Metaxy oder Warum es keine immateriellen Medien gibt

August 4, 2017 | Author: Emmanuel Alloa | Category: Aesthetics, Medieval Philosophy, Perception, Media Studies, Media Archaeology, Art Theory, Contemporary Art, Medienwissenschaft, Media theory and Research, Art Theory, Contemporary Art, Medienwissenschaft, Media theory and Research
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METAXY ODER: WARUM ES KEINE IMMATERIELLEN MEDIEN GIBT

I. THE IMMATERIALIZATION OF ART VOM HEURISTISCHEN WERT EINER FORMEL Hegels so mehrdeutig schillerndes Wort vom „Ende der Kunst“ hat mit dem Ausklingen des vergangenen Jahrhunderts eine neue Wendung erhalten. Die von Adorno beobachtete „Verfransung“ der Künste1 und die vielfältigen Übergriffe, crossovers und Hybridisierungen im Schaffensprozess nagen beträchtlich an der Konsistenz des Werkbegriffs. Nicht nur ist die Kunst von ihren marmornen Sockeln bereits seit Langem herabgestiegen, sie fasst auch auf dem Boden einer entauratisierten Alltagskultur keinen neuen Fuß, ist die Kunst doch in einem regelrechten Wechsel ihres Aggregatzustands begriffen. Netzkunst, locative media art, Immersionsräume, whole field pieces: Die festen Grenzen des Kunstwerks sind längst aufgeweicht – kein Rahmen, der den Kunstgegenstand länger einfassen könnte. Mehr und mehr tendiert die Objektivität des Stofflichen dazu, eine Sache der Vergangenen zu sein, wenn sich die Werke verflüssigen und zerfließen. Die Gegenständlichkeit geht endgültig verloren, wenn Werke nicht länger vor dem Betrachter stehen, sondern ihn gleichsam umgeben. Diese flüssige oder gar gasförmige Kunst – um hier Yves Michauds eingängiges Bild aufzurufen2 – ist keiner autonomen Sphäre des Ästhetischen mehr vorbehalten, sondern dringt in alle Poren des Sozialen ein, sie ist omnipervasiv und verhilft der in der Vergangenheit ein wenig zu oft bemühten Losung der „Ästhetisierung der Lebenswelt“ zu neuer Prägnanz. Wie Michaud darlegt, ist gerade die Auflösung des Kunstwerks die Bedingung für den heutigen Triumph des Ästhetischen.3 Olafur Eliassons nebliges Weather Project in der Turbine Hall der Tate Modern versinnbildlicht auf emblematische Weise die generelle Verdunstung der Kunst, während Performances wie diejenigen Tino Sehgals auf eine generelle Immaterialisierung hindeuten.

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Theodor W. Adorno, „Die Kunst und die Künste“, in: Gesammelte Schriften, Bd. 10.1, Frankfurt am Main, 1967, S. 432–453. Yves Michaud, L’art à l’état gazeux. Essai sur le triomphe de l’esthétique, Paris, 2003. Yves Michaud und Luigi P. Puglisi, „Evaporating Theory. An Interview with Yves Michaud“, in: Architectural Design 79 (2009), S. 18–21.

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Schon Lyotard hatte diese Tendenz mit seiner Ausstellung „Les Immatériaux“ 1985 im Centre Pompidou einzufangen versucht. Mit dem Konzept der „Immaterialien“ entwirft Lyotard gerade keinen Gegenbegriff zum Material, sondern interessiert sich für all jene atomisierten Materialitäten, für „elektronische Wellen, für Klang und Lichtwelle, für Elementarteilchen etc.“4. Damit ist bereits angedeutet, warum Michauds Beschreibung einer gegenwärtigen Situation einerseits zwar treffend ist, in der Herleitung ihrer Ursachen andererseits aber unbefriedigend bleibt. Denn um es gleich vorwegzunehmen: Immaterialisierung sollte nicht mit Vergeistigung gleichgesetzt werden. Michaud führt die Tendenz der Gegenwartskunst, sich buchstäblich in Luft aufzulösen, auf Marcel Duchamps Air Abb. 1: Marcel Duchamp, de Paris zurück, 50 Kubikzentimeter 50 cc Air de Paris (1919), in einer Ampulle eingefangene Philadelphia Museum of Art Großstadtluft (Abb. 1). Von nun an liegt der Geist der Kunst nicht mehr in der Materie, sondern steigt aus der Flasche auf und erreicht unmittelbar das Hirn. Durch diese Immaterialisierung soll sich Kunst nicht mehr auf das Retinal-Sinnliche beschränken, sondern soll die grauen Zellen (la matière grise) und „unseren Verstehenshunger“ (notre appétit de compréhension) anregen.5 Die Verbindung von Immaterialität und Intellektualität wurde in den 60er Jahren zum Gemeinplatz, nicht zuletzt durch Lucy Lippards einflussreiches Werk zur frühen Konzeptkunst Six Years. The dematerialization of the art object from 1966 to 1972.6 In der Gruppe „Art & Language“ allgemein und bei Joseph Kosuth insbesondere findet sich die Vorstellung von Konzeptkunst als 4 5 6

Jean-François Lyotard, „Immaterialien. Konzeption“, in: ders. u. a., Immaterialität und Postmoderne, Berlin, 1985, S. 77–89. Marcel Duchamp im Gespräch mit James Johnson Sweeney (1955). Vgl. Marcel Duchamp, Duchamp du signe. Écrits, hrsg. v. Michel Sanouillet, Paris, 1975, S. 183. Lucy Lippard, Six Years. The dematerialization of the art object from 1966 to 1972, New York, 1973, S. vii: „Conceptual art, for me, means work in which the idea is paramount and the material form is secondary, lightweight, ephemeral, cheap, unpretentious and/or ,dematerialized‘.“

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eine rein geistig-analytische Aussage, die ihrer materiellen Ausführung gegenüber autonom zu sein hat. Jedes mediale Verfahren und die damit verbundenen materiellen Setzungen verfremden bereits die reine Künstlerintention und müssen damit als nichtkünstlerische Konkretisierung ausgeschaltet werden. Für Kosuth muss Kunst (mit Kants Begrifflichkeit) zur analytischen Proposition tendieren, die nichts weiter enthält als sich selbst: „Ein Kunstwerk ist insofern eine Tautologie, als es die Intention des Künstlers aufzeigt“.7 Pamela M. Lee hat argumentiert, wie nah diese concept art hier an Hegels Idee der Kunst reicht, wenn diese zeigt, wie ihre zunehmende Subjektivierung mit einer Entledigung von jeder stofflichen Kontingenz einhergeht.8 Doch diese Subjektivierung lässt sich noch anders begreifen als in der Aufwertung des Künstlers. Auch für Arthur Danto bewahrheitet sich im Fortschreiten vom abstrakten Expressionismus zur Konzeptkunst die Hegel’sche Prophezeiung von der Selbstauflösung der Kunst zugunsten der Idee. In „Das Ende der Kunst“ schreibt Danto, neuere Kunst zeichne sich dadurch aus, „dass die Gegenstände bis zum Nullpunkt reduziert werden, während die Theorie ins Unendliche wächst, so dass es am Ende praktisch nur noch Theorie gibt und die Kunst sich zu dem blendenden Glanz der reinen Gedanken über sich selbst verflüchtigt hat und gleichsam nur noch als Objekt ihres eigenen theoretischen Bewusstseins existiert“9.

Für Dantos Zuschreibungstheorie der Kunst braucht an die Stelle der materiellen Eigenschaft nicht notwendig die Künstlerintention zu treten. Wie Danto mit Georges Dickie zeigt, sind noch zahlreiche andere Institutionen der Sinnzuschreibung am Werk. Was Kunst ist oder nicht, liegt nun gemäß diesen Zuschreibungstheorien (ascriptive theories) nicht länger in den physischen Qualitäten des Gegenstandes, sondern in einem Urteil, das eine normative (subjektive, intersubjektive oder soziale) Instanz darüber fällt. Seit Duchamps Readymades kann prinzipiell jeder Gegenstand zu einem Kunstwerk werden, und seit Warhols Brillo Boxen, die von industriellen Seifenkisten „ununterscheidbar“ (indiscernible) sind, sei der Kunstcharakter nicht mehr an materielle oder phänomenale Eigenschaften gebunden, sondern an ein rein geistiges Urteil.10 Es sind die Kritiker, die die „Kunstwelt“ bilden, die einem Werk den Status des Kunstwerks zuweisen: „[S]omething is a work of art when decreed to be such and such by a loose constellation of individuals who are de-

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Joseph Kosuth, „Kunst nach der Philosophie“, in: Paul Maenz und Gerd de Vries (Hrsg.), Art & Language. Texte zum Phänomen Kunst und Sprache, Köln, 1972, S. 75–100, hier: S. 88. Pamela M. Lee, „Das konzeptuelle Objekt der Kunstgeschichte“, in: Texte zur Kunst 6 (1996) Nr. 21, S. 120–129. Arthur C. Danto, „Das Ende der Kunst“, in: ders., Die philosophische Entmündigung der Kunst, übers. v. Karen Lauer, München, 1993, S. 141. Vgl. Arthur C. Danto, The transfiguration of the commonplace, Cambridge, Mass., 1981; dt. Die Verklärung des Gewöhnlichen, übers. v. Max Looser, Frankfurt am Main, 1984.

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fined by their institutional identities to be within something called ‚the art world‘“.11 Nun muss die Immaterialisierung nicht notwendig auf eine Aufwertung des Urteils hinauslaufen und der damit verbundenen Figuren wie dem Kritiker (als der Danto neben seiner philosophischen Publizistik tätig ist). Bereits 1968 heißt es in dem von Lucy Lippard gemeinsam mit John Chandler verfassten Aufsatz „The dematerialization of art“: „[T]he dematerialization of the object might eventually lead to the disintegration of criticism as it is known today.“12 Denn dass die Auflösung des Objekts automatisch eine Stärkung des Subjekts zur Folge hat, setzt die Gegenüberstellung von Subjekt und Objekt voraus. Eine Vorstellung, die nicht nur schon zu Hochzeiten der Konzeptkunst umstritten war13, sondern selbst nicht die Konsequenzen aus ihrer eigenen Behauptung zu ziehen scheint. Wie Lippard und Chandler zu Recht betonen: „[I]f the object becomes obsolete, objective distance becomes obsolete“.14 Im Folgenden sollen einige Gedanken über immaterielle Medialisierungen angestellt werden, die nicht unmittelbar im ästhetischen Urteil, ja nicht einmal im Urteil überhaupt münden, sondern zunächst einmal die immanenten Strukturierungen des sinnlichen Feldes betreffen. Immateriell sind diese Medien nicht etwa, weil sie unsinnlich wären, sondern weil sie keine materiellen Extensionen des Geistes darstellen. Vielmehr liegen sie jenseits oder besser: diesseits eines Leib-Seele-Dualismus und benennen einen Raum der Operativität. Dieser weist seinen frühen Theoretikern zufolge Unterscheidungsmöglichkeiten auf, die in der propositionalen Adjudikation nicht aufgehen. Unterscheidungsmöglichkeiten, die die Bezugspole der Relation allererst erzeugen, und nicht umgekehrt. Das Medium ist damit kein Instrument, durch das der Wahrnehmende bis zum Wahrgenommenen reichen würde, vielmehr hält es beide auseinander und verhält zugleich beide zueinander: Das Wahrgenommene ist dabei buchstäblich durch das Medium sichtbar, umgekehrt ist das Medium für sich selbst genommen, weil durchsichtig, nicht sichtbar, sondern wird erst durch und an dem wahrgenommenen Gegenstand einsehbar. Was damit gemeint sein kann, erläutert Hegel nicht in seiner Ästhetik, sondern an anderer Stelle, nämlich in dem Abschnitt über Naturphilosophie der Enzyklopädie. Es ist dort die Rede von „immateriellen Medien“, die aber doch keinen Überstieg über die Physik darstellen, sondern vielmehr physikalischimmateriell sind: luftige, wässrige, glasige Medien in der Natur. „Worauf es 11

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Arthur C. Danto, „The 1993 Whitney Biennial“, in: The Nation v. 19. April 1993 (zit. n. ders., The Wake of Art. Criticism, philosophy and the ends of taste, hrsg. v. Tom Horowitz und Greg Huhn, Amsterdam, 1998, S. 169–177, hier: S. 169). Lucy R. Lippard und John Chandler, „The dematerialization of art“, in: Art International (Februar 1968), S. 31–36 (zit. n. Conceptual art. A critical anthology, hrsg. v. Alexander Alberro und Blake Stimson, Cambridge, Mass., 1999, S. 46–51, hier: S. 49). Vgl. Sabeth Buchmann, Denken gegen das Denken. Produktion, Technologie, Subjektivität bei Sol LeWitt, Yvonne Rainer und Hélio Oiticica, Berlin, 2007. Lippard und Chandler, s. Anm. 12, S. 49.

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ankommt, ist, daß ein Medium nur schlechthin Durchsichtiges überhaupt ist“.15 Durch Medien wie Luft, Wasser oder Glas sieht man hindurch, man sieht gleichsam über sie hinweg, sie bleiben unauffällig; erst im medialen Verhältnis treten die Medien als Medien entgegen. Wenn man einen Stab ins Wasser hält, erscheint er gebrochen, jedoch nur, weil wir die mediale Wirkung zwischen der Stabwahrnehmung in der Luft und der Stabwahrnehmung im Wasser vergleichen können. Nun stehen Medien für Hegel nicht etwa nebeneinander, sondern stehen ineinander, in einem Verhältnis der Inhärenz. Grundsätzlich sind Medien nicht endlos ausgedehnt, sie sind beschränkt, und zwar durch andere Medien, in denen sie stehen. „Ein Verhältnis der Medien als wirksam findet aber nicht im gleichgültigen Nebeneinandersein, sondern allein statt, indem das eine in dem anderen – nämlich hier nur als Sichtbares – als Sehraum gesetzt ist. Dieses andere Medium wird von der immateriellen Dichtigkeit des darin gesetzten sozusagen infiziert, so daß es in ihm den Sehraum des Bildes nach der Beschränkung zeigt, die es selbst (das Medium) erleidet und ihn damit beschränkt.“16

Die Idee eines Mediums, das nicht nur dazwischenliegt und durch das man hindurchsieht, sondern welches wirksam wird und durch welches Sichtbarkeit entsteht, geht auf jenen Philosophen zurück, dem sich Hegel wie kaum einem anderen verwandt fühlte: Aristoteles.

II. METAXY – ARISTOTELES’ MEDIENLEHRE Aristoteles’ Medienlehre findet – und das ist bezeichnend – nicht etwa im Rahmen seiner Theorie des Herstellens oder der Technik ihre Entfaltung, sondern im Rahmen seiner Wahrnehmungsphilosophie.17 Auf welchem Wege, so die Frage, erfahren wir überhaupt etwas über sinnliche Gegenstände? Besteht die Wahrnehmung in einer mechanischen Verursachung nach Maßgabe des Tastsinns? Oder besteht sie im Gegenteil darin, dass wir in den unvollkommenen sinnlichen Formen die geistigen Formen wiedererkennen? Die meisten antiken Wahrnehmungstheorien gehen davon aus, dass die Wahrnehmung (aisthēsis) in einer Veränderung (alloiōsis) besteht. Einige 15

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie (1830), Zweiter Teil: Die Naturphilosophie, § 318, in: Werkausgabe in 20 Bänden, hrsg. v. Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt am Main, 1979, Bd. 9, S. 231. Ebd., S. 231–232. Die nachfolgenden Ausführungen fassen die Ergebnisse zusammen von Emmanuel Alloa, Das durchscheinende Bild. Konturen einer medialen Phänomenologie, Berlin/Zürich, 2011, Kap. II. Vgl. ferner Emmanuel Alloa, „Metaxu. Figures de la médialité chez Aristote“, in: Revue de métaphysique et de morale 62 (2009) 2, S. 247–262.

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Vorsokratiker wie Anaximander etwa sind der Auffassung, nur was einander polar entgegengesetzt sei, könne aufeinander einwirken, andere wie etwa Heraklit oder Anaxagoras wiederum, nur Gleiches könne auf Gleiches wirken.18 Platons Timaios liegt im Kielwasser dieser zweiten Lehre, wenn es in der dort entfalteten Sehtheorie heißt, der Blickstrahl trete aus den Augen und treffe auf den Strahl, der seinerseits von den Dingen ausgeht, wodurch „Gleichartiges auf Gleichartiges“ (homoios pros homoion) stoße.19 Beides verschmelze schließlich zu einem einzigen Körper.20 Damit sich etwas Unkörperliches (hier der Lichtstrahl) zu etwas Körperlichem (hier der gleichartige Körper in der Mitte) verdichten kann, bedarf es also einer Wirkung des Gleichen durch Gleiches. Oder, mit den Worten Goethes gesprochen: „Wär nicht das Auge sonnenhaft / Die Sonne könnt’ es nie erblicken“.21 Aristoteles übt nun in seiner Schrift De anima oder Über die Seele sowohl an der Vorstellung der Veränderung kraft Gleichheit wie an der Veränderung kraft Opposition Kritik. Als Wirkung, die eine Veränderung hervorruft, kann Wahrnehmung weder zwischen zwei völlig gleichen noch zwischen zwei völlig verschiedenen Relata bestehen. Wenn beide völlig verschieden wären (anomoioa), gäbe es kein Erleiden (pathos), wenn beide restlos identisch wären, keine Veränderung (alloiōsis). Es bedarf stets einer gewissen Gemeinsamkeit, die hier die Form einer qualifizierten Verschiedenheit annimmt. Jene Grundregeln der aristotelischen Affektlehre verweisen bereits auf eine spezifische Verfasstheit, die Einwirkenden und Erleidenden kennzeichnet. Der Wahrnehmungsapparat und sein Gegenstand, aisthetērion und aisthēton, müssen zueinander angeordnet und aufeinander ausgerichtet sein. Erst wenn das Wahrnehmungsorgan seinem entsprechenden Wahrnehmungsgegenstand gegenübersteht, kann die jeweilige aisthēsis stattfinden. Das aisthetikon – oder Wahrnehmungsvermögen – aktualisiert sich jedes Mal dann, wenn ihm das „ihm eigene“ Objekt, das idion aisthēton, entgegentritt. Dem Hören (akoē) entspricht demnach als idion aisthēton oder Wahrnehmungsgegenstand das Hörbare (psophētikon) bzw. der Ton (psophon), dem Schmecken (geusis) entspricht der Geschmack (chumos), dem Riechen (osphrēsis) das Riechbare (osphranton), dem Tasten (hapsis) das Tastbare (hapton). Die Analyse der einzelnen Sinnesfunktionen, in De anima II 7–11 systematisch durchgeführt, wobei jeder Sinn ein Kapitel erhält, hebt zunächst mit einer Bestimmung des aistheton des Sehens an. „Worauf sich der Gesichtssinn richtet, dies ist das

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Vgl. Charles H. Kahn, „Elements and Opposites. The Members of the World“, in: ders., Anaximander and the Origins of Greek Cosmology, Indianapolis, 1985, S. 119–165; Carl Werner Müller, Gleiches zu Gleichem. Ein Prinzip frühgriechischen Denkens, Wiesbaden, 1965. Platon, Timaios, 45c2–8. Alle Übersetzungen, soweit nicht anders angegeben, vom Verfasser. Ebd., 45d2. Johann Wolfgang von Goethe, „Zahme Xenien“, III, in: ders., Werke, Hamburger Ausgabe, hrsg. v. Erich Trunz, Hamburg, 1967, Bd. I: Gedichte und Epen, S. 349.

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Sichtbare. Sichtbar ist die Farbe“.22 Damit wären die äußeren Terme (eschata) der aisthetischen Relation genannt. Dass Wahrnehmungssinn und Wahrnehmungsobjekt aufeinander bezogen sind, ist nun allerdings ein notwendiger, aber noch nicht hinreichender Grund dafür, dass sich die jedem Wahrnehmungsakt zugrunde liegende alloiōsis auch vollzieht. Nachdem Aristoteles dargelegt hat, inwiefern das Wahrnehmungsgeschehen auf keines der beiden Terme oder eschata der Relation allein zurückgeführt werden kann, gilt seine Aufmerksamkeit in diesen fünf Kapiteln hauptsächlich der Frage, was sich zwischen den zwei eschata abspielt bzw. welcher Art ihre Verbindung ist. Am naheliegendsten wäre es, diesen nichtkörperlichen Zwischenraum, dieses notwendige Abstehen, durch das sich etwas abheben kann, als leeren Zwischenraum zu begreifen, wie etwa bei Demokrit. Dessen Theorie einer leeren Zwischenräumlichkeit wird in De anima diskutiert und ad absurdum geführt: „Unzutreffend nämlich äußert hierüber Demokrit seine Ansicht, dass auch eine Ameise deutlich am Himmel gesehen werden könnte, wenn das Zwischen [to metaxy] leer wäre, denn dieses ist unmöglich. Das Sehen geschieht ja, indem das Wahrnehmungsfähige [to aisthētikon] etwas erleidet. Unmöglich jedoch durch die sichtbare Farbe selbst. So bleibt also nur übrig, dass es durch das Medium geschieht, so dass es notwendig ein Medium geben muss. Ist das Medium leer, so wird nicht nur nicht deutlich, sondern überhaupt nicht gesehen.“23

Aristoteles wiederholt damit noch einmal die Grundidee seiner medialen Erscheinungslehre: Einem Wahrnehmenden erscheint etwas dadurch, dass es affiziert wird. Diese Affektion (pathos) geschieht jedoch nicht unmittelbar, der Wahrnehmungsgegenstand wirkt nicht direkt, sondern vermittelt und auf Entfernung. Was hier die Affektion bewirkt, ist dasjenige, was „zwischen“ Wahrnehmungsorgan und -objekt liegt: das Medium (to metaxy). Dass die Erscheinungslehre eine mediale ist, begründet die pathische Dimension. Doch gerade und weil die Medialität konstitutiv von der pathischen Dimension des Erscheinens abhängt, kann das Medium nicht als leeres Vakuum gedacht werden. Das Medium garantiert nicht allein die notwendige Distanz, sondern auch ihre Überbrückung, indem es selbst durch das Wahrgenommene bewegt wird und diese Bewegtheit überträgt. Dass es „notwendig ein Medium geben muss“ (anagkaion ti einai metaxy) heißt hier auch und zugleich, dass dieses Medium eine gewisse, wenn auch minimale Dichte, eine noch so geringe, aber doch reale Widerstandsfähigkeit aufweisen muss, um bewegt werden zu können. Ein Zwischenraum, der leer (kenon) wäre – ein reines Vakuum also, entspräche zwar der topologischen Bestimmung des Mediums, die Aristoteles in den Metereologica vornimmt (es „liegt dazwischen“)24, nicht aber ihrer funktionaldynamischen. 22 23 24

Aristoteles, De anima II 7, 418a27 f. (Übersetzung v. K. Corcilius, leicht überarbeitet). Ebd., 419a16–22. Aristoteles, Metereologica I 3, 339b13 und b31.

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Noch in seiner Rehabilitierung des metaxy, des Zwischen, bestärkt Demokrit damit untergründig die Desavouierung des Medialen: Das Dazwischenliegende wird zwar als notwendige, aber dennoch störende Größe behandelt. Erst wenn dessen Eigenbeteiligung völlig ausgemerzt ist, erst nachdem der Zwischenraum entvölkert wurde, kann selbst bis zum unscheinbarsten Gegenstand – bis zur Ameise (myrmex) – „hindurchgesehen“ werden. Die akribeia, die Strenge und „akribische“ Genauigkeit, die Aristoteles anderswo als Messlatte an die Erkenntnis anlegt25, wird in diesem Kontext wieder in die semantische Nähe von akron (Spitze) und aktis (Sehstrahl) gerückt und erfährt dadurch zugleich eine Einschränkung: Die Durchstreichung der Vermittlung ermöglicht nicht etwa ein schärferes, durchdringenderes Sehen (horasthai akribōs), sondern überhaupt keines (holōs outhen). Ohne eine noch so lose gewobene Textur des Mediums kann es zu keiner Resonanz und mithin zu keinerlei Übertragung des Sichtbaren kommen. Eine authentisch mediale Grundlegung des Erscheinens kommt dementsprechend nicht umhin, dem Medium zumindest diejenige positive Qualität einer (wenn auch nur minimalen) Körperlichkeit zuzuweisen, so dass Demokrits Doktrin des leeren Mediums nur noch dem Namen nach eine Medienlehre ist. Wenn es aber „notwendig ein Medium geben muss“26 und dieses Medium eine Eigenleistung erbringen, es also im Herzen des Wahrnehmungsprozesses wirksam werden soll, darf nicht allein seine Mittelstellung berücksichtigt, es muss auch seine Vermittlungsleistung bedacht werden. Das Medium des Sehens ist für Aristoteles insofern „durchscheinend“ (diaphanēs), als das Auge nicht nur durch das Dazwischenliegende hindurchsieht, sondern sich das Sichtbare allererst durch (dia) das Medium zeigt (phainesthai). Der Gedanke der Medialität entsteht dort, wo es eine Form der nichtunmittelbaren Wirksamkeit zu beschreiben gilt, einer mithin nicht allein „durch die Materie“ übermittelten Wirkung. Nicht allein und nicht primär durch die Materie, denn in bestimmter Hinsicht ist das Medium freilich durchaus materiell; nur weil das metaxy auf gewisse Weise undurchlässig und widerständig ist, kann es vom Sinnesobjekt in Bewegung gesetzt und affiziert werden und diese Affektion an das Wahrnehmungsorgan weitergeben.27 Das, was das Zwischenliegende trennt, „hält“ es auch zugleich zusammen (syn-echein) und stellt eine weder vollends körperliche noch gänzlich immaterielle Kontinuität her. Vergleichbar wäre das Dazwischenliegende mit der rhythmisch-räumlichen Diësis in der Musik: Das Medium stimmt die Relata zu- und aufeinander und versetzt sie in Schwingung. Was sich abzeichnet, ist ein trans-formativer Zwischenraum, ein Erfahrungsraum also, in dem sich materielle Formen ohne ihre Materie übertragen lassen – kurzum: ein Raum der Erscheinungen. Nur unter der Bedingung, dass 25 26 27

Vgl. etwa Arisoteles, Analytica Posteriora I 27. Diese Feststellung wird auch in Aristoteles, De sensu wiederholt (II, 438b3 ff.). Aristoteles, De anima II 7, 419a14 f.

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die pathische Berührung selbst Handlungsräume offenlässt, verdammt die Aisthesis das wahrnehmende Lebewesen nicht zur erlittenen Passivität. Nur unter der Voraussetzung, dass das Widerfahrene variiert und transformiert werden kann, kann aus dem Widerfahrenen etwas Erfahrenes werden. Tatsächlich beschränkt sich Medialität nicht auf fremdbestimmte Einwirkung. Die elementare Fähigkeit, Formen aufzunehmen, schreibt sich fort, und selbst die höheren Vermögen behalten von dieser Medialität etwas bei, wenn etwa das Bildvermögen der phantasia oder das Verstandesvermögen der noēsis darin bestehen, dass Vergangenes „wieder aufgenommen“ und verarbeitet wird. Die Aristoteles-Rezeption hat sich freilich in ihrer einseitigen Beschränkung auf die letzten, verstandesorientierten Kapitel des dritten Buches von De anima von diesen medialen Aspekten sehr weit entfernt. Die Behauptung, die Seele nehme die Formen ohne ihre Materie auf, hat zu einem theoretizistischen Aristoteles-Bild geführt, das heute noch eine Bergung seiner Medienlehre erschwert. Stellvertretend für eine längere Analyse, die nötig wäre, um diese These zu begründen, soll hier nur ein Beleg angeführt werden: Das berühmte forma sine materia, das die Scholastik so lange beschäftigte, wird im zweiten Buch formuliert28, erhält aber noch einen oft überlesenen Nachsatz. Tatsächlich nimmt das Wachs die Form des Siegelrings ohne dessen Materie auf. Aber dass sie die Form ohne dessen Materie aufgreift, bedeutet noch nicht, dass die Form selbst von jeder Materie losgelöst wäre. Im Gegenteil: Die Form ist stets die Form einer Materie; das eidos existiert nicht losgelöst, sondern immer nur als eidos eines hekaston, eines jeweiligen Gegenstandes. Das Wachs nimmt die Form des Siegelrings nicht auf, so heißt es sofern dieser Gold oder Erz ist (hē chrusos ē chalkos).29 Auch hier erweist sich die Modalpartikel „als“ (hē) wieder als Grundoperator der aristotelischen Metaphysik: Es ist nicht so, dass die Form von jedweder Materie losgelöst würde, sondern von der Materie als jeweiliger Materie. Was zu denken ist, ist eine generische Stofflichkeit, die sich auf Materialität oder Immaterialität nicht verkürzen lässt, kurzum: ein Medium der Phänomenalisierung.

III. REZEPTION Die nacharistotelische Diskussion der Medienfrage ist symptomatisch für eine Tradition, in welcher die Vorstellung einer Operativität sinnlicher Medien kaum je einen eigenen Platz erhielt. Es ist vermehrt darauf hingewiesen worden, dass Aristoteles’ „streng phänomenistische“ Medienlehre (Gérard Simon) 28 29

Ebd., II 12, 424a18–21. Ebd., II 12, 424a22.

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mit einer Mathematisierung und einer Geometrisierung des Sehens nicht kompatibel war. Die Frage nach der Sichtbarkeit, die sich in der ausklingenden Antike arbeitsteilig in die Bereiche Optik, Physiologie und Geometrie ausdifferenzierte, wurde von nun an jenseits eines Mediums des Sichtbaren gestellt.30 Neben dieser wissenschaftsgeschichtlichen Linie wirkte jedoch auch eine philosophische Tradition aktiv an der Ausmerzung des Medialen. Im Folgenden seien einige Momente dieser Geschichte der Medienvergessenheit in Erinnerung gerufen31 sowie um einige weitere ergänzt: Plotin (1.), Meister Eckhart (2.), Thomas von Aquin (3.), die Lehre von den species in medio (4.) und die Kritik daran bei Ockham und Descartes (5.).

1. Plotin: Medium versus Sympatheia In seiner Wahrnehmungslehre entwickelt Plotin eine Theorie der actio per distans, die auf jedes Medium verzichtet und stattdessen von einer kosmischen sympatheia von allem sinnlichen Seienden ausgeht, also von der Fähigkeit, auch über die Distanz hinweg und ohne jede Vermittlung in „Mitleidenschaft“ gezogen zu werden. In der vierten Enneade32 diskutiert Plotin die aristotelische Medienlehre, um sie schließlich als inkonsistent zu verwerfen. Denn Aristoteles behaupte, Wahrnehmung sei mit der Einprägung eines Siegels in Wachs vergleichbar, und doch nehme die Luft, anders als das Wachs, niemals eine körperliche Form an. Anders als beim Tastsinn ereignet sich das Sehen, so Plotin, auf Entfernung, dafür sei aber kein Medium wie die Luft notwendig, sondern vielmehr Licht. Und es sei unsinnig anzunehmen, das Licht werde zur Extension eines Körpers, der damit an die Dinge reiche: Licht kann nicht „gewaltsam“ (biaion) sein und bedarf auch keines taktilen Widerstands.33 Nicht das Medium wird laut Plotin affiziert, sondern lediglich der Wahrnehmende, der mit dem Wahrgenommenen in einen Zustand der sym-patheia oder auch homo-patheia eintritt. Genau diese gleichförmige, unvermittelte Affizierung aber könne eine Medienlehre nicht einholen, da das Medium unvermeidlich anders affiziert werden müsse als der Wahrnehmende: Schließlich werde die Angelrute, die einen Zitterrochen berührt, nicht in der gleichen Weise affiziert wie der Angler, dem sie die Berührung überträgt.34 Für Plotin ist das Medium

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Gérard Simon, Der Blick, das Sein und die Erscheinung in der antiken Optik, übers. v. Heinz Jatho, München, 1992; David C. Lindberg, Auge und Licht im Mittelalter. Die Entwicklung der Optik von Alkindi bis Kepler, übers. v. Matthias Althoff, Frankfurt am Main, 1987. Für eine ausführlichere Behandlung, vgl. Alloa, Das durchscheinende Bild, s. Anm. 17, Kap. III.3: „Medienvergessenheit“. Plotin, Enneaden IV, 5,1–8 (Schriften, gr./dt., übers. v. Richard Harder und überarb. v. Rudolf Beutler und Willy Theiler, 12 Teilbände, Hamburg, 1956–1971). Ebd., 5,4. Ebd. 5,1.

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kein Ermöglichungs-, sondern nur ein Hinderungsgrund von Wahrnehmung; es vereitelt die komplette sympatheia. „Wenn nun ein Gegenstand die Fähigkeit besitzt zu wirken, und ein Organ die Fähigkeit, Einwirkungen welcher Art immer aufzunehmen, wozu bedarf es dann noch eines fremden Mediums, um zu wirken auf das, worauf es wirken kann? Denn das hieße: eines Hindernisses [empodion] bedürfen. Ist es doch auch, wenn das Licht der Sonne herankommt, nicht nötig, dass zuerst die Luft und dann erst wir davon Wahrnehmung haben, sondern das geschieht zugleich [hama]“.35

In dieser Hinsicht betrachtet, steht das Medium nur noch für Differenz und die Affektion nur noch für Einheit, womit die plotinische Philosophie nicht nur die alte Lehre vom Gleichen durch Gleiches rehabilitiert, sondern im gleichen Zug auch die Komplexität der aristotelischen dynamis kassiert, der zufolge das Medium im potenziellen Zustand Wahrnehmendes und Wahrgenommenes voneinander trennt und im Aktzustand miteinander in ein Verhältnis des Kontinuums versetzt.

2. Meister Eckhart: Dum medium silentium In dieser neuplatonischen Tradition geht Meister Eckhart noch einen Schritt weiter, wenn er die Frage der Erkenntnismedien traktiert. Hier kommt ein von der Forschung lang übersehener Bezug auf das aristotelische Erbe zum Tragen.36 In der Predigt „Dum medium silentium“ aus der Erfurter Zeit kommentiert Eckhart einen Satz aus dem Buch der Weisheit37 und spielt dabei auf den mehrdeutigen Sinn von medium an. „Medium silentium“: „Mitten in der Stille“ findet die Seele zu sich und damit zu Gott. So versteht auch Cusanus, der sich auf Eckhart mehrfach bezieht, den Satz. Doch in der Predigt legt Eckhart eine zweite, gewagtere Deutung vor: „[A]m Grund [der Seele] muss jedes medium verstummen“.38 Denn „wenn der Mensch jede Tätigkeit aufgibt und die wirkende Vernunft in sich zum Schweigen bringt, dann muss sich Gott notwendig des Werkes annehmen und muss selber Werkmeister sein und sich selber in die leidende Vernunft gebären“39. Das göttliche Licht ist in allen Ge35 36

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Ebd., 5,4 (dt. Schriften, Bd. IIa, S. 373). Der in der Forschung mittlerweile verstärkt betont wurde: Bernhard Welte, „Eckhart als Aristoteliker“, in: ders., Auf der Spur des Ewigen, Freiburg im Breisgau, 1965, S. 197–210; Karl Bormann, „Das Verhältnis Meister Eckharts zur aristotelischen Philosophie“, in: Freiheit und Gelassenheit. Meister Eckhart heute, hrsg. v. Udo Kern, München/Mainz, 1980, S. 53–59. Vgl. ferner die Bezüge zu Averroes’ Aristotelismus in Kurt Flasch, Die Geburt der ,Deutschen Mystik‘ aus dem Geist der arabischen Philosophie, München, 2006. Buch der Weisheit 18,14. Eckhart, „Predigt 101“ (Deutsche Werke [= DW], hrsg. v. Josef Quint, Stuttgart, 1936 ff., Bd. IV.1, S. 345). Eckhart, „Predigt 104“ (DW IV.1, S. 587 ff.). Vgl. Georg Steer, „Predigt 101. Dum medium silentium tenerent omnia“, in: Lectura Eckhardi I, hrsg. v. Georg Steer und Loris Sturlese, Stuttgart, 1998, S. 247–288, hier: S. 270.

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schöpfen so „unmittelbar“ (âne mitel) gegenwärtig, wie die Sonne durch die Luft hindurchdringt und überall hingelangt. Gottes Handeln, dem jede Vermittlung fehlt (caret medio), verleiht dem Seienden sein Sein, und folglich fällt zwischen beides „kein Mittleres“ (nullum cadit medium).40 Man müsste meinen, dass sich mit der unvermittelten Allgegenwart Gottes das Problem der Medialität erübrigt. Und doch ist der menschliche Zustand, bei aller Gottesebenbildlichkeit, einer der Vermitteltheit, da die menschliche Erkenntnis in ihrer Endlichkeit noch nicht an die unmittelbare Natur Gottes heranreicht. In der deutschen Predigt „Modicum et iam non videbitis me“ versucht Eckhart zu klären, was Jesus mit dem rätselhaften Satz gemeint haben könnte: „Über ein kleines, so werdet ihr mich nicht sehen; und aber über ein kleines, so werdet ihr mich sehen“.41 Eckhart vermutet, dass schon die unvollkommene, verschleierte Schau den Gläubigen näher an Gott heran führt: „Wer Gott (nur) von fern wie durch ein Vermittelndes hindurch oder in einer Wolke erkennen würde, schon der würde sich selbst um den Preis dieser ganzen Welt nicht einen Augenblick mehr von Gott trennen. Was glaubt ihr aber dann, wie überwältigend es ist, wenn man Gott unmittelbar sieht“.42

Dennoch verhandelt Eckhart im Anschluss am Beispiel der „Ameise am Himmel“, das hier wie anderswo auftaucht43, nacheinander Demokrits und Aristoteles’ Standpunkte. „Ein Meister sagt im Buch von der Seele: Läge kein Vermittelndes dazwischen, so könnte sie das Auge einer Ameise oder einer Mücke am Himmel wahrnehmen. Und er hat wahr gesprochen und meint das Feuer und die Luft und mancherlei, was zwischen dem Himmel und dem Auge ist. Ein anderer Meister (aber) sagt: Wäre kein Vermittelndes, so sähe das Auge (überhaupt) nichts. Beide meinen sie Richtiges.“44

Demokrit hat laut Eckhart deshalb recht, weil man tatsächlich das Gesehene – in Eckharts Fall: Gott – wahrnehmen würde, würde sich kein Medium dazwischenschieben. Es reicht ein Kleines (und wäre es nur „grôz als ein hâr breit“), und die Einheit von Erkennendem und Erkanntem bleibt auf je unvollkommen. „Boethius sagt: Willst du die Wahrheit lauter erkennen, so lege ab Freude und Furcht, Zuversicht und Hoffnung und Pein – das alles ist ein Vermittelndes. So-

40 41 42 43 44

Eckhart, „Kommentar zum Johannes-Evangelium 205“ (Lateinische Werke [= LW], hrsg. v. Josef Koch, Stuttgart, 1936 ff., Bd. III, S. 172). Johannes 16,16. Eckhart, „Predigt 69“ (DW III, S. 161, 1–3; Josef Quint, Meister Eckhart. Deutsche Predigten und Traktate, München/Wien, 1995, S. 343). Vgl. die von Julie Casteigt zusammengetragenen Stellen (Connaissance et vérité chez Maître Eckhart, Paris, 2006, S. 125, Fußn. 82). Eckhart, „Predigt 40“ (DW III, S. 164; Quint, s. Anm. 42, S. 344).

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lang du es ansiehst und es hinwiederum dich ansieht, solange siehst du Gott nicht.“45

Nichtsdestotrotz besage auch Aristoteles’ Medienlehre etwas Richtiges, nämlich dass das Medium nicht nur verstellt, sondern auch filtert, genauer: das Materielle vom Geistigen. Das vorgebrachte Argument ist bemerkenswert. Dass man nichts sieht, wenn man eine Hand aufs Auge legt, rühre nicht etwa daher, dass der laut Aristoteles notwendige Zwischenraum wegfällt, sondern dass der Wahrnehmungsgegenstand selbst – hier die Hand – allzu stofflich ist. Die fehlende Einsicht „kommt von der Stofflichkeit, die die Hand besitzt; und daher muss die (Stofflichkeit) (erst) geläutert und verfeinert werden in der Luft und im Lichte und (dann) als Bild in mein Auge hineingetragen werden“46. Das Medium erhält damit bei Eckhart durchaus eine positive Bestimmung, nämlich hinsichtlich der Entmaterialisierung der Form im geistigen Bild. Nun ist dieses Bild aber kein bloßer formaler Stellvertreter, sondern die Sache selbst, ihrer groben Stofflichkeit entledigt. Als Beleg führt Eckhart die Spiegelbilder an: Wer sich im Spiegel anschaut, sieht nicht etwa einen bildlichen Stellvertreter, sondern sich selbst. Für Eckhart kann es also keine unendliche multiplicatione speciorum geben, wie andere seiner Zeitgenossen meinen, vielmehr weist die Vermittlung im Kern selbst auf das Unvermittelte zurück, das Bild selbst auf ein Unbildliches. „Laufen [ist] ohne Laufen – es verursacht wohl das Laufen – und Größe ist ohne Größe, wohl aber macht sie groß, und daher ist Bild ohne Bild, denn es wird nicht gesehen in einem anderen Bild“.47 Bemerkenswert ist hier, wie Eckharts negative Theologie zwei wesentliche Argumente ins Spiel bringt, die später Descartes verwenden wird, um die Medienlehre endgültig als obsolet herauszustellen. Erstens führt Eckhart ins Feld, dass sich Einsicht grundsätzlich nicht der Materialität verdankt, sondern die Herauslösung der Form als Immaterialität voraussetzt, zweitens aktualisiert er die (bereits bei Dionysius Areopagita vorfindliche) Idee einer grundsätzlichen Unähnlichkeit zwischen Erkennendem und Erkanntem. „Die Schale muss zerbrechen, und das, was darin ist, muss herauskommen. Willst Du die Natur unverhüllt finden, so müssen die Gleichnisse alle zerbrechen“.48 Gleichnis (gleychnuß) meint hier das Verhältnis der similitudo oder Ähnlichkeit.49 Die Bilder und Gleichnisse müssen selbst am Ende eine „Entbildung“ durchmachen, weil sie noch zu sehr dem Gleichheitsprinzip verpflichtet sind.50 Obwohl Descartes’ Einwände gegen die Medienlehren ganz anders motiviert sind, finden sich die beiden gleichen Argumente (diesmal rein erkennt45 46 47 48 49 50

Ebd. (DW III, S. 166; Quint, s. Anm. 42, S. 344 f.). Ebd. (DW III, S. 167; Quint, s. Anm. 42, S. 345). Ebd. Eckhart, „Predigt 24“ (DW II, S. 473; Quint, s. Anm. 42, S. 265). Vgl. den lateinischen „Sermo 2“ (Eckhart, LW IV, S. 264). Vgl. Mauritius Wilde, Das neue Bild vom Gottesbild. Bild und Theologie bei Meister Eckhart, Freiburg, 2000, S. 37 ff.

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nistheoretisch besetzt) wieder: Einsicht setzt eine Abstraktion von den Vorkommnissen der Res extensa voraus und beruht auf einem grundsätzlichen Verhältnis der Unähnlichkeit. Man müsse „sich hüten anzunehmen, dass die Seele, um zu fühlen, irgendwelche Bilder betrachten muss, die von den Gegenständen zum Gehirn gesendet werden, wie das unsere Philosophen im allgemeinen annehmen, oder man müsste wenigstens das Wesen dieser Bilder ganz anders verstehen, als sie es tun“.51

So dürfen oft Bilder, so heißt es bei Descartes weiter, „um in ihrer Eigenschaft als Bilder vollkommen zu sein und die Gegenstände besser darzustellen diesen häufig gerade nicht gleichen“ (pour estre plus parfaites en qualité d’images, & representer mieux vn objet, elles doivent ne luy pas ressembler).52 Erst diese Paarung der beiden Argumente – die Immaterialisierung und die Verunähnlichung – bereitet dem medialen Denken endgültig ein Ende, das in der Scholastik streckenweise noch durchaus wirksam war.

3. Thomas von Aquin: Abstraktion und Ähnlichkeit Bei Thomas von Aquin bleibt die abstractio in der Tat an die similitudo gebunden. Der Erkennende „assimiliert“ das zu Erkennende, indem es dieses aufnimmt.53 Das Erkannte ist dann insofern erkannt, als es im Erkennenden liegt (cognitio fit per hoc, quod cognitum est in cognoscente).54 Nun besteht eine solche Assimilation nicht in einer Anähnelung des Wesens, wie vermutet werden könnte, wenn es bei Aristoteles heißt, in der Aisthesis werde die Seele „gleichsam“ (hoion) zum Wahrgenommenen: Zwar sage Aristoteles, die Seele sei, „wenn sie alles ist, notwendigerweise auch die wissbaren und wahrnehmbaren Dinge selbst, so wie Empedokles behauptet hat, dass wir mit Hilfe der Erde die Erde erkennen und mit Hilfe des Wassers“55. Und doch „ist die Seele nicht die Sache selbst, wie jene behauptet haben, denn der Stein ist nicht in der Seele, sondern die species des Steins“ (quia lapis non est in anima, quia species lapidis).56 Gegen Empedokles’ Lehre der wesensmäßigen Angleichung beharrt Thomas von Aquin darauf, dass das Erkannte nur der Ähnlichkeit nach im Erkennenden ist, nämlich als species, als Form bzw. Anblick. Nun sind diese species aber auch keine eigenständigen Entitäten, sie liegen nicht etwa zwischen dem Erkennenden und dem Gegenstand, sondern sind das, wodurch 51

52 53 54 55 56

René Descartes, Dioptrique IV (Œuvres, hrsg. v. Charles Adam u. Paul Tannery [= AT], 12 Bde., Neuausgabe Paris, 1965–1974, Bd. VI, S. 112; dt. René Descartes, Dioptrik, übers. v. Gertrud Leisegang, Meisenheim 1954, S. 88 f.). Ebd. (AT VI, S. 113; dt. S. 89). Thomas von Aquin, Summa theologiae, Ia, q. 85, a.1 (Turin [= Editio Taurina], 1954). Ebd., Ia, q. 59, a. 2, c. Thomas von Aquin, Sentencia libri De anima, III, 13 (Opera Omnia [= Editio Leonina], Rom/Paris, 1984, Bd. XLV,1). Ebd.

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der Gegenstand für den Erkennenden gegenwärtig ist. Auf eine marmorne Herakles-Statue angewandt heißt dies so viel, dass die Herakles-Statue notwendig in einer bestimmten materiellen Verfasstheit erfasst wird (hier durch den Marmor), nicht aber der Marmor erfasst wird, sondern Herakles. In der Sprache der Scholastik sind species mithin kein terminus ad quem, sondern ein medium quo.57 Der intentionale Gegenstand soll nicht mit dessen Anwesenheitsmodus verwechselt werden, das Was nicht mit dem Wie. Die similitudo deutet bei Thomas von Aquin eine gleichzeitige Identität und Differenz an: Die species sieht so aus wie der Gegenstand, ist es aber nicht, sondern besitzt lediglich dessen Ähnlichkeit. Anders als die aus der Wahrnehmung abgeleiteten phantasmata haben die species intelligibilis keine sinnliche Dimension, sondern existieren rein unkörperlich, und anders als diese beziehen sich jene nicht auf Einzelnes, sondern auf Allgemeines. Zwischen beiden bedarf es also einer Umwandlung oder auch Übersetzungsleistung, die der Intellekt an den Bildern vollzieht: Thomas von Aquin nennt sie conversione supra phantasmata. Die similitudo markiert eine funktionale Notwendigkeit, damit diese Übertragung zwischen phantasmata und species intelligibilis stattfinden kann. Damit hebt sich Thomas von Aquin von anderen Species-Lehren ab, für die das konversive Medium nicht nur funktional bestimmt ist, sondern eine eigene Existenz aufweist. Anders als Thomas von Aquin, für den die species immer nur im Erkennenden inhärieren können, verfeinert eine Reihe von Denkern die Lehre von den species in medio, eidetischen Formen, die gleichsam unabhängig und jenseits von erkennenden Subjekten in dafür eigens vorgesehenen unpersönlichen Medien existieren.58 57 58

Thomas von Aquin, Summa Theologiae, Ia, q. 85, art. 2, in corp. Vgl. Dominik Perler, Theorien der Intentionalität im Mittelalter, Frankfurt am Main, 2004, S. 335 ff. Mit seiner funktionalen Medientheorie vollzieht Thomas von Aquin damit alles andere als eine Substanzialisierung des Mediums, wie von Wolfgang Hagen in einer von Missverständnissen nur so gespickten semantikgeschichtlichen Rekonstruktion behauptet (Wolfgang Hagen, „Metaxy. Eine historiosemantische Fußnote zum Medienbegriff“, in: Was ist ein Medium, hrsg. v. Stefan Münker und Alexander Roesler, Frankfurt am Main, 2008, S. 13–29). Hagen behauptet, der Dominikaner habe als Erster die Bedeutung von Aristoteles’ Medienlehre anerkannt, aber nur „um sie in seiner eigenen Lehre bis zur Unkenntlichkeit des Originals zu verdecken“ (S. 16), eine Verdeckung, die durch die kanonisch gewordene „Übersetzung“ bestimmend gewesen sei (ebd.). Nun hat Thomas von Aquin schon deshalb nicht den Peri Psychēs übersetzen können, weil er des Griechischen nicht mächtig war: Als Grundlage diente Wilhelm von Moerbekes Übersetzung. Hagen wirft nun Aquins (also in Wirklichkeit Moerbekes) Übersetzung vor, sie „ontologisiere“ das Medium folgenschwer. Der Vorwurf basiert allerdings lediglich auf der Wiedergabe von ωστ άναγκαΐόν τι είναι μεταξύ (De anima II, 7, 419a20) durch „quare necesse est aliquod esse medium“, was laut Hagens Selbstübersetzung angeblich so viel bedeutet wie „infolgedessen ist das Medium eine Notwendigkeit“ (S. 26). Problematisch ist hieran nicht Moerbekes Wiedergabe von Aristoteles, sondern Hagens Übersetzung von Moerbeke. Eine akkuratere Übersetzung wäre hier: „dass es notwendig ein Medium geben muss“ oder auch: „dass etwas notwendig dazwischenliegen muss“, da nicht anders als im Griechischen auch das lateinische medium sowohl substantivische als auch adverbiale oder präpositionale Bedeutung annehmen kann. Aristoteles’ Einwand gegen

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4. Die Lehre von den species in medio Die Lehre von den species in medio, die in der spekulativen Physik von Robert Grosseteste entwickelt und von Roger Bacon weitergeführt wird, geht davon aus, dass in jedem Erkenntnisakt ein Medium zwischen Erkennendem und Erkannten wirksam wird. Vor dem Hintergrund, dass jede sinnliche Erkenntnis einen Abstand voraussetzt (distantia), gibt es keine unmittelbare Erfahrung, auch da nicht, wo es eine mechanische Einwirkung gibt. Für Roger Bacon ist selbst die Einwirkung eines Körpers auf einen anderen durch bildliche species vermittelt, und diese bildlichen species setzen wiederum ein Medium voraus. Da anders als im Sehen, Hören oder Riechen kein Luftraum dazwischenliegt, verlegt Bacon das Medium kurzerhand ins Körperinnere, so dass es neben dem medium extrinsecum nun ein medium intrinsecum gibt.59 Damit ist gleichwohl das Gegenteil von einer Internalisierung des Mediums bewirkt: Es ist vielmehr das, was bislang zum Selbst gezählt wurde, was nun eine Entäußerung erfährt. Wenn das Fleisch und die Haut nun nicht länger Organe einer Seele sind, sondern – in Radikalisierung eines bereits bei Aristoteles angelegten Arguments – als Medien des Tastens an einer allgemeinen Fähigkeit teilhaben, Formen aufzunehmen, dann lässt sich nicht länger sagen, dass das Medium die Extension einer Seele ist, vielmehr hat die individuelle Seele teil an einer allgemeinen medialen Fähigkeit zur „Einbildung“ von Formen. Averroes bringt diese unpersönliche Natur des Mediums zum Ausdruck, wenn er sagt, das Medium liege ebenso wenig im einzelnen Erkennenden, wie seine Natur auf einzelne Elemente wie Wasser, Luft oder Feuer beschränkt werden könne. Vielmehr sei sie „gemäß der allgemeinen Natur, die in allem liegt“ (secundum naturam communem existentem in omnibus).60 In ähnlicher Weise geht auch Bacon in seinem Opus maius davon aus, dass sich in einem namenlosen Medium die Formen vervielfältigen und verbreiten.

59 60

Demokrits Vakuum besagt lediglich, dass immer irgendetwas (aliquod) dazwischenliegen muss (esse medium), und sicher nicht, dass „Luft, Wasser, das Feuchte, das Durchsichtige in Bausch und Bogen konnotativ zu diesem einen, allumfassenden Medium“ werden (S. 26). Das necesse est (und nicht „nescesse est“, wie Hagen auf S. 25 schreibt) wird folglich nicht interpoliert, sondern ist die einzig richtige Wiedergabe der logischen Notwendigkeit (anagkaion). Hagens Behauptung, mit dieser Übersetzung habe das Schicksal der Medientheorie 1268 seinen Lauf genommen, erweist sich schließlich als vollends haltlos, wenn sich herausstellt, dass die Formel Quare necesse est aliquod esse medium selbst keine Neuerfindung von Moerbeke ist, sondern dass sich dieser hier der ein Jahrhundert früher bereits angefertigten Übersetzung von Jacobus Veneticus anschließt (vgl. Luigi Minio-Paluello, „Le texte du De Anima d’Aristote. La tradition latine avant 1500“, in: Autour d’Aristote, Leuven, 1955, S. 217–243). Roger Bacon, Perspectiva, Pars I, dist. 8 (Roger Bacon and the origins of Perspectiva in the Middle Ages, hrsg. v. David C. Lindberg, Oxford, 2006, S. 110). Averroes, Großer Kommentar zu Aristoteles’ De anima, 68 (Averrois Cordubensis Commentarium Magnum in Aristotelis De Anima Libros, hrsg. v. F. Stuart Crawford, Cambridge, Mass., 1953, S. 235).

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In einer ökumenischen Geste betont Bacon, dass diese materiell-immateriellen species viele Namen (multis nominibus) erhalten haben und dass alle früheren Lehren der similitudo, der phantasmata oder schlicht der Formen in seiner Speziesdoktrin aufgehoben sind.61 Entscheidend ist dabei, dass diese „speziellen“ Erscheinungen zu den traditionellen Einteilungen in Essenzielles und Akzidentelles, ins Spirituelles und Körperliches quer stehen: Die species verdanken sich einer Kraft (virtus), die sowohl „von Substanzen wie von Akzidenzien hervorgebracht wird, sowohl von Geistigem wie von Körperlichem“ (hanc facit tam substantia quam accidens, et tam spiritualis quam corporalis).62 Veranschaulicht wird die Vervielfältigung der medialen species bevorzugt an zwei Beispielen: Wenn ein Lichtstrahl durch ein rot gefärbtes Glas geht, überträgt er die rote species auf die gegenüberliegende Wand. Das Sein-imMedium der species lässt sich weder als wesentlich noch als akzidentell beschreiben, es übersteigt diese Alternative, was das zweite Beispiel – das Spiegelbeispiel – belegen soll. In einem Spiegel befindet sich kein Stein, sondern die species des Steins. Wenn man einen Spiegel zerschlägt, bringt man die species nicht etwa zum Verschwinden, so wie man die Eigenschaften eines Subjekts zum Verschwinden bringt, wenn man das Subjekt auseinandernimmt, ebenso wenig steht man vor Scherben des ursprünglichen Gesamtbildes, sondern vielmehr vor einer Vielzahl von kleinen, aber kompletten species. John Pecham, der hier an Roger Bacon anschließt, stellt in seinem Perspektivtraktat die Frage was ein Bild sei (quod est ydolum), auf die die Antwort laute, ein Bild sei eine „Erscheinung jenseits ihres Ortes“ (apparentia extra locum suum), da Dinge immer schon anderswo erscheinen als dort, wo sie sind.63

5. Der Herbst der mittelalterlichen Medientheorie oder Die Materialisierung der Körper und die Entmaterialisierung des Geistes Diese mediale Bildtheorie, die unter den Gelehrten des 14. Jahrhunderts zum Gemeinplatz geworden war, blieb allerdings nicht lange unwidersprochen. Nach Durandus von Saint-Pourçain ist es vor allem Wilhelm von Ockham, der den Erkenntnisakt von Medien und Bildern zu befreien versucht, indem er eine frühe Variante der Intentionalitätsthese vertritt. In Spiegeln sehen wir „die Sache und nicht das Bild davon“ (res videtur in speculo et non imago 61 62 63

Roger Bacon, Opus maius, pars 4, dist. 2, cap. 1 (Opus maius, hrsg. v. John Henry Bridges, Oxford, 1900, S. 111). Ebd. John Pecham, Perspectiva comunis, II, 19 (John Pecham and the Science of Optics. Perspectiva Comunis, hrsg. v. David C. Lindberg, Madison, 1970, S. 170): „Quid est igitur ydolum? Dico sola apparitio rei extra locum suum.“

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ipsius).64 Dass man das Auge für das edelste aller Sinne hält, sei dadurch zustande gekommen, dass man meine, jedes Verstehen müsse durch eine Anschauung begleitet sein. Das aber sei falsch, denn wir könnten nur einsehen, wovon wir zuvor bereits einen Begriff hätten.65 Mit Ockhams Beispiel: Wenn ich eine Statue des Herkules sehe, käme ich nie darauf, dass es Herkules ist, der dargestellt ist, wüsste ich nicht zuvor, welche Eigenschaften Herkules besitzt.66 Obwohl nach Ockham noch verschiedene Denker wie Buridan oder Nicolas d’Oresme bemüht sind, die Species-Lehre zu retten, bereitet Ockhams nominalistischer Angriff langsam das Ende der medialen Bildtheorie vor. Obwohl Spuren davon noch bis in Suárez’ Spätscholastik zu beobachten sind67, hat sie mit Descartes bereits ausgedient. Davon auszugehen, dass wir eine geistige Erkenntnis materieller Dinge kraft der Vermittlung „intentionaler species“ erlangen, krankt laut Descartes an zwei Fehlannahmen: Erstens besäßen materielle Dinge nicht per se sinnliche Eigenschaften wie Färbung oder Wärme, genau genommen seien sie als Res extensa ausschließlich geometrisch bestimmt, alle weiteren Eigenschaften lägen im empfindenden Subjekt. Was für eine verursachende Wahrnehmung gehalten werde, sei in Wirklichkeit eine verursachte Wahrnehmung.68 Zweitens beweise das Beispiel des Berührungssinns, wie abwegig jede Vorstellung von vermittelnden species sei: Nicht Bilder übertrügen die Ideen, sondern Nerven, die gereizt werden. In dem Traité de l’homme vergleicht Descartes die Nerven denn auch mit „kleinen Netzen“, die angespannt werden: Je stärker der Reiz, desto straffer werden die Netze angezogen.69 Im Netzwerk der Nerven bilden sich keine Bilder heraus, höchstens wäre vorstellbar, dass am Ende des Übertragungsprozesses Bilder im Innern des Kopfes projiziert werden. Doch wenn wirklich Bilder in unserem Inneren wie auf einer Leinwand entstünden, bedürfte es eines inneren Auges, um sie zu sehen70, so dass der infinite Regress ins Haus stünde. Während Descartes damit einerseits die Sinnesvorgänge physiologisiert und physikalisiert, intellektualisiert er andererseits – unter der Maßgabe einer Kritik an Aristoteles’ vereinigendem Hylemorphismus – den Erkenntnisvorgang. Das Verhältnis zwischen

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William Ockham, Opera theologica, New York, 1967–1979, Bd. IV, S. 248, Z. 13–14. Diese Stelle diskutiert ausführlicher Katherine Tachau, Vision and Certitude in the Age of Ockham, Leiden, 1988, S. 144. Ockham, Opera theologica, s. Anm. 64, Bd. V, 274. Vgl. Tachau, s. Anm. 64, S. 131. Ebd. Vgl. Leen Spruit, Species intelligibilis. From Perception to Knowledge, Leiden, 1995, Bd. II: Later Scholasticism and the Elimination of the Intelligible Species in Modern Philosophy. Dominik Perler, „Descartes, critique de la théorie médiévale des species“, in: Joël Biard und Roshdi Rashed (Hrsg.), Descartes et le Moyen-Age, Paris, 1997, S. 141–153, hier: S. 141. René Descartes, Traité de l’homme (AT XI, S. 141–142). Vgl. ebenfalls Dioptrique VI (AT VI, S. 130–141). Descartes, Dioptrique VI (AT VI, 130; dt. S. 99).

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Gegenstand und Idee ist keines der Abbildlichkeit, überhaupt fügen sie sich nicht zueinander, sondern stehen in einem Verhältnis der Unähnlichkeit. „Daraus lässt sich schließen, dass es nicht nötig ist anzunehmen, dass irgendetwas Materielles von den Gegenständen in unser Auge kommt, um uns Farbe und Licht sehen zu lassen. Ja, es braucht an den Gegenständen nichts zu geben, was unseren Vorstellungen oder Wahrnehmungen, die wir von ihnen haben, ähnlich ist.“71

Keine Bilder oder similitudines erzeugt die Natur, vielmehr versorgt sie uns mit arbiträren Zeichen (signes)72, die es für uns – im Sinne von dem „großen Buche der Welt“ (grand livre du monde)73 – nunmehr zu entziffern gilt. Während das Medium, an dem Descartes nach wie vor festhält74, durchweg physikalisiert und von den darin vermeintlich enthaltenen Bildchen befreit wird, wird das Erkannte in die ausdehnungslose Innenwelt der cogitatio verlegt. Im selben Zuge wie Medien komplett materialisiert werden, wird das, was sie transportieren, restlos immaterialisiert. Diese Trennung von extensionalem Träger und intensionalem Gehalt belastet – so die Vermutung, die in diesem Rahmen nur ausblickhaft formuliert werden kann – bis heute.

IV. AUSBLICK AUF EINE PERIECHONTISCHE MEDIENÄSTHETIK In der „Zweiten Meditation“ fragt sich Descartes, was ihn dazu verleitet, die am Fenster vorbeiziehenden Gestalten überhaupt für menschliche Personen zu halten. Schließlich könnten die beweglichen Körper ja genauso gut Maschinen sein. Die perzeptive Unentscheidbarkeit löst aber der Verstand, der hier – ob zu Recht oder zu Unrecht, ist hier nicht von Belang – urteilt, dass es sich um Menschen handelt. „Und so erkenne ich das, was ich mit meinen Augen zu sehen vermeinte, einzig und allein durch die meinem Geiste innewohnende Fähigkeit zu urteilen.“75 Was sich in der Wahrnehmung bereits als unentscheidbar herausstellt, wird im Medium der Phantasie nur noch intensiviert: Ich kann mir vorstellen, ein körperloser, unausgedehnter Geist zu sein – darin dem „fliegenden Menschen“ ohne Glieder von Avicenna verwandt –, diese 71 72 73

74 75

Descartes, Dioptrique I (AT VI; dt. S. 71). Descartes, Le Monde (AT XI, 4). Descartes, Discours de la méthode, I, 14 (AT VI, 9; dt. Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung, in: Philosophische Schriften, hrsg. v. Ludger Gäbe, Hamburg, 1996, S. 17). Descartes, Dioptrique I (AT VI, 84). Descartes, Meditationes de prima philosophia II (AT VII, 28; dt. Meditationen über die Grundlagen der Philosophie. Mit den sämtlichen Einwänden und Erwiderungen, hrsg. v. Arthur Buchenau, Hamburg, 1994, S. 25).

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Fiktion lässt aber nur noch deutlicher hervortreten, dass mich niemand in meinem aktuellen Urteilsvollzug täuschen kann. Ich mag mich täuschen, ob ich im Traum- oder Wachzustand bin, nicht aber darüber, dass ich denke, im Traum oder im Wachen zu sein. Arthur Danto hat Descartes zum Vorläufer seiner Theorie der indiscernibles gemacht: Was etwas ist, sei an der Sache selbst nicht abzulesen, sondern folge einer extrinsischen Zuweisung, ähnlich wie nicht wahrnehmbar sei, ob es sich um eine Brillo-Seifenkiste handele oder um Warhols Werk.76 Es soll an dieser Stelle nicht um die Frage gehen, inwiefern Dantos These von der nichtperzeptiven Differenz bei Warhols Brillo-Boxen überhaupt zutreffend ist77, sondern um den symptomatischen Status von Dantos Gedankenexperimenten bezogen auf Fragen der Medialität. Es ist bezeichnend, dass Dantos Kunstwerk-Beispiele aus der Verklärung des Gewöhnlichen fast ausnahmslos imaginäre sind. Die Erfahrung, dass sich zwischen einem Alltagsgegenstand und einem Kunstwerk nicht unterscheiden lässt, ist – über den emblematischen Fall der Brillo-Boxen hinaus – eine, die der Leser erst noch machen muss. Da man sich die meisten von Danto besprochenen Kunstwerke ohnehin nicht anschauen kann, klingt es fast nach einem Zirkel, wenn es heißt: „For art to exist there does not even have to be an object to look at.“78 Für Danto erlaubt das imaginäre Medium, den künstlerischen Gehalt nur noch deutlicher hervortreten zu lassen. Anders als Greenbergs Rückführung des Werks auf die Grenzen seines reinen Mediums ist das Werk seiner medialen Verfasstheit gegenüber indifferent. McLuhans These The medium is the message wird in Die Verklärung des Gewöhnlichen umgedreht. „Das Medium ist nicht die Botschaft, sondern die Form, in der die Botschaft überreicht wird“79, wobei der Künstler das Medium gezielt einsetzt, um etwas auszusagen, ohne dass dieses Medium per se auf die Botschaft Einfluss nähme. Dantos Reduktion des Mediums auf ein kontingentes Vehikel eines kommunikativen Inhalts stellt hier die Weichen für eine weitere folgenschwere Behauptung: Aus der Beobachtung, dass der Status von Kunst durch die aisthetischen Qualitäten des Gegenstandes nicht hinreichend definiert werden kann, schließt Danto, dass diese aisthetischen Qualitäten für den Status von Kunst bedeutungslos sind. Die Kunstgeschichte von Giotto bis Warhol habe bewiesen, so Art after the End of Art, „that the aesthetic is in fact not an es76 77

78 79

Arthur C. Danto, „Art, Philosophy, and the Philosophy of Art“, in: Humanities 4 (1983) 1, S. 1– 2. Bei Warhols Brillo Boxen handelte es sich gerade nicht um ein Readymade, sondern um eine Kopie aus Holz (!) des Seifenkartons. Ob etwas indiscernible ist, ist damit immer nur eine Frage des Grades. Vgl. auch Michael Lüthy, „Das Ende wovon? Kunsthistorische Anmerkungen zu Dantos These vom Ende der Kunst“, in: Kunst – Fortschritt – Geschichte, hrsg. v. Christoph Menke und Juliane Rebentisch, Berlin, 2006, S. 57–66. Arthur C. Danto, Art after the End of Art. Contemporary Art and the Pale of History, Princeton, 1988, S. 16. Danto, s. Anm. 10, S. 146; S. 224 (dt.).

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sential or defining property of art“80. Martin Seel hat überzeugend auf den argumentativen Kurzschluss hingewiesen, der zwischen der Aussage besteht, dass der Status des Kunstwerks nicht allein über dessen sichtbare Eigenschaften erschließbar ist81, und der Aussage, dass visuelles Erscheinen für Kunstwerke apriorisch irrelevant sei.82 Dantos Position ist indessen repräsentativ für heutige Kunsttheorien, welche die Auflösung der Objektgrenzen und die „Immaterialisierung“ des Supports durch eine Verteidigung des (ästhetischen bzw. genauer künstlerischen) Urteils kompensiert haben. In einer solchen Perspektive oszillieren künstlerische Medien dann zwischen Essenzialität auf der einen Seite (Greenberg) und bloßer Äußerlichkeit (Danto) auf der anderen. Wenn weder einem Fetischismus der Medienspezifität noch einer neuen Kanaltheorie der Bedeutung das Wort geredet, sondern Medien eine mitkonstitutive Rolle zuerkannt werden soll an dem, was sie zum Erscheinen bringen (und das doch von ihnen different ist), bedarf es einer neuen Medientheorie, die die intrinsisch aisthetischen Momente medialer Prozesse berücksichtigt, kurzum: einer Medienästhetik. Die antike Medientheorie der Aisthesis kann hierbei neue Impulse geben, insofern sie neuzeitliche Dualismen, eben weil sie ihr unbekannt sind, schon von Anbeginn unterläuft. Weder materiell noch immateriell liegt Aristoteles’ metaxy weniger zwischen den zwei Polen der aisthetischen Relation, sondern setzt diese überhaupt erst zueinander in Beziehung und stimmt sie aufeinander. Das Medium ist selbst wie in der antiken Musiktheorie diastematisch organisiert, das heißt es hält die Relata auseinander und überträgt zugleich die Form der Affektion. Das mediale metaxy hält zusammen (syn-echein), indem es auseinanderhält und im Erscheinungsfeld ein Differenzgeschehen möglich werden lässt, das dem Begriff nichts verdankt. In diesem Sinne ist das Medium weder ein Ding noch ein Kanal noch ein Träger, sondern buchstäblich ein peri-echon, ein aisthetischer Umraum.83 Dieses periechon, in dem Platon, Sextus Empiricus und die Stoa eine eigenständige Kraft sehen, benennt bei Aristoteles ein Erscheinungsfeld, das zwar über keine Eigeninitiative verfügt, aber doch immer eine eigene Dichte und eine entsprechende Gestimmtheit aufweist. Weniger begrenzt als vielmehr begrenzend ermöglicht das periechon die Übertragung von Bewegungen, die, obwohl vom Ursprungskörper losgelöst, darum noch keineswegs ideell sind. Jenseits der Alternative alltagspraktischer Versenkung und ästhetisch-distanzierter Kontemplation zielt eine periechontische Medienästhetik auf all jene gestimmten Räume, in die wir unweigerlich eingelassen sind, ohne ihnen in unserer Bestimmung restlos ausgesetzt zu sein. Allzu oft haben sich philosophische Theorien der Atmosphäre damit 80 81 82 83

Danto, s. Anm. 78, S. 112. Ebd., S. 71: „[A]rtworks and real things cannot be told apart by visual inspection alone“. Martin Seel, „Art as appearance. Two comments on Arthur C. Dantos After the End of Art“, in: History and Theory 37 (1998) 4, S. 102–114, hier bes. S. 111. Aristoteles, Über Länge und Kürze des Lebens, 465b27.

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begnügt, die eigenwillige Einfärbung aller Dinge und Formen durch die jeweilige Stimmung zu beschreiben. Was aussteht, ist nachzuzeichnen, wie diese medialen Atmosphären Formen allererst zum Vorschein kommen lassen und wie die Gestimmtheit eine ganz eigene – nämlich aisthetische – Bestimmtheit zu erzeugen vermag. Auch Aristoteles spricht davon, dass sinnliche Umgebungen e-motional wirken, das heißt in Bewegung setzen können. Nur einige dieser körperlichen Affektionen aber werden in bestimmtes Begehren, Denken oder Handeln umgesetzt.84 Über die historische Semantik hinaus85 ist die Geschichte einer solchen medialen Ästhetik jenseits von Selbst- und Fremdbestimmung erst noch zu schreiben.

84 85

Aristoteles, Physik VIII 2, 253a15–19. Vgl. zur philosophisch-poetischen Nachgeschichte des periechon in der Neuzeit Leo Spitzer, „Milieu and Ambiance. An Essay in Historical Semantics“, in: Philosophy and Phenomenological Research III (1942), S. 169–218 (hier zit. n. Leo Spitzer, Essays in Historical Semantics, 2. Aufl., New York, 1968, S. 179–316).



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