Musikalische Erlebnisse von St. Galler Benediktinern auf ihrer Grand Tour durch Italien (1699–1749). – In: Peter Erhart, Jakob Kuratli (eds), Vedi Napoli e poi muori. Grand Tour der Mönche. St. Gallen: Verlag am Klosterhof, 2014, pp. 132–146
Vedi Napoli e poi muori – Grand Tour der Mönche Herausgegeben von Peter Erhart und Jakob Kuratli Hüeblin | Stiftsarchiv St. Gallen
Vedi Napoli e poi muori – Grand Tour der Mönche Herausgegeben von Peter Erhart und Jakob Kuratli Hüeblin
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Diese Publikation erscheint begleitend zu den Ausstellungen ‹Vedi Napoli e poi muori – Grand Tour der Mönche› im Stiftsbezirk St.Gallen, 4. September bis 30. November 2014, in der Stiftsbibliothek Einsiedeln, 8. Januar bis 31. Dezember 2015, und im DomQuartier Salzburg, 11. Februar bis 18. April 2016. Mit dankenswerter Unterstützung von Swisslos Kulturförderung des Kantons St.Gallen Kanton St.Gallen Katholischer Konfessionsteil St.Gallen Erzabtei St. Peter in Salzburg Kloster Einsiedeln ABACUS Research AG Gebrüder Weiss Ernst Göhner Stiftung Arthur und Ria Dietschweiler Stiftung Marie und Paul Bischof Stiftung Stadt St.Gallen Lotteriefonds der Kantone Graubünden, Schwyz, Zürich, Zug, Thurgau, Aargau, Luzern, Obwalden Hermann Hungerbühler Freundeskreis der Stiftsbibliothek St. Gallen Gebäudeversicherungsanstalt des Kantons St.Gallen Kantonale st. gallische Winkelriedstiftung Güdel Group Prof. Dr. Ruf AG Stiftsbibliothek St.Gallen Confiserie Roggwiller Übersetzungen Valentina Crestani, Julia Rader (Alessio), Alfons Zettler (Lo Monaco, Santangeli Valenziani), Maria Vollono Lektorat Barbara Guth, Lorenz Hollenstein, Franziska Schnoor
Film zu den Ausstellungen von Andreas Baumberger realisiert dank der großzügigen Unterstützung von Hermann Hungerbühler und den Gebrüdern Weiss Dank an Filmteam St.Gallen: Hardy Fussenegger, Gabriel Huber, Ricarda Jenny, Hansjörg Schödler Venezia: Associazione Arzana, Giovanni Caniato, Carmelo Grasso, Stefano Piasentini Loreto: Sor. Luigia Busani, Vito Punzi Montecassino: Mariavittoria Oliva Napoli: Imma Ascione, Carla Cante, Ferdinando Salemme, Tommaso Wenner Roma: Le monache benedettine di S. Cecilia, Claudia Chianese, Vincenzo Coraggio, Mons. Angelo Sceppacerca, Abtprimas Notker Wolf OSB, Pietro Zander Subiaco: Frater Josef Böge OSB Interviews: Abt Pius Engelbert OSB, Abt Edmund Power OSB, Tommaso Wenner Fotoinstallation ‹Napoli e poi› im Stiftsbezirk St. Gallen von Katalin Deér Ausstellungen Salzburg: Erzabt Korbinian Birnbacher, Maria Emberger, P. Michael Eppenschwandtner OSB, Adolf Hahnl, Till Hötzel, Eva Jandl-Jörg, Abt Johannes Perkmann OSB, Judith Regensburger, Pablo Umek Einsiedeln: Abt Urban Federer, P. Justinus Pagnamenta OSB, P. Gregor Jäggi OSB, Patricia Wilms Stefan Aebi, Paolo Alimonti, Frieda Ammann-Bauer, Can Asan, Ursula Badrutt, Silvia Bärlocher, Bruno Bauer, Urs Baumann, Martin Benninger, Dario Binotto, Manuel Bonetti, Rektor Mons. Franz Xaver Brandmayr, Kimberly Brockman, Prisca Brülisauer, Domenica Catino, Alberto
Cavazzano, Paolo Cherubini, Immin Chung Poser, César Coronel, Amanda Crameri, Anita Dörler, Cornel Dora, Hans Eberhard, Monika Ebneter, Daniela Eigenmann, Hubert Emmerig, Elina Erhart, Giulia Fanfani, Umberto Fantò, P. Ulrich Faust OSB, Thomas Franck, Silvio Frigg, Nora Fuchs, Ruth Gassner, Liberata Ginolfi, Andrea Giovannini, Pfarrer Beat Grögli, Raffaella Gustapane, Madeleine Herzog, Claudio Hintermann, Elizabeth Hintermann, Nataly Hüeblin, Luca Humbel, Esther Hungerbühler, Max Imfeld, Hans Jörg Jans, Martin Karrer, Martin Klöti, Beat Kobler, Marcel Koch, Andreas Kränzle, Franz Kreissl, Caroline Looser, P. Elias Lorenzo OSB, Gertrud Luterbach, Claudius Luterbacher, Renato Martinoni, Alison Macdonald, Sandra Meier, Werner Morger, Clemens Müller, Helena Müller, P. Markus Muff OSB, Astrid Nakhostin, Helena Nef, Cristiano Nodari, Valerio Ricciardelli, Werner Ritter, Eleonora Rothenberger, Martina Rothenberger, P. Lukas Schenker OSB, Alessandra Schiavon, Andrea Schibli, Erwin Schweizer, Rolf Sieber, Abt Markus Spanier OSB, Daniela Stolpp, P. Beda Szukics OSB, Erich Trösch, Rafael Wagner, Martina Walser, Urs Weisshaupt, Judith Widmer, Ruedi Widmer, Hans Wüst, Andreas Zajic Gestaltung Ausstellung Gassner-Redolfi KG, Schlins Reinhard Gassner, Andrea Redolfi, Architekt SIA Alberto Alessi, Zürich Produktion Ausstellung Schreinerei Tachezy & Vonaesch GmbH, St.Gallen Copy Art AG, St.Gallen Gestaltung und Satz Publikation Stiftsarchiv St. Gallen TGG Hafen Senn Stieger, St. Gallen Melanie Adler, Dominik Hafen
Zum Geleit Zur Einführung Abtprimas Notker Wolf OSB Mönche auf Reisen – ein Kontrapunkt zur ‹stabilitas loci›?
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Italienreisen im Mittelalter Peter Erhart Monastische Reisewege durch das frühmittelalterliche Italien Riccardo Santangeli Valenzani ‹Itinerarium Einsidlense› Probleme und neue Ansätze der Forschung Peter Erhart und Alfons Zettler Das ‹Itinerarium Einsidlense› oder der Falz als Weg Francesco Lo Monaco Bücher zwischen Italien und Alemannien im frühen Mittelalter Gian Carlo Alessio Italienreisen in den ‹Casus sancti Galli› Alfons Zettler Die Reichenau und Italien im frühen Mittelalter Uwe Ludwig Mönche des frühen Mittelalters auf Italienfahrt Hannes Steiner Sarazenen kidnappen den Abt von Cluny Nine Miedema Der Codex 1093 der Stiftsbibliothek St.Gallen Andreas Rehberg Johannes Bischoff – auf den Spuren eines St.Galler Juristen in Italien
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Erinnerungsstücke Johannes Huber Römische Katakombenheilige in der Fürstabtei St. Gallen Johannes Huber Werke italienischer Provenienz im Stiftsbezirk St. Gallen Sabine Bachofner Italienische Drucke in der Stiftsbibliothek St. Gallen bis Ende des 18. Jahrhunderts Sonja Führer Historische Bücher aus Italien in der Stiftsbibliothek St. Peter in Salzburg Luigi Collarile Musikalische Erlebnisse von St. Galler Benediktinern auf ihrer Grand Tour durch Italien (1699 – 1749) Dominik Flammer Kulinarische Entdeckungen: St. Galler Mönche im barocken Neapel Dieter Richter Prediger mit der Feuerzunge. Der Vesuv
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Reiseberichte Gerald Hirtner und Michael Brauer Die Romreisen des Abts Georg Liebenknecht von Michaelbeuern in den Jahren 1448 und 1450 Jakob Kuratli Hüeblin Die Romreise des Einsiedler Abts Adam Heer zum Jubeljahr 1575 Hermann Hungerbühler St.Galler Patres im Mailand des 18. Jahrhunderts Myrta Gegenschatz Die Italienreise der Patres Albert Nagnzaun und Alois Stubhahn von der Abtei St. Peter in Salzburg 1804 – 1806 Lorenz Hollenstein Die letzte Reise des St. Galler Fürstabts Pankraz Vorster Karl Schmuki Franz Weidmanns ‹Ansichten auf der neuesten Reise nach Rom› von 1821 Anton Gössi Die Italienreisen des Einsiedler Paters Gall Morel Mauritius Honegger OSB Die Romreise des Einsiedler Paters Meinrad Kälin Rolf De Kegel Die Italienreise des Engelberger Abts Anselm Villiger 1880 Ernst Tremp Das tragische Ende des Einsiedler Paters Ludwig Räber Thomas Fässler OSB Was Einsiedler Mönche auf Reisen führt
Zum Geleit + Korbinian Birnbacher OSB, Erzabt von St. Peter in Salzburg
+ Urban Federer OSB, Abt des Klosters Einsiedeln
Dem Reisen der Mönche wird zwar in der Regel des hl. Benedikt mehrfach Rechnung getragen (RB 50,4; 55,13; 67), aber positiv wird es eigentlich nicht konnotiert. Ein Mönch ist nur mit Erlaubnis des Abtes unterwegs. Die zuhause gebliebenen Mönche müssen für den Abwesenden oder Reisenden beten. Und wenn ein Mönch heimkehrt, dann muss er sich am Schluss des Gottesdienstes im Oratorium zu Boden werfen und alle um das Gebet bitten wegen der Fehler, die vielleicht unterwegs vorgekommen sind. Er könnte Böses gesehen und Unnützes geredet haben. So die Befürchtungen. Wie anders doch die Praxis! Gerne und relativ oft sind die Mönche unterwegs. In unserem Kloster schon im 8. / 9. Jahrhundert! Sie haben das Christentum verkündet und sind als Missionare Richtung Osten unterwegs gewesen, weit über unseren heutigen Horizont hinaus in die Slowakei, nach Ungarn und Slowenien! Mit dem hl. Virgil wird 745 ein irischer Mönch Abt unseres Klosters und Bischof von Salzburg († 784). Steht hier nicht Reiseerfordernis und Reiselust gegen die strenge ‹stabilitas loci›, die Ortsbeständigkeit? Nachdem wir schon 2010 bei der Ausstellung ‹Libri vitae› mit dem Stiftsarchiv St. Gallen gut zusammengearbeitet haben, freut es mich sehr, dass wir diese Verbundenheit vertiefen können. Es gereicht dem St. Galler Stiftsarchivar Dr. Peter Erhart und seinem Team zur Ehre, dass mit dieser Ausstellung einem breiteren Kreis Einblick in die klösterliche Reisekultur gewährt wird. Danken möchte ich aber auch meinem Mitbruder P. Dr. Petrus Eder OSB (Musikarchiv) sowie unseren Mitarbeitern Dr. Gerald Hirtner (Archiv), Mag. Sonja Führer (Bibliothek) und Mag. Wolfgang Wanko (Kunstsammlungen), die an der Vorbereitung dieser Ausstellung maßgeblich mitwirkten. Ich wünsche dieser Ausstellung viele Besucherinnen und Besucher, die wie die Mönche von der großen Sehnsucht nach DEM ANDEREN bewegt werden.
‹Besuche dann bitte auch unsere Enkelklöster!› – Diese Worte klingen mir heute noch nach, wenn ich an meine Abreise in die USA denke. Während zweier Semester studierte ich in unserem Tochterkloster St. Meinrad im Süden Indianas Theologie. Meinem damaligen Abt Georg Holzherr waren über das Studium hinaus die freundschaftlichen Beziehungen zu jenen Klöstern wichtig, die in Einsiedeln ihre Wurzeln haben. Mir musste er diesen Auftrag nicht zweimal geben – gerne und mit einer großen Portion Neugierde nahm ich diese Einladung mit auf meine Reise in die Neue Welt. Es war mein erster Aufenthalt auf einem Kontinent außerhalb Europas, meine erste größere Reise nach fünf Jahren der ‹stabilitas› im Kloster. Warum gerade eine Reise in diese Ferne? Wenn schon vom Kloster weg – so war die Devise –, dann soll die Horizonterweiterung auch über die Sprache geschehen, über das Entdecken neuer Landschaften, einer anderen Kultur – und eben im Bewusstsein der weltweiten Verbundenheit im eigenen Orden. Wenn Mönche reisen, wird demnach beim Begriff ‹Reisekultur› immer auch der zweite Wortteil betont. Diese Kultivierung des eigenen Lebens zeigt sich bei mir heute etwa darin, dass ich das Stundengebet nicht nur auf Deutsch und Lateinisch, sondern auf Englisch, Französisch und Italienisch bete. Wir Mönche gestalten unsere Reisekultur bewusst – und so soll sie immer wieder eine Bereicherung für die ‹stabilitas› vor Ort sein: für den einzelnen Mönch und für die ganze Gemeinschaft eines Klosters.
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Zum Geleit
Zur Einführung Peter Erhart und Jakob Kuratli Hüeblin
Wenn du eine Reise antrittst, rufe Gott andächtig mit diesen Worten an: Führe, Herr, Deine Diener auf Deinem Weg und beschütze uns auf all Deinen Wegen, und Dein heiliger Engel vom Himmel geleite uns und führe unsere Schritte auf den Weg des Friedens, auf dass unsere Reise nach Gottes Willen glücklich verlaufe. Die Engel des gütigen Gottes mögen uns zu unserer Rechten und Linken auf den rechten Weg führen. Du höchste Dreifaltigkeit, einiger Gott, steh uns bei und erbarme Dich unser! Die Rechte des Herrn behüte und beschütze uns durch die Fürbitte der Heiligen. Der allmächtige Gott bewahre uns unversehrt in Ewigkeit. Paris, Bibliothèque Mazarine 512, f. 80rv. Kloster Saint-Amand, 9. Jh., Übersetzung aus dem Lateinischen: Clemens Müller.
Michel de Montaigne (1533 – 1592) widmet sich in seinen Essais im Kapitel ‹Über die Eitelkeit› der Motivation seiner Reisen: ‹Dass meine Reiselust genaugenommen von Unrast und Unbeständigkeit zeugt, weiss ich – aber dies sind doch allgemein unsre vorherrschenden Eigenschaften. Ja, ich bekenne es: Selbst im Traum oder als Wunschbild sehe ich nichts, was ich festhalten wollte. Allein Abwechslung und Genuss der Vielfalt finde ich (falls überhaupt etwas) lohnend. Auf einer Reise erquickt mich ebendies, dass ich jederzeit ohne Nachteil haltmachen, mich woandershin wenden oder gemächlich wieder heimkehrn kann› (ed. Stilett, S. 498). Das Unterwegssein Montaignes diente in erster Linie aber seinen zahlreichen Geschäften, deren Getriebe er sich nur allzu gerne entzog, um sich im Turm seines Schlosses im Périgord dem Studium und dem Schreiben zu widmen. Nur wenige Monate nach der Veröffentlichung seiner Essais unternahm er im Herbst 1580 eine längere Reise, die zunächst der Linderung seiner gesundheitlichen Beschwerden – Montaigne litt an Nierenkoliken – in den Bädern Frankreichs, der Schweiz, Deutschlands und Italiens diente. Sein erst 1770 entdecktes Journal dieser Reise, das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, lässt den Ethnographen erkennen, der mit Leidenschaft den Menschen mit all seinen Gewohnheiten und Gebräuchen kennenlernen wollte. Unrast und Unbeständigkeit bilden die Antipoden des Mönchtums. Wäre Montaigne ein Mönch des 5. Jahrhunderts, hätte er für Benedikt von Nursia zur Kategorie der gyrovagi (jene, die im Kreis wandern) gezählt: ‹Immer unterwegs, nie beständig, sind sie Skla-
ven der Launen ihres Eigenwillens und der Gelüste ihres Gaumens› (RB 1). Mönche, die wie Wolo 876 vom St.Galler Glockenturm die Berge und die Fluren ringsum mit den Augen schauen wollten, um ihren unsteten Sinn wenigstens so zu befriedigen, stürzten durch die Holzdecke zu Boden und brachen sich den Hals. Hätte der junge Grafensohn noch einige Jahre geduldig hinter den Klostermauern ausgeharrt, wäre er wohl wie sein Lehrer Notker Balbulus, der ihm in der Todesstunde die Hand hielt, in den Genuss vieler Reisen gekommen. Die Verwaltung des Besitzes, der Besuch von Verwandten, Bädern und Bibliotheken, diplomatische Gesandtschaften, Kriegsdienste und Pilgerfahrten erforderten eine Mobilität der Mönche, die Klöster auch zu Sammelbecken von Geschichten über das Reisen machten. Südwärts gerichtete Reisen überwiegen deutlich in den erhaltenen Berichten, obwohl sich mit der Annäherung an die Alpen ein bedrohliches Szenario aufbaute. Waren diese überwunden, zeichneten sich die Apenninen geradezu als liebliche Silhouette ab, deren Anhöhen Schutz vor den malariaverseuchten Sumpflandschaften boten. Die Anziehungskraft Roms mit den Apostelgräbern war stets mächtiger als die Gefahren einer solchen Reise, die im Mittelalter wohl für die meisten Menschen eine Pilgerfahrt bedeutete. Für Mönche des frühen Mittelalters war es oft Pilgerfahrt und Dienstreise zugleich. Das Interesse an den unterschiedlichen monastischen Gewohnheiten südlich der Alpen, die Gräber Columbans und Benedikts, die Ausfertigung von königlichen oder päpstlichen Privilegien machten viele Reisen nötig, die auch den
Zur Einführung
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Erfahrungsschatz größer werden ließen. Klöster nördlich der Alpen wurden zu Ausgangspunkten von Pilgerfahrten, an denen man sein Testament hinterlegen und sich beraten lassen konnte. Ihr Wissen um die Topographie Roms fixierten Mönche bereits im 9. Jahrhundert in einem Codex, dessen Falz den Leser als Wegleitung durch die Gebäudeschluchten der Kirchen, der verfallenen Monumente und Zypressen führte. Dieses ursprünglich in Chur und Pfäfers aufbewahrte berühmte Itinerarium Einsidlense steht nicht ohne Grund am Beginn dieser Ausstellung. In einzigartiger Form gibt es den Blick auf das frühmittelalterliche Rom ober- und unterhalb der Erde frei, eindrucksvoll geschützt von den 387 Türmen und 7 080 Zinnen der honorianischen Stadtmauer. Eine Leidenschaft für Zahlen offenbaren auch die Mirabilia und Indulgentiae ecclesiarum urbis Romae, in denen der mittelalterliche Pilger sich Sehenswürdigkeiten und Ablässe aus einer langen Pergamentrolle erarbeiten konnte. Beide Objekte gehören zum ersten Bereich der Ausstellung, der Pilgerfahrt, die Geistliche und Laien gleichermaßen zum Aufbruch bewegte. Unter dem Titel ‹Instructio – Im Auftrag des Abtes› werden Beispiele von monastischen Dienstreisen nach Italien präsentiert, deren Zielsetzungen klar formuliert wurden. Stets zu zweit wurden Benediktinermönche losgeschickt, um Anliegen des Klosters an der päpstlichen Kurie zu verhandeln oder Privilegien zu erwirken. In der Neuzeit gehörte mit der Einführung des Postdienstes eine lückenlose Berichterstattung in Briefform dazu, die in einzelnen Fällen durch die Führung eines Tagebuchs ergänzt wurde. Die dichte
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Überlieferung von fünf römischen Reisetagebüchern aus der Zeit 1696 bis 1749 im Stiftsarchiv St. Gallen bot Anlass, sich eingehender mit diesem Thema zu beschäftigen. Trotz ‹Dienstanweisung› blieb den Mönchen auch Zeit für ‹Recreatio – Zur Ergötzung›, dem dritten Bereich der Ausstellung. Denn diese Tagebücher lassen eine bisher unbekannte Dimension des monastischen Reisens erkennen, die deutliche Parallelen zur adeligen Grand Tour aufweist. Vor allem gefestigte Mönche durften über einen langen Zeitraum in Italien eine zweite Schule des Lebens durchlaufen. Zahlreiche Andenken, memorabilia, zeugen von ihrem regen Interesse an der Außenwelt, an Wissenschaft, Kunst, Sprache und den Schönheiten der Natur. Als guter Zuhörer vermittelte uns der St. Galler Pater Lukas Grass 1700 sogar erstmals ein berühmtes Diktum in voller Länge: Magna bruocoli, vedi Napoli e poi muori, ben’ mio! Unser Dank gilt vor allem unseren beiden ferneren Projektpartnern, dem Kloster Einsiedeln und der Erzabtei St. Peter in Salzburg, der Roma tedesca, die durch ihr Vertrauen, ihre Mitarbeit und ihre Leihgaben eine solche Ausstellungstour ermöglichten. Ohne die großzügige Unterstützung unserer Schwesterinstitution, der Stiftsbibliothek St. Gallen und ihrer Mitarbeiter, wäre es kaum gelungen, eine solche Vielfalt an Objekten zu diesem Thema zusammenzutragen. 36 Autoren haben mitgeholfen, diese jahrtausendealten Objekte zum Sprechen zu bringen. Viele von ihnen stellten sich zudem als Referierende für das Kolloquium ‹Nach Rom gehen – Monastische Reisekultur im Mittelalter› im Kloster Einsiedeln (4. – 6. September 2014) zur Verfügung.
Leihgeber der Ausstellungsexponate Stiftsarchiv St. Gallen Stiftsbibliothek St. Gallen Domschatz St. Gallen Katholischer Konfessionsteil St. Gallen Stiftsbibliothek Einsiedeln Stiftsarchiv Einsiedeln Musikbibliothek Einsiedeln Archiv St. Peter in Salzburg Bibliothek St. Peter in Salzburg Kunstsammlungen St. Peter in Salzburg Mineraliensammlung St. Peter in Salzburg Klosterarchiv Engelberg Gemäldesammlung Kloster Engelberg Staatsarchiv Thurgau Klosterarchiv Mariastein S. Maria dell’Anima, Rom Archivio di Stato di Venezia Kollegium Sarnen Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden Peter Erhart, St. Gallen Johannes Huber, St. Gallen
Erinnerungsstücke
Musikalische Erlebnisse von St. Galler Benediktinern auf ihrer Grand Tour durch Italien (1699 – 1749) Luigi Collarile
In der frühen Neuzeit stellte die Grand Tour nach Italien für einen Jungen von edler Geburt, der eine führende Rolle in der Gesellschaft anstrebte, eine unerlässliche Erfahrung dar. Sie war ein Meilenstein in seiner kulturellen Ausbildung: eine besondere Einführung in die Schönheit der Kunst im weitesten Sinne. In den Varianten der Routenstrecken sowie der Reiseziele ist es möglich, die Ausstrahlung sowie die Komplexität eines Phänomens zu bestimmen, welches den kulturellen und ästhetischen Horizont der europäischen Gesellschaft jener Zeit tief geprägt hat. Neuere Untersuchungen zeigen, dass die Praxis der Grand Tour nicht nur ein Privileg für adlige Jungen war. Solche Erfahrungen konnten auch im religiösen und monastischen Gebiet gemacht werden. So unternahmen junge talentierte Mönche zur Abrundung der eigenen kulturellen und persönlichen Ausbildung eine Grand Tour nach Italien. Innerhalb der verschiedenen Mönchsorden übernahmen die Benediktiner eine besondere Rolle in diesem Phänomen. Die breiten kulturellen Interessen sowie die Berufung zur Übermittlung des Wissens, welche das Leben dieses Ordens traditionell prägten, stellten einen fruchtbaren Boden für solche Erfahrungen dar. Unter den vielen Erfahrungen, welche die jungen Reisenden während ihrer Reise nach Italien sammeln konnten, lassen sich zwei Hauptkategorien identifizieren: einerseits, was während einer vorgegebenen, aufgrund von oft traditionell gewordenen Wegen konzipierten Route vorgesehen war, andererseits, was dem Reisenden die Zufälligkeit des Moments bieten konnte. In der untrenn-
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baren Beziehung dieser zwei Dimensionen liegt einer der faszinierendsten Momente der Reisekultur der frühen Neuzeit. Die Grand Tours waren in jeglicher Hinsicht eine außergewöhnliche Erfahrung. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn die jungen Reisenden oft in detaillierten Tagebüchern aufgezeichnet haben, was sie erlebten. Es handelt sich hierbei um eine literarische Gattung, die zu jener Zeit auf großes Interesse stieß. Aus dieser Perspektive ist der Erfolg zu betrachten, welcher zwei in den Jahren 1687 bzw. 1702 im Druck erschienenen Reiseberichten beschieden war, die zwei Benediktiner der Kongregation von SaintMaur, Jean Mabillon und Bernard de Montfaucon, verfassten: Zwei ‹Bestseller›, die das Vorbild der Grand Tour nach Italien für mehrere Generationen von Benediktinern darstellten, die Rom – das ideale und idealisierte Ziel einer gleichzeitig religiösen, bildenden und kulturellen Reise – besuchten. Neben den Reisetagebüchern, die im Druck veröffentlicht wurden, gibt es eine noch größere Produktion, die nur handschriftlich überliefert ist. Vor wenigen Jahren hat Peter Erhart (2008) das Bestehen von vier zwischen 1699 und 1749 verfassten Reisetagebüchern von Benediktinermönchen aus dem Kloster St. Gallen bekannt gemacht. Es handelt sich um sehr interessante Quellen, die wertvolle Informationen bieten können – nicht nur über die Dynamik, welche das komplexe Phänomen der Grand Tour im Bereich der Benediktiner entwickelte, sondern auch in Bezug auf historische, politische, soziale, kulturelle und anthropologische Ereignisse, von denen die jungen Reisenden Zeugen waren.
Ziel meines Beitrags ist es, einen besonderen Aspekt dieser Reise zu betrachten: den klanglichen Horizont der Grand Tour von Benediktinern aus St. Gallen. Auf unterschiedliche Weisen wahrgenommen, ist dies eine Dimension, die immer präsent ist. In den Reisetagebüchern sind nicht nur sehr interessante und detaillierte Beschreibungen von außergewöhnlichen musikalischen Aufführungen bei Festlichkeiten in Kirchen oder in adligen Residenzen zu finden, sondern auch der Lärm der Trommeln und Kanonenschläge, die eine öffentliche Veranstaltung ankündigten, die Rufe der Gläubigen bei der Wahl eines neuen Papsts, improvisierte Gesänge und Tänze in den Straßen während des Karnevals bis hin zur unvorhergesehenen Begegnung mit einem Musiker in einer Taverne. Die Bedeutung dieser abwechslungsreichen Abfolge von Klangerlebnissen soll sorgfältig betrachtet werden – nicht nur um die Qualität der überlieferten Informationen in Bezug auf die spezifische musikalische Erfahrung des Verfassers zu bewerten. Die Evokation einer klanglichen Erfahrung bezieht sich häufig auf ein aus einer emotionalen Perspektive bedeutendes Ereignis: Es ist das Zeichen des Erstaunens, welches – wie ein ‹Soundtrack› – wichtige Momente einer außergewöhnlichen Reise bedeckt. Von St. Gallen nach Rom Die ältesten hier betrachteten Zeugnisse betreffen die Grand Tour nach Italien, welche Pater Lukas (Ignaz) Jeremias Grass (1662 – 1731) und Pater Jodok (Franz Paul) Müller (1667 – 1753) zwischen dem 5. Oktober 1699 und dem 24. Mai 1701 unternahmen. Beide verfassten ein eigenes Reisetagebuch: Der Bericht von Pater Lukas ist heute im St. Galler Stiftsarchiv erhalten (Bd. 286); derjenige von Pater Jodok in der Stiftsbibliothek zu Einsiedeln (Ms. 465). Auf eine weitere Grand Tour begaben sich Pater Bernhard (Johann Georg Anton) Frank von Frankenberg (1692 – 1762) und Pater Coelestin (Michael Anton) Gugger von Staudach (1701 – 1767). Sie reisten am 18. Oktober 1729 ab und kamen am 16. November 1730 nach St. Gallen zurück. Die Aufgabe, ein Reisetagebuch zu verfassen, übernahm der jüngere der beiden Benediktiner, Pater Coelestin (StiASG, Bd. 1934). Einige Jahre später fuhren zwei weitere junge Benediktiner nach Rom, Pater Antonin (Josef Leonz) Rüttimann
(1710 – 1754) und Pater Iso (Franz Jakob) Walser (1722 – 1800). Ihre Grand Tour begann am 1. Mai 1748 und endete am 22. Mai 1749. Auch in diesem Fall wurde das Reisetagebuch vom jüngeren der zwei Mönche, Pater Iso, verfasst (StiASG, Bd. 1935). Die Biographien der Benediktiner, die die Hauptfiguren der drei Grand Tours nach Italien sind, zeigen einen ersten wichtigen Aspekt. Keiner der Mönche übte eine berufliche Tätigkeit im musikalischen Bereich aus. Mit Ausnahme von zwei Fällen – Pater Coelestin spielte Mandola, Pater Iso Geige – gibt es keine Spur von musikalischen Aktivitäten. Hauptziel der Grand Tour nach Italien war, die Promotion in utroque iure – im römischen sowie im kanonischen Recht – an der Universität La Sapienza in Rom zu erlangen, eine Ausbildung, die den Benediktinern später erlaubte, führende Positionen im Kloster zu bekleiden. Dies ist eine Tatsache, die nicht nur in Bezug auf die Qualität der musikalischen Zeugnisse im Auge behalten werden soll. Die Musik war nicht ein Aspekt der beruflichen Tätigkeit der Reisenden, sie war lediglich eine Komponente ihrer persönlichen kulturellen Sphäre. Der Klang der Liturgie Pater Jodok Müller und Pater Lukas Grass wohnten den Feierlichkeiten für das Heilige Jahr 1700 bei. Pater Jodok nahm an der Zeremonie der Öffnung der Heiligen Pforten im Vatikan teil. In seinem Tagebuch gab der Benediktiner detaillierte Hinweise zum Zeremoniell des Fests wieder. Einem außergewöhnlichen Ereignis, etwa der Ernennung eines Papsts, entspricht in der Regel eine ausführliche Beschreibung. In vielen anderen Fällen enthalten aber die Reiseberichte nur kurze Anmerkungen, die jedoch dank hermeneutischen Verfahren unerwartete Perspektiven öffnen können. Am 29. November 1729 besuchten Pater Coelestin Gugger und Pater Bernhard Frank die Messe in der Paulinischen Kapelle. Pater Coelestin vermerkte in seinem Tagebuch (S. 44): ‹Zum Offertorium und nach der Konsekration sangen die Sänger der päpstlichen Kapelle wunderschön› (ad Offertorium et post Elevationem Cantores Papales pulcherrimè cantabant). Es handelt sich nur dem Aussehen nach um einen allgemeinen Hinweis. Das Zeremoniell der päpstlichen Kapelle sah für den Dienstag nach dem ersten Adventssonntag eine Privatmesse vor, ‹in welcher unsere Kapelle zwei Motetten
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singt, eine zum Offertorium, nämlich die Motette Fratres, ego enim des Palestrina, und eine weitere an der Konsekration, nämlich die zweichörige Motette Comedite gentes [desselben Komponisten]› (Messa bassa, alla quale il nostro Collegio canta due Mottetti, uno all’Offertorio, che è Fratres, ego enim del Palestrina, e l’altro all’Elevazione, che è Comedite gentes, a due Chori). So liest man in den vom Kapellmeister Andrea Adami verfassten und 1711 in Rom herausgegebenen Osservazioni per ben regolare il coro della Cappella Pontificia (S. 98), einer veröffentlichten Fassung des spezifischen Zeremoniells der päpstlichen Kapelle. Am 29. November 1729 hörten die zwei Schweizer Benediktiner demnach zwei Motetten des berühmten princeps musicae Giovanni Pierluigi da Palestrina († 1594), welche Teil des permanenten Repertoires der päpstlichen Kapelle waren. Die Möglichkeit, für drei Paare von Mönchen aus dem gleichen Kloster deren jeweilige Grand Tours nach Italien zu vergleichen, kann die Rekonstruktion einiger Episoden vereinfachen. Der Vergleich kann Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Erfahrungen ans Licht bringen, welche die Benediktiner in den gleichen Zusammenhängen, aber zu verschiedenen Zeiten gemacht haben. Die Gelegenheiten können die gleichen sein, die Beschreibungen der verschiedenen Zeugen können jedoch unterschiedliche Einzelheiten berücksichtigen. Am 29. Juni 1700, dem Festtag der Hl. Peter und Paul, nahm Pater Lukas Grass (nach der Feier einer Messe in der berühmten Kapelle des Bramante in S. Pietro di Montorio) an den Feierlichkeiten in der Basilika von S. Pietro in Vaticano teil. In seinem Tagebuch beschrieb er detailliert den musikalischen Apparat, welchen das Zeremoniell vorsah (S. 96r): ‹Die Musik war wirklich edel. Sie wurde von vier Chören aufgeführt. Ein fünfter Chor befand sich an einem erhöhten Punkt der Kuppel. Als er zu singen begann, schuf er einen wunderschönen Zusammenklang› (Musica quoque erat nobilissima divisa in quatuor choros, quintus autem chorus erat sublimatus in vertice cupulae, qui dum cantare incepit, pulcherrimum fecit concentum). Fast fünfzig Jahre später, am 29. Juni 1749, war Pater Walser auch in S. Pietro in Vaticano. In seinem Tagebuch vermerkte der junge Benediktiner, dass er eine Messe auf dem Altar des hl. Leo (des Papsts) feierte. Er gibt keinen Hinweis auf die Musik in der Basilika, erwähnt aber die novam machinam (eine temporäre Konstruktion,
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die eigens für diese Gelegenheit gebaut wurde), die fantastische Beleuchtung der Kuppel sowie das Feuerwerk. Ein ähnlicher Fall betrifft das Fest des hl. Dominikus in der Kirche von S. Maria sopra Minerva. Am 4. August 1700 nahm Pater Lukas an der Vesper teil (S. 105r): ‹Es gab eine feierliche Musik, die von acht Chören aufgeführt wurde. Vorher war sie noch feierlicher und in sechzehn Chöre aufgeteilt› (Musica valde solennis per 8. Choros distributa habebatur, antehac erat solennior et per 16. Choros divisa). Im Tagebuch von Pater Iso Walser, der am 4. August 1748 an der gleichen Festlichkeit teilnahm, ist die Beschreibung von weltlichen Ereignissen wie dem Genuss von Schokolade oder Kutschfahrten auf der von Wasser bedeckten Piazza Navona (Abb. 39) viel detaillierter als der Bericht über die feierliche Musik, die während der Vesper aufgeführt wurde. Hierüber vermerkte Pater Iso nur eine subjektive Beurteilung (S. 163): ‹Besonders gefiel der Vers Et humilia respicit im Psalm Laudate› (placuit precipue in psalmum Laudate versus Et humilia respicit). Ein Vergleich zwischen den verschiedenen Reiserouten ermöglicht es, einige wichtige Konstanten zu identifizieren. Dazu gehört ein Besuch in der Basilika S. Cecilia in Trastevere. In der Kirche, welche die sterblichen Überreste der Heiligen beherbergt (auf deren Altar die berühmte Marmorstatue des Stefano Maderno (1570 – 1636) zu sehen ist), wurde nämlich der Kardinal Coelestin Sfondrati (1644 – 1696), ehemaliger Fürstabt des Klosters St. Gallen, begraben. Das Fest für die hl. Cäcilia (22. November) wurde in dieser Basilika sowie in der Kirche von S. Carlo ai Catenari besonders feierlich begangen. Am 21. November 1669, nach der Feier einer Messe in S. Cecilia in Trastevere, nahm Pater Lukas an der Vesper am Vorabend in der Kirche von S. Carlo ai Catenari teil. Die Feierlichkeiten dauerten zwei Stunden. Dies war für eine Festlichkeit jener Zeit nicht ungewöhnlich. Am 13. Juni 1749 besuchte Pater Iso die Vesper in der Kirche von S. Antonio dei Portoghesi und vermerkte in seinem Tagebuch (S. 31r – v), dass ‹der erste Psalm … Dixit Dominus circa eine Stunde dauerte› (primus psalmus … Dixit Dominus duravit circiter per horam). Verwirrend für Pater Lukas war das Verhalten der Musiker, die in der Vesper spielten: ‹Die Sänger beteten an, indem sie plauderten, lachten und ihre Zeit mit anderen Frechheiten vertrieben› (Cantores adorabant, garriendo, ridendo, aliisque impertinentiis tempo consumendo).
39 Giovanni Paolo Pannini, ‹Il lago di Piazza Navona› (1756) (Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum).
Luigi Collarile ‹Musikalische Erlebnisse von St. Galler Benediktinern auf ihrer Grand Tour durch Italien› 157
Vierzig Jahre später berichtete Pater Iso über die Feierlichkeiten, welche am 22. November 1748 in der Basilika der hl. Cäcilia stattfanden (S. 299 – 300): ‹Fest der hl. Cäcilia ... Am Abend besichtigten Pater Michael und ich die Kirche der hl. Cäcilia in Trastevere, die herrlich geschmückt war ... Hier konnte man sehr elegante Musik hören, die ein edler Magister aus Rom komponiert hat, welcher im Dienst von Kardinal Acquaviva stand› (Fest. S. Caeciliae … Vespere cum P. Michaële invisimus Ecclesiam S. Caeciliae Trastevere, quae erat praestantissimè exornata … Hic audiebatur Musica mire elegans, quam produxit nobilissimus Romae magister, qui erat à servitiis Domino Cardinali Acquaviva). Der Hinweis ist sehr interessant. Pater Iso vermerkte, dass die Musik von einem ‹römischen Meister› komponiert worden war, welcher im Dienst des Kardinals Acquaviva stand. Die Information ist nicht leicht zu entziffern. Mit Bezug zur Basilika der hl. Cäcilia in
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Trastevere lassen sich zwei Kardinäle Acquaviva identifizieren: Kardinal Troiano Acquaviva d’Aragona (1696 – 1747), Kardinalpresbyter der Basilika von 1733 bis 1747, und Kardinal Francesco Acquaviva d’Aragona (1665 – 1725), Onkel des vorherigen, Presbyter der Basilika von 1709 bis 1724. Falls die Anmerkung im Tagebuch ein Hinweis auf den jüngeren, 1747 verstorbenen Kardinal Troiano Acquaviva d’Aragona ist, könnte der Verfasser der Musik der auch als Pasqualino bekannte Geigenvirtuose Pasquale Bini (1716 – 1770) sein, welcher bis 1747 im Dienst des Kardinals stand: Sein Name erscheint auch im Reisetagebuch des Paters Iso. Viel wahrscheinlicher ist es aber, dass der im Zitat erwähnte ‹Kardinal Aquaviva› der ältere der beiden, Francesco Acquaviva d’Aragona, ist. 1720, als er Kardinalpresbyter der Basilika in Trastevere war, beauftragte er den berühmten Komponisten Alessandro Scarlatti, eine Messe und eine Vesper für das
40 Giovanni Pierluigi da Palestrina, ‹Missarum liber secundus›, Rom, Erben Dorico, 1567 (Musikbibliothek Einsiedeln).
Fest der hl. Cäcilia zu verfassen. Ein Jahr später war die Partitur bereit, welche die Musici della Congregazione di S. Cecilia zum ersten Mal aufführten. Was Pater Iso im Jahr 1748 hörte, war sehr wahrscheinlich die Vesper von Scarlatti, die offensichtlich jedes Jahr wieder als permanenter Teil des Zeremoniells der Feierlichkeiten zu Ehren der hl. Cäcilia in der Basilika in Trastevere aufgeführt wurde. Zur Unterstützung dieser These ist ein weiterer Ausschnitt aus dem gleichen Tagebuch von Pater Iso zu erwähnen. Am 25. November 1748 (drei Tage nach dem Fest der hl. Cäcilia) fügte der Benediktiner nach dem täglichen Bericht ein ausführliches Kapitel (S. 303 – 305) mit dem Titel Musica italica – ‹Italienische Musik› – ein, in dem typische Aspekte der Aufführungspraxis italienischer Tradition mit außergewöhnlichem Detailreichtum beschrieben werden. Bemerkenswert ist der dritte Absatz (S. 304). Was Pater Iso beschreibt, passt perfekt zur Cäcilienvesper (Vespro di S. Cecilia) von Alessandro Scarlatti, die heute handschriftlich überliefert ist: ... in den Vespern mit Musik werden drei Psalmen mit Instrumenten aufgeführt. Es folgt eine noch feierlichere Symphonie. Danach singt man die anderen Teile [der Vesper] nur mit Orgel. Das Publikum verlässt die Kirche, nachdem es der Feier wegen der Musik mit nicht dem Altar, sondern der Orgel zugewandtem Gesicht und Körper beigewohnt hat. Die Antiphonen werden wie arie aufgeführt. ... in vesperis musicâ cum instrumentis producuntur tres psalmi, post quos symphonia pretiosior, qua finita breviter prosequuntur reliqua soli cantores cum organo, et gens recedit Ecclesia, utpote qua propter Musicam adstiterant facie et corpore non versus aram, sed versus organum converso. Antiphonas quandoquam per modum ariae producunt. Die Verwendung gewisser musikalischer Repertoires bei bestimmten liturgischen Veranstaltungen ist ein komplexes Phänomen, dessen Bedeutung noch genauer untersucht werden müsste. Schon erwähnt wurde die päpstliche Kapelle. Ihr spezifisches Zeremoniell sah ein permanentes Musikrepertoire vor. Bekannt ist der Fall des Miserere von Gregorio Allegri (1582 – 1652). Dieses Werk (das sich sehr oft in den Berichten der Grand Tours nach Italien des 18. Jahr-
hunderts erwähnt findet) wurde in der Sixtinischen Kapelle jedes Jahr zwei Mal aufgeführt – in der Mette am Mittwoch der Karwoche sowie am Karfreitag. 1770 konnte es auch der vierzehnjährige W. A. Mozart hören und mit allen Koloraturen der Sänger (‹eines der Geheimnisse von Rom›) aufschreiben. Zu diesem Werk (und dessen Ruhm) findet man einen interessanten Hinweis im Tagebuch von Pater Iso Walser. In der Karwoche 1749 besuchte der Benediktiner die Kapelle Sansevero in Neapel. In der Beschreibung des Zeremoniells (S. 476) vermerkte Pater Iso, dass der Psalm, der hier am Gründonnerstag intoniert wurde, das Miserere war, ‹welches hier genau wie in Rom im apostolischen Palast gesungen wird› (et pro Psalmo Miserere, qui hic decantatur sicut Romae in palatio apostolico). Im Fall der Sixtinischen Kapelle bestand das spezifische, im Zeremoniell vorgesehene Repertoire vor allem aus polyphonischen Werken der Renaissance, wie etwa den Kompositionen von Palestrina (Abb. 40). Die Partitur, die Alessandro Scarlatti 1720 für den Festtag der hl. Cäcilia konzipierte, war jedoch eine konzertierende Vesper mit großer Vokal- und Instrumentalbesetzung. Solche stilistisch herausragenden Werke konnten aber auch permanente Teile eines spezifischen Rituals werden – wie im Fall des Vespro di S. Cecilia des Scarlatti, seit 1721 bis mindestens 1748, als Pater Iso die Vesper hörte, der ‹Soundtrack› der Festlichkeiten für die hl. Cäcilia in der Basilika in Trastevere. In vielen Fällen enthalten die Tagebücher der Benediktiner detaillierte Beschreibungen der musikalischen Aufführungen, die sie hören und sehen konnten. Am 1. Januar 1700 hatte Pater Jodok Müller die Gelegenheit, eine Messe in der Jesuitenkirche del Gesù zu feiern. In seinem Tagebuch vermerkte er: ‹… der Kirchenapparat war grandios … Die Musik, welche von drei getrennten Chören aufgeführt wurde phantastisch› (apparatus Ecclesiae fuit magnus … Musica optima a tribus choris in tribus distinta). Ähnliche Aufführungsmodalitäten (die offensichtlich typisch waren für die großen Festlichkeiten des liturgischen Kalenders) findet man in zwei Beschreibungen, die Pater Iso Walser fast ein halbes Jahrhundert später verfasste. Am 31. Juli 1748 nahm der St. Galler Benediktiner an den Feierlichkeiten zu Ehren des hl. Ignatius von Loyola teil. So beschrieb Pater Iso den grandiosen Apparat, welcher 75 scudi kostete (S. 156):
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Die Musik wurde mit drei getrennten und weit entfernten Orgeln aufgeführt, bei denen drei Chöre auf sehr raffinierte Art und Weise konzertierten. Die erste Orgel war über der Eingangstür der Kirche; die zweite auf der rechten Seite in der Kapelle des hl. Ignatius; die dritte auf der linken Seite in der Kapelle des hl. Francisco de Xavier, in welcher ein Arm des Heiligen aufbewahrt ist. Musica exhibita fuit in tribus distinctis, et remotissimis organis, in quibus tres chori constituti accuratissime invicem concertabant. Unum organum videtur supra portam et ingressus Ecclesiae, alterum à latere dextro in capella S. Ignatÿ; tertium à latere sinistro, seu in capella S. Francisci Xaverij, ubi SS. eius Brachium asservatur. Die zweite Gelegenheit betrifft die Vesper am Vorabend des Festtags des hl. Francisco de Xavier (S. 311 – 312): Die Musik wurde mit drei getrennten Orgeln aufgeführt. In einer Symphonie spielte eine Flöte mit Cello und Spinett. Am Schluss spielten die Orgel und die Violinen, die sich über der Eingangstür der Kirche befanden und sich in der Art eines Echos antworteten. Musica fiebat in tribus distinctis Organis. In symphonia ludebant il piano flauto cum Violinocello [sic] et spinetta. In fine organum quod est supra ianuam, h.e. violini ibidem existentes resonabant ad modum Echos respondentes violinis existentibus in organo. Im Januar 1730 notierte Pater Coelestin Gugger den Kauf von zwei Exemplaren der Guida angelica perpetua, einer der beliebtesten Reiseführer jener Zeit, ‹worin von Tag zu Tag, was in allen Kirchen Roms zelebriert wird, aufgezeichnet ist›. Auch Pater Iso war mit einem ähnlichen Reiseführer ausgestattet. Das von ihm gekaufte Exemplar des Diario romano per l’anno MDCCXLIX (Rom: G. B. Barnabò, 1749) wurde – mit weiteren kleinen Publikationen und einigen Kupferstichen, die er während seiner Grand Tour nach Italien erwarb – in sein Reisetagebuch eingebunden. Dem jungen Benediktiner boten diese Reiseführer knappe Informationen über die wichtigsten Ereignisse des abwechslungsreichen staatlichen Ri-
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tuals von Rom, das durch tägliche Feierlichkeiten in den verschiedenen Kirchen der Stadt gekennzeichnet war. Der Besuch der gleichen Orte zu verschiedenen Zeiten konnte nicht zufällig sein: Er richtete sich nach den Etappen der ständigen Pilgerfahrt, welche die Ewige Stadt belebte. Den Anweisungen nicht zu folgen, konnte böse Überraschungen bringen. Am 21. März 1700, dem Festtag des hl. Benedikt, besuchte Pater Lukas Grass die benediktinische Kirche des hl. Callixtus. Die Guida angelica zeigte keine besondere Feierlichkeit für diesen Tag an. In der Tat war die Teilnahme von Gläubigen an der Messe sehr gering, wie Pater Lukas in seinem Tagebuch mit Enttäuschung vermerkte. Der Grund war für ihn im Mangel eines feierlichen musikalischen Apparats zu suchen (c. 64v): ‹Es wurde keine Figuralmusik aufgeführt und niemand vom Volk kam› (Musica tum figurata nulla fuit, et nemo fere ex populo venit) – Beweis der Bedeutung, die das klangliche Element in der Bestimmung der Wichtigkeit einer Feierlichkeit (sowie in der Förderung der Teilnahme der Gläubigen) hatte. Musik in den Palästen Obwohl die Hinweise auf kirchliche Veranstaltungen deutlich zahlreicher sind, fehlen in den Reiseberichten der Benediktiner Bemerkungen zu weltlichen Ereignissen nicht. Ein besonderes Kapitel betrifft Paläste und Villen von prominenten Persönlichkeiten im Rom der Päpste. Wie Peter Erhart (2008) aufgezeigt hat, nahmen Pater Lukas und Pater Jodok am 16. September 1700 an einer Theateraufführung mit Musik teil, die im Palazzo della Cancelleria, der Residenz des Kardinals Pietro Ottoboni, stattfand. In seinem Palast ließ der Kardinal ein Theater bauen, in dem Aufführungen verschiedener Art stattfanden. Wesentlicher Bestandteil war die Musik, die der Kardinal Mäzen großzügig förderte. Obwohl die von den zwei Benediktinern besuchte Veranstaltung derzeit nicht identifizierbar ist, darf man annehmen, dass sie von Künstlern und Literaten aus der Entourage des Kardinals konzipiert worden war. In Diensten des Kardinals Ottoboni standen Dichter wie Arcangelo Spagna sowie mehrere Musiker, darunter Arcangelo Corelli und Alessandro Scarlatti.
Es ist vielleicht überraschend, dass zwei junge Benediktiner an einer Theateraufführung im Palast eines Kardinals teilnahmen. In der Tat war zwar eine exzentrische Figur wie der Kardinal Ottoboni außergewöhnlich, doch waren zu jener Zeit ähnliche Erfahrungen nicht selten. Sie zeugen von der einzigartigen kulturellen Lebendigkeit des Ordens, der sich im 18. Jahrhundert künstlerischen Ausdrucksformen öffnete, die in einigen Fällen im Widerspruch zu den ästhetischen, von den kirchlichen Behörden auferlegten Maßstäben standen. Es handelt sich um Prozesse, die im musikalischen Bereich komplexe Phänomene hervorbrachten, wie zum Beispiel die Kontrafaktur von Opernarien, welche die im kirchlichen Raum verwendeten Musikrepertoires manchmal grundlegend veränderten. Neuere Untersuchungen zum Benediktinerkloster Maria Einsiedeln haben deutlich gemacht, wie die massive Kontrafaktur von Opernarien nicht auf eine allgemeine Zirkulation von musikalischen Materialien zurückzuführen ist, sondern auf regelmäßige Besuche der Mailänder Opernbühnen (Collarile 2010). Beispielhaft dafür ist eine Episode aus der Reise von Abt Nikolaus Imfeld (1694 – 1773; Abt seit 1734) nach Mailand im Oktober 1754. Zusammen mit dem jungen Pater Marian Müller (1724 – 1780; auch er wurde später – 1773 – Abt des Klosters Einsiedeln) besuchte Imfeld einige Kirchen der Stadt und ging an zwei aufeinanderfolgenden Abenden ins Mailänder Teatro Regio, wo Calamita de’ cuori – eine opera buffa des Venezianer Komponisten Baldassare Galuppi auf ein Libretto von Carlo Goldoni – inszeniert wurde. Die Beziehung zwischen Mailand und dem Kloster Einsiedeln spiegelt sich in der außergewöhnlichen, noch heute erhaltenen Musiksammlung des Klosters wider. Im Fall des Klosters St. Gallen stellt der Verlust des ältesten Teils der Musiksammlung eine deutliche Einschränkung für die Analyse der Typologie sowie der Auswahlkriterien des im Kloster verwendeten Musikrepertoires dar. Es ist schwierig zu bestimmen, ob die Benediktiner aus St. Gallen die Reise nach Italien auch nutzten, um das musikalische Repertoire des Klosters zu erneuern, auf eine Art und Weise, die im Hinblick auf Qualität und Intensität mit den im Kloster Einsiedeln identifizierten Rezeptionsprozessen vergleichbar ist. Am 9. Juni 1730 vermerkte Pater Coelestin Gugger in seiner Liste der Reisespesen die Kosten des Kaufs für ein neue
Composition in der Music des deus in adjutorium ad vesperas, auch deren Abschreibung, die er sehr wahrscheinlich in der Kirche von S. Maria Maggiore in Rom hörte. Drei Monate später bezahlte er zwei scudi für geschriebene Sonate und Instruction in allen Thonen, auf das Mandola, das Instrument, welches er zum Zeitvertreib spielte. Am 15. Mai 1749 notierte Pater Iso in seinem Tagebuch, dass er von Giovanni Battista Casali (damals Assistent des Girolamo Chiti in der Leitung der Kapelle von S. Giovanni in Laterano), vom camerlengo der Kirche von S. Stefano del Cacco sowie vom Sigrist des angrenzenden Benediktinerklosters plura Musicalia bekam. Dies sind einzelne Episoden, deren Tragweite noch zu bestimmen wäre. Im Tagebuch von Pater Iso Walser sind mehrere ausführliche Beschreibungen von Palästen zu lesen. Zwischen Statuen, Gemälden und Antiquitäten unterschiedlicher Art konnte er zwei außergewöhnliche Klangmaschinen genau anschauen und hören. Am 16. April 1749 hörte der Benediktiner die hydraulische Orgel, die sich in den Gärten des Quirinalspalasts befand (S. 490 – 491): Unter dem päpstlichen Quirinalspalast befindet sich eine Orgel, die a forza d’acqua, d.h. mit der Kraft des Wassers, welches ein Mühlrad bewegt, oberhalb dessen sich die Tasten befinden, ein Präludium und eine Fuge spielt. Auf beiden Seiten sitzen zwei Engel, die ebenfalls mit der Kraft des Wassers Hörner spielen. Es sind auch Vogelgesänge, insbesondere von Kuckucken, zu hören. Man kann auch eine kleine Kugel sehen, die vom Windstrom ständig in der Luft gehalten wird. Von den verschiedenen Wasserspielen sage ich nichts weiter. Specialiter sub Palatio Pontificio est Organum ludens praeambulum et fugam a forza d’aqua, seu vi aquae, quae molam, cui insunt claves elevantes p[?] circumagit. Sedent foris ex lateribus duo angeli inflantes cornua pariter vi aqua. Sentitur etiam cantus avium, specialiter cuculi. Globulum quoque videre licet ob aëre seu vento continuo elevatum. Nihil modo dicam de varijs giuochi d’aqua. Einige Tage später, am 21. April 1749, sah und hörte Pater Iso eine weitere hydraulische Orgel im Garten des Palasts des Fürsten
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Pamphilj: ein noch komplexeres mechanisches Instrument, das sechs Menuette und andere lustige Stücke spielen konnte. Im Gegensatz zur Wasserorgel in den Gärten des Quirinalspalasts ist das Instrument in der Villa Pamphilj nicht mehr erhalten. Es wurde während der Einnahme Roms durch die französischen Truppen im Jahr 1849 zerstört. Die Beschreibung von Pater Iso Walser stellt daher eine wertvolle historische Quelle für ein mechanisches Instrument dar, welches ursprünglich für den Garten der Villa Belvedere in Frascati konzipiert worden war (S. 492). Nach dem Mittagessen beobachteten wir im Palast des Prinzen Pamphilj eine neue Maschine, nämlich die Orgel, welche für die Villa in Frascati, Belvedere genannt, konzipiert wurde. Sie wurde an dem Ort platziert, an dem eine mit großen Pfeifen spielende Statue zu sehen ist. Diese Orgel spielt allein mit der Kraft des fallenden Wassers (das den Wind erzeugt, ohne Bälge) sechs Menuette und weitere elegante Stücke. Auf dem großen Rad sind mehrere Zähne festgelegt, welche die Tasten anheben. Um mit einem einzigen Rad mehrere Menuette spielen zu können, ist es notwendig, dass die Zähne in verschiedenen Positionen fixiert sind und dass die Lage aller Tasten gleichzeitig geändert werden kann, indem sie mehr oder weniger an ihre Stelle gezogen werden. Das Instrument ist eine Erfindung eines Mönchs aus Silvestri namens Pater Celestino Testa. Sie wurde aber von einem Deutschen aus dem Trentino gebaut. Post prandium in Palatio Principis Pamphilij vidimus machinam novam seu organum pro villa in Frascati Belvedere dicta confectum quod reponetur eo loci ubi statua illa grandis fistulis ludere videtur. ludit porro dictum organum per se vi aquae cadentis (quae ventum facit, sine follibus) 6. minuetti et quidem mirae elegantiae. rota enim magna infixi sunt plurimi dentes, qui claves elevant, cum rotatur. ut vero unica rota diversi minuetti ludi possint, oportet dentes esse varia situ infixos, et mutari situm clavium omnium simul, eos minus aut magis in partem trahendo. opus hoc est inventio cuiusdam Religiosi Sylvestrini, nomine P. Caelestini Testa; elaboratum vero est a Germano quodam Tridentino.
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Der Klang der Festlichkeit Als Zeugen der Feier zum Jubeljahr 1700 nahmen Pater Lukas Grass und Pater Jodok Müller ein paar Monate später auch an den Feierlichkeiten anlässlich der Ernennung von Papst Clemens XI. teil. Pater Coelestin Gugger und Pater Bernhard Frank waren im Juli 1730 Zeugen der Ernennung von Clemens XII. und erlebten das Fest zu Ehren des neuen Papsts. Es waren dies Ereignisse mit starker klanglicher Wirkung und unter Beteiligung großer Massen: die musikalischen Apparate in den Kirchen Roms; der fröhliche Klang der Glocken in der Stadt; die Rufe der Gläubigen, die dem neuen Papst zujubelten; das Donnern des Feuerwerks; die improvisierten Tänze auf den Straßen, die an den Karneval erinnerten. In ihren Tagebüchern hielten die jungen Benediktiner diese Szenen fest, wobei sie zwei Register mischen (die sehr wahrscheinlich auf zwei unterschiedliche Arten von Quellen zurückzuführen sind): Auf der einen Seite finden sich Beschreibungen der offiziellen liturgischen Zeremonien, oft zu detailliert, als dass sie unabhängig von einem der vielen veröffentlichten Berichte entstanden sein könnten; auf der anderen Seite die Klänge und Farben des öffentlichen Fests auf den Straßen und Plätzen Roms, mit dem frischen Blick eines Augenzeugen wahrgenommen. Große Massenszenen begleiteten aber nicht nur außergewöhnliche Feierlichkeiten wie das Jubeljahr oder die Ernennung eines neuen Papsts. Verschiedene Momente des liturgischen Kalenders sahen öffentliche festliche Rituale vor. Außerordentlich anschaulich ist die Skizze des Vorabends des Fests zu Ehren der hll. Peter und Paul (28. Juni 1748), die Pater Iso Walser in seinem Tagebuch festhielt (S. 112): Um zwei Uhr in der Nacht in Castel Sant’Angelo begann das Feuerwerk, welches Girandola genannt wird: 1. Kanonen wurden abgefeuert. 2. In der Burg spielten unablässig Geigen und Trompeten. 3. Brennende Feuerwerkskörper wurden im Tiber platziert. 4. Dazu kamen Feuerwerkskörper, die sich mit gewaltigem Knall in zahllose Sterne auflösten. 5. Nach dem Signal wurden die Fackeln im päpstlichen Palast entzündet, und als die Böllerschüsse beendet waren, begann die Girandola. Die ganze Burg war
von Feuer bedeckt. Das Feuer stieg in wunderbarer Weise hoch in die Luft. Ringsherum flogen feurige Fische in der Luft hin und her. Es wurde die ‹Sonnenblume› (oder ‹Mühle›, eine doppelte Girandola) gezeigt. Das Kunstwerk ging komplett in Rauch auf. Heute war auch auf der Piazza Farnese ein Feuer angezündet. Die Gebäude daneben waren wie ein Theater beleuchtet. Getränke wurden verteilt, die Musiker spielten. Wein wurde den Leuten gegeben, die sagten: ‹Lang lebe der König von Neapel!› A due hore di notte Castellum S. Angeli inchoavit ignem artificialem, quem Girandola vocant. 1. solvebantur tormenta bellica; 2. sonabant continuo Violini et Tubae in ipso Castello. 3. mittebantur ragetti, et pignatelli etiam in fluvio Tybere ardentes. 4. immiscebantur granatae horrendo fragore in plurimas stellulas dissilientes. 5. dato signo faccula in palatio Pontificio, et soluto tormento incoepit Girandula; totum castellum erat plenum igne. ascendebat ignis in altum mirabili figura. Circumvolitabant pisces ignei hinc et inde in aëre. exhibebatur Girasole, seu molina, duplex girandula. res artificiosa tota in fumum abijt. erat hodie pariter focus accensus in piazza Farnese. erant vicina palatia illuminata ut theatrum. distribuebantur rinfreschi, sonabant musici. Dabatur antea populo vinum, qui diceret, ‹che viva il re di Napoli!› Klangliche Begegnungen In den Reisetagebüchern der Benediktiner aus St. Gallen werden manchmal Begegnungen mit prominenten Persönlichkeiten der italienischen Musikszene jener Zeit erwähnt: Begegnungen gänzlich klanglicher Natur, die die Mönche oft völlig unbewusst erlebten. Am 11. Dezember 1700 nahmen Pater Jodok Müller und Pater Lukas Grass am Seelenamt für den verstorbenen Papst in S. Lorenzo in Damaso teil. Die aufgeführte Musik war fantastisch. Laut dem Bericht von Pater Jodok, ‹führten mehr als 24 Violinisten am Offertorium eine prächtige Musik auf› (plusquam 24 violistae superbissimam symphoniam fecerunt). Da der Titular der Kirche der Kardinal Pietro Ottoboni, der Mäzen von Arcangelo Corelli, war, ist es möglich, dass die zwei Benediktiner bei jener Gelegenheit den berühmten Violinisten und sein Orchester hörten.
Während der Rückfahrt in die Schweiz hielten sich Pater Coelestin Gugger und Pater Bernhard Frank einige Tage in Venedig auf. Am 22. Oktober 1730 mieteten sie zwei Stüehl bey der Music in der Kirche alla pietà. Es war die Kirche, in der Antonio Vivaldi tätig war. Es ist zwar nicht unmöglich, dass die Benediktiner tatsächlich ein Konzert des bekannten prete rosso hörten: Seine Musik war in der Tat ein wichtiger Teil des spezifischen Repertoires der jungen Frauen, die das Orchester des Spitals bildeten. Sie verpassten aber die Begegnung mit Vivaldi. Im Herbst 1730 war der bekannte Violinist weit weg von Venedig, nämlich mit seinem Vater auf der Straße zwischen Wien und Prag. Die Leitung des Orchesters des Spitals hatte Giovanni Porta übernommen (Gillio, S. 465 – 467). Das von Pater Coelestin geäußerte Urteil über die von ihm gehörte Musik ist trotzdem enthusiastisch (S. 377): ‹Ich war begeistert, dass Frauen allein so perfekte Harmonien erreichen konnten› (miratus fui, solas foeminas ad tantas harmonias exactissimas posse convenire). Klangliche Apparate für ein außergewöhnliches Ereignis Nur wenige Naturereignisse konnten die kollektive Vorstellungswelt so intensiv treffen wie eine totale Sonnenfinsternis. Im Tagebuch von Pater Iso Walser ist die Sonnenfinsternis erwähnt, die am 25. Juli 1748 in Rom zu beobachten war. Die Finsternis ereignete sich am Nachmittag. Angesichts des außerordentlichen Charakters dieses Ereignisses wurde auch eine besondere ‹Tonspur› konzipiert: Ausdruck der kulturellen Anstrengungen des historischen Moments, in dem sich moderne wissenschaftliche Interessen (Pater Iso beobachtete die Sonnenfinsternis aus dem Collegio Romano mit Hilfe eines einfachen Teleskops) mit uraltem Aberglauben, dass solche Ereignisse das Ende der Welt ankündigen könnten, mischten. Während der Finsternis nahm Pater Iso an einem Gebet in der Kirche von S. Giacomo degli Spagnoli an der Piazza Navona teil. Er hörte dort feine Musik, darunter ein sehr schönes Crucifixus. Die Rückkehr des Lichts wurde in derselben Kirche mit einer feierlichen Vesper gefeiert. Die Hauptfigur der dort aufgeführten hervorragenden Musik war der Violinist Pasquale Bini, Pasqualino genannt. In tiefer Stille lauschte die große Menschenmenge, die sich in der Kirche aufhielt, seinen Soli (S. 150 – 151).
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25. Juli [1748] ... Es war in Rom, wie auch anderswo, um 14.30 Uhr eine Sonnenfinsternis zu sehen. Sie dauerte bis nach 17 Uhr. Ich sah sie im Collegium Romanum. Dort wurde ein Abbild der Sonne durch ein Rohr auf liniertes Papier projiziert. So beobachtete ich die Sonnenflecken, den Eintritt des Mondes vor die Sonne sowie seinen Austritt. Etwa drei Teile der Sonne wurden verdunkelt. Das Tageslicht wurde nur ein wenig verdunkelt, indem die Sonnenstrahlen schwächer wurden; dennoch war es leicht zu bemerken. Am selben Tag besuchte ich das Hochamt in der Kirche von S. Giacomo degli Spagnoli in Piazza Navona, nicht weit von [der Universität] La Sapienza entfernt. Die Musik war sehr elegant, insbesondere ein Crucifixus etiam. Während ein Diakon die Kleriker beweihräucherte, legten der erste und die anderen auf der Seite ihre Hand an die Brust. Nach der Rückkehr zum Collegio Romano bemerkte ich das Abklingen der Sonnenfinsternis. Am Abend, in einer Kirche auf dem Monte Cavallo, wo die hl. Hanna verehrt wird, spielte ein einzelner Musiker, der wunderbar auf dem Psalterium musizierte. Vor dem der hl. Hanna gewidmeten Altar sitzend, bot er dem anwesenden Publikum lange sanfte Musik dar. Pater Antonin ging zu Pater Michele a Tugio aus Capua. Ich ging zur Kirche von S. Giacomo degli Spagnoli, wo die Vesper mit feierlicher Musik bis um die erste Nachtstunde (d.h. bis 9 Uhr nach deutscher Zeitrechnung) gesungen wurde. Ich war starr vor Staunen, meine Haare standen mir zu Berge, meine Stimme erstarb in der Kehle, als ich hier einen fantastischen Violinistes hörte, namens Herr Pasqualino, Schüler des berühmten, aus Padua stammenden Tartini. Er spielte ein solo mit so viel Kunstfertigkeit und Lieblichkeit, dass es über menschliche Fähigkeiten hinauszugehen schien. Obwohl wegen der großen Zahl der Gläubigen viel Unruhe in der Kirche herrschte, entstand sogleich eine tiefe Stille, als Pasqualino zu spielen begann. Nach seinem solo verließen die Leute die Kirche.
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Die 25. Julij. Feria 5. in festivitatibus S. Jacobi Apostoli Fuit Romae, sicut et alibi observata visibilis Ecclypsis solaris, circa horam 14, et mediam; duravit usque post horam 17.mam. eandem ego observavi in Collegio romano, ubi per tubum species solis fuit traiecta in chartam delineatam; in qua observavi maculas solis, ingressum lunae in solem, et egressum; obscuratae fierunt in circa tres partes solis; lux tamen diei non fuit nisi aliquantulum obscurata, ut radij solares fuerint minus clari, quod tamen facile licuit advertere. eadem mane interfui summo officio in S. Giacomo dei Spagnoli in piazza Navona, non procul à Sapienza elegans ibidem Musica; praesertim Crucifixus etiam. Dum Diaconus Clericos incensabat, primus et alij ex illo latere manum pectori applicabant. redens post hac ad collegium Romanum notavi Diminutionem Ecclypsis. Vespere in monte Cavallo in quadam Ecclesia, ubi S. Anna colebatur, Musicus unicus, Psalterium mire sonans, prope aram S. Annae sedens, praesenti populo Diu suavem Musicam exhibebat. R. B. Antoninus invisit D. Patrem Michaelem de Tugio Capue. Ego invisi Ecclesiam S. Jacobi dei Spagnoli, ubi vesperae solemni Musica usque ad horam 1. noctis circiter, h.e. horam 9.nam germanice decantabantur. Obstupui steteruntque comae, et vox faucibus haesit, dum ibidem stupendum plane audivi Violinistam, signore Pasqualinum nomine, Discipulum D. Tartini Musici Paduani famosissimi produxit enim Violino solo tanta arte, suavitate mixta, ut sane humanam industriam superare videretur; et licet antea non exiguus in Ecclesia tumultus fuisset ob multitudinem populi, Chelizante tamen Pasqualino silentium factum est magnum; absoluto solo, turmatim populus ex Ecclesia recessit. Pater Iso hörte den berühmten Violinisten schon am 16. Juli in der Kirche von S. Maria in Campitelli. Dies sind bisher unbekannte Informationen über die Biographie des Pasquale Bini. Spuren von ihm lassen sich in den ersten Jahren nach dem Tod seines Mäzens, des Kardinals Troiano Acquaviva d’Aragona, im März 1747, nicht finden. Man nahm an, er sei nach Pesaro, in seine Heimatstadt, zurückgekehrt, bevor er im Jahr 1754 in Stuttgart in den Dienst des Herzogs von Württemberg trat. Dank den genauen Nachweisen von Pater Iso Walser kann man nun feststellen, dass der Violinist im Sommer 1748 noch in Rom tätig war.
41 Pietro Longhi, ‹Concerto familiare› (1741) (Milano, Accademia di Belle Arti di Brera).
gedruckte lateinische Übersetzung der Bibliotheca des [Vincent] Houndry. Um 20 Uhr ging ich schnell zu Herrn Angelini um Geige zu lernen. Die 19. Junij feria 4. de octava [Corpus Domini] fui in Bibliotheca Casanatensi, vidi memoir pour histoir de sciens et tomulos plurimos. Legi P. Orsi historiam Ecclesiasticam. accessi Bottegam librorum à Pasquin, volui comparare opera P. De Chales, sed quia nimium petijt scilicet. ab initio 8. scuta, deinde 7. et medium, denique 3. Zighinos, voluimus dare 2. Zighinos, sed non potuimus convenire. vidi ibidem Bibliothecam P. Hondry in latinum translatam, Venetijs impressam. hodie circa 20 hore prima vive accessi hg. Angelini per imparar il violino.
Musikalische Ausbildungserfahrungen Das Interesse von Pater Iso Walser für die Aufführungen des Virtuosen Pasqualino Bini ist kein Zufall. Der Benediktiner war ein Musikliebhaber und spielte Geige. In Rom vertiefte er das Studium dieses Instruments bei Bernardino Angelini, der mehrere Instrumente spielte und als Geiger in der Compagnia des Organisten und camerlengo Sebastian Haym und als Posaunist bei den Musici di Campidoglio tätig war (Rostirolla, S. 233). Pater Iso vermerkte minutiös die Unterrichtsstunden in seinem Tagebuch. In der Regel schlossen sie den Studientag des Benediktiners, den dieser in einer der vielen Bibliotheken von Rom verbrachte, ab (S. 103). 19. Juni ... Ich war in der Biblioteca Casanatense. Ich sah die Mémoires pour servir à l’histoire des sciences et des arts und weitere Bände ein. Ich las die Historia ecclesiastica des Pater [Giuseppe Agostino] Orsi. Dann besuchte ich den Buchladen beim Pasquin. Ich wollte die Werke von [Claude-François Milliet] de Chales kaufen. Da er zu viel verlangte, am Anfang 8 scudi, dann 7 einhalb, am Schluss 3 Zecchini, und wir nur 2 Zecchini bezahlen wollten, kamen wir zu keiner Einigung. Ich sah dort die in Venedig
Für Pater Iso stellt der Unterricht von Angelini einen wichtigen Gesichtspunkt dar, um das musikalische Panorama, das ihn umgab, zu verstehen. Die Begeisterung des jungen Benediktiners für die musica italica wurde aber nicht von allen geteilt, wie seine Diskussion mit dem Jesuiten Ignazio Belcredi zeigt (S. 128 – 129): Der Jesuit R. P. Belcredi, unser Patron und Administrator, besuchte uns heute. Als ich von Herrn Bernardino Angelini, meinem Geigenlehrer, redete und auf die italienische Musik zu sprechen kam, donnerte er sofort gegen sie, die so skandalös geworden sei und sich eher für die Theater als für die Kirche, das Haus Gottes, eigne. Die Folge zeige sich in der mangelnden Devotion der Gläubigen. Fast alle stehen in der Kirche mit dem Rücken zum Altar und schauen zu den Musikern, von der Musik gebannt. Dennoch fand er lobende Worte für den Musiker Giuseppe Tartini aus Padua (wo dieser auch lebt), einen sehr berühmten Virtuosen auf der Violine. Invisit nos R. P. Belcredi Jesuita singularis noster Patronus, et provisor. Cum accessissem D. Bernardinum Angelini meum in Violino Magistrum, et sermo incidisset de Musica Italica, ardenter contra eam detonuit, tanquam scandalosam, et quae potius in theatris quam in Domo Dei, in Ecclesia produci posset; videri eius fructum, scilicet praesentium exiguam Devotionem. Dum pene omnes, obverso altari tergo, versus musicos sese firmiter sistunt, animis musicae intentis.
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Laudavit vero eximie D. Josephum Tartini Musicum Paduanum, ubi defacto commoratur, velut praecipuum et nominatissimum his temporibus Violinistam. In der Debatte über den angeblichen Niedergang der Musik in der Liturgie lässt sich der Bezug zu einigen sehr aktuellen Themen erkennen, die im Mittelpunkt der nur einige Monate später von Papst Benedikt XIV. veröffentlichten Enzyklika Annus qui hunc standen. Die Veröffentlichung dieses Erlasses (19. Februar 1749) hat Pater Iso Walser in seinem Tagebuch erwähnt (S. 414): [6. März 1749] In diesen Tagen veröffentlichte der Papst durch den Stadtvikar einen Erlass, mit dem es verboten wurde, in den Kirchen Pauken, Jagdhörner, Trompeten, Flöten, Oboen, Mandolinen sowie modernen Zithern für die Musik einzusetzen. Papa his diebus per Vicarium Urbis Decretum edidit, in quo prohibet in Musica in Ecclesijs adhiberi Tympana, Cornua venatoria, Trombas, flauttas, Oboe, Mandolinas, Psalteria moderna. Auch Pater Coelestin Gugger nutzte seinen Aufenthalt in Rom, um ein Instrument spielen zu lernen: nicht Geige, sondern Mandola. Es ist eine Wahl, die für einen Benediktiner aus der Schweiz ziemlich exotisch erscheinen könnte. Um 1730 war jedoch die Mandola ein sehr beliebtes Instrument in den römischen Salons (Abb. 41, S. 165). Es ist interessant, dass Pater Coelestin die Kosten der Unterrichtsstunden oder für den Kauf von Partituren oder Ersatzsaiten detailliert in seinem Register der Reisespesen vermerkte. Von der musikalischen Erfahrung ist aber im Tagebuch nichts zu lesen: symptomatisch für die Tatsache, dass diese Tätigkeit seiner privaten Sphäre angehörte – sie sollte deshalb nicht zwischen den offiziellen Ereignissen der Reise registriert werden.
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Klangliche Erfahrungen unterwegs Unterwegs ist es möglich, viele unerwartete Begegnungen zu machen – auch klanglicher Natur. Im Oktober 1730 verließen Pater Coelestin und Pater Bernhard Rom und fuhren nach Norden entlang der tyrrhenischen Küste. Am 11. Oktober übernachteten sie in Livorno. Hier wurde der Abend von einem Musikanten belebt. Für die vollkommene Music ließ ihm Pater Coelestin drei Münzen als Trinkgeld. Auch in diesem Fall findet sich eine Spur der Episode nur als Randnotiz im Rechnungsregister von Pater Coelestin (um die Summe des Trinkgelds festzuhalten). Als Pater Iso Walser am 11. Mai 1748 in der Nähe von Trient mehrere auf der cithara gespielte italienische Lieder hörte, vermerkte er in seinem Tagebuch (S. 24): ‹Hier hörte ich zum ersten Mal das in Italien berühmte Musikinstrument, welches cithara genannt wird. Mindestens zwölf italienische Lieder waren hier zu hören› (Hic primò audivi famosum illud in Italia instrumentum musicum, quod cittarrham vocant, penè usque ad 12. cantiones italicae hic audiendae erant). Noch außergewöhnlicher war der musikalische Anlass, an dem Pater Iso drei Tage zuvor im Jesuitenkloster in Innsbruck teilgenommen hatte. Die Gelegenheit verdient eine nähere Betrachtung. Die musikalische Aufführung bot den Rahmen für einen Tag, an dem der junge Benediktiner bei wichtigen physikalischen Experimenten zur Elektrizität und zum Vakuum (De electricitate, et Campana pneumatica) zugegen war (S. 18): Während dem Abendessen kamen acht Laienmusiker vor unserer Unterkunft an, die mit Blas- und Saiteninstrumenten schöne Musik aufführten; unter ihnen waren zwei Schweizer aus unserer Region, nämlich Ignaz Hug aus Wil und Rupert Schildknecht aus Gossau. Dum noctu caenam sumeremus, subito adfuerunt extra cubiculum nostrum studiosi musici octo numero, qui tubis et fidibus egregiam musicam produxerunt; erant enim inter eos virtuosi, quos vocant; contigit hoc iussu et voluntate duorum studiosorum Helvetorum è territorio nostro, scilicet Ignatii Hug Wylensis, et Ruperti Schidlknecht Gossoviensis.
Perspektiven Die Reisetagebücher sind sehr interessante Quellen, die aber sorgfältig analysiert werden müssen. Sie sind Dokumente auf halbem Weg zwischen einer persönlichen Erinnerung, einem öffentlichen Beitrag und einem literarischem Produkt. In dieser hybriden Gestalt liegt ein großer Teil ihres Charmes. Es handelt sich um Berichte, die nicht den Anspruch erheben, umfassend zu sein, die im Gegenteil den Gesichtspunkt des Beobachters vorziehen. In dem Moment, in dem der Verfasser aufschreibt, was er sah, hörte oder probierte, verrät er seine Persönlichkeit, seine Einstellungen, seine Interessen. Das Bild, das entsteht, ist das Ergebnis mehrerer freiwilliger oder unfreiwilliger Auslesen. Dadurch entsteht ein Produkt, in dem die dokumentarische Dimension mit der literarischen Natur des Objekts untrennbar verbunden ist. Um diese Art von Quellen zu behandeln, ist es daher notwendig, die Persönlichkeit des Verfassers gründlich zu untersuchen: ein nicht immer einfaches Unterfangen, das aber in einigen Fällen ermöglicht, über eine einfache Identifizierung der beschriebenen Ereignisse hinauszugehen. Unter den vier Verfassern der Reisetagebücher, die hier betrachtet wurden, befindet sich eine prominente Persönlichkeit in
der Geschichte des Klosters St. Gallen. Pater Coelestin Gugger von Staudach war 28 Jahre alt, als er im Oktober 1729 nach Rom geschickt wurde. Nach seiner Rückkehr nach St. Gallen im November 1730 wurde er zuerst zum Professor für Theologie ernannt, dann wurde er apostolischer Notar, später Professor für Kirchenrecht. Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte er am 23. März 1740, als er zum Fürstabt des Klosters St. Gallen gewählt wurde (Henggeler 1929, S. 369 – 371). Unter seiner Herrschaft verwandelte sich das Kloster in ein politisches und kulturelles Zentrum. Seine Interessen berücksichtigten auch die Musik. Schweizer Komponisten wie Franz Joseph Leonti Meyer von Schauensee (1720 – 1789) wurden von ihm als Mäzen angezogen. In jenen Jahren wurden auch Musikdrucke im Kloster produziert. Noch zu untersuchen ist, welche Rolle Erfahrungen wie die Grand Tour nach Italien bei der Ausformung der von Pater Coelestin entwickelten Vision gehabt haben könnten; diese verwandelte das Kloster St. Gallen (auch vom architektonischen Gesichtspunkt her) in einen modernen europäischen Hof. Die Grand Tour der Mönche kann in diesem Sinne interessante Perspektiven bieten – unter der Voraussetzung, diese Erfahrungen als das zu betrachten, was sie sind: außergewöhnliche Zeugnisse der Reisekultur der Neuzeit.
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Report "Musikalische Erlebnisse von St. Galler Benediktinern auf ihrer Grand Tour durch Italien (1699–1749). – In: Peter Erhart, Jakob Kuratli (eds), Vedi Napoli e poi muori. Grand Tour der Mönche. St. Gallen: Verlag am Klosterhof, 2014, pp. 132–146 "