Neoliberale Sicherheit? Zur politischen Kontextualisierung rezenter Sicherheitskonzepte Jan Pospisil (oiip, Wien) / Rita Korunka (Universität Wien)
Der nationale und internationale Sicherheitsdiskurs hat sich nach seinem ersten Aufbrechen in ersten erweiterten Sicherheitskonzepten in den 1990er Jahren mittlerweile bemerkenswert ausdifferenziert. Während das Konzept der „menschlichen Sicherheit“ bei einigen kleineren staatlichen Akteuren, vor allem aber bei internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen noch einen hohen Stellenwert genießt, sind Ansätze wie die „vernetzte Sicherheit“ – Grundlage beispielsweise der deutschen Sicherheitsdoktrin – oder die in ihrer sicherheitspolitischen Bedeutung aus dem angloamerikanischen Raum stammende „Resilienz“ hinzugetreten. Der politische Gehalt dieser Konzepte wird in der Politikwissenschaft gegenwärtig nur unzureichend diskutiert. „Menschliche Sicherheit“ ist, vorwiegend aufgrund ihrer historischen Leistung in der Ablösung rein souveränitätsbasierter Sicherheitskonzepte, kaum vertieften politischen Bewertungen unterzogen worden. „Vernetzte Sicherheit“ und „Resilienz“ wiederum werden hauptsächlich und in oftmals unreflektierter Form als neoliberale Sicherheitskonzeptionen interpretiert. Anhand einer theoretischen Reflexion von empirischen, qualitativen Auswertungen von Schlüsseltexten verfolgt das Paper die Frage, wie diese drei Sicherheitskonzepte „menschliche Sicherheit“, „vernetzte Sicherheit“ und „Resilienz“ politisch kontextualisiert werden können. In dieser Kontextualisierung wird die Neoliberalismus-These kritisch hinterfragt und durch alternative Erklärungsansätze ergänzt. Einleitung Die Frage, ob sicherheitspolitischen Konzepten ein politischer Gehalt inhärent ist, ist in der Bandbreite der Theorieangebote in den internationalen Beziehungen nicht unumstritten beantwortet. Für klassisch realistische und geopolitische Zugänge liegt die Unterscheidung, vereinfacht gesprochen, nur zwischen richtigen und falschen Ansätzen. Morgenthau (1986:3ff.) sieht es in seinen klassischen Arbeiten sogar als besondere Fähigkeit – und moralische Verpflichtung – des versierten Außenpolitikers 1, die politischen Orientierungen hinter sich zu lassen und die – politisch neutralen, weil unbestreitbaren und objektiven – Interessen des Landes zu verfolgen. Zwar war die spätere Herausforderung des Neoinstitutionalismus ohne Zweifel eine politische – schließlich ging es um einen definiert „liberalen“ Theorieansatz – gegenüber dem konservativen Establishment, eine spezifische Untersuchung hätte dieser Gegensatz angesichts seiner Offensichtlichkeit jedoch kaum gelohnt. Dies hat sich mit dem Ende des Kalten Krieges und der damit einhergehenden Auffächerung der Sicherheitspolitik in unterschiedliche Ansätze und Konzepte markant geändert (vgl. Buzan/Hansen 2009:187ff.). Ansätze wie Human Security, vernetzte Sicherheit oder jüngst Resilience werden politisch verortet, diskutiert und gegenübergestellt. Insbesondere das sicherheitspolitische Resilience-Konzept, das über Applikationen in Statebuilding, Entwicklungspolitik und im Katastrophenschutz seinen Weg in den sicherheitspolitischen Mainstream gefunden hat 2, gibt Anlass zu einer lebhaften Debatte über politische Kontextualisierung 3. Außenpolitikerinnen waren in seinen Konzeptionen vermutlich nicht vorgesehen. In der Entschließung zur Österreichischen Sicherheitsstrategie hat der österreichische Nationalrat die Erarbeitung eines gesamtstaatlichen Resilienz-Konzeptes nahegelegt (vgl. ÖSS 2013:17). 3 Vgl. etwa das von Jonathan Joseph durchgeführte Panel zum „neoliberalen“ Gehalt von Resilienz bei der WISC-Konferenz in Frankfurt im August 2014. 1 1 2
Diese Debatten verlaufen jedoch zumeist theoriegeladen und verwechseln zudem oftmals die Frage der effektiven sicherheitspolitischen Applikation des Resilienz-Konzeptes mit seinem – woran auch immer festgemachten – „eigentlichen“ Gehalt. Eine vergleichende empirische Analyse erscheint demgegenüber angezeigt und in der Lage, einen substanziellen Beitrag zur politischen Kontextualisierung der gegenwärtigen sicherheitspolitischen Debatte zu leisten. Das vorliegende Paper unternimmt diesen Vergleich entlang der drei faktisch konkurrenzierenden Konzepte von Human Security, vernetzter Sicherheit respektive der im englischen Sprachraum geläufigen Comprehensive Security 4, und Resilience. Es wird dabei die Frage diskutiert, wie der politische Gehalt dieser Konzepte einzuordnen und zu bewerten ist, und ob es sich bei diesen Konzepten – insbesondere aber bei der in diesem Zusammenhang oftmals herangezogenen Resilience – um „neoliberale“ Konzepte handelt. Zunächst werden dazu die theoretischen und methodischen Grundlagen aufgearbeitet. Zu diesem Zweck werden vergleichbare Untersuchungen diskutiert und nach Anschlusspunkten gefragt, im Anschluss werden die historischen Entstehungsbedingungen und Entwicklungen der Konzepte diskutiert. Daran anschließend werden Primärtextauswahl und Methodik dargelegt, bevor schließlich die Ergebnisse der qualitativen Textanalyse zusammenfassend dargelegt werden. Zur inhaltlichen Analyse von Sicherheitskonzepten Die Forschung zu Sicherheitskonzepten gewinnt gegenwärtig an Popularität, nicht ohne Grund: Nachdem Sicherheit, gerade im internationalen Kontext, über lange Jahre ein im Wesentlichen an Souveränität gekoppeltes und auf Staaten bezogenes Konzept war, erschien die Entwicklung konzeptionell differenter Ansätze nicht notwendig. Zwar wurden unterschiedliche Ansätze und Strategien entwickelt, diese bezogen sich jedoch primär auf verteidigungspolitische Aspekte – Referenzsubjekte und -objekte wurden dahingegen nicht hinterfragt. Dies änderte sich schlagartig mit dem Aufkommen erweiterter Sicherheitskonzepte. Diese konzeptionelle Differenzierung nahm in der Spätphase des Kalten Krieges ihren Anfang und stellte zum ersten Mal die Anforderung, Sicherheitskonzepte auch wissenschaftlich vergleichend zu untersuchen und zu hinterfragen. Seit in den Internationalen Beziehungen durch das Heranwachsen der Disziplin der „Security Studies“ von unterschiedlichen Strömungen in der Sicherheitspolitik gesprochen wird, wurde denn auch viel Aufwand in deren konzeptionelle Differenzierung und Einordnung investiert (vgl. Buzan/Hansen 2011: 187ff.). Zunächst gilt es festzuhalten, dass das Ende des Kalten Kriegs nicht gleichzeitig auch ein Ende des traditionellen Verständnisses von Sicherheit als zwischenstaatliche Angelegenheit bedeutet hat. „Deterrence“-Strategien, Wettrüsten, Militärtechnologie und Kriegsführung behielten sich auch nach Ende der bipolaren Ordnung einen Platz in der Forschungsagenda. Von ihnen ausgehend gestalteten sich auch die ersten Vergleichsstudien zwischen einer an den staatlichen Institutionen/Akteuren orientierten und einer an der Sicherheit und dem Wohlbefinden des Individuums ausgerichteten „menschlichen“ Sicherheitsstrategie. Die von UNDP ins Leben gerufene Human Security wird deshalb von Buzan/Hansen (2011) auch als „probably the most encompassing expansion of the concept since Galtung launched structural violence“ bezeichnet, „and, like Marxist Peace Research, it sought to bring development and North-South issues into ISS“ (ibid.:203). Die menschliche Sicherheit, die das Thema Entwicklung und damit eine radikal erweiterten Kreis an relevanten Akteursgruppen (Zivilgesellschaft, Wissenschaft) auf Die beiden Sicherheitskonzepte „vernetzte Sicherheit“ und „Comprehensive Security“ sind dennoch nicht deckungsgleich zu verstehen. Auf die trotz aller Gemeinsamkeit bestehenden Differenzen wird in der Materialauswahl, -analyse und Interpretation Rücksicht genommen. 2
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die Sicherheitsagenda hob, wird als eminenter Bruchpunkt in der Wahrnehmung sicherheitspolitischer Bedrohungen und Akteure gesehen. Dies haben sich einige Autor_innen zum Anlass genommen, die politischen Implikationen der Anwendung von globalen und regionalen Strategien im Bereich der menschlichen Sicherheit kritisch zu hinterfragen (vgl. Krause 2008, Fierke 2007). Während die menschliche Sicherheit nach und nach auch in staatlicher Rhetorik ihren Platz fand – wenngleich primär als ein Konzept kleiner oder bündnisfreier Staaten (vgl. Behringer 2005) – , so wurde von Seiten der internationalen Gebergemeinschaft parallel mit einem vornehmlich technokratischen Zugang an Möglichkeiten gearbeitet, die durch das neue, erweiterte Sicherheitsverständnis bereits etablierten Elemente und Akteursgruppen durch einschlägige Policies in einen institutionellen Rahmen zu gießen. Bei diesen Bemühungen stehen Ansätze im Bereich der Comprehensive Security, sogenannte „Whole-of-Government“-Ansätze, im Vordergrund. Deren Umsetzung wurde mit den „3Ds“ „Diplomacy“, „Development“ und „Defense“ von Seiten der NATO/OECD insbesondere seit Beginn der 2000er-Jahre vorangebracht. Auch hierzu wurde bereits analytisch gearbeitet: Patrick/Brown 2008 adressierten die außenpolitischen Whole-of-Government-Ansätze zu fragilen Staaten von sieben Vergleichsländern (UK, USA, Kanada, Australien, Frankreich, Deutschland und Schweden) auf deren inhaltliche Kohärenz in der Ausgestaltung. In das Feld technokratisch orientierter, als „modern“ präsentierter Sicherheit, fällt auch das Konzept der deutschen „Vernetzen Sicherheit“. Gegenwärtig befinden wir uns möglicherweise in einer neuen Phase der konzeptionellen Veränderung, da Resilienz gerade in der sicherheitspolitischen Praxis sowohl in der inneren Sicherheit als auch im entwicklungspolitischen Bereich zunehmende Beachtung findet und gerade auf der Community-Ebene sowie im Bereich der „Urban Security“ auch von Seiten der Zivilgesellschaft das einschlägige Interesse wächst. Was die Kontextualisierung der unterschiedlichen Ansätze mit der politischen Praxis anbelangt, so fehlt ein solcher systematischer Vergleich wie oben bereits erwähnt bislang. Gerade bei Resilienz gibt es vergleichend noch kaum Material, da ihre Rezeption in der sicherheitspolitischen Forschung gerade erst in der britischen, stark an einem an Michel Foucault orientieren Forschungsansatz ihren ersten Hype erfahren hat (siehe dazu Joseph 2013, Pospisil 2013). Jonathan Joseph hat die Genealogie von Resilienz in Großbritannien und die Verbreitung ihrer normativen Anreize in einem anderen nationalen Kontext (Frankreich) untersucht. Er behauptet, dass neoliberale Triebkräfte hinter der Einführung/Forderung resilienzpolitischer Maßnahmen stehen, im Zuge derer insbesondere die Eigenverantwortung des Individuums politisch instrumentalisiert werde (Joseph 2013a:259). Die Lücke, die der empirische Vergleich aller drei Richtungen entlang affirmativer Policies nationaler, multilateraler und zivilgesellschaftlicher Akteure schließen soll, ist die systematische politische Kontextualisierung entlang der Politikfelder, in denen sie präsent sind. Dabei soll im Vordergrund stehen, die den ausgewählten Strategiepapieren inhärenten Logiken von Sicherheit offenzulegen ˗ ohne sie im Vorhinein mit den Stigmata der Konzepte zu belasten, denen sie zugerechnet werden. Oftmals wird empirisches Material im politischen Kontext von Sicherheit exemplarisch ausgewählt, um eine bestimmte These zu einer spezifischen Governance von Sicherheit zu untermauern. Dies ist an sich in der Forschung zu Entwicklungen in der Sicherheitspolitik nichts Ungewöhnliches, jedoch geht dadurch oft der Blick für inhaltliche Zusammenhänge verloren, die der empirische Vergleich unterschiedlicher Konzepte eröffnen soll. Menschliche Sicherheit, vernetzte Sicherheit, Resilienz – drei sicherheitspolitische Schlüsselkonzepte Menschliche Sicherheit 3
Menschliche Sicherheit fand ihren Ausgang im Bestreben des United Nations Develeopment Programmes (UNDP), beim Weltsozialgipfel in Kopenhagen 1995 ein ausformuliertes Konzept zu einer Neupositionierung des Verhältnisses von Sicherheit und Entwicklung in der internationalen Gemeinschaft zu präsentieren (vgl. Krause 2008:35). Während diese Bemühen scheiterten, so hatte der Begriff der „menschlichen Sicherheit“ bis dahin bereits an Bekanntheit gewonnen und wurde von anderen UNOrganisationen sowie von großen internationalen Entwicklungsorganisationen rezipiert. Der von UNDP im Human Development Report (HDR) 1994 vorangebrachten Grundidee nach umfasst menschliche Sicherheit die Bereiche Wirtschaft, Ernährung, Gesundheit, Umwelt, persönliche Sicherheit, Gemeinschaft und politische Sicherheit (UNDP 1994). Erst mit der wachsenden diskursiven Auseinandersetzung und der beginnenden Institutionalisierung von menschlichen Sicherheit kristallisierten sich „Freedom from Want“ und „Freedom from Fear“ als die charakteristischen Leitmotive des Konzepts heraus (UNGA 2005). In der politischen Praxis wurde menschliche Sicherheit nach dem Ende der bipolaren Ordnung von Staaten als ein Konzept zu einer multilateralen Gestaltung von Außenpolitik aufgegriffen, die einen „weicheren“ Ansatz mit der Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure verfolgten. Zu diesen zählen an führender Stelle Kanada, Norwegen, Japan, die Niederlande, aber auch Österreich; sie sind Mitglieder des Human Security Network (HSN). Durch ihre Verwendung in der Neuausrichtung außerpolitischer Praxis haftete menschlicher Sicherheit seitens ihrer Kritiker_innen schnell der Ruf an, in der politischen Praxis eine Bias zugunsten jener Maßnahmen zu haben, die sich tendenziell mit „traditioneller“ Außenund Sicherheitspolitik vereinbaren lassen (z.B. Schutz von Zivilist_innen, Nichtverbreitung von Waffen). Diese würden somit lediglich eine Hälfte menschlicher Sicherheit, „freedom from fear“, betreffen und so eine Asymmetrie entstehen lassen (vgl. Krause 2008:43). So gerieten staatliche Agenden menschlicher Sicherheit zunehmend in die Kritik, lediglich dem Zwecke der Neukonfiguration von Außenpolitik dienlich zu sein. Und durch eine neuerliche Stärkung der Rolle des Staates und staatlicher Institutionen eine emanzipatorische Applikation humanitärer Sicherheit auch auf Seiten bedürftiger Individuen in fragilen Situationen zu verhindern „Damit menschliche Sicherheit realisiert werden kann, muss der Einzelne in die Lage versetzt werden, sein Umfeld zu kontrollieren und zum aktiven Teilnehmer der ihn betreffenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Prozesse werden.“ (Krause 2008:46). Ähnlich der feministischen IB haben sich im Bereich der menschlichen Sicherheit jedoch unter Ken Booth die von der Frankfurter Schule inspirierten Critical Security Studies etabliert, deren normatives Kernanliegen es in einer kritischen Auseinandersetzung ist, den emanzipativen Charakter menschlicher Sicherheit und ihr Potenzial für den globalen Weltfrieden herauszuarbeiten (vgl. Buzan/Hansen 2010: 206). Ausgewählte Fallstudien versuchen sich dem politischen Kontext menschlicher Sicherheit empirisch zu nähern und den Handlungsfeldern und unterschiedlichen Akteursebenen, auf den menschliche Sicherheit in der Praxis operationalisiert wird, auf den Grund zu gehen (siehe dazu Voelkler 2013). Vernetzte Sicherheit / Comprehensive Security Anders als die menschliche Sicherheit entstanden jene Ansätze, die der Comprehensive Security oder respektive vernetzten Sicherheit zugeordnet werden aus keiner sozialliberalen Bewegung, sondern aus den Interessen der Geberstaaten heraus, Entwicklungspolitik im Kontext nationaler Sicherheit neu zu platzieren. Somit ist auch die Wirkrichtung dieses Ansatzes klar vorgegeben und die relevanten Akteure enger eingegrenzt: Die internationalen Geberstaaten konstituieren fragile Staaten als Bedrohung für die globale Sicherheit. Da ein Drittel der ODA-Empfängerstaaten von Fragilität betroffen ist, wird der defi4
nierten Variable Sicherheit die Variable Entwicklung beigefügt. Oftmals korrespondiert der Verweis auf Comprehensive Security mit dem Begriff „Whole-of-Government“ (WoG). Der Terminus „Whole-ofGovernment“ bezieht sich auf die notwendigen bürokratischen Umstrukturierungen innerhalb der Geberstaaten, die entlang der drei Hauptkriterien Diplomacy, Development und Defense im engen Kreis die Kooperation von Entwicklungs-, Außen- und Verteidigungsministerien erfordert. Erweitert zählen dazu auch Handelsorganisation, Behörden, die nationale Exekutive und Geheimdienste. Ziel ist es, ihre Unter der Bezeichnung „Whole-of-Nation“ (WoNa) werden erweitert auch der Privatsektor sowie Nichtregierungsorganisationen hinzugezogen. Der Begriff „Whole-of-System“ verweist auf eine funktionelle Zusammenarbeit der unterschiedlichen Handlungsebenen auf einer multilateralen Basis. Die OECD legt seit dem Jahr 2005 die Principles for Good International Engagement in Fragile States vor (OECD 2010). Die Comprehensive Security erlebte von Seiten staatlicher Reigerungen nach 9/11 einen generellen Boom, da sie durch ihren umfassenden Koordinierungsbedarf und ihrem inklusiven (im Sinne von gesamtstaatlichen) Charakter als politische Antwort auf veränderte Bedrohungswahrnehmungen geeignet schien: “With state-building emerging as the answer to fears that fragile states and ‘ungoverned areas’ would turn into safe havens for terrorists, the development sector, with its expertise in governance, service delivery and economic development, became increasingly involved in fragile contexts.” (Stepputat/Greenwood 2013:46) Studien, die sich empirisch mit WoG-Ansätzen auseinandersetzen, beschäftigen sich oft mit deren Umsetzung in nationale Kontexte, die sich aufgrund der hohen Koordinierungserfordernisse insbesondere hinsichtlich deren Kohärenz oftmals als problematisch erweisen (vgl. Patrick/Brown 2007). Resilienz Resilienz erhielt seine begriffliche Prägung zunächst nicht in einem originär sicherheitspolitischen Kontext. Neben Resilienz in Bezug auf die Elastizität von Materien in der Physik und resilientem Verhalten in der Psychologie, erreichte Resilienz erstmals in der Ökosystemforschung durch die Arbeiten von C.S. Holling (1973) größere Bekanntheit. Holling stellte darin durch einen dynamischen Systembegriff die bis dahin geltende Auffassung in Frage, dass die Stabilität und das Gleichgewicht eines Ökosystems steuerbar seien (vgl. Walker/Cooper 2011:146). Dies hänge mit nicht voraussehbaren komplexen Einflussfaktoren zusammen, die es letztlich nicht möglich machen, eine ˗ gleichgewichtsorientierte - Steuerbarkeit anzustreben. Einem permanenten Veränderungsprozess müsse stetig Rechnung getragen werden (vgl. Holling 1973). Zielgröße wird somit nicht das Gleichgewicht, sondern die Voraussetzungen für die systemische Fortdauer über eine gewisse Zeit: „Resilience determines the persistence of relationships within a system and is a measure of the ability of these systems to absorb changes of state variables, driving variables and parameters, and still persist.“ (Holling 1973:17) Im sicherheitspolitischen Kontext fand Resilienz zunächst in Großbritannien im Bereich der inneren Sicherheit Verwendung (Civil Contingencies Act 2004), kam jedoch bald auch in anderen Bereichen im Kontext von Sicherheit zum Einsatz, in denen „local ownership“ und die Einbindung ziviler Akteure auf kommunalen Ebenen eine Rolle spielen (vgl. Joseph 2013b:43). Mit der Verwendung von Resilienz in der Sicherheitspolitik fiel in der politischen Praxis der hoheitliche Anspruch weg, Staaten könnten durch eine konkrete Bestimmung Bedrohungslagen mit entsprechenden Maßnahmen reagieren. Resilienz operiert in der Regel mit dem Begriff des Risikos, einer Konstitution unterschiedlicher Bedrohungsszenarien als relative Größe. In jenen Ländern, in denen Resilienz5
Strategien im Bereich der inneren Sicherheit bereits umgesetzt werden (z.B. Großbritannien, Australien, USA, Schweden), entbindet sich der Staat der absoluten Verantwortung für die kollektive Sicherheit und bindet gleichsam lokale Akteure und Strukturen in diese Verantwortung mit ein. Im Kern vom Resilienz liegt nicht der Anspruch, ein Referenzobjekt von Sicherheit zu beschützen, sondern durch „eine systematische, breit gestreute, organisatorische, strukturelle und persönliche Stärkung subjektiver und materieller Gefüge“, deren Fähigkeit zu fördern, „Störungen innerhalb komplexer Welten zu antizipieren und zu tolerieren, ohne zusammenzubrechen, Erschütterungen standzuhalten und zu regenerieren“ (Lentzos/Rose 2008:99). Resilienz ist gemäß ihrem Anspruch auf Regeneration auch ein Moment der Nachhaltigkeit inhärent. In den jüngeren Applikationen von Resilienz im Katastrophenschutz steht zunehmend die Bewältigung eines Krisenprozesses mit der Hilfe kommunaler Ressourcen im Vordergrund, wobei Adaptionen zugelassen werden und die oberste Maxime von Seiten der Exekutive nicht die Widerherstellung eines ursprünglichen Status Quo ist (vgl. Pospisil/Klimburg 2012:12f.). Resilienz kann auch hinsichtlich der Ausgestaltung eines „Whole-of-Nation“-Ansatzes eine relevante Größe darstellen, da sie in ihrer Applikation oftmals eine gesamtstaatliche Sicherheitspolitik mit anderen Handlungserfordernissen und ohne den Fokus auf eine zivil-militärische Zusammenarbeit darstellt. Auswahl und Analyse der Primärtexte Für die vergleichende empirische Analyse ist die Auswahl der Primärtexte bereits von entscheidender Bedeutung. Wenngleich die angewandte qualitative Auswertungsstrategie, basierend auf einem softwaregestützten strukturierten Kodierverfahren (vgl. Saldaña 2013:28) nicht auf Zahlenvergleichen beruht und eine grundsätzlich offene Kodierstrategie zugrunde gelegt wurde, bleibt dennoch die Abhängigkeit vom ausgewählten Material ein wesentlicher Faktor. Insbesondere stellte sich bei der Textauswahl die Gefahr eines doppelten Bias, die sich aus unterschiedlichen sicherheitspolitischen Kulturen ebenso ergibt wie aus unterschiedlichen Policy-Kulturen (siehe dazu Wæver/Buzan 2007). Erster möglicher Bias sind ohne Zweifel die unterschiedlichen Herangehensweisen von staatlichen, multilateralen und zivilgesellschaftlichen Akteuren an die jeweiligen sicherheitspolitischen Konzepte. Dieser Herausforderung wurde in der Textauswahl insofern begegnet, als zu jedem Konzept zwei Texte von diesen drei Akteurstypen ausgewählt wurden – zwei Texte neben der gewünschten breiteren Streuung auch deswegen, um unterschiedliche sicherheitspolitische Kulturen verschiedener staatlicher Akteure widerspiegeln zu können. Einen Sonderfall stellt dabei das Konzept der vernetzten Sicherheit dar, dass multilateral unter diesem Namen nicht zum Einsatz kommt und staatlicherseits nahezu ausschließlich von Deutschland forciert wird – dies allerdings so vehement, dass eine Einbeziehung in die Untersuchung dennoch gerechtfertigt erscheint. Aus diesem Grund wurde diese Konzeptebene durch Comprehensive Security ergänzt, wobei hier ein Schwerpunkt auf multilaterale Ansätze (etwa der NATO) gelegt wurde. Dem zweiten möglichen Bias der unterschiedlichen Policy-Kulturen (insbesondere zwischen den drei „Ds“ Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungspolitik) wurde in der Textauswahl direkt begegnet. So wurde im Rahmen der nationalen und multilateralen Schiene versucht, diese unterschiedlichen Kulturen zu reflektieren und zu repräsentieren. Entscheidende Rolle spielte dies jedoch dann hauptsächlich in der Auswertung, wo eine entsprechende Typologisierung in der Code-Zuordnung vorgenommen wurde. Im Folgenden gibt Tabelle 1 einen systematisierten Überblick über die herangezogenen Primärtexte.
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National
Human Security
Vernetzte Sicherheit / Comprehensive Security
Resilience
Multilateral
Civil Society/Science
(i) Govt of Canada, DFAIT, 2001: Freedom from Fear – Canada’s Foreign Policy for Human Security; (ii) EDA/PD 2007: Menschliche Sicherheit in der schweizerischen Aussenpolitik;
(iii) UN 2014: Human Security Unit – Strategic Plan 2014-2017; (iv) Commission on Human Security 2003: Human Security Now;
(v) Simon Fraser University 2014: Human Security Report 2013; (vi) IKV Pax Christi 2013: Human Security First;
(vii) BMVg 2006: Weißbuch zur Deutschen Sicherheitspolitik und der Zukunft der Bundeswehr; (viii) zif/AG Vernetzte Sicherheit 2006: Das Konzept der Vernetzten Sicherheit; (ix) CIC/Canadian Defence and Foreign Affairs Institute (CDFAI) 2012: Comprehensive Security Requires Comprehensive Structures — How Comprehensive Can We Get?
(x) NATO Research Division 2010: Built on shaky ground: the Comprehensive Approach in practice
(xi) Heiko Borchert 2004: Vernetzte Sicherheitspolitik und die Transformation des Sicherheitssektors; (xii) KAS 2009: „Vernetzte Sicherheit“ und Entwicklung; (xiii) International Centre for Defense Studies (Estonia) 2014: Comprehensive Security and Integrated Defence: Challenges of implementing whole-of-government and whole-of-society approaches
(xiv) Cabinet Office/UK 2011: Strategic National Framework on Community Resilience; (xv) USAID 2012: Building Resilience to Recurrent Crisis;
(xvi) European Commission 2013: Action Plan for Resilience in Crisis Prone Countries; (xvii) UNDP 2011: Towards Human Resilience;
(xviii) Alastair McAslan/Torrens Resilience Institute 2010: The Concept of Resilience; (xix) IFRC 2012: The road to resilience: Bridging relief and development for a more sustainable future;
Tabelle 1: ausgewählte und analysierte Primärtexte (in Klammer Kurznummerierung für vereinfachte Zitierung im empirischen Teil) Politik der Sicherheit: der empirische Vergleich Eine spezifische politische Kontextualisierung der drei untersuchten sicherheitspolitischen Konzepte erschließt sich nicht direkt und unmittelbar. Dies ist schon insofern unvermeidlich, als alle drei Konzepte letztendlich eine gesamtgesellschaftliche Gültigkeit beanspruchen – wenngleich sehr wohl jeweils unterschiedliche Hauptadressaten auszumachen sind, was wiederum Rückschlüsse auf politische Stoßrichtungen zulässt. Aus diesem Grund erfolgt zunächst ein geraffter Vergleich der hauptsächlichen sicherheitspolitischen Unterschiedlichkeiten der drei Konzepte, der an die obigen Ausführungen zu deren historischer Entwicklung und Einordnung anschließt. Danach wird dargelegt, an welchen Komponenten und Faktoren im Zuge der qualitativen Analyse der politische Gehalt festgemacht werden konnte, um abschließend diesen selbst zu diskutieren. 7
Allgemeiner Konzeptvergleich Die Ausgangserzählungen aller drei Konzepte sind erstaunlich ähnlich. Insbesondere bei Human Security und vernetzter Sicherheit kann von einer nahezu deckungsgleichen Behandlung der sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen gesprochen werden: insbesondere eine durch das Ende des Kalten Krieges hervorgerufene veränderte Konfliktlandschaft, die alle damit befassten Akteure vor neue Herausforderungen stelle (vgl. i:3, i:5, ix:5, xi:54). Auch die Akteure sind nicht nur übereinstimmend kategorisiert, sondern auch vergleichbar priorisiert – der multilateralen Ebene, vor allem den Vereinten Nationen, wird eine Hauptrolle zugeschrieben, mit den Nationalstaaten als danach folgender, zweitwichtigster Akteur (vgl. i:14, iv:12, vii:25, x:2, xiv:4). Dies ist bei der Human Security insofern interessant, als sie gerade im zivilgesellschaftlichen Bereich große Popularität entfaltet, wenngleich gerade offizielle Konzeptpapiere der Zivilgesellschaft ihr mitunter sogar weniger Gewicht beimessen als die viel klarer „klassisch“ sicherheitspolitischen Konzepte der vernetzten Sicherheit. Resilienz legt demgegenüber die Problemanalyse in erster Linie an der Komplexität gegenwärtiger sicherheitspolitischer Herausforderungen aus (vgl. xviii:10, xiv:7). Diese sind im Wesentlichen mit globalen Krisenphänomenen – Klimawandel, globale Finanzkrise – verbunden (vgl. xvii:3), wobei (zumeist implizit) mitschwingt, dass umfassende Steuerungsbemühungen im Sinne einer Global Governance nicht zur umfassenden Bewältigung dieser Herausforderungen beitragen können. Diese Lücke versucht Resilienz sicherheitspolitisch konzeptionell zu erfüllen. Die Frage der Komplexität der sicherheitspolitischen Herausforderungen ist allerdings sehr wohl auch bei den anderen untersuchten Konzepten von Relevanz (vgl. iii:3, xiii:66), womit sich dieser Unterschied im Begründungszusammenhang vor allem an der Zeitleiste (und weniger an unterschiedlichen Formen von Versicherheitlichung) festmachen dürfte. Offensichtlich wird im Vergleich der Widerspruch zwischen unterschiedlichen sicherheitspolitischen Lagern, die für die jeweiligen Konzepte verantwortlich sind, respektive die von ihnen adressiert werden. Dies wird schon allein in der Primärtextrecherche offensichtlich: entwicklungspolitische Konzeptionen oder Strategien der klar aus dem verteidigungspolitischen Bereich stammenden vernetzten Sicherheit (für Comprehensive Security gilt gleiches) finden sich ebenso wenig wie militärische Human SecurityStrategien. Dennoch hat sich Human Security bei jenen bilateralen Akteuren, die sie aktiv aufgenommen haben, sehr wohl zu einem zumindest tendenziell gesamtstaatlichen Ansatz entwickelt, bei dem auch der militärische Apparat mitzieht. Dies gilt umgekehrt natürlich auch bei vernetzter Sicherheit und Comprehensive Security, wobei deren Nachvollziehung bei den zivilen Politikfeldern zögerlicher erfolgt (siehe dazu Patrick/Brown 2007), was auch in der dominant verteidigungspolitischen Konzeptgestaltung Ausdruck findet. Resilienz wiederum – und das mag ihren derzeit vermutlich hauptsächlichen innovativen Wert ausmachen – richtet sich effektiv an alle sicherheitspolitischen Policy-Communities gleichermaßen und wird (trotz einem tendenziellen Schwerpunkt im humanen und entwicklungspolitischen Bereich) nicht primär von einer der unterschiedlichen sicherheitspolitischen Policy-Communities beansprucht. Der politische Charakter von Sicherheitskonzepten Die Rückführung auf unterschiedliche Policy-Communities von sicherheitspolitischer Relevanz (neben Verteidigungs-, Außen-, Entwicklungspolitik und Humanitärer Hilfe auch der Bereich der Inneren Sicherheit und des Katastrophenschutzes, in dem Resilienz besonders beheimatet ist) lässt aber noch keine zwingenden Schlüsse auf die jeweilige politische Verortung der Konzepte zu. Woran also lässt sich eine politische Einordung vornehmen, welche Indikatoren können dafür herangezogen werden? Hauptsächlich wurden im Zuge der strukturierten Kodierung und der Verdichtung und 8
Einordnung der vergebenen Codes drei hauptsächliche derartige Indikatoren identifiziert: (1) die Adressaten und angesprochenen Zielgruppen; (2) die konkret identifizierten Problemlagen, insbesondere auch hinsichtlich dafür angenommener „root causes“; und (3) die festgelegten konkreten Ansätze, Maßnahmen und Hebel der Umsetzung. Gerade bei den Adressaten und Zielgruppen der unterschiedlichen sicherheitspolitischen Konzepte zeigen sich in nahezu prototypischer Weise Unterschiedlichkeiten wie Gemeinsamkeiten und daraus ableitbare politische Orientierungen. Wesentliches Resultat ist, dass sich keines der untersuchten Konzepte direkt an das Individuum richtet, wie es von einem klassisch neoliberal zu verortenden Ansatz zu erwarten wäre. Menschliche Sicherheit spricht zwar vom/von der Einzelnen, bezieht sich aber bewusst auf den Begriff des Menschen: „Das Konzept der Menschlichen Sicherheit stellt die Sicherheit des einzelnen Menschen und seinen Schutz vor politischer Gewalt, Krieg und Willkür ins Zentrum“ (ii:2). Zwar findet sich an keiner Stelle eine explizite Unterscheidung zwischen Mensch und Individuum (wobei sich der Begriff Individuum mitunter auch findet, vgl. vi:1), es kann angesichts der weitergehenden Einbettung in Problemanalysen und praktische Maßnahmen – insbesondere die starke menschenrechtliche Komponente, die dem Ansatz innewohnt – von einer letztendlich bestimmten und politisch intendierten Unterscheidung ausgegangen werden. Resilienz wiederum legt den Fokus weniger auf den/die Einzelne/n, sondern auf die Gemeinschaften – „communities“. In diesen „communities“ sind verschiedene Gemeinschaftsgrößen angesprochen, eine dezidierte Definition der gemeinten Dimensionen erfolgt nicht. Dennoch ist auch hier klar von einer Kollektivorientierung auszugehen, da weder das Individuum noch der einzelne Haushalt im Mittelpunkt der Betrachtungen – bei Problemanalyse wie bei Lösungsansätzen gleichermaßen – angesprochen wird. Dahingegen richtet sich vernetzte Sicherheit – wie auch der Comprehensive Approach – nahezu ausschließlich an die Akteure des Sicherheitssektors und spricht über die Notwendigkeit deren weitergehender und besserer Vernetzung angesichts der bestehenden Problemlagen. Zielgruppen sind zwar vorhanden (so ist etwa das deutsche Weißbuch zur Sicherheitspolitik mit Fotos illustriert, die deutsche Soldatinnen bei Geschenkausgaben an offenbar zentralasiatische Kinder zeigt, siehe vii:47), eine besondere Zielgruppenrolle ist hier dennoch nicht auszumachen. Bei allen drei Konzepten, und dies ist ebenfalls eine spannende Erkenntnis hinsichtlich der bestehenden Gemeinsamkeiten, kommt dem Staat (und seinen unterschiedlichen Einzelakteuren) eine dominierende Rolle zu. Schließlich ist es, so die Grundaussage des Human Security-Konzeptes, in allererster Linie die staatliche Verantwortung, die Umsetzung und Gewährleistung menschlicher Sicherheit zu garantieren. Es ist, bei der vernetzten Sicherheit und dem Comprehensive Approach, unbestritten auch staatliche Verantwortung, einen gesamtstaatlichen Ansatz zu implementieren und dies dann auf die multilaterale Ebene (etwa die NATO) rückwirken zu lassen. Letztlich kommt auch bei Resilienz staatlichen Akteuren eine Schlüsselrolle zu, etwa in der Herausarbeitung der Bedeutung von „national resilience approaches“ (xvi:5). Jedoch wird diese nicht absolut festgelegt, sondern kontextabhängig auf bestimmte Aufgaben und Leistungen abgestellt: „The Government contribution to community resilience is not to dictate or measure what is being or should be done locally. Instead, the role is to support and enable local activity by making existing good practice available to others who are interested“ (xiv:7). Diese Herangehensweise wird mitunter als ein Rückzug von staatlicher Verantwortung gesehen. Eine solche Interpretation verkennt jedoch die Komponenten von „support“ und „enabling“, die sich in diesem Ansatz finden und denen, wie sich aus anderen Komponenten des gleichen Konzepts schließen lässt, substanzielle Bedeutung zukommt (vgl. etwa den Zusammenhang zu „service delivery“, xiv:14). 9
Der politische Gehalt Der Akteursindikator deutet also bereits auf einige relevante politische Aspekte hin: hoheitliche Politikgestaltung wird bei allen untersuchten Konzepten favorisiert, wobei Resilienz die staatliche Rolle tatsächlich in die Richtung eines „primus inter pares“ transformiert, was sich praktisch vor allem in der Kombination zwischen einer Begrenzung hoheitlicher Politikgestaltung (argumentiert entlang einer konkret gegebenen Beschränktheit des Kenntnisstandes) und der Fokussierung auf Unterstützungs- und Entwicklungsleistungen ausdrückt. Diese Schwerpunktsetzung bedeutet allerdings keineswegs einen Rückzug des Staates, sondern eine Wandlung seines Rollenverständnisses. Human Security sieht den Staat demgegenüber in einer klassischen Garantie- (insbesondere im Rechts- und Grundbedürfnisbereich) und Versorgerfunktion (Armutsbekämpfung, Herstellung ökonomischer Gleichheit). Besonders gut vor Augen geführt wird das zugrundeliegende Verständnis in der kanadischen Human Security-Policy: „Corruption is a threat to human security because it weakens the ability of the state to deliver on its primary function of providing security for its citizens“ (i:14). Spannend ist hier weniger der Verweis auf Korruption als Kernherausforderung, sondern die Akteurs- und Zielgruppen: der Staat hat demnach die erste Herstellungsverantwortung für das Gut „Sicherheit“, Adressaten sind hier wiederum weder Menschen noch Individuen, sondern Bürger_innen – was beides die signifikant hoheitsstaatliche Orientierung – im Sinne eines umfassend agierenden Wohlfahrtsstaates – nahelegt. Vernetzte Sicherheit hingegen spricht nahezu ausschließlich vom hoheitlichen Sektor und diskutiert andere sicherheitspolitische Akteure (nicht aber alle potenziellen sicherheitspolitischen Zielgruppen) nur im Zusammenhang mit deren Vernetzung und Verbindung mit dem hoheitlichen Sektor. „Vernetzte Sicherheit ist vor allem ein instrumentelles Konzept, das die ressort- und institutionenübergreifende optimale Abstimmung von Ressourcen beinhaltet mit dem Ziel, internationale Konflikte wirksam zu bearbeiten“ (viii:3). Primäre Zielsetzung ist also eine technokratische Abstimmung mit dem Ziel der Verbesserung der Erbringung hoheitsstaatlicher Sicherheitsaufgaben – im gegebenen Fall im internationalen Kontext. Weder hier noch in den folgenden Ausführungen erfolgen nähere Erwähnungen der Empfänger_innen derartiger Maßnahmen vor Ort, ihr Einverständnis wird somit implizit vorausgesetzt (respektive im weiteren Kontext der deutschen Sicherheitspolitik abgeleitet durch die gegebenen völkerrechtlichen Maßstäbe, etwa die Einrichtung internationaler Missionen durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen). Dieser sich bei der Akteurs- und Zielgruppenidentifikation abzeichnende Trend bestätigt sich bei den Problemanalysen und Lösungsansätzen. Generell sind diese beiden Indikatoren bei allen drei Konzepten durch Skizzierungen geprägt, die am ehesten als redundante Vielfalt benannt werden können. Es finden sich immer wieder unterschiedliche Benennungen ähnlicher oder gleicher Problemlagen, ohne weitergehende Bezugnahmen und Einordnungen. Genereller Trend – bei allen untersuchten Konzepten – ist in diesem Zusammenhang die bereits angeführte Komplexitätsbehauptung, die sich aus den neuen geopolitischen Gegebenheiten nach Ende des Kalten Krieges und aus der Zunahme globaler Krisenszenarien ableiten lässt. Was sind aber nun die speziellen Komponenten, die eine politische Kontextualisierung ermöglichen können? Human Security fokussiert, wenig überraschend, neben den eben angeführten Erzählmustern auf ökonomische Ausschluss- und Ungleichheitsprozesse, also „structural causes of conflicts, such as social, economic and political exclusion, grievances and inequalities“ (vi:1, vgl. auch iv:15). Die vorgeschlagenen Ansätze reflektieren diese Analyse durch umfassende, idealerweise multilateral (i:18) angelegte 10
Maßnahmen: „Human security in its broadest sense embraces far more than the absence of violent conflict. It encompasses human rights, good governance, access to education and health care“ (iv:12). Auf den Punkt gebracht bedeutet Human Security nichts weiter als einen funktionierenden Wohlfahrtsstaat, wobei diese Schutzfunktion auch durch eine der Resilienz verwandten EmpowermentKomponente ergänzt wird („Achieving human security includes not just protecting people but also empowering people to fend for themselves“, iv:12). Das spannende am Konzept der vernetzten Sicherheit und der Comprehensive Security ist dahingegen, dass derartige Hebel erst gar nicht zu identifizieren sind. Je konkreter der eingeforderte gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Ansatz an die Umsetzung gelangt, je wolkiger werden die anvisierten Maßnahmen: „Erforderlich ist vielmehr ein umfassender Ansatz, der nur in vernetzten sicherheitspolitischen Strukturen sowie im Bewusstsein eines umfassenden gesamtstaatlichen und globalen Sicherheitsverständnisses zu entwickeln ist“ (vii:25). Aus dieser Umschreibung der anvisierten Umsetzungsziele bleibt letztlich nur der Begriff „umfassend“ über – scharf interpretiert im Sinne eines umfassenden hoheitsstaatlichen Zugriffs auf alle rechtlich definierten Schutzbefohlenen. Das NATO Research College formuliert diesen Zugang ausdrücklicher mit Bezug auf die damit verbundene Machtfrage: „stabilization and contested statebuilding require a carefully synchronized application of different forms of power from organized violence to effective governance, relief and development assistance“ (x:2). Die Komponente des Umfassenden ist auch im Resilienz-Ansatz ein Thema und ist neben klassisch Resilienz-spezifischem Vokabular wie Anpassungs- und Adaptionsfähigkeit gegenüber Schocks und Stresses – eine sehr dehnbare Begrifflichkeit, die ihre politische Wirksamkeit erst über die Akteursebene entfaltet. Allerdings ist sie mit einem viel konkreter definierten Maßnahmenkanon verknüpft, der gleichsam die hohen Ansprüche und Zielsetzungen der Human Security in die Diskussion bringt und diese mit technokratischen Anforderungen verbindet: „Coherence, Complementarity, Coordination, Continuity: Given the multi-facetted aspects of resilience-building, actions must be sustainable, multisectoral, multi-level, multi-partner and strategically and jointly planned by the people affected or at risk, communities, governments (at the local, sub-national and national levels) and civil society“ (xvi:4). Gerade in Hinblick auf die vorgeschlagenen konkreten Maßnahmen ist es spannend, dass nun nicht nur Elemente des unmittelbaren Schutzes oder der Adaption gegenüber potenziellen – externen wie internen – Schocks und Stresses nahegelegt werden. Sehr wohl geht es bei den sicherheitspolitischen Resilienz-Konzepten auch um die strukturellen Rahmenbedingungen, die für Vulnerabilität – der Schlüsselbegriff bei der Zielgruppendefinition von Resilienz – verantwortlich gemacht werden. Lösungen sind hier nach wie vor auf globaler Ebene, im Sinne von Abstimmung, aber auch – allerdings eher implizit – der Global Governance – zu suchen (vgl. etwa xv:11). Bei den konkret vorgeschlagenen Maßnahmen finden sich jedoch ebenfalls Wiederholungen bekannter Größen, die auf sozial- und wohlfahrtsstaatliche Elemente rekurrieren, insbesondere etwa „social protection“ (xvi:4). Dies lässt, ausgehend von den empirischen Auswertungen, eine neoliberale Einordung sicherheitspolitischer Resilienz als ungeeignet erscheinen; vielmehr treten auch hier, ähnlich wie bei Human Security, sozialdemokratische Elemente prominent hervor, wenn auch in transformierter Form. Schlussfolgerungen Als erste Schlussfolgerung der vergleichenden empirischen Analyse der drei (beziehungsweise, abhängig von der Betrachtung, vier) Sicherheitskonzepte Human Security, vernetzte Sicherheit / Comprehensive Security und Resilienz lässt sich unstrittig festhalten: Sicherheitskonzepte sind inhärent politisch. Trotzdem alle Sicherheitskonzepte objektive Interessenslagen bemühen, in ihren Argumentationsketten 11
schlüssige, möglichst allgemeingültige Entry Points herauskristallisieren, zeigt gerade der empirische Vergleich, dass es so etwas wie politisch neutrale, objektive Sicherheitspolitik (im Sinne eines technokratischen Policy-Prozesses) nicht gibt. Vielmehr gibt es eine gerade auch konzeptionell ausgetragene Politik der Sicherheit. Diese Politik der Sicherheit ist akademisch unterbelichtet und verschwindet oft hinter Fragen wie der richtigen Ausrichtung oder der angemessenen Antwort auf gegebene Herausforderungen. Zweifellos ist dies nun keine neue Erkenntnis: schon realistische oder institutionalistische Ansätze in der Sicherheitspolitik sind bereits unter dezidiert politischen Voraussetzungen diskutiert worden. Neuartig an der konkurrenzierend verlaufenden rezenten Konzeptentwicklung ist jedoch, dass sich diese Politik der Sicherheit vertikal wie horizontal entlang der gleichen konzeptionellen Anbindungen durchzieht und damit die Konzepte selbst modifiziert und beständig repolitisiert. Gerade die Politikwissenschaft war bislang nur unzureichend in der Lage, diesen Prozess analytisch einzufangen. Jene Arbeiten, die sich an einem derartigen Unterfangen versuchen (vgl. etwa Walker/Cooper 2011), leiden zumeist unter zwei Schwächen: erstens fokussieren sie oftmals nicht auf die gegebene empirische Konzeptrealität, sondern konstruieren selbst eine idealtypische Konfiguration des jeweils bearbeiteten Sicherheitskonzeptes, die wiederum treffsicher in die angestrebte Stoßrichtung der Arbeit passt; zweitens erfolgen die Arbeiten stark theoriegeleitet und mitunter normativ geprägt. Die oftmals geäußerte Neoliberalismus-These gegenüber rezenten Sicherheitskonzepten (bei Resilienz wie auch, eher implizit, bei vernetzter Sicherheit) entspringt derartigen Forschungsverläufen. Die vorliegende Arbeit hat demgegenüber gezeigt, dass alle Sicherheitskonzepte in ihrer empirischen Applikation im Policy-Bereich keineswegs neoliberale, individualorientierte Konzepte transportieren, sondern dass vielmehr der staatliche Zugriff auf die Größe Gesellschaft (von einem staatlichen Blickpunkt gesehen nach innen wie nach außen) im Zentrum steht. Dies ist jedoch ein durch und durch antiliberales Ansinnen. Dahingegen konnten dennoch prononcierte politische Orientierungen festgestellt werden: nahezu klassisch sozialdemokratische Elemente bei Human Security, ein dominant konservativ-technokratische Konnotation bei vernetzter Sicherheit und Comprehensive Security. Resilienz wiederum kann als Versuch interpretiert werden, eine Versöhnung der beiden älteren Konzepte durch eine verstärkte Verknüpfung der Komplexitäts-Behauptung mit einer – im Gegensatz zu vernetzter Sicherheit – explizit gemachten Zielorientierung zu erreichen. Dieser Versuch findet jedoch ebenfalls unter prononciert sozialdemokratischen Vorzeichen statt, was angesichts des Momentums, das diesem Ansatz gegenwärtig eigen ist, eine spannende Herausforderung für dezidiert konservative Sicherheitspolitiker_innen erwarten lässt. Literaturverzeichnis BKA – Bundeskanzleramt (2013). Österreichische Sicherheitsstrategie (ÖSS): Sicherheit in einer neuen Dekade – Sicherheit gestalten. Wien. BMVg – Bundesministerium für Verteidigung 2006: Weißbuch zur Deutschen Sicherheitspolitik und der Zukunft der Bundeswehr. Berlin. Borchert, Heiko 2004: Vernetzte Sicherheitspolitik und die Transformation des Sicherheitssektors. In: Borchert, Heiko (Hg.): Vernetzte Sicherheit: Leitidee der Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert. E.S. Mittler & Sohn, Hamburg; Berlin; Bonn, 50-79. Buzan, Barry/Lene Hansen (2009). The Evolution of International Security Studies. Cambridge University Press: Cambridge. 12
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