Unveröffentlichtes Vortragsskript zu: Wider den Sinn – Nichtsinn und Eigensinn mit Adorno. Konferenz ›non/sensus – Die Kategorie des Sinns in Literatur, Literaturwissenschaft und Philosophie‹ an der Universität Leipzig, 25.09.2015.
Stichworte: Hermeneutik – Hermetik – Sinn – Nichtsinn – Nonsense – Rätselcharakter – Rätsel – Eigensinn – Autonomie – Adorno – Ästhetik
Andrea Sakoparnig Wider den Sinn – Nichtsinn und Eigensinn mit Adorno Über den Nonsensus (den Nichtsinn) im Verhältnis zum Sensus (dem Sinn) zu sprechen … – also über den ›non/sensus‹ ganz im Sinne des Konferenztitels, mit einem Schrägstrich, der eine Beziehung, ein Verhältnis, aber auch eine Trennung, Abspaltung markiert – … ist eine Herausforderung, die sich vielleicht am besten angehen lässt, wenn man sich zumindest der größten Gefahr bewusst ist, die einem solchen Sprechen innewohnt. So droht meines Erachtens dem Nichtsinn die größte Gefahr durch Ansätze, die ihn gegen die Hegemonie des Sinns verteidigen wollen; die sein Recht vertreten, seine Marginalisierung unter der Vorherrschaft des Sinns beenden, das SinnParadigma brechen wollen; und die dadurch der Versuchung unterliegen, den Nichtsinn vom Sinn her zu bestimmen, also von dem her, was er ausgerechnet nicht ist. Zweifellos richtig versuchen sie eine Bestimmung des Nichtsinns aus seiner Beziehung zum Sinn heraus, zweifellos problematisch aber binden sie dadurch den Nichtsinn zu sehr in diese Beziehung ein, reduzieren seine Bestimmtheit ganz auf seine Beziehung zum Sinn; wohingegen, wie ich meine, es doch gälte, und das will ich mit Bezug auf Adorno zeigen, den Nichtsinn in dieser Beziehung aus der Beziehung heraus (und man muss es anders betont wiederholen: heraus) zu denken, … als etwas eigenes, selbst bestimmtes. Ich will meine These noch einmal deutlicher formulieren: Worum es mir im Folgenden geht, wäre mit Bezug auf Adorno zu zeigen, wie sich der Nichtsinn als eigenes gegen den Sinn geltend machen lässt; und das gerade dadurch, dass er zwar in seiner Beziehung zu eben jenem gedacht wird, jedoch so, dass seine Bestimmtheit nicht auf dieses In-Beziehung-Stehen reduziert werden kann.
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In einer vom Sinn aus perspektivierten Bestimmung dagegen, wird er nicht nur reduktiv gefasst, er darf auch nicht sein, was er ist, weil er im Vorhinein – im Zuge seiner Verteidigung – just auf das festgelegt wird, was er (gerade) nicht ist. Einseitig perspektivierte Bestimmungsversuche münden symptomatischerweise in rein negativen Charakterisierungen, wobei natürlich die Bestimmungen, die dann mit umgekehrten Vorzeichen den Nichtsinn charakterisieren sollen, dem Sinn (bzw. bestimmten Verständnissen von ›Sinn‹) abgerungen sind. Konkret: Wenn der Sinn das Verständliche ist, so ist der Nicht-Sinn das Un-Verständliche, wenn der Sinn das Rationale, dann der Nicht-Sinn das Irrationale, wenn der Sinn das Eindeutige, dann der Nicht-Sinn das Un-eindeutige. Sprich: Die Erläuterungen zum Nichtsinn schnurren im Grunde zusammen auf eine simple Beschreibung: Dort, wo der Sinn ist, ist der Nicht-Sinn nicht, noch nicht oder nicht mehr. Beziehungsweise: Dort, wo der NichtSinn ist, ist der Sinn nicht, noch nicht oder ebf. nicht mehr. Eine solche Bestimmung des Nichtsinns folgt meist, wie mir scheint, dem begrifflichen und argumentativen Register, das die Hermeneutik geprägt hat. Weil ›Sinn‹ eine ihrer zentralen Kategorien ist, eng verkoppelt mit der des ›Verstehens‹, wird auch der ›Nicht-Sinn‹ aufgefasst als Pendant des Sinns, wie auch das Nicht-Verstehen als ein Pendant des Verstehens. Entsprechend folgt die Logik der Bestimmung des Nichtsinns derselben Logik wie die der Bestimmung des Verstehens; Der Nichtsinn ist entsprechend – je nach hermeneutischer Position – der noch nicht »kunstgerecht« befreite, freigelegte Sinn oder der sich selbst noch nicht verstehende, um sich wissende Sinn, indem man gleichwohl trotzdem immer steht. Der Sinn wiederum ist – mehr oder minder – bei beiden/m der überwundene Nichtsinn oder der sich über sich aufgeklärt habende Sinn. Ist aber der Nichtsinn Verkehrung des Sinns, der umgekehrte oder sich zugekehrte Sinn, so ist er bloße Negation und/oder Reflexion des Sinns; weder ist er so gegen die Hegemonie des Sinns verteidigt, noch gar ist er es, der, sich freisetzend, sie bricht. Bei allem ist der Sinn selbst (und zwar auch da, wo er erst ›hergestellt‹ werden muss) immer schon – ja beinahe übermächtig – da, wenn auch im Modus (oder auch: Tempus) der Abwesenheit, des Aufgeschobenseins, der Entzogenheit; in Form der – freilich präsenten – Absenz ist der Sinn dem Nichtsinn immer teleologisch vorgeordnet. Dass dies eine unbefriedigende Vorgehensweise zur Bestimmung des Nichtsinns ist – da sie nun einmal damit endet, festzustellen, dass er ›das und das nicht‹ ist, und unterstellt, dass er in diesem ›was er nicht ist‹ ausgerechnet seine Bestimmtheit haben soll – , ist einleuchtend. Und mehr als fraglich ist, ob der Nichtsinn als ›einfach nur nicht Sinn‹ angemessen bestimmt ist. Ich denke auch an Konzeptionen, bei denen der Sinn davon lebt, dass er vom Nichtsinnigen verschoben, unterbrochen, in der Schwebe gehalten wird. Der Nichtsinn ist dann das, was dem Sinn seine »Fülle« besorgt: Denn der solchermaßen 2/11
durch das Moment des Nichtsinnigen entzogene, ausgesetzte oder verschobene Sinn ist paradoxerweise der drängendste Sinn, der das Begehren nach dem Sinn, die SinnErwartung, umso mehr entfacht, und nicht den Nichtsinn als solchen freisetzt und die Hegemonie des Sinns bricht; ganz im Gegenteil: hier wird der Nichtsinn immer in den Horizont des Sinns zurückstellt. Dies ist, wie mir scheint, nur eine der möglichen Konzeptionen, in der die Kategorie des Sinns so mächtig ist, dass sie den Nichtsinn beinah in sich aufzehrt; nah an der, die dem Nichtsinn, wie Freud dem lapsus, einen ›tieferen, wahren Sinn‹ abtrotzen will, und die den Nichtsinn kurzerhand für sinnvoll erklärt. ›Scharf‹, so scheint mir, wird alles Fragen nach dem Nichtsinn jedoch erst da, wo es den Nichtsinn als mehr und anderes auffasst als nur ›nicht Sinn, kein Sinn, UnSinn‹, noch-nicht-Sinn‹ (sprich: als Absenz, Negation oder Privation des Sinns). Ich will also fragen nach der Relation zwischen Sinn und Nichtsinn, und der Bedeutung dieser Relation für die Bestimmung und Bestimmtheit des Nichtsinns. Deutlicher noch: Ich will fragen nach einer anderen Möglichkeit der Bestimmung des Nichtsinns. Generell, so möchte ich anmerken, steht für mich im Hintergrund, die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von Bestimmung und Bestimmtheit; also nach dem Verhältnis zwischen dem ›wie wir etwas bestimmen in dem, was es ist‹, zu dem, ›was es ist‹; d.h. anzusprechen ist das Problem, dass sich die Weise des Bestimmens selbst daraufhin befragen muss, ob sie dem, was sie bestimmen will, in seiner Bestimmtheit gerecht wird; und diese nicht vielmehr gerade durch die Bestimmungsweise verdeckt. Mit Adorno, so denke ich, lässt sich das angehen. Mit ihm kann man den Nichtsinn aus seiner Beziehung zum Sinn heraus verstehen, jedoch ohne ihn auf diese Beziehung zu reduzieren. Das bedeutet mit Adorno die Bestimmtheit des Nichtsinns so zu denken, dass sie mit dieser Beziehung zu tun hat, also dass der Nichtsinn seine Selbstbestimmtheit nicht jenseits dieser Beziehung einfach ›hat‹, jedoch dieser auch nicht verdankt. Den Nichtsinn aus der Beziehung zum Sinn heraus zu denken, also sowohl in der Beziehung als auch ›in ihr‹ außer ihr stehend, bedeutet, den Nichtsinn als etwas aufzufassen, das sich einerseits ›als Nichtsinn‹ nur durch die Beziehung auf den Sinn geltend macht (also Geltung verschafft), jedoch nicht Nichtsinn ist, weil es in dieser Beziehung steht, sondern weil es gerade außer ihr steht. Das stellt den Anspruch, die Perspektive zu ändern: Wir dürfen nicht an den Nichtsinn herantreten und sagen: er steht in einer (negativen) Beziehung zum Sinn und hat daher (und darin) seine Bestimmtheit, sondern wir müssen sagen: Er tritt allererst in seiner eigenen Bestimmtheit in die – wie auch immer infolge zu charakterisierende – Beziehung zum Sinn; der Nichtsinn tritt also als das, was er selbst ist, in eine Beziehung zum Sinn; und
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wird nicht das, was er ist, durch die Beziehung zum Sinn – diese Perspektivveränderung scheint mir von immenser Bedeutung. Und genau eine solche unternimmt meiner Meinung nach Adorno mit seiner Erläuterung des Nichtsinns, bzw. des ästhetischen Eigensinns. Der Eigensinn ist das, was aus der Perspektive all unserer Vermögen, ›Sinn zu konstituieren‹, und Adorno denkt hier vor allem an begriffliche, und wie er es nennt, ›identifizierende‹ Praktiken, als nicht sinnhaft, unsinnig, widersinnig, absurd, rätselhaft und unverständlich erscheint. Der Nichtsinn ist also eine Erscheinungsweise des ästhetischen Eigensinns im Horizont des Sinns, genauer noch: im Horizont bestimmter Verständnisse von Sinn und damit verbundener Praktiken des ›Sinn-Machens‹. Ein solcher Eigensinn manifestiert sich für Adorno in der Erfahrung von Kunstwerken; genauer in der Erfahrung ihres Rätselcharakters. Der Eigensinn wird erfahren als Paradoxon – , dass nämlich Kunstwerke zwischen dem, wie Adorno es nennt, »Nicht-sich-verstehen-Lassen und dem Verstanden-werden-Wollen« (ÄT, 448) changieren – und ebendies zu reflektieren ist es, was Adorno der Ästhetik ins Stammbuch schreibt, wenn er formuliert, dass Kunstwerke »von der Ästhetik [nicht] als hermeneutische Objekte zu begreifen« wären, sondern, »zu begreifen wäre, auf dem gegenwärtigen Stand, ihre Unbegreiflichkeit.« (ÄT, 179). Ich will diesem Satz, dieser Aufgabenbeschreibung der Ästhetik, nachgehen; und zwar weniger, um die Gestalt der Ästhetik, die sich aus solch einer Konturierung ergibt, zu diskutieren, als um der für mich interessanten Konzeption des Verhältnisses von Nichtsinn/Sinn und Eigensinn willen. Zunächst ist dieser Satz in seiner ganzen Paradoxalität zu entfalten, seiner Selbstverständlichkeit zu entkleiden. Was heißt es, Kunstwerke a) nicht als ›hermeneutische Objekte‹ aufzufassen, b) sondern vielmehr als ›unbegreifliche‹? c) sie mehr noch als solche – als Unbegreifliche – zu ›begreifen‹, d.h. auf den Begriff zu bringen und d) was bedeutet die Wendung ›auf dem gegenwärtigen Stand‹? Und schließlich, wie lässt sich der Gedanke von der Unbegreiflichkeit der Kunstwerke, die zu begreifen wäre, als Konturierung eines spezifischen, gegen das Sinn-Primat gerichteten Verständnisses von Nichtsinn verstehen? Also wie lässt sich der ästhetische Eigensinn als Nichtsinn wider den Sinn geltend machen? Ad a) Ganz offensichtlich ist das Verdikt dagegen, Kunstwerke als ›hermeneutische Objekte‹ aufzufassen, eine gegen die zeitgenössische Hermeneutik gerichtete Polemik. Adorno denkt hier zweifellos an Heidegger und Gadamer – und damit an eine Hermeneutik, die den Anspruch impliziert (oder explizit formuliert), Kunstwerke nicht nur als an das Verstehen gerichtete Objekte aufzufassen, sondern sie geradezu zu Paradigmen verstehender Praktiken zu erklären. So sind der Hermeneutik Gadamers Kunstwerke besondere Objekte, insofern als sie als ästhetische ›herme4/11
neutische Objekte‹ par excellence sind. Bei Gadamer finden wir konsequenter Weise auch Beschreibungen, die diametraler zu Adornos Auffassung nicht stehen könnten: Kunst spreche »am unmittelbarsten zu uns«, »als ob da kein Abstand wäre und alle Begegnung mit einem Werk der Kunst eine Begegnung mit uns selbst bedeutete«, heißt es in dem Aufsatz Ästhetik und Hermeneutik – für Adorno, der die ästhetische Erfahrung als »Liquidation« des Ichs begreift, als »Durchbruch von Objektivität«, als »Erschütterung« (ÄT 363), unhaltbare Beschreibungen. Ganz und gar nicht gilt für Adorno, was Gadamer dazu bringt ein Kunstwerk zum »Gegenstand der Hermeneutik« zu erklären, dass nämlich ein jedes »einen guten und aufweisbaren Sinn« hat, »dass das Kunstwerk uns etwas sagt und daß es damit als etwas, das etwas sagt, in den Zusammenhang all dessen gehört, was wir zu verstehen haben« (ebd, 3). Nein, für Adorno sind Kunstwerke konstitutiv ›rätselhaft‹; oszillieren zwischen dem »Nicht-sich-verstehen-Lassen und dem Verstanden-werden-Wollen« (ÄT, 448), ihre Logik ist »Schrift, aber eine ohne Bedeutung oder, genauer, eine mit gekappter oder zugehängter Bedeutung« (ÄT, 122); sie stehen ganz aus den sonstigen (»Verblendungs-«) Zusammenhängen heraus und: problematisieren somit die (für Adorno ohnehin ›kompromittierte‹ [ÄT. 513]) Kategorie des Verstehens (ÄT, 516) – statt Einfühlung verlange die ästhetische Erfahrung nämlich »Selbstverneinung des Betrachtenden« (ÄT, 514), statt der für Gadamer so konstitutiven Mahnung, dass die Kunstwerkerfahrung in das »Selbstverständnis […] zu integrieren« (ÄuH, 5) sei, bricht die Erfahrung eines Kunstwerks bei Adorno gerade mit diesem. Verstehen ist nicht Nachvollzug des »einheitlichen Sinn des Gesagten« (ÄuH,6.), somit auf eine »Aussage« zielend, sondern vollzieht sich (nach Adorno) »schichtenweise« (ÄT, 513) – und gemeint ist damit nicht eine Variante des hermeneutischen Zirkels. Kurz: Kunstwerke nicht als ›hermeneutische Objekte‹ zu fassen, bedeutet für Adorno, anstelle der Kategorie des Verstehens »die Reflexion des Rätselcharakters der Kunst« (ÄT, 516) zu setzen. Was aber heißt das? Ich komme zu b) Was heißt es, Kunstwerke als ›unbegreiflich‹ aufzufassen und c) mehr noch sie als solche – als ›Unbegreifliche‹ – zu begreifen? Im Grunde lassen sich die zwei Fragen gar nicht getrennt voneinander beantworten: Um Kunstwerke als ›Unbegreifliche‹ aufzufassen, muss man sie ›begreifen‹. Denn als Unbegreifliche zeigen sie sich nur gegen den Begriff, gegen die (hier muss man im Sinne Adornos einschränken: identifizierende) Begriffspraxis. Zunächst: Selbstverständlich ist, dass der Begriff sich auf Nicht-Begriffliches richtet. Das Nicht-Begriffliche gilt es schließlich auf den Begriff zu bringen. Gleichwohl ist das Verhältnis zwischen Begriff und Sache grundsätzlich prekär: »Das Einzelne ist mehr sowohl weniger als seine allgemeine Bestimmung« heißt es in der Negativen Dialektik (ND, 154). Das meint: Die Sache bleibt hinter dem zurück, was der Begriff 5/11
meint (Adorno dekliniert das an dem Begriff ›Freiheit‹ durch), aber auch der Begriff nivelliert die spezifischen Qualitäten des Konkreten, bleibt also hinter ihm zurück, indem er verallgemeinert. Gleichwohl ist das Begreifen – für den Begriff und die Sache gleichermaßen – ›bedeutend‹. Denn erst durchs Begreifen lassen sich die Widersprüche er- und ausmessen, die zwischen Begriff und Sache (ent-)stehen und die kritische Implikationen sowohl auf das entwickelte Verständnis eines Begriffs hin haben, als auch auf (seine) Realität hin (inwiefern er ›objektiv‹ ist, sich realisiert hat, um es mit Hegel zu sagen). Qua des Mediums ›Begriff‹ messen wir also aus, sowohl, wo der Begriff noch nicht ist, aber sein sollte, als auch, wie es um die und mit der Sache steht, die er bezeichnet. Die erzeugte Widersprüchlichkeit, die Kluft zwischen ›Sache‹ und ›Begriff‹, wiederum verlangt nach ihrem eigenen Begriffen-Sein. Wie steht es nun aber mit der Unbegreiflichkeit der Kunst? Wie verhält sich die ästhetische Unbegreiflichkeit zu der – mehr oder weniger – banalen Nicht-Begrifflichkeit, auf die alles Begriffliche konstitutiv bezogen ist? Dass Kunstwerke unbegreiflich sind ist zunächst eine Erfahrung. Es ist der Kern der ästhetischen Erfahrung. Kunstwerke weisen jede auf letztgültige Verbegrifflichung gehende Praxis ab. Sie entziehen sich dem kategorialen Zugriff. Grob gesagt, umschreibt Adorno ebendiese Erfahrung mit dem Begriff des Rätselcharakters. Kunstwerke geben, mit Kant gesprochen, »viel zu denken« Anlaß, »ohne daß [ihnen; Kant bezieht sich auf die Einbildungskraft] doch irgendein bestimmter Gedanke, d. i. Begriff, adäquat sein kann, die folglich keine Sprache völlig erreicht und verständlich machen kann.« (KdU, A 314/B 193). Die ästhetische Erfahrung ist dabei, das gilt für Kant und Adorno gleichermaßen, keineswegs a-begrifflich, sondern ganz im Gegenteil, sie ist grundsätzlich auf das Begreifen bezogen. Dass sie das aber ist, und warum sie das ist, so Adorno, das gilt es wiederum zu begreifen; und hier liegt die Pointe, die Adorno machen will: denn die ästhetische Erfahrung (zumindest: auch) als eine Erfahrung mit dem Begriff, eine Erfahrung, die der Begriff mit sich selbst macht, zu begreifen, bedeutet, nach Adorno, den Begriff auf sich selbst zuzuwenden; … und genau das zu tun, was Adorno in seiner Negativen Dialektik als einzige Rettung ansieht gegen die tendenziell nivellierenden Praktiken begrifflicher Identifikation: der herkömmlichen Begriffspraxis, die blind und automatisch abläuft, »Halt« zu gebieten, und daraufhin die »Richtung« (ND, 23) des Begriffs umzukehren: … und das in einem doppelten Sinne: erstens, der konkreten Sache zu, gegen die er sich »abdichtet« (ND, 23) wie Adorno sagt; solchermaßen begreifend, dass der Begriff selbst vermittelt ist durch das Nicht-Begriffliche, darin seine Bestimmtheit findet, alles in der Hoffnung, dass »[v]or der Einsicht in den konstitutiven Charakter des Nichtbegrifflichen im Begriff«, wie Adorno sagt, »der Identitätszwang, den der Begriff ohne solche aufhaltende Reflexion mit sich führt« zerginge (ND, 24). … Und zweitens, die Richtungsumkehr betreffend: der Begriff soll sich der eigenen Aporien 6/11
bewusst sein: dass er sich nämlich immer im Begreifen tendenziell an dem, was er begreifen will, vergreift. Ich kann nur kurz darauf anspielen: einen Modus begrifflicher Praxis, den Adorno als Ausweg sieht, ist der des mit Benjamin vorgezeichneten Konstellierens: sprich, von außen begrifflich umstellen, was der Begriff von innen abschneidet (Vgl. ND, 164f.) Was die ästhetische Erfahrung als Erfahrung, dass sich hier etwas gegen das ›auf den-Begriff-Bringen‹ als widerständig erweist, leistet, ist also, dass sie die Vermitteltheit des Begriffs zu denken aufgibt. Sie kehrt die Natur des Begriffs, sein Verhältnis zur Sache, hervor; und verhilft damit dem Begriff zu einer »Selbstbesinnung auf den eigenen Sinn« (ND, 24). Wie aber genau kommt es, dass Adorno ausgerechnet in Kunstwerken diejenigen Instanzen sieht, die jene »Selbstbesinnung auf den eigenen Sinn« des Begriffs anzustoßen vermögen? Diese Frage führt uns ins Zentrum der Adornitischen Ästhetik: Kunstwerke vermögen jenen Widerstand gegen den Begriff, der ihn gegen sich sich selbst zuwenden lässt, zu erzeugen, weil sie ›eigensinnig‹ sind. Kunstwerke erscheinen uns als rätselhaft, als ›irgendwie‹ an das Verstehen gerichtet (als sinnvoll oder sinnfällig) und zugleich dem Verstehen entzogen. Wie Adorno im zentralen Abschnitt zu Stimmigkeit und Sinn sagt: »Ihre immanente Logizität [kommt] dem diskursiven Denken entgegen« (ÄT, 205), und bricht doch mit dessen Kriterien. Die rätselhafte Eigensinnigkeit, auf die Adorno hiermit abhebt, kann ähnlich beschrieben werden, wie die, die uns in einschlägigen Monographien zu sogenannter Nonsense-Literatur begegnet. Allerdings hält Adorno Rätselhaftigkeit nicht für ein Charakteristikum einer bestimmten Gattung, sondern für das Charakteristikum von Kunst überhaupt. Sofern etwas Kunst ist, ist es, nach Adorno, rätselhaft. Erscheint es uns nicht als rätselhaft, haben wir es gar nicht mit Kunst zu tun (vgl. ÄT, 182). Dennoch, wir sind mit Adorno, wie gesagt, nahe an den Beschreibungen, die in Bezug auf die Nonsense-Literatur (zumal Lewis Carrolls und Edward Lears), in den letzten Jahren erarbeitet wurden: Der Nonsensus ist nicht »irrationales Spiel«, vielmehr ein »rationales Spiel mit eigenen Regeln« (Tigges, 13). Daher sollte man nicht so weit gehen, wie bspw. Foster in Poetry of Significant Nonsense (1962) und behaupten, dass man es beim Nonsense zu tun habe mit einer »völligen Abwesenheit logischen Sinns« (ebd., 16). Adorno ist vielmehr der Auffassung, dass Kunstwerke aufgrund der Beziehung der Elemente aufeinander sehr wohl Logizität ausbilden – das gerade macht sie ja sprachähnlich und lässt sie als sinnfällig, sprich: als an das Verstehen gerichtet erscheinen –; allerdings ist diese ihre Logizität »uneigentlich« (206), eine »als ob‹- Logizität (206), »Derivat der Konsequenzlogik, nicht aber mit ihr identisch« (208) – das ist der strukturlogische Kern ihres Rätselcharakters. (205). Grundsätzlich kann man sagen: Adorno fasst den Nonsense, mithin den Eigensinn, formal: Denn, im wesentlichen ist er Ergebnis einer holistischen, in sich dynamischen, komplexen 7/11
Bezogenheit aller Elemente in einem Kunstwerk aufeinander; einer durchgängigen Bezogenheit, die zu unseren gängigen, (nach Adorno) identifizierenden Bestimmungspraktiken quer steht. Denn sind wir identifizierend, analytisch ›unterwegs‹, lösen wir die einzelnen Elemente aus eben jenen Zusammenhängen, denen sie ihre Bestimmtheit verdanken: »Wähnt man die Details der Kunstwerke unmittelbar in Händen zu halten, so zerrinnen sie ins Unbestimmte und Ununterschiedene: so sehr sind sie vermittelt. [...] (155) Statt also identifizierender Analyse, durch die Kunstwerke rätselhaft werden, gilt es nachkonstruierend zu synthetisieren, also das Kunstwerk neu ›hervorzubringen‹ (Vgl. 190), nachzukonstruieren, um den Rätselcharakter zum Verschwinden zu bringen. Man fühlt sich zu Recht erinnert an Schleiermachers Fassung des Verstehens als ›Reproduktion der ursprünglichen Produktion‹, als ›Nachschaffen‹ – allerdings, und hierin unterscheidet sich Adorno vom romantischen Konzept: durchs Verstehen ist der Rätselcharakter nicht beseitigt; wir sind, wie er sagt, nur ›diesseits‹ des Rätsels (189), das uns sofort wieder heimsucht, sobald wir aus jenem nachkonsturierenden Folgen aussteigen, vermeintlich dann den ›Sinn‹ in Händen haltend, der uns jedoch sogleich durch die Finger ringt. Sprich: »Durchs Verstehen […] ist der Rätselcharakter nicht ausgelöscht.« (185) Deshalb wäre für Adorno das wirkliche Verstehen, das, das sowohl immanent die Logizität des Kunstwerks nachvollzieht, als auch das, das gewissermaßen von außen, die in solch einem Nachvollzug wiederum rätselhafte Selbstverständlichkeit, reflektiert – was aber eben nicht bedeutet, den Rätselcharakter (im gewöhnlichen Sinne) aufzulösen, sondern gerade umgekehrt: »den Grund seiner [des Rätsels] Unlösbarkeit angeben« (185). Freilich, die Konsequenz, die Adorno ziehen muss: das Verstehen zerfällt in zwei Sphären: die unmittelbare Erfahrung, die allerdings ihre Erfüllung »erst durch die Theorie hindurch [erfährt], welche die Erfahrung reflektiert.« (185). Dabei wäre zu bedenken, dass Kunstwerke nach Adorno nicht nur strukturell, »ihrer Komposition« nach (192) rätselhaft sind, sondern ihrem Wahrheitsgehalt nach, der, denkt man die äußerste Konsequenz des Rätselcharakters, ganz radikal hinterfragt »ob Sinn selbst sei oder nicht« (193). Was Adorno zudem bestreiten würde – und darauf wollen viele Monographien im Zuge der Rehabilitierung der Nonsense-Literatur, die lange ›nur‹ als Kinderliteratur galt, hinaus – der Nonsensus, der Eigensinn der Kunst ist ›unserer‹ Logik nicht ebenbürtig; nein: er steht vielmehr quer zu ihr; und hat gerade darin sein kritisches Potential. Die ästhetische Logizität zeigt sich nämlich in einer anderen Weise: Sie kehrt den »Schein von Unvermeindlichkeit, der [ihr, der Logik…] in der Realität eignet«, ihre »Willkür« hervor. (208), im äußersten Fall »suspendieren« Kunstwerke (gerade die, die gewissermaßen ›hyper-logisch‹ sind, und deshalb geradezu ›absurd‹ erscheinen; und: Adorno hat ihr sicher Beckett im Sinn) die »eigene Logizität«, ja machen »am Ende« wie Adorno meint, »deren Suspension zu ihrer Idee« (208). Auch müsste 8/11
man Tigges Bestimmung aus An Anatomy of Literary Nonsense, »Nonsense kreiert die Illusion von Autonomie« (Tigges, 20) vom Kopf auf die Füße stellen: der Nonsense kreiert nicht die Illusion von Autonomie, sondern ist ihr Ergebnis. Freilich, das will ich nur nebenbei bemerken: Adornos formale Erläuterung der Logik ästhetischen Eigensinns ist in problematischer Weise bezogen auf die Idee eines geschlossen Zusammenhangs – und zwar selbst da noch, wo er mit Bezug auf die gegenwärtige künstlerische Produktion von ›offenen Formen‹ (212) spricht. Daher auch die Probleme, die Adorno mit den Performances, Happenings seiner Zeit, aber auch dem Jazz grundsätzlich hat. Worauf ich jedoch an dieser Stelle noch hinweisen will: Eine solche Bestimmung der ästhetischen Eigensinnigkeit rückt das anfangs erwähnte Verhältnis von Bestimmtheit und Bestimmung, das mir wichtig ist, als zu reflektierendes Problem ins Zentrum. Denn: An Kunstwerken erfahren wir, dass sie ihre Bestimmtheit nicht dadurch bekommen (oder darin haben), 1) dass wir sie ›als etwas‹ bestimmen noch 2) dadurch allein, dass sie sich gegen unser Bestimmen widerständig verhalten, sondern umgekehrt: unser Bestimmen scheitert an ihnen, weil sie in einer anderen Weise bestimmt sind als wir das – zumindest im Modus des ›herkömmlichen‹ (nach Adorno: identifizierenden), Bestimmens bestimmen könnten. Und doch: dass sie in einer besonderen, eben anderen Weise bestimmt sind, nämlich selbst bestimmt (Adorno: spricht von ›sich-Selbst-Gleichheit), fällt nur auf gegen unsere Praxis des Bestimmens, in der, wie Adorno und Horkheimer in Dialektik der Aufklärung ausführen, »nichts zugleich mit sich selber identisch sein darf.« (DA, 28). Bevor ich abschließend noch einige Worte zum Verhältnis von Sinn/Nicht-Sinn und Eigensinn sage … ad d) zuletzt noch ganz kurz zur Wendung »auf dem gegenwärtigen Stand«: In der (wohl verworfenen) Frühen Einleitung diagnostiziert Adorno eine ›Verschärfung‹ der »Frage nach der Verstehbarkeit« »gegenüber der aktuellen Produktion« (ÄT, 516). Zu denken wäre hier zuallererst an die ›neue Musik‹, aber auch an die in den 60er Jahren schwelende Diskussion um die sogenannte ›hermetische Literatur‹, zumal die hermetische Lyrik, die geradezu zum Paradigma der Moderne ausgerufen wurde (so der Untertitel eines Sammelbandes der Forschungsgruppe ›Poetik und Hermeneutik‹). Zu denken wäre aber auch – und das nimmt das Kernmotiv der Tagung auf – an Künstler, die die ›Krise des Sinns‹ reflektieren. Denn dass der bisher besprochene Eigensinn, auch wenn er aus der Perspektive unserer herkömmlichen Logiken des ›Sinnmachens‹ negativ als Nichtsinn erscheint, als rätselhaft, oder absurd, doch auch als sinnhaft oder sinnvoll gefasst werden muss, kann nur durch solche Poetologien kritisch reflektiert werden, die auch noch die Zerstörung solcher durch den ästhetischen Zusammenhang sich immer einstellender Sinnhaftigkeit angehen: Ador9/11
no führt Cages 4’33 und Becketts Dramen an. Dabei kämpfen auch sie mit der Dialektik, die sie einzuholen droht: dass auch die Kunstwerke, die die Negation von Sinn reflektieren, um eben dies zu tun, einen Sinnzusammenhang herstellen müssen, der »ausdrückt, daß kein Sinn sei, und dadurch in bestimmter Negation die Kategorie des Sinns bewahrt« (235). Abschließend aber: Wozu führen uns die Überlegungen Adornos? Was sagen sie über das Verhältnis von Sinn und Nichtsinn qua Eigensinn? Folgen wir Adorno ist der Nichtsinn nicht einfach ›nur‹ kein Sinn, Abweisung von Sinn, sondern die Behauptung von sich als Eigensinn. Als Nichtsinn erscheint solcher Eigensinn auch konsequenterweise nur gegen bestimmte ›Vorstellungen von Sinn, bestimmte Praktiken des Sinn-Machens, für Adorno: aus der Perspektive einer ›identifizierenden‹ Bestimmungspraxis; jedoch: der ästhetische Eigensinn kann nicht auf diese Perspektive reduziert werden, unter der er zunächst erscheint. Er ist mehr. Er ist nicht gleichbedeutend mit seinem ›wider-‹; Er erscheint ›nur‹ in diesem ›wider‹. Er braucht aber, just um sich als eigener zu zeigen, diese Erscheinungsweise, dieses ›gegen den Sinn sein‹. Das macht ihn jedoch weder zu einem abgeleiteten, bloß bezogenen, noch einem ganz anderen. Kurz: Der eigensinnige Nichtsinn bei Adorno ist nicht durch oder als Negation von Sinn Nichtsinn, sondern Negation von Sinn kann er nur sein, weil er Eigensinn ist. Als etwas Eigenlogisches, das, obwohl es nicht ›unserer Logik‹ entspricht, aber doch (und zwar: auch uns) als logisch erscheint, stellt ein jedes Kunstwerk den Anspruch rationaler Logik, dass diese notwendigerweise soundso verfasst sein müsse, infrage; und eröffnet, wie Adorno betont, die Perspektive darauf, ›dass es auch anders sein könnte‹ (im Hinblick auf das Verständnis von Rationalität und konkreter gesellschaftlicher Praxis). Die Gegenlogik, die die Eigenlogik eines Kunstwerks vorstellt, würde aber ganz und gar unverbindlich bleiben, wenn sie einfach nur als ›andere‹, gewissermaßen ohne Anschluss, rein im Modus äußerer Kritik zu ›unserer‹ Logik stehen würde. Der Clue der ästhetischen Eigenlogik ist, dass sie es – folgen wir Adorno – vermag, immanent auf unser Bestimmen auszugreifen. Thesenhaft kann man sagen: dass Kunstwerke sich selbst bestimmen, … , dass sie sich als selbstbestimmte bestimmen, geschieht genau dadurch, dass sie unser Bestimmen bestimmen. Um die komplexe Bestimmungslogik etwas aufzulockern: Kunstwerke entfalten ihre Autonomie dadurch, dass sie die Praktiken unserer (zumal begrifflichen oder begrifflich geprägten) Verstehensvollzüge transformieren. Adorno denkt etwa daran, dass sich von der Kunstwerkserfahrung her, das, was er als mimetische Haltung bezeichnet, und was der Rationalität im Zuge des aufklärerischen Projekts abhanden kam, wiedergewinnen lässt: so müssen wir, um Kunstwerke zu verstehen, sie mimetisch, wie er sagt, nachvollziehen, ihren ›Bewegungskurven‹ folgen; uns ihnen ›ähn10/11
lich‹ machen, weil auch sie Gebilde sind, die ihre Selbstbestimmtheit dem SichSelbst-Gleichmachen verdanken (vgl. 190). Konkret bedeutet das, dass Kunstwerke die begriffliche Praxis dahingehend revidieren, dass sie zu anderen Formen und Modi begrifflicher Operationen animieren: vom eben erwähnten konstellativen Anordnen von Begriffen (also: ›von außen umstellen, was der Begriff von innen abschneidet‹) bis zum essayistischen Schreiben, ›konzentrisch um die Sache herum‹.
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