegend“, erinnert sichder heute 7-Jährige. Die erste Aufgabe sei es geesen, etas Ordnung u schaffen und dafür u sorgen, dass die Rettungsegefrei aren. Er habe eine Linie iehen lassen, die umBeispiel on Schaulustigen und Journalis- ten nicht überschritten er- den durften. Auf die Arbeit der Rettungsdienste ist Hasheider heute noch stol. Bis auf ein paar kleinere Pannen habe das alles gut geklappt. Hasheiders Auto urde eit- eise umBüro. Möglichar das auch, eil der Landrat ein Autotelefon hatte, im Jahr 1988eineechteSeltenheit. An die Kiste imKofferraumerin- nert sichHasheider gut, anei- nemAbendsei sogar dieAuto- batterie leer geesen, so iel Stromhatte das C-Net-Gerät Der Mannmit demeinzigenFunktelefon JürgenHasheider war vor 20Jahrenals Landrat der oberste Katastrophenschützer DieKatastrophebeschäftigt ihnimmer noch: JürgenHasheider, damalsLandrat desSchwalm-Eder- Kreises. Foto: Hornickel Samstag, 24. Mai 28 Sonntagszeit spezial SZ-ZG6 D irekt nach der Ka- tastrophe urde on der Preag die Stolzenbachhilfe ins Le- bengerufen, die denHin- terbliebenen und Angehö- rigender Opfer mit finan- iellen Leistungen unter dieArmegriff. DieseHilfe gibt es heute, 2 Jahre nach demUnglück, noch immer. Preag-Nachfolgerin E.ONsettesiefort. Heute heißt die Hilfe offiiell „Hilfserk Stolenbach der E.ON-EnergieAG“ mit SitinHannoer. In den 2 Jahren der Stolenbachhilfe flossen insgesamt 2,6 Millionen Euro an die Hinterbliebe- nen- undE.ONahlt ei- ter. Zureit bekommen28 Kinder, die in der Grube on Stolenbach ihre Vä- ter erloren, eine monat- liche Unterstütung on je153Euro- früheraren es glatte3Mark. Geahlt ird so lange, bis die Kinder mit ihrer Ausbildung fertig sind. Damit erdendieZahlun- gen, schätt Hilfserk-Ge- schäftsführer Dieter Schröder, in den Jahren 21 bis 212 auslaufen. Das Hilfswerk Stolzen- bach ird es aber eiter geben. Denn aus der für die Hinterbliebenen der Gruben-Opfer gedachten Hilfsmaßnahmeist längst ein Werk georden, das auch für andere, in Not gerateneMenschendaist. Sokannjeder E.ON-Mitar- beiter, der ein finanielles Problem mit soialem oder gesundheitlichem Hintergrund hat, sich an das Hilfserk enden und um Unterstütung bitten. Geahlt ird, um ein Beispiel unennen, enn dasKindeinesE.ON-Ange- hörigen eine mediini- sche Therapie unbedingt braucht, für die aber kei- ne Krankenkasse eintre- tenill. Über dieVerteilungdes Geldes, das E.ONur Ver- fügung stellt, entscheidet ein Kuratorium, in dem Geschäftsleitung und Be- triebsrat siten. Im let- ten Jahr urde ehn Mal Hilfe geährt, die Sum- men beegten sich i- schen 13 und 5 Euro. (tho) Geldfür dieKinder derOpfer Cedenkstätte StoIzenbach StockeIache See Wabern 8orken Homberg |Efze) SingIiser See ßorkener See ß 3 ß253 $TDLZENBACH Fritzlar Unser Autor Olaf Dellit (34), in Kassel gebo- ren, arbeitet seit 2000 für unsere Zeitung. Dellit ist verhei- ratet und hat ei- nen Sohn. HI NWEI S Sieben Seiten zumDownloaden Unsere sieben Seiten zum Gedenken an die Gruben- katastrophe vor 20 Jahren kann auch als PDF-Datei aus unseremHNA-online- Angebot heruntergeladen werden. Sie finden die Sei- ten ab dem26. Mai unter www.hna.de/stolzenbach STI CHWORT Gedenkfeier in Stolzenbach Eine Gedenkfeier zum 20. Jahrestag des Gruben- unglücks findet am1. Juni in Borken ab 15 Uhr im Bürgerhaus statt. AusTagebaugrubenwurdenSeen: Ander Stockelachekannheutegebadet undTretboot gefahrenwerden- einParadiesauchfür Kinder. Unser Bildmit MikaPeter aus Baunatal entstand 2007. Foto: Markiewicz Tipp Das Hessische Braunkohle- Bergbaumuseumbefindet sich AmRathaus 7 in 34582 Borken (Hessen). Vomersten Sonntag vor Ostern bis zum31. Oktober ist das MuseumDienstag - Sams- tag, 14 - 17 Uhr, und sonntags, 12 - 17 Uhr, geöffnet. Montags ist geschlossen. Eine dokumentarische Sonder- ausstellung informiert anläss- lich des 20. Jahrestages über das Grubenunglück. Sie wird am 1. Juni um18.30 Uhr imMuse- umsgebäude eröffnet und ist bis zum3. August während der Öff- nungszeiten des Museums zu besichtigen. Gruppen ab 15 Per- sonen können gesonderte Be- sichtigungszeiten vereinbaren. Die Gedenkstätte Stolzenbach ist ständig öffentlich zugänglich. Kontakt: 0 56 82/ 8 08 - 271 www.braunkohle-bergbaumu- seum.de Rosenander Gedenkstätte: InStolzenbachsinddieNamenaller imBorkener Braunkohlebergbau umgekommenen Kumpel auf ei- nemMetallring eingraviert. Foto: dpa Euro ermöglichen die Arbeit des Museums. • Stadtentwicklung: Borken sett darauf, denEinelhandel in der Innenstadt u halten. Aus dem Forschungsprojekt Stadt 23, gefördert om Bund, entstandder Zecker- band Schalm-Eder-West, in demBorkenmit BadZesten, Jesberg, Neuental und Wabern kooperiert. Während längst eine Gene- ration herangeachsen ist, die den Bergbau in Borken nicht mehr kennt, ersuchen nebendemMuseumder Berg- mannserein und der Knap- penchor, die Tradition hoch- uhalten. Diejenigen, die den 1. Juni 1988 in Borken beusst erlebt haben, erden diesen Wendepunkt für die Stadt ohl nie ergessen. Heßler sagt: „Wir erden jeden Tag andas Unglückerinnert.“ 14Arbeitspläten. ZumVer- gleich: Die Preußen Elektra sorgte in Borken einst für 22 Stellen. Heute sett Bor- kenunter anderemauf Logis- tik, Umelttechnologie und Teilefür VW. •Tourismus: Borkenhattemit seinem Krafterk und den rauchenden Schloten einmal denRuf als „Dreckschleuder“. Inischen sind aus mehre- ren ehemaligen Tagebaugru- ben Seen georden. Der Bor- kener See dient dem Natur- schut, an der Stockelache kannmanbadenundTretboot fahren, und amSingliser See sind Surfer und Aqua-Golfer unteregs. Der Gombether See füllt sich ureit mit Wasser, ab schätungseise 212 soll er ein Reier für Wassersportler sein. • Braunkohle-Bergbaumu- seum: Zum Museum gehört eine klassische Ausstellung in der Innenstadt mit Besucher- stollen soie der Themen- park, ein Freilichtbereich. Dort stehen unter anderem riesige Bagger undandere E- ponate aus der Bergbau- und Energiegeschichte der Stadt. 26 erhielt das Museumden Museumspreis der Sparkasse Hessen-Thüringen. Freiillige und ein Zu- schuss on ureit 2 also eine Monostruktur, u seten. Seit demUnglück sei- eninBorken69Betriebeange- siedelt orden, sagt Bürger- meister Heßler, mit um die Tisch mit ier Scherpunk- ten: • Neue Arbeitsplätze: Wichtig ar denPlanern, nicht ieder auf nur einenIndustrieeig, VON OL AF DE L L I T A ls Bernd Heßler 1987 Bürgermeister on Bor- ken urde, aren die Kassenoll. IndenbestenZei- ten sorgten Krafterk und Bergbaudafür, dass 2 Millio- nenMark(1,2Mio. Euro) Ge- erbesteuern in der Kasse klingelten. Doch Heßler ar nicht einmal einJahr imAmt, als sichdieBorkener Welt mit einemSchlageränderte. Natürlich sei eine Schlie- ßung des Krafterks schon or der Katastrophe im Ge- spräch geesen, sagt Heßler. Dochdas hättenochieleJah- re dauern können. Durch das Unglück ging nun alles gan schnell. 1991 ar endgültig Schluss mit demBergbauund mit demKrafterk. NachdemerstenSchock „In Borken gehen die Lich- ter aus.“ DieseHNA-Schlagei- leitiertHeßlerimmerieder gernunderählt dann, ie er und die Veraltung die He- rausforderung annahmen, da- für u sorgen, dass genau das nicht passierte. Nachdemers- ten Schock der Stolenbach- Tragödie sei es bald umeine neueStrategiegegangen. Im Jahr, als die Ära des Krafterks in Borken endete, lag der Borken-Plan auf dem Die Chance nach der Katastrophe Angesichts des Grubenunglücks musste die Stadt Borkeneine Strategie für die Zukunft finden Das Licht ging nicht aus: Borkens Bürgermeister Bernd Heßler mit einer alten Grubenlampe. Foto: Dellit Samstag, 24. Mai 28 Sonntagszeit spezial S-ZG7