Netzwerkarbeit als Methode der Sozialen Arbeit

June 1, 2017 | Author: Wolfgang Krieger | Category: Social Work
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Netzwerkarbeit als Methode der Sozialen Arbeit

Wolfgang Krieger, Hochschule Ludwigshafen am Rhein

Das wichtigste Merkmal des Netzwerkansatzes ist die ganzheitliche Betrachtung des sozialen Beziehungsgefüges, in welches ein Mensch eingebunden ist, und die Verbesserung seiner Beziehungen mit dem Ziel, mehr Möglichkeiten zur sozialen Unterstützung zu schaffen. Die Erfassung sozialer Netzwerke gestattet es, nicht nur face-to-face-Beziehungen, sondern auch soziale Kontakte zu darzustellen, die über die direkten alltäglichen Beziehungen eines Menschen hinausgehen. So kann auch der Raum erfasst werden, in dem eine Person dritte Personen indirekt über andere erreichen kann. Neben den primären Beziehungen eines Menschen in der Familie, zur Verwandtschaft und zu Freunden und Bekannten können auch die potenziellen Kontaktmöglichkeiten abgebildet werden, die für eine Person durch die Mithilfe Dritter geschaffen werden könnten. Vor allem diese Möglichkeit macht den Netzwerkansatz für die Soziale Arbeit interessant. Daneben gilt es für die Soziale Arbeit, auch die schon vorhandenen Kontakte ihres Klienten zu fördern, zu stabilisieren oder zu erweitern. Im Rahmen des Casemanagements ist der Netzwerkansatz zum einen hilfreich, um dem Klienten in schon vorhandenen Netzwerken die Hilfepotenziale aufzuzeigen, die im Falle einer Krise aktiviert werden können, zum anderen aber auch, um Strategien zu entwickeln, das soziale Netzwerk des Klienten auszubauen und tragfähiger zu machen.
Es war die Idee des Anthropologen John A. Barnes, die sozialen Beziehungen eines Menschen durch eine graphische Darstellung zu erfassen, die einem Netzwerk gleicht. Die Idee kam ihm im Rahmen einer Feldstudie in den Fünfzigerjahren, als er in einem norwegischen Fischerdorf über die Darstellbarkeit von Beziehungsstrukturen nachdachte und dabei sein Blick auf ein Fischernetz fiel. So kam es ihm in den Sinn, diese Beziehungen so konstruieren wie die Verbindungen zwischen den Knoten, die die einzelnen Kontaktpersonen symbolisieren. Die hiesige Darstellung des Netzwerkansatzes folgt im Wesentlichen seinen Vorstellungen.
Empirische Untersuchungen zur Bedeutung von sozialen Netzwerken gibt es in den USA seit Mitte der Siebziger Jahre. Hier wurden insbesondere die sozialen und persönlichen Folgen von defizitären Netzwerken untersucht, etwa die soziale Isolation und die Einsamkeitsfolgen von zu schwachen oder fehlenden Netzwerken bei psychisch Kranken oder Behinderten in Kliniken. Eines der Hauptergebnisse der ersten Forschungen zur Bedeutung von Netzwerken war, dass die Nachfrage und Nutzung von formalen Ressourcen (bei Behörden, Hilfe-Institutionen und Selbsthilfe-Initiativen) sehr stark davon abhängig ist, ob informelle Ressourcen (Hilfe von Verwandten, Bekannten) nicht ausreichend zur Verfügung stehen oder auch bereits versagt haben. Ferner konnte festgestellt werden, dass enge persönliche Beziehungen vor allem dem Erhalt des physischen und psychischen Wohlergehens (Gesundheit, psychische Allgemeinzustand) und der Versorgungssicherheit dienen, hingegen schwache Beziehungen eher dem Statuserhalt oder der Statusverbesserung dienen.
Inzwischen gibt es zur Erfassung von Strukturmerkmalen sozialer Netzwerke statistische Software, die eine schnelle Analyse und graphische Darstellung von Netzwerkstrukturen erlaubt.

Das egozentrierte soziale Netzwerk
Würde man durch eine Netzwerkanalyse alle Beziehungen, die ein Mensch hat, berücksichtigen und wiederum alle Beziehungen die diese Menschen haben und auch deren Beziehungen und immer so weiter, so hätte man als Abbild der Realität ein totales Netzwerk. Es versteht sich von selbst, dass ein solches Netzwerk nicht darstellbar ist und zu keinen verwertbaren Erkenntnissen führt. In der Praxis wird man sich daher auf die Erfassung eines partiellen Netzwerkes beschränken, welches im Wesentlichen die direkten Beziehungen einer Person und die direkten Beziehungen der Kontaktpersonen zu ihrem Bekanntenkreis einschließt.
Den Ausgangspunkt der Netzwerkanalyse bildet stets ein Individuum – Barnes nennt es Alpha –, für dessen Beziehungen sich der Forscher oder auch der Sozialarbeiter interessiert. Der Betrachter schaut gewissermaßen zunächst mit den Augen des Klienten in dessen Beziehungsraum. Wir sprechen daher vom egozentrierten sozialen Netzwerk. Es ist ein großer Vorteil dieser Erfassungsmethode, dass die Betrachtungsweise, die vom Klienten als Mittelpunkt des Netzwerkes ausgeht, mit der subjektiven Sichtweise des Individuums weitgehend übereinstimmt.
Barnes hat nun diese Netzwerke in Netzwerke verschiedener "Ordnung" unterschieden – abhängig von der Frage, wie weit der Beziehungsraum erfasst werden soll:
"first order star". Dieses Netzwerk erfasst/berücksichtigt nur die Beziehungen, die Alpha umittelbar zu anderen hat. Die Beziehungen, die diese untereinander oder wiederum zu anderen haben werden nicht berücksichtigt.
"first order Zone. Hier werden nun auch die Beziehungen berücksichtigt, welche die mit Alpha in Verbindung stehenden Individuen untereinander haben. Jedoch werden nur Beziehungen von Personen berücksichtigt, die mit Alpha in direkter Verbindung stehen.
second and higher order zone. Bei einem Netzwerk der "second order zone" werden auch die Beziehungen berücksichtigt, welche die Kontaktpersonen zu Dritten haben, zu denen Alpha keinen direkten Kontakt hat. Es werden also erstmals Personen berücksichtigt, zu denen Alpha nur über bestehende Beziehungen Kontakt finden könnte und über deren Existenz (und den damit verbundenen Möglichkeiten) er sich in der Regel nicht bewusst ist.
Dieses System wird für alle Netzwerke höherer Ordnung beibehalten. Es werden also die Beziehungen, welche Personen haben, die zu Alpha in Beziehung stehen, berücksichtigt, und wiederum deren Beziehungen zu anderen Personen u.s.w.. Wenn man diese Methode fortsetzt, so würde man schließlich ein totales Netzwerk erhalten.

Dimensionen der Netzwerkanalyse
Für die Erfassung, Darstellung und Bewertung eines sozialen Netzwerkes sind eine Reihe von Parametern eingeführt worden, durch welche sich ein Maß der tatsächlichen oder auch möglichen sozialen Integration einer Person bestimmen lässt. Im folgenden sind einige der für eine Beschreibung von Netzwerken wichtigen Dimensionen aufgeführt.
Größe (size). Die Größe eines Netzwerkes wird erfasst, wie viele Personen an einem Netzwerk beteiligt sind. Freilich hängt die Größe auch davon ab, welcher Typ des Netzwerkes (first order star, first order zone oder second order zone) in den Blick genommen wird.
Dichte (densitiy). Die Dichte beschreibt, wie groß der Anteil der tatsächlichen Verbindungen im Vergleich zu den möglichen Verbindungen ist. Diese Dimension gibt also Auskunft darüber, wie sehr jemand in ein soziales Netz eingebunden ist, aber eventuell auch, wie sehr er von diesem kontrolliert wird.
Reichweite (range). Die Reichweite bezieht sich auf den Umfang und die Zusammenstellung eines sozialen Netzwerkes, also die Anzahl der vorhandenen Beziehungen und die Vielschichtigkeit der Beziehungen. Besonderes Augenmerk wird hier auf die Tatsache gelegt, dass die Quantität von Beziehungen noch keine entscheidende Information über die Tragfähigkeit eines sozialen Netzes gibt, da diese vielmehr davon abhängt wie vielschichtig ein soziales Netz ist. D.h. nicht die Frage, wie viele Menschen ein Individuum innerhalb seines sozialen Netzes erreichen kann, sondern wie viele Verschiedene, ist von Bedeutung.
Inhalt (content). Die Frage nach dem Inhalt einer Beziehung ist die Frage nach der Qualität einer Beziehung. Dies beruht, wie auch schon der Punkt Reichweite, auf der Erkenntnis, dass allein die Quantität von Beziehungen noch keine entscheidende Information über die Tragfähigkeit eines sozialen Netzes gibt. So nützen z.B. einer Person, die sich in einer persönlichen Krise befindet, Hunderte "oberflächliche" Beziehungen weit weniger, als eine Beziehung, die auf gegenseitiges Vertrauen und Verständnis basiert. Inhaltlich lassen sich also Merkmale der Intensität, der Vertrauensqualität, der Intimität etc. erfassen.
Wechselseitigkeit (directedness). Diese Dimension des Netzwerkes unterscheidet Beziehungen danach, ob sie wechselseitig (reziprok) oder eben ob sie nicht wechselseitig sind.
Haltbarkeit (durability). Über diesen, für die Qualität eines Netzwerkes durchaus wichtigen Punkt, lässt sich erst im Nachhinein eine Aussage machen. Um die Haltbarkeit eines Netzwerkes zu überprüfen, bedarf es eines langzeitigen Vergleichs, der nicht nur die Erreichbarkeit von Personen, sondern auch die Stabilität der Beziehungsqualität zu diesen Personen erfasst. Es ist daher eher spekulativ, Prognosen für die Zukunft eines Netzwerkes abzugeben, da man nicht sagen kann, wie lange eine gegenwärtig bestehende Beziehung noch bestehen wird, noch, ob eine früher bestehende, aber zur Zeit ruhende Beziehung eventuell wieder aktiviert wird.
Homogenität. Hier wird überprüft, inwieweit die beteiligten Personen sich durch ähnliche soziale Attribute auszeichnen beziehungsweise inwieweit sie voneinander unterschieden sind. Gängige Homogenitätsparameter sind das Geschlecht, das Alter, die soziale oder ethnische Herkunft, politische oder religiöse Anschauungen etc.
Dispersionsmaß. Dieses Maß bestimmt, inwieweit die beteiligten Personen nahe oder weniger nahe beieinander wohnen, also räumlich gut oder schlecht für einander erreichbar sind.
Erreichbarkeit (reachability). Dieses Merkmal beschreibt die durchschnittliche Zahl der Zwischenstationen, die notwendig sind, um bestimmte Personen in der second oder higher order zone zu erreichen. Gemeint ist also die Frage, wie schwierig es für eine Person ist, Kontakt zu einer bestimmten anderen Person über "Zwischenstationen" aufzunehmen. Dies ist u.a. wichtig in Bezug auf die Erreichbarkeit von wichtigen Rollenträgern, die bei der Lösung eines Problems helfen könnten.
Offenheit. Das Merkmal Offenheit lässt sich bestimmen über die Frage, wie viele Verbindungen ein Netzwerk zu weiteren Netzwerken aufweist.
Ferner lässt sich erfassen, welches Rollengefüge in dem Netzwerk zu erkennen ist und wie stark die Personen durch reziproke Rollenbeziehungen gebunden sind, welche Berufe oder besonderen Fähigkeiten bei den Personen im Netzwerk zu finden sind, welche Unterstützungspotenziale die Beziehungen im Bereich emotionaler, kognitiver, instrumenteller oder materieller Hilfen enthalten, inwieweit das Netzwerk Hierarchien und Machtverhältnisse (asymmetrische Rollenrelationen) einschließt oder ob es Cliquen oder andere dichtere Bereiche (Cluster) enthält.

Was leisten soziale Netzwerke?
Die Bedeutung sozialer Netzwerke für das Individuum stützt sich auf eine Reihe von Funktionen, wovon die wichtigsten im Folgenden kurz genannt werden sollen:
Sozialisationsträger (Identitätsbildung). Die Sozialisation eines Menschen ist abhängig von dem sozialen Netzwerk, in dem er sich befindet, da ihm das Netzwerk nicht nur Normen und Werte und eine je spezifische Sicht der Welt vermittelt, sondern auch die notwendige Unterstützung in affektiver und alltagspraktischer Hinsicht gibt. Netzwerke von geringer Größe, aber hoher Dichte mit starken Bindungen, hoher Homogenität und geringer Dispersion fördern die Bildung und Aufrechterhaltung von relativ starren Identitätsmustern. Hingegen erlauben Netzwerke mit umfassender Größe und geringerer Dichte und mit eher schwachen Bindungen die Entstehung von Identitätsmustern, die für Veränderungen offen und anpassungsfähig sind. Wesentlich hierfür ist auch die Offenheit des Netzwerkes für andere Netzwerke.
Überbrückung zwischen Mikro- und Makroebene
Keupp sieht in dem Netzwerkkonzept u.a. die überbrückende Funktion zwischen Mikro-(hierbei handelt es sich um die direkte Umgebung und direkte Beziehungen, in und durch die sich Individuen entwickeln und durch die sie ihre Realität erfahren/konstruieren) und Makroebene (welche vor allem ideologische, kulturelle sowie insb. institutionelle und gesellschaftliche Aspekte beinhaltet), da es die Chance bietet, weiträumigere Zusammenhänge (Stadt, Landkreis, Bundesland u.s.w.) zu berücksichtigen, ohne das enge soziale Umfeld des Einzelnen (Familie, Freundeskreis u.s.w.) außer Acht zu lassen.
Puffereffekt
Netzwerke sind in der Lage, auftretende Belastungsspitzen (Krisen) abzufangen, sie wirken quasi wie ein Puffer. Durch die im Netzwerk vorhanden Ressourcen (natürlich nur, wenn diese vorhanden sind; sind diese nicht vorhanden kommt es, wenn keine ausreichenden individuellen Ressourcen gegeben sind zu einer Überlastung des Individuums) können in einer Krisensituation, Belastungen soweit und solange aufgefangen werden, bis entweder das Individuum sich auf diese Situation eingestellt hat und diese nun selber bewältigen kann, oder aber bis die belastende Situation vorbei oder zumindest abgeschwächt ist.
Präventive, kurative und rehabilitative Hilfe
Der Netzwerkansatz berücksichtigt die Ressourcen, welche im Netzwerk vorhanden sind, jedoch ohne dabei die individuellen Ressourcen außer Acht zu lassen. Wenn die individuellen Ressourcen nicht ausreichen sind, so sind die im Netzwerk vorhandenen von entscheidender Bedeutung.
Diese sind schon vor einer Belastungssituation vorhanden und können deshalb präventiv verhindern, daß aus einer Belastungssituation eine Krise wird. Wenn dies aber nicht gelingt und es zu einer Krise gekommen ist, so sind sie von tragender Bedeutung bei Bewältigung dieser Krise. Ebenso benötigt man die Ressourcen des Netzwerkes, wenn ein Individuum durch ein Krise aus der Bahn geworfen worden ist und er rehabilitiert, also wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden soll.
Netzwerkressourcen helfen also vor, während und nach einer Krise.

Die Intervention in soziale Netzwerke durch die Soziale Arbeit
Der Anlass für die Soziale Arbeit, mit der Netzwerkarbeit zu beginnen, liegt in der Regel in dem Umstand, dass entweder unterstützende Netzwerke beim Klienten nicht vorhanden sind oder dass vorhandene Netzwerke versagen, dass sie brüchig werden oder nicht mehr erreichbar sind. Es lassen sich unterschiedliche Gründe anführen, weshalb informelle Netzwerke zu wenig ausgebildet werden oder versagen.
Persönlichkeitsbedingte Gründe: Die Bereitschaft, die Bewältigung der Alltagsaufgaben durch die Mithilfe von sozialen Netzwerken zu verbessern, ist bei verschiedenen Subjekten unterschiedlich ausgeprägt. TOLSDORF sprach von einer subjektiven Netzwerkorientierung"., d.h. einem persönlichen Konstrukt über Haltungen, Einstellungen und Erwartungen einer Person zur Nützlichkeit sozialer Unterstützung und über Verhaltensbereitschaften zur tatsächlichen Inanspruchnahme von sozialer Unterstützung durch Netzwerke. Eine niedrige Netzwerkorientierung ist meist gepaart mit Misstrauen gegenüber anderen, Angst vor Abhängigkeit und einen niedrigen Selbstwertgefühl. Eine Rolle spielt auch die subjektive Einschätzung der Sichtweisen anderer im sozialen Netzwerk, die als Helfer in Frage kommen würden. Wird etwa erwartet, dass man an Ansehen und sozialem Status verliert, wenn man seine Hilfebedürftigkeit mitteilt, führt dies mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass das Eingeständnis von Hilfebedürftigkeit schamvoll zurückgehalten wird.
Stabile lebenslagebedingte Gründe: Hier ist vor allem ein mangelnder Anschluss an unterstützende Gruppen zu nennen, der dadurch zustande kommt, dass sich der Klient in einem wenig unterstützenden Milieu befindet, dass er anderen wenig zu bieten hat oder dass durch die Inanspruchnahme von Hilfe eine nachteilige Situation, z.B. eine schwer erträgliche Abhängigkeit entstehen würde. Der Verlust von Anschluss an Gruppen kann aber auch daher rühren, dass das der Klient durch eine soziale Verpflichtung, etwa wegen der Pflege eines Angehörigen oder der Versorgung eines Kleinkindes, den Kontakt zu seinen Netzwerken nicht mehr halten kann. Ferner gehören hierher Formen des sozialen Rückzugs aus gesundheitlichen Gründen oder als Folge von Erfahrungen sozialer Ablehnung.
Krisenbedingte Gründe: Soziale Netzwerke können auch infolge von lebenskritischen Ereignissen wie einer schweren Erkrankung, einem folgenschweren Unfall, dem Tod eines Lebenspartners oder eines anderen wichtigen Angehörigen oder einer gravierenden persönlichen Verfehlung geschwächt werden oder gar verloren gehen. Auch Krisen in der Beziehung zum Lebenspartner, insbesondere Scheidungen, lassen soziale Netzwerke schwinden. Persönlichkeitsbedingte Faktoren wie Scham oder Schuldgefühle können diese Tendenz noch verstärken. Auch ein Umzug in einen neuen Wohnort und mehr noch die Immigration in ein neues Land bedeuten meist einen erhebliche Schwächung des sozialen Netzwerkes solange, bis neue Beziehungen wieder aufgebaut sind.
Entsprechend dieser aufgeführten Gründe sollte beim Klienten untersucht werden, welche Potenziale für die Stärkung und Erhaltung von sozialen Netzwerken durch seine Person und durch seine soziale Lage zu erwarten sind.

Interventionsmöglichkeiten und -methoden
Die bisherigen Ausführungen, insbesondere zu den Dimensionen und Funktionen eines Netzwerkes, haben die Wichtigkeit des Netzwerkes für das darin eingebundene Individuum gezeigt. Deswegen bietet gerade das Netzwerkkonzept dem Sozialarbeiter/pädagogen, "der häufig die Eingeschränktheit seiner individuellen oder familialen Intervention erfährt, die theoretische Legitimation wie praktische Ansatzpunkte und Strategien eines (...) diagnostischen und eingreifenden Handelns."
Die Interventionsformen umschließen dabei sowohl die Beratung (von der Analyse der Netzwerke zur Ermutigung zu neuen Netzwerkorientierungen), als auch die Integration in bestehende Netzwerke, die direkte Einflussnahme auf soziale Netzwerke und die Initiation neuer Netzwerke. Insofern mit schon vorhandenen Netzwerken gearbeitet werden kann, ist zuweilen eine Netzwerksitzung" sinnvoll, zu der wichtige Bezugspersonen eines Klienten eingeladen werden. Im Gespräch können möglicherweise Unterstützungspotenziale aktiviert werden. In der deutschen und amerikanischen Sozialen Arbeit sind inzwischen zahlreiche Techniken der sozialen Netzwerkarbeit entwickelt worden.
Im Folgenden werden acht methodische Ansatzpunkte netzwerkorientierter Intervention aufgeführt.
Netzwerke wieder aktivieren und stabilisieren
Hierbei geht es vor allem darum, vorhandene Netzwerke, die verloren gegangen sind oder ihre stützende Funktion nicht mehr erfüllen, wieder zu aktivieren und zu stärken. Eventuell kann der Sozialarbeiter auch als Verbindung zwischen auseinander gerissenen Netzwerkteilen fungieren, etwa, wenn er für einen Inhaftierten die Kontakte zu den wichtigsten Bezugspersonen aufrecht erhält.
Netzwerke erweitern
Der Sozialarbeiter kann hier entweder auf der qualitativen Ebene intervenieren, indem er versucht, die Qualität vorhandener Beziehungen zu verbessern, oder er kann auf struktureller Ebene intervenieren, indem er versucht, das vorhandene Netzwerk durch neue Beziehungen zu erweitern, die für den Klienten ein Potenzial an Unterstützung bieten.
Den Klienten in andere Netzwerke integrieren
Insbesondere bei Klienten, die einen Umgang pflegen, der ihrer eigenen Entwicklung nicht förderlich ist, kann es hilfreich sein, wenn sie Anschluss an andere Netzwerke finden und dort eine zufriedenstellende Rolle gewinnen können. Der Sozialarbeiter managed hier für den Klienten sozusagen einen Milieuwechsel, durch den ihm neue Entwicklungsmöglichkeiten geschaffen werden.
Künstliche Netzwerke schaffen
Wenn die bestehenden Netzwerke keine ausreichende Unterstützung leisten können, so kann es sinnvoll sein, neue künstliche" Netzwerke zu initiieren, welche im besonderen Maße auf die gerade anstehende Problematik ausgerichtet sind.
Solche neu geschaffenen Netzwerke ergänzen zwar die bestehenden Netzwerke, sie können sie aber nicht ersetzen. Insbesondere die Initiierung von Selbsthilfegruppen Gleichbetroffener stellt eine solche Möglichkeit dar.
Die Netzwerkorientierung des Klienten fördern
Personen unterscheiden sich auch auf der psychischen Ebene in der Fähigkeit und Bereitschaft, im Bedarfsfalle Hilfe von sozialen Netzwerken anzunehmen. Diese Interventionsmöglichkeit zielt darauf ab, die sozialen Kompetenzen des einzelnen im Rahmen von Erziehung, Bildung, Beratung u.ä. so zu entwickeln, dass der Klient besser in der Lage ist, vorhandene soziale Ressourcen zu erkennen und zu nutzen oder aber auch neue Beziehungen zu schaffen.
Formelle und informelle Netzwerke verknüpfen ( linkage")
Für diesen methodischen Ansatz ist kennzeichnend, dass professionelle Versorgungssysteme besonders auf bestehende informelle Unterstützernetzwerke achten, sich mit ihnen verknüpfen und deren Ressourcen entdecken und nutzen. Das Ziel ist ein konstruktives Zusammenspiel von formellen und informellen Netzwerken mit dem Ziel, die Unterstützungspotenziale des informellen Netzwerk allmählich zu stabilisieren.
Die Unterstützer untersützen
Hierbei geht es um die Unterstützung derer, die die Belastung und insbesondere Überlastung anderer verhindern, abpuffern, teilen oder sogar ganz übernehmen. Diese Hilfe gegenüber den Unterstützern ist zum einen wichtig, um deren Überlastung zu verhindern, zum andern aber auch, um über die professionelle Beratung die Effektivität der Hilfe zu verbessern. Da soziale Netzwerke nur funktionieren können, wenn sie eine ausreichende materielle und ökologische Basis haben, können auch Interventionen erforderlich sein, die diese Rahmenbedingungen sichern.
Die Netzwerkorientierung professioneller Netzwerke fördern
Neben der Netzwerkarbeit mit dem Klienten gibt es auch eine Netzwerkarbeit mit der psychosozialen Praxis. Wir haben in diesem Artikel diesen Aspekt nicht beachtet, obschon er sicherlich nicht minder von Bedeutung ist. Hier gilt es, die Vernetzung zwischen Einrichtungen zu fördern, Zuständigkeiten und Kommunikationswege zu klären, um dem Klienten eine kompetente Hilfe anbieten zu können.

Schluss
Netzwerkarbeit kann als eine Methode der Sozialen Arbeit gesehen werden, die wesentlich dazu beitragen kann, Klienten bei der Bewältigung sowohl von zeitlich begrenzten Krisensituationen als auch von dauerhaften Belastungen im Alltag wirksam zu unterstützen. Dabei ist zu beachten, dass zwischen dem Eingriff" in das soziale Netz und der Rücksicht auf die Autonomie der Beziehungsgestaltung durch den Klienten eine sensible Balance zu leisten ist. Das allgemeine Ziel der Netzwerkarbeit muss es in der Regel sein, die informellen Unterstützungssysteme des Klienten auf Dauer so zu stabilisieren, dass die Hilfebedarfe des Klienten weitgehend aufgefangen werden können.
Sicherlich müssen der Netzwerkarbeit häufig noch andere Methoden zur Seite gestellt werden, insbesondere solche, die die materielle Ressourcenlage des Klienten, seine psychischen Dispositionen und seine Lebensperspektiven in den Blick nehmen. Im Gefüge dieser Faktoren aber ist die Verbesserung des sozialen Netzwerks des Klienten und damit die Aussicht auf zukünftig sichere soziale Unterstützung ein unverzichtbarer Baustein für eine gelingende Bewältigung der Lebensaufgaben.

Literatur:
Barnes, John A.: "Class and Comittees in a Norwegian Island Parish", in: Human Relations1954, Nr. 7, S. 39-58.
Bullinger, Hermann/Nowak, Jürgen: Soziale Netzwerkarbeit. Eine Einführung. Freiburg 1998.
Kähler H. D.: Der Professionelle Helfer als Netzwerker - Oder: Beschreib' mir dein soziales Netzwerk, vielleicht erfahren wir, wie dir zu helfen ist. Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 14/1983/4, S. 225-244.
Keupp H., Röhrle B. (Hrsg.): Soziale Netzwerke. Frankfurt/Main: Campus 1987.
Lenz, Albert: Die Methode des Networking in der Trennungs- und Scheidungsberatung. Neue Praxis 1996, H. 4. S. 301-312.
Nan Lin, Social Capital. A Theory of Social Structure and Action, Cambridge University Press, Cambridge 2001.
Nestmann, Frank: Netzwerkintervention und soziale Unterstützung fördern: Effektivität und Maximen der Nachhaltigkeit. In: Otto, Ulrich/Bauer, Petra (Hrsg.): Mit Netzwerken professionell zusammenarbeiten. Bd. 1: Soziale Netzwerke in Lebenslauf und Lebenslagenperspektive. Tübingen 2005, S. 131-156.
Neyer, Franz J.: Persönlichkeit und soziale Netzwerke. In: Otto, Ulrich/Bauer, Petra (Hrsg.): Mit Netzwerken professionell zusammenarbeiten. Bd. 1: Soziale Netzwerke in Lebenslauf und Lebenslagenperspektive. Tübingen 2005, S. 65-84.
Portes, Alejandro/Landolt Patricia: "The Downside of Social Capital", in: American Prospect 1996, Nr. 26, S. 18-22.
Stanley Wasserman, Katherine Faust, Social Network Analysis, Methods and Applications, Cambridge University Press, Cambridge 1994.

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Allerdings darf nicht übersehen werden, dass sich neben diesen positiven Potenzialen des sozialen Netzwerks auch eine Reihe von negativen Effekten finden können. Netzwerke können auch – so etwa in Systemen mit starker sozialer Kontrolle (etwa die Mafia) – ein wesentlicher Faktor für soziale Diskriminierung, Ausschließung und Ausbeutung sein (vgl. Portes/Landolt 1996).
Barnes 1954. Der Begriff des Netzwerkes findet sich allerdings auch schon bei dem Soziologen Georg Simmel und dem Anthropologen Alfred R. Radcliffe-Brown.
Vgl. McKinley 1973, Smith 1980.
Vgl. Lin 2001.
Vgl. etwa Wasserman/Faust, 1994.
Vgl. Keupp 1987, S.25.
Vgl. Röhrle 1998, S. 479.
Vgl. Kähler 1983, S. 225.
Tolsdorf 1976.
Vgl. Lenz 1996, S. 308.
Vgl. Häußling 2009, S. 90.
Czorny 1983, S. 140 f.
Vgl. etwa die Übersicht bei Bullinger/Nowak 1998 in Kapitel 5.
Vgl. Kähler 1983, S. 233.
Vgl. Neyer 2005.
Vgl. Nestmann 1989, S. 119.
Vgl. Nestmann 2005, S. 142 ff.




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