Panische Imaginationen mit \'dem Siegel des Dionysos\': Wille, Ekstase und Magie bei Aleister Crowley

May 22, 2017 | Author: Guido Nerger | Category: Magic, History of Sexuality, Friedrich Nietzsche, Modernity, Michel Foucault, Georges Bataille, Magic and the Occult (Anthropology Of Religion), Western Esotericism (History), Neo-Paganism and Western Esotericism, Dionysus, Hermeticism, Transgression, Occult Esoteric Magick Spirituality, Aleister Crowley, Sex Magick, Georges Bataille, Magic and the Occult (Anthropology Of Religion), Western Esotericism (History), Neo-Paganism and Western Esotericism, Dionysus, Hermeticism, Transgression, Occult Esoteric Magick Spirituality, Aleister Crowley, Sex Magick
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Panische Imaginationen mit ‘dem Siegel des Dionysos’: Wille, Ekstase und Magie bei Aleister Crowley1 * GUIDO NERGER (BERLIN)

“Ist auch mancher von uns schon genesen, so kann er doch der allgemeinen Lazarettluft nicht entrinnen, und er fühlt sich unglücklich als der einzig Gesunde unter lauter Siechen”.2 — Heinrich Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland “Wenn nun der Rausch das Spiel der Natur mit dem Menschen ist, so ist das Schaffen des dionysischen Künstlers das Spiel mit dem Rau3 sche”. — Friedrich Nietzsche, “Die dionysische Weltanschauung” “How restore faith in the Gods? There is only one way; we must get to know them personally. And that, of course, is one of the principal tasks of the Magician”. 4 — Aleister Crowley, Magick Without Tears “... die Schönheit seines Gesanges mitten im Schweigen des Himmels schloss ihn in die Einsamkeit des genussvollen Verweilens bei einem sündigen Gedanken ein ...”.5 — Georges Bataille, Abbé C.

Abbildung: “The Fool”, Thoth-Tarot (1969). 1

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Der Artikel basiert auf dem Vortrag “Moderne dionysische Religionsstiftung als Sexualmagie”, den ich im Rahmen des jährlich stattfindenden internationalen “Dionysos-Arbeitsgesprächs” im Kontext des Sonderforschungsbereiches “Transformation der Antike” an der Freien Universität Berlin im Juni 2016 gehalten habe. Besonders der Leiterin des Projektes “Der differente Gott. Konstruktionen des Dionysos in der Moderne”, Prof. Dr. Renate Schlesier, bin ich für diese Möglichkeit zu Dank verpflichtet. Auch meinem Kollegen am Institut für Religionswissenschaft der Freien Universität Berlin, Oliver Leege, gebührt mein Dank für die fruchtbaren Diskussionen, die wir über Dionysos und Crowley (‘Dionysus and the Beast’) als Vorbereitung des Vortrages führten. Heinrich Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, herausgegeben von Jürgen Ferner (Hamburg 11834), (Stuttgart 2006), 12. Friedrich Nietzsche, Kritische Studienausgabe Vol. I (11999), (München 72007), 555. Aleister Crowley, Magick Without Tears (New York/NY 1954), Chapter LXXVI: “The Gods: How and Why they Overlap”, zitiert nach online: https://hermetic.com/crowley/magick-without-tears/mwt_76 (Stand: 10.02.2017). Georges Bataille, Abbé C. (zuerst franz. L’Abbé C., Paris 1950), (Frankfurt am Main et al. 1976), 31.

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1. Einleitung Wenige vergleichbare Persönlichkeiten der abendländischen Kultur- und Religionsgeschichte scheinen den dunklen und in jeder Hinsicht heterodoxen “Untergrund”6 europäischer Gesellschaften in solch einer Bandbreite an plakativen Provokationen zu repräsentieren wie das enfant terrible der modernen englischen Literatur: Aleister Crowley (1875–1947). Crowley, der sich in Anlehnung an die Offenbarungen des Johannes selbst als Τὸ Μέγα Θηρίον7 bzw. als “The Great Beast 666” bezeichnete, wurde nicht zuletzt durch seinen exzessiven Lebenswandel zu einer der notorischsten Figuren religiöser Bestrebungen im 20. Jahrhundert. Berüchtigt vor allem für seinen Drogenkonsum und seine sexuellen Umtriebe, ließ Crowley bereits zu seinen Lebzeiten keinen Zweifel daran aufkommen, sich selbst als radikalen Widersacher des gesellschaftlichen Mainstreams mit seinen normativen Vorstellungen von “Moral” und “Wert” zu inszenieren, weswegen er bis in die Gegenwart relativ unkritisch u.a. als “the great outcast and enemy of mainstream modern society”8 portraitiert wird. Denn obwohl bereits eine Vielzahl an journalistischen und anderen populären Arbeiten9 zu Leben und Werk Crowleys publiziert wurde, wurde er erst in den letzten Jahren zum Objekt wissenschaftlichen Interesses, indem man begann, Crowleys Rolle als eine der Schlüsselfiguren in der Geschichte moderner Religionsstiftung und Religiosität kritisch zu untersuchen10. Denn als 6 7

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Vgl. James Webb, Flight from Reason. The Occult Underground (11971), (London 21974). Τὸ Μέγα Θηρίον bezieht sich auf das letzte Buch des Neuen Testaments, die sog. “Offenbarungen des Johannes”. Die Bezeichnung Θηρίον (“Tier”) bezieht sich dort auf zwei “Tiere”, eines aus dem Meer, das andere aus der Erde, welche zusammen mit dem großen Drachen – “die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt” (Offenbarung 12:9) – eine negative Trinität bilden; vgl. Rudolf Steiner, Die Apokalypse des Johannes (Nürnberg 1908); Walter Jens, Das A und das O: Die Apokalypse (Stuttgart 1987); Benedikt XVI., Die Offenbarung des Johannes. (K)ein Buch mit sieben Siegeln. Erkenntnisse, Gedanken, Impulse (Leipzig 2015). Hugh B. Urban, “The Beast with Two Backs. Aleister Crowley, Sex Magic and the Exhaustion of Modernity”, in: Nova Religio. The Journal of Alternative and Emergent Religions 7/3 (2004), 8. Vor allem: Israel Regardie, The Eye in the Triangle. An Interpretation of Aleister Crowley (Phoenix/AZ 1982); idem, P.R. Stephensen, The Legend of Aleister Crowley (11930), (Las Vegas/NV 42015); Colin Wilson, Aleister Crowley. The Nature of the Beast (Wellingborough 1987); John Symonds, The Beast 666. The Life of Aleister Crowley, (London 1997); Roger Hutchinson, Aleister Crowley. The Beast Demystified (Edinburgh, London 1998); Lawrence Sutin, Do What Thou Wilt. A Life of Aleister Crowley (New York/NY 2000); Richard Kaczynski, Perdurabo. The Life of Aleister Crowley (Tempe/AZ 2003); zuletzt: Tobias Churton, Aleister Crowley. The Biography (London 2014); vgl. dazu: Marco Pasi, “The Neverendingly Told Story. Recent Biographies of Aleister Crowley”, in: Aries 3/2 (2003), 224–245. Der erste umfangreiche Sammelband zu Crowley im wissenschaftlichen Kontext erschien in Oxford 2012: Henrik Bogdan, Martin P. Starr (eds.), Aleister Crowley and Western Esotericism. Vgl. darüber hinaus: Marco Pasi, Aleister Crowley und die Versuchung der Politik (zuerst ital. Aleister Crowley e la tentazione della politica, Mailand 1999), (Graz 2006); Kocku von Stuckrad, “Aleister Crowley, Thelema und die Religionsgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts”, in: Brigitte Luchesi, Kocku von Stuckrad (eds.), Religion im kulturellen Diskurs. Festschrift für Hans G. Kippenberg zu seinem 65. Geburtstag (Berlin, New York/NY 2004), 307–321; Michael Allis, “The Diva and the Beast: Susan Strong and the Wagnerism of Aleister Crowley”, Forum for Modern Language Studies 50/4 (2014), 380–404; Henrik Bogdan, “Aleister Crowley. A

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einflussreicher moderner Religionsstifter sind seine individuellen religiösen und esoterischen, dichterischen und magischen Bestrebungen weniger als eine Revision antiker oder mittelalterlicher Ideologien und Philosophien zu verstehen. Vielmehr bilden Crowleys rebellische Bestrebungen nach Freiheit und uneingeschränkter Selbstverwirklichung des Individuums ein “Epitome”11 der Moderne: Crowleys Suche nach dem menschlichen Selbst ist nicht zuletzt der Versuch einer Synthese vielfältiger vor allem psychologischer und erkenntnistheoretischer Entwicklungen, die sich nicht nur u.a. in kulturellen Feldern wie Psychologie, Philosophie, Naturwissenschaft, Literatur, Religion oder Esoterik verorteten, sondern die beständig zwischen den zivilisatorischen Symptomen pendelten, die in zeitgenössischen Kontexten der Moderne u.a. als “Entzauberung” oder “Wiederverzauberung der Welt” bezeichnet wurden. Wie der britische Religionswissenschaftler Paul Heelas argumentierte, repräsentieren moderne religiöse Bewe-

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Prophet for the Modern Age”, in: Christopher Partridge (ed.), The Occult World (New York/NY 2015), 293– 302. Der Sammelband von Bogdan/Starr 2012 greift eine Reihe von Themengebieten auf und verdeutlicht dabei gerade die vielen blinden Flecken der Forschungslage. Pasi 2006 untersucht Crowleys Verhältnis zur Politik: Besonders das Kapitel “Magische Politik” bietet einen hilfreichen Überblick zu Crowleys ideologischen Verstrickungen mit den von Friedrich Nietzsche (1844–1900) beeinflussten Formen machtpolitischer Radikalismen totalitärer Regime, wobei vor allem Crowleys Einfluss auf Adolf Hitler (1889–1945) und Rudolf Heß (1894–1987) von Pasi kritisch und detailliert untersucht wird. Crowleys “Sex-Magick” ist im Vergleich zur politischen Dimension von Leben und Werk Crowleys hingegen erstaunlich häufig Gegenstand wissenschaftlichen Interesses; vgl. Alex Owen, The Place of Enchantment. British Occultism and the Culture of the Modern (Chicago/IL, London 2004); Hugh B. Urban, “Unleashing the Beast. Aleister Crowley, Tantra, and Sex Magic in Late Victorian England”, in: Esoterica 5 (2003), 138–192; idem 2004 (wie Anm. 8); idem, Magia Sexualis. Sex, Magic, and Liberation in Modern Western Esotericism (Berkeley/CA, London 2006); Henrik Bogdan, “Challenging the Morals of Western Society. The Use of Ritualized Sex in Contemporary Occultism”, in: The Pomegranate 8/2 (2006) 211–246; Wouter J. Hanegraaff, Jeffrey J. Kripal (eds.) Hidden Intercourse. Eros and Sexuality in the History of Western Esotericism (Leiden, Boston/MA 2008); Henrik Bogdan, James R. Lewis (eds.), Sexuality and New Religious Movements [= Palgrave Studies in New Religions and Alternative Spiritualities], (New York/NY 2014). Weniger wissenschaftlich-kritisch, aber mit einem wissenschaftlichen Anspruch, liefert das Buch Apollon und Dionysos. Zwei Urkräfte der Magie (Norderstedt 2007) von Frank Lerch aus psychologischer Perspektive die bisher umfangreichste Untersuchung der Vermischung dionysischer und magischer Elemente in den Werken Crowleys. Diese Veröffentlichungen können allerdings nicht über die äußerst lückenhafte und ungenügende Forschungslage hinwegtäuschen, die vor allem darin begründet ist, dass es keine einheitliche oder gar kritische Ausgabe der Werke und Schriften Crowleys gibt. Ein Großteil seiner Schriften existiert nur verstreut in oftmals fehlerhaften Neudrucken und tendenziösen Zusammenstellungen kleinerer Verlage mit oftmals esoterischem Hintergrund. Ein Großteil der Texte ist allerdings online einsehbar in der Hermetic Library unter hermetic.com (wenn nicht anders angegeben, ist dies die Hauptquelle aller hier zitierten Passagen aus den Werken Crowleys). Der Blick auf die zwar bisher überschaubare, aber dennoch international und englisch-sprachig ausgerichtete Forschungslage lässt die Provinzialität der deutschen Forschungslandschaft besonders deutlich hervortreten. Wie auch im Gebiet der Hermetismus-Forschung tun sich die historischen Wissenschaften mit einem Schwerpunkt in Literatur und Religion besonders mit den kulturellen Feldern schwer, die von den dominierenden gesellschaftlichen Paradigmen (religiösen und/oder wissenschaftlichen) an den Rand der Kultur gedrängt, ausgeschlossen oder als “häretisch” gebrandmarkt wurden und die vor allem im deutschen universitären Wissenschaftsbetrieb nach wie vor ignoriert werden; vgl. dazu: Wouter J. Hanegraaff, Esotericism and the Academy. Rejected Knowledge in Western Culture (Cambridge 2012). Urban 2004 (wie Anm. 8), 8.

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gungen nicht in erster Linie “a rejection of modernity”, sondern vielmehr “powerful affirmations of certain basic modern ideals, such as progress, individualism and free will”12. Crowley muss als eines der klarsten Beispiele für diesen Trend betrachtet werden. Auf seiner faustischen Mission als streitbarer Charismatiker und zügelloser Prophet einer von den Restriktionen christlicher Moralvorstellungen befreiten und neuen Menschheit experimentierte er mit jeder ihm erdenklichen Form von A-, Im- oder Transmoralität und propagierte nichts Geringeres als die Freiheit und die mit der uneingeschränkten Selbsterfahrung einhergehende Selbstverwirklichung des Individuums. Die Mittel zur individuellen Selbstverwirklichung lagen für Crowley in der rituellen Praxis seines magischen Systems, der sog. “Magick”, begründet, einer höchst eklektischen und rationalisierten Form moderner Magie13, die aus esoterischen Traditionen hervorging, deren Wurzeln bis in die Antike zurückreichen. Als maßgebliche Traditionslinien sind hier vor allem die spätantike Hermetik bzw. der (neu-)platonische Hermetismus der Renaissance, die jüdische Kabbala, der Gnostizismus und das Rosenkreuzertum der Frühmoderne, aber auch außereuropäische Traditionen wie der Tantrismus des Hinduismus und der Mahāyāna- bzw. der Vajrayāna-Buddhismus als Inspirationskontexte zu identifizieren. 2. “Transgression” und “Tabu” Doch im Gegensatz zu den meist a-körperlichen und gnostischen Lehren der westlich-esoterischen Traditionen rückte Crowley die Sexualität und die Erfahrung sowohl körperlicher als auch geistiger Ekstasen ins Zentrum seines magischen Systems. Doch auch damit lag er im Trend moderner Erkundungen sinnlicher, körperlicher und vor allem sexueller (Selbst-)Erfahrungen. Denn wie Michel Foucault (1926–1984) in seinem dreibändigen Werk Histoire de la Sexualité (Paris 1976–1984) argumentierte, wurde die viktorianische Gesellschaft fälschlicher-

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Paul Heelas, The New Age Movement. The Celebration of the Self and the Sacralization of Modernity (Blackwell 1996); idem (ed.), Spirituality in the Modern World. Within Religious Tradition and Beyond (Routledge 2012); vgl. Urban 2004 (wie Anm. 8), 8. Zum Begriff “Magie” vgl. Bernd-Christian Otto, Magie. Rezeptions- und Diskursgeschichtliche Analysen von der Antike bis zur Neuzeit [= Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten 57], (Berlin 2011); Brian P. Copenhaver, Magic in Western Culture. From Antiquity to the Enlightenment (New York/NY 2015); zum Verhältnis von Magie, Hermetik und Kabbala in der Renaissance vgl. Guido Nerger, “Imaginationen ‘mit dem Siegel des Hermes’: Hermetik, Kabbala und Magie in der Renaissance” (2016), online: https://www.academia.edu/30893787/Imaginationen_mit_dem_Siegel_des_Hermes_Hermetik_Kabbala_und_Magie_in_der_Renaissance (Stand: 10.02.2017); zur modernen Magie vgl. Wouter J. Hanegraaff, “How Magic survived the Disenchantment of the World”, in: Religion 33 (2003), 357–380; idem, “Magic”, in: Glenn Alexander Magee (ed.), The Cambridge Handbook of Western Mysticism and Esotericism (Cambridge 2016), 393–404.

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weise als eine Periode prüder sexueller Unterdrückung beschrieben, in der die “Sexualität [angeblich; d. Verf.] sorgfältig eingeschlossen”14 und mit dem Mantel des Schweigens bedeckt wurde. Auch wenn Crowley Foucault in dieser historischen Einschätzung vehement widersprochen hätte – denn Crowley sah Sexualität und “Love” in erster Linie “as a challenge to Christianity”15, die seine exzentrische Rebellion legitimieren sollte – bezeugen die vielfältigen von Foucault untersuchten Diskurse über Sexualität und ihre sog. “Dispositive” (“Neugier auf den Sex”16), die sich im 19. Jahrhundert entwickelten, das genaue Gegenteil17 (auch wenn Foucault Crowley darin zugestimmt hätte, die Rolle des Christentums als diskursbestimmende, machtausübende und daher die Sexualität unterdrückende Instanz zu identifizieren). Denn weder für Crowley noch für Foucault war (und ist) das Christentum als solches vor allem auf Grund seiner inhärenten körperfeindlichen, d.h., gnostischen18 Mystik und Spiritualität “in der Lage, die kontinuierlichen Formen des Begehrens, der Trunkenheit, der Penetration, der Ekstase und der bis

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Michel Foucault, “Wir Viktorianer”, in: idem, Sexualität und Wahrheit, Vol. I: Der Wille zum Wissen (zuerst franz. Histoire de la Sexualité, Vol. I: La Volonté de Savoir, Paris 1976), (Frankfurt am Main 21986), 11; vgl. Steven Marcus, The other Victorians. A study of Sexuality and Pornography in Mid-nineteenth Century England (London 1966); vgl. Bogdan 2006 (wie Anm. 10), 211. Aleister Crowley, The Confessions of Aleister Crowley. An Autohagiography, herausgegeben von John Symonds, Kenneth Grant (London et al. 1979), 350. Foucault 1986 (wie Anm. 14), 97. Foucault eröffnet seinen Gedankengang über seine “Repressionshypothese” (Foucault 1986, 19f.) mit der Frage: “Durch welchen Spiralgang sind wir dahin gelangt, zu bejahen, daß der Sex verneint wird, ostentativ zu zeigen, zu bejahen, daß wir ihn verbergen, zu sagen, daß wir ihn verschweigen – und das gerade dadurch, daß wir explizit darüber reden, daß wir ihn in seiner nacktesten Realität zu enthüllen suchen und daß wir ihn in der Positivität seiner Macht und seiner Wirkung affirmieren?”, ebd. 18 (wie Anm. 14). Und weiter: “[...] daß die auf den Sex wirkenden Machttechniken nicht einem Prinzip strenger Selektion, sondern einem Prinzip der Ausstreuung und der Einpflanzung polymorpher Sexualitäten gehorcht haben und daß der Wille zum Wissen nicht vor einem unaufhebbaren Tabu haltmacht, sondern sich vielmehr eifrigst bemüht hat [...] eine Wissenschaft von der Sexualität zu konstituieren”, ebd. 23. Foucaults allgemeine Überlegungen über die Trias aus “Macht”, “Wissen” und “Lust”, die den “Diskurs” über “Sexualität” bildet, lesen sich besonders in seiner Histoire de la Sexualité oftmals als ein Kommentar zu Leben und Werk Crowleys: Foucaults “Wille zum Wissen” (Foucault 1986, 22) als eine Folie der Philosophie Friedrich Nietzsches , die zum Großteil auch die Matrix für Philosophie, Dichtung und Magie Crowleys bildet (ob Foucault Crowley allerdings tatsächlich kannte oder gar gelesen hat, ist unklar). Eine Einschätzung, die vor Foucault, Crowley und Nietzsche bereits Heinrich Heine (1797–1856) in seinem Werk Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland (Hamburg 1834) vertrat. Doch im Gegensatz zu den genannten, sah Heine die abwertende Haltung von Körper, Welt, Materie, Sinnlichkeit, Weiblichkeit etc., wie sie in der christlichen Theologie zum Dogma und somit zur Machtgrundlage des römischpatriarchalen Katholizismus wurde, im spätantiken Gnostizismus begründet: “Nach Cerinthus war der Erschaffer unserer Welt keineswegs der höchste Gott, sondern nur eine Emanation desselben, einer von den Äonen, der eigentliche Demiurgos, der allmählich ausgeartet ist und jetzt, als böses Prinzip, dem aus dem höchsten Gott unmittelbar entsprungenen Logos, dem guten Prinzip, feindselig gegenüberstehe. Diese gnostische Weltansicht ist urindisch, und sie führte mit sich die Lehre von der Inkarnation Gottes, von der Abtötung des Fleisches, vom geistigen Insichselbstversenken, sie gebar das asketisch beschauliche Mönchsleben, welches die reinste Blüte der christlichen Idee. Diese Idee hat sich in der Dogmatik nur sehr verworren und im Kultus nur sehr trübe aussprechen können. Doch sehen wir überall die Lehre von den beiden Prinzipien hervortreten; dem guten Christus steht der böse Satan entgegen; die Welt des Geistes wird durch Christus, die Welt der Materie durch Satan repräsentiert; jenem gehört unsere Seele, diesem unser Leib; und die ganze Erscheinungswelt, die Natur, ist demnach ursprünglich böse, und Satan, der Fürst der Finsternis, will uns

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zur Ohnmacht gehenden Ergießung zu unterteilen”19, d.h., als Elemente menschlicher Bedürfnisse (an-)zuerkennen oder diese gar als theologische Implikationen in das jeweilige dogmatisch-religiöse Weltverständnis zu integrieren – wie dies hingegen vor allem in dem von Crowley aufgegriffenen und auf die spätantike Textsammlung des Corpus Hermeticum zurückreichenden Hermetismus der Renaissance der Fall war20. Crowleys obsessive Betonung der Sexualität bzw. der “Sex-Magick” – “as the most powerful ritual secret”21 – spiegelt daher das aufkommende Bedürfnis für das Überschreiten gesellschaftlicher und moralischer Konventionen, das mit einer Faszination für sexuelle Erkundungen im Zuge der Moderne einhergeht, wider. Um einen Ausdruck Georges Batailles (1897–1962) zu benutzen: Crowleys Ziel bestand in der “Transgression” (von lat. transgressio, “Überschreitung”, “Grenzüberschreitung”, “Übertretung”) aller Ebenen des menschlichen Daseins. Batailles Konzept, Grenzen zu überwinden, um (individuelle) Souveränität22 zu erlangen (und dadurch wiederum neue Grenzen auszuloten und zu setzen), ist in der modernen Philosophie fest verankert. Bataille kennzeichnet mit dem von ihm u.a. in seinem Werk L’Érotisme (Paris 1957) poetisch umschriebenem Begriff der “Transgression” die Grenzüberschreitung als be-

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damit ins Verderben locken, und es gilt allen sinnlichen Freuden des Lebens zu entsagen, unseren Leib, das Lehn Satans, zu peinigen, damit die Seele sich desto herrlicher emporschwinge in den lichten Himmel, in das strahlende Reich Christi. Diese Weltansicht, die eigentliche Idee des Christentums, hatte sich, unglaublich schnell, über das ganze römische Reich verbreitet, wie eine ansteckende Krankheit, das ganze Mittelalter hindurch dauerten die Leiden, manchmal Fieberwut, manchmal Abspannung, und wir Modernen fühlen noch immer Krämpfe und Schwäche in den Gliedern. Ist auch mancher von uns schon genesen, so kann er doch der allgemeinen Lazarettluft nicht entrinnen, und er fühlt sich unglücklich als der einzig Gesunde unter lauter Siechen. Einst, wenn die Menschheit ihre völlige Gesundheit wieder erlangt, wenn der Friede zwischen Leib und Seele wieder hergestellt, und sie wieder in ursprünglicher Harmonie sich durchdringen: dann wird man den künstlichen Hader, den das Christentum zwischen beiden gestiftet, kaum begreifen können. Die glücklicheren und schöneren Generationen, die, gezeugt durch freie Wahlumarmung, in einer Religion der Freude emporblühen, werden wehmütig lächeln über ihre armen Vorfahren, die sich aller Genüsse dieser schönen Erde trübsinnig enthielten, und, durch Abtötung der warmen farbigen Sinnlichkeit, fast zu kalten Gespenstern verblichen sind! ja, ich sage es bestimmt, unsere Nachkommen werden schöner und glücklicher sein als wir. Denn ich glaube an den Fortschritt, ich glaube, die Menschheit ist zur Glückseligkeit bestimmt, und ich hege also eine größere Meinung von der Gottheit als jene frommen Leute, die da wähnen, sie habe den Menschen nur zum Leiden erschaffen. Schon hier auf Erden möchte ich, durch die Segnungen freier politischer und industrieller Institutionen jene Seligkeit etablieren, die, nach der Meinung der Frommen, erst am jüngsten Tage, im Himmel, stattfinden soll”, Heine 2006 (wie Anm. 2), 10ff. Michel Foucault, “Vorrede zur Überschreitung”, in: idem, Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, Vol. I: 1954–1969, herausgegeben von Daniel Defert, François Ewald (Frankfurt am Main 2001), 320. Zum komplexen Verhältnis von Sexualität, Erotik, Magie und Hermetik in der Renaissance vgl. vor allem: Ioan Culianu, Éros et Magie à la Renaissance. 1484 (Paris 1984); Wouter J. Hanegraaff, “Altered States of Knowledge. The Attainment of Gnōsis in the Hermetica”, in: The International Journal of the Platonic Tradition 2 (2008), 128–163 ; idem. “Under the Mantle of Love. The Mystical Eroticisms of Marsilio Ficino and Giordano Bruno”, in: Hanegraaff/Kripal 2008 (wie Anm. 10), 175–207. Urban 2004 (wie Anm. 8), 8. Vgl. Rita Bischof, Souveränität und Subversion. Georges Batailles Theorie der Moderne, mit einem Nachwort von Elisabeth Lenk (München 1984).

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wussten und individuellen Willensakt des Menschen, der gleichzeitig mit dem Bruch eines “Tabus” einhergeht und “dionysisch”23 gekennzeichnet ist. Das Bedürfnis nach “Transgression” wird nach Bataille erst durch die Setzung eines “Tabus”, zum Beispiel durch das Ziehen einer moralischen Grenze, selbst erzeugt, wobei von ihm meist sexuelle “Tabus” betrachtet werden, da die tabuisierte Handlung paradoxerweise erst durch das Verbot selbst sexualisiert wird (“Paradoxe de l’érotisme”24). Die erotische Erfahrung artikuliert sich also in einer dialektischen Struktur aus “Tabu” und “Transgression”. Auf Grund dieser dialektischen Struktur (oder: Paradoxie) menschlichen Verhaltens, welches sich zumindest durch das Korsett kultureller und gesellschaftlich-dynamischer Prozesse – aus Determinierung und Konditionierung – selbst als paradox reflektiert und konstruiert, fasst Bataille die menschliche Sexualität – so wie sie im Kontext der genannten Prozesse verhandelt wird – als tragisch auf. Im bewussten Gegensatz sowohl zur gesellschaftlichen ‘Verdammung’25 wie zur hygienischen Sterilisierung und Sterilität der Sexualität identifiziert Bataille letztere mit Phänomenen wie Schrecken, Entsetzen und Tod. Die Ekstase (von gr. ἔκστασις, “das Außer-sich-Geraten”, “das Außer-sich-Sein”), das buchstäbliche “Aus-sich-Heraustreten”, als mystische Transzendierung des “Ich”, bestand für Bataille im körperlichen Exzess und in physischer Entäußerung: Erst in der körperlichen Verschwendung und in der orgiastischen Feier sexueller Besessenheit findet der Mensch seine (obszöne) Souveränität26. Diese Souveränität – und hier verdeutlicht sich die onthologischanthropologische Dimension der Ekstase – ist integral verbunden mit der Erfahrung und Erkenntnis menschlicher Endlichkeit, mit der (Selbst-)Erkenntnis und (Selbst-)Erfahrung des Todes: eine Anschauung, die nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Religionsgeschichte ein wirkmächtiges Echo hervorbrachte, wie beispielsweise ein zentrales Zitat aus Mircea Eliades (1907–1986) Le chamanisme et les techniques archaïques de l’extase (Paris 1950) zeigt: Nur durch die Ekstase gelangt der Mensch zur vollen Realisierung seiner Situation in der Welt und seines endlichen Schicksals. Man könnte fast von einem Archetyp «existenziellen Bewußtwerdens» sprechen, der in der Ekstase eines primitiven Schamanen oder Mystikers ebenso vorhanden ist wie in dem Erlebnis Ers des Pamphiliers und aller anderen Visionäre der alten Welt, die schon hienieden das Los des Menschen jenseits des Grabes erfahren haben.27 23 24 25 26

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Vgl. Jonathan David York, “Flesh and Consciousness. George Bataille and the Dionysian”, in: JCRT 4/3 (2003), 42–57. Georges Bataille, “Paradoxe de l'érotisme”, in: Nouvelle Revue Française 3/29 (1955), 834–839. Ein Begriff, der besonders im Hinblick auf Sexualität, Angst und Tod verdeutlicht, wie stark christliche Prägungen bis in die Gegenwart Diskurs, Denken und Fühlen über Sexualität, Angst und Tod besetzt halten. Vgl. Georges Bataille, Das obszöne Werk, übersetzt von Marion Luckow (zuerst franz. L'histoire de l'œil, Paris 1967), (Hamburg 1972); Sabine Friedrich, Die Imagination des Bösen. Zur narrativen Modellierung der Transgression bei Laclos, Sade und Flaubert [= Romanica Monacensia 54], (Tübingen 1998); Christa Karpenstein-Eßbach, “Georges Bataille (1897–1962). Ein Denken der Transgression”, in: Martin Ludwig Hofman et al. (eds.) Culture Club. Klassiker der Kulturtheorie (Frankfurt am Main 2004), 127–144. Mircea Eliade, Schamanismus und Archaische Ekstasetechnik (zuerst franz. Le Chamanisme et les Techniques Archaïques de l’Extase, Paris 1950), (Zürich, Stuttgart 1957), 375.

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Als dynamisches Merkmal vor allem seiner eigenen künstlerischen Subversivität und Rebellion bildet die ekstatische “Transgression” auch28 für Crowley das verborgene movens seiner individuellen und obszönen Suche nach literarischer Souveränität, die seine persönliche Integrität spiegelt. Crowleys in erster Linie literarisch angestrebte Integrität realisiert sich vice versa in der praktischen, d.h., ritualisierten Auslotung und Überschreitung moralischer Grenzen und in der Rebellion gegen konventionelle Modelle menschlicher Sexualität, um letztlich eine intensive Erfahrung übermenschlicher (“superhuman”29) Befreiung zu ermöglichen, welche wiederum einen zentralen Aspekt sowohl von Erotik bzw. Sexualität, ritualisierter Religiosität oder mystischer Erfahrung bildet. Für Bataille wie auch für Crowley äußert sich die “Transgression” in dem dialektischen Spiel zwischen “Transgression” und “Tabu”, ist also kein rein hedonistischer Selbstzweck, kein schrankenloser Hedonismus im Sinne einer atheistischen oder agnostischen (oder auch gnostischen) Weltflucht beispielsweise vor den, wie auch immer imaginierten, konstruierten oder realen Schrecken der Moderne und des fin de siècle. Diese Dialektik, die sich für Crowley am direktesten in der Sexualität manifestierte, prägt nicht nur den Charakter einer Gesellschaft, indem sie kontinuierlich neue Gesetzmäßigkeiten hervorbringt, um diese wiederum kontinuierlich zu brechen, sondern sie bestimmt darüber hinaus auch die normative Vorstellung dessen, was anthropologisch, aber auch philosophisch als conditio humana30 (“human condition”) bezeichnet wird. Bei wenigen Figuren der abendländischen Kulturgeschichte ist die wechselhafte Dialektik zwischen “Tabu” und “Transgression” daher so offensichtlich wie bei Aleister Crowley: “If you cannot keep the rules of others, you make rules of your own. One set turns out in the long run to be just as good as another”31.

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Auch wenn die genannten Autoren einen Schwerpunkt ihrer Arbeiten um das Phänomen menschlicher Ekstase formieren und sich daher Gemeinsamkeiten im Denken dieser Autoren erkennen lassen – Crowley kann durchaus als ein wichtiger Stichwortgeber für das Denken Batailles, Eliades und Foucaults angesehen werden – soll der Artikel im Folgenden zeigen, dass diese Autoren und besonders Crowley vielmehr in ihrem ‘ekstatischen Denken’ von Friedrich Nietzsche beeinflusst sind; vgl. auch Kocku von Stuckrad, “Utopian Landscapes and Ecstatic Journeys: Friedrich Nietzsche, Hermann Hesse, and Mircea Eliade on the Terror of Modernity”, in: Numen 57 (2010) 78–102. Urban 2004 (wie Anm. 8), 8. Als maßgebliche Arbeiten zu den Bedingungen menschlicher Existenz im Kontext moderner Lebensweisen zählt – neben den Arbeiten Sigmund Freuds (1856–1939), der die conditio humana im Zusammenhang mit der Frage nach dem Unbewussten betonte und neben den Arbeiten Erich Fromms (1900–1980), der selbige zum Mittelpunkt seines Erkenntnisinteresses erhob, vor allem Hanna Arendts (1906–1975) Vita activa (engl. The Human Condition, Chicago/IL 1958), welches eine Auseinandersetzung mit der These von der modernen Selbstentfremdung des Menschen von der Natur durch die sich im Zuge der Industrialisierung etablierenden kapitalistischen Arbeits- und Produktionsprozesse darstellt. Aleister Crowley, “Liber DCCCXI. Energized Enthusiasm. A Note on Theurgy”, [= Equinox. The Review of Scientific Illuminism Vol. I, 9 ], (Berlin 1913), 34; in: Aleister Crowley, Sex Magick, herausgegeben von Lon Milo Duquette [= The Best of the Equinox Vol. III], (San Francisco/CA, Newburyport/MA 2013), 44.

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Obwohl Foucault zwar eine weitaus differenziertere Betrachtung und Deutung des Phänomens der Sexualität im Kontext der viktorianischen Gesellschaft anbot, sah Crowley doch gerade in dieser Gesellschaft paradoxerweise die Starre einer christlich-vergeistigten und akörperlichen Gesellschaftsform verkörpert, deren modus vivendi des Machterhalts auf dem Mechanismus gründet, ohne Umschweife alles das, “was nicht auf Zeugung gerichtet oder von ihr überformt ist” und somit “weder Heimat noch Gesetz [...] und auch kein Wort” hat, in den “Status des Anormalen” zu versenken: “Es wird [...] gejagt, verleugnet und zum Schweigen gebracht”32. Als entrepreneur der Entgrenzung versuchte Crowley daher genau den Bereich der “human condition” auszuloten, der im Spiel der dialektischen Kräfte nicht nur moderne Formen individueller Selbsterkenntnis, sondern auch gesellschaftlicher Dekonstruktion (Zerstörung und Erneuerung) hervorzubringen vermag, nämlich das apriorische Gewebe der “human condition”: die Sexualität. Mit diesem Vorgehen, der theoretischen und praktischen Auslotung menschlicher Sexualität und Ekstase unter humanistischen Vorzeichen, kann Crowley ebenso wie Friedrich Nietzsche und Sigmund Freud als einer der Pioniere der “glücklicheren und schöneren Generationen” gesehen werden, “die” – wie Heinrich Heine bereits zehn Jahre vor Nietzsches Geburt nicht minder ekstatisch schrieb – “gezeugt durch freie Wahlumarmung, in einer Religion der Freude emporblühen” und “wehmütig lächeln [werden] über ihre armen Vorfahren, die sich aller Genüsse dieser schönen Erde trübsinnig enthielten, und, durch Abtötung der warmen farbigen Sinnlichkeit, fast zu kalten Gespenstern verblichen sind!”33. Die sprachlichen Bilder und Figuren, die Crowley dabei vor allem in seinen theoretischen und praktischen Invokationen verwendet und zu einem System der “sexual politics”34 verdichtet, bedienen sich nicht nur bei den Inhalten esoterischer Traditionen, sondern vor allem auch aus der reichhaltigen Tradition ekstatisch-dionysischer Narrative, die bis zu den griechischen Anfängen europäischer Literatur zurückreichen. Doch ähnlich wie in Friedrich Nietzsches Werk Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (Leipzig 1872), das als Gründungsmythos der modernen Beschäftigung zum einen mit den Konstruktionen des Gottes Dionysos und zum anderen mit dessen ebenfalls bis auf die Wurzeln antiker Literatur zurückreichender Pluralität und Alterität gesehen werden muss und als eine der maßgeblichen Inspirationsquellen für Crowleys Werk gilt, gehen dessen ekstatisch-dionysische In- und Evokationen (innere und äußere Beschwörungen) über einen in erster Linie ästhetischen und dichterischen Anspruch weit

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Foucault 1986 (wie Anm. 14), 12. Heine 2006 (wie Anm. 2), 11. Owen 2004 (wie Anm. 10), 85–113.

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hinaus: Die Kombination aus ekstatisch-dionysischer Dichtung und Philosophie – “Write, & find ecstasy in writing! [...]”35 –, magisch-ritualisierter selbsttransformatorischer Ekstasen und moralischer Provokationen hatte u.a. die rituelle Beschwörung des Gottes Dionysos selbst bzw. dionysischer Kräfte oder aber des Gottes Pan bzw. panischer Kräfte zum Ziel. Die von Crowley dabei entwickelte Mixtur aus paganen – also auch panisch-dionysischen – und anti-christlichen, magisch-esoterischen, romantischen und psychologisch-rationalisierten Elementen, die die Matrix seiner ekstatisch-dionysischen Dichtung, Philosophie und Ritualpraxis bilden, macht sein Werk zu einem eigenwilligen und sprichwörtlich alchemistischen Gemisch36. Doch auf Grund der kulturellen Spannweite, sowohl der historischen Figur als auch des literarischen Werkes Aleister Crowleys, soll der folgende Artikel der Verzahnung von Dichtung und “SexMagick” unter ekstatisch-dionysischen Vorzeichen im Werk Crowleys nachgehen. Denn an Hand dieser Verzahnung kann gezeigt werden, wie mit Hilfe eines Netzwerkes aus Provokationen, Transgressionen und Selbsttransformationen auf der Grundlage von Sexualität auf der einen und der Beschwörung des Gottes Dionysos bzw. Pan auf der anderen Seite eine moderne Religionsbewegung nach dem Vorbild Nietzsches gestiftet wird, die als ein kulturhistorisches Scharnier für die Aktualisierung und Transformation der ekstatischen Philosophie Nietzsches im Allgemeinen und dessen “dionysischer Weltanschauung” im Speziellen betrachtet werden muss37. 3. Aleister Crowley: Leben – “A Man We’d Like To Hang”38 Zweifellos ist die Entstehung von Crowleys Werk eng verbunden mit der Entwicklung seiner (individuellen) Persönlichkeit und seines vor allem für den Zeitraum des ausgehenden 19. und

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Aleister Crowley, The Book of the Law, or Liber AL vel Legis, sub figura CCXX, as delivered by XCIII=418 to DCLXVI (1909/Tunis 1925), Kapitel II, V. 66; zitiert nach: Aleister Crowley, Aiwass, Liber Al vel Legis. Das Buch des Gesetzes, englisch und deutsch, übersetzt und herausgegeben von Claas Hoffmann (Hamburg 2011). 36 Einem Gemisch, “which presents a slippery threshold for an adolescent reader or university graduate to step over and find himself inside a kind of ramshackle crazy house that switches between a pagan temple, an Alice-in-Wonderland madhouse, a sweaty orgiastic banquet and a philosophy seminar”, Paul Newman, Aleister Crowley and the Cult of Pan (London 2004), xi. 37 Die im Folgenden besprochenen Passagen aus dem umfangreichen Werk Crowleys können auf Grund des begrenzten Rahmens eines Artikels oftmals nur skizziert und oberflächlich analysiert werden: die Analyse und Argumentation beansprucht daher weder Vollständigkeit noch eine abschließende Beurteilung der “ekstatisch-dionysischen” Elemente im Werk Crowleys, sondern soll in erster Linie die Lücken in der bisherigen Forschung zu Crowley im Allgemeinen und zu Crowleys Verhältnis zur Philosophie Nietzsches im Besonderen aufzeigen bzw. andeuten. 38 Überschrift eines Artikels über Crowley im John Bull Magazine vom 19. Mai 1923; zitiert nach online: http://www.tomegatherion.co.uk/news.htm#hangman (Stand: 10.02.2017).

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beginnenden 20. Jhs. außergewöhnlichen Lebenswandels. Wie die unzähligen zeitgenössischen Meldungen und Zeitungsartikel über die von Crowley zum Teil selbst inszenierten Skandale zeigen, fühlten sich breite Teile vor allem der englischen, französischen, italienischen und deutschen Öffentlichkeit allein von Crowleys purer Anwesenheit in den jeweiligen Ländern zu tiefst provoziert, so dass er aus fast allen westeuropäischen Ländern mindestens einmal ausgewiesen wurde, fliehen oder seinen Tod vortäuschen musste, um fliehen zu können39. Crowley nutzte die Aufmerksamkeit, die ihm zu Teil wurde, indem er der Öffentlichkeit immer neue Skandale lieferte, um zu seiner eigenen Legendenbildung beizutragen und Anhänger für seine Religion bzw. Finanziers für seinen aufwändigen Lebenswandel und seinen Drogenkonsum zu finden. Mit Ironie und Spott bestätigte er das Bild, welches sich in der Öffentlichkeit von ihm bildete und welches bis in die Gegenwart fortwirkt: Crowley, “the wickedest man in the world”, der jedes erdenkliche Tabu brach und auch vor Praktiken nicht zurückschreckte, die jenseits der Vorstellungskraft liegen und letztlich das bereits brüchig gewordene Gewebe gesellschaftlicher Moralvorstellungen vollends zerschnitt – so zumindest die einhellige öffentliche Meinung. Doch die Tatsache, dass sich die zeitgenössische Presse gierig auf jede von ihm ausgehende oder mit ihm verbundene reale oder konstruierte Sensation stürzte und die zum Teil unklare Informations- und Quellenlage (viele Beschreibungen stammen entweder von Crowley selbst oder vom Hörensagen dritter) erschweren kritische Auseinandersetzungen mit der historischen Figur Aleister Crowleys. Oder, wie sein langjähriger Sekretär Israel Regardie (1907–1985), dem die Veröffentlichung eines großen Teils der Schriften Aleister Crowleys zu verdanken ist, schrieb: “There is a great deal of dirty rumour”40. Crowley wurde als Edward Alexander Crowley am 12. Oktober 1875 in Leamington Spa, einem kleinen Kurort im Zentrum der Grafschaft Warwickshire, England, geboren. Seine Eltern waren Mitglieder der Plymouth Brethren Christian Church, kurz: der Plymouth Brothers, einer streng evangelikal-freikirchlichen Bewegung, die den Text der Bibel wortgetreu deuteten, sich von der Welt absonderten und gleichzeitig die Wiederkunft Jesu erwarteten. Eine der zentralen Figuren der Bewegung, der Philologe John Nelson Darby (1800–1882) sah in Anlehnung an die sog. Kirchenväter Irenäus von Lyon (ca. 135–200) und Augustinus (354–430) in der Bibel 39

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Vgl. Fernando Pessoa, Boca do Inferno. Aleister Crowleys Verschwinden in Portugal, herausgegeben von Steffen Dix (Frankfurt am Main 2012). Das Milwaukee Journal Final schreibt beispielsweise in seiner Ausgabe vom 17. April 1929 in einem Artikel mit der Überschrift France gives the Gates to High Priest of Evil: “Even the traditional tolerance of Paris has proved inadequate to that mysterious, colorful person, Alastair Crowley, founder of a satanic oriental love cult, who has found himself persona non grata in America, Great Britain and Italy, and now has been given a writ of expulsion by France. He plans to try Brussels next […]”; zitiert nach online: http://www.tomegatherion.co.uk/news.htm#milwaukee (Stand: 10.02.2017). Regardie/Stephensen 2015 (wie Anm. 9), 1.

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die Abfolge verschiedener heilsgeschichtlicher Epochen (“dispensations”) wiedergegeben: Darbys Auffassung nach müssten die Texte der Bibel im Zusammenhang dieser Epochen gelesen werden. Aufgrund seiner heilsgeschichtlichen Interpretationen vertrat Darby die Ansicht, dass der Verfall der christlichen Urkirche bereits zur Zeit des Neuen Testaments begonnen habe und eine Wiederherstellung der ursprünglichen Gemeinde Jesu nicht mehr möglich sei, da Gott nie etwas wiederherstelle, was der Mensch verdorben habe. Nicht nur die moralisch und sittlich strenge Lebensweise der Plymouth Brothers, sondern auch Darbys theologisch-hermeneutisches Modell des Dispensationalismus sollte das Weltbild des jungen Crowley beeinflussen. Denn für den 12-jährigen Crowley gab es bereits keinen Zweifel daran, dass die Welt, in die er geboren wurde, durch das Erscheinen eines neuen Messias und der Verkündung der Endzeit umgestürzt werden müsse. Nach seinem Abschluss am King’s College in London schrieb sich Crowley in Cambridge ein, wo er damit begann, eine individuelle Form religiöser Wahrheit zu suchen, die durch die klassischen Bestimmungen von Wissenschaft und Philosophie begründet ist. Er versuchte seinen in erster Linie religiösen Zugang zur Realität durch Elemente des philosophischen und empirischen Skeptizismus zu legitimieren. Sein Freund und späterer Schüler, der britische Militärhistoriker John Frederick Charles Fuller (1878–1966), beschrieb Crowleys frühe philosophische Position in einer Kritik von 1907 daher auch als “Crowleyanity”, einen pyrrhonischen Skeptizismus, der sich als Melange aus Zoroastrismus, Mystizismus, Transzendentalismus, Illuminismus und Theurgie zusammensetzte: “[...] for in short it is the conscious communion with God on the part of an Atheist, a transcending of reason by scepticism of the instrument, and the limitation of scepticism by direct consciousness of the Absolute”41. Denn für Crowley waren sowohl die zeitgenössischen Wissenschaften als auch die etablierten Religionsformen daran gescheitert, auf Grund ihrer inhärenten methodologischen Einschränkungen die von Ihnen gestellten Fragen beantworten zu können. Diese Fragen nach den letzten Wahrheiten der Wirklichkeit konnten für Crowley nur durch die Synthese wissenschaftlicher und religiöser Epistemologie beantwortet werden. So lautete das Motto der 12-bändigen Zeitschrift Equinox, die Crowley ab 1907 veröffentlichte: “The Method of Science; the Aim of Religion”. Doch das Programm des Equinox erschöpfte sich nicht einfach in dem Versuch einer Synthese von Wissenschaft und Religion, sondern bestand vor allem in der Erschließung und Etablierung eines dritten Weges: dem der Magie. Denn schon zu seiner Zeit in Cambridge 41

John Frederick Charles Fuller, The Star in the West. A Critical Essay upon the Works of Aleister Crowley (London 1907), 212; vgl. Bogdan 2015 (wie Anm. 10), 294. In dieser Zeit übernahm er auch den Namen “Aleister”, eine gälische Variation des christlichen “Alexander” und eine Hommage an Percy Bysshe Shelleys (1792–1822) Gedicht “Alastor, the Spirit of Solitude” (1816).

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wurde Crowleys Interesse an Wissenschaft und Philosophie von seiner sexuellen Obsession, seiner Rebellion gegen das Christentum und seinem Verlangen nach esoterischen Geheimnissen übertroffen: Im Gegensatz zu Wissenschaft und Philosophie versprach die Erkundung der esoterischen Traditionen des Westens einen Blick hinter die Schleier der Realität und auf die Mechanismen, die der beliebigen Erschaffung von alternativen Realitäten zu Grunde liegen: “to become a magician and make an imprint upon the spiritual construction of the cosmos – therein lay an immortality beyond ordinary dreams”42. 1898 trat Crowley daher dem Londoner Hermetic Order of the Golden Dawn bei, um dort die Ausbildung zu erhalten, die ihm Cambridge nicht bieten konnte. Der Golden Dawn war eine magische Gesellschaft am Ende des 19. Jahrhunderts, “whose members [were] taught the principles of Occult Science and the Magic of Hermes” und deren Ziel es war, “to raise the aspirant to a level of ‘More than Human,’ so as to have the conversation with his ‘Higher Self’”43. Doch Crowleys Mitgliedschaft war nur von kurzer Dauer und vor allem von Konfrontationen mit dem Dichter W.B. Yeats (1865–1939) geprägt. Besonders die Rolle von Sexualität und Homosexualität, die Crowley mit aller Macht versuchte in das magische System des Ordens zu integrieren, stieß bei Yeats auf Widerwillen. Yeats, seit 1898 Kopf der Londoner Loge, lehnte jede Form von ekstatisch-dionysischer Ausschweifung, besonders im sittenstrengen und elitären Kontext des Ordens, ab44. Er verweigerte Crowley daher die Initiation in den höchsten Grad des Ordens, da Crowley in Yeats’ Augen eher in eine Besserungsanstalt gehörte als in eine mystische Gesellschaft. Crowley verließ darauf den Orden bzw. wurde von Yeats ausgeschlossen. Die beiden wichtigsten Konzepte, die Crowley aus dem Golden Dawn übernahm und in sein eigenes magisches System überführte, sind die kabbalistische Struktur des “Tree of Life”, welche die strukturelle Grundlage der rituellen magischen Praxis bildet, und der sog. “Holy Guardian Angel”. Auf Letzteren soll im Folgenden im Zusammenhang mit der Beschwörung des Gottes Dionysos näher eingegangen werden. Dafür ist es notwendig, zuallererst einen Blick in Crowleys von Nietzsche geprägte Philosophie zu werfen.

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Newman 2004 (wie Anm. 36), 4. Israel Regardie, What You should know about the Golden Dawn (Phoenix/AZ 1987), VII; 7. So ist es auch nicht verwunderlich, dass der Gott Dionysos bzw. dionysische Elemente in den Werken von W.B. Yeats nur an einer einzigen Stelle auftauchen, nämlich in dem aus vier Strophen bestehenden Gedicht Two Songs from a Play (1928): “I saw a staring virgin stand / Where holy Dionysus died, / And tear the heart out of his side. / And lay the heart upon her hand / And bear that beating heart away; / Of Magnus Annus at the spring, / As though God's death were but a play”.

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4. The Book of the Law: “Wille”, Macht und Rausch 1899 begann Crowley die Vielfalt östlicher – vor allem indischer und tibetischer – spiritueller Traditionen zu erkunden. Während einer Reise nach Indien und Ceylon in den Jahren 1901 und 1902 begann er mit dem Praktizieren von Techniken, wie sie unter anderem in den tantras des esoterischen Hinduismus und des späteren Mahāyāna-Buddhismus gelehrt werden. Mit seiner Partnerin Rose Kelly, der Schwester seines Freundes Sir Gerald Festus Kelly (1879–1972, dem späteren Präsidenten der Royal Academy of Arts), die Crowley 1903 heiratete, begann er, die in Indien erlernten Techniken zur Lenkung der sexuellen Kräfte zu praktizieren45. Wie Crowley später berichtet, reiste das Ehepaar im April 1904 nach Kairo, als Rose, erschüttert durch eine Trance, in die sie, ausgelöst durch die pseudo-“tantrischen” Experimente des Paares, fiel, ihrem Mann berichtete, dass der Gott Horus versuche, mit ihm in Kontakt zu treten. Durch die ritualisierten Anleitungen, die Rose in weiteren Trance-Zuständen ‘empfing’, begann Crowley am Abend des 08. April 1904 mit der Niederschrift eines Textes, der ihm von einem Wesen namens “Aiwass” (“Behold! it is revealed by Aiwass the minister of Hoor-paar-kraat”46), dem Sekretär des Gottes Horus, diktiert wurde. Das Resultat dieser Offenbarung ist eine Mischung aus Klagen, Rhapsodien und Flüchen – eine (vorerst private) Offenbarungsschrift – das sog. The Book of the Law, or Liber Al vel Legis (publ. 1909/Tunis 1925), welches die Verkündung eines kommenden Zeitalters und eines neuen Menschheitsbewusstseins darstellt. Darin beschreibt Crowley das erste Zeitalter der Menschheit, das “aeon of Nuit”, als das Zeitalter der Göttin Isis, welches durch eine matriarchale Gesellschaftsform und die Verehrung der Großen Muttergöttin gekennzeichnet war. Das darauf folgende Zeitalter des Osiris, das “aeon of Hadit”, manifestierte sich durch patriarchale Religionen und Gesellschaften des Leidens und des Todes – für

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Die Identifikation von “Tantra” und “Sex-Magick”, wie sie Crowley unternahm und die vor allem auch in religionswissenschaftlicher Forschungsliteratur übernommen wird, ist kulturgeschichtlich und philologisch allerdings höchst problematisch, da die Unterschiede zwischen den jeweiligen Traditionen negiert werden und die tatsächliche Rolle der Sexualität inerhalb der tantras überthematisiert wird. Die Bezeichnung “Tantra” bezieht sich auf ein Korpus von Sanskrit-Texten, den sog. tantras, die die metaphysische Verbindung von Makro- und Mikrokosmos als Entsprechung von männlichen und weiblichen Prinzipien thematisieren. Diese Prinzipien, die mit den Göttern Śiva und Śakti attribuiert werden, können im Menschen durch das Praktizieren bestimmter Rituale, die zumeist mündlich und geheim überliefert werden, erweckt werden, um den Kreislauf der Wiedergeburten (saṃsāra) in einem Akt der (sexuellen) Befreiung (mokṣa) zu durchbrechen. Anders als dies der Faszination, die vor allem in gegenwärtigen westlichen Gesellschaften der vermeintlichen sexuellen Exotik des “Tantra” an Hand von vielfältigen New-Age Angeboten zur individuellen Selbstoptimierung entgegengebracht wird, kann Sexualität in den tantrischen Ritualen eine Rolle spielen, muss es aber nicht; vgl. David Gordon White, Kiss of the Yogini. ‘Tantric Sex’ in its South Asian Contexts (Chicago/IL 2003); Christopher S. Hyatt, Lon Milo DuQuette, Sex Magic, Tantra and Tarot. The Way of the Secret Lover (Las Vegas/NV 1991); Bogdan 2006 (wie Anm10), 213f. Crowley 1909/2011 (wie Anm. 35), I, V. 7.

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Crowley repräsentiert durch die monotheistischen Religionen Judentum und Christentum. Durch die Offenbarung des Book of the Law wird das Zeitalter des Osiris durch das Zeitalter des Horus, das “aeon of Ra-Hoor-Khuit”, abgelöst: Horus, das göttliche Kind, ist für Crowley darin das “Eidolon” (s.u.) individueller Freiheit und Selbstbestimmung. Crowley selbst wird in seiner Rolle als “The Great Beast 666” zum Propheten dieses neuen Zeitalters: “Now ye shall know that the chosen / priest & apostle of infinite space is / the prince-priest the Beast [...]”47. Das Book of the Law ist ein relativ kurzer Text bestehend aus drei Kapiteln für jedes Zeitalter, die – ganz im Sinne von Darbys “dispensations” – den drei Gottheiten zugeordnet sind und insgesamt 220 Versen von jeweils unterschiedlicher Länge. Die Wiederkehr Jesu Christi und der Beginn der Endzeit, so wie sie im Kontext der Plymouth Brothers gelehrt wurde, ist für Crowley gleichzusetzen mit dem Erscheinen des Gottes Horus, welches Crowley an anderer Stelle auch als eine Wiederkehr des Gottes Dionysos interpretierte. Denn unter Berufung auf Friedrich Nietzsche sah Crowley den Gott Horus bzw. Dionysos, das göttliche Kind, mutatis mutandis als den wahren Christus und Erlöser der Menschheit an. Im The Book of Lies (London 1913) schreibt er: The legend of ‘Christ’ is only a corruption and perversion of other legends. Especially of Dionysus: compare the account of Christ before Herod/Pilate in the Gospels, and of Dionysus before Pentheus in ‘The Baccae’ [...]48

Im Book of the Law ist das griechische Wort θέληµα49 (gr. thélema, “Wille”, “Wollen”, “Gebot”, “Verlangen”, “Gelüst”) das “word of the law” – der lógos oder der Dharma –, welches das Zeitalter des Horus bedingt und entfaltet. Auch wenn Crowley die Doktrin des Thelema (engl.) später in ein komplexes religiös-magisches System (die Church of Thelema bzw. die Ecclesia Gnostica Catholica) weiterentwickelte und mit Ornamenten aus verschiedensten religiösen und magischen Traditionen dekorierte, bleibt die eigentliche Aussage doch recht simpel und ist in dem antinomischen Diktum “do what thou wilt” verkapselt: The word of the Law is θέληµα. Who call us Thelemites will do no Wrong, if he look but close into the Word. For there are therein Three 47 48

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Ebd. V. 15. Aleister Crowley, The Book of Lies Which is also Falsely Called BREAKS. The Wanderings or Falsifications of the One Thought of Frater Perdurabo, which Thought is itself Untrue. Liber CCCXXXIII [Book 333], (London 1913), 25. θέληµα ist im klassischen Griechisch anscheinend sehr selten gebraucht worden; es gibt nur wenige überlieferte Belege, der früheste bei dem Sophisten Antiphon (5. Jhd. v. Chr.). In der Antike bezeichnete θέληµα neben dem göttlichen Willen, den ein Mensch ausführt, ebenso den Willen sexueller Begierde. Dabei war weniger der Wille des Einzelnen gemeint als ein, ontologisch wo auch immer verorteter, übergeordneter Gesamtwille; vgl. Federico Tolli, Thelema - im Spannungsfeld zwischen Christentum, Logentradition und New Aeon (Leipzig 2004), 6.

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Grades, the Hermit, and the Lover, and The man of Earth. Do what thou wilt Shall be the whole of the Law. The word of Sin is Restriction. O man! Refuse not thy wife, if she will! O Lover, if thou wilt, depart! There is No bond that can unite the divided but Love: all else is a curse. Accursed! Accursed be it to the aeons! Hell. Let it be that state of manyhoood bound and loathing. So with thy all; thou hast no right but do thy will. Do that, and no other shall say nay. For pure will, unassuaged of purpose, delivered from the lust of result, is every way perfect.50

Nach François Rabelais’ (ca. 1494–1553) Prinzip des Thélème51 – welches dieser in seinem Romanzyklus Pantagruel (1532) und Gargantua (1534) entwickelte – ist auch Crowleys Prinzip des Thelema eine humanistische Sozialutopie, die dem Menschen die Mittel gibt, sich aus den als widernatürlich empfundenen Gesellschaftsnormen zu befreien. Diese von Crowley propagierte Freiheit des Individuums auf der Grundlage von Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung und Selbstdarstellung ist gleichzusetzen mit der Erkenntnis und Realisierung des individuellen “Willens” (“if he look but close into the word”). “Sünde” ist für Crowley daher das Gegenteil von Freiheit: “Sünde” ist keine abstrakte moralische Kategorie, die sich nach gnostischen Parametern wie “gut” und “böse” moralisch polarisieren lässt, sondern eine Art der Selbstversklavung, eine “Begrenzung”, die Erkenntnis und Realisierung des individuellen “Willens” verhindert oder blockiert: “The word of Sin is Restriction”. Thelema ist für Crowley daher nicht nur eine poetisch-künstlerische Legitimation – und somit clevere Selbstvermarktung – seines ausschweifenden Lebensstils, die Kristallkugel, in der er sein individuell-narzisstisches Universum imaginiert (“Egohochpolung”52). Thelema ist auch die narrative Struktur zur Erkenntnis des “Willens” und als solche der individuelle Fixpunkt “einer Offenbarungsreligion des magisch Machbaren, die Elemente abendländischer Mystik, Christentum, fernöstlicher Yogapraktiken, liberale Sexualmoral und den Protest gegen ein versteiftes Christentum”53 verschmilzt und für den es keine allgemeingültige und dogmatische Definition gibt: Dogma und Mittelpunkt dieser Religion ist vielmehr der Mensch selbst bzw. das Individuum, welches als

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Crowley 1909/2011 (wie Anm. 35), I, V. 39–44. Vgl. Tolli 2004 (wie Anm. 49), 42–61. Ebd. 65. Ebd. 61.

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solches den göttlichen “Willen” in sich trägt, welcher auf vielen Wegen – und abseits gesellschaftlicher Dualismen wie “gut” und “böse” – zu realisieren ist. Die Bezeichnung “Religion” zur Beschreibung von Crowleys Verständnis des Thelema ist daher allerdings höchst unsinnig. Die “Religion” des Thelema ist vielmehr eine Strukturorientierung zur Erkenntnis und Realisierung des individuellen “Willens” und als solches künstlerisches Beiwerk, welches als solches von Crowley nicht besonders ernst genommen wird, da es bei der erstbesten Gelegenheit nutzlos wird. Denn bei all diesen Ausführungen darf Crowleys doppel- und mehrdeutiger Humor und sein Talent, sich doppelt und mehrfach zu maskieren, niemals außer acht gelassen werden – die Maskierungen des Magiers sind die Imaginationen des Dichters und vice versa. Das Book of the Law ist vielmehr Crowleys früher Versuch einer poetischen Imagination des individuellen Weges zur Erkenntnis wiederum des individuellen, d.h., des göttlichen “Willens” – einer Imagination, die er später durch magische Rituale, Yogapraktiken, “tantrische” Kultivierung der Sexualität, Drogen und andere transgressive Exzesse zu einer “Apotheose[-technik] der Lust”54 erweitern sollte. Crowleys Verse lesen sich dabei auf den ersten Blick als (einmal mehr einmal weniger) direkte Anspielungen, Zitate oder Umformungen der Philosophien Arthur Schopenhauers (1788–1860) und besonders Friedrich Nietzsches. Bereits in der schopenhauerschen Philosophie bildet die Lehre vom “Primat des Willens” die zentrale Idee: In Schopenhauers erkenntnistheoretischem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung (1819/1844) bestimmt der “Wille” alle Prozesse der organischen und anorganischen Natur und ist in der Erscheinungswelt als “Wille zum Leben” und somit als Sexualtrieb objektiviert. Nietzsche denkt Schopenhauers “Willen” weiter und konzeptualisiert diesen als einen “Willen zur Macht”, dessen genaue philosophische Deutung bis heute gefährlich stark umstritten ist und – wie der politische Verlauf des 20. Jahrhunderts zeigt – als eines der gefährlichsten Axiome der Philosophiegeschichte betrachtet werden muss. Diese Gefahr liegt nun nicht genuin in diesem Axiom selbst begründet – es ist schlicht keine schwarz-magische Zauberformel, die durch falsche Interpretation aktiviert werden kann, um beliebige Verheerungen und Verhexungen auszulösen. Vielmehr hängt diese Gefahr mit den Kräften von Sexualität und Erotik bzw. – in der psychoanalytischen Terminologie – von “Trieb” und “Triebgeschehen” zusammen, welche fundamental zur philosophischen und psychologischen Dimension im Denken Nietzsches gehören und als solche in ihrer paradoxen (d.h.

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Ebd. 81.

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dialektischen) Komplexität meist missgedeutet oder verkannt werden55. Denn Nietzsches Philosophie orientiert sich eng am Leben, sie hat den Anspruch, Psychologie, Metaphysik und Kunst zu sein – dieser Anspruch bildet die physiologische Matrix für sein Denken, welche sich über das Echo des “Willens zur Macht” in Crowleys Prinzip des Thelema kristallisiert, d.h., verhärtet und radikalisiert. Der “Wille zur Macht” – und die ihm zu Grunde liegenden antagonistischen Triebkräfte – ist für Nietzsches Denken das zentrale Prinzip: Der “Wille zur Macht” durchwirkt das gesamte Dasein. Nietzsches Betrachtungen fokussieren sich dabei auf den Menschen, in dem er versucht, die menschliche ‘Natur’ in ihrer ganzen Tiefe zu ergründen. Dabei sieht Nietzsche im Menschen dieselben Kräfte wirksam wie im “Weltganzen [...] Er sieht die Triebe, die tief im Innern des Menschen unbewußt wirken, als die alles bestimmenden Kräfte. Seine Sicht der Welt ist zu einem großen Teil beeinflusst durch Heraklit [ca. 520–460]. In Anlehnung an dessen Philosophie des Werdens und des Gegensätzlichen faßt er das Triebgeschehen als dynamischen Prozess, bei dem der von ihm gesetzte Wille zur Macht die Grundantriebskraft darstellt”56. In einem nachgelassenen Fragment (1885) schreibt Nietzsche über diesen “Willen zur Macht”: [...] diese meine d i o n y s i s c h e Welt des Ewig-sich-selber-Schaffens, des Ewig-sich-selber-Zerstörens, diese Geheimnis-Welt der doppelten Wollüste, dies mein Jenseits von Gut und Böse, ohne Ziel, wenn nicht im Glück des Kreises ein Ziel liegt, ohne Willen, wenn nicht ein Ring zu sich selber guten Willen, — wollt ihr einen N a m e n für diese Welt? Eine L ö s u n g für alle ihre Rätsel? ein L i c h t auch für euch, ihr Verborgensten, Stärksten, Unerschrockensten, Mitternächtlichsten? D i e s e W e l t i s t d e r W i l l e z u r M a c h t — u n d n i c h t s a u ß e r d e m ! Und auch ihr seid dieser Wille zur Macht – und nichts außerdem!57

Nietzsche fasst den “Willen zur Macht” als eine universal-ontologische Kategorie auf und deutet alles Geschehen in der Welt – seien es nun Erdbeben, das Blühen einer Knospe im Frühling, die Jagd eines Fuchses auf ein Kaninchen, das vielschichtige Gefühlsleben verliebter oder sterbender Menschen, die Wirkung des Mondes auf die Meere – als eine phänomenologische Vielfalt und Unendlichkeit ablaufender “Kraftprozesse”58. Der “Wille zur Macht” stellt für ihn die Matrix seiner pathetisch-poetischen Imagination der Welt dar, in der sich Welt und Mensch entfalten (der “innerste Naturgedanke, das Weben des Willens in und über allen Erscheinungen”59) – “und nichts außerdem!”. Er verdeutlicht das oftmals verborgene Streben der Kräfte

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Vgl. Günter Haberkamp, Triebgeschehen und Wille zur Macht. Nietzsche – zwischen Philosophie und Psychologie [= Nietzsche in der Diskussion], (Würzburg 2000), 5. Ebd. Nietzsche, KSA XI (wie Anm. 3), 611. Haberkamp 2000 (wie Anm. 55), 17. Nietzsche, KSA I, 557.

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hin zu einer Form, die niemals endgültig gesetzt existiert, niemals ‘unbewegt’ oder gar ‘unbewegt Bewegendes’ sein kann, “sondern der, wie er Zarathustra sagen läßt, vielmehr die Tendenz der Selbstüberwindung beinhaltet, die jeden einmal erreichten Zustand ablöst und überwindet – alles, um ein Mehr an Macht zu erlangen”60. Nietzsche entwickelt eine Imagination des Menschen, in der sich Anthropologie und Metaphysik nach Vorbild Heraklits verbinden: In Bezug auf das Weltgeschehen ist der Mensch ein “Punkt im Werden”. “Danach wird der Mensch ebenso von Gegensätzen bestimmt und vorangetrieben, wobei die Triebe als die ursprünglichsten Kräfte in ihm wirken. In dem Triebgeschehen sieht Nietzsche das eigentliche Leben des Menschen, in ihm vollzieht sich nicht nur seine Existenz, auch sein innerstes Wesen gelangt zum Ausdruck. Anthropologie bedeutet für ihn im Wesentlichen das Erfassen der menschlichen Triebwirklichkeit, die durch das Prinzip des Willens zur Macht bestimmt wird”61. Daher bilden Sexualität und Erotik, “Trieb” und “Triebgeschehen” für Nietzsche sowohl Bühne des Daseins als auch Bühnenspiel des Erkenntnisprozesses. Doch der “Trieb” steht der Erkenntnis a priori naturgegeben und unversöhnlich gegenüber, da das menschliche Denkvermögen nach Nietzsche den elementaren Lebensinstinkten, dem “Triebgeschehen” untergeordnet ist: “Das, was wir ‘Bewußtsein’ und ‘Geist’ nennen, ist nur ein Mittel und Werkzeug, vermöge dessen nicht ein Subjekt, sondern ein Kampf sich erhalten will”62. Dieser Kampf ist für Nietzsche ein Zustand, in dem der Mensch ein Sklave seiner Lebensinstinkte ist und Nietzsche letztlich eine “Umwandlung” des Menschen anstrebt, die erst eintrete, “wenn er [i.e. der Mensch] endlich nur noch lebt, um zu erkennen”63. Durch die “Umwandlung” des Menschen in einen sog. “Übermenschen” wird der “Wille zur Macht” als ein “Wille” zu erkennen sichtbar, wodurch Wissen, Wahrheit, Erkenntnis als transzendierte Sexualität zur höchsten Lebensform und somit zur Realisierung des “Willens zur Macht” werden. Diese Transgression als eine radikale Destruktion abendländischer Metaphysik lässt den Menschen aus dem Korsett kultureller Prägung ausbrechen – die “Umwertung aller Werte” – und erst zum Leben “jenseits von Gut und Böse” kommen: “Nur wo Leben ist, da ist auch Wille: aber nicht Wille zum Leben, sondern – so lehr ich's dich – Wille zur Macht!”64. Dieser Ausbruch aus dem Strom normativer Bewusstseinsoperationen ermöglicht es nun dem Menschen, eine Imagination oder Interpretation von sich und der Welt zu entwickeln, die alle Prozesse, jedes Ereignis und jedes Phänomen, zum Element einer

60 61 62 63 64

Haberkamp 2000, 17. Ebd. Nietzsche, KSA XII, 40. Nietzsche, KSA IX, 495. Nietzsche, KSA IV, 149.

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integral-integrierenden Matrix werden lassen, die einen individuellen Zugang zur Welt ermöglicht. Ein nach Nietzsche ‘starker’ und ‘vitaler’ Geist interpretiert die Welt ‘auf sich zu’, greift mittels seiner imaginativen Kraft in die Prozesse des Weltgeschehens ein und macht dieses zur Grundlage seiner individuellen Selbsterfahrung. Das eigene Schicksal kann so bewusst gewollt werden, da dieses nicht mehr passiv akzeptiert werden muss, sondern durch die Signatur des sog. “Übermenschen” und die Kraft des “Willens zur Macht” aktiv imaginiert werden kann: “Wollen befreit: das ist die wahre Lehre von Wille und Freiheit”65. Der “Wille zur Macht” ist demnach nicht nur eng verbunden mit der individuellen Imagination des Weltgeschehens, er ist als “Wille” zur Lust des Wollens sowohl “Trieb” und “Triebkraft” der Erkenntnis als auch Lust auf Freiheit. Die Techniken, den “Willen zur Macht” durch Lust zu entwickeln, beschreibt Nietzsche in seiner Nachgelassenen Schrift “Die dionysische Weltanschauung” (1870–1873): “In zwei Zuständen nämlich erreicht der Mensch das Wonnegefühl des Daseins, im T r a u m und im R a u s c h ”66. Und weiter: Die dionysische Kunst [...] beruht auf dem Spiel mit dem Rausche, mit der Verzückung. Zwei Mächte vornehmlich sind es, die den naiven Naturmenschen zur Selbstvergessenheit des Rausches steigern, der Frühlingstrieb und das narkotische Getränk. Ihre Wirkungen sind in der Figur des Dionysos symbolisirt [sic]. Das principium individuationis wird in beiden Zuständen durchbrochen, das Subjektive verschwindet ganz vor der hervorbrechenden Gewalt des Generell-Menschlichen, ja des Allgemein-Natürlichen. Die Dionysos-Feste schließen nicht nur den Bund zwischen Mensch und Mensch, sie versöhnen auch Mensch und Natur67.

Durch den dionysischen Rausch, “das Evangelium der Weltenharmonie”68, wird der Mensch gottgleich: “Als Gott fühlt er sich, was sonst in seiner Einbildungskraft nur lebte, jetzt empfindet er es an sich selbst. Was sind ihm jetzt Bilder und Statuen? Der Mensch ist nicht mehr Künstler, er ist Kunstwerk geworden, er wandelt so verzückt und erhoben, wie er die Götter im Traume wandeln sah”69; und weiter: “Im dionysischen Rausche, im ungestümen Durchrasen aller Seelen-Tonleitern bei narkotischen Erregungen oder in der Entfesselung der Frühlingstriebe äußert sich die Natur in ihrer höchsten Kraft: sie schließt die Einzelwesen wieder aneinander und läßt sie sich als eins empfinden”70. Diese Philosophie machte Nietzsche zur Imagination seiner eigenen Menschwerdung: “Ich bin Jünger des Philosophen Dionysos, ich zöge vor eher ein Satyr zu sein als ein Heiliger”71. Zu einem Heiligen wurde Nietzsche dennoch und zwar in besonderem Maße für Crowley. Erst 65 66 67 68 69 70 71

Ebd. 111. Nietzsche, KSA I, 553. Ebd. 555. Ebd. Ebd. Ebd. 557. Nietzsche KSA VI, 258.

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durch Nietzsches Philosophie des “Willens zur Macht” mit seinen dionysischen Prinzipien wird verständlich, dass Crowleys narkotisch-ekstatische Imaginationen im Book of the Law sich nicht nur als ein idiosynkratrisch-prophetischer und selbstverherrlichender Kommentar zu Nietzsches “Willen zur Macht” und “dionysischer Weltanschauung” lesen lassen. Crowleys Philosophie stellt eine ekstatische Imagination der Welt mit dem Ziel einer tatsächlichen radikal-ekstatischen und freiheitlichen Gestaltung nicht nur des individuellen Lebens – wie es Nietzsche in seinen Werken präfigurierte – sondern eines neuen Zeitalters der Menschheit überhaupt dar. Crowley übernimmt dafür die großen Eckpfeiler der Philosophie Nietzsches vollständig72 und macht sie nicht nur zur Grundlage des Book of the Law, sondern zur Grundlage seiner Weltinterpretation – der Erkenntnis des “Willens” – und somit zum Ausgangspunkt seines eigenen Lebens und Lebenswandels, für den er berühmt-berüchtigt werden sollte. Ganz im Sinne von Nietzsches “dionysischer Weltanschauung” wird der “Wille” zur Ekstase dabei zwangsläufig zum höchsten Prinzip, welches als wiederkehrendes Element den gesamten Text nicht nur als eine ekstatische Offenbarung, sondern auch als eine Offenbarung der Ekstase markiert: Then saith the prophet and slave of the beauteous one: Who am I, and what shall be the sign? So she answered him, bending down, a lambent flame of blue, all-touching, all penetrant, her lovely hands upon the black earth, and her lithe body arched for love, and her soft feet not hurting the little flowers: Thou knowest! And the sign shall be my ecstasy, the consciousness of the continuity of existence, the omnipresence of my body.73 [...] But ecstasy be thine and joy of earth: ever To me! To me!74 Invoke me under my stars! Love is the law, love under will [...]75 [...] Pale or purple, veiled or voluptuous, I who am all pleasure and purple, and drunkenness of the innermost sense, desire you. Put on the wings, and arouse the coiled splendour within you: come unto me! 76 Sing the rapturous love-song unto me! 72 73 74 75 76

Vgl. E. Michael Jones, Dionysos Rising. The Birth of Cultural Revolution Out of the Spirit of Music (San Francisco/CA 1994), 162: “[...] his doctrine is essentially Nietzschean”. Crowley 1909/2011 (wie Anm. 35), I, V. 26. Ebd. I, V. 53. Ebd. I, V. 57. Ebd. I, V. 61.

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Burn to me perfumes! Wear to me jewels! Drink to me, for I love you! I love you!77 Remember all ye that existence is pure joy; that all the sorrows are but shadows; they pass and are done [...]78

Die Interpretation der Welt durch die dionysischen Prinzipien des Rausches und der Ekstase wird für Crowley zum “Gesetz des Willens” und der “Wille” zur ultimativen Realität79 – ganz nach Nietzsches Vorbild. Durch Crowleys Offenbarung des Thelema kann der Mensch sowohl die eigentliche “Frohe Botschaft” des Evangeliums, die nach Crowley weder die Verleugnung menschlicher Körperlichkeit noch der Sexualität beinhaltet, sondern im Gegenteil ein Evangelium der Ekstase und des Rausches darstellt, als auch seine eigene Göttlichkeit erkennen: [...] this is the law of the strong: this is our law and the joy of the world. Think not, o king, upon that lie: That Thou Must Die: verily thou shalt not die but live. Now let it be understood: If the body of the king dissolve, he shall remain in pure ecstasy for ever [...] I am the Snake that giveth Knowledge & Delight and bright glory, and stir the hearts of men with drunkenness. To worship me take wine and strange drugs whereof I will tell my prophet, & be drunk thereof! [...] [...] The exposure of innocence is a lie. Be strong, o man! lust, enjoy all things of sense and rapture: fear not that any God shall deny for this. I am alone: there is no God where I am Behold! these be grave mysteries; for there are also of my friends who be hermits. Now think not to find them in the forest or on the mountain; but in beds of purple, caresse by magnificent beasts of woman with large limbs, and fire and light in their eyes, and masses of flaming hair about them; there shall ye find them [...]80

In einer langen Passage in seinen Confessions (London 1979) diskutiert Crowley das “Gesetz des Willens”, in dem er gleichzeitig notiert, dass es Nietzsches Kritik und Zurückweisung der christlichen Moralvorstellung war, die Crowley zur Erkenntnis des “Willens” führte: Their [i.e., the Christians’] authority rested on definitions of right and wrong which were untenable. As soon as Nietzsche and others demonstrated that fact, they lost their validity. The result has been that the new generation, demanding a reason for acting with ordinary decency, and refusing to be put off with fables and sophistries, has drifted into anarchy. Nothing can save the world but the universal acceptance of the Law of Thelema as the sole and sufficient basis of conduct [...] Its truth is self-evident [...] In its 77 78 79 80

Ebd. I, V. 63. Ebd. II, V. 9. Jones 1994 (wie Anm. 72), 162. Crowley 11909/2011 (wie Anm. 35), II, V. 21–24.

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way it is the logical climax of the idea of democracy. Yet at the same time it is the climax of aristocracy by asserting each individual equally to be the centre of the universe.81

Und weiter: “I entirely agree with Nietzsche that Christianity is the formula of the servile state; true aristocracy and true democracy are equally its enemies. In my ideal state everyone is respected for what he is. There will always be slaves, and a slave is to be defined as he who acquiesces in being a slave”82. Für Nietzsche wie für Crowley geht die Befreiung vom Christentum daher mit dem “Tod Gottes” einher. Der Vers “enjoy all things of sense and rapture: fear not that any God shall deny for this. I am alone: there is no God where I am”83 kann als direktes Zitat Crowleys von Nietzsches theothanalogischem Diktum “Gott ist todt”84 gelesen werden, welches von Foucault wie folgt zusammengefasst wird: “Indem der Tod Gottes unserer Existenz die Grenze des Grenzenlosen nimmt, führt er sie zu einer Erfahrung zurück, in der nichts mehr die Äußerlichkeit des Seins anzeigen kann, zu einer folglich inneren und souveränen Erfahrung”85. Der Tod Gottes führt somit zur inneren Erfahrung von Souveränität und Freiheit und somit auch zu freier Sexualität. Doch der “Tod Gottes” ist der Höhepunkt eines historisch-eschatologischen Prozesses, der mit der Erfahrung von Freiheit und freier Sexualität einhergeht. Foucault schreibt dazu: “Ein Tod, den man keineswegs als das Ende seiner geschichtlichen Herrschaft und auch nicht als die endlich freigesetzte Feststellung seiner Nichtexistenz verstehen darf, sondern den man als den nunmehr beständigen Raum unserer Erfahrung ansehen muss”86. Und weiter: “Zweifellos ist es der Exzess, der, verbunden in ein und derselben Erfahrung, die Sexualität und den Tod Gottes entdeckt, der uns gleichsam im »unschicklichsten aller Bücher« zeigt, dass »Gott eine Dirne« ist”87. Diese tautologische und lemniskatische Erfahrung führt zu einer Destabilisierung nicht nur der gesellschaftlichen Lebenswelt, sondern vor allem auch zu einer Destabilisierung der menschlichen Psyche und setzt – für Nietzsche wie für Crowley – die panisch-dionysischen und transgressiven Kräfte frei, auf deren radikale Kultivierung Crowley in der Folgezeit seinen Fokus richtete. Denn das verbindende Element

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85 86 87

Crowley 1979 (wie Anm. 15), 849. Ebd. 145. Crowley 1909/2011 (wie Anm. 35), II, V. 22. “Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besass, es ist unter unseren Messern verblutet, — wer wischt diess Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnfeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Grösse dieser That zu gross für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine grössere That, — und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser That willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!”, Nietzsche KSA III (wie Anm. 3), 481. Foucault 2001 (wie Anm. 19), 322. Ebd. Ebd. 323.

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der drei Zeitalter des Book of the Law ist die körperliche Ekstase, die für Crowley Anzeichen wahrer Religiostät bzw. wahren Menschseins ist. Religionen, die keine Ekstase kennen bzw. diese ablehnen und unterdrücken, sind nicht nur dem Untergang geweiht, sondern sind mit aller Macht zu bekämpfen: I say today to hell with Christianity, rationalism, Buddhism, all the lumber of the centuries. I bring you a positive and primaeval fact, magic by name; and with this I will build me a new Heaven and a new Earth. I want none of your faint approval or faint dispraise; I want blasphemy, murder, rape, revolution, anything, bad or good, but strong.88

Daher ist es auch zu verstehen, dass Crowley im Book of the Law noch nicht über die Form einer poetischen Imagination des individuellen Weges zur Erkenntnis und Realisierung des “Willens” hinausgeht und ein konkretes magisches System zur Realisierung des “Willens”, wie es in seinen späteren Büchern erarbeitet wird, vorstellt89. Vielmehr ist das Book of the Law ein zwar verbal-poetischer, aber dennoch überaus ekstatischer Angriff auf alle etablierten Religionen – und als solcher muss er wiederum als Reminiszenz an Nietzsches Schriften, besonders seine späte Schrift Der Antichrist. Fluch auf das Christentum (1895), gelesen werden: Crowleys Dichtung kommt einem poetischen Sparagmos (von gr. σπαραγµός, “Zerstückelung”, “Zerreißung”) der etablierten Religionen gleich, der den Sparagmos der Psyche, wie ihn Crowley später als Mittel zur Realisierung des “Willens entwickelte (s.u.), antizipiert: With my Hawk’s head I peck at the eyes of Jesus as he hangs upon the cross. I flap my wings in the face of Mohammed & bling him. With my claws I tear out the flesh of the Indian and the Buddhist, Mongol and Din. Bahlasti! Ompehda! I spit on your crapulous creeds. Let Mary inviolate be torn upon wheels: for her sake let all chaste women be utterly despised among you! Also for beauty’s sake and love’s [...]90 There is no law beyond Do what thou wilt.91

88 89

90 91

Aleister Crowley in einem Brief an Gerald Kelly vom 31. Oktober 1905, zitiert nach: Kaczynski 2003 (wie Anm. 9), 151. Eine Ausnahme bildet folgende Passage, die Crowleys späteres Konzept des “Elixiers” (s.u.) vorwegnimmt und die damit verbundene magische Praxis andeutet: “For perfume mix meal & honey & thick leavings / of red wine: then oil of Abramelin and / olive oil, and afterward soften & smooth /down with rich fresh blood. / The best blood is of the moon, monthly: then / the fresh blood of a child, or dropping from the / host of heaven: then of enemies; then / of the priest or of the worshippers: last of /some beast, no matter what. / This burn: of this make cakes & eat unto / me. This hath also another use; let it be / laid before me, and kept thick with perfumes / of your orison: it shall become full of beetles / as it were and creeping things sacred unto me. / These slay, naming your enemies; & they shall / fall before you. / Also these shall breed lust & power of lust in / you at eating thereof”, Crowley 1909/2011 (wie Anm. 35), III, V. 23–27. Ebd. III, V. 51–56. Ebd. III, V. 60.

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Der “Tod Gottes” ist daher für Crowley nicht nur eine metaphysische Offenbarung, ein spirituelles Abstraktum zur symptomatischen Bestimmung der Imagination einer “entzauberten Welt”, sondern auch das Axiom einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung konkreter gesellschaftspolitischer Entwicklungen. Denn die Befreiung aus der Matrix der viktorianischen Gesellschaft ist nicht allein durch Crowleys Selbstapotheose als Prophet des Thelema, die durch die Vernichtung der falschen Götter ermöglicht wird, zu deuten. Gesellschaftspolitisch ist Nietzsches Ausruf vom “Tod Gottes” für Crowley mit dem Tod Queen Viktorias im Jahr 1901 gleichzusetzen. Denn Crowley beschreibt Viktoria als “huge and heavy fog” und kommentierte ihre Herrschaft: “We could not see; we could not breathe, smug, sleek, superficial, servile, and snobbish, sentimental shopkeeping had spread everywhere --- England had become a Hausfrau’s idea of heaven”92. Ihr Tod kam einer Befreiung (“lifting the veil”93) gleich, einer Befreiung vor allem von ihrer staatlichen und machtpolitischen Souveränität, das British Empire, ein Weltreich, in dem niemals die Sonne untergeht, zu regieren und zu stabilisieren. Schopenhauers Konzept des “Willens” und Nietzsches Verschmelzung dieses Konzeptes mit den Prinzipien des Dionysischen und der Transgression – Rausch, Ekstase und Entrückung – zu einer Philosophie des Rausches bilden die Grundlage einer historischen Imagination, die Crowley (ebenso wie Nietzsche) zu einer quasi-religiösen Weltanschauung uneingeschränkter individueller Raserei erhob, die das Christentum mit aller Macht verdrängen sollte. Dabei imaginierte er sich selbst als Propheten und Priester dieser Religion, um gleichsam in der Form eines Trabanten um die Sonne bzw. den sichtbaren Gott dieser Weltanschauung zu kreisen: um sich selbst. Die Rolle, die Nietzsche für Crowley spielte, wird nicht nur aus den unzähligen Verweisen im Book of the Law auf Nietzsches Philosophie, sondern auch aus späteren Kommentaren Crowleys deutlich. In Magick Without Tears (1954) kommentiert er das Book of the Law wie folgt: “To begin: the Author is quite certainly both more than human, and other than human. His main aim seems to me to announce the Magical Formula of the Aeon of Horus, and to lay down the fundamental principles of conduct that are consistent with it”. Fünf Grundprinzipien des Buches werden von Crowley angeführt: (1) There is a system of the most sublime philosophy which stands altogether apart from any Aeon, or from any other limited condition. (2) There is a considerable proportion of the contents which appears to refer to “The Beast” and “The Scarlet Woman” personally; but these titles may be assumed to refer to any one who happens to hold either of those offices during the whole period of the Aeon—approximately 2000 years. 92 93

Crowley 1979 (wie Anm 15), 216.

Eine Umschreibung aus Arthur Machens The Great God Pan: “[...] the ancients knew what lifting the veil means. They called it seeing the god Pan”, Arthur Machen, The Great God Pan and the Inmost Light (London 1894), 3.

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(3) The sex morality of the Book is not very different from that maintained secretly by aristocrats since the world began. It is the system natural to any one who has psycho-analysed away all his complexes, repressions, fixations and phobias. (4) As matriarchy reflected the Formula of the Aeon of Isis, and patriarchy that of Osiris, so does the rule of the “Crowned and Conquering Child” express that of Horus. The family, the clan, the state count for nothing; the Individual is the Autarch. (5) The Book announces a new dichotomy in human society; there is the master and there is the slave; the noble and the serf; the “lone wolf” and the herd. (Nietzsche may be regarded as one of our prophets; to a much less extent, de Gobineau.)94

Nietzsche wird von Crowley nicht nur als ein Prophet des Thelema betrachtet. Im Liber XV. Ecclesiae Gnosticae Catholicae Canon Missae (The Mass of the Gnostic Catholic Church) – der dramaturgischen Ritualanweisung seiner 1909 in London öffentlich aufgeführten Rites of Eleusis und dem zentralen Ritual des Ordo Templi Orientis (O.T.O.) – bezeichnet Crowley Nietzsche (und auch den Gott Dionysos) als “Son(s) of the Lion and the Snake” und als “(Gnostic) Saint(s)”95 seiner Ecclesia Gnostica Catholica; in seinen Confessions schreibt Crowley darüber hinaus: “Nietzsche was to me almost an avatar of Thoth, the god of wisdom”96. Auch wenn das Book of the Law eine quasi-religiöse Weltanschauung der Ekstase verkündet97 und Crowley sich als Prophet, Priester und Gott dieser ekstatischen Religion inszeniert, fehlen in dieser frühen Schrift direkte dionysische Narrative oder Bezüge auf den Gott Dionysos. Doch diese Bezüge entwickeln sich indirekt dort, wo Crowley Bezüge zur Philosophie Nietzsches herstellt: da es kaum einen Vers gibt, der keinen Bezug zu Nietzsche herstellt, kann das gesamte Book of the Law daher als ein Negativ von Nietzsches “dionysischer Weltanschauung” betrachtet werden. Crowley ist nicht nur Leser von Nietzsche, er macht Nietzsche zu einem Propheten des Book of the Law, das die Grundlage für Crowleys Philosophie, Magie und Dichtung bildet. Der Theologe Carl A. Raschke schreibt daher zu Recht: Virtually all historians of the occult sidestep the fact that the teachings of Crowley or Aiwass, depending on whether on takes a psychological or a metaphysical slant, were little more than inferior literary imita-

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Crowley 1954 (wie Anm. 4), Chapter XLVIII: “Morals of AL—Hard to Accept, and Why nevertheless we Must Concur”, zitiert nach online: https://hermetic.com/crowley/magick-without-tears/mwt_48 (Stand: 10.02.2017). Aleister Crowley, “Liber XV. Ecclesiae Gnosticae Catholicae Canon Missae” [= The Equinox. The Review of Scientific Illuminism Vol. III, 1], (Detroit/MI 1919), 260f., in: Aleister Crowley, Sex Magick, herausgegeben von Lon Milo Duquette [= The Best of the Equinox Vol. III], (San Francisco/CA, Newburyport/MA 2013), 16f. Crowley 1979 (wie Anm. 15), 746. Auch hier liest sich Foucaults “Wir Viktorianer” als ein Kommentar zu Crowleys Philosophie: “Ein Hauch von Revolte, vom Versprechen der Freiheit und vom nahen Zeitalter eines anderen Gesetzes schwingt mit im Diskurs über die Unterdrückung des Sexes. Alte traditionelle Funktionen der Prophetie finden sich hier wiederbelebt. Der gute Sex ist nahe [...] Den Mächten widersprechen, die Wahrheit sagen und den Genuß versprechen; Aufklärung, Befreiung und vervielfachte Wollüste aneinanderbinden; einen Diskurs halten, in dem die Wißbegierde, der Wille zur Änderung des Gesetzes [!] und der erhoffte Garten der Lüste verschmelzen – ohne Zweifel liegen hier die Gründe für die Beharrlichkeit, mit der wir von Sex in Begriffen der Unterdrückung sprechen [...]”, Foucault 1986 (wie Anm. 14), 16.

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tions of the German philosopher Friedrich Nietzsche, who was a generation younger than the Beast himself […] While Nietzschean philosophy vaunted the artistic life as the premier expression of the “will to power”, what Crowley termed “magick” […] promised the unlimited satisfaction of instinctual wishes along with total liberation from both human and divine laws. Crowley, in fact, spent the remainder of his days immersed in every mode of unusual or deviant sexual experiment, not so much to be loose moraled as to carry out the mandate of The Book of the Law.98

Die späteren Texte, in denen von Crowley explizit dionysische Narrative verwendet werden, sind nur durch den Kontext seines Konzepts des Thelema und der damit einhergehenden Rekurse auf Nietzsche zu verstehen. An einer Stelle des Book of the Law taucht allerdings eine Referenz auf, die als ein Verweis auf den Gott Dionysos gelesen werden muss. Im dritten Kapitel schreibt Crowley über den Propheten des Gesetzes, also über sich selbst: “I am the Lord of Thebes [...]”99. Warum damit der Gott Dionysos gemeint sein muss bzw. warum sich Crowley an dieser Stelle mit dem Gott identifiziert, erklärt sich aus den Spezifika seines magischen Systems, welches im Folgenden skizziert werden soll. 5. “Magick”: Sparagmos der Psyche Um sein Konzept von Magie von früheren Auffassungen des Aberglaubens und der Zauberei zu distanzieren, wählte Crowley die Schreibweise “Magick” anstatt “magic”. Denn für ihn beruhte Magie auf wissenschaftlichen Annahmen, auf objektiven und nachprüfbaren Beobachtungen, Fakten und Prozessen, die vor allem psychologisch erklärbar sind, greifbar gemacht und manipuliert werden können. Daher betrachtete Crowley jeden intentionalen und bewussten Akt als einen Akt der Magie. Im dritten Kapitel (“Magick in Theory and Practice”) seines Hauptwerks Magick. Liber ABA. Book Four (1929) definiert er “Magick” daher: Magick is the Science and Art of causing Change to occur in conformity with Will. (Illustration: It is my Will to inform the World of certain facts within my knowledge. I therefore take ‘magical weapons’, pen, ink, and paper; I write ‘incantations’ – these sentences – in the ‘magical language’, i.e. that which is understood by the people I wish to instruct; I call forth ‘spirits’, such as printers, publishers, booksellers, and so forth, and constrain them to convey my message to those people. The composition and distribution of this book is thus an act of Magick by which I cause change to take place in conformity with my Will).100

Den zentralen Aspekt in Crowleys Definition von “Magick” bildet daher der “Wille”, denn nur die intentionalen Handlungen können als magische Handlungen wirken bzw. betrachtet werden, die mit dem “Willen” des praktizierenden Magiers übereinstimmen. Die Erkenntnis, dass ma-

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Carl A. Raschke, Painted Black. From Drug Killings to Heavy Metal. The Alarming True Story of How Satanism is Terrorizing Our Communities (San Francisco/CA 1990), 94. Crowley 1909/2011 (wie Anm. 35), II, V. 37. Aleister Crowley, Magick. Liber ABA. Book Four (11994), (York Beach/ME 22000), 123.

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gisch-rituelle Handlung und “Wille” im Einklang liegen müssen, setzt dabei bereits ein spezielles Bewusstsein (“consciousness”101) voraus – einen Grad der Selbsterkenntnis –, welches wiederum durch ein geistiges und körperliches Training und durch das Praktizieren magischer Rituale und Zeremonien erlangt werden könne. Das Ziel dieser zumeist intensiven körperlichen und geistigen Praktiken ist die Erkenntnis und die Realisierung des “Willens”, welche von Crowley als eine mystische Erfahrung beschrieben wird und die einer religiösen Erweckung gleicht, durch die die gewichtigen Fragen der menschlichen Existenz enträtselt werden. Als Übung kann im Grunde genommen jede intentionale Handlung dienen, denn Crowleys Auffassung des Yoga umfasst sowohl asketische Elemente wie körperliche und geistige Reinigung und Entsagung (z.B. Prāṇāyāma-Yoga, Śūnyatā-Mediatation) als auch das ‘energetische’ Gegenteil: das – nach Vorbild des shivaitischen Tantrismus102 – Verzehren rohen Fleisches, die Zunahme von Alkohol u.a. Rauschmitteln, das Auftragen der Asche verbrannter Leichen auf die Haut, Nekrophilie (dies ist ein besonders neuralgischer Punkt der späteren Crowley-Rezeption, die mehr Missverständnisse und Anschuldigen hervorgebracht hat, als Crowleys doppeldeutige und amoralischen Provokationen intendierten). In seinem prophetischen Aufsatz “Message of the Master Therion” schreibt Crowley zur bewussten Intentionalität dieser Praktiken: It should now be perfectly simple for everybody to understand the Message of the Master Therion [i.e. Crowley]. Thou must (1) Find out what is thy Will, (2) Do that Will with (a) one-pointedness, (b) detachment, (c) peace. Then, and then only, art thou in harmony with the Movement of Things, thy will part of, and therefore equal to, the Will of God. And since the Will is but the dynamic aspect of the self, and since two different selves could not possess identical wills; then, if thy Will be God’s Will, Though art That.103

Mit Rekurs auf die Lehren des Golden Dawn nannte Crowley den rituellen Vorgang zur Erkenntnis und Realisierung des “Willens” “Knowledge and Conversation of the Holy Guardian Angel”. Der “Holy Guardian Angel” symbolisierte im Kontext des Golden Dawn – wiederum auf der Grundlage des mittelalterlichen Buches Abramelin des Abraham von Worms (ca. 1362– 1458), der versuchte, über magische Beschwörungen den sog. ‘Schutzengel’ des Menschen herbeizurufen – einen bestimmten Zeitpunkt in der Entwicklung des initiierten Adepten, an dem es zu einer Vereinigung seines Bewusstseins mit dem sog. “Holy Guardian Angel”, dem Hüter der archetypischen Einheit des Menschen, wiederum symbolisiert durch den kabbalistischen

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“[…] And the sign / shall be my ecstasy, the consciousness of the / continuity of existence, the / omnipresence of my body”, Crowley 1909/2011 (wie Anm. 35), I, V. 26. Axel Michaels, Der Hinduismus. Geschichte und Gegenwart (München 1998), 350f. Aleister Crowley, “Liber II. Message of the Master Therion” [= Equinox. The Review of Scientific Illuminism Vol. III, 1 ], (Detroit/MI 1919); zitiert nach online: http://www.theequinox.org/vol3/eqv3n1/eq0301039.htm (Stand: 10.02.2017).

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“Tree of Life”, kommt. Ähnlich wie C.G. Jung (1875–1961) – der den Prozess seelischer Individuation in seinen Untersuchungen über die Trennung und Zusammensetzung der seelischen Gegensätze in der Alchemie (Zürich 1955) in Anlehnung an Beschreibungen einer “unio mystica” mittelalterlicher Mystiker Mysterium Coniunctionis nannte – betrachtete Crowley die Begegnung mit dem “Holy Guardian Angel” als eine mystische Vereinigung des Bewusstseins mit dem unbewussten Bereich der menschlichen Psyche. Crowley glaubte, dass das Unbewusste die zentrale Essenz oder Kraft menschlichen Lebens beinhalte – den “Willen” –, dessen Realisierung als Beschwörung und Kontaktaufnahme mit dem “Holy Guardian Angel” imaginiert wird. Daher bestand das Ziel seines magischen Systems in der bewussten Integration, in der “Hochzeit”, von Bewusstem und Unbewusstem. In diesem Punkt sind Crowleys Überlegungen und Angaben teilweise widersprüchlich, denn in manchen Texten betrachtet er den “Holy Guardian Angel” – ebenso wie die paganen Götter – nicht als symbolisierte Manifestationen psychischer Kräfte, sondern als externe und vom menschlichen Bewusstsein unabhängige göttliche Entitäten: The great exception is the Holy Guardian Angel; and this as I have shown in another letter is for exactly the same reason; He is a Person, a macrocosmic Individual. (We do not know about his birth and so on; but that is because he is, so to speak, a private God; he only appears to the world at all through some reference to him by his client; for instance, the genius or Augoeides of Socrates).104

Crowleys Konzept der Kontaktaufnahme mit dem sog. “Holy Guardian Angel” mit dem Ziel einer mystischen Vereinigung des bewussten und des unbewussten Teils der menschlichen Psyche spiegelt die Entwicklungen moderner psychologischer bzw. psychoanalytischer Konzeptionen, die eng miteinander verbunden sind, wider: Auf der einen Seite steht die Psychologisierung des “Heiligen” und auf der anderen Seite die “sacralization of psychology”105. In diesem Sinne ist Crowleys “Magick” eine individuelle Psychologie persönlichen Wachstums und unterscheidet sich wenig von den von Nietzsche angestoßenen und vor allem von Sigmund Freund (1856–1939) und C.G. Jung entwickelten psychologischen Implikationen persönlichen Wachstums. Was Crowley von den genannten allerdings radikal unterscheidet, ist neben seiner Überbetonung des “Willens”, vor allem der Fokus auf der Praxis einer schrankenlosen Sexualität im Kontext einer dramaturgisch-komplexen magischen Ritualistik, die durch den Gott Dionysos als “Holy Guardian Angel” der psychischen Kräfte des Unbewussten repräsentiert bzw. emblematisch imaginiert wird (Crowley bezeichnet den Gott auch das “Eidolon”, “image” oder

104 105

Crowley 1954 (wie Anm. 4), Chapter LXXVI: “The Gods: How and Why they Overlap”; zitiert nach online: https://hermetic.com/crowley/magick-without-tears/mwt_76 (Stand: 10.02.2017). Hanegraaff 2016 (wie Anm. 13), 402.

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“Reflexion”106 des “Holy Guardian Angel”). Um diese dionysische Emblematisierung und Imagination des Unbewussten zu verdeutlichen, beginnt Crowley sein Hauptwerk Magick. Liber ABA. Book Four mit einer poetischen Beschwörung des Gottes Pan, also, in Crowleys Terminologie107, mit der Beschwörung des Gottes Dionysos (“... as Bacchus”): ephrix erõti periarchés d' aneptoman iõ iõ pan pan õ pan pan aliplankte, kyllanias chionoktypoi petraias apo deirados phanéth, õ theõn choropoi anax Thrill with lissome lust of the light, O man ! My man ! Come careering out of the night Of Pan ! Io Pan . Io Pan ! Io Pan ! Come over the sea From Sicily and from Arcady ! Roaming as Bacchus, with fauns and pards And nymphs and styrs for thy guards, On a milk-white ass, come over the sea To me, to me, Come with Apollo in bridal dress (Shepherdess and pythoness) Come with Artemis, silken shod, And wash thy white thigh, beautiful God, In the moon, of the woods, on the marble mount, The dimpled dawn of of the amber fount ! 106 107

Crowley 1954 (wie Anm. 4), Chapter I: “The Principles of Ritual”; zitiert nach online: https://hermetic.com/crowley/book-4/chap1 (Stand: 10.02.2017). Es kommt vor, dass Crowley im selben Kontext von “Pan” und “Dionysus” oder “Bacchus” spricht, letztlich aber de facto nur einen Gott bzw. eine Kraft beschreibt. Albert Henrichs wies mich darauf hin, dass Crowleys terminologische Widersprüchlichkeit allerdings der Widersprüchlichkeit des Gottes Dionysos und dessen ‘schwärmender Sphäre’ bereits in antiken Quellen entspricht, in denen die Anrufung des Pan ein Verweis auf die “Präsenz des Dionysischen” ist; Albert Henrichs, «Warum soll ich denn tanzen?» Dionysisches im Chor der griechischen Tragödie [= Lectio Teubneriana IV], (Stuttgart, Leipzig 1996), 45. Auffällig ist dennoch die Radikalität, mit der Crowley dezidiert nicht zwischen dionysischer und anderen Formen der Ekstase unterscheidet, sondern jede Form menschlicher Ekstase für ihn dionysisch bzw. panisch zu sein scheint. Doch ebenso wie die Nicht-Unterscheidung zwischen Pan und Dionysos scheint Crowley auch in diesem Punkt weniger einen modernen als vielmehr einen ‘antiken’ Standpunkt zu vertreten. Denn wie Renate Schlesier umfangreich herausarbeitete, scheinen bereits die antiken Griechen “alle Formen rauschhafter Seligkeit, die den Menschen über sich selbst hinaustreiben, einschließlich der rauschhaften und halluzinatorisch aufgeladenen Erotik, mit der spezifisch dionysischen, und damit einer partikular griechischen, Ekstase verbunden” zu haben; Renate Schlesier, “Der bakchische Gott”, in: idem (ed.), A different God? Dionysos and Ancient Polytheism (Berlin 2011), 199. Dagegen Eliade 1957, 370, der die dionysische Ekstase streng von anderen Formen der Ekstase unterscheidet: “Betont sei, daß die Heilkundigen, Wahrsager und Ekstatiker, die man mit den Schamanen zusammenbringen könnte, keine Beziehung zu Dionysos aufweisen. Der Strom der dionysischen Mystik scheint eine ganz andere Struktur zu haben”. Zu Dionysos in der Antike vgl. Renate Schlesier, “Dionysos in der Unterwelt. Zu den Jenseitskonstruktionen der bakchischen Mysterien”, in: Ralf von den Hoff, Stefan Schmidt (eds.), Konstruktionen von Wirklichkeit. Bilder im Griechenland des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. (Stuttgart 2001), 157–172; idem, “L’extase dionysiaque et l’histoire des religions”, in: Savoirs et clinique 8/1 (2007): Extase et littérature, 181–188; idem, Agnes Schwarzmaier (eds.), Dionysos. Verwandlung und Ekstase [= Ausstellungskatalog Pergamonmuseum Berlin], (Regensburg 2008). Zu Dionysos in der Moderne vgl. Max L. Baeumer, Dionysos und das Dionysische in der antiken und deutschen Literatur (Darmstadt 2006); Oliver Leege, Walter F. Ottos Studie »Dionysos. Mythos und Kultus«. Antike Forschung und moderne Kultur [= Diskurs Religion. Beiträge zur Religionsgeschichte und religiösen Zeitgeschichte XI], (Würzburg 2016).

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Dip the purple of passionate prayer In the crimson shrine, the scarlet snare, The soul that startles in eyes of blue To watch thy wantonness weeping through The tangled grove, the gnarled bole Of the living tree that is spirit and soul And body and brain -come over the sea, (Io Pan ! Io Pan !) Devil or god, to me, to me, My man ! my man ! Come with trumpets sounding shrill Over the hill ! Come with drums low muttering From the spring ! Come with flute and come with pipe ! Am I not ripe ? I, who wait and writhe and wrestle With air that hath no boughs to nestle My body, weary of empty clasp, Strong as a lion, and sharp as an aspCome, O come ! I am numb With the lonely lust of devildom. Thrust the sword through the galling fetter, All devourer, all begetter; Give me the sign of the Open Eye And the token erect of thorny thigh And the word of madness and mystery, O pan ! Io Pan ! Io Pan ! Io Pan ! Pan Pan ! Pan, I am a man: Do as thou wilt, as a great god can, O Pan ! Io Pan ! Io pan ! Io Pan Pan ! I am awake In the grip of the snake. The eagle slashes with beak and claw; The gods withdraw: The great beasts come, Io Pan ! I am borne To death on the horn Of the Unicorn. I am Pan ! Io Pan ! Io Pan Pan ! Pan ! I am thy mate, I am thy man, Goat of thy flock, I am gold , I am god, Flesh to thy bone, flower to thy rod. With hoofs of steel I race on the rocks Through solstice stubborn to equinox. And I rave; and I rape and I rip and I rend Everlasting, world without end. Mannikin, maiden, maenad, man, In the might of Pan. Io Pan ! Io Pan Pan ! Pan ! Io Pan !108

Die Unterdrückung der Sexualität, überhaupt die allgemeine Körperfeindlichkeit des Christentums, ist für Crowley der Hauptgrund für den wiederum historisch notwendigen “Tod Gottes”,

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Aleister Crowley, “Hymn to Pan”, zuerst in: Equinox. The Review of Scientific Illuminism Vol. III, 1 (Detroit/MI 1919); nachgedruckt in: Crowley 2000 (wie Anm. 100), 121.

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welcher in Crowleys – von Nietzsche beeinflusster – historischen Imagination den “Tod des großen Pan” spiegelt: Durch die Opferung bzw. die ‘philosophische’ Tötung des christlichen Gottes durch Nietzsche wird der “große Pan” für Crowley erneut zum Leben erweckt. Das Narrativ vom “Tod des großen Pan” markiert nicht nur die Imagination eines Wendepunktes von einer vorchristlichen und pantheistischen Welt hin zur antipaganen Religion des Christentums. Das Narrativ ist auch ein Emblem für den christlichen Versuch der Unterdrückung und Domestizierung nicht nur paganer – panisch-dionysischer – Kräfte, sondern der menschlichen Ektase und Sexualität – kurz: der Körperlichkeit überhaupt. Im 17. Kapitel seiner Schrift De defectu oraculorum berichtet Plutarch (ca. 45–125) von einem Ereignis, welches in späteren Jahrhunderten als paradigmatisch für den Untergang der antiken Götterkultur angesehen wurde: Dem ägyptischen Steuermann eines Schiffes, Thamus, wird beim Passieren der Insel Paxos im Ionischen Meer über das Wasser hinweg der für die gesamte Besatzung deutlich hörbare Befehl zugerufen, er solle vor der Insel Pelodes lauthals verkünden, “daß der große Pan tot ist”109. Von wo die Stimme kommt und woher sie den Namen des Steuermanns kennt, bleibt ungewiss. Nachdem sich Thamus mit seinen Mitstreitern beraten hat, beschließt er, vor besagter Insel, wie es ihm aufgetragen wurde, zu verkünden, dass der “große Pan tot ist”. Sogleich erhebt sich auf der Insel “von vielen Stimmen ein lautes Wehklagen, vermischt mit Ausdrücken der Verwunderung”110. Schon der als “Vater der Kirchengeschichte” bezeichnete Eusebius von Caesarea (ca. 260/64–339/40) deutete die Erzählung Plutarchs, die während der Regentschaft des Kaisers Tiberius (14–37) spielt, als durch die Apotheose Jesu bedingt: Durch die Menschwerdung bzw. die Geburt, das Wirken, den Tod, die Auferstehung und letztlich die Vergöttlichung Jesu Christi kam es zwangsläufig zum Tod aller alten und falschen Götter111. Dieser Deutung des Eusebius folgten die christlichen Schriftsteller der Spätantike und des Mittelalters und selbst die Intellektuellendiskurse der Renaissance und des Barock verstanden den “Tod des Pan” als symbolisches Moment für den Untergang der paganen Traditionen der Antike. Spätestens seit das

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Plutarch, Die eingegangenen Orakel, in: Karl Hoenn (ed.), Plutarch, Über Gott und Vorsehung, Dämonen und Weissagung (Zürich 1952), 126. Ebd. Zum Gott Pan in der Antike vgl.: W. H. Roscher, “Pan als Allgott”, in: Festschrift für Johannes Overbed (Leipzig 1893), 56–72; Otto Weinreich, “Zum Tod des großen Pan”, in: Archiv der Religionswissenschaft 13 (1910), 467–473; G. A. Gerhard, “Der Tod des großen Pan”, in: Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Sitzungsberichte Philos.-Hist. Klasse 6 (1915), 3–52; idem, “Zum Tod des großen Pan”, in: Wiener Studien 37/2 (1915), 323–352; idem, “Nochmals zum Tod des großen Pan”, in: Wiener Studien 38/2 (1916), 343–376; Reinhard Herbig, Pan der griechische Bocksgott. Versuch einer Monographie (Frankfurt am Main 1949); Philippe Borgeaud, The Cult of Pan in Ancient Greece (zuerst franz. Recherches sur le dieu Pan, Rom 1979), (Chicago/IL 1988); Leo Vinci, Pan. Great God of Nature (London 1993); Hans Walter, Pans Wiederkehr. Der Gott der griechischen Wildnis (München 2001).

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Christentum 380 n. Chr. zur Staatsreligion des Römischen Reiches erhoben wurde und damit gleichzeitig die Ausübung jeglicher sog. ‘heidnischer’ Religionspraxis als Verbot einherging, wurde ein weit reichender Prozess in Gang gesetzt, der die vollständige Entmythologisierung aller Lebens- und Kulturbereiche zur Absicht hatte. In seiner Konzeption des “Todes Gottes” spielte der Gott Pan für Nietzsche allerdings keine herausragende Rolle: Für ihn war Pan nur ein Teil des dionysischen ‘Schwarms’112 und der “Tod Gottes” ging nicht zwangsläufig mit einer Wiederkehr des Pan/Dionysos einher. Für Crowley hingegen, der keine Trennung zwischen Pan und Dionysos vornahm – beide sind Embleme derselben Kräfte –, ermöglichte die Tötung des christlichen Gottes die Beschwörung der alten Götter und die Freisetzung der panischen-dionysischen Kräfte zuerst innerhalb der menschlichen Psyche, danach auf gesellschaftlicher Ebene. Als eine solche – hier ebenfalls noch poetische – Beschwörung, die durch den “Tod Gottes” möglich wurde und die die Vermählung des praktizierenden Magiers mit dem Gott Pan/Dionysos zum Ziel hat, muss auch das Gedicht “DIONYSYS” aus dem Band Orpheus. A Lyrical Legend: Liber Quartus Vel Mortis (Foyers 1905) gelesen werden: I bring ye wine from above, From the vats of the storied sun; For every one of yer love, And life for every one. Ye shall dance on hill and level; Ye shall sing in hollow and height In the festal mystical revel, The rapturous Bacchanal rite! The rocks and trees are yours, And the waters under the hill, 112

Vgl. Albert Henrichs, “›Full of Gods‹: Nietzsche on Greek Polytheism and Culture”, in: Paul Bishop (ed.), Nietzsche and Antiquity: His Reaction and Response to the Classical Tradition (Rochester/NY 2004), 127: “Pan is equally irrelevant to Nietzsche’s overall argument. The paradigmatic dictum ›The great Pan is dead‹ (BT §11) quoted by Nietzsche from Plutarch, is not a true evocation of Pan as a Pre-Hellenistic divinity and a member of the Dionysiac circle. The death of Pan is adduced as a rhetorical flourish and a symbolic analogy to give weight to Nietzsche’s own aim that ›Tragedy is dead!‹”. Zur Rolle des Gottes Pan in der modernen Literatur vgl. Francois Hedelin, Des Satyres, Brutes, Monstres, et Demons (Paris 1888); W. R. Irwin, “The Survival of Pan”, in: PMLA 76 (1961), 159–167; Patricia Merivale, Pan the Goat-God. His Myth in Modern Times (Cambridge 1969); John Boardman, The Great God Pan. The Survival of an Image (London 1997); Marco Pasi, “Arthur Machen’s Panic Fears. Western Esotericism and the Irruption of Negative Epistemology”, in: Aries 7 (2007), 63–83; Aaron Worth, “Arthur Machen and the Horrors of Deep History”, in: Victorian Literature and Culture 40 (2012), 215–227; Jeffrey Michael Renye, Panic on the British Borderlands. The Great God Pan, Victorian Sexuality, and Sacred Space in the Works of Arthur Machen (Philadelphia/PA 2013); Sondeep Kandola, “Celtic Occultism and the Symbolist Mode in the Fin-de-Siècle Writings of Arthur Machen and W. B. Yeats”, in: English Literature in Transition, 1880–1920 56/4 (2013), 497–518; Susan Johnston Graf, Talking to the Gods. Occultism in the Work of W. B. Yeats, Arthur Machen, Algernon Blackwood, and Dion Fortune (New York State 2015); Jake Poller, “The Transmutations of Arthur Machen. Alchemy in ‘The Great God Pan’ and The Three Impostors”, in: Literature & Theology 29/1 (2015), 18–32; Christine Ferguson, “Reading with the Occultists: Arthur Machen, A. E. Waite, and the Ecstasies of Popular Fiction”, in: Journal of Victorian Culture 21/1 (2016), 40–55; Sarah Iles Johnston, “The Great God Pan”, in: Gnosis. Journal of Gnostic Studies 1 (2016), 218–233.

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By the might of that which endures, The holy heaven of will! I kindle a flame like a torrent To rush from star to star; Your hair as a comet’s horrent, Ye shall see things as they are! I lift the mask of matter; I open the heart of man; For I am of force to shatter The cast that hideth -Pan! Your loves shall lap up slaughter, And dabbled with roses of blood Each desperate darling daughter Shall swim in the fervid flood. I bring ye laughter and tears, The kisses that foam and bleed, The joys of a million years, The flowers that bear no seed. My life is bitter and sterile, Its flame is a wandering star. Ye shall pass in pleasure and peril Across the mystic bar That is set for wrath and weeping Against the children of earth; But ye in singing and sleeping Shall pass in measure and mirth! I lift my wand and wave you Through hill to hill of delight : My rosy rivers lave you In innermost lustral light.. I lead you, lord of the maze, In the darkness free of the sun; In spite of the spite that is day’s We are wed, we are wild, we are one.

[...]113

In seinen “Notes for an Astral Atlas”, einem Appendix (III) zum dritten Kapitel (“Magick in Theory and Praxis”) seines Hauptwerks Magick. Liber ABA. Book Four, sieht Crowley nun konkret den Gott Dionysos als eine Manifestation des “Holy Guardian Angel”, d.h., des göttlichen “Willens” im Menschen und als Hüter der menschlichen Psyche: The Magician may therefore be confident that Spiritual Beings exist, and seek the Knowledge and conversation of His own Holy Guardian Angel with the same ardour as that of FRATER PERDURABO [i.e. Crowley] when He abandoned all: love, wealth, rank, fame, to seek Him. Nay, this he must do or condemn himself to be torn asunder by the Maenads of his insensate impulses; he hath no safety save he himself be Bacchus! Bacchus, divine and human! Bacchus, begotten on Semele of Zeus, the adulterous Lord of Thunder ravishing, brutally, his virginal victim! Bacchus, babe hidden from hate in the most holy of holies, the secret of thy sire, in the Channel of the Star-Spate, Where of one Serpent is thy soul! Bacchus, twy-formed, man-woman, Bacchus, whose innocence tames the Tiger, while yet thy horns drip blood upon thy mouth, and sharpen the merriment of wine to the madness of murder! Bacchus, Thy thyrsus oozes sap; thine ivy clings to it; thy Lion-skin slips from thy sleek shoulders, slips from thy lissome loins; drunk on delight of the godly grape, thou knowest no more the burden of the body and the vexation of the spirit.114 113 114

Aleister Crowley, Orpheus. A Lyrical Legend: Liber Quartus Vel Mortis (Foyers 1905); Neudruck: Aleister Crowley, Orpheus. A Lyrical Legend (Austin/TX 2008), 181–182. Crowley 2000 (wie Anm. 100), 499ff.

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Diese komplexe Imagination des Gottes Dionysos (bzw. “Bacchus”) ist für Crowley mit der Beschwörung des Gottes innerhalb der menschlichen Psyche gleichzusetzen: Durch diese Imagination und Invokation des Gottes “inspiriert” und ‘penetriert’ (“He appears to us and floods our consciousness with the light of His divinity”115) dieser die Psyche des Magiers: Come, Bacchus, come thou hither, come out of the East; come out of the East, astride the Ass of Priapus! Come with thy revel of dancers and singers! Who followeth thee, forbearing to laugh and to leap? Come, in thy name Dionysus, that maidens be mated to God-head! Come, in thy name Iacchus, with thy mystical fan to winnow the air, each gust of thy Spirit inspiring our Soul, that we bear to thee Sons in Thine Image!116

Das Ziel dieser sprachlichen Beschwörung ist die Freisetzung von Wahnsinn (“Hymn to Pan”, s.o.: “Give me ... the word of madness and mystery”) und die damit einhergehende Auflösung der Psyche bzw. des Verstandes des Magiers: Diese radikale Auflösung der Psyche des Adepten kommt dem Sparagmos, der Zerreißung der Psyche durch die frei gesetzten Kräfte des Unbewussten, die durch die wahnsinnigen Begleiterinnen des Gottes, die Mänaden (von gr. Μαινάδες, “die Wahnsinnigen/Rasenden”; von gr. µανία, “Raserei”, “Wahnsinn”), personalisiert werden, gleich. Die zu zerreißende Psyche wird von Crowley als “Pentheus” imaginiert, des Königs von Theben, der in der Tragödie Die Bakchen des griechischen Dichters Euripides (480–406) von im Gebirge schwärmenden Mänaden – aus dem sog. “Schwarm” (von gr. θίασος, “Verein”, “Gemeinschaft”) des Gottes Dionysos – zerrissen wird: Verily and Amen! Let not the Magician forget for a single second what is his one sole business. His uninitiated “self” (as he absurdly thinks it) is a mob of wild women, hysterical from comprehended and unstated animal instinct; they will tear Pentheus, the merely human king who presumes to repress them, into mere shreds of flesh; his own mother, Nature, the first to claw at his windpipe! None but Bacchus, the Holy Guardian Angel, hath grace to be God to this riot of maniacs; he alone can transform the disorderly rabble into a pageant of harmonious movements, tune their hyaena howls to the symphony of a paean, and their reasonless rage to self-controlled rapture. It is this Angel whose nature is doubly double, that He may partake of every sacrament. He is at once a God who is drunken with the wine of earth, and the mammal who quaffs the Blood of God to purge him of mortality. He is a woman as he accepts all impulses, are they not His? He is a man to stamp Himself upon whatever would hallow itself to Him. He wields the Wand, with cone of pine and ivy tendrils; the Angel creates continually, wreathing His Will in clinging beauty, imperishably green. The Tiger, the symbol of the brutal passions of man, gambols about its master's heels; and He bestrides the Ass of Priapus; he makes his sexual force carry him whither He wills to go.117

Dass Die Bakchen des Euripides für Crowely nicht nur das Bildmaterial für seine magischen Imaginationen liefern, sondern von ihm als eine konkrete Beschreibung der Beschwörung des Dionysos gelesen wurden, wird aus einem Kommentar im ersten Kapitel von Magick Without

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Crowley 1954 (wie Anm. 4), Chapter I: “The Principles of Ritual”; zitiert nach online: https://hermetic.com/crowley/book-4/chap1 (Stand: 10.02.2017). Crowley 2000 (wie Anm. 100), 499ff. Ebd.

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Tears deutlich: “The Bacchae of Euripides is a magnificent example of such a Ritual [i.e. of invoking any Deity]”118. Diese Imaginationen und Beschwörungen sind verknüpft mit einer Fülle konkreter Handlungsanweisungen und einer komplexen rituellen Dramaturgie, die an Gebote und (wenige) Verbote geknüpft sind, um die psychische Transformation des Adepten durch den Gott Dionysos, durch den “Holy Guardian Angel”, erfolgreich durchzuführen. Die grundlegende Regel lautet: “There is a single main definition of the object of all magical Ritual. It is the uniting of the Microcosm with the Macrocosm. The Supreme and Complete Ritual is therefore the Invocation of the Holy Guardian Angel, or, in the language of Mysticism, Union with God”119. Im sog. “Liber Astarté” beschreibt Crowley die allgemeine Technik zur Beschwörung eines Gottes: “[...] he [i.e. the Philosophus] must for the time [of the Method] believe in his particular Deity. But let him (1) consider that this belief is only a weapon in his hands, (2) affirm sufficiently that this Deity is but an emanation or reflection or eidolon of Being beyond him [...]”120. Das Ziel der geistigen Invokation ist “Uniting Himself to a particular Deity by devotion”121. Das “image” oder “Eidolon” (gr. εἴδωλον, “Bild”, “Idol”, “Geist”, “Phantom”) des Gottes ist dabei der Ausgangspunkt der konkreten rituellen Handlung. Crowley schreibt: Let there be an image of the Deity; first, because in meditation there is mindfulness induced thereby; and second, because a certain power enters and inhabits it by virtue of the ceremonies; or so it is said, and We deny it not. Let this image be the most beautiful and perfect which the devotee is able to procure; or if he be able to paint or to carve the same, it is all the better. As for Deities with whose nature no Image is compatible, let them be worshipped in an empty shrine. Such are Brahma and Allah [...] Let this shrine be furnished appropriately as to its ornaments, according to the book 777. With ivy and pine-cones, that is to say, for Bacchus, and let lay before him both grapes and wine.122

Das Ziel dieser Beschwörung ist das “Enflaming of the Heart”: In the end shall come suddenly a great flame and a devouring, and burn thee utterly. Now of these sparks, and of these beginnings of the infinite Fire, thou shalt thus be aware. For these sparks thy heart shall leap up, and thy ceremony or meditation or toil shall seem of a sudden to go of its own will; and for the little flames this shall be increased in volume and intensity; and for the beginnings of the Infinite Fire thy ceremony shall be caught up unto ravishing song, and thy meditation shall be ecstasy, and thy toil shall be a delight exceeding all pleasure thou hast ever known.123

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Crowley 1954 (wie Anm. 4), Chapter I: “The Principles of Ritual”; zitiert nach online: https://hermetic.com/crowley/book-4/chap1 (Stand: 10.02.2017). Ebd. Aleister Crowley, “Liber CLXXV, Astarté vel Liber Berylli” [= Equinox. The Review of Scientific Illuminism Vol. I, 7 ], (Berlin 1912), 56; in: Aleister Crowley, Sex Magick, herausgegeben von Lon Milo Duquette [= The Best of the Equinox Vol. III], (San Francisco/CA, Newburyport/MA 2013), 102. Ebd. (39), 85. Ebd. (40), 86. Ebd. (50), 96.

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Zwar spricht Crowley in diesem Zusammenhang eine Warnung (“Considerations of further danger to those not purged of material thought”) aus – “Let it be remembered that in the nature of love itself is danger. The lust of the satyr for the nymph is indeed the same nature as the affinity of Quicklime for water on the one hand and of the love of Ab for Ama on the other”124 – doch diese “Warnungen” sind Teil der magischen Dramaturgie, deren Ziel, der Sparagmos der Psyche, die Zerreißung bzw. Freisetzung und Neustrukturierung der psychischen Kräfte, ist: The danger of ceremonial magick — the sublest and deepest danger — is this: that the magician will naturally tend to invoke that partial being which most strongly appeals to him, so that his natural excess in that direction will be still further exaggerated. Let him, before beginning his Work, endeavour to map out his own being, and arrange his invocations in such a way as to redress the balance.125

Die Beschwörung des Gottes Dionysos ist demnach vor allem notwendig, um sich mit aller Macht aus den moralischen Strukturen der Gesellschaft und anderen psychischen Konditionierungen zu lösen: This, of course, should have been done in a preliminary fashion during the preparation of the weapons and furniture of the Temple. To consider in a more particular manner this question of the Nature of Ritual, we may suppose that he finds himself lacking in that perception of the value of Life and Death, alike of individuals and of races, which is characteristic of Nature. He has perhaps a tendency to perceive the “first noble truth” uttered by Buddha, that Everything is sorrow. Nature, it seems, is a tragedy. He has perhaps even experienced the great trance called Sorrow. He should then consider whether there is not some Deity who expresses this Cycle, and yet whose nature is joy. He will find what he requires in Dionysus […] In the case of Bacchus, one commemorates firstly his birth of a mortal mother who has yielded her treasure-house to the Father of All, of the jealousy and rage excited by this incarnation, and of the heavenly protection afforded to the infant. Next should be commemorated the journeying westward upon an ass. Now comes the great scene of the drama: the gentle, exquisite youth with his following (chiefly composed of women) seems to threaten the established order of things, and that Established Order takes steps to put an end to the upstart. We find Dionysus confronting the angry King, not with defiance, but with meekness; yet with a subtle confidence, an underlying laughter. His forehead is wreathed with vine tendrils. He is an effeminate figure with those broad leaves clustered upon his brow? But those leaves hide horns. King Pentheus, representative of respectability, is destroyed by his pride. He goes out into the mountains to attack the women who have followed Bacchus, the youth whom he has mocked, scourged, and put in chains, yet who has only smiled; and by those women, in their divine madness, he is torn to pieces. It has already seemed impertinent to say so much when Walter Pater has told the story with such sympathy and insight. We will not further transgress by dwelling upon the identity of this legend with the course of Nature, its madness, its prodigality, its intoxication, its joy, and above all its sublime persistence through the cycles of Life and Death. The pagan reader must labour to understand this in Pater's “Greek Studies”, and the Christian reader will recognise it, incident for incident, in the story of Christ. This legend is but the dramatization of Spring. The magician who wishes to invoke Bacchus by this method must therefore arrange a ceremony in which he takes the part of Bacchus, undergoes all His trials, and emerges triumphant from beyond death.126

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Ebd. (51), 97. Crowley 1954 (wie Anm. 4), Chapter I: “The Principles of Ritual”; zitiert nach online: https://hermetic.com/crowley/book-4/chap1 (Stand: 10.02.2017). Ebd.

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6. “Sex-Magick” und “Method of Dionysus” Neben den Imaginationen und Beschwörungen des Gottes Dionysos und den dramatischen Handlungsanweisungen entwickelt Crowley zur Erkenntnis und Realisierung des “Willens” ein bestimmtes Training aus geistigen und körperlichen Übungen. Anfangs experimentierte er dabei mit Yoga und Meditation nach indischem Vorbild, doch ersetzte er diese Elemente aus den tantrischen Traditionen des Hinduismus und des Mahāyāna-Buddhismus im Laufe der Zeit durch das Praktizieren von “Sex-Magick”. In seinem Tagebuch The Magical Record of the Beast 666 schreibt er 1914: This Art was communicated to me in June [1912] by the O.H.O. [“Outer Head of the Order”, i.e. Theodor Reuss, the leader of the O.T.O.]. It was practised by me in a desultory way until [1st January 1914] when I made the Experiments recorded elsewhere of the Art derived from and parallel to this. The Knowledge thus gained enabled me to make further research with more acumen and directness, so that I was able definitely to assert that I had produced certain results at will. For example, my bronchitis, which I had been most intractable was cured in a single day. I obtained money when needed. I obtained ‘sex-force and sex-attraction’ so strongly that for months after I was never at loss. Better than all, I was able to excite my art-creative power and my magical intuition so that much of the very great work done by me all this summer may be considered due entirely to this Art.127

Crowley beschreibt hier nicht nur seine eigene Entdeckung der “Sex-Magick”, sondern er spielt auch auf die traditionellen Hintergründe dieser speziellen und vor allem sehr modernen Form der Magie an. Der esoterische Zugang zur menschlichen Sexualität stand spätestens seit den auf die Individualität des Menschen abzielenden magisch-“hermetischen” Imaginationen Marsilio Ficinos (1433–1499), Pico della Mirandolas (1463–1494) und Giordano Brunos (1548– 1600) in scharfem Kontrast zu christlichen Deutungen menschlicher Sexualität, die sich in erster Linie um die Auslegung von “Sünde” und “Schuld” gruppierten. Im Sinne einer positiven und nicht auf Restriktionen fokussierten Deutung menschlicher Sexualität sahen spätere Autoren wie der Kunstsammler Richard Payne Knight (1751–1824) und der Indologe Sir William Jones (1746–1749) die vor-christlichen Religionen als Kultformen, in deren Zentrum die Verehrung der generativen Kräfte der Sonne stand: So wie die Sonne als Ursache allen Lebens im Makrokosmos gilt, so stellt der Phallus die Ursache allen Lebens im Mikrokosmos dar. Im Sinne der Hermetischen Entsprechung von Makro- und Mikrokosmos, wie sie in der Renaissance mit Rekurs auf das Corpus Hermeticum gelehrt wurde, können die Spuren dieser Universal-Religion in allen Kulturen und Religionen gefunden werden – dies glaubten zumindest Payne Knight und Jones. Wie der englische Religionswissenschaftler Joscelyn Godwin in seiner Studie The Theosophical Enlightenment (1994) zeigte, waren diese Ideen und Auffassungen

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Aleister Crowley, The Magical Record of the Beast 666 (Montreal 1972), 3.

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am Ende des 19. Jahrhunderts in Großbritannien weit verbreitet und wurden vor allem in esoterischen Kreisen ausgetauscht128. Dabei war das esoterische Verständnis der menschlichen Sexualität nicht allein auf anthropologische und religionshistorische Spekulation über vor-christliche Sonnenkulte beschränkt, sondern brachte u.a. praktische Experimente hervor, die sich als sexualmagische Rituale in neo-rosenkreuzerischen Gruppierungen wie der The Hermetic Brotherhood of Luxor verdichteten. Vor allem die Lehren des Rosenkreuzers Paschal Beverly Randolphs (1825–1875) wurden vom Ordo Templi Orientis aufgenommen. Dort wurden sie von dem Freimaurer Theodor Reuss (1855–1923) zum Zentrum des magischen Systems erhoben und vor allem ideologisch mit Inhalten indischer tantras untermauert. Für Reuss lag in der “Sex-Magick” der “Schlüssel, der alle maurer [sic! i.e. freimaurerischen] und hermetischen Geheimnisse erschließt [...] und restlos alle Rätsel der Natur, alle frei-maurerische Symbolik, und alle Religions-Systeme [erklärt]”129. Zwar spielten sexuelle Kräfte auch in den Lehren des Hermetic Order of the Golden Dawn eine gewisse Rolle, doch die Durchführung sexual-magischer Rituale war dort verboten. Nachdem Crowley in die sexuellen Mysterien des Ordo Templi Orientis initiiert wurde, begann er diese für sich zu entdecken, vor allem dadurch, dass er “Sex-Magick” als eine wissenschaftliche Methode zur Erkundung des menschlichen Unbewussten erkannte: Crowley schreibt: “If this secret of sexual magic, which is a scientific secret, were perfectly understood [...] there would be nothing which the human imagination can conceive that could not be realized in practice [...]”130. Doch in der wissenschaftlichen Legitimation zur Erkundung der eigenen Sexualität liegt in erster Linie ein psychologischer Mechanismus verborgen, den Foucault “Scientia sexualis” nannte: Wissenschaft als Legitimationsinstanz zur Erkundung menschlicher Sexualität, eine Form von kultureller Übertragung, in der die einstmals oberste gesellschaftliche Legitimationsinstanz der Religion durch die Wissenschaft ersetzt wird, es genau genommen nur zu einer Interpretations- und somit Machtverschiebung kommt. Doch die Anwendung sexueller Praktiken in magischen und religiösen Ritualkontexten ergänzte sich außerordentlich mit Crowleys Prinzipien des Thelema. Weder die beschriebenen kulturpsychologischen Implikationen noch die Sensationsgier der Öffentlichkeit, die sich auf jeden neuen von Crowley inszenierten SexSkandal stürzte, hinderten ihn daran, seine Experimente fortzuführen und in der Sexualität nicht nur die zentrale Eigenschaft des menschlichen Daseins zu sehen, sondern auch die profundeste 128 129 130

Vgl. Joscelyn Godwin, The Theosophical Enlightenment (Albany/NY 1994). Theodor Reuss, “Mysteria Mystica Maxima”, in: Jubilæums-Ausgabe der Oriflamme (Berlin 1912), 21, zitiert nach Bogdan 2006 (wie Anm. 10), 221. Crowley 1979 (wie Anm. 15), 767.

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Quelle magischer Imagination und künstlerisch-schöpferischer Kraft. Dass er durch diese Haltung den Zorn der Öffentlichkeit weiter provozierte, kam ihm sehr gelegen und inspirierte ihn zu weiteren Provokationen, die die zum Teil schockierten Reaktionen der Öffentlichkeit und die skandalöse Reputation, die Crowley als schattenhafter Begleiter durch die Berichte der großen europäischen Zeitungen folgte, erklären. Dass er und seine Schüler als “a blasphemous sect whose proceedings lend themselves to immortality of most revolting character”131 beschrieben wurde, bestärkte ihn nur noch mehr in seinem Bild einer Gesellschaft, deren in seinen Augen heuchlerischer Charakter und deren Unterdrückung der Sexualität den Hauptgrund für die gewalttätigen Ausschreitungen wie die des Ersten Weltkrieges bildeten: The feeling that [sex] is shameful and the sense of sin cause concealment, which creates distortion, neurosis and ends in explosion. We deliberately produce an abscess and wonder why it is full of pus ... why it bursts in stench and corruption. The Book of the Law solves the sexual problem completely. Each individual has an absolute right to satisfy his sexual instinct […] The one injunction is to treat all such acts as sacraments.132

Während der “operation” – wie Crowley den eigentlichen Akt der “Sex-Magick” nannte – muss der Performer seinen “Willen” auf ein spezielles Objekt richten. Dieses Objekt kann völlig beliebig sein, beispielsweise kann es eine abstrakte Kraft wie die Inspiration, Dichtung zu verfassen, sein. Wichtig ist es, mentale Bilder zu erschaffen, die die ekstatische Natur des sexualmagischen Rituals stimulieren. In Ritualen, deren Ziel es beispielsweise war, Geldquellen hervorzurufen, imaginierte Crowley “showers of Gold”, die sich im Moment des Orgasmus’ über ihn ergießen sollten. Crowley versuchte die Grenzen des normativen Bewusstseins zu überschreiten und in Bereiche vorzudringen, die diesem Bewusstsein normalerweise unzugänglich sind. Dazu musste der mentale Zustand des Praktizierenden während der “operation” mit ekstatischen Gefühlen und Energien aufgeladen (“energized”) werden, die durch den Orgasmus freigesetzt werden. In Analogie zur dionysischen Emblematisierung des Sparagmos der Psyche bezeichnet Crowley diesen Prozess der “Energetisierung” detailliert in seinem technischen Artikel “Energized Enthusiasm” (1913): The Greeks say that there are three methods of discharging the Lyden jar of Genius. These three methods they assign to three Gods. These three Gods are Dionysus, Apollo, Aphrodite. In English: wine, woman and song.133

Bereits Crowleys Verwendung des Begriffs “Enthusiasm” (von gr. ἐνθουσιασµός, “Besessenheit durch einen Gott”) deutet u.a. auf einen spezifisch dionysisch-ekstatischen Kontext: die

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“Report on the Rites of Eleusis: An Amazing Sect”, in: The Looking Glass vom 29. Oktober, 1910; zitiert nach online: http://www.tomegatherion.co.uk/news.htm#rites (Stand: 10.02.2017). Crowley 1979 (wie Anm. 15), 874f. Crowley 1913/2013 (wie Anm. 31), (23), 33.

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göttliche Inbesitznahme oder Besetzung einer Person durch den Gott Dionysos bzw. durch den Wein, den dieser repräsentiert. Crowley beschreibt drei Methoden, die in ihrer Gesamtheit als “Energized Enthusiasm”, “the lever that moves God”134 bilden und zu einer göttlichen Besessenheit führen: The music will create a general harmony of the brain, leading it in its own paths; the wine affords a general stimulus of the animal nature; and the sex-excitement elevates the moral nature of the man by its close analogy with the highest ecstasy.135

Die sprachliche Beschwörung des Gottes Pan/Dionysos, wie sie u.a. in den beiden Gedichten “Hymn to Pan” und “DIONYSYS” zum Ausdruck kommt, wird durch die Berauschung bzw. Vergiftung (“intoxication of the soul”136) mit Wein, die sog “method of Dionysus”137, verstärkt: “the wine affords a general stimulus of the animal nature”138 Diese individuelle “Energetisierung”, die unterschiedliche Zielsetzungen haben kann, wie z.B. die Erschließung von Geldquellen, die Entwicklung künstlerischer Inspiration etc., soll allerdings auch auf gesellschaftlicher Ebene einhergehen mit der Wiederherstellung der “rites of Bacchus, Aphrodite and Apollo”139. Im Laufe der Zeit konzentrierte Crowley daher sein gesamtes magisches Bestreben auf das Praktizieren dieser sexual-magischen Praktiken. Bei der Auswahl seiner Partner und Partnerinnen war Crowley dabei wenig wählerisch, sondern ohne Umschweife promiskuitiv: Ehefrauen, Liebhaber und Liebhaberinnen, Schülerinnen und Schüler, finanzielle Unterstützer und gelangweilte Ehefrauen des europäischen Adels, Strichjungen und Prostituierte, Bekannte und Fremde – in den Worten des Book of the Law: [...] eat rich foods and drink sweet wines and wines that foam! Also, take your fill and will of Love as ye will, when, where and with whom ye will! [...] This shall regenerate the world [...]140

Allein das durch das Ritual angestrebte Ziel war entscheidend. In einem Eintrag in seinem Magical Record vom 16 Juni 1914 berichtet Crowley: 16 June 12.21 a.m. [1914] A hot night after a heavy thunderstorm. Lamplight. ‘Lilian’ a short plump young nigger whore. Object: Poetic inspiration. I was utterly tired out and could hardly perform the Operation, especially as the cucurbit [i.e. the vagina] was worthless, and I wanted either or both of two others [i.e. whores] very 134 135 136 137 138 139 140

Ebd. (22), 32. Ebd. (28), 38. Ebd. (27), 37. Ebd. (23), 33. Ebd. (28), 38. Ebd. (32), 42: “The obvious practical step to take is to restore the rites of Bacchus, Aphrodite and Apollo to their proper place”. Crowley 1909/2011 (wie Anm. 35), I, V. 51/53.

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badly. The Elexir, however, was extremely good in quality, concentrated, aromatic, and sweet. The Will was concentrated but not enthused. Result: A complete failure so far as actual poetry is concerned; but I got certain poetic ideas.141

Durch die Verbindung aus poetischer und ritueller Beschwörung des Gottes Pan/Dionysos, durch die “method of Dionysus”, die verschiedenen Berauschungen, sexual-magischen Praktiken, den psychischen Sparagmos und die Transformation der Psyche, wird der Magier letztlich zu Pan/Dionysos selbst, zum “göttlichen Kind” (i.e. Horus, Jesus Christus etc.), welches das kommende Zeitalter des Horus und somit die kommende und “regenerierte” Menschheit repräsentiert. Der Magier wird zum “göttlichen Narren”, dem aus der Fremde kommenden wahnsinnigen “troubadour”142: Drei Jahre vor seinem Tod veröffentlichte Crowley in einer kleinen Auflage von 200 Stück sein wohl berühmtestes Werk – The Book of Thoth (London 1944). Das Buch ist ein ausführlicher Kommentar zu seinem Thoth-Tarot (publ. 1969), welchen er zwischen 1938–1943 zusammen mit der Malerin Marguerite Frieda Harris (1877–1962) konzipiert hatte. Die Karte “der Narr”, höchstes der sog. “großen Arkana”, entspricht dem “gehörnten Aleph” (“which means an Ox”) des hebräischen Alphabets und der “Qabalistic Zero”, die “the equation of the Universe, the initial and final balance of the opposites”143 repräsentiert. Ein “image” dieser Karte ist der Gott “Dionysus Zagreus” bzw. “Bacchus Diphues”. Crowley schreibt: “In this card, however, the traditional form is much more clearly expressive of Bacchus Diphues, who represents a more superficial form of worship; the ecstasy characteristic of the god is more magical than mystical”144. Daran anschließend beschreibt er die “legend of Bacchus”, um den tieferen Sinn der Karte zu erklären: “The legend of Bacchus is, first of all, that he was Diphues, double-natured, and this appears to mean more bisexual than hermaphroditic. His madness is also a phase of his intoxication, for he is pre-eminently the god of the vine”. Dieser Wahnsinn des Gottes bildet “the direct connection with the card”. Und weiter: In the worship of Bacchus there was a representative of the god, and he was chosen for his quality as a young and virile, but effeminate man. In the course of the centuries, the worship naturally became degraded; other ideas joined themselves to the original form; and, partly because of the orgiastic character of the ritual, the idea of the Fool took definite shape. Hence, he came to be represented with a Fool’s cap, evidently phallic, and clad in motley, which again recalls the coat of many colours worn by Jesus, and by Joseph. This symbolism is not only Mercurial, but Zodiacal; Joseph and Jesus, with twelve brothers or twelve disciples, equally represent the sun in the midst of the twelve signs. It was only very much later that any alchemical significance was attributed to this, and that at a time when the Renaissance scholars

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Crowley 1972 (wie Anm. 127), 28. Aleister Crowley, The Book of Thoth. A Short Essay on the Tarot of the Eyptians [= Equinox. The Review of Scientific Illuminism Vol. III, 5], (London 1944); zitiert nach online: http://www.bibliotecapleyades.net/crowley/libro_thoth03.htm#0._THE_FOOL (Stand: 10.02.2017). Ebd. 56. Ebd. 56.

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made rather a point of finding something serious and important in symbols which were, in reality, quite frivolous.

Durch den Kontext des Book of the Law wird offensichtlich, dass sich Crowley hier erneut mit diesem “frivolen” Gott, dem göttlichen Kind und “Narren” als dem Agenten der Berauschung identifiziert und sich selbst als Ergebnis des psychischen Sparagmos, der Transformation durch den Gott Pan/Dionysos präsentiert. 7. “Helter Skelter”145: Wie mit Crowley umgehen? Auf literarischer Ebene lesen sich Crowleys Beschreibungen des Prinzips des Thelema mit den Anweisungen zur rituellen Praxis der “Sex-Magick” als technisch-poetologische Kommentare zur Generierung von künstlerisch-poetischer Inspiration, nach denen der kreative Prozess ein durch und durch erotisch-schöpferischer, also sowohl hervorbringender als auch empfangender Vorgang ist. Literaturhistorisch können diese Beschreibungen aber auch nicht nur als ein Beispiel der Renaissance, sondern auch als eine praxisorientierte Theorie pornographischer Imagination(en) in der Moderne betrachtet werden, denn für Crowley ist es gerade die pornographische Imagination bzw. Phantasie, die Literatur hervorbringen oder in bzw. als Literatur ausgedrückt werden kann, trotzdem oder gerade weil künstlerisch-poetische Inspiration ein Resultat sinnlich-schöpferischer Entäußerung (Schöpfung von etwas Neuem; Weggeben, Ablegen von etwas Eigenem; Selbstöffnung von innen nach außen) ist. Als pornographische Imaginationen sind Crowleys magisch-poetische Provokationen nicht nur ein – wie Susan Sontag (1933–2004) schrieb – “subversive, demotic antidote” für eine Gesellschaft, “so hypocritically and repressively constructed that it must inevitably reduce an effusion of pornography as [...] its logical expression”146. Crowleys die Grenze von Magie und Dichtung permanent alterierenden pornographischen Imaginationen sind hochgradig komplex-komponierte, individuell-subversive und vor allem ekstatische Kunstwerke dionysischer Transgression, die auf der literarischen Ebene nur vordergründing als pornographische Imaginationen (im Sinne eines hedonistischen Selbstzwecks) maskiert sind: Die sprachlichen Beschwörungen des Gottes Pan/Dionysos, der poetische Sparagmos der Psyche (des Magiers/Dichters und auch des Lesers), welcher in Crowleys sexual-magischen Performances mündet und den Sparagmos der Gesellschaft(en) antizipiert,

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Nach dem Song “Helter Skelter” der Beatles; bezeichnet bei Charles Manson das “Dionysian Age”, Jones 1994 (wie Anm. 72), 176. Susan Sontag, “The pornographic Imagination”, in: Styles of Radical Will (New York/NY 1966), 207.

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können als ein literar- und kulturhistorischer Höhepunkt (und als ein Scharnier) pornographisch-“sadistischer” und “satanischer” Werke der europäischen Literaturgeschichte gelesen werden, die niemals nur Spiegelbild der Gesellschaft sind, sondern vielmehr auch Affront und Provokation der gesellschaftlichen Werte sein wollen. John Miltons (1608–1674) Paradise Lost (London 1667) gilt als eines der ersten Werke, die die Figur des “Satans” als einen dem Menschen wohlgesonnenen Helfer auftreten lässt, der diesem sein Potenzial, die eigene Göttlichkeit – auch über die Ausübung einer feien Sexualität – realisieren zu können, bewusst macht und in der revolutionären Quintessenz “Better to reign in hell than to serve in heaven” bündelt. Diese miltonsche Quintessenz sollte berühmte Werke wie Les 120 Journées de Sodome ou l'École du Libertinage (Paris 1785; publ. 1904) des Marquis de Sade (1740–1814), William Blakes (1757– 1827) The Marriage of Heaven and Hell (1790–1793), E.T.A. Hoffmanns (1776–1822) Die Elixiere des Teufels (Berlin 1815), Percy Bysshe Shelleys Prometheus Unbound (London 1820), Lord Byrons (1788–1824) Cain (London 1821), Charles Baudelaires Les Fleurs du Mal (Paris 1857), Giosuè Carduccis (1835–1907) Inno a Satana (Bologna 1865), Les Chants de Maldoror (Paris 1874) des Comte de Lautréamont (1846–1870) und nicht zuletzt Hermann Hesses (1877–1962) Demian (Berlin 1919) – mit der “hermetischen” Quintessenz “[...] also müsse man entweder einen Gott haben, der auch Teufel sei, oder man müsse neben dem Gottesdienst auch einen Dienst des Teufels einrichten”147 – beeinflussen. Der moderne Satanismus, der sich innerhalb dieser heterodoxen Literatur entwickelte und in den Werken Crowleys mündete, um dort auf eine neue, die Kultur des 20. Jahrhunderts durchdringende, Stufe gehoben zu werden, ist eine moderne Spielart (a- oder anti-)moralisch-weltanschaulicher, philosophischtheologischer, pornographisch-sexueller, künstlerischer und vor allem subversiv-individueller Rebellion(en) und Transgression(en): Religionshistorisch wird diese Spielart auch als “Neopaganismus”148 beschrieben, der von bis in die Antike zurückreichenden Elementen panisch-dio-

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Hermann Hesse, Demian. Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend, mit einer Nachbemerkung von Volker Michels (11919), (Frankfurt am Main 2001), 109. Das weite und äußerst heterodoxe Feld des modernen Paganismus bzw. Neopaganismus, welches von antiken dionysischen und panischen Elementen durchdrungen ist und weitreichende Überschneidungen mit den Konzepten des modernen Satanismus aufweist, kann hier nur angedeutet werden; vgl. Richard Faber, Renate Schlesier (eds.): Die Restauration der Götter. Antike Religion und Neo-Paganismus (Würzburg 1986); Ronald Hutton, The Triumph of the Moon. A History of Modern Pagan Witchcraft (Oxford 1995); Wouter J. Hanegraaff, New Age Religion and Western Culture. Esotericism in the Mirror of Secular Thought (Albany/NY 1998). Zum Satanismus vgl. Peter A. Schock, Romantic Satanism. Myth and the Historical Moment in Blake, Shelley and Byron (Houndmills, New York/NY 2003); Per Faxneld, Satanic Feminism. Lucifer as the Liberator of Woman in Nineteenth-Century Culture (Farsta 2015); Massimo Introvigne, Satanism. A Social History (Leiden 2016).

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nysischer Ekstasen und Imaginationen durchdrungen ist. Repräsentiert wird dieser “Neopaganismus” durch den “gehörnten Gott” (“Bacchus ... thy horns drip blood upon thy mouth”149), einer wilden Melange aus unterschiedlichen Gottheiten und Figuren der Religionsgeschichte, wie eben Dionysos und Pan, aber auch “Satan” und “Luzifer”, die vor allem in der Kunst und Literatur der Moderne im Allgemeinen und in den Imaginationen Crowleys im Speziellen zu einer Gottheit des Rausches, der Lust, der “Natur”, der enthemmten Sinne und uneingeschränkten Körperlichkeit und als Sinnbild von Transgression, Rebellion, Anarchie und Freiheit stilisiert wird. Crowley bediente sich auch in dieser reichhaltigen Literatur, um seine dionysischemblematisierte und von Nietzsche beeinflusste Dichtung und Magie mit Provokationen der “satanischen” und “sadistischen” Literatur weiter zu radikalisieren. Wie für Nietzsche bilden der Gott Pan/Dionysos – bzw. panisch-dionysische Kräfte und Imaginationen – auch für Crowley daher die Schnittmenge vielfältiger moderner Transgressionen und Provokationen. Doch auf Grund dieses wilden Gemisches ist der Umgang mit Crowley vor allem in der wissenschaftlichen Forschung alles andere als einfach: Wie eingangs beschrieben, ist die bisherige wissenschaftliche Forschung zum Werk Aleister Crowleys überschaubar und bestenfalls bescheiden. Zwar ist Crowleys “Sex-Magick” erstaunlich häufig Gegenstand wissenschaftlichen Interesses, doch eine genaue und umfangreichere Spurensuche (zumindest detaillierter als der Umfang eines Artikels ermöglicht) der Motive und Hintergründe der “Sex-Magick” vor allem im Bereich von Nietzsches Konzept des “Dionysischen”, aber auch im Bereich moderner “satanischer” Literatur, fehlt bisher völlig. Inwiefern Crowleys religiös-politische Bestrebungen – durch welche er nach dem Vorbild Nietzsches als ein dionysischer “agent of intoxication”150 betrachtet werden muss – als “aesthetic terrorism”151 bzw. als dionysischer “Satanismus” den “ecstatic fascism” und die “politics of ecstasy”152 des 20. Jahrhunderts bis in die 70er Jahre beeinflussen sollte, wurde bisher (wenn überhaupt) nur angedeutet: E. Michael Jones Monographie Dionysos Rising. The Birth of Cultural Revolution Out of the Spirit of Music (1994) gibt in dem Kapitel “Sympathy for the Devil” einen detaillierten Überblick über die von Richard Wagner (1813– 1883) und Nietzsche angestoßene “dionysische Weltanschauung” und deren Einfluss auf die

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Crowley 2000 (wie Anm. 100), 499ff. Jones 1994 (wie Anm. 72), 175. Raschke 1990 (wie Anm. 98), 103. Richard Schechner, Public Domain. Essays on the Theater (Indianapolis/IN 1969), 228: “But this same ecstasy, we know, can be unleashed in the Red Guards or horrifically channelled toward the Nuremberg rallies and Auschwitz. There, too, at the vast extermination camps, an ecstasy was acted out. The hidden fear I have about the new expression is that its forms come perilously close to ecstatic fascism […] Are we ready for the liberty we have grasped? Can we cope with Dionysus’ dance and not end up – as Agave did – with our sons’ heads on our dancing sticks?” Vgl. Timothy Leary, The Politics of Ecstasy (Berkeley/CA 1968).

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Kultur des 20. Jahrhunderts, wobei neben Crowley und Adolf Hitler (1889–1945) auch dionysische Protagonisten der Popkultur wie Charles Manson (*1934) und Mick Jagger (*1943) als die radikalsten Vertreter eines von Nietzsche und Crowley entwickelten dionysischen “Terrorismus” auftreten: Dieser “Terrorismus” stellt für Jones eine Mischung aus okkulter Spiritualität, neopaganer Sexualität und satanischer Perversion, politisch-faschistischer Ideologie und Rassenlehre, antiker Ritualistik, entgrenzender Musik und Bewusstseinsbeeinflussung bzw. manipulation durch Rausch und Drogen unter dem Deckmantel der sexuellen Befreiung und Bewusstseinserweiterung dar. Der christlich-fundamentalistische Hintergrund dieser Analyse wird dabei allerdings mehr als deutlich, besonders dann, wenn sich Jones auf den Theologen Carl A. Raschke bezieht, dessen Buch Painted Black. From Drug Killings to Heavy Metal. The Alarming True Story of How Satanism is Terrorizing Our Communities (1990) auf das Gemisch aus “Terror” und sprichwörtlicher “Panik” verweist, welches der Autor mit dem untersuchtem Gegenstand verbindet und sich daher seiner eigenen ‘Community’ gegenüber verpflichtet fühlt, vor diesen dionysisch-“satanischen” Schrecken zu warnen: ‘Magick’ in Crowley’s sense of mastery of the world by the will, or what Nietzsche called “the will to power as art”, became extraordinarily fashionable, if only at a sophisticated and self-conscious level. Aesthetic terrorism was the notion derived from avant-garde artistic work, and applied to the occult, that power over things ultimately requires social revolution, which in turn demands a subversion of symbols […] For the supreme “knowledge of good and evil” in the occult sense to dominate over what Nietzsche dubbed “slave consciousness” of the Christian believer, a campaign of terror must be waged. Bourgeois and Christian values must be ambushed, trampled down, eviscerated, and tossed aside by creating a universal sense of the invincibility of evil. Aesthetic terrorism is a blunt instrument in the war of values. It slices to the heart of what we mean by satanism”153.

So kann auch Jones’ Untersuchung der Verbindung von Nietzsche und Crowley und deren Einfluss auf die Kultur der ‘Dionysian Sixties’ nur zu einer düsteren Diagnose dieser bzw. der Kultur überhaupt kommen: The major phenomena of our age –– AIDS, drug abuse, terrorism, skepticism [sic!] and the ruin of the universities, the destruction of high culture, especially music, the breakdown of the family, especially in the inner city –– these are all epiphenomena of the Dionysian ecstasy, which is to say, the desire for sexual liberation from constraints of the moral law that has been avidly sought for more than a hundred years now154.

Crowleys ekstatisch-dionysische Provokationen wirken bis in die Gegenwart der Forschung, indem sie nach wie vor (oder: wenn überhaupt) Forschungsergebnisse hervorbringen, die – wie es scheint – strickt Partei ergreifen müssen, für oder gegen Crowley, ein Umstand, der, wie Frank Lerch feststellte, in erster Linie darin gründet, dass Crowleys Werk mehr kommentiert als tatsächlich gelesen wird. Die beiden kurzen zitierten Beispiele verdeutlichen daher nicht nur

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Ebd. Jones 1994 (wie Anm. 72), 187.

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die unterschiedlichen und zumeist klischeehaft vorverurteilenden und tendenziösen Zugangsweisen zu Crowleys Leben und Werk, sondern spiegeln vor allem die gnostisch-dualistische Imagination Nietzsches vom unversöhnlichen Kampf des sog. “Apollinischen” und “Dionysischen” wider: hier das (“apollinische”) “Tabu”, dort die (“dionysische”) “Transgression”, hier (“christliche”) “Askese”, dort (“satanischer”) “Exzess”. Diese geistige Haltung, dieses dualistische Mindset, welches seit Nietzsche mit den Masken der Götter Apollon und Dionysos emblematisiert wird, bildet oftmals den Hintergrund für historische Analysen aller Art und lässt den kritischen Diskurs dabei meist bewusst oder unbewusst in die eine oder andere Richtung tendieren, ohne dass sich die jeweiligen Autoren dabei bewusst sind, dass sie in die Falle eines dualistischen Mindsets – also einer, wie im Falle Nietzsches, oftmals speziellen und individuellen historischen Imagination – geraten sind (und das ohne Zweifel massiven Einfluss auf Kultur und Politik des 20. Jahrhunderts ausübte). Dass die paradoxe und dynamische Struktur aus “Tabu” und “Transgression” von Crowley selbst an Hand klar definierter Feindbilder (Religion, Kultur, Gesellschaft) bewusst – und zumeist mit einer beißenden Mischung aus Ironie, Spott und Humor – inszeniert wurde, um sein auf die Transgression aller gesellschaftlichen Werte abzielendes Gemisch aus Philosophie, Dichtung und Magie zu konstruieren und zu legitimieren, um zu provozieren und zu manipulieren, um selbst Macht ausüben zu können und seine eigenen Ziele erreichen zu können, wird dabei häufig verkannt. Ob in der modernen Magie, Dichtung oder Psychologie: Nietzsches Dionysos und das sog. “Dionysische”, die “dionysische Weltanschauung” und Crowleys daraus entwickeltes Prinzip des “Holy Guardian Angel” können nicht nur einfach als Chiffren ästhetischer Diskurse der Moderne beschrieben werden155. Für Crowley ist das “Dionysische” nach Nietzsche eine konkrete psychische Kraft bzw. eine psychische Realität, die mit aller Macht und mittels einer komplexen Verbindung aus dichterischer Imagination und magischer Ritualistik aus dem Korsett kulturell-psychischer Konditionierung befreit werden müsse. Die Imagination psychischer Kräfte (das Sichtbarwerden dieser Kräfte) und der künstlerische Vorgang des Emblematisierens dieser Kräfte mit Hilfe einer komplexen Götterikonographie ist zwar ein durch und durch künstlerisch-subversiver und individual-psychologischer Akt. Doch die Bedeutung des Gottes Dionysos und panisch-dionysischer Imaginationen geht für Crowley über den Aspekt magischer und dichterischer Fiktion und deren psychologischer Deutung weit hinaus. Die dionysische Berauschung ist für Crowley nur

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Roberto Sanchiño Martinez, “Dionysos – eine Chiffre der ästhetischen Moderne”, in: Renate Schlesier (ed.), A different God? Dionysos and Ancient Polytheism (Berlin, Boston/MA 2011), 513–533.

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bedingt ein simpler chemischer und bewusstseinsalterierender Prozess: Die Freisetzung psychischer Kräfte und Instinkte basiert für Crowley eher auf einem Prozess ungebundener Prinzipien und archetypsicher Entsprechungen, wie sie die magischen Systeme der Hermetik – Alchemie und Kabbala – zur Transformation physischer und psychischer Realitäten anwenden. Der poetische und magisch-rituelle Sparagmos ist daher nicht nur eine Befreiung der Psyche von den kulturellen Konditionierungs- und Unterdrückungsmechanismen des Christentums und somit eine Re-Vitalisierung der psychischen und sexuellen Kräfte des Menschen. Crowleys Arbeiten sind nicht als ein regressiv-romantisches ‘Zurück-zur-Natur’ zu verstehen, sondern als der komplexe Versuch einer – aus hermetisch-kabbalistischer Perspektive – progressiven Integration (“balance”) von Rausch und Ethik (das Gesetz des “Willens”), welche nur auf den ersten Blick relativ missverständlich als ein pubertäres, selbstbeglaubigendes oder hedonistisches Axiom einer ‘anything-goes’-Kultur, welche eine sublimierte Trinität aus ‘Sex-Drugsand-Rock’n’Roll’ anbetet, gedeutet werden kann: The danger of ceremonial Magick — the sublest and deepest danger — is this: that the magician will naturally tend to invoke that partial being which most strongly appeals to him, so that his natural excess in that direction will be still further exaggerated. Let him, before beginning his Work, endeavour to map out his own being, and arrange his invocations in such a way as to redress the balance.156

Im Sinne der Ausgleichung psychischer Kräfte durch deren Re-Vitalisierung ist der Sparagmos der Psyche aus der Perspektive des Magiers Crowley kein simpler “Wille zur Macht”, sondern vielmehr auch ein dionysischer “Wille zur Weiblichkeit” bzw. eine Auflösung der Geschlechter: It is therefore incumbent on the male magician to cultivate those female virtues in which he is deficient, and this task he must of course accomplish without in any way impairing his virility. It will then be lawful for a magician to invoke Isis, and identify himself with her; if he fails to do this, his apprehension of the Universe when he attains Samadhi will lack the conception of maternity. The result will be a metaphysical and — by corollary — ethical limitation in the Religion which he founds. Judaism and Islam are striking examples of this failure.157

Dass ein solcher “Wille” von christlich geprägten Autoren aus einer dualistischen Perspektive als “satanisch” gebrandmarkt wird, ist also nur verständlich, denn dass Crowleys ekstatische Rebellion gegen Christentum und Gesellschaft auch eine Rebellion gegen die geistig-kulturellen Machtkonditionierungen des christlichen Patriarchats und des gnostischen Dualismus ist, erklärt, warum Crowley die psychischen Kräfte, die es zu befreien gilt, mit den Mänaden, den wahnsinnigen Begleiterinnen des Gottes Dionysos, assoziiert158.

156 157 158

Crowley 1954 (wie Anm. 4), Chapter I: “The Principles of Ritual”; zitiert nach online: https://hermetic.com/crowley/book-4/chap1 (Stand: 10.02.2017). Ebd. Vgl. Faxneld 2015 (wie Anm. 148).

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Nur so ist zu verstehen, warum Crowley spätestens in den 1960er Jahren zum Role-model der Counterculture im Allgemeinen, der sexuellen Befreiung im Speziellen und vieler anderer erdenklicher Formen radikal-moralischer Transgressionen par excellence werden sollte. Als emblematische Figur der Transgression und als Advokat für jede erdenkliche Form von Exzess, von Sex über Drogen und – mit der posthumen Glorifizierung vor allem durch die Musik der 60er Jahre – bis zu Rock’n’Roll spukt Crowley bis heute durch die verschiedensten Ebenen der Medien- und Massenkultur. Doch seine besondere Rolle liegt nicht so sehr in seiner Bedeutung für die Counterculture oder in der quasi-religiösen Bewegung des Thelema. Vielmehr kann Crowley als ein Beispiel für den Wandel von Religiosität und Bewusstsein innerhalb der westlichen Gesellschaften betrachtet werden. Seine mal magischen, mal religiösen, mal esoterischen oder philosophischen und ästhetischen Arbeiten müssen nicht nur als ein gewichtiges religionshistorisches Beispiel für den Prozess betrachtet werden, den Wouter J. Hanegraaff als “secularized esotericism” bezeichnete, sondern auch – und hier liegt die eigentliche Bedeutung Crowleys – als Widerspiegelung vielfältiger vor allem psychologischer und erkenntnistheoretischer Diskurse der Moderne. In dieser Hinsicht muss Crowley als ein Exponent nicht nur dionysischer oder magischer Transgressionen betrachtet werden, sondern als ein moderner Wegbereiter des Prozesses, den Paul Heelas “sacralization of the self” nannte. Dabei ist der Gott Dionysos für Crowley zum einen eine Repräsentation des Prozesses, mit Hilfe der Techniken der “Sex-Magick” einen Zustand körperlicher, geistiger und psychischer Selbstbefreiung aus dem Korsett gesellschaftlich-anerkannter Moral zu erzwingen. Zum anderen ist Dionysos für Crowley eine Repräsentation einer im Kontext der viktorianischen Gesellschaft kaum repräsentierbaren Sexualität, Ekstase und Rebellion. Als advocatus diaboli einer Position, die er zu dekonstruieren wünscht, fragte Foucault in seiner Studie Sexualität und Wahrheit in Bezug auf den Status quo der Sexualität recht schelmisch und zugleich etwas hilflos: “Haben wir uns von diesen zwei langen Jahrhunderten, in denen die Geschichte der Sexualität in erster Linie als Chronik einer zunehmenden Unterdrückung gelesen werden muß, gelöst? So gut wie gar nicht, sagt man uns. Ein wenig vielleicht seit Freud”159. Wie die vorangegangene Untersuchung zeigt, kann man auf diese Frage genauso schelmisch antworten: ein wenig mehr vielleicht durch Crowley.

159

Foucault 1986 (wie Anm. 14), 13.

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