OTHERING UND ANTI-MUSLIMISCHER RASSISMUS IN DER SCHULE. IMPLIKATIONEN FÜR ENTWICKLUNGSPROZESSE UND PÄDAGOGISCHE PRAXIS

May 29, 2017 | Author: Julia Eksner | Category: Education, Race and Racism, Critical Education, Othering, Antimuslimischer Rassismus
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OTHERING UND ANTI-MUSLIMISCHER RASSISMUS IN DER SCHULE IMPLIKATIONEN FÜR ENTWICKLUNGSPROZESSE UND PÄDAGOGISCHE PRAXIS

PROF. DR. JULIA EKSNER FRANKFURT UNIVERSITY OF APPLIED SCIENCES

Ein ‘anderer’ Blick

auf Entwicklung und Bildungsverläufe

Forschung zu minorisierten Jugendlichen v.a. durch Konzepte der Migrationsforschung

Migrationshintergrund, sozioökonomisches Kapital, Bildungsstand der Eltern, Sprachkompetenz

‘Othering’ (‘Andern’,’Fremd-Machung’) als kaum beachteter Prozess in der Entwicklungs- und Bildungsforschung

Aufwachsen als ‘Muslim’ in Deutschland soziostrukturelle Marginalisierung (Disintegration) von Jugendlichen mit MH

‘neu’ hinzu kommen stereotypisierende und stigmatisierende Diskurse über ‘Muslime’

‘Muslim’: von religiöser Zugehörigkeit zu ethnisierter Zuschreibung

“Wer ist Muslim und wenn ja wie viele?” Zuschreibung der Kategorie anstatt SelbstIdentifizierung

35 % Kinder (unter 12) in Deutschland mit MH (2016)

hieraus Zuschreibung als ‘Muslim’ für spezifische Gruppen

Pan-ethnische Kategorie ‘Muslim’ umfasst diverse ethnische und religiöse Zugehörigkeiten und Orientierung Haug 2010; Spielhaus 2013

Gesellschaftlicher Kontext Mediale und populäre Diskurse zeichnen Muslime als

nicht integriert

Kultur und Werte als nicht-kompatibel

Geschlechtspraktiken nicht emanzipatorisch

fundamentalistisch und politisch radikalisiert

‘muslimische Jugendliche’ werden als einheitliche und scheinbar erkennbare Problemgruppe markiert Vertovec & Rogers 1998; Brettfeld & Wetzels 2007; Ewing 2008; Zick 2011; Inowlocki & Bernstein 2015

47/2004

Okt. 2006

Aug. 2014

Feb. 2015

Wahrnehmung von ‘Muslimen’ durch Mehrheit Islam als Bedrohung (57%)

Islam passt nicht in eine westliche Gesellschaft (61 %)

fühlen sich als Fremde im eigenen Land (40%)

Migration von Muslimen sollte gestoppt werden (24%)

Religionsmonitor Dez 2015

Anti-muslimischer Rassismus AmR als gesellschaftlich akzeptierte und “evidente” Vorurteilsstruktur

Ethnisierung (‘racialization’) von Religion (Islam) und religiöser Zugehörigkeit (Muslim)

‘Neuer Rassismus’ (Barker, 1981) / ‘kultureller Rassismus’ (Balibar, 1991)

Physische Charakteristika (Aussehen, Abstammung, Kleidung) werden als Marker einer Gruppenzugehörigkeit gesehen (‘Muslim’)

Der Gruppenzugehörigkeit werden essentialisierte Eigenschaften (‘anti-modern’, ‘fundamentalistisch’) zugeschrieben Hafez 2014; Klug 2013, 2014: Meer 2014; Modood 1997; Shooman 2014

Othering

(‘Fremd-Machung')

Die Differenzierung und Distanzierung der Gruppe, zu der man sich zugehörig fühlt, von anderen Gruppen

Anti-muslimisches Othering in der Wahrnehmung der Betroffenen

SchülerInnen, die sich als muslimisch identifizierten, finden:

Die Deutschen lehnen Muslime ab (35,9%)

Es macht mich wütend, dass nach jedem Terroranschlag als Erstes die Muslime verdächtigt werden (84,9%) Brettfeld & Wetzels 2007

Othering in der Schule Phänomenologischer Ansatz:

Wie wird Othering in der Schule durch betroffene Jugendliche erfahren?

Wie wirkt diese Erfahrung auf die Entwicklung von Jugendlichen?

“Eure Werte sind anders” Religiosität als Problem

(Nominell) säkulare Bildungsinstitutionen

Zivilisatorisches Narrativ

Der ‘Westen’ als rational, säkular, humanistisch, fortschrittsorientiert

Der ‘Orient’ als irrational, religiös, undemokratisch, und reaktionär /traditionalistisch

vs. christliche Praktiken in Gesellschaft und Institutionen fest verankert (Kalender, Wochentage, Feiertage, Symbole, Zugehörigkeit als Vorteil, keine klare Trennung von Kirche und Staat)

Salvatore 2006; Asad 2003; Habermas 2006: 2008; Mignolo 1995;2003

“Wer ist hier ein richtiger Deutscher?”

Ethnisiertes Verständnis der Staatsbürgerschaft

Transitionale ethnische Demokratie

Informelle Unterrichtspraktiken reflektieren ein ethnisiertes Narrativ

ethnische Identität = staatsbürgerliche Identität

Für Jugendliche Widersprüche zwischen Theorie des polit. Unterrichts und gelebter Erfahrung Anyon 1979; van Krieken 2000; Bloemraad et al. 2008: Lemish 2010; Faroutan et al. 2015

Mikroagressionen Im Gespräch auf das ‘anders-sein’ des/r Anderen hinweisen

“unschuldige Fragen”

nicht-hinterfragte Stereotype äußern Huber et al. 2015

Auswirkungen auf Entwicklungsprozesse Wie wirkt anti-muslimisches Othering auf das Selbstbild und Identitätsverläufe der betroffenen Jugendlichen?

Selbst und Identität im Jugendalter

“Wer bin ich?” - Zentrale Aufgabe im Jugendalter

Entwicklung von Ego-Identität und sozialen Identitäten

In heterogenen Gesellschaften: Als Mitglied von spezifischen kulturellen, ethnischen, religiösen oder politischen Gruppen Erikson 1959; Marcia 1991; Spencer et al. 2003

Stigmatisierte Identitäten Othering führt zu

Nichtverfügbarkeit sozialer Identitäten (‘Deutsch’)

Stigmatisierung verfügbarer - und zugeschriebener - sozialer Identitäten (‘Muslim’)

gelebte Erfahrung von Ausschluss und Stigmatisierung (chronischer Stressor)

Selbstwahrnehmung (Stigma/Selbstwert, Double-Consciousness/ Stereotype-Threat)

Folgen von Stigmatisierung für Entwicklungsverläufe

Soziale und institutionelle Disintegration (z.B. Zugang zu Ausbildungsplätzen und Stellen)

Verletzung des ‘sicheren Selbst’ (Ego-Identität)

Brechungen, Widersprüche, Ausschlüsse

Spencer et al. 2004; Heitmeyer & Anhut 2008

Offene Forschungsfragen Wird der Selbstwert durch Othering angegriffen?

Wird die Identitätsentwicklung angegriffen?

Führt dies zu erhöhter Vulnerabilität im weiteren Entwicklungsverlauf?

Bewältigungsstrategien der Jugendlichen

Religion und Spiritualität als stabilisierende Ressourcen (Spencer et al. 2003)

Betonung der ethnischen Identität (Anhut & Heitmeyer 2000)

politische und religiöse Radikalisierung

“Identity Seekers” (Borum 2011)

die extreme Botschaft gibt Lebenssinn und ergibt ein stabiles Selbst (Zick 2015; Kilb 2015)

Pädagogische Ansätze Prävention & Intervention

Betroffenen Jugendlichen zuhören

mediale Bilder dekonstruieren

Erfahrungen untereinander austauschen

Workshop mit SchülerInnen: “Kaum zu glauben Religionen im Gespräch” (2014)

auf Ihre Grund- und Menschenrechte hinweisen

Neue Ideen

für die pädagogische Praxis Selbstwert und Identität der betroffenen Jugendlichen ansprechen

Positive Youth Development (PYD)

Partizipation

Politische Identitäten

Diversitäts-Trainings und Sensibilisierung der LehrerInnen

Fazit AmR als gesellschaftlich akzeptierte und “evidente” Vorurteilsstruktur

anti-muslimisches Othering als Alltagserfahrung der betroffenen Jugendlichen

Offene Fragen: Beeinflusst die Erfahrung des antimuslimischen Othering die Identitätsentwicklung?

Pädagogische Praxis noch in den Anfängen

Danke eMail: [email protected]

Fazit ‘Muslimische’ religiöse Zugehörigkeit (via Zuschreibung) als leere Kategorie

Wirkungen religiöser Orientierung bisher weitgehend unerforscht

Othering und Ethnisierung als ‘Muslim’ über phänomenologische Interpretation der Betroffenen vermutlich wirksam

Forschung und Daten nötig

Viktimisierung von Muslimen

Diskriminierung und Übergriffe (60%)

Schwere körperliche Angriffe (22%)

Brettfeld & Wetzels 2007



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