Nikanders „Theriaka“ und „Alexipharmaka“ Uebersetzt von Dr. M. Brenning. Allgemeine Medicinische Central-Zeitung 1904, pp. 112-14, 132-4, 327-30, 346-9, 368-71, 387-90. OCR-Korrektur: Melanie Schippling (Köln)
Wie wir in Dioskorides den bedeutendsten Pharmakologen des Altertums vor uns haben, so stellt Nikander mit seinen beiden Schriften „Theriaka" und „Alexipharmaka", in denen er uns ausgezeichnete Schilderungen über die Wirkungen zahlreicher Gifte tierischer und pflanzlicher Herkunft giebt und ausführlich die Behandlung der Vergiftungen bespricht, den bedeutendsten Toxikologen des Altertums dar. Niemand, der sich historisch mit der Lehre von den Giften beschäftigen will, kann daher das Studium des Nikander entbehren. Während aber fast alle bedeutenderen medicinischen Autoren des Altertums in deutschen Uebersetzungen vor uns liegen und namentlich erst kürzlich Dioskorides in᾽s Deutsche übertragen worden ist, so waren von Nikander bisher nur verschiedene lateinische Uebersetzungen, sowie eine alte französische aus dem Jahre 1570 und eine italienische von 1764 vorhanden. Alle diese tragen jedoch der Erklärung der Realien wenig oder gar keine Rechnung, so daß sie bei dem heutigen Stande der Wissenschaft eigentlich kaum mehr in Betracht kommen. Und doch ist gerade die Feststellung namentlich der im Texte erwähnten Tiere und Pflanzen, so weit dies überhaupt möglich ist, von wesentlichster Bedeutung und verursacht außerdem die größten Schwierigkeiten bei Benutzung der beiden Schriften des Nikander. Dazu kommt, daß dieselben in Versen geschrieben sind, und zwar die „Theriaka“ in 958 und die „Alexipharmaka" in 630 Hexametern, sowie daß der Stil häufig außerordentlich schwer verständlich ist. Daher habe ich mich, einer mir bereits im Jahre 1895 von Herrn Prof. Dr. L. Lewin gegebenen Anregung folgend, entschlossen, die beiden Werke des Nikander in᾽s Deutsche zu übertragen und hoffe, so nicht nur zum Verständnis dieses altgriechischen Arztes, sondern auch zur Erweiterung unserer Kenntnisse von dem Wissen und den Anschauungen des Altertums auf dem Gebiete der Toxikologie beizutragen. Doch zuvor noch einige Worte über das Leben und die Schriften des Nikander. Nikander wurde als Sohn des Damnaeus, wie er selbst angiebt, oder nach Suidas als Sohn des Xenophanes zu Kolophon in Lydien im Anfange des 2. Jahrhunderts v. Chr. geboren und brachte den größten Teil seines Lebens in dem unmittelbar bei seiner Vaterstadt gelegenen Orte Klaros zu, wo er ebenso wie sein Vater nach Angabe einiger Autoren die in seiner Familie erbliche Priesterwürde in dem Heiligtum des Apollo bekleidet haben soll. Daß er weite Reisen wie Hippokrates und Dioskorides unternommmen hat, ist unwahrscheinlich, wenn auch vermutet wird, daß er eine Zeit lang in Italien gelebt haben soll. Sicher ist, daß er in Klaros zwischen den Jahren 135 und 130 v. Chr. gestorben ist. Nikander genoß nicht nur unter seinen Zeitgenossen, sondern auch weit darüber hinaus einen großen Ruf als Dichter,
Grammatiker und Arzt; seine Vaterstadt Kolophon wurde gerühmt, weil sie zwei große Dichter, Homer und Nikander, hervorgebracht hätte. Außer über Medicin und Grammatik schrieb er noch über Landwirtschaft, Litteratur, Mythologie und Geographie; er muß also ein äußerst vielseitiger Gelehrter gewesen sein. Die meisten seiner Werke, darunter die Hauptwerke, sind leider verloren gegangen. Letztere waren die von Ovid nachgeahmten „Heteroiumena“ (Verwandlungen) in fünf Büchern und die von Vergil benutzten „Georgika“ die u. a. Cicero in seiner Schrift „De oratore“ lobend erwähnt, und von denen nur einzelne Bruchstücke bekannt sind. Vollständig erhalten sind nur seine bedeutendsten medicinischen Werke, nämlich die „Theriaka“ und die „Alexipharmaka“, von denen das erstere von giftigen Tieren und der Behandlung von deren Bissen und das zweite von Giften meist pflanzlicher Natur und von Gegengiften handelt. Zwar ist der dichterische Wert dieser beiden Werke kein besonders hoher, wenn auch das Urteil des Plutarch, daß in denselben außer dem Metrum nichts von Poesie enthalten sei, etwas zu hart sein dürfte; um so höher stehen sie dagegen hinsichtlich ihrer medicinischen, speciell toxikologischen Bedeutung, und hierin nehmen sie nach dem Urteile von A. Hirsch unter allen ähnlichen Werken jener Zeit den ersten Rang ein. Besonders anschaulich sind in den „Theriaka“ die Symptome des Schlangenbisses behandelt, worauf ich an den betreffenden Stellen noch ausdrücklich hingewiesen habe, und die Therapie der verschiedensten Vergiftungen ist in beiden Werken mit einer Ausführlichkeit behandelt, daß man wohl annehmen darf, sie enthalte alles, was bis auf Nikanders Zeit über diesen Gegenstand bekannt geworden war. Daß natürlich mit thatsächlichen Verhältnissen auch viele abergläubische Vorstellungen und Fabeln in jenen Schriften verknüpft sind, wird wohl niemanden Wunder nehmen, der mit den Anschauungen dos Altertums vertraut ist. Außerdem steht hier poetische Licenz dem Nikander zur Seite, was bei Plinius, der ja bekanntlich auf jenem Gebiete das Menschenmöglichste leistet, nicht der Fall ist. Auf philologische Fragen, besonders auf die verschiedenen Codices und Ausgaben des Nikander, sowie auf die Quellenforschung zu seinen beiden Werken näher einzugehen ist hier selbstverständlich nicht der Ort, und ich verweise dabei auf die Forschungen von M. Wellmann und von O. Schneider, welcher alle diese Fragen eingehend in seiner vortrefflichen Ausgabe der „Nicandrea“ (Leipzig 185, die auch meiner Uebersetzung zu Grunde gelegt ist, berücksichtigt hat.
Theriaka. Vers 1—7. Leicht kann ich dir, Freund Hermesianax, der du mir von allen meinen zahlreichen Verwandten der liebste bist, die Gestalten und die aus den unversehens treffenden Bissen der Tiere hervorgehenden Schäden, sowie die Mittel zur Heilung des Uebels mit Sicherheit erklären. Dich aber wird der fleißige Landmann, der Hirt und der Holzfäller, falls ihn im Walde oder beim Pflügen ein Tier mit totbringendem Zahne verletzt hat, in Ehren halten, wenn du derartige Heilmittel gegen jene Leiden kennst. Vers 8—20. Die bösartigen Spinnen sollen zugleich mit dem kriechenden Gewürm und den Schlangen und den sonstigen zahllosen schädlichen Tieren der Erde aus dem Blute der Titanen hervorgegangen sein, wenn man Hesiod aus Askra, welcher auf den Höhen des schluchtenreichen Helikon und an den Wassern des Permessus seine Lieder sang, Glauben schenken darf. Den Frostschauer hervorrufenden, mit scharfem Stachel bewehrten Skorpion jedoch ließ die titanische Jungfrau entsprießen, als sie sich anschickte dem Böotier Orion ein böses Geschick zu bereiten, weil er mit seinen Händen das unbefleckte Gewand der Göttin ergriffen hatte. Doch der Skorpion, unter einem kleinen Felsstücke lauernd verborgen, verletzte ihn unversehens am Knöchel seines kräftigen Fußes. Das Bild des Tieres aber wurde ebenso wie das des Jägers als ein leuchtendes und unbewegliches unter die Sterne versetzt, wo es in blendendem Glanze strahlt. Vers 21—34. Leicht wirst du aus Stall und Hürde alle Schlangen aufscheuchen und verjagen, magst du auf hohem Felsen oder unten auf dem Erdboden dein Lager bereiten, wenn du, fliehend vor dem glühenden Hauche des dörrenden Sommers auf den Feldern, unter freiem Himmel dich beim Anbruche der Nacht im Stroh zum Schlafe niederlegst oder an einem waldigen Hügel oder im Grunde einer Schlucht, wo das meiste Gewürm sich tummelt im Walde (in Büschen und Sträuchern und in finsteren Klüften) oder neben der glatten Fläche der Tenne oder da, wo jung sprossendes Gras die grünenden Niederungen beschattet, zur Zeit, da die Schlangen die trockene Schuppenhaut abwerfen und träge heranschleichen, wenn sie im Frühling aus ihren Höhlen kommen und sich mit stumpfsichtigen Augen umblicken, reichliches Verzehren von Fenchelsprossen sie aber wieder behende und scharfsichtig macht. Vers 35—56. Du kannst das durch sein Gift Entzündungen erregende, schädliche Geschmeiß der Schlangen vertreiben, wenn du mit vielzackigem Hischgeweih räucherst oder getrockneten Gagatstein, welchen selbst die stärkste Feuersglut nicht völlig verzehrt, verbrennst. Auch kannst du ein Blatt des vielfach zerschlitzten Farnkrautes in᾽s Feuer werfen, oder nimm dazu die scharfe Wurzel von Rosmarin, gemischt mit der gleichen Dosis Kresse; ferner wäge eine gleiche Gewichtsmenge von frischem, noch riechenden Horne eines Hirschkalbes auf der Wagschale ab und füge dazu einen gleichen Teil von stark duftendem Schwarzkümmel oder von Schwefel oder Asphalt. Oder verbrenne thracischen Stein, welcher, wenn er mit Wasser benetzt wird, brennt, jedoch erlischt, sobald auch nur so viel Oel darauf gesprengt wird, daß ein Geruch entsteht. Diesen Stein bringen Hirten vom Flusse Pontus in Thracien mit, wo fleischessende, thracische Landleute den trägen Herden folgen. Auch das stark riechende, über dem Feuer zerteilte Galbanum, Brennesseln und zersägter Wachholder, der von dem zahnreichen Blatte der Säge zerrieben ist, treiben in der Flamme einen starken Rauch und einen sich verflüchtigenden Duft hervor. Mit diesen Dingen kannst du hohle
Spalten und waldige Schlupfwinkel von Schlangen befreien, so daß du dich ruhig zu erquickendem Schlafe auf den Boden hinstrecken kannst. Vers 57—79. Wenn das aber zu viel Mühe macht, die Nähe der Nacht jedoch dich zwingt ein Lager aufzusuchen, und du dich nach Vollendung deiner Arbeit nach Ruhe sehnst, dann hole dir von den Strudeln des klüftereichen Flusses die blattreiche Wasserminze, welche sich in Menge an den Gewässern findet und sich gern von lustig dahinfließenden Strömen an deren Ufer benetzen läßt. Oder schneide einen blütenreichen Zweig ab und lege ihn über deine Lagerstätte, oder auch stark duftenden Gamander, der so unangenehm riecht; ebenso Natterkopf und Blätter vom Dost, vom Beifuß, der wild in den Bergen in weißschimmernden Schluchten blüht, oder vom weitkriechenden Quendel, welcher wurzeltreibend üppig auf feuchtem Boden wuchert und stets mit wollhaarigen Blättern versehen ist. Auch mußt du an die leuchtenden Blüten des niedrigen Alants und des Keuschbaumes sowie an den stechenden Stinkstrauch denken. Ebenso schneide dir die rauhen Schößlinge des Granat¬baumes oder auch einen jungen, langgewachsenen Sproß von Affodill ab, ferner Nachtschatten und den schädlichen Krapp, der im Frühling dem Hirten Sorgen bereitet, da die Rinder, wenn sie die Stengel davon gefressen haben, in Brunst geraten. Auch stark duftenden Haarstrang nimm, dessen Geruch die giftigen Tiere vertreibt und zurückscheucht, wenn sie dich an¬greifen wollen. Diese Pflanzen lege auf deine Lagerstätte, wo sie sich gerade auf dem Lande befindet, und stopfe sie auch in die Höhlen und Schlupfwinkel der Schlangen. Vers 80—97. Wenn du in einem irdenen Gefäße oder in einem Oelkruge Wachholderbeeren zerreibst und damit deine gelenkigen Glieder bestreichst oder wenn du die getrockneten Blätter des stark duftenden Haarstrangs oder des Bergalants in Oel zerstampfst, ebenso heilbringende Salbei und mit dem Schabmesser zerriebene Wurzeln von Silphion — oft fliehen auch die Schlangen vor dem Geruch des menschlichen Speichels — oder wenn du die Spannerraupe, die in feuchten Gärten lebt und auf dem Rücken gelbgrün ist, in ein wenig Oel zerreibst oder mit der noch nicht entfalteten Frucht der wilden Malve deine Glieder überall einsalbst, so wirst du schlafen, ohne gebissen zu werden. Ferner reibe in der Höhlung eines steinernen Mörsers zwei dicht beblätterte Zweige von Beifuß zusammen mit einem Obolus, Kresse und einer Handvoll frischer Früchte der Augenwurz und zerstampfe alles mit der Reibekeule; dann forme daraus Pastillen, lege dieselben an einen schattigen, luftigen Ort zum Trocknen, zerreibe sie darauf in einem Oelkruge und bestreiche damit sogleich deine Glieder. Vers 98—114. Wenn du zwei am Kreuzwege gefangene Vipern, welche eben in der Begattung begriffen sind, lebend mit anderen gleich aufzuzählenden Dingen in einen Kochtopf wirfst, so wirst du hierin ein Schutzmittel gegen die verderblichen Bisse finden. Zu den Schlangen füge nämlich 30 Drachmen von dem Marke eines frisch getöteten Hirsches, ferner den dritten Teil von einem Maß Rosenöl, wovon die Salbenköche eine erste, eine mittlere und eine stark ausgepreßte Sorte unterscheiden, und gieße dazu einen gleichen Teil rohes, glänzendes Olivenöl sowie den vierten Teil Wachs. Diese Dinge koche schnell in der wohlgerundeten Höhlung eines Topfes, bis das Fleisch sich am Rückgrat löst und abbröckelt; dann aber nimm eine sorgfältig gearbeitete Keule und rühre alle diese Dinge zusammen mit den Schlangen gut durcheinander; entferne jedoch davon das Rückgrat, da dieses ein verderbliches Gift enthält. Damit salbe dann deinen ganzen Körper ein, magst du auf Wanderschaft sein oder dich zur Ruhe niederlegen wollen oder im heißen Sommer nach
deiner Arbeit auf der Tenne einen hohen Haufen von Feldfrüchten aufgeschürzt mit der dreizackigen Gabel sichten. Vers 115—144. Solltest du aber auf Giftschlangen stoßen, ohne daß dein Körper durch Arzneimittel geschützt ist, und ohne daß du durch Speisen gestärkt bist, in welchem Falle die Gefahr besonders groß ist, dann kannst du letztere vermeiden, wenn du sogleich die folgenden Warnungen beherzigst. Von den Schlangen sind die Weibchen, welche sich durch ein dickeres Schwanzende des Körpers auszeichnen, besonders durch ihren Biß für diejenigen gefährlich, die ihnen begegnen; deswegen tritt hier der Tod auch schneller ein als durch den Biß der Männchen. Vor allem aber suche den verderblichen Bissen im Sommer aus dem Wege zu gehen und beachte das Aufgehen der Plejaden, welche, kleiner als die anderen Sterne, unter dem Schwanze des Stieres einherziehen und schweben. Ferner nimm dich in acht, wenn Dipsas nüchtern in den Schlupfwinkeln ihrer Höhle lauernd liegt und ihre Jungen hegt, oder wenn sie ihrer Beute nachjagt, oder wenn sie, satt von der Beute, schläfrig ihrem Lager im Walde zustrebt. Auch triff nicht das schwärzliche Männchen der Viper am Kreuzwege, während es vor dem Bisse des rußfarbenen Weibchens zu entfliehen sucht; denn dieses stürzt sich mit tötlichem Giftzahn auf das begattende Männchen, klammert sich mit den Zähnen fest und beißt den Kopf seines Gatten ab. Die jungen Schlangen aber rächen alsbald des Vaters Schmach, indem sie den dünnen Leib der Mutter durchfressen und so durch ihre Geburt die Mutter töten. Denn allein die Vipern sind schwanger von lebenden Früchten; die übrigen Schlangen legen Eier im Walde und brüten ihre schalenbedeckten Nachkommen aus. Vermeide es auch Schlangen zu treffen, wenn sie ihre runzelige Schuppenhaut abgelegt haben und, sich neuer Jugendfrische erfreuend, wieder munter umherkriechen, oder wenn sie vor den Hufen der Hirsche aus ihren Höhlen fliehen und wütend ihr lebenzerstörendes Gift auf den Menschen spritzen. Denn ganz besonders sind dem langen Gewürm Hirsche und Rehe feindlich gesinnt, und diese durchsuchen und durchstöbern alle Steinmauern, Dickichte und sonstige Schlupfwinkel der Schlangen, indem sie dabei dieselben mit dem furchtbaren Hauche ihrer Nüstern herausjagen. Vers 145—156. Auch der schneereiche, rauhe Othrys bringt verderbliche Gifttiere hervor. Dort haust in hohlen Bergschluchten, in steinigen Klüften und auf waldigen Felsen die durstige Seps . Deren Hautfarbe ist nicht immer die gleiche, sondern eine wechselnde und stets dem Orte ähnlich, wo sie ihre Höhle baut. Von diesen Tieren sind diejenigen, welche felsige Gegenden und Steinhaufen bewohnen, kleiner, aber ganz besonders reizbar; ihr Biß ist für die Menschen nicht belanglos, sondern gefährlich. Andere wieder gleichen in ihrer Hautfarbe den auf der Erde lebenden Schnecken; noch andere winden sich mit gelb-grüner Schuppenhaut in langen, schillernden Kreisen, und viele sind weiß wie der Sand, in welchem sie wohnen und sich herumwälzen. Vers 157—189. Vernimm ferner, was ich dir von der von trockenen Schuppen starrenden totbringenden Aspis sage. Diese ist die gefährlichste von allen Schlangen. (Ihr Weg ist gleichmäßig geradeaus gerichtet und in langen Windungen ihres Körpers zieht sie träge einher.) Sie hat ein schreckliches Aussehen und kriecht langsam und schwerfällig auf dem Wege dahin. Unaufhörlich blinzelt sie mit den Augen, als wenn sie schläfrig wäre; sobald sie aber ein ungewohntes Geräusch oder eine Stimme vernimmt, schüttelt sie den trägen Schlaf von ihren Augen, ringelt sich auf der Erde zu einem runden Kreise zusammen und hebt in der
Mitte desselben ihren furchtbaren Kopf in die Höhe, so daß er emporstarrt. Die Länge dieser Schlange, des tückischsten Geschöpfes, das die Erde hervorbringt, beträgt eine Klafter und ihre Dicke ist die eines Wurfspießes, den ein künstlerischer Lanzenschmied für Kämpfe mit Stieren und brüllenden Löwen anfertigt. Die Farbe des Rückens ist bald eine schmutzige, bald quittengelb und buntschillernd, bald aschgrau, bald dunkel wie die schwarze Erde von Aethiopien, die der geschwollene Nil mit seinen vielen Mündungen da, wo er sich in das Meer ergießt, als Schlamm in die See hinabspült. Zwei schwielenartige Gebilde zeigen sich an ihrer Stirn über den Augen, welche rötlich schimmernd tief unter deren Wölbung wie in einer Höhle zu liegen scheinen. Laut zischend bläht sie ihren schmutzigen Hals auf, wenn sie den ihr entgegenkommenden Wanderern auflauert und ihnen in grimmiger Wut den Tod bringt. Vier innen hohle, krumme, lange Zähne, welche das Gift enthalten, sitzen in ihren Kiefern und werden an ihrem Grunde von einer hautartigen Hülle umgeben; von hier aus wird das tötliche Gift auf die Glieder gespritzt. Auf unserer Feinde Haupt möge solch᾽ Unheil herabkommen! • Denn auf der Haut ist weder eine Bißwunde sichtbar, noch zeigt sich auf ihr eine entzündliche Schwellung, die schwer zu heilen ist, sondern ohne Schmerz geht der Gebissene zu Grunde, und tiefe Schlafsucht, führt das Ende des Lebens herbei. Vers 190—208. Nur der Ichneumon wird von dem Bisse der Aspis nicht verletzt, mag er mit ihr selbst kämpfen oder alle unheilbergenden Eier, welche die totbringende Schlange ausbrütet, auf der Erde umherstreuen und aus ihren Hüllen schütteln und zerreißen, um sie mit seinen verderblichen Zähnen unter Knirschen zu zermalmen. An Gestalt gleicht der wilde Ichneumon dem kleinen Iltis, welcher auf Mord der Hühner sinnt und dieselben von den Leitern und den Gestellen, wo sie sich ihr Nest bereiten oder die zarten Jungen hegen und unter ihrer Brust wärmen. Wenn nun der Ichneumon in den binsenreichen Niederungen Aegyptens sich zu einem grimmigen Kampfe mit den sich windenden Schlangen anschickt, so springt er schnell hinab in den Fluß, schlägt mit den Beinen den schlammigen Grund, bespritzt dadurch sogleich seine Glieder mit Kot und wälzt sich darin mit seinem kleinen Körper herum. Wenn dann die Sonne sein Haar trocknet und es für den Giftzahn undurchdringlich gemacht hat, springt er auf die Schlange zu und zerbeißt entweder den Kopf des furchtbaren, züngelnden Tieres, oder er packt es beim Schwanze und schleudert es in den mit Wasserpflanzen bedeckten Fluß. Vers 209—257. Achte ferner wohl auf die mannigfaltige Gestalt der Vipern, welche bald kurz, bald lang sind und in Europa und Asien vorkommen. Du wirst sie in beiden Erdteilen nicht gleich finden. Denn in Europa sind sie kleiner und hellfarbig und besitzen oberhalb der Nasenöffnungen hornartige Schwielen. Diese bewohnen die Scironischen Berge, die Pammonischen Höhen, die Rhypäischen Hügel, den Rabenstein und den weiß schimmernden Aselenos. Asien dagegen bringt Schlangen hervor, welche eine Klafter und mehr messen; solche leben auf dem rauhen Bukarteros, auf den steilen Felsen des Aesagees und in den Tiefen des Kerkaphos. Die Weibchen dieser Schlangen haben einen Kopf, der oben breit ist, und am Ende des Körpers schleppen sie einen kurz abgestumpften Schwanz nach, der stets von harten Schuppen starrt. In trägen Windungen schleichen sie hierhin und dorthin durch das Gebüsch. Dagegen haben alle männlichen Vipern einen spitzen Kopf und sind bald länger, bald kürzer, stets aber nach hinten zu dünner als die weiblichen Vipern; ihr Schwanz läuft hinten wie bei einer Maus spitz zu und wird am Ende des langen Körpers gleichmäßig dünner
und gleichmäßig von Schuppen gerieben. Rötlich funkeln die Pupillen ihrer Augen, wenn sie erzürnt sind, und während sie ihre gespaltene Zunge herausschnellen, winden sie die Spitze ihres Schwanzes hin und her. Den „Cocytus" der Viper nennen dieses die Wanderer. Zwei Giftzähne, welche das Gift ausspritzen, hinterlassen ihre Zeichen auf der Haut des Gebissenen. Die weibliche Viper jedoch hat deren stets mehrere; denn diese beißt mit dem ganzen Munde, und du kannst leicht auf der Haut das weit ausgedehnte Gebiß derselben wahrnehmen. Der Bißwunde entströmt eine ölartige Flüssigkeit, die bald blutig, bald farblos ist, und die Haut, die entweder eine grüngelbe oder eine rötliche oder eine bläuliche Farbe enthält, erhebt sich zu einer starken Geschwulst; bisweilen ist sie prall mit Flüssigkeit gefüllt, und es treten auf ihr zahlreiche Wasserblasen auf, welche den dünnen Brandblasen auf verbrannter Haut ähnlich sind. Faulende, fressende Geschwüre sondern teils in der Wunde selbst, teils außerhalb derselben, eine dunkele, giftige Masse ab. Ein hitziges, wie Feuer brennendes Fieber verzehrt den ganzen Körper. Kehle und Zäpfchen werden durch häufig aufeinander folgendes Schluchzen erschüttert. Auch von Schwindelanfällen wird der Körper heimgesucht, und in die Glieder und Hüften lagert sich alsbald bleierne Schwere und lähmende Mattigkeit. Auch der Kopf ist schwer und wie betäubt. Zuweilen wird von brennendem Durste die Kehle des Kranken trocken, und oft sind die Fingernägel eiskalt, und es erfaßt seine Glieder ein Frostschauer, als träfe ihn ein Hagel im Wintersturm. Oft bricht er auch galligen Mageninhalt aus, während gleichzeitig sein ganzer Körper erblaßt, und triefender Schweiß rinnt überall an seinen Gliedern herab und ist kälter als Schnee. Seine Hautfarbe ist manchmal so dunkel wie Blei, manchmal wie Bronce und bisweilen gleicht sie der braunen Kupferblüte. Vers 258—281. Gleich der Viper kannst du auch die hinterlistig angreifende Cerastes leicht erkennen. Sie erscheint nämlich von der gleichen Gestalt wie jene; nur ist die Viper hornlos, während die.Cerastes bald mit zwei, bald mit vier Hörnern versehen ist. Sie ist schmutzfarbig und schuppig und lauert fortwährend auf den Wegen im Sande oder in den Furchen der Wagenräder. Während ferner die Viper sich schnell und gerade auf dem Wege in langem Zuge ihres Leibes und in Windungen einherbewegt, wälzt sich die Cerastes mit in der Mitte schief gehaltenem Körper heran, indem sie mit ihrem rauhen Rücken auf gekrümmtem Wege ihre Bahn zieht und so einem trägen Lastschiffe gleicht, welches beim widrigen Hauche des Südwestwindes, von diesem überwältigt und zurückgestoßen, eine ganze Seite in das Meer eintaucht. Wenn sie gebissen hat, so entsteht an der unbedeutenden Bißstelle eine leichdornartige Schwiele und dunkele Blasen, denen bei einem Platzregen ähnlich und klein von Ansehen, schießen rings um die Wunde auf. Der Schmerz ist geringer als beim Bisse der Viper, und neun Tage wird unter Mühsalen derjenige leben, in welchen die verderbliche Cerastes ihren totbringenden Giftzahn geschlagen hat. Während dessen schmerzen unaufhörlich beide Leistenbeugen und Kniekehlen, und die Haut wird bleifarbig. Den Leidenden bleibt infolge ihrer Qualen wenig Lebenskraft in den Gliedern, und nur selten entrinnen sie dem Tode. Vers 282—319. Jetzt will ich dir die Merkmale der Hämorrhoos-Schlange angeben. Diese wohnt stets in Steinhöhlen und bereitet sich dort unter Dornhecken ihr rauhes, dürftiges Lager, um einen Schlupfwinkel zu haben, wenn sie sich satt gefressen hat. An Länge mißt sie einen Fuß, und ihre Breite nimmt von dem feuerstrahlenden Kopfe an allmählich ab, wie der
Schwanz einer Maus. Ihre Hautfarbe ist bald glänzend, bald dunkel. Am Halse ist sie stark eingeschnürt, und der kleine Schwanz streckt sich vom After an sehr dünn in die Länge. An der Stirn trägt sie zwei weiße Hörner, ihre Augen glänzen wie die einer Heuschrecke, und ihr Kopf starrt furchtbar und mit gewaltigem Schlunde in die Höhe. Gleichwie die Cerastes, hinkt auch sie schief mit ihrem kleinen Körper dahin und nimmt, während sie sich mit dem Bauche auf die Erde stemmt, stets von der Mitte des Rückens aus ihren Lauf. Wenn sie kriecht, verursacht sie durch ihre Schuppen ein leises Geräusch, als wenn sie durch eine Schicht Rohr kröche. An der Bißstelle tritt gleich im Anfang eine mißfarbige, schwarzblaue Schwellung auf; ein heftiger Schmerz entsteht in der Magengrube; Erbrechen und Durchfall folgen, und schon in der ersten Nacht quillt aus Nase, Mund und Ohren Blut, welches frisch mit dem galligen Gifte gemischt ist. Auch blutiger Urin wird entleert, und die Narben und Wunden am Körper brechen, durch die Trockenheit der Haut zum Bersten gebracht, wieder auf. Möge dir niemals die weibliche Hämorrhoïs ihr Gift einspritzen. Denn wenn dich diese gebissen hat, entzündet sich das ganze Zahnfleisch von Grund aus, und auch aus den Nägeln fließt Blut in Strömen, die von Blut triefenden Zähne aber fallen aus, Folgende Sage wird von der Hämorrhoos erzählt: Auf der Rückkehr von Troja ergrimmte die furchtbare Helena über jene Schlangenart, als ihre Leute, dem verderblichen Toben des Nordwindes entronnen, ihr Schiff im windungsreichen Nil verankert hatten, und der Steuermann Kanobus am Gestade der Ruhe pflegte. Dort, im Lande des Thonis, erblickte ihn nämlich eine weibliche Hämorrhoïs, welche von ihm im Schlafe gedrückt worden war, stach ihn in den Hals, spie ihr verderbliches Gift in die Wunde und machte seine Lagerstätte zu der eines Toten. Da brach ihr Helena den Leib in der Mitte auf und zerriß ihr ringsum die Rückenbänder der Wirbelknochen, so daß das Rückgrat aus ihrem Körper herausfiel. Seitdem hinken gleichsam die Hämorrhoos-Schlangen und die schief sich dahinwindenden Hornvipern als die einzigen von allen Schlangen, da sie durch den krankhaften Zustand ihres Körpers belästigt sind. Vers 320—333. Auch die Körpergestalt der Sepedo kannst du wohl erkennen. Diese ist sonst an Aussehen der Hämorrhoos ähnlich, jedoch kriecht sie geradeaus, und ihr Körper entbehrt im Gegensatze zu jener der Hörner. Die Haut zieht sich um ihren Leib so bunt wie ein zottiger Teppich herum. Ihr Kopf ist groß und schwer, ihr Schwanz dagegen erscheint beim Kriechen kurz, weil sie ihn an der Spitze zu Windungen einzieht. Der Biß der Sepedo ist schmerzhaft und tötlich. Ihr schwarzes, furchtbares Gift verzehrt den ganzen Körper, und auf der ausgetrockneten Haut schrumpft überall das Haar zusammen und wird gleich dem Federsamen von geschüttelten Disteln in alle Winde zerstreut. Denn auf dem Kopfe des gebissenen Menschen und an den Augenbrauen gehen die Haare zu Grunde, und auch an den Augenlidern schwinden die schwärzlichen Wimpern dahin. Die Glieder werden durch runde weiße Flecke verschiedener Größe entstellt, welche einen hell schimmernden Ausschlag hervorrufen. Vers 334—358. Die Dipsas wird an Gestalt stets der weiblichen Viper ähnlich sein; zwar ist sie kleiner als die letztere, aber dafür wird schneller als bei dieser der Tod über diejenigen kommen, in deren Haut sie ihr furchtbares Gebiß einschlägt. Ihr dünner Schwanz ist stets etwas dunkel gefärbt und an der Spitze schwarz. Durch ihren Biß wird das Herz durch und durch entzündet, und in hitzigem Fieber werden die unbenetzten Lippen trocken von brennendem Durste. Der Kranke aber gleicht einem Stiere, welcher, über einen Fluß gebeugt,
gierig eine maßlose Wassermenge in sich aufnimmt, bis der Magen den Nabel zerreißt und die allzu schwere Bürde ausschüttet. Folgende uralte Fabel wird unter den jungen Leuten erzählt: Als der älteste Sproß des Kronos unter seine Brüder fernhin die weitberühmten Weltreiche mit weisem Sinne verteilt und selbst die Herrschaft über den Himmel übernommen hatte, da verlieh er den Sterblichen, um sie zu ehren, als Geschenk die ewige Jugend; denn die Toren schalten bereits den Räuber des Feuers. Sie hatten indessen keinen Gewinn von ihrem Unverstande. Denn zu träge, um sich mit jenem Geschenke abzumühen, legten sie es einem Esel auf und folgten ihm. Dieser aber rannte in weiten Sprüngen, als brennender Durst ihn plagte, davon. Da erblickte er an einer Höhle mit Wasser eine totbringende Schlange und flehte sie schwanzwedelnd an, ihn seinen quälenden Durst löschen zu lassen. Jene forderte von dem Toren die Last, die er auf seinem Rücken trug, als Lohn dafür, und in seiner Not willigte er ein. Seitdem werfen die Schlangen stets ihre alte Haut ab, während die Menschen von dem lästigen Alter geplagt werden. Dagegen hat jenes verderbliche Tier von dem Esel als eine Krankheit den Durst übernommen, und seine Bisse sind darum um so qualvoller. Vers 359—371. Jetzt laß dir von der Chersydros erzählen. An Gestalt ist diese der Aspis ähnlich, ihrem Bisse aber folgen bösartige Erscheinungen. Denn die ganze Haut füllt sich rings um das Fleisch herum mit übelriechender Flüssigkeit, bricht von unten her auf und läßt die faulende Bißwunde zu Tage treten, während sie sich selbst in Fäulnis auflöst. Furchtbare, wie Feuer brennende Schmerzen überwältigen den Gebissenen, und fliegende Hitze jagt abwechselnd hier und da durch den Körper. Die Schlange verfolgt zuerst in wasserarmen Sümpfen die Frösche mit unerbittlichem Hasse, aber sobald der Sirius das Wasser zum Vertrocknen gebracht hat, und auch der Grund des Sumpfes trocken geworden ist, geht sie auf das feste Land, wo sie, schmutzig und farblos geworden, ihren furchtbaren Leib in der Sonne wärmt und, mit der Zunge zischend, auf den Wegen in trockenen Wagengeleisen auf Beute lauert. Vers 372—383. Hiernach wirst du die Amphisbäna kleiner und langsamer finden, sowie, daß sie zwei Köpfe und stets kleine Augen besitzt. Denn an beiden Enden ihres Körpers neigt sich ein abgestumpftes Kinn, das eine weit von dem anderen entfernt, nach vorn. Ihre Haut ist erdfarben und derb und trägt auf ihrer runzeligen Oberfläche buntfarbige Flecke. Die erwachsene Schlange berauben, sobald sie im Frühjahr noch vor dem Schrei des Kuckucks zum Vorschein kommt, die Holzfäller ihres Felles und wickeln es um einen Stab, den sie sich aus einem Zweige des wilden Oelbaumes geschnitten haben. So nutzt sie denen, welchen ihre Haut schwere Leiden verursacht, wenn sie von Kälte überwältigt wurden, und Frostbeulen ihre dadurch zur Unthätigkeit verurteilten Hände bedecken, und wenn die Fingergelenke ihre Kraft verloren haben und steif geworden sind. Vers 384—395. Auch die Scytale wirst du der Amphisbäna ähnlich finden an Gestalt, nur dicker und länger nach dem sonst kurzen Schwanze zu. Denn die Scytale ist so dick wie der Stiel einer Hacke, jene dagegen wie ein Spulwurm oder wie Regenwürmer, welche der Erde Schoß nach einem Regen hervorbringt. Wieviele Schlangen auch die Erde beim Anbrechen des Frühlings zum Vorschein kommen läßt, die Scytale nährt sich, wenn sie die Schluchten und Felsspalten verläßt, nicht von reichlichen jungen Trieben von Fenchelzweigen, während sie im Sonnenscheine die Haut von ihrem Körper abstreift, sondern, in Bergtälern und
Wäldern verkrochen, liegt sie dort in tiefem Schlafe verborgen und nährt sich nur gelegentlich von Erde, stillt auch ihren Durst nicht, mag sie auch noch so sehr nach Trank begehren. Vers 396—410. Lerne nunmehr den zwar kleinen, aber durch sein Gift über alle anderen Kriechtiere emporragenden Basilsk kennen. Er hat einen spitzen Kopf, eine rotgelbe Hautfarbe und eine Länge von drei Handbreiten. Sein Zischen erträgt kein schwanzbeschwertes Kriechtier der Erde, wenn es eilig der Wiese oder dem Walde oder zur Mittagszeit der Tränke zustrebt, sondern alle wenden sich zur Flucht und fliehen davon. Durch seinen Biß entzündet sich der ganze Körper, und bleifarben und schwärzlich fällt das Fleisch von den Gliedern. Kein Vogel, der über dem Leichnam seine Kreise zieht, weder Adler, noch Geier, noch der durch sein Krächzen Regen kündende Rabe, noch was man sonst in den Gebirgen an Tieren mit Namen kennt, hält an ihm sein Mahl, einen solch furchtbaren Geruch giebt er von sich. Wenn aber quälender Heißhunger sie befällt und zum Fressen zwingt, so wird den törichten Vögeln ein schnelles Verhängnis und sogleich der Tod zu Teil. Vers 411—437. Höre ferner von der verderblichen Dryinas, welche einige auch Chelhydrus nennen. Diese baut in den Waldschluchten ihr Nest in Eichen oder haust in Buchen. Außer Chelhydrus wird sie auch so lange Hydrus genannt, bis sie die Wasseralgen und Teiche und gewohnten Sümpfe verläßt und bei der Jagd nach Heuschrecken und Fröschen auf den nassen Wiesen den ungewohnten Angriff der Bremse erfährt und nun davon eilt, um sich sodann, scharf von jener bedrängt, in dem Stamme einer hohlen Buche zu verbergen und sich in der Tiefe des Baumes ein Nest zu bauen. Ihr Rücken ist schwarz wie Ruß und ihr flacher Kopf gleicht ganz dem der Hydrus. Es geht aber von ihr ein solch' widerlicher Geruch aus wie von feuchten Pferdefellen, welche in einzelnen Lederschnitten mit Messern abgeschabt werden und dabei einen fauligen Geruch verbreiten. Wenn sie in die Knöchel oder in die Ferse gebissen hat, so dringt auch von dem Körper des Verletzten aus ein erstickender Geruch durch die Luft, und rings um die Bißwunde erhebt sich eine schwarze Geschwulst. Furchtbare Schmerzen betäuben den Verstand des Kranken und sein Körper wird von trockener Hitze gepeinigt. Eitergefüllte Brandblasen bedecken die Haut, welche so ganz von dem immer weiter um sich greifenden scharfen Gifte zerfressen wird. Dunkel bedeckt seine Augen und besiegt ihn, der nicht mehr stehen kann. Manche blöken wie Schafe und scheinen zu ersticken; der Urin ist bei ihnen angehalten; bald dagegen schlafen sie wieder und schnarchen, von häufigem Schluchzen gequält, oder erbrechen gallige oder blutige Massen. Zuletzt ruft noch das Durst verursachende furchtbare Gift an dem sich im Todeskampfe quälenden Körper Zittern hervor. Vers 438—457. Durch mich belehrt, gedenke ferner des gelblichen und blauen Drachens, welchen einst Aeskulap auf dem schneereichen Pelion in einer laubreichen Buche des Pelethronischen Waldthales aufzog. Er ist glänzend schön von Aussehen. In seinem Unterkiefer sind auf jeder Seite die Zähne in drei Reihen angeordnet; unter den Augenbrauen treten weit die großen Augen hervor, und unter dem Kinn hängt stets ein goldgelber Bart herab. Selbst wenn er hochgradig erzürnt ist, verursacht er durch seinen Biß nicht solchen Schmerz wie andere Schlangen, denn von seinem feinen, blutigen Zahne erscheint die Wunde nur klein, wie die Bißwunde einer sich von Mehl nährenden Maus. Mit ihm kämpft seit alter Zeit der Vogel des Jupiter, der Adler, der grimmigen Zorn gegen ihn hegt, und führt eine heftige Fehde mit seinem Schnabel gegen ihn, sobald er ihn im Walde daherkommen sieht.
Denn er beraubt alle Nester desselben und verschlingt nicht nur die jungen Vögel, sondern auch die schon bebrüteten Eier. Auch um das Lamm und den windschnellen Hasen, den der Adler eben mit seinen Krallen ergriffen hat, bringt denselben leicht der Drache, indem er aus dem Dickicht hervorspringt. Während sie nun um die Beute kämpfen, entwischt ihnen diese, Den rings im Kreise herumfliegenden Adler aber verfolgt der Drache vergeblich und sieht ihm mit gewundenem Leibe und scheelen Blicken finster nach. Vera 458—482. Wenn du in die Schlucht der Insel des hinkenden Hephästus oder nach dem stürmereichen Samothrake kommst, welche beide fern im Thracischen Meerbusen liegen, wo der Hebrus der Rhescynthischen Hera mündet, wo, weiß von Schnee, sich die Berge von Zone erheben, wo die Eichen des Sohnes des Oeagrus rauschen, und wo die Cerynthische Höhle liegt, so wirst du ein langes Ungeheuer, die Cenchrine, finden. Diese hat man auch den buntfarbigen, rings mit punctirten Schuppen bedeckten Löwen genannt. Ihre Dicke und Länge ist sehr verschieden. Gleich nach dem Bisse überziehen den Körper schwer heilende, faulige Geschwüre, welche, vom Gifte zehrend, die Glieder zerfressen. Stets aber lagert sich Wasser unter quälenden Schmerzen in der Bauchhöhle rings um den Nabel ab. Wenn der Sonne Strahlen am heißesten brennen, dann eilt das Untier blutgierig und den zahmen Viehherden nachstellend in wütender Hast über die rauhen Berggipfel des Saon und Mosychlon dahin, während rings im Schatten der schlanken Tannen die Hirten, die ihre Herden im Stiche gelassen haben, Kühlung suchen. Wage es nicht, magst du auch noch so mutig sein, dann dem wütenden Tiere zu begegnen, damit es dich nicht mit seinem Schwänze, mit dem es auf allen Seiten deinen Körper gewaltsamer Weise peitscht, umschlingt, deine beiden Schlüsselbeine zerbricht und dein Blut ausschlürft. Fliehe vielmehr, und zwar stets so, daß du dich auf schrägem und nicht auf einem einzigen graden Wege dahinschlängelst, da du bei solch' schiefer Richtung den Schritt des Tieres hemmst. Denn dasselbe wird durch die festen Gelenke seiner Wirbelsäule auf krummen, vielfach gewundenen Pfaden aufgehalten, während es auf geradem Wege mit großer Schnelligkeit kriecht und dahineilt. So viel von der Schlange, die auf den Thracischen Inseln haust. Vers 483—487. Dort verursacht auch die kleine Sterneidechse gefährliche Wunden durch ihre Bisse. Von dieser berichtet die Sage, die schmerzensreiche Demeter habe sie bestraft, weil sie am Brunnen Kallichoros, den Sohn der alten Metanira, verletzt hatte, als diese verständigen Sinnes die Göttin in der Wohnung des Keleus aufgenommen hatte. Vers 488—492. Andere, jedoch unschädliche Reptilien, welche im Walde, in Gebüschen, im Dickicht und in finsteren Felsspalten leben, sind diejenigen, welche man Fischschlangen, Sandkriecher und mit kranzartigen Zeichnungen versehene Mäusefanger nennt. Dazu gehören auch die mit jenen sich tummelnden Lanzenschlnugen, die Moluren und die Blindschleichen, die ungefährlich sind. Vers 493—508. Für diese Leiden will ich alle Kräuter und sonstigen Heilmittel, Blätter und Wurzeln und die beim Schneiden derselben zu beobachtenden Vorsichtsmaßregeln besprechen, und zwar alles gründlich und der Wahrheit gemäß, damit du mit deren Hilfe die quälende Pein des Leidens zu heilen vermagst. Am besten ist es, die Kräuter ganz frisch dort zu pflücken, wo die Tiere im dichten Walde sich aufhalten, und aufzulegen, so lange die Wunde noch stark blutet und schmerzt. Zuerst wähle die heilsame Wurzel des Chiron, welche
ihren Namen von dem Sohne des Kronos, dem Centauren Chiron hat, der sie einst auf dem schneereichen Bergrücken des Pelion fand. Die Blätter, die den Stengel der Pflanze rings umgeben, sind denen des Mairan ähnlich, die Blüten sind goldgelb, ihre Wurzel liegt oberflächlich und dringt nicht in die Tiefe, und sie bewohnt das Pelethronische Thal. Diese Wurzel zerstampfe trocken oder frisch in einem Mörser, füge dazu ein Maß Wein, der das Herz erfreut, und trinke diese Mischung. Dieses Mittel heilt alle Krankheiten und wird deshalb Panacee genannt. Vers 509—519. Ferner kann man die an schattigen Stellen wachsende Osterluzei verabreichen, welche wie das Geißblatt epheuähnliche Blätter trägt. Ihre Blüten sind rot, als wären sie mit Kermes gefärbt; ein betäubender Duft geht von ihr aus, und ihre Frucht wirst du denen der wildwachsenden Birnbäume ähnlich finden. Die Wurzel der weiblichen Pflanze ist krumm und abgerundet, die der männlichen dagegen ist lang und erstreckt sich eine Elle tief in den Boden. Ihre Farbe gleicht der des bei Orikos wachsenden Buchsbaumes. Diese sammle, und du wirst in ihr einen vorzüglichen Nutzen gegen die männliche und gegen die weibliche Viper haben, welch letztere so furchtbare Wunden verursacht. Schneide von der Wurzel ein Stück vom Gewichte einer Drachme ab und trinke es vermischt mit gelbem Weine. Vers 520—527. Auch den Asphaltklee suche dir als Hilfe gegen die Schlangen zu verschaffen. Er wächst auf rauher Felsspitze oder in tiefer Thalschlucht. Einige nennen ihn Minyanthes, Andere Tripetelon. Seine Blätter gleichen denen des Lotus, und sein Geruch ist dem der Raute ähnlich. Wenn er jedoch alle Blüten und buntfarbigen Blätter verliert, entströmt ihm ein Geruch nach Asphalt. Schneide von der Pflanze so viele Samen ab wie ein Tischbecher faßt, zerreibe sie in einer Schale und trinke sie mit Wein als ein Mittel gegen Schlangenbisse. Vera 528—540. Jetzt will ich dir zusammengesetzte Heilmittel für die erwähnten Leiden nennen. Suche dir die auf Sicilien wachsende, Gliederschmerzen heilende Wurzel der Thapsie, zerreibe sie, füge dazu reifen Samen vom Keuschbaume mit gänzenden Blüten, Oleander und rings mit Blüten bedeckte Raute, und pflücke dazu einen Sproß der auf dem Erdboden liegenden Saturei, welche ihre Zweige gleich wie der Quendel nach allen Seiten hin im Walde ausbreitet. Ferner nimm vom schön blühenden Asphodill entweder die Wurzel oder den Stengel, der größere Aehren trägt als der Kornhalm, oder den rings von einer Haut umschlossenen Samen, oder auch Glaskraut, das man auch Klybatis nennt, und welches gern an nassen Stellen wächst und immer in den Niederungen grünt und blüht. Das alles zerreibe und trinke es unter Zufügung einer Maß Weinessig oder Wein. Auch wenn du statt dessen Wasser nimmst, kannst du leicht dem Verderben entrinnen. Vers 541—549. Denke auch an die vortreffliche Wurzel des Natterkopfes, dessen Stengel stets von dornentragenden Blättern umgeben ist und violette Blüten trägt. Seine Wurzel ist schlank und wächst tief in den Erdboden hinein. Als Alkibios auf einem Haufen ausgedroschener Feldfrüchte am Rande einer aufgeschütteten Tenne schlief, da ritzte ihn eine Viper unten an seiner Lende und ließ ihn jäh aus seinem Schlafe auffahren. Er aber riß die Wurzel aus der Erde, zerbiß sie zwischen seinen Zähnen, saugte den Saft aus und legte den zerkauten Rest auf die Wunde.
Vers 550—556. Auch wenn du von der Melisse mit gelblichen Blüten einen jungen Trieb abschneidest und mit Weißwein trinkst, wirst du ein Mittel gegen Schlangen haben. Diese Pflanze zieht auch das Euter der lieblosen jungen Kuh, die zum ersten Male geworfen hat, herab, so daß sie nun, wo sie von Milch strotzt, ihre Jungen liebt. Die Hirten nennen sie auch Meliphyllon oder Meliktaina. Denn summend umschwirren, sich am Geruche des Honigs erfreuend, die Bienen ihre Blätter. Vers 557—573. Oder befreie das Gehirn des Haushuhnes von den dünnen Häuten; presse zerriebenes Polycnemum und Origanum aus, oder schneide von einem Wildschweine die Spitze des Leberlappens ab, welcher an dem „Tische“ herauswächst und sich bis nahe an die Gallenblase und die Pforte hin erstreckt. Diese Dinge trinke entweder zusammen oder einzeln für sich mit Essig oder Wein; vorteilhafter wird es sein, sie mit Wein zu trinken. Ferner nimm dir Laub von der immergrünen Cypresse zu einem Trank oder Panakes oder den für ihn selbst verderblichen Hoden des Bibers oder denjenigen des Flußpferdes, welches der Nil oberhalb der schwarzen Erdschollen von Saïs hervorbringt, und welches mit seinen Zähnen an die Saatfelder eine gefährliche Sichel setzt. Wenn die Weiden grünen und sich der Boden von neuem mit jungem Getreide bedeckt, dann verläßt es die schlammigen Strudel des Flusses, kommt aus der Tiefe hervor und schreitet so weit über die Saaten hin, als es diese mit seinen Kiefern abweiden kann, wenn es wieder rückwärts seine Bahn zieht. Davon schneide so viel ab, wie einer Drachme an Gewicht gleichkommt, zerstoße alles zusammen in einem Gefäße und gieb es mit Wasser zu trinken. Vers 574—582. Vergiß auch nicht Beifuß und die Frucht des Lorbeers mit zarten Blättern. Auch Mairan, der im Garten und an Grabenrändern wächst, würde sehr nützlich sein. Dazu füge Lab vom jungen, schnellfüßigen Hasen oder vom Reh oder vom Hirschkalbe, nachdem du zuvor den Schmutz davon entfernt hast, oder denjenigen Magen des Hirsches, den man Omasus oder auch den die Nahrung enthaltenden Netzmagen nennt. Von diesen Dingen nimm so viel, wie auf zwei Drachmen kommt, und mische es mit vier Schöpfbecher Weißwein. Vers 583—587. Auch der Nutzen des Gamanders und der Ceder, des Wachholders und der Früchte der schattenspendenden Platane sowie der Samen von Bupleurum und der Gebirgscypresse möge dir nicht unbekannt bleiben. Auch kannst du einem Hirsche den Hodensack mit den Hoden ausschneiden. Das alles wird das furchtbare Leiden heilen und aus dem Körper austreiben. Vers 588—593. Noch eine andere Art den Tod abzuwehren kann ich dir nennen. Nimm Wiesenknopf, zerreibe ihn in einen runden Mörser und gieße eine Maß Gerstenschleim, zwei Schöpfbecher alten Weines und einen gleichen Teil weißglänzenden Olivenöles dazu. Wenn du das zusammenrührst und trinkst, wirst du das wie Galle fressende Gift aus den Wunden entfernen. Vers 594—598. Ferner nimm den sechsten Teil eines Maßes von wohlriechendem Pech und schneide aus der Mitte des Stengels des grünlichen Steckenkrautes das Mark heraus, oder reibe die starke Wurzel des Roßfenchels und die Samen des in Sümpfen wachsenden Eppichs zusammen mit Wachholderbeeren, und zwar die erstere in einer Menge von einem vollen Oxybaphus.
Vers 599—624. Ferner schneide auch die Samen vom wilden Eppich und zwei Drachmen von der bitteren Myrrhe sowie die Frucht des im Sommer wachsenden Mutterkümmels ab, welche du entweder abwägen oder auch ungewogen in reichlicher Menge zerreiben kannst. Das alles mische mit drei Schöpfbechern alten Weines und trinke es. Nimm von der Narde mit schöner Dolde ein Stück vom Gewichte einer Drachme und zerreibe es zugleich mit einem aus dem Flusse gezogenen achtfüßigen Krebse in frisch gemolkener Milch; dazu füge die Schwertlilie, welche an den Ufern des Drilon und des Naron wächst, woselbst der Wohnsitz des Sidoniers Kadmus und der Harmonia war, welche jetzt als zwei furchtbare Drachen dort das Feld zerstampfen. Nimm ferner sogleich blütenreiche, langblättrige Glockenheide, welche der Schwarm der Bienen Nahrung suchend umkreist, und pflücke einen jungen, gänzlich unfruchtbaren Zweig der Tamariske, welcher von den Menschen als Wahrsager verehrt wird. Denn Apollo von Korope verlieh dieser Pflanze die Fähigkeit wahrzusagen und die Satzungen unter den Menschen zu bestimmen. Dazu füge das grüne Kraut des Alants, lufthaltige Stengel des Hollunders, viele Blätter und Blüten des Mairans, Schneckenklee und milchreiche Wolfsmilch. Das alles zerreibe in einem Mörser und vermische es in einem geräumigen Gefäße mit einer zehntel Kanne Wein. Auch die lärmenden Erzeuger der Kaulquappen, die Frösche, sind, wenn in Töpfen mit Essig gekocht, ein vorzügliches Mittel; oft wird auch ihre Leber, wenn mit irgend welchem Wein getrunken, oder der Verderben bringende Kopf der Schlange selbst, mit Wasser oder etwas Wein getrunken, helfen. Vers 625—629. Laß nicht die Blüte der honigsüßen Goldranke außer acht oder den nickenden Gauchheil und die allheilende Konila, die man auch Dost des Herakles nennt. Zugleich damit zerreibe Blätter des Eselsdost und trockene Früchte der Saturei. Das wird die gefährliche Krankheit heilen. Vers 630—635. Pflücke ferner einen Zweig so groß wie der kleine Mohnlattich von dem taubenetzten Kreuzdorn, der stets ringsum mit weißen Blüten bedeckt ist. Er wird auch Philetaeris von den Leuten genannt, welche am Tmolus und am Grabmale des Gyges das Parthenische Vorgebirge bewohnen, woselbst Pferde, die nicht zu arbeiten brauchen, am Kilbis weiden, und wo die Quellen des Kaystros liegen. Vers 636—655. Nunmehr will ich dir Wurzeln nennen, welche gegen Vipernbisse helfen. Da vernimm zuerst von den beiden Arten des Natterkopfes. Bei der einen gleicht das rauhe Blatt dem der Ochsenzunge, doch ist es kleiner und die Wurzel der Pflanze erstreckt sich nur wenig in den Erdboden hinein; die andere ist reicher beblättert und zeigt einen üppigeren Wuchs, ist höher und rings mit purpurnen, kleinen Blüten bedeckt, ihr Stengel ist oben dick und eingeschnürt und trägt eine Frucht, die dem Kopfe einer Natter gleicht. Von diesen beiden Wurzeln schneide gleiche Teile ab, zerreibe sie in einem ausgehöhlten Holzblock oder in einem Mörser oder auf einem abgebrochenen Felsstücke, und sie werden dir helfen. Ferner zerreibe die Wurzeln von Männertreu und von blühender Bärenklau und füge zu beiden eine gleiche Gewichtsmenge von der Wurzel der in Hecken wachsenden Glockenblume. Sodann nimm das schwer überhängende Laub des auf Bergen wachsenden Eucnemum und den Samen
des immergrünen, bei Nemea zuerst entdeckten Eppichs, zugleich auch eine doppelte Gewichtsmenge Anis, so daß sich die durch die schweren Wurzeln gesunkene Wagschale wieder hebt. Das alles reibe durcheinander, mische es in einem einzigen Gefäße, und wenn du davon drei Obolen in Wein einrührst und trinkst, wirst du nicht nur den verderblichen Biß der Vipern, sondern auch den Stich des Skorpions und die Bißwunden der Spinnen heilen. Vers 656—665. Lerne auch das weiße und das dunkle Chamäleon kennen. Es giebt nämlich ihrer zwei: Das eins ist dunkelfarbig von Aussehen, ist der Golddistel ähnlich und breitet sich mit seinen Blüten schirmartig aus; die Wurzel ist dick und schwarz wie Ruß. Es wächst, vor der Sonne fliehend, in schattigen Bergwäldern oder auf Weideplätzen. Das andere wirst du stets dicht belaubt finden, und in der Mitte trägt es einen schwerfälligen Blütenkopf platt auf der Erde; die Wurzel ist weißlich und schmeckt so süß wie Honig. Von diesen beiden nimm nicht die dunkle Art; von der anderen dagegen rühre einen Teil vom Gewichte einer Drachme in Flußwasser um und trinke dies. Vers 666—675. Ferner nimm ein anderes Kraut, das seinen Namen von Alkibios hat. Davon trinke eine ganze Hand voll mit ein wenig Wein. Diese Pflanze entdeckte der Jäger Alkibios auf den Felsen von Phalakra, die an den Gefilden von Krymne und Grasos und den Weiden des hölzernen Pferdes liegen, während er seine Meute von Amykla anfeuerte und dadurch ein Verderben kündendes Knurren des löwenmutigen Hundes erregte. Dieser folgte der Fährte der Ziege auf dem Waldpfade und wurde von einer Viper in die Nase gebissen. Unter lautem Gebell schleuderte er sie aber weit weg, fraß sofort die Blätter jener Pflanze und entging so dem sicheren Tode. Vers 676—688. Nimm auch die grünliche, ölreiche Rinde der Ricinusstaude und mische sie mit den Blättern der rauhhaarigen Melisse, oder auch die Pflanze, welche ihren Namen von der Sonnenwende hat und welche gleich den bläulichen Blättern des Oelbaumes die Bahn des rückkehrenden Helios anzeigt. Ebenso die Wurzel des Nabelblattes, welche, wenn gegessen, im Winter die schmerzhaften Frostbeulen an den aufgebrochenen Füßen heilt. Oder hole dir entweder die grünen Blätter der hoch aufschießenden Speichelwurz oder schneide dir von der Hirschzunge den Stengel ab. Sammle auch die Panacee des Asklepios, welche zuerst von diesem am Ufer des Flusses Melas gepflückt wurde, als er die Wunde des Iphikles, des Sohnes des Amphitryon, behandelte, nachdem dieser zusammen mit Herakles die verderbliche Hydra verbrannt hatte. Vers 689—699. Wenn du aber zufällig die Jungen des Iltis oder die räuberische Mutter selbst erlegt hast, so beraube sie über der lodernden, dörrenden Glut des Feuers ihres Haarpelzes, entferne alle Eingeweide und den Inhalt des Magens und Darmes, pökle das Fleisch mit Salz ein und trockne es im Schatten, damit nicht die sengend darauffallenden Sonnenstrahlen den noch frischen Cadaver ausdörren. Wenn dich nun in deinen Schmerzen die Not dazu zwingt, so schabe mit dem Messer von dem getrockneten Tiere etwas ab, als wäre es weiches Silphium oder ein runder Käse aus eingedickter Milch und trinke es in Wein eingebrockt. Das wird dir besser helfen als alles andere, denn du wirst dadurch in gleicher Weise allen Giften entrinnen.
Vers 700—714. Vernimm ferner von der heilenden Kraft der Meerschildkröte, die eine Hilfe gegen den Biß aller Schlangen darstellt, welche die gequälten Menschen verletzen. Sie wird dir ein gutes Heilmittel sein. Sobald die Angler die Schildkröte aus dem menschenverderbenden Meere auf den trockenen Strand gezogen haben, so kehre sie um, schlage ihr den Kopf mit einem ehernen Messer ab und laß das dunkele Blut in ein frisch aus dem Brennofen kommendes irdenes Gefäß fließen. Das trübe, noch flüssige Blutwasser gieße ab in eine steinerne Schüssel, trockne darin das durch die Gerinnung zerspaltene Blut, zerreibe es sodann, nimm davon vier Drachmen und vermische es mit zwei Drachmen wilden Kümmel und einer halben Drachme Lab vom Hasen. Davon teile eine Drachme ab und trinke dies mit Wein. Die angegebenen Dinge wirst du also als Heilmittel gegen die Schlangenbisse erkennen. Vers 715—724. Jetzt betrachte dir die Thaten der räuberischen Spinnen und die Symptome ihres Bisses. Die eine wird rußfarbige Weinbeere genannt; sie ist pechschwarz und kriecht mit dicht aneinander stehenden Beinen; ihre verderbenbringenden scharfen Zähne hat sie in der Mitte ihres Bauches. Wenn sie gebissen hat, bleibt die Haut so, als wäre sie unverletzt. Dagegen röten sich die Augen des Gebissenen, und ein Frostschauer schüttelt seine Glieder. Der Körper und die Geschlechtsteile werden alsbald von Krämpfen befallen, strecken sich, und der Penis wird durch Samenerguß beschmutzt und geschwächt. Ebenso erfaßt auch die Hüften und Knie ein Schüttelfrost und lähmt die Gelenke. Vers 725—728. Höre ferner von einer anderen, der Sternspinne. Dieselbe hat auf der Haut ihres Rückens hellglänzende, buntgesäumte Streifen. Nach ihrem Bisse überläuft den Menschen plötzlich ein Frostschauer; sein Kopf ist schwindelig und die Kniegelenke erschlaffen. Vers 729—733. Eine andere ist die Schwarzblaue, die zottig ist und mit langen Beinen einherrennt. Ihr Biß hat bei jedem, den sie beißt, eine furchtbare Wirkung. Ein Gefühl von Schwere lagert in der Herzgegend, Dunkel bedeckt seine Augen, es erfolgt ein quälendes Erbrechen von Massen, die wie Spinngewebe aussehen, und bald tritt der Tod ein. Vers 734—737. Eine weitere Spinne ist die Agrostes, welche dem „Wolfe“ an Gestalt gleicht. Diese frißt nur Fliegen, jene jedoch lauert den Bienen, Gallwespen, Bremsen und allen anderen Tieren auf, welche sich in ihrem Netze verstricken. Ihr Biß ist für den Menschen schmerzlos und ohne Wirkung. Vera 738—746. Eine anders ist die Dysderi, die man auch Wespenspinne nennt. Sie ist fast feuerrot und der gierigen Wespe ähnlich, welche in ihrer Kühnheit der mutigen Natur des Pferdes gleicht. Die Pferde bilden nämlich den Ursprungsort der Wespen, während die Bienen, die so frech wie Wölfe sind, aus den faulenden Leibern der Stiere zu Tage kommen. Wenn diese Spinne beißt, so entstehen sehr bald eine gewaltige Geschwulst und andere Leiden; die Knie zittern oder werden kraftlos. Der Dahinsiechende aber erliegt einem verderblichen Schlafe, der das Leben endet und den Tod herbeiführt. Vers 747—751. Ferner höre von der Ameisenspinne, die einer Ameise ähnlich sieht. Sie hat einen roten Hals und einen dunklen, schimmelfarbigen Leib; ihr breiter Rücken ist überall mit
sternförmigen Punkten bedeckt. Aschfarbig ragt der Kopf nur wenig über den Hals hinaus. Sie verursacht ähnliche Schmerzen wie die früher genannten Spinnen. Vers 752—758. Wenn Männer in den noch halb grünen Saatfeldern Bohnen und andere Hülsenfrüchte ohne Sichel mit der Hand abbrechen und einsammeln, so werden sie von dort in Scharen wohnenden und umherlaufenden Spinnen gebissen, welche eine rote Hautfarbe haben, den spanischen Fliegen ähnlich sehen und nur klein sind. Gleichwohl ist aber ihr Biß schmerzhaft, und stets schießen um die Bißstelle Eiterblasen auf. Der Kranke wird verwirrt und verliert den Verstand, seine Zunge redet ungereimtes Zeug, und seine Augen verdrehen sich im Kopfe. Vers 759—768. Jetzt höre von den giftigen Tieren, welche der verderbliche Boden Aegyptens hervorbringt, und welche den Lichtmotten ähnlich sind, die bei der Abendmahlzeit summend die Lampen umflattern, und deren Flügel alle hautartig und mit feinem Wollhaar bedeckt sind und bei der Berührung wie mit Staub oder Asche bestreut erscheinen. Diesen gleichend, wohnen sie auf dem Baume des Perseus. Fortwährend nicken sie mit ihrem harten, schrecklich aussehenden Kopfe und sehen sie grimmig von unten in die Höhe; ihr Leib ist dick und schwer; Sie drücken ihre Stachel dem Menschen oben in den Nacken und in den Kopf und führen so schnell den Tod herbei. Vers 769—804. Nunmehr will ich auch von dem mit einem schmerzhaften Stachel bewaffneten Skorpion und von den gefährlichen Arten desselben reden. Der weiße Skorpion ist unschädlich und ungefährlich. Der am Kopfe feuerrote dagegen impft mit seinem Stiche dem Menschen sofort eine brennende Hitze ein. Der Kranke zappelt vor Qualen, als wäre er von Feuer versengt, und wird von heftigem Durste geplagt. Der dunkelfarbige wieder verursacht durch seinen Stich beim Menschen eine schreckliche Unruhe; dieser verliert den Verstand und lacht wie wahnsinnig. Ein anderer ist grünlich und ruft, wenn er ein Glied getroffen hat, Schüttelfrost hervor. Ein eisiger Hagel scheint dann auf den Kranken herniederzufallen, selbst wenn die Hitze draußen noch so groß ist. So scharf ist das Gift seines Stachels, von dessen Hornspitze aus sich sieben an einander gefügte Glieder nach vorn erstrecken. Noch ein anderer ist grau; er hat einen breiten, wohlgenährten Leib, da er ein ewig unersättlicher Gras- und Erdfresser ist, und verursacht in der Weichengegend eine schwer heilende Wunde; solch maßlose Gier zeigt sein harter Zahn. Einen weiteren wirst du der Strandkrabbe ähnlich finden, welche in dem zarten Seegrase und in der Meeresflut ihre Nahrung sucht. Andere wieder gleichen den schräg kriechenden Taschenkrebsen und schleppen sich schwerfällig dahin; ihre Scheren sind schwer und hart und wie bei jenen auf Klippen wohnenden Krebsen oben rauh. Von diesen leiten sie auch ihren Ursprung her. Wenn diese nämlich die Klippen und das zarte Seegras des kieselreichen Meeres verlassen, so werden sie von den mit Ködern angelnden Fischern auf‘s Trockene gezogen und sogleich gefangen, entwischen aber und schlüpfen in Felslöcher, in denen Mäuse wohnen. Dort sterben sie, und aus ihnen gehen nun als ihre verderbenbringenden Nachkommen Skorpione hervor, welche in den Häusern Unheil stiften. Ferner giebt es einen honiggelben Skorpion, dessen letztes Schwanzglied schwarz ist, und welcher einen unabwendbaren, leidenreichen Tod herbeiführt. Dieser ist am gefährlichsten für die Menschen; seine krummen Beine sind rot wie Feuer, und Kindern bringt er sehr schnell den Tod. Auf dem Rücken hat er ähnlich der Getreide fressenden Heuschrecke glänzende Flügel ausgebreitet; er fliegt über die Spitzen der
Aehren hin, frißt die in den Hülsen enthaltenen Körner heraus und wohnt auf dem Pedasus und in den Tälern des Kissos. Vers 805—836. Ich weiß dir Heilmittel gegen die Stiche des Skorpions sowohl wie auch gegen diejenigen der Hummel und der Biene anzugeben. Dieser kommt von ihrem eigenen Stachel der Tod, wenn sie den am Bienenkorbe oder auf dem Felde beschäftigten Mann gestochen hat. Denn in blinder Wut läßt sie den Stachel in der Wunde zurück; dieser bringt also den Bienen zugleich Leben und Tod. Ich weiß auch, was der Vielfuß, die tückische Wespe, die kleine Eichwespe und der Tausendfuß für Schaden stiften; letzterer hat an jedem Ende einen Kopf und bereitet so auf beiden Seiten den Menschen Verderben; die Beine bewegen sich unter dem Tiere, wann es läuft, so zahlreich wie Schiffsruder. Auch kenne ich die blinde, furchtbare Spitzmaus, welche den Menschen den Tod bringt und in den Furchen der Wagenräder umkommt. Auch der Seps, die den kleinen Eidechsen ähnlich sieht, mußt du ausweichen; ebenso meide den hinterlistigen, stets gefährlichen Biß des Salamanders, welcher, wenn ihn sein Weg auch durch loderndes Feuer führt, mühelos und unverbrannt durch dasselbe hindurchläuft, ohne daß die lodernde Flamme seine rissige Haut und auch nur die Spitzen seiner Gliedmaßen beschädigt. Auch kenne ich sehr gut die Tiere, welche sich in den rauschenden Fluten der Meereswogen herumtummeln, und besonders die Muräne. Diese dringt oft aus dem Fischkasten heraus, greift die unglücklichen Fischer an, treibt sie aus dem Boote hinaus und zwingt sie in's Meer zu springen. Wenn es wahr ist, was man erzählt, so soll sie nach Verlassen ihres feuchten Wohnsitzes sich auf dem trockenen Lande mit den todbringenden Vipern begatten. Ebenso kenne ich Mittel gegen den verderblichen Stechrochen und gegen den reißenden Meerdrachen. Jener verursacht Schmerzen, wenn er den sich mit den langen Zugnetzen abquälenden Tagelöhner mit seinem Stachel trifft; und wenn er diesen in einen Baumstamm einbohrt, so sterben, und mag derselbe auch noch so kraftvoll grünen und blühen, dessen Wurzeln und Blätter ab, als hätte ihn die Sonne mit ihren Strahlen verdorrt. Beim Menschen aber fault das Muskelfleisch und siecht dahin. Es geht die Sage, daß einst Odysseus durch den unseligen Stachel des Rochens getroffen wurde und so zu Grunde ging. Vers 837—914. Für diese Vergiftungen will ich jetzt die einzelnen Heilmittel aufzählen. Nimm also die Blätter der Ochsenzunge, die denen des Lattichs ähnlich sind, oder Fingerkraut oder die roten Blüten der Brombeere, Kletten1), Sauerampfer, langstengeligen Natterkopf, Kikama, üppig grünenden Zirmet, Günsel, zerstoße den inneren Teil der Eichenrinde und füge Kaukalis, Samen, die du von der Mohrrübe gesammelt hast, und die frische buntfarbige Frucht des Terpentinbaumes oder auch braunwerdenden Seetang und unbenetztes Frauenhaar dazu, auf welches selbst bei strömendem Regen auch nicht der kleinste Tropfen fällt und an den Blättern haften bleibt. Schneide ferner immersprossenden Pferdeeppich oder von der Pflanze Leukas und von der Männertreu die scharfe Wurzel ab und mische dies mit Roßfenchel, der ähnliche Früchte trägt wie Rosmarin. Auch Labkraut, der Wiesenknopf und der reich blühende Mohn, sowohl der mit Köpfen als auch der mit Schoten, soll unter den Heilmitteln nicht fehlen. Zugleich schneide vom wilden Feigenbaum eine fruchtbeschwerte
Zweigspitze oder die frühreifen Feigen selbst, welche früher als andere Baumfrüchte rund anschwellend zum Vorschein kommen, von demselben ab. Nimm auch Feuerdorn und die Blüte des weißen Wollkrautes zusammen mit den Blättern von Aegilops und vom Schellkraut, von der Augenwurz und der Wurzel der Zaunrübe, welche auch die den Frauen verhaßten Sommersprossen und weißen Flecke von der Haut entfernt. Ferner zerreibe die Blätter des Eisenkrautes oder schneide auch die Triebe des jeden Schaden abwehrenden Kreuzdorns ab; denn schon ein umgewickelter Zweig von diesem hält alles Unglück von dem Menschen fern. Von der Kamille pflücke frische Zweige ab, auch nimm Gauchheil oder Hirschzunge; oft hilft auch Mennige von Lemnos, welche ein Schutzmittel gegen alle Gifte ist. Auch die bittere Wurzel der Springgurke kannst du zerschneiden und essen. Dem von Schmerzen geplagten Leibe thut auch die Frucht und das dornige Laub des stachelreichen Wegdorns wohl, ebenso die frischen und zarten roten Blüten des Granatapfels, die rings von den scharlachroten, halsähnlichen, sich später schließenden Kelchen umgeben sind, und auch Dosten, die gliederreiche Hauhechel, die Blätter der Fetthenne, ein junger Sproß der Weinrebe mitsamt den Trauben, die Knöllchen des Knoblauchs und die Frucht des Berg-Korianders, oder auch das flaumhaarige Laub des feinblättrigen Alants. Ferner kannst du zerkleinerten frischen Pfeffer oder medische Kresse in einem Tranke nehmen; auch blütenreiche Poleiminze, Nachtschatten und Senf werden dich von deinen Leiden befreien. Pflücke auch gelbgrünen Lauch in dem Gartenbeete oder die scharfen Samen der Brennessel, mit welcher die Knaben spielen, zugleich auch den weißen Kopf der Meerzwiebel, trockene Samenhäute der Zwiebel mitsamt den Samen, den Stengel des nach dem Drachen benannten Krautes, die spargelähnlichen Schößlinge des strauchartigen Kreuzdorns und die Samen, welche die in Waldthälern wachsenden Pinien in ihren Zapfen reifen lassen. Ferner schneide von dem schwachen Kraute die grünliche Wurzel ab, welche dem dunkelfarbigen Stachel des Skorpiones gleicht, oder Psamatheische Wasserrosen, welche bei Traphia und Kopä an dem sumpfigen See wachsen, in den sich der Schoeneus und der Knopus ergießt, und Pistazien, welche in Indien an den brausenden Fluten des Choaspes gleich Mandeln an den Zweigspitzen hervorkommen, Wurzeln der Erdscheibe und dazu füge noch dunkle, zusammenziehende Myrtenfrüchte sowie Früchte der Salbei und von sprossendem Fenchel, Rankensenf und Samen der Felderbse zugleich mit den grünlichen Zweigen und dem stark riechenden Kraute derselben. Auch Brunnenkresse ist ein Heilmittel bei Vergiftungen, ebenso ein frischer Zweig vom Steinklee, die weißen Blüten der aufgeblähten Rebendolde, welche die Hirten zerreiben und die kleinen Samen, welche die Kornrade, das Wollkraut, die Rose und die Violen hervorbringen. Oder schneide auch Knöterich in den dichtbewachsenen Niederungen ab, ferner Psilothrum und die Frucht der nach dem viel beweinten Hyacinthus benannten Pflanze. Diesen Jüngling beweinte einst Phöbus, da er denselben wider seinen Willen getötet hatte. Angesichts des amykläischen Flusses nämlich traf er den eben erst mannbar gewordenen Hyacinthus mit seinem Diskus, welcher von einem Felsen abprallte, jenem gegen die Schläfe flog und ihm den Schädel zerschmetterte. Füge dazu auch Asphaltklee und Saft von Silphium, und zwar von jedem drei Obolen. Oder pflücke hornartigen Quendel, viel Meerfenchel oder die cypressenähnliche Pflanze und zerreibe zugleich mit diesen Anis und lybische Wurzeln zu einem Arzneitrank. Diese Mittel trinke entweder alle gemischt oder einzeln, nachdem du sie zuvor in einem Trinkbecher verrieben und Essig, Wein oder Wasser dazugefügt hast; auch mit Milch verrieben helfen sie.
Vers 915—920. Wenn du aber auf deiner Wanderung durch Felder und wasserlose Wälder gebissen wirst, dann kaue sogleich in deiner Not irgend welche Wurzeln oder Kräuter oder Samen, die an dem Wege wachsen, sauge den Saft aus und lege den halb zerkauten Rest auf die Wunde, damit du dem Tode entgehst. Vers 921—929. Auch den ehernen Schröpfkopf kannst du auf die todbringende Wunde drücken, um mit dem angesammelten Blute auch das Gift zu entfernen, oder gieße den Milchsaft der wilden Feige oder lege das im Schmelzofen erhitzte Glüheisen auf. Ferner wird das mit Wein gefüllte Fell einer Weideziege helfen, wenn die Bißwunde sich am Knöchel oder an der Hand befindet. Dann stecke nämlich den schmerzenden Arm oder Knöchel tief in den Schlauch hinein und schnüre mit den Bändern desselben nicht nur diesen, sondern auch zugleich den Oberarm oder den Oberschenkel zusammen, bis durch die Kraft des Weines der Körper von Schmerzen befreit ist. Vers 930—933. Ferner setze Blutegel an die Wunde und laß sie sich mit Blut sättigen, oder träufele Zwiebelsaft auf, oder knete Wein- oder Essighefe mit Ziegenmist durch, lege dieses auf und bestreiche die Wunde ringsum mit frischem Ziegenkot. Vers 934—956. Damit du aber ein Heilmittel gegen alle Bisse kennen und bereiten lernst, so wird es von großem Nutzen für dich sein, wenn du die folgenden Heilpflanzen alle mit eigener Hand zusammen mischest. Unter diesen sollen zunächst Osterluzei und die Wurzeln von der Schwertlilie und der Narde sein, ferner Galbanum und die trockenen Wurzeln der Speichelwurz, der allheilenden Augenwurz, der Zaunrebe, die schwammigen Wurzeln der frisch ausgegrabenen Gichtrose und die Samen der schwarzen Nieswurz, vermischt mit Schaum von Nitrum. Dazu füge Mutterkümmel, einen Schößling vom Alant und Rinde vom Rittersporn; ebenso Samen vom Lorbeer und Schneckenklee, zerreibe die an den Beinen der Pferde sitzenden Schwielen und sammle Wurzeln der Erdscheibe. Ferne füge dazu den Saft des leuchtenden Mohnes, die Samen des Keuschbaumes, Balsam und Zimmt, Bärenklau, eine volle Schale Meersalz, Lab vom Hasen und einen Krebs, der in kieselreichen Flüssen wohnt. Alles das wirf in die Höhlung eines weitbäuchigen Mörsers und zerstampfe es unter den Schlägen einer steineren Keule. Sobald es trocken ist, gieße Saft vom Labkraut darauf und mische alles gut durcheinander. Dann teile auf der Wage Stücke vom Gewicht einer Drachme davon ab und forme Plätzchen daraus. Diese trinke mit zwei Maß Wein verrührt. Vers 957—958. Behalte auch in Zukunft den Homeriden Nikander, der aus dem schneereichen Städtchen Klaros hervorging, in Erinnerung.
Alexipharmaka. Vers 1—11. Wenn auch die Völkerschaften, denen wir entsprossen sind, lieber Protagoras, ihre Mauern und Türme in Asien nicht nahe bei einander errichtet haben, sondern ein weiter Zwischenraum dieselben trennt, so kann ich dir doch mit leichter Mühe die Heilmittel für die giftigen Tränke nennen, denen die Menschen, wenn sie ihnen beigebracht werden, unterliegen. Denn du wohnst ja in der Nähe des strudelreichen Meeres unter dem den Nordpol umkreisenden Großen Bär, wo das Heiligtum der Lobrinischen Rhea liegt, und wo die Feste des Attes gefeiert werden; ich dagegen sitze in Klaros an dem Dreifuße des Apollo, wo die Söhne der wackeren Kreusa den fruchtbarsten Teil des asiatischen Festlandes unter sich verteilten. Vers 12—73. Zunächst sollst du das gallebittere und den Mund zusammenziehende Aconitum kennen lernen. Dieses wächst an den Ufern des Acheron, woselbst der Hades seinen Schlund, dem man schwer entrinnen kann, öffnet, und wo die zerstörten Städte des Priolaus krachend in den Staub sanken. Der bittere Trank davon zieht dem, der ihn nimmt, den ganzen Mund, den Gaumen und das Zahnfleisch zusammen, dringt dann auf den oberen Teil der Brust vor und belästigt den Kranken durch heftiges Schlucken und Druck in der Magengegend. Von beißenden Schmerzen wird der obere Teil des Unterleibes gepeinigt, wo sich die sonst stets offene Magenpforte erhebt, welche man den Mund des die Nachspeisen aufnehmenden Darmes oder den Empfänger des Mageninhaltes nennt, und es schließt sich dadurch das Thor am Anfange des Dünndarmes, in den bei den Menschen die Speisen in ihrer ganzen Menge hineingelangen. Stets fließt triefender Schweiß über die Augen herab. Die Winde werden teils von dem in seinen Verrichtungen gestörten Leibe reichlich nach oben ausgestoßen, teils bleiben sie in Menge drinnen mitten um den Nabel herum sitzen. Im Kopfe liegt eine bleierne Schwere, an den Schläfen zeigt sich ein beschleunigter Pulsschlag, und der Kranke sieht vor seinen Augen alles doppelt wie einer, der bei einem nächtlichen Gelage der Kraft des unvermischten Weines erlegen ist. Gleichwie die Silenen, die Erzieher des gehörnten Bacchus, welche den Saft der wilden Trauben getrunken hatten, durch den schäumenden Trank berauscht sich zuerst wirr umblickten und dann mit schwankenden Gliedern sinnlos über den Nisäischen Hügel hinliefen, so taumeln auch jene, welche durch das böse Gift der Pflanze gequält werden. Man nennt dieselbe auch Mäusetöter, weil sie die lästigen, naschhaften Mäuse gründlich vertilgt, oder auch Pantherwürger, weil die Rinder- und Ziegenhirten in der Phalakräischen Talschlucht des bewaldeten Ida jenen reißenden Tieren mit der Pflanze den Tod bereiten, oft auch Weibertod und Flußkrebs. Das verderbliche Aconitum wächst aber auf den Bergspitzen von Akonä. Dem Kranken wird eine Hand voll Kalk helfen, wenn du gut gekelterten gelblichen Wein in der abgemessenen Menge von einer vollen Maß dazufügst. Zugleich schneide auch Zweigspitzen von dem strauchartigen Wermut oder der grünlich gelben Melisse ab, die man Honigblatt nennt. Auch gieb einen Sproß von dem krautartigen, immergrünen Kellerhals mit der Raute in Honig. Lösche ferner ein Stück glühendes Eisen oder Eisenschlacke, welche die Glut des Feuers im Schmelzofen abgesondert hat, mit der Feuerzange in Wasser, oder erhitze ein neues Stück Gold oder Silber im Feuer, tauche es in Wasser, das dadurch trübe wird, und gieb dieses zu trinken. Oft nimm auch eine halbe Hand voll Blätter des Günsels, oder zerschneide die trockene Wurzel des Bergdosten oder die frische von Polycnemum und trinke
sie mit vier Schöpfbechern Saft der Rebe mit den honigreichen Blüten. Ferner kannst du vom Haushuhn eine markähnliche, vorzügliche Brühe haben, wenn du dasselbe über stark loderndem Feuer im Topfe weich kochst. Auch von einem Kalbe, das von Fett strotzt, koche das frische Fleisch auf und fülle mit der Brühe den ganzen Raum des Magens. Ferner gieße Balsamsaft in Milch von einer zum ersten Male gebärenden Frau oder in Wasser, bis der Kranke das noch ganz unverdaute Gift ausbricht. Oft schneide auch Lab von dem mit offenen Augen schlafenden Hasen oder vom Hirschkalbe heraus und gieb ihn in Wein verrührt, oder wirf Wurzeln vom roten Maulbeerbaume in einen hölzernen Mörser, zerreibe sie darin mit Wein und gieb den Saft davon mit Honig gekocht. So kannst du das gefährliche Leiden, das den Kranken zu überwältigen droht, von ihm abwenden, und er wird wieder sicheren Fußes einherschreiten. Vers 74—114. Zweitens lerne den gefährlichen Trank kennen, in welchen glänzendes, giftiges Bleiweiß eingerührt ist und welcher in seiner weißen Farbe der fetten, stark schäumenden Milch gleicht, die du im Frühjahr in die weiten, ausgehöhlten Schüsseln melkst. Wenn jemand davon trinkt, so bildet sich auf seiner Mundschleimhaut und an den Runzeln des Zahnfleisches ein zusammenziehender Schaum, die Zunge wird in ihrer ganzen Länge rauh und die Kehle wird trocken. Gleichzeitig mit Schlucken plagt ihn infolge des verderblichen Giftes ein schwerer, trockener Husten. Seine Kräfte sinken unter dieser Qual, Ekel erfaßt ihn, und er ermattet allmählich durch das aufreibende Leiden. Oft sieht er vor seinen Augen Wahngebilde. Bisweilen wird er schläfrig und sein Körper dabei kalt, seine Gliedmaßen kann er nicht wie früher bewegen, Müdigkeit überwältigt ihn und sein Leben erlischt allmählich. Dem Kranken verabreiche so schnell wie möglich becherweise Oel der Premadia-, der Orchas- oder der Myrten-Olive, damit dadurch der Magen schlüpfrig gemacht wird und das gefährliche Gift ausbricht. Oder melke das strotzende, geschwellte Euter der Kuh und bringe ihm schnell die Milch zum Trinken, entferne aber zuvor das glänzende Fetthäutchen davon. Auch zerkoche Zweige oder Blätter der Malve und gieb den fadenziehenden Saft dem Kranken bis zur Sättigung ein. Oft zerstoße auch Sesamkörner und reiche sie so in Wein. Oder wasche die noch warme Asche von Weinranken in Wasser und seihe die Lauge durch einen gewölbten, frisch geflochtenen Korb, welcher den Rückstand aufnehmen soll Auch die mit glänzendem Oele zerriebenen harten Kerne der Persea werden für sich allein den Schaden abwehren. Diesen Baum zog einst Perseus als neues Geschenk des Kepheus, nachdem er dessen Land verlassen und der Medusa mit einer Sichel den fruchtbaren Hals durchschnitten hatte, mit leichter Mühe in den Gefilden von Mykenä auf. Dort, unter der scharfen Bergspitze von Melanthis, war ihm, dem Sohne des Zeus, das Ortband seines Schwertes abgefallen, und zeigte ihm eine Nymphe die Quelle Langia. Oft tröpfle ferner in gebackene Gerste den geronnenen Saft, der rings an dem Weihrauchstrauche von Gerra haftet; auch zerreibe Harz vom Nußbaum oder vom Pflaumenbaum oder von der Ulme, welches stets in Menge an den jungen Zweigen herabträufelt, und Gummiharz, als ein Heilmittel in warmem Wasser und gieb es zum Trinken, damit er sich teils erbricht, teils auch durch die Kraft eines heißen Bades geheilt wird, wenn der Schweiß die Haut des Körpers erweicht. Auch wenn er ein Mahl zu sich nimmt oder starken Wein bis zur Sättigung trinkt, wird er dem ruhmlosen Tode entgehen.
Vers 115—156. Wenn ein Trank ähnlich wie flüssiges Pech riecht, so soll ihn niemand nehmen, da er von den getreidefressenden spanischen Fliegen stammt. Denn ihr Geruch ist so unangenehm wie der von Pech und ihr Geschmack wie der von frisch gegessenen Wachholderbeeren. In einer Flüssigkeit genommen, verursachen sie teils an den Lippen, teils vorn am Magenmunde Brennen, bisweilen auch beißenden Schmerz mitten im Unterleibe, oder es wird die Blase angefressen. Schmerzen quälen den Kranken auch überall dort, wo auf der Brust die Knorpel über der Magenhöhlung liegen. Er beginnt zu wüten, Wahnsinn raubt ihm den Verstand, und plötzlich wird er dahingerafft, gleichwie die eben abgerissenen Federkronen von Distelsamen durch einen Windhauch zerstäuben und die Luft durchstreichen. Dem Kranken gieb oft Poleiminze in Flußwasser und bereite ihm daraus einen reichlichen Mischtrank in einem Tischbecher. Dieses war das Getränk der durstigen, trauernden Ceres, mit welchem sie einst in dem Städtchen des Hippothoon ihre Kehle benetzte, während die Thracierin Jambe offenherzig mit ihr plauderte. Oder koche das Gehirn von einem Mastschweine oder von einem Lamm zugleich mit den rundlichen Samen des Leine oder dasjenige einer Ziege, der du den erst kurze Zeit gehörnten Kopf durchschnitten hast, oder nimm die sorgfältig in einem Kochtopfe bereitete Brühe von einer Gans. Davon gieb ihm so viel, bis Erbrechen eintritt, und laß schnell die gesamten noch unverdaut an der Magenpforte liegenden und vom Gifte durchsetzten Speisen von unten herauf emporsprudeln. Oft kannst du auch frisch gemolkene Schafmilch als ein Klystier verabreichen, und du wirst dadurch reichliche Stuhlentleerungen herbeiführen. Auch ein Trunk fette Milch wird dem Kranken helfen. Oder schneide die grün-gelben jungen Triebe der Weinrebe ab, während sie rings mit frischen Blättern bedeckt sind, und zerstoße sie in Most, oder ziehe die kleinen, stets stacheligen Wurzeln, die Skorpionen ähnlich sehen, aus der lockeren Erde und mische eine Abkochung davon mit Honig; das Kraut der Pflanze sproßt hoch empor wie Asphodill und sendet schlanke Triebe aus. Auch nimm vier Drachmen Samischer Erde, welche Phyllis in ihren Bergwäldern hervorbringt; diese schneeweiße Imbrasiscbe Erde zeigte als etwas neues ein gehörnter Widder den Jungfrauen der Chesier an dem binsenreichen Gestade des schneebedeckten Kerketes. Oder bereite von eingekochtem Most einen Trank von der doppelten Menge. Dazu füge Zweigstücke von der Raute, nachdem du die Pflanze vorher mit Rosenöl verrieben oder mit Irisöl bestrichen hast. Dies wird schnell das Leiden zur Heilung bringen. Vers 157—185. Diejenigen, welche unbewußt aus Unheil bergendem Becher einen verderblichen Trank vom Korion, gegen den es nur schwer eine Hilfe giebt, genossen haben, verlieren ihren Verstand, schwatzen wie Verrückte vor allen Menschen, und tobend wie Bacchantinnen brüllen sie, von Wahnsinn gepackt, mit lauter Stimme. Dem Kranken gieb einen vollen Becher vom köstlichen, ungemischten Pramnischen Weine, wie er aus der Kelter geschöpft wurde. Oder wirf eine volle Schale Salz in Wasser und löse es darin auf. Oft kannst du auch ein schmerzlos gelegtes Hühnerei aufschlagen und dessen Schale mit Meerschaum, der Nahrung des schnellen Sturmvogels, mischen. Diesem erhält der Schaum das Leben und beschleunigt zugleich sein Ende. Denn listig ködern damit die ihm Verderben bringenden Kinder der Fischer den schwimmenden Vogel, und während er die neue weißschimmernde Schaumwelle zu erhaschen sucht, fällt er in die Hände der Kinder. Auch kannst du dem Kranken bitteres, veilchenblaues Meerwasser zu trinken geben. Dieses
gab zugleich mit dem Feuer der Erderschütterer Poseidon den Winden zum Dienen, denn auch das letztere wird von den feindlichen Stürmen überwältigt. Das stets lodernde Feuer und das weithin fließende Wasser fürchtet die alles fortreißenden Stürme; das regellose, leicht zürnende Meer wieder gebietet über die Schiffe und über die mit ihnen untergehenden Menschen, dem feindlichen Feuer dagegen gehorcht nach dem Naturgesetze das Holz im Walde. Ferner wird auch sorgsam mit Wein gemischtes Oel oder ein mit Schnee gemengter Trank von Most Heilung bringen, zur Zeit, da die Winzer mit ihren Messern die schwer herabhängenden, gerunzelten Trauben der köstlichen Pramnischen Rebe abschneiden und keltern, da Bienen und Hornissen, Wespen und Berghummeln summend über die Beeren herfallen und den Most in Menge verzehren, und da der gefräßige Fuchs von den strotzenden Trauben nascht. Vers 186—206. Merke dir ferner die Kennzeichen des schädlichen Schierlingstrankes. Dieses verderbenbringende Getränk sendet finstere Nacht auf das Haupt herab. Die Kranken blicken verwirrt, irren mit wankenden Füßen in den Straßen herum und kriechen auf ihren Händen einher. Ein quälendes Gefühl von Erstickung schnürt ihnen den Gaumen und den schmalen Weg durch die Kehle zusammen. Die Extremitäten werden kalt, und rings an den Gliedern ziehen sich die großen Blutgefäße in der Tiefe zusammen. Die Atmung wird schwach wie bei einer Ohnmacht, und die Seele des Kranken erblickt den Hades. Dem gieb entweder Oel oder ungemischten Wein bis zum Ueberdruß ein, damit er das gefährliche und Schmerzen verursachende Gift ausbricht, oder verabfolge ihm ein Klystier. Oft reiche ihm auch einen ungemischten Trank der Rebe oder Oel von zerstoßenen Zweigspitzen des Lorbeers der im Tale Tempe wächst und der als erstes Gewächs das Haupthaar des Apollo von Delphi bekränzte, oder zerreibe Samen der Nessel und gieb sie ihm mit Pfeffer gemischt, oder rühre ihm Wein mit dem bitteren Safte von Silphium zusammen. Ferner kannst du ihm eine abgemessene Menge von wohlriechendem Oele der Schwertlilie und mit glänzendem Oele verriebene Silphion-Wurzeln verabreichen. Ebenso gieb ihm einen Trunk von mit Honig gemischtem Most oder eine Schale schäumender Milch, die du über Feuer leicht erwärmt hast. Vers 207—248. Auch sobald jemand durch einen todbringendes Pfeilgift enthaltenden Trank von Schmerzen gequält wird, kannst du sehr schnell alle Beschwerden beseitigen. Dem Kranken schwillt die Zunge im Munde an, und rings um denselben hängen die aufgedunsenen Lippen wie von einer Last beschwert herab. Ein trockener Auswurf erscheint, und das Zahnfleisch bricht von unten her auf. Oft wird er von Angst und Unruhe erfaßt, sein ganzer Verstand wird durch das furchtbare Gift zum Wanken gebracht und Wahnsinnn schlägt ihn in Fesseln. Dann blökt er wie ein Schaf, schwatzt in seiner Raserei viel törichte Sachen und schreit unaufhörlich vor Schmerzen, als ob ein Mensch, dessen den ganzen Körper lenkender Kopf vom Schwerte abgeschlagen worden ist, noch unwillkürliche Laute ausstößt oder als ob eine krugtragende Priesterin und Dienerin der Rhea am neunten Tage des Festes auf den volkbelebten Straßen einhereilt und mit lauter Stimme ihren Ruf erschallen läßt, wobei jeder erbebt, der das schaurige Geheul auf dem Ida vernimmt. So brüllt auch jener und giebt in seinem Wahnsinn unzusammenhängende, heulende Töne von sich. Dabei verdreht er die Augen wie ein wütender Stier, zeigt knirschend seine Zähne und läßt Schaum an seinen Mundwinkeln hervortreten.
Den Kranken binde mit vielfach geflochtenen Stricken und mache ihn dann trunken mit Wein, den du ihm auch wider seinen Willen mit gelinder Gewalt bis zum Uebermaß einflößen mußt. Den zugebissenen Mund brich ihm auf, damit er, von deiner Hand bezwungen, das Gift ausbricht. Oder setze ein noch ganz kleines Junges einer wohlgenährten Gans den Strahlen des Feuers aus und koche es in Wasser weich. Auch gieb ihm die auf den Bergen wachsenden harten Früchte des wilden Apfelbaumes, nachdem du sie abgeschält hast, oder auch die in den Gärten angepflanzten, welche im Frühling erscheinen und den kleinen Mädchen als Spielzeug dienen, oder Birnquitten, oder jene Früchte von dem fruchtbaren Kydon auf Kreta, welche dort an den Bergströmen gedeihen. Alle diese Früchte zerstoße lange und gut in einem Mörser, füge etwas Wasser hinzu, wirf dann frische, wohlriechende Poleiminze zu den Aepfeln und rühre alles gut durcheinander. Auch ein wenig Rosen- oder Irisöl schöpfe aus einem Kruge und träufle es ihm mit einem Wollflocken in den aufgebrochenen Mund. Nach Erduldung unsäglicher Leiden wird er nur mit Mühe und erst nach vielen Tagen seinen wankenden Fuß wieder fest aufsetzen können, während sein Auge noch angstvoll hin und her irrt. Mit diesem Gifte bestreichen die Nomaden von Gerra und die Völkerschaften, welche an den Fluten des Euphrat ihre Aecker pflügen, ihre ehernen Lanzen. Diese verursachen unheilbare Wunden an der Haut, die sich schwarz färbt; das scharfe Gift der Hydra frißt unter ihr fort, sie zerfällt in Fäulnis und bricht auf. Vers 249—278. Wenn jemand das wie Feuer brennende Gift der Kolchischen Medea, nämlich Zeitlose, bekommen hat, so werden seine von dem Tranke benetzten Lippen sogleich von einem unaufhörlichen Brennen ergriffen, als wenn er sich mit dem weißen Safte des Feigenbaumes oder mit der scharfen Brennessel oder auch mit dem Safte der aus vielen übereinander liegenden Häuten bestehenden Meerzwiebel, welche die zarte Haut in schrecklicher Weise rötet, verbrannt hätte. Nach dem Genusse des Giftes entsteht ein Schmerz im Magen, der zuerst angefressen wird, sich dann von Grund aus unter furchtbarem Erbrechen mit Geschwüren bedeckt und das Gift durch den Hals von sich giebt, als wenn ein Koch trübes Spülwasser von Fleisch ausgießt; gleichzeitig wirft auch der Unterleib blutdurchsetzte Kotmassen aus. Zerstampfe entweder die heilkräftigen Blätter der gewöhnlichen Eiche oder auch der Speiseeiche und gieb sie zusammen mit den Eicheln. Oder laß ihn sich an frisch in ein Melkfaß gemolkener Milch satt trinken und dieselbe im Munde zurückbehalten. Ferner werden die jungen Triebe oder auch die Wurzeln vom Knöterich in Milch gekocht helfen. Zugleich schneide auch Ranken der Weinrebe in Wasser; ebenso zerschneide auch dornige Schößlinge der Brombeere. Auoh kannst du von der nahrhaften Kastanie die noch hellgrüne Haut abziehen und geben; diese bildet eine Hülle um jene dünnschalige Nuß und läßt als trockenes Häutchen gleich unter sich das innere Fruchtfleisch der schwer zu schälenden Nuß, welche der Boden von Kastanis hervorbringt, folgen. Ferner nimm schnell das innerste Mark des Steckenkrautes heraus, welches das heimlich von Prometheus entwendete Feuer in sich aufnahm. Zugleich gieb auch reichlich Blätter des immergrünen Quendels und bittere Früchte der Myrte in Wein. Oder weiche darin Schalen von Granatäpfeln auf und füge zu diesem Tranke auch die Früchte selbst; so wirst du ein zusammenziehendes Getränk erhalten und die Krankheit heilen.
Vers 279—311. Auch der Trank von Ixia, der den Tod bringt, wenn er listig an deine Lippen gebracht ist, und der nach Basilienkraut riecht, soll dir nicht unbekannt bleiben. Dem Vergifteten schwillt durch innere Entzündung allmählich die ganze Zunge auf ihrer Oberfläche an und wird rauh. Er verliert den Verstand und in der Wut zerbeißt er seine Zunge mit den Zähnen, denn er wird bisweilen vom Wahnsinn überwältigt. Die beiden Ausgänge für Flüssiges und Festes im Leibe verstopfen sich ohne Grund und versagen den Dienst. Jener hält auch die Winde zurück und läßt dadurch in seinem Innern gurrende Töne vernehmen, und während sie sich drinnen nur auf schmaler Bahn fortwälzen, brausen sie oft gleich dem Donner des regenschweren Olymp oder dem verhängnisvollen Rauschen des Meeres, mit dem es an felsigen Klippen dahintost. Wenn der Kranke sich auch noch so sehr quält, so steigen ihm doch infolge der Erschöpfung nur schwer die Gase durch den Mund in die Höhe; dagegen bewirken die Arzneitränke sogleich Darmentleerungen. Diese sehen aus wie Eier, die ein wohlgenährtes Huhn, welches seine mutigen Küchlein unter sich hegt, infolge kürzlich erlittener Schläge oder infolge einer Krankheit als nur von Häuten umgebene Klumpen ohne Schale aus dem Leibe auswirft und als Frucht, der kein Leben beschieden ist, zur Erde fallen läßt. Den Kranken wird der bittere Trank von in frisch gekeltertem Most gut eingeweichtem Absinth von den Schmerzen befreien. Auch kannst du Harz vom Terpentinbaume oder die Harzthränen der Fichte und der weinenden Kiefer zerreiben. Denn unter dieser zog Apollo dem Marsyas die Haut vom Leibe, und dieser Baum beweint als einziger das weit bekannte Schicksal desselben und läßt beständig in den Bergschluchten ein lautes Jammern ertönen. Ferner gieb ihm reichlich Blüten vom weißglänzenden, mäusetötenden Gamander oder schneide noch kleine Zweigspitzen der Raute für ihn ab, oder nimm Narden und den Hoden des in Sümpfen lebenden Bibers. Oder zerreibe mit dem gezackten Schabmesser einen Obolusl von der Wurzel vom Silphium oder verabfolge eine gleiche Gewichtsmenge von dem Safte der Pflanze. Oft mag er auch reichlich wilden Dost genießen oder sich an frisch aus dem Faß genommenem Käse satt essen. Vers 312—334. Wenn jemand unbedacht frisches Stierblut getrunken hat, so fällt er, nach Luft ringend und von Qualen überwältigt, dumpf zu Boden. Denn das Blut dringt schnell in seine Brust ein, gerinnt darin leicht und bildet mitten in der Höhlung des Magens dicke Gerinnsel. Die Luftwege verstopfen sich, und da der Hals verschlossen ist, so wird der Atem in der Brust zurückgehalten. Der Kranke wird von Krämpfen ergriffen und wälzt sich lange auf dem Boden herum, wobei sein Gesicht mit Schaum bedeckt ist. Schneide entweder saftige Feigen vom wilden Feigenbäume ab, weiche sie in Essig auf, vermische diesen mit Wasser und rühre das letztere gut mit dem zusammenziehenden Essig durcheinander, oder reinige den belasteten Leib gründlich durch ein Klystier. Auch kannst du zerriebenen Lab von einem Hirschkalbe, einem jungen Reh oder einer jungen Ziege durch einen leinenen Beutel mit vielen Poren durchseihen; auch wenn du ihn einem leichtfüßigen Hasen entnimmst, wirst du dem Leidenden Hilfe und schnelle Heilung bringen. Oder wäge eine Gewichtsmenge von drei Obolen gut zerriebener Soda ab und gieb ihm dies in einen Trunk alten süßen Weins verrührt, oder auch je eine Litra Silphiumwurzel. Silphiumsaft und Kohlsamen, die in Essig gelegt sind. Ferner gieb ihm reichliche Mengen von der Wurzel des übelriechenden Alants oder Pfeffer und zerriebene Schößlinge des Brombeerstrauches. So
wirst du leicht die Klumpen des geronnenen Blutes, die in dem Magen festsitzen, auflösen oder zerkleinern können. Vers 335—363. Auch der Schmerzen bereitende Trank von der giftigen Buprestis darf dir nicht unbekannt sein, und du sollst es erkennen, wenn ein Mensch demselben zu erliegen droht. Das Gift hat einen unangenehmen Geruch und frißt gleich der Soda die Mundwinkel an und färbt sie durch Entzündung rot. Am Magenmunde entstehen ziehende Schmerzen. Der Urin ist angehalten und die Blase läßt unten ein Rauschen vernehmen. Der ganze Unterleib schwillt an wie bei der tympanitischen Art der Wassersucht, die als Zeichen verdorbener Säfte ihren Sitz rings um den Nabel hat und die Haut wird überall am Körper gespannt und durchscheinend. Das Tier bewirkt auch bei jungen Stieren und dickbäuchigen Kälbern eine Anschwellung, wenn diese dasselbe auf ihrer Weide verspeisen; deswegen nennen die Hirten es „Rindsschweller“. Dem Kranken mache einen Trank aus dreijährigem Wein mit gut getrockneten, genabelten Feigen vom gepflanzten Feigenbaume zurecht oder reiche ihm dieses Heilmittel, nachdem du jene mit einer Reibekeule zerquetscht und zerstoßen und über Feuer weich gekocht hast. Entweder laß den Mann, der eben das Gift getrunken hat, sich an diesem honigsüßen Getränke satt trinken, oder gieb ihm auch eine Schale mit Milch. Oft kannst du dazu die trockene Frucht der Dattelpalme2) fügen, oder gieb ihm getrocknete Früchte von wilden Birnbäumen in Wein. Oder er mag sich wie ein Säugling an die Brust eines Weibes legen und nach Kälberart Milch aus derselben saugen, gleich wie ein junges Kalb durch Stöße gegen das Euter den erquickenden Trank der Mutterbrust aus seinen Hüllen herausdrängt. Oder verabfolge ihm reichlich fettes, erwärmtes Oel und zwinge ihn zum Brechen, indem du ihm trotz seines Widerstrebens mit Gewalt einen Finger oder eine Feder oder eine zusammengedrehte Rolle Papier in den Schlund einführst und Brechreiz hervorrufst. Vers 364—375. Wenn frisch getrunkene Milch in der Höhlung des Magens gerinnt, so führt sie durch ihre Anhäufung Erstickung und den Tod herbei. Dem Kranken gieb einen Trank, welcher in drei Teilen einen Teil Weinessig und zwei Teile Most enthält, und reinige den verstopften Leib durch ein Klystier. Oder reibe die aus Libyen stammenden Wurzeln von Silphium in Essig und gieb ihm diese oder den in derselben Flüssigkeit aufgelösten Saft der Pflanze. Oft kannst du ihm außerdem noch zerreibende Asche oder eine frisch sprossende Aehre vom Quendel verabreichen. Bisweilen hilft auch eine Weinranke mit in Wein gelegtem Euknemum. Auch ein Trank Lab kann die Gerinnsel auflösen; ebenso grünliche Blätter der Minze, die entweder mit Honig oder auch mit sauerem Essig vermischt worden sind. Vers 376—396. Jetzt lerne das Doryknium kennen, dessen Saft wie Milch aussieht und schmeckt. Dem Kranken stößt ein ihm sonst unbekanntes Schlucken sogleich den Hals nach hinten zurück. Von Schmerzen am Magenmunde gequält, bricht er oft blutige Speisereste aus oder entleert schleimige Kotmassen aus dem Unterleibe wie jemand, der an Ruhr und
Tenesrnus leidet. Ohne Verlangen seine trockenen Lippen zu benetzen wird er schließlich von den Qualen des Durstes erschöpft und überwältigt und fallt dumpf zu Boden. Dem Kranken gieb oft einen Trunk Milch oder zugleich schnell becherweise warmen Most. Auch das saftreiche Brustfleisch eines fetten Huhnes hilft, wenn es weich gekocht und gegessen wird; ebenso auch die Brühe davon, wenn sie reichlich becherweise getrunken wird, und alle Tiere, welche unter dem Brausen des felsigen Meeres stets an den an Seetang reichen Gestaden ihre Nahrung suchen. Diese soll er teils roh, teils gekocht, teils in Feuer geröstet essen. Viel besser noch werden ihn Gerichte von Schnecken, Purpurschnecken, Meerkrabben, Steckmuscheln und vom roten Seeigel sowie Kammmuscheln heilen; auch die Heroldsschnecken und Austern sollen sich nicht lange an ihrem Seegrase erfreuen. Vers 397—414. Auch der gefährliche Trank von Pharikum soll dir nicht unbekannt bleiben. Er ist nicht zu verkennen und verursacht heftigen Schmerz im Munde. An Geschmack gleicht er, wie du wissen magst, der Narde. Er ruft bald Zittern, bald Wahnsinn hervor und tötet selbst einen erwachsenen Menschen leicht in einem einzigen Tage. Dem Kranken gieb entweder nach Gewicht von der schlauchähnlichen Wurzel der schön blühenden Narde, welche die Cilicischen Berge an den Fluten des Kestros hervorbringen, oder wohlgeriebenen Pferdeeppich. Femer nimm Schwertlilien und Blüten der Lilie, welche der Aphrodite verhaßt war, weil sie mit dieser wegen der zarten Farbe einen Wettstreit einging, und welcher dieselbe einen entstellenden Schandfleck aufdrückte, indem sie mitten aus ihren Blumenblättern den häßlichen Penis eines Esels hervorsprossen ließ. Oder schere ihm den Kopf und schneide ihm rings das Haar mit einem scharfen Rasirmesser an den Wurzeln ab; dann koche frisches Gerstenmehl und trockene Blätter der Raute, welche sehr schnell durch Raupenfraß beschädigt werden, in Essig und mache ihm damit sorgfältig warme Umschläge um den Kopf. Vers 415—432. Niemand möge in seiner Unwissenheit seinen Magen mit Bilsenkraut füllen, wie es häufig unvernünftige Menschen thun oder Kinder, welche eben die Windeln und Kopfbinden abgelegt, dem gefährlichen Umherkriechen entsagt haben, ohne die sich plagende Wärterin aufrecht einhergehen und so entweder aus Unverstand die Zweige mit den schädlichen Blüten zerkauen, oder weil die eben an ihren Kiefern hervorbrechenden Schneidezähne an dem geschwollenen Zahnfleische ein unerträgliches Brennen hervorrufen. Dem Kranken gieb entweder reichlich einen reinen Trunk Milch oder einen solchen vom Bockshorn, das als Viehfutter dient, zwischen den leichten Blättern schön gebogene Hörner trägt und, wenn mit mühsam bereitetem Oele getrunken, großen Nutzen bringt. Oder verabreiche trockene Samen der Brennessel, oder laß ihn reichlich aus den Blättern derselben den Saft roh aussaugen, oder gieb ihm Cichorie, Kresse und Früchte der Persea, ferner reichlich Senf und Rettich sowie zugleich mit diesen junge Zwiebeln. Auch ein frisch bereiteter Trank aus dem Wurzelkopf des Knoblauchs mit den vielen Zwiebelchen hält das Verhängnis fern. Vers 433—464. Sieh dir ferner die in tiefem Schlafe liegenden Menschen an, welche den Saft des seine Samen in einem Kopfe tragenden Mohnes getrunken haben. Die Spitzen aller Gliedmaßen erkalten, und die Augen öffnen sich nicht, sondern scheinen unbeweglich an die
Augenlider gefesselt zu sein. Am ganzen Körper rinnt in Strömen nach Opium riechender Schweiß infolge der Schwäche herab, das Gesicht wird blaß, die Lippen schwellen an, die Bänder des Kiefergelenkes werden schlaff, und nur spärlich und kalt dringt der Atem mühsam und langgezogen durch den Hals. Oft kündet der schwarzblaue Nagel oder die eingebogene Nase den Tod an, manchmal auch die hohlblickenden Augen. Fürchte dich nicht vor diesen Erscheinungen, sondern laß es dir ganz und gar angelegen sein zu helfen. Zu diesem Zwecke flöße dem mit dem Tode Ringenden reichliche Mengen von Wein und von heißem Most ein. Oder zerreibe die von den Hymettischen Bienen erzeugten Honigwaben und gieb ihm schnell den Honig vermischt mit dem Weine. Die Bienen sind aus dem Cadaver eines auf der Weide gefallenen Kalbes hervorgegangen; daher bauten sie auch zuerst in einer hohlen Eiche schwarmweise ihre Nester, erinnerten sich dann ihrer Kunst und fertigten für die Ceres die vielzelligen Honigwaben an, indem sie mit ihren Füßen Thymian und blütenreiches Heidekraut abweideten. Auch kannst du ihm entweder frisches Rosenöl mittels eines langhaarigen Wollfadens einträufeln oder Irisöl oder glänzendes Olivenöl, indem du ihm die Zähne an den Mundwinkeln aufbrichst, wenn diese sich senken, und einen dicken damit getränkten Wollfaden einführst. Ferner suche ihn sofort dadurch aufzuwecken, daß du ihn beiderseits auf das Gesicht schlägst oder ihn anrufst oder ihn im Schlafe schüttelst, damit der ohnmächtige Kranke von der verderblichen Schlafsucht befreit und sodann durch Erbrechen von dem gefährlichen Leiden erlöst wird. Auch kannst du leinene Tücher in Wein tauchen und darauf in warmgemachtem Oele reiben, um mit dieser Flüssigkeit seine erkalteten Gliedmaßen zu erwärmen; oder setze ihn in eine hölzerne Wanne und mache ihm ein Bad zurecht, um ihn sogleich mit warmem Wasser zu begießen und dadurch das Blut wieder flüssiger und die gespannte und spröde Haut wieder geschmeidiger zu machen. Vers 465—494. Auch den furchtbaren und Verderben bringenden Trank von dem tötlichen Seehasen, den die Wogen des kieselreichen Meeres hervorbringen, sollst du kennen. Sein Geruch ist derjenige von Fischschuppen und von Wasser, in welchem Fische abgespült wurden; auch sein Geschmack ist fischartig und gleicht demjenigen von verfaulten oder von ungereinigten Fischen, deren Körper noch von den schmutzigen Schuppen umhüllt ist. Mit Schleim bedeckt, gleicht das Tier, wenn es eben geboren ist, den dünnen Fangarmen des weiblichen oder des männlichen Tintenfisches oder der schnell entfliehenden Sepia, welche mit ihrer Galle das Meerwasser schwarz färbt, wenn sie die schmerzende Angel des Fischers gefühlt hat. Des Kranken Körper überläuft eine dunkele, grün-gelbe Farbe wie bei der Gelbsucht, seine Muskeln werden nach und nach dünner und schwinden dahin, und vor dem Essen hat er einen Abscheu. Zuweilen entstehen Oedeme der Haut und eine Schwellung der Knöchel; auch seine Augen sind gedunsen und auf seinen Wangen scheinen schwellende rote Blüten zu sprossen. Nun folgt vollends eine spärlichere Absonderung des Urins, welcher entweder nur dunkelrot gefärbt oder fast rein blutig ist. Jeglicher Fisch, der ihm vor den Augen erscheint, ist ihm verhaßt, und von Ekel erfüllt weist er höhnisch alle Gerichte von Seetieren zurück. Dem Kranken verabfolge reichliche Mengen des in Phocis erfundenen Trankes von der Nieswurz oder Saft von frischen Purgirwinden, damit er den Trank und die Ueberreste von dem gefährlichen Seetiere aus dem Körper entleert. Oder er möge frisch gemolkene Eselsmilch trinken oder die klebrigen Zweige der Malve in einem Topfe zerkochen und den
Saft davon einnehmen. Auch ein Obolus Cedernharz kann ihm verabreicht werden. Ferner möge er reichliche Mengen von den roten Früchten der kretensischen, der weinroten, der sogen. promenischen und. der äginetischen Granate zerkauen, welche sämtlich in ihren harten, roten Früchten Scheidewände so dünn wie ein Spinnengewebe enthalten. Oder drücke Weintrauben in einem Binsenkorbe aus, gleich wie man Oliven, die unter der Reibekeule von Oel triefen, ausquetscht, und gieb ihm den Saft zu trinken. Vers 495—520. Wenn jemand, dessen Kehle von brennendem Durste ausgetrocknet ist, gierig wie ein Stier über einen Wasserlauf herfällt und daraus trinkt, nachdem er die zarten, seegrasähnlichen Wasserpflanzen mit der Hand bei Seite geschoben hat, so nähert sich ihm schnell der blutliebende Blutegel, den mit seinem dünnen Leibe schon lange nach Blut verlangt, und dringt, nach Nahrung begierig, bei der Hast, mit der jener trinkt, in großer Zahl aus dem Wasser in seinen Mund. Oder wenn das Dunkel der Nacht seine Augen umfängt und er sich unbedacht über den Wasserkrug beugt, um daraus zu trinken, und an dessen Lippen die seinigen drückt, das an der Oberfläche des Wassers schwimmende Tier aber dabei in seine Kehle gleitet, so beißt sich dieses dort, wohin es die wirbelnde Strömung zuerst getrieben hat, in Massen fest, um das Blut des Körpers auszusaugen, und sitzt entweder an der Pforte, wo sich der Atem stets bei seinem Wege durch den engen Schlund zusammendrängt, oder haftet rings um den Magenmund und richtet dadurch den Menschen zu Grunde, daß es sich die eben von ihm eingenommenen Speisen aneignet. Diesem gieb becherweise verdünnten Weinessig zu trinken oder gleichzeitig damit Schnee zu essen oder auch Eis, das jüngst unter dem kalten Hauche des Nordwindes erstarrt ist. Oder grabe eine salzreiche umgepflügte Erdscholle aus und bereite ihm daraus einen schlammigen Heiltrank. Oder gieb ihm Meerwasser selbst zu trinken, nachdem du es entweder sogleich durch die Sonne der Hundstage erwärmt oder andauernd über Feuer erhitzt hast. Oft kannst du ihm auch reichlich aufgelöstes Steinsalz oder Salzschaum zu trinken geben, welcher stets von dem Salzgewinner gesammelt wird und sich am Grunde des Gefäßes bildet, wenn er Salzwasser mit Süßwasser mischt. Vers 521—536. Möge niemanden das gefährliche Ferment des Erdbodens schädigen. Dasselbe schwillt oft in der Brust an oder schnürt die Kehle zusammen, da es zuweilen über den tiefen Schlupfwinkeln der Viper wächst und daher das Gift und den Atem aus dem Munde der in der Höhle lauernden Schlange aushaucht. Dies ist das gefährliche Ferment, welches man allgemein Pilze nennt, denn man unterscheidet verschiedene Namen dafür. Gieb entweder den hüllenreichen Kopf des Kohles oder eine abgeschnittene Zweigsprosse der Raute als Abkochung oder auch die Blüte des schon vor langer Zeit bearbeiteten Kupfers. Oder verabreiche in Essig zerriebene Asche von Weinranken. Ferner reibe die Wurzel der Speichelwurzl und gieb sie in einem Aufguß von Essig oder Soda oder Blätter der in Gärten gezogenen Kresse, sowie Citronen und beißenden Senf. Auch verwandle Weinhefe oder Kot des Haushuhnes durch Verbrennen in Asche und gieb ihm dieselbe ein. Stecke ihm ferner deine rechte Hand in den Schlund, damit er das schreckliche Gift ausbricht. Vers 537—566. Wenn dich der schwer zu meidende Trank von der schlüpfrigen, giftigen und furchtlosen Eidechse, die man Salamander nennt und die nicht einmal von loderndem Feuer
versehrt wird, vergiftet hat, so schwillt sogleich der Zungengrund an; ein Frostgefühl lähmt die Kranken, und heftiges Zittern erschlafft in lästiger Weise ihre Gliedmaßen, so daß sie wie kleine Kinder umhertaumeln und auf allen Vieren kriechen; denn ihre Sinne, die vorher vernünftig waren, werden abgestumpft. Die Oberfläche des Körpers überziehen dicht nebeneinander stehende tiefdunkele Beulen, welche bei der weiteren Ausbreitung des Leidens eine Flüssigkeit absondern. Dem Kranken gieb entweder Harztropfen, die von der Kiefer abgestreift sind, vermischt mit dem ertragreichen Product der Bienen, oder Blätter des sprossentreibenden Günsels, die zusammen mit den Zapfen, welche die Kiefer hervorbringt, gekocht sind. Oder mische die Samen der Nessel mit auf der Mühle gemahlenem Mehle der Linsenwicke und verabreiche beides geröstet. Ferner bestreue gekochte Nesseln mit lockerem Gerstenschrot, tränke dies gut mit Oel und gieb ihm von dieser Speise, wenn er sie auch nicht mag, eine reichliche Menge. Auch Harz und das der Ceres geweihte Product der Biene, sowie die Wurzel von Galbanum und warme Eier der Schildkröte die entweder über loderndem Feuer mit dem Fleische der gehörnten Meerschildkröte, welche schnellfüßig dahinschwimmt, oder mit dem der schneckenkleefressenden Bergschildkröte zusammen gekocht sind, wirken heilend. Der letzteren verlieh der gütige Hermes eine Stimme, wenn sie auch nicht zu sprechen vermagl; er trennte nämlich von ihrem Körper die buntschillernde Schale und spannte an ihrem Schulterteile jederseits einen Stab aus. [Auch fettreiches Schweinefleisch ist heilsam]l. Ferner koche Frösche, die kecken Erzeuger der Kaulquappen, und zugleich damit Wurzeln von Männertreu, oder gieße eine reichliche Menge von Purgirsaft in einen Topf und erhitze ihn. Damit sättige den Kranken und dann wirst du denselben, der dem Tode bereits nahe gekommen war, retten. Vers 567—593. Wenn jemand von der Sommerkröte oder von der stummen grünen Kröte, die im Frühling in den Gebüschen sitzt und mit giftiger Zunge den Tau ableckt, einen Trank bekommt, so bringt die erstere auf der Haut eine gelbgrüne Farbe hervor, welche derjenigen der Thapsie gleicht. Die Gliedmaßen schwellen an, die Atmung ist andauernd beschleunigt und angestrengt, und dem Munde entströmt ein übler Geruch. Diesem gieb gekochtes oder gebratenes Fleisch von einem Frosch oder Pech mit süßem Wein vermischt. Auch die Milz der an Leiden reichen Sumpfkröte, welche als die erste auf dem feuchten Moose durch ihren Ruf den alle Herzen erfreuenden Frühling ankündet, hält die Gefahren und Qualen, die das Gift verursacht, fern. Die stumme Kröte dagegen, welche im Röhricht wohnt, ruft auf der Haut eine gelbgrüne, der Farbe des Buchsbaumes ähnliche Färbung hervor oder läßt dem Munde Galle entströmen; auch häufiges Schlucken kann den Körper erschüttern und Magenschmerzen veranlassen. Lange beschmutzt es auch durch unwillkürliche Samenentleerungen die Glieder und macht die Vergifteten unfruchtbar, mag es ein Mann oder eine Frau sein. Diesem gieb becherweise reichliche Mengen Wein zu trinken und laß ihn selbst gegen seinen Willen sich erbrechen. Oder setze den stets heilbedürftigen Kranken in ein über dem Feuer erwärmtes hohles Faß und laß ihn ein heißes Luftbad nehmen, damit er Ströme von Schweiß vergießt. Auch kannst du die Wurzeln des großen Rohres zerschneiden und mit Wein ver-
mischt geben; dasselbe wächst in demselben Sumpfe, in welchem jene kleinen Amphibien heimisch sind und herumhüpfen und -schwimmen. Auf dieselbe Art und Weise verabfolge ihm auch weibliches oder männliches Cyperngras, das ein zähes Leben hat. Ferner laß seinen Körper durch andauernde starke Bewegung und gänzliche Enthaltung von Speise und Trank austrocknen, bis seine Gliedmaßen erlahmen. Vers 594—610. Auch die gefährliche, viele Schmerzen verursachende Bleiglätte soll dir nicht unbekannt sein. Sie ruft einen drückenden Schmerz im Magen hervor, und mitten um den Nabel herum entfalten sich die Darmgase unter einem gurrenden Geräusch wie bei der schwer zu heilenden Darmverschlingung, welche die Menschen durch unsägliche Schmerzen betäubt und überwältigt. Der Urin hört auf zu fließen, die Gliedmaßen schwellen überall an und die Hautfarbe wird bleiähnlich. Dem Kranken gieb entweder zwei Obolen Myrrhen oder einen frischen Aufguß von Salbei oder von zerschnittenem Berg-Johanniskraut oder von Zweigen des Dosten oder von wilden Feigen und von Samen des Eppichs, mit welchem auf dem Isthmus die Nachkommen des Sisyphus nach Bestattung des in's Meer gestürzten Knaben Melikertes die Wettspiele förderten. Oder zerstampfe Pfeffer zusammen mit der Raute und verreibe dieses in Wein, um die gefährliche Krankheit zu heilen. Auch Sprosse mit frischen Blüten vom Hennastrauch oder junge Früchte vom Granatbaum, an denen noch die Blüten sitzen, kannst du verabreichen. [Vers 611—615 Pflücke nicht die giftige Eibe, die der Tanne ähnlich ist und auf dem Oeta wächst, denn sie bringt dir einen tränenreichen Tod. Wenn das Gift derselben den Schlund und den engen Weg durch die Kehle zuschnürt, wird allein ein Trunk ungemischten Weines sofort Heilung bringen.] [Vers 616—628. Die oben erwähnten Heilmittel gegen Vergiftung mit Pilzen hat Nikander selbst in diesem Buche angegeben. Außer denselben hilft auch die Myrte, deren Zweige der Artemis verhaßt sind und auch der Hera von Samos keinen Kranz als Preis für die Schönheit flochten, weil man die Aphrodite auf den Bergen des Ida damit schmückte, als die drei Göttinnen sich zum Wettkampf gerüstet hatten. Von dieser, die in wasserreichen Waldtälern wächst, gieb die unter den Strahlen der Wintersonne gewachsene und erwärmte dunkelfarbige Frucht, die ein vorzügliches Heilmittel darstellt; zu diesem Zwecke drücke den Saft derselben in einem Mörser aus, presse ihn sodann durch einen dünnen Leinwandbeutel oder durch ein Binsensieb und gieb davon einen vollen Schöpfbecher oder mehr. Je mehr du giebst, desto besser ist es; denn dieses Getränk ist für Menschen nicht unangenehm, und es wird Heilung bringen, wenn du es trinkst.] Vers 629—630. Mögest du auch in Zukunft des Dichters Nikander gedenken und so die Satzungen des Zeus, des Beschützers des Gastrechtes, beachten.