Desiderate der Medienpädagogik im Umgang mit visuellen Medienkulturen – Überlegungen am Beispiel von online-Videokulturen Jugendlicher Eine sich der Komplexität des Lebens in Medienkulturen stellende Medienpädagogik bringt mit sich, dass auch die Nutzung visueller Medien im Bildungskontext reflektiert stattfindet. Die Instinkthaftigkeit, hohe Bildlichkeit, oftmals Irrationalität, Emotionalität und Lustbetontheit im subjektiven Umgang mit Bildmedien scheint zunächst ein ideales Gegenmodell zu formaler Bildungspraxis zu bieten, die eher mit Widerwille, Zwang und Kontrolle in Verbindung gebracht wird. Galt noch das Kino im pädagogischen Diskurs lange als „Ort optischer Verdummung und intellektuellen Untergangs“ (Baacke) so verhält es sich mit der medienpädagogischen Einschätzung von aktiven Nutzungsformen wie dem Erstellen von online-Videos heute gerade umgekehrt: in der individuellen Gestaltung, aktiven öffentlichen Partizipation und eigenen Programmerstellung scheint sich die medienpädagogische Konstruktion des aktiven Mediennutzers zu realisieren. In der Euphorie über diese Produktionen wird leicht übersehen, dass es sich dabei um Artefakte einer „ausgelagerten“ oder „verlängerten“ Kulturindustrie (Mirko Tobias Schäfer) oder schlicht unreflektierte Imitationen und Fortschreibungen ökonomisch orientierter Angebote handelt. Diese sind, das ist derzeit zu konstatieren, für aktuelle Online-Videokulturen kennzeichnend, welche einerseits Blüten treiben wie z. B. millionenfache „What’s in my bag“-Youtube-Videos. Demgegenüber gibt es jedoch auch eine Mashup- bzw. RemixKultur, die sich bewusst und kritisch kultureller und ästhetischer Codes in Form des Hacking (Düllo-Liebl) bedient. Jene Kultur könnte als eine Gegenbewegung zum Verschwinden der technischen Prozesse bei der Mediennutzung und zur Entmündigung der Mediennutzer/innen betrachtet werden. Erst durch die Umdeutung operativer Regeln handelt es sich hier tatsächlich um Selbstermächtigungsprozesse, Widerstand gegen technologieinduzierte Bevormundungs- und Kontrollmechanismen und ökonomisch diktierte Orientierungsrahmen. Um der präfigurierten Funktionslogik konventioneller Medienangebote, welche Rezipient/innen weitgehend passiv konsumierend betrachten, etwas entgegenzusetzen ist jedoch die Kenntnis derselben notwendig. D.h. es geht nicht darum, kulturkritische Positionen wieder beschwören zu wollen, sondern im Sinne einer medienwissenschaftlichen Informiertheit die mediale Verfasstheit von Bildungskulturen kritisch zu reflektieren und Wissen um mediale Logiken und Codes in den Vordergrund medienpädagogischen Handelns im Umgang mit visueller Kommunikation zu rücken. Dies impliziert ebenso die Auseinandersetzung mit den entsprechenden medialen Wahrnehmungskonfigurationen: die Sinneswahrnehmung als Wahrnehmung des den Menschen umgebenden Umfeldes, aber auch des vom Menschen Geschaffenen ist auch in der medienpädagogischen Praxis unabdingbar. Denn Sinneswahrnehmung ist in der Bedeutung der aistheseis eine Stufe der Erkenntnis: Wahrnehmung deutet und erklärt zugleich, versucht zu begreifen und zu fassen. Medialisierungsprozesse sind insofern Vorgänge geistiger Adaption – diese Aspekte sind in der medienpädagogischen Theorie und Praxis leider kaum berücksichtigt. Dies ist umso bedauerlicher als Fragen der Aufmerksamkeit gerade in der aktuellen Bildungspraxis dringend einer Bearbeitung bedürfen. Quellen: Dieter Baacke: Zum pädagogischen Widerwillen gegen den Seh-Sinn. Online: http://gmkblog.de/wp-content/uploads/2009/07/Dieter-Baacke-der-p%C3%A4dagogischeWiderwille-gegen-den-Sehsinn.pdf [20.11.2014] Thomas Düllo und Franz Liebl: Cultural Hacking: Kunst des Strategischen Handelns. Springer Wien u. a. 2005.
Mirko Tobias Schäfer: Spielen jenseits der Gebrauchsanweisung. Online: http://mtschaefer.net/media/uploads/docs/Spielen-jenseits-der-Gebrauchsanweisung.pdf [20.11.2014]
Dr. Petra Missomelius, Univ.Ass. Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Fakultät für Bildungswissenschaften im Arbeitsbereich Medienpädagogik und Kommunikationskultur