Minoritär werden. Zum Konzept des Werdens bei Deleuze und Guattari (2006)

May 26, 2017 | Author: A. Stoltenhoff | Category: Gilles Deleuze and Felix Guattari, Rhizomes, Subjektivierung, Subjektbildung
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Minoritär werden Zum Konzept des Werdens bei Deleuze und Guattari basierend auf einer Klausur im Fach Soziologie bei Prof. Dr. Marianne Pieper, Universität Hamburg, 2006

! #Subjekt #Bildung #Werden #Philosophie #Rhizom #Mannigfaltigkeit ! Ann-Kathrin Stoltenhoff

Einführend fasse ich wesentliche Aussagen von Gilles Deleuze und Félix Guattari (im Folgenden D & G genannt) zusammen, die die beiden Theoretiker zu ihrem Verständnis des Werdens vorgenommen haben. Danach nehme ich eine Verortung ihres gemeinsamen Werks seit den 70er Jahren vor, um dieses – im Rückgriff auf Deleuzes frühe Texte zur Philosophiegeschichte (den Monografien zu Bergson, Nietzsche, Hume und Spinoza) – in einen erweiterten Kontext zu stellen. Schließlich wird explizit auf die Thematik, bzw. Konzeption des Werdens eingegangen, wobei im Laufe des Texts auch deutlich werden soll, dass sich die zentralen Themen von D & G in allen Texten spätestens seit ihren gemeinsam produzierten Arbeiten in differenzierter Form wiederholen. Deshalb werde ich bei der Ausarbeitung in den meisten Fällen auf die Angabe des Textes verzichten und wie von Deleuze selbst gefordert sämtliche Arbeiten als ein vielschichtiges Werk zusammenfassen und wiedergeben – möglicherweise verkürze ich damit die Mannigfaltigkeit der darin dargelegten Gedanken. Der Versuch diese im Sinne von D & G aufrechtzuerhalten würde allerdings kaum der Aufgabe gerecht werden, an dieser Stelle eine nachvollziehbare Darstellung der Philosophie von D & G zu erreichen, sondern das Gegenteil. Ein Schreiben, das dem Werk der Autoren gerecht werden will, müsste zwangsläufig auf einer weniger akademischen Ebene angesiedelt sein. Ich hoffe trotzdem, dass mein Schreiben als Werden erkennbar bleibt.

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Zentrale Begriffe der Philosophie von D & G sind u. a. Werden, Mannigfaltigkeit, Ereignis, Rhizom, (Wunsch-) Maschine und Differenz, um einige der wichtigsten zu nennen. Nicht nur tauchen diese Begriffe in (beinahe) allen Arbeiten immer wieder auf, sie hängen auch alle miteinander zusammen; Die Mannigfaltigkeit lässt sich nicht ohne die Idee des Werdens verstehen – oder genauer: In den oben aufgezählten Begriffen spiegeln sich immer wieder ähnliche Gedanken wieder, wird immer wieder versucht genauere, differenziertere Terme für bestimmte Vorgänge zu finden. Diese Tendenz der Wiederholung ist programmatisch für das Werk der beiden Au-

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toren. Daher wird auch in diese Arbeit etwas davon einfließen. Das heißt, dass nicht nur Differenz und Wiederholung, eines der deleuzeschen Hauptwerke, inhaltlich einfließt, sondern die Struktur, die damit verbunden ist, auf den hier entstehenden Text, sowie auf die zu untersuchenden Texte angewendet werden wird. Zur Einführung ins Thema sei erwähnt, dass der Versuch einer Zusammenfassung der Thesen von D & G einige Schwierigkeiten bereitet. Ich stelle das explizit heraus, um unter anderem der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Autoren durch eine neue Sprache, durch neue Begriffe, die Herausforderung angenommen haben, ein für die

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Moderne geltendes System von Welt, genauer vom Sein zu entwickeln. Das von Gilles Deleuze und Félix Guattaris entwickelte Begriffssystem bezieht sich auf ein komplexes Gefüge, das nach und nach bei dem Versuch entstanden ist, die Philosophiegeschichte neu zu schreiben, neue Begriffe zu bilden. Dieser Akt der Begriffsbildung oder -erfindung wird von Deleuze dann auch als die zentrale Aufgabe der Philosophie definiert. Während sich Deleuze seit seinem Studium mit Philosophie beschäftigt – in seiner Abschlussarbeit behandelt er Leben und Schriften des schottischen Philosophen und empirischen Erkenntnistheoretikers David Hume – kommt Guattari aus einem ganz anderen und im Gegensatz zu Deleuze sehr praktischen Bereich, dem der Arbeit in der Psychiatrie, genauer der psychoanalytischen Arbeit mit Patienten nach den im Frankreich der 60er Jahre sehr populären Lehren von Jacques Lacan. Lacan unternahm in seinen Vorlesungen seit den 40er Jahren den Versuch einer Linguistisch inspirierten Relektüre der Freudschen Schriften. Sowohl diese, als auch die Lacansche Psychoanalyse und einer bestimmten Konzeption des Unbewussten und des Wunsches gilt die Kritik von D & G. In ihrer gemeinsamen Schrift Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie aus dem Jahr 1972 wenden sie sich gegen die Familialisierung des Wunsches durch die Psychoanalyse. Das viel rezipierte Werk findet in den post-68er-Jahren großen Anklang nicht nur unter Psychoanalytikern, sondern auch systemkritischen Denkern, wie Michel Foucault. Dieser hat mit seinem viel zitierten Ausspruch: „Entweder das 21. Jahrhundert wird deleuzianisch sein – oder es wird nicht sein“ Deleuze auch zu der nötigen Reputation verholfen, so dass vor

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allem in Frankreich und England seit langem seine Schriften zum Kanon der Philosophie gehören und Deleuze als einer ihrer Erneuerer gilt. Nicht so in Deutschland. Hierzulande haben die Werke von D & G erst in den letzten Jahren für Furore gesorgt, gehören aber weiterhin zu den weniger beachteten, insbesondere im so genannten wissenschaftlich-universitären Milieu 1. Nachdem die Werke von Deleuze seit einigen Jahren vollständig in deutscher Übersetzung vorliegen, bleiben die Texte seines Kollegen Guattari weiterhin relativ unbekannt. Insofern könnte man fast sagen, dass das in Tausend Plateaus geforderte Unwahrnehmbar-Werden von Guattari sehr viel besser umgesetzt wird, als von Deleuze. Warum die Rezeption in Deutschland auch heute noch eher abwegige Diskurse erweitert und vor allem unter jüngeren Wissenschaftlern und Kulturschaffenden im Bereich Neue Medien und/ oder experimentelle Musik oft verkürzt genutzt wird (eine Kritik, die Michaela Ott in ihrer Einführung zu Deleuze recht treffend formuliert), ist vielfach begründet worden, mit der wenig traditionellen Schreibweise der Autoren. Es ist leider so, dass man an deutschen Universitäten immer noch wenig offen für eine Philosophie ist, die nicht nur die Grenzen ihrer Disziplin überschreitet (indem sie sich Kunst, Film und Literatur sehr bewusst zuwendet), sondern auch noch stilistisch die Frechheit – oder den Mut – besitzt eher nach Poesie, als nach Wissenschaft zu klingen. Darüber hinaus bereitet die Form der Bearbeitung, die D & G sehr grundlegenden und sehr komplexen Fragen der Philosophie angedeihen lassen, dem an Kant oder Hegel geschulten Geist schlicht Verständnisprobleme. Wer sich jahre- oder jahrzehntelang an den verhältnismässig eindeutigen Schriften der

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anerkannten Philosophen gebildet hat, kann nicht einfach auf die vieldeutigen Textgefüge von D & G umsteigen. Nicht, ohne Vieles von dem, was man sich angeeignet hat, aufgeben zu müssen. Das habe ich am eigenen Leib und aus Aussagen von Kommilitonen erfahren. Die massive Verunsicherung, die mit der Lektüre beispielsweise der „Tausend Plateaus“ von 1980 (in deutsch 1992) einhergeht, ist zunächst abschreckend, man begibt sich als Student aufs Glatteis und es braucht Mut, in Rhizomen zu denken. Der Prozess des Verstehens, der ganz anders strukturiert ist, als bei klassischen Texten, entspricht insofern dem hier noch näher zu bestimmenden Begriff des Werdens, als es bei der Lektüre auch um eine Auflösung bestimmter einfacher, identischer Vorstellungen von Welt und vom Denken und Empfinden (!) von Welt geht. Nicht nur der Inhalt einer Kategorie oder deren Name ändert sich bei D & G, die Kategorien selbst lösen sich auf und werden zu Plateaus mit Linien und Fluchtlinien. Fixe Gedankengebäude existieren nicht, die traditionelle Metapher der Baumstruktur ersetzten D & G durch die (ebenfalls aus der Biologie stammende) RhizomStruktur. Ein Rhizom ist ein Wurzelgeflecht, das keinen Anfangs- und keinen Endpunkt hat. Es gibt die Pflanze, die sich durch rhizomatische Stränge in alle Richtungen fortpflanzt, hierbei Knotenpunkte bildet, die aber alle auf gleicher Ebene liegen. Der hierarchischen Struktur, die die Metapher vom Baum, seinen Ästen und Blättern und einer einzigen Wurzel impliziert, wird ein „demokratisches“ oder eher anarchisches Modell vom Rhizom entgegengesetzt, wo es keinen Anfang und kein Ende und kein fixes Zentrum gibt, aber die Möglichkeit der mannigfaltigen Verknüpfungen zwisch-

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en den Ebenen, den Linien, den Strängen. Diese können auch unterbrochen werden (asignifikante Brüche). Dann schießen triebartig Fluchtlinien hervor, es entstehen neue Linien, neue Verknüpfungen, keine gewichtiger als die andere (auch diese Bewegung ist ein Werden). Besonders in Tausend Plateaus, dem zweiten Band von Kapitalismus und Schizophrenie haben die beiden Autoren den Begriff des Werdens ausführlich beschrieben. Da geht es ums Tier-Werden, Frau-Werden (beides ein Minoritär-Werden) und letztlich, quasi als Ziel des Werdens ums Unwahrnehmbar-Werden. Das Ziel darf man sich aber nicht als Punkt, schon gar nicht als Endpunkt vorstellen sondern eher als Zustand, welcher durch eine besondere Form von Schnelligkeit und Langsamkeit der kleinsten Teilchen, von Molekülen bestimmt wird. D & G bedienen sich hier einer Sprache, die nicht von ungefähr aus der Physik stammt.

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Bei dem Versuch eine phänomenologische Erkenntnistheorie zu entwickeln, spielt die Materie-Vorstellung der griechischen Atomisten eine grundlegende Rolle. Weit vor der experimentell erwiesenen Existenz der Atome im 20. Jahrhundert, entwickelten griechische Philosophen im 5. Jahrhundert v. Christus die Theorie, dass Materie nicht stetig den Raum erfülle, sondern aus kleinen, beweglichen, nicht weiter teilbaren Teilchen, eben Atomen aufgebaut sei. Korrekt wäre der Begriff Atom also auf die Neutronen, Protonen und Elektronen anzuwenden, die ein Atom ausmachen und nicht auf das Atom selbst.

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Dieser kleine Exkurs ist insofern wichtig, als er zentrale Vorstellungen von D & G enthält. Keinesfalls geht es hier um die Frage, ob eine so physikalisch orientierte

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Philosophie nicht an den Problemen des alltäglichen Lebens vorbeigehe. Deleuze und Guattari geht es zunächst darum, eine grundsätzlich andere Vorstellung von Welt, Denken, Begriffen und deren Funktionieren zu stärken, die in der Philosophie nur eine untergeordnete Rolle spielt. Es gehe nicht um das Warum, sondern das Wie also wie etwas funktioniere, beispielsweise ein Körper. Dass diese Erklärungsversuche oder eher Beobachtungen in Anlehnung an Erkenntnisse aus dem Bereich der Physik geschieht, hat in der Philosophie eine lange Tradition. Die naturwissenschaftliche Seite der deleuze-guattarischen Schriften wird übrigens kaum beachtet und meiner Ansicht nach unterschätzt.

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Um zu verdeutlichen, worum es Deleze und Guattari geht: In dem Bemühen einen umgekehrten Platonismus zu implementieren wenden sich die Autoren rigoros gegen die Vorstellung, dass es eine fixe Ideenwelt auf der einen und eine vergängliche aber bin Bewegung (im Werden) befindliche Sinnenwelt auf der anderen Seite gäbe. Diese Vorstellung ist den Autoren ein Graus und sie hören nicht auf in jeder ihrer Schriften dagegen zu wettern, indem sie auf allen Ebenen aufzeigen, welche Missstände daraus resultieren. D & G verstehen ihre Arbeit dabei als genuin politisch, sei doch im Grunde alles politisch und die gemeinsame Arbeit auch den Erfahrungen des Mai 1968 in Paris geschuldet. Politisch im ganz wörtlichen Sinne ist das subversive Potential einer Welt, die das Subjekt, das Identische oder Eine nicht als primären Ursprung sondern als sekundäre Struktur versteht. Ganz im Sinne Nietzsches ist das Sein = das Werden, also die immer währende sich wiederholende Differenz. Einem Fluss von Mannig-

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faltigkeiten kann nur schwer ein bestimmter Sinn aufgezwungen werden. Das immanent Politische liegt in dem Anti-Subjekt-Konzept der Autoren, mit dem sie dem autonomen Subjekt der Aufklärung die Differenz und Vielheit entgegensetzen, die sich im Unwahrnehmbar-Werden begrifflich fassen lässt. Wie Gabriel Kuhn sehr eingängig in seinem Buch Tier-Werden, Frau-Werden, Schwarz-Werden von 2005 ausführt, geht es den Autoren bei der Kritik am traditionellen Subjekt-Konzept darum zu verdeutlichen, wie dieses untrennbar mit den Herrschaftsverhältnissen verbunden ist. Anhand des Lacanschen Phallologozentrismus zeigt Kuhn, dass das autonome Subjekt um einen imaginären Signifikanten kreist, der eine hierarchische Struktur rechtfertigt, in der das, der, die Andere entweder zum Spiegel des Ich oder zum Objekt verkommt. Ein solches Denken in Dualismen findet sich sogar auch noch in Adorno und Horkheimers Dialektik der Aufklärung. Zwar kritisieren auch Adorno/Horkheimer das westlich-männliche, zweckgerichtete und identische Selbst. Sie weisen darauf hin, dass sich die Menschheit Furchtbares hat antun müssen, bis es geschaffen war, ein Vorgang, der in jeder Kindheit wiederholt werden müsse. Gegen die Anstrengung dies Ich Zusammenzuhalten setzten sie nur dessen Auflösung, welche sowohl mit Angst, als auch mit Sehnsucht verbunden sei. Aber es bleibt bei diesem Bild dualer Gegensätze: Auflösung (sogar Tod) auf der einen Seite, das zugerichtete Subjekt auf der anderen. Von Mannigfaltigkeit, die in einem Elan vital sich immer wieder erneuert und deren Sein ein grenzenloses Werden ist, keine Rede. Die Vorstellung, dass es ein Leben als Mensch geben und auf die autoritäre Struktur eines gepanzerten

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Ich verzichtet werden kann, bleibt bei Adorno/Horkheimer nur mehr implizit. Bei Deleuze & Guattari dagegen wird sie ganz real und ist nicht etwas esoterisches Wunschdenken. Zweifellos entwerfen auch D & G eine Utopie, obwohl sich Deleuze dagegen verwahrt, weil eine Utopie letztlich aus der Realität, den gegebenen Zuständen abgeleitet werde. D & G versuchen ja gerade ein Bild zu entwerfen, das sich gänzlich von den Grenzen und Voraussetzungen der Realität freigemacht hat 2: eine vollkommen unideologische Utopie einer Welt, in der es einfach keine absoluten Wahrheiten gibt, die allgemeine und ewige Gültigkeit in Anspruch nehmen würden. Dies für die Philosophie recht ungewohnte Denken manifestiert sich u. a. in den unterschiedlichen Werdens-Möglichkeiten. Es geht eben nicht um die Suche nach den letzten Gründen, sondern um die Möglichkeiten zu Sein und das ist das Werden. Von Hume, Bergson, Spinoza und Nietzsche hat Deleuze zentrale Begriffe und vor allem Vorstellungen übernommen, die in der Arbeit mit Guattari dann auch auf sprachlicher Ebene zur Entfaltung kommen. In den fließenden Strömen und Fluten, die als Metaphern des Werden fungieren, findet sich der Elan vital von Bergson ebenso, wie Nietzsches dionysisches Prinzip. Von Spinoza übernimmt Deleuze die Konzeption des Seins als Werden, wobei das Werden als Essenz der Dinge zu verstehen ist. Die Existenz aktualisiert sich sozusagen im Werden, was wiederum die Essenz des Dings ist. Es gibt keine Trennung von Essenz und Existenz des Seins: es ist Werden.

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Ausgehend von dieser kurzen, vereinfachenden Zusammenfassung wird der Begriff des Werdens nun fokussiert werden:

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Deleuze & Guattari unternehmen zu diesem Zweck Ausflüge in die amerikanische Literatur. Sie verweisen u. a. auf Herman Melvilles Erzählung Moby Dick und fassen Kapitän Ahabs tödlich endenden Fangversuch als ein Tier-Werden auf. Der monströse Wal dient dabei in seiner Form eines besonderen Individuums als offener, zerfranster Rand einer Meute und öffnet so den Weg zum Tier-Werden - er ist aber nicht als Identifikationsobjekt zu verstehen. Werden hat nichts mit Identifikation oder Nachahmung (Kopie oder Repräsentation) zu tun, betonen die Autoren immer wieder. Es sei vielmehr eine Art Hingabe an diese andere Form der Bewegung, eine Veränderung auf molekularer Ebene, die viel eher einer Ansteckung, als einer genealogischen Abfolge gleicht (deshalb kann Mensch Tier werden).

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An anderer Stelle erörtern D & G den Werdens-Prozess (das Werden ist Prozess) an hand der Geschlechterproblematik: Nicht nur Männer müssen das Frau-Werden durchlaufen, sondern auch Frauen, von denen D&G annehmen dass auch sie in den meisten Fällen dem Diktat des autonomen Subjekts zum Opfer gefallen sind und erst wieder zum Werden kommen müssen, indem sie nach und nach minoritär, klein werden. Diese Bewegung ist an sich schon subversiv, weil sie sich gegen die Vorstellung absoluter, ewiger Formen wendet. Wird das Subjekt als veränderlich und ursprünglich mannigfaltig gedacht, dann hat es keinen Sinn ihm einen fixen Status verleihen zu wollen, noch können sich unter solchen Wesen der Vielfalt, die im endlosen Werden sind, bestimmte Herrschaftsformen dauerhaft manifestieren (eine Tatsache, die vom Kapitalismus paradoxerweise unterstützt wird, in dem un-

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endlichen Kapitalstrom kann keine fixe Gesellschaftsform etabliert werden). Auch einen Sinn festzulegen, eine bestimmte Bedeutung von Worten festzuschreiben misslingt zwangsläufig. Hier scheint die politische Dimension der Seinskonzeption als Werdende auf. Es braucht nach D&G kein autonomes Subjekt, um Veränderungen herbeizuführen, im Gegenteil steht das so gedachte Subjet der Veränderung, dem Neuen im Weg. Klaus Theweleit hat als einer der Ersten sehr früh den AntiÖdipus, erstes gemeinsames Werk von D & G in Deutschland in sein monumentales Werk Männerfantasien aufgenommen. In Band I, mit dem Untertitel Frauen, Fluten, Körper, Geschichte sucht er in den Biografien von NS-Soldaten nach einer Erklärung für den zerstörerischen Charakter des soldatischen Mannes. Die von ihm als Grundstörung diagnostizierte Ursuche erweitert er um eine Kritik der Freudschen Psychoanalyse. Insbesondere die Konzeption des Unbewussten als Trias von Ich/ Es/Über-Ich würde in Bezug auf den soldatischen Mann nicht greifen, weshalb die Psychoanalyse derartige Störungen oft unter den Tisch ihrer Forschungen fallen ließ. Theweleit weist auf die Arbeit von Deleuze und Guattari hin und auf deren explizite Kritik am Ödipus-Drama als Struktur des Unbewussten. Er übernimmt das Modell der Ströme, die von einem gepanzerten Ich eingegrenzt werden und entwickelt die These, dass die Angst des soldatischen Mannes (man könnte dies auch als zugespitzte Version des männlichen, weißen Subjekts verwenden) nicht etwa der Kastration gilt, sondern der fliessend-maschinellen Produktionskraft des Unbewussten, den Strömen des Wunsches, der Mannigfaltigkeit, dem Werden also. Diese Angst vor der identitätsauflösenden Lebenskraft

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bestimmt aber nicht nur den soldatischen Mann, wie er in Theweleits Untersuchung auftaucht, sondern jedes Subjekt, das sich an die starre Vorstellung von Identität bindet, wie sie die Psychoanalyse impliziert. Hier gilt das besondere Augenmerk von Deleuze & Guattari den Thesen von Lacan.

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Zunächst setzten D & G gegen die lacansche Teilung der Trias Symbolisch, Imaginär und Real die Behauptung es gäbe nur das Reale, das, was passiert, ohne dass man es voraussehen, antizipieren könnte. Ebenso viel Kritik gilt dem lacanschen Subjekt, was sich durch die fiktive Identifikation mit seinem als ganzheitlich imaginierten Spiegelbild konstituiert. Die Kritik ist hier allerdings etwas wenig differenziert, denn auch Lacan hat betont, dass die Identität nicht ursprünglich sei, sondern eben erst gebildet werden müsse; Ein Prozess, der nie abgeschlossen werden kann. Lacan weiss um die ursprüngliche Vielfalt sehr genau, nur erscheint sie bei ihm als bedrohliche Zerstückelung. Was Deleuze & Guattari also zu so harter Kritik veranlasst ist nicht Lacans Verständnis von Subjektbildung, sondern die Tatsache, dass Lacan die Bildung des Subjekts als Herauslösung aus der undifferenzierten Vielheit als zentrale Aufgabe versteht, die sich auch in der relativ fixen Grenze zwischen den drei Registern manifestieren soll. Dies würde aber, so D & G, eben die Herrschaftsverhältnisse stützten, die jeden zum Knecht machen und die Entstehung von Neuem radikal unterbinden würde. Sie setzten mit ihrem Werden-Konzept auf das Gegenteil der lacanschen Subjektbildung durch Konstanzfiktion (eine sehr differenzierte Kritik des lacanschen Subjekts findet sich bei Hanna Gekle in Bildung im Spiegel; Sie setzt dem einsam-imaginär

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gebildeten Subjekt der Verkennung ein Subjekt entgegen, dass sich gleichfalls libidinös bildet und den Anderen immer schon in seine Ich-Struktur mit einbindet in den Formen des Wunsches).

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Statt auf fixe Grenzen zu setzten, verstehen D & G das Subjekt als Wesen, dass zwar zeitlich begrenzte Identitäten ausbilden kann, grundsätzlich aber offen für die vielfältigen Möglichkeiten zu sein ist. An-

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schaulich gemacht wird das zum Beispiel in Deleuzes Arbeit über die künstlerischen Arbeiten von Francis Bacon. Stellt man eines seiner Portraits einem klassischen Portrait gegenüber, dann wird offensichtlich, wie sich die Konzepte von D & G auf der einen und von Lacan auf der anderen unterscheiden und wie die Kunst der Moderne ein Subjekt zeichnet, dessen wandelbarer Status stets von Zeit und Raum geprägt ist.


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