“Meine Nachahmung eine Neuerschaffung” – Aneignung und Ent-Stellung in Dea Lohers Manhattan Medea Sebastian Wogenstein University of Connecticut
Medeas Gespenster In Dichtung und Wahrheit beschreibt Goethe seine Empörung beim Besuch des Hochzeitsgebäudes, in dem die Erzherzogin von Österreich und künftige Königin Frankreichs, Marie Antoinette, im Jahr 1770 auf dem Weg zu ihrer Vermählung mit Ludwig XVI. in Strasbourg von Abgesandten des französischen Königs empfangen werden sollte. Dort waren im Hauptsaal Wandteppiche aufgehängt, die, kunstvoll nach Gemälden gewirkt, die Geschichte von Medea, Iason und Kreusa darstellten: “Zur Linken des Throns sah man die mit dem grausamsten Tode ringende Braut, umgeben von jammervollen Teilnehmenden; zur Rechten entsetzte sich der Vater über die ermordeten Kinder zu seinen Füßen; während die Furie auf dem Drachenwagen in die Luft zog.” Der Jurastudent, von dem Anblick des “Grausamen und Abscheulichen” so “ganz aus der Fassung” gebracht, protestiert energisch dagegen, “einer jungen Königin das Beispiel der gräßlichsten Hochzeit, die vielleicht jemals vollzogen worden, bei dem ersten Schritt in ihr Land so unbesonnen vors Auge zu bringen.” Goethe argumentiert echauffiert und wirkungsästhetisch, “daß Bilder etwas vorstellen, daß Bilder auf Sinn und Gefühl wirken, daß sie Eindrücke machen, daß sie Ahndungen erregen!” Die junge Braut mit Medea zu konfrontieren, sei, als hätte man ihr “das abscheulichste Gespenst bis an die Grenze entgegengeschickt.” 1 Ebensowenig nur belanglose Sagengestalt für Goethe wie, mehr als zweihundert Jahre später, für Christa Wolf, tritt uns die Jahrtausende alte mythische Figur zu Beginn von Wolfs Roman Medea. Stimmen in der Beschwörung ihres Namens entgegen. In diesem Text vergegenwärtigt sich nicht nur die Figur wie ein angerufener Geist, sondern wir selbst, so beschreibt es der Prolog, treten ein in ihren Zeit-Raum. Diese Zeit, erklärt der Text, der das Lesepublikum als kollektives Subjekt anspricht, erweise sich für uns als be-
sonders zugänglich. Ist es zunächst Medea, die uns hier entgegenkommt, so scheint gleich darauf ihr ganzes Zeitalter zu uns zu sprechen. Diese Art transhistorischer Kommunikation wird offenbar durch gemeinsame Paradigmen, eine gemeinsame Sprache ermöglicht: Wir sprechen einen Namen aus und treten, da die Wände durchlässig sind, in ihre Zeit ein, erwünschte Begegnung, ohne zu zögern erwidert sie aus der Zeittiefe heraus unseren Blick. Kindsmörderin? Zum erstenmal dieser Zweifel. Ein spöttisches Achselzucken, ein Wegwenden, sie braucht unseren Zweifel nicht mehr, nicht unser Bemühen, ihr gerecht zu werden, sie geht. Uns voran? Von uns zurück? Die Fragen haben unterwegs ihren Sinn verloren. Wir haben sie auf den Weg geschickt, aus der Tiefe der Zeit kommt sie uns entgegen, wir lassen uns zurückfallen, vorbei an den Zeitaltern, die, so scheint es, nicht so deutlich zu uns sprechen wie das ihre.2
Tatsächlich scheint der Medea-Mythos, diese Geschichte von Betrug und Verletzung, von Intrigen und scheinbar maßloser Rache—bzw. einer machtpolitisch und xenophob motivierten Verleumdungskampagne gegen die Protagonistin, wie in Wolfs überraschender Wendung der bekannten Handlung—, diese Geschichte von Flucht, Asyl und Ausweisung oder “Abschiebung,” uns näher zu gehen als zahlreiche andere antike Mythen. Ob “abscheulichste[s] Gespenst,” Identifikationsmodell und erreichbare Gesprächspartnerin oder “archaische Riesenfigur,” Außenseiterin, die anachronistisch wirkt in der “Absolutheit ihrer Gefühle” und so zum “Fremdkörper in einer aufgeklärten, materialistischen und auf Funktionalität ausgerichteten Gesellschaft” werden muß,3 Medea bleibt eine Gestalt, die fasziniert und sich in einem Maße wie nur wenige antike Mythen in der Neuzeit als anschlußfähig erweist. Das mag an der ungebrochenen inhaltlichen Aktualität der Konflikte liegen, sicher aber ebenso an Medeas Prozeß der Entscheidungsfindung und den daraus resultierenden Zwängen in einer Krise, wenn in “dem Maße wie die Begriffe, Werte, Normen auseinanderbrechen, die vermittelnden Diskurse scheitern [und] die Gewalt als ‘Lösungsweg’ an Plausibilität” zu gewinnen scheint.4 Gemeinsam ist diesen Darstellungen und Überlegungen, daß sie nicht nur eine prinzipielle Wiederholbarkeit der Handlungszusammenhänge für möglich halten, sondern deren Wiederholbarkeit vielmehr die Basis der sonst unterschiedlichen Argumentationen bildet. Auch Dea Loher gestaltet in Manhattan Medea die Protagonistin und einen Großteil des erzählten Handlungsgefüges auf der Folie des bekannten Stoffs. Das Stück weicht jedoch der Frage nach den Implikationen einer erneuten Bearbeitung des kulturgeschichtlich derart überfrachteten MedeaMythos nicht aus. Obwohl es zunächst scheint als folge Manhattan Medeas Plot weitgehend der euripideischen Vorlage und sei lediglich zeitlich in die Gegenwart, räumlich nach Manhattan verlagert, macht das Stück selber die Frage nach einer Aneignung des Stoffs bzw. des Kopierens zum zentralen Topos, nicht zuletzt mit der Einführung der Figur Velazquez, einem Maler aus
03-W4414.indd 299
9/4/07 1:27:39 PM
300
Sebastian Wogenstein
Harlem, Nachahmer des “anderen Velazquez” und selbsternannter “Meister der Kopie” (11).5 Im folgenden setze ich mich mit dieser Frage der Nachahmung, ihren Implikationen und der Reflexion dieser Thematik innerhalb des Stücks sowie mit Blick auf die Medea-Rezeption allgemein auseinander. Eine zentrale Rolle spielen dabei die beiden Gemälde, die in den letzten beiden Szenen von Manhattan Medea in einer merkwürdigen Sequenz auf der Bühne erscheinen. Der Infant Philip Prosper von Diego Velázquez (1659) verbrennt, und wenn die Flammen erlöschen, befindet sich an der Stelle von Velázquez’ Gemälde Pablo Picassos Las Meniñas (1957). Anders als zu erwarten wäre, entsteht Picassos Las Meniñas hier also nicht aus Velázquez’ berühmten Las Meniñas.6 Die Einbindung der beiden Gemälde und ihres referentiellen Potentials in das Stück kommentiert, wie es scheint, in gewisser Weise unseren Leseprozeß, der Manhattan Medea im Kontext der antiken Tragödie versteht. Im Zentrum meiner Überlegungen steht so letztlich neben Wiederholung und Kopie auch die Frage der Interpretation, die ich nicht als das Ausfindigmachen eines im Text Verborgenen verstehe, sondern als eine Vernetzung des “Entborgenen” im Sinne von Paul Ricœurs hermeneutischem Verständnis von Referenz: Das Wesen der Referenz literarischer Werke hat eine wichtige Auswirkung auf den Begriff der Interpretation. Es impliziert, daß die Bedeutung eines Textes nicht hinter dem Text, sondern davor ist. Sie ist nicht etwas Verborgenes, sondern etwas Entborgenes [découvert— ouvert]. Das, was es zu verstehen gilt, ist etwas, das dank der nichtostensiven Referenzen des Textes auf eine mögliche Welt hinweist. Texte sprechen von möglichen Welten und von möglichen Weisen, sich in diesen Welten zurechtzufinden.7
Medeas Fiktionen Die Figuren in Dea Lohers Stück finden sich in ihrer Welt ganz offensichtlich nicht zurecht. Paradoxerweise aber finden sie sich selbst durch genau das Verbrechen, durch das sie sich verlieren. Man könnte es als ein tragisches Element des Stückes bezeichnen, daß bei Medea und Jason die Selbstfindung mit dem Selbstverlust nicht nur einhergeht, sondern die Selbstfindung erst durch den gleichzeitig stattfindenden Selbstverlust bedingt wird. Als Flüchtlinge nach Manhattan gekommen, verläßt Jason Medea, um die Tochter des reichen Sweatshop-Bosses zu heiraten. Wie in der euripideischen Medea und anders als in Christa Wolfs Medea steht an zentraler Stelle Medeas Kindermord. Doch anders als in der griechischen Tragödie tritt uns hier Jason bereits als Muttermörder entgegen. Er hat auf der Flucht im Krieg seine Mutter ertränkt. Der Matrizid Jasons am erzählten Beginn der Geschichte bildet mit Medeas Ermordung ihres Sohnes am Ende des Stücks eine Klammer des vorgestellten Geschehens. In beiden Fällen ist das unmittelbare Resultat des Mordes eine
03-W4414.indd 300
9/4/07 1:27:40 PM
Dea Lohers Manhattan Medea
301
gesteigerte Subjektivität, eine Bewußtwerdung des isolierten Selbst und zugleich eine Selbstdissoziation und Entfremdung: JASON [. . .] da gab es niemand mehr der mir näher war als ich mir selbst und keinen der mir fremder war als ich mir selbst. Schweigen. (22)
Der Sohn, der die Mutter ertränkt hat, die Mutter, die ihren Sohn erstickt—bei beiden Morden geht das Schweigen angesichts der ungeheueren Tat unmittelbar mit der Artikulation des Selbst einher: MEDEA [. . .] Und ich werde endlich allein sein mit mir. Nur für mich. Für mich. Für mich. Schweigen. Ich liebe dich. Sie erstickt das Kind mit der Mülltüte. Schweigen. MEDEA Von jetzt an werde ich eine lebend Tote sein. (61)
In beiden Fällen schlägt die intimste Liebe zwischen Mutter und Sohn um in die aggressivste Form der Gewalt, in beiden Fällen ist es ein Mord durch Ersticken. Jason raubt seiner Mutter und Medea ihrem Sohn bei gleichzeitiger Bekundung ihrer Liebe die Luft, also das, was der Mensch am dringendsten zum Leben braucht: JASON [. . .] Ich nehme ihren Kopf in beide Hände sacht wie sie es mit mir getan hat als Kind und küsse ihre Augen und halte den Kopf fest unter Wasser (21)
Jason und Medea in Lohers Stück handeln als wollten sie demonstrativ Freuds Behauptung in dessen Essay Das Unbehagen in der Kultur bestätigen, daß Aggression “den Bodensatz aller zärtlichen und Liebesbeziehung unter den Menschen” bilde.8 Dabei steht hier nicht nur eine “zärtliche” oder “Liebesbeziehung” im
03-W4414.indd 301
9/4/07 1:27:40 PM
302
Sebastian Wogenstein
Zentrum, sondern vielmehr das Subjekt selbst. Es fällt auf, daß die attischen Tragödien—und insbesondere Medea—aus dem mythischen Muster eines göttlich verfügten Schicksals heraustreten, indem menschliche Entscheidungen und menschliches Handeln als Motoren der Kausalkette des Geschehens gezeigt werden. In Euripides’ Medea wird das nicht nur daran deutlich, daß in ihr das göttlich verfügte Schicksal keine Rolle spielt, hingegen die “Sprache der gewaltsamen Leidenschaften” vorherrscht.9 An die Stelle der mythischschicksalhaften Fügung treten Entscheidungen und Handlungen, die motiviert scheinen durch triebhafte Affekte, Wut oder Zorn, dasjenige, was Medea selber thymós nennt. So gibt sich Medea angesichts ihres mörderischen Vorhabens selbst Rechenschaft: “Und ich erkenne das Grauenvolle, das ich zu tun gedenke. / Doch mein Zorn [thymós] ist stärker als meine vernünftigen Gedanken (v. 1078f.)” 10 Hans-Thies Lehmann sieht in Medea eine für die attische Tragödie exemplarische literar- und geistesgeschichtliche Entwicklung, bei der “aus der Fabel des Mythos [. . .] die Fabel des Trieblebens” wird.11 Die “echt tragische Situation” dieser Tragödie ergibt sich aber nicht nur, wie Wolfgang Schadewaldt in seiner Lektüre von Euripides’ Medea feststellt, aus den Folgen affektgesteuerten Entscheidens und Handelns, Medea ist nicht nur “diese verwundete Seele, die nun so um sich schlägt, sondern [. . .] entscheidend ist, wie sie an bestimmten Stellen zurückschreckt und erkennt, daß sie nicht mehr zurück kann.” 12 Schadewaldt definiert dieses Wollen, das umschlägt in ein Müssen, als eine “Grundsituation des Tragischen.” In ihr geschieht es, “nicht nur daß einer will, was er muß, sondern auch, daß er muß, weil er gewollt hat.” 13 Auch in Manhattan Medea finden wir solche Zwänge, die sich für Medea aus der Flucht, dem Wissen um Jasons Muttermord, dem Raub am Vater, der Ermordung des Bruders und dem Leben in der Illegalität ergeben. Vor allem aber ist der Umstand interessant, daß und wie sich Medea selbst Rechenschaft gibt. Dieses lógon didónai, das Rechenschaft-geben, ist beachtenswert insofern hier eine Figur sich selbst gegenüber tritt, sich selber zum Gegenüber wird. Euripides’ Medea nimmt in dieser ek-statischen, außer sich geratenden Selbstanrede eine Sonderstellung in der attischen Tragödie ein14 und wird darin zum Vorbild für einen Großteil der westlichen Theatertradition. Für das Publikum erschließt sich aus dem Eingeweihtsein der Doppelsinn von Medeas Rede gegenüber anderen Figuren, der diesen verborgen bleiben muß. Medeas Besonderheit ist einerseits inhaltlich-formal, andererseits auch in geistesgeschichtlicher Perspektive gegeben, denn in Medea begegnet uns das Subjekt, das sich selbst in seinen Entscheidungen setzt, sich darin aber dennoch nicht vollständig frei in seinem rationalen Willen erweist, sondern als ein Subjekt, das sich zugleich partiell durch seine Affekte und die beschriebenen Zwänge in seinen Entscheidungen determiniert weiß. Für die Figuren in Manhattan Medea trifft das in ähnlicher und zugleich radikal veränderter Weise zu. Sie sind über die beschriebenen Aspekte hin-
03-W4414.indd 302
9/4/07 1:27:40 PM
Dea Lohers Manhattan Medea
303
aus durch ihre theatergeschichtlichen Vorgängerfiguren gewissermaßen vorverurteilt. Als Figuren mit den Namen Medea und Jason verweisen sie auf Handlungen und Geschehen, zu denen sie unweigerlich in Beziehung gesetzt werden. Auch die Figur Velazquez evoziert mit ihrem Namen eine ganze Reihe narrativer Verknüpfungen im “Archiv” der Kunstgeschichte. Darüber hinaus können wir die Figuren auch als “fiktiv” bezeichnen, wenn wir darunter mit Foucault dasjenige verstehen, was nicht etwa als Wesenhaftigkeit “in den Dingen oder Menschen, sondern in der unmöglichen Wahrscheinlichkeit dessen [liegt], was zwischen ihnen ist: Begegnungen, Nähe des Entferntesten, absolute Verstellung.” 15 Es ist daher auch der Raum des Bühnengeschehens eine Schwellensituation, in der sich eine patriarchale und xenophobe Welt der antiken Medea mit der durch ebendiese Eigenschaften charakterisierten Gesellschaft des Hochkapitalismus überlagert. Dies ist der Ort vor der Schwelle des Palastes, von der ersten bis zur letzten Szene. Medea begegnet uns vor der Tür des Sweatshop-Bosses, des Herrschers (kreion) von Manhattan, am Ort, der sich das gesamte Stück hindurch nicht ändern wird, wie auch Medea während des ganzen Stücks diesen Ort nicht verlassen wird. In einer Strenge wie kaum ein anderes Stück folgt Manhattan Medea den klassizistischen drei Einheiten des Ortes, der Zeit und des Geschehens und zeigt uns Medea in einer “Situation des Draußen” in mehrfacher Hinsicht: ausgeschlossen in einer Gesellschaft, in der sie illegaler Flüchtling ist, verstoßen von Jason am Vorabend seiner erneuten Hochzeit und schließlich auch physisch draußen vor der Tür des Sweatshop-Bosses, an der Velazquez, der doorman den Zugang zum palastartigen Gebäude zu sichern hat. Mit Blick auf das entscheidende Element kultureller Integration, die Sprache, scheint sie jedoch nicht Ausgeschlossene zu sein. Vielmehr ist sie diejenige, die noch vor dem Eintritt in die fremde Welt der fremden Sprache mächtig ist. Als Jasons Sprachlehrerin ermöglicht sie diesem erst den Zutritt zur Gesellschaft des fremden Landes (27, 56). So will es scheinen als sei sie immer schon zu Hause gewesen in “Alphabet City,” dort, wo, wie “Deaf Daisy, ein tauber Transvestit,” die Stadt beschreibt, “[ j]eder [. . .] auf jeden ein[redet]. Ununterbrochen. [. . .] Die Wörter fliegen nur so” (41). Aber auch diese Behausung erweist sich nach ihrem Ausschluß nur in der Verstellung als temporär bewohnbar. Angesichts ihrer existentiellen Bedrohung durch die handgreifliche und umfassende Macht des SweatshopBosses formt sich ihr gewaltsamer Widerstand zunächst in den von Jason unbemerkten und dem Sweatshop-Boss nur erahnten Zweideutigkeiten ihres Sprechens, Zweideutigkeiten, die zuletzt im Gesang der tauben Drag Queen Deaf Daisy reflektiert werden. Auch die Sprache bleibt ein “Zwischen,” eine Schwelle, deren Beherrschung für Medea keinen dauerhaften Aufenthalt in ihrer physisch wirklichen Welt garantieren kann. Erst die gewaltsame Tat, die ihr mehrdeutiges Sprechen in die Eindeutigkeit der Tat umsetzt, führt Medea zu einer Selbst-Vergewisserung, durch die sie sich mit der Auslöschung von
03-W4414.indd 303
9/4/07 1:27:40 PM
304
Sebastian Wogenstein
möglichen Herrschaftslinien (Ermordung der Tochter des Sweatshop-Bosses und Jasons Sohn) in die Geschichte der Herrschaft einschreibt— allerdings um den Preis ihrer Selbst-Zerstörung. Doorman, Türhüter, Öffner des Vorhangs Beharrlich und unablässig, wie der “Mann vom Lande” in Kafkas “Vor dem Gesetz,” steht Medea zu Beginn des Stücks dem Türhüter gegenüber, wenngleich sie auch nicht um Einlaß bittet, sondern lediglich um Auskunft und schließlich darum, Jason zum Eingang zu holen, um mit ihm sprechen zu können. Weniger arrogant als Kafkas Türhüter und zugleich bestechlicher,16 am Ende aber doch gerührt vom Schicksal der offenbar schwer Geschlagenen— “Er gibt ihr die $-Note zurück” (16) —, stellt sich der “doorman” als Velazquez, “letzte[r] große[r] Hofmaler vor der Revolution” vor (10f.). Auch in Diego Velázquez’ Las Meniñas, “le peintre des peintres” (Manet), das in Manhattan Medea lediglich indirekt durch Picassos Las Meniñas zitiert wird— ein signifikanter Umstand, auf den ich im folgenden noch eingehen werde—gibt es einen bedeutsamen “doorman.” Während im Vordergrund der Maler mit Pinsel und Palette in Händen vor der Leinwand steht und die möglicherweise bemalte oder auch noch leere Leinwand, den oder die Modellstehende(n) oder gar die Betrachter des Bildes anzublicken scheint, so neben der Infantin ganz die Aufmerksamkeit auf sich lenkt, steht im Hintergrund in der hell erleuchteten, offenen Tür mit seitlich aufgehaltenem Vorhang eine Figur, die schon in den frühesten Bildbeschreibungen als José Nieto, in deutschsprachigen Texten meist als “Hofmarschall” bezeichnet, identifiziert wurde. Die Position Nietos an der Tür mit Vorhang scheint nicht willkürlich gewählt. Nieto war am Hofe Philipps IV. sumiller de cortina, der offizielle Öffner des Vorhangs, eine der höchsten Funktionen am königlichen Hofe.17 Der Vorhang signalisierte eine radikale Trennung zwischen dem Heiligen und dem Profanen bzw. dem weniger Heiligen, wie und in Anlehnung an den Vorhang vor dem Allerheiligsten in den beiden Jerusalemer Tempeln der jüdischen Antike. Der Akt der Öffnung des Vorhangs hingegen gab der Präsentation des Königs bzw. der Königin eine gewisse Theatralität, ein Schauspiel der Majestät, das sich in der Positionierung des königlichen Paares im frühen spanischen Theater in gewisser Weise wiedererkennen läßt—ihre Plätze befanden sich der Bühne direkt gegenüber und dem Bühnengeschehen näher als die Plätze der anderen Zuschauer. Mag Nieto auch der Vorhangöffner am Hofe Philipps IV. gewesen sein, der über die Repräsentationen wachende Zeremonienmeister, so verweist ihn doch der Maler des lebensgroßen Bildes als bloßen Betrachter des Geschehens in den Hintergrund, sich selbst aber stellt er in fast voller Größe vor die Leinwand, von der wir Betrachter lediglich eine Kante der Rückseite sehen. Es kann beim Betrachten des Bildes kein Zweifel darüber aufkommen, wer hier der eigentliche Vorhangöffner im Sinne des
03-W4414.indd 304
9/4/07 1:27:40 PM
Dea Lohers Manhattan Medea
305
Intendanten der Repräsentation ist. Vielleicht ist es in diesem Sinne zu verstehen, daß Edgar Degas auf dem Gemälde Erinnerung an Velázquez (1858) drei Figuren dem Maler zugewandt zeigt, den Maler aber in genau der Pose, die Nieto in Velázquez Gemälde einnimmt. Der doorman Velazquez in der Fifth Avenue hingegen ist keineswegs der souveräne Meister der Repräsentation, er weiß um seine Epigonalität, zugleich aber wertet er seine Kopie in eine Neuerschaffung um, sein kunstphilosophisches Programm entwickelt geradezu messianische Züge: Ich lerne durch Nachahmung. Noch ahme ich ihn nach, den anderen Velazquez. Noch unterwerfe ich mich jedem Detail in seinen Bildern in akribischem Studium, aber schon jetzt ist meine Nachahmung eine Neuerschaffung, die meinen Vorfahr bei genauem Hinsehen übertrifft. Ich bin ein Meister der Kopie. Und doch—indem ich sie signiere, mache ich ein Original aus ihr. Eine Kopie, die keine ist. Ein falscher Velazquez, der ein echter ist.—Aber an dem Tag, an dem es darauf ankommt, werde ich der einzige Velazquez sein. Der einzige.—(11)
In gewisser Weise erinnern die letzten beiden Sätze an das Ende des “Aleinu,” einen Abschnitt in der jüdischen Liturgie, der hauptsächlich der Affirmation des Monotheismus dient und der Gewißheit Ausdruck verleiht, daß dereinst, “an jenem Tage [. . .] der Ewige einzig und sein Name einzig sein” werde.18 Interessant ist dabei nicht die Verankerung dieser Zukunftsversicherung in einem bestimmten religiösen Kontext, sondern seine prinzipielle theologische Wertigkeit, d.h. des auf die Zukunft gerichteten Impetus und des Ausschließlichkeitsanspruchs. Velazquez, der doorman und Kopist, ist sich sicher, daß “an dem Tag, an dem es darauf ankommt,” seine Kopien nicht nur an die Stelle der Originale treten, sondern daß darüber hinaus die “Neuerschaffung” das vorherige Original übertreffen wird und Velazquez, der doorman, nicht ein “neuer Velázquez,” sondern der einzige sein wird. Sein logisch unmöglich erscheinendes Unternehmen spiegelt in einer leichten Verzerrung dasjenige Pierre Menards in Jorge Luis Borges’ Erzählung “Pierre Menard, Author of the Quixote.” Der Ich-Erzähler, der sich als “wahrer Freund” des verstorbenen Menards vorstellt, beschreibt nach seiner Aufzählung des “sichtbaren Werks” Menards das neunte und das achtunddreißigste Kapitel von Don Quixote sowie ein Fragment des zweiundzwanzigsten als “his other work: the subterranean, the interminably heroic, the peerless.” 19 Die “Absurdität,” wie der Erzähler Menards Unternehmen nennt, besteht darin, “not [. . .] to compose another Quixote—which is easy—but the Quixote itself.” 20 Auch hier gewinnt die Neuerschaffung gegenüber dem Original: “Cervantes’ text and Menard’s are verbally identical, but the second is almost infinitely richer. (More ambiguous, his detractors will say, but ambiguity is richness.)” 21 Der Mehrwert des wörtlich identischen Texts bestehe darin, erläutert der Ich-Erzähler, daß zum Beispiel der Begriff der Geschichte als “Mutter der Wahrheit,” wie er im frühen 17. Jahrhundert
03-W4414.indd 305
9/4/07 1:27:40 PM
306
Sebastian Wogenstein
bei Cervantes verwendet werde, ein völlig anderer sei als bei der identischen Aussage, wenn sie im frühen 20. Jahrhundert von einem Zeitgenossen William James’ geschrieben werde. Für Menard sei Geschichte demnach nicht Erforschung der Wirklichkeit, sondern deren Ursprung: “Historical truth, for him, is not what has happened; it is what we judge to have happened.” 22 Der Akt, der für den doorman Velazquez aus der Kopie das Original macht, ist das Signieren. Gerade dies würde als Fälschung aufgefaßt, wenn er sich nicht selbst als den Velazquez sähe, der zuletzt “der einzige” bleiben wird. Auf diese Weise werden die Bilder des früheren Velázquez gewissermaßen zu bloßen Antizipationen der Bilder des Velazquez aus Manhattan. Velazquez aus Manhattan, der zunächst als Double des Velázquez aus dem 17. Jahrhundert auftritt, scheint diesen zu zwingen, sich mit ihm zu messen. Im Spiel, das Velazquez aus Manhattan mit dem spanischen Velázquez spielt, kann nur der erstere gewinnen, denn die Zufälligkeit, mit der der spanische Velázquez als Velázquez erscheint, wird ersetzt durch die Determiniertheit und Perfektion, mit der der Velazquez aus Manhattan zum “einzigen Velazquez” wird. In diesem Sinne kann Velazquez aus Manhattan auch behaupten, daß er “bei genauem Hinsehen” seinen “Vorfahr” übertreffe. Velazquez aus Manhattan wird zunehmend zum Produkt einer kontinuierlichen Resignifikation, deren erklärtes Ziel eine Identität ist, die bei genauem Hinsehen mehr noch als Identität im Sinne von Übereinstimmung oder Gleichheit ist. Nicht nur wird die Kopie ununterscheidbar gegenüber dem Original, sie übertrifft das Original. Das Original selber wird in diesem Prozeß als Modell hinfällig und, indem am Ende Velazquez aus Manhattan sich als einzigen imaginiert, der chronologisch vorgängige Bezugspunkt im Signifikationsprozeß Original-Kopie ebenso ausgelöscht wie die Bezugnahme und schließlich auch der Status der Kopie als Kopie verwandelt in ein originäres Werk. Der Vorgang, den ich hier zu beschreiben versuche, ist dann eine “Absurdität,” wenn man davon ausgeht, daß ein Original gerade dadurch als Original definiert ist, daß es wenigstens die Möglichkeit einer Kopie gibt. Im allgemeinen scheint darüber hinaus ein Konsens zu herrschen, daß es die Aufgabe der Kopie sei, das Original möglichst “getreu” nachzuahmen, eine Vorstellung, die wir in besonders ausgeprägter Form in Johann Joachim Winckelmanns Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bildhauer-Kunst (1755) finden. Nach diesem Verständnis muß als die höchste Stufe der “Wiedergabe” eine Nachahmung gelten, die vom Original nicht mehr zu unterscheiden ist. Winckelmanns berühmte programmatische Forderung nach einer Nachahmung der antiken Kunst ist aber, genau betrachtet, merkwürdig formuliert und enthält einen Anspruch, der von ManhattanVelazquez’ Vorhaben nicht so weit entfernt ist: “Der einzige Weg für uns,” schreibt Winckelmann, “groß, ja, wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten.” 23 Nachahmung, um unnachahmlich zu werden, das ist auch das Programm des amerikanischen Velazquez.
03-W4414.indd 306
9/4/07 1:27:41 PM
Dea Lohers Manhattan Medea
307
Gilt das Original als Maß, an dem sich der Wert einer Kopie im Hinblick auf ihre Ähnlichkeit messen lassen muß, so gerät eine sich nicht als Kopie ausweisende Nachahmung in der Moderne in den Verdacht des Plagiats. Diese Grenzlinie überschreitet Velazquez aus Manhattan auf ungewöhnliche Weise, indem er verkündet, nicht nur eine ununterscheidbare Kopie erstellen zu wollen, keine abhängige Nachschöpfung, die spätestens im Moment des Signierens als Fälschung gelten könnte, sondern eine Neuschöpfung. Der doorman Velazquez bewegt sich damit auf der vielleicht entscheidenden diskursiven Grenze der Moderne zwischen dem Hergebrachten und dem Neuen, Fortschrittlichen, ohne daß eindeutig geklärt wäre, in welchem Bereich seine Werke nun anzusiedeln seien. Denn Velazquez aus Manhattan bedient mit der Behauptung seiner Neuschöpfung die Denkfigur des Neuen,24 und mit seiner Ankündigung, künftig als der einzige Velazquez zu gelten, die romantische Idee des Künstlergenies, das sich ja gerade durch Originalität auszeichnet.25 Zugleich aber weiß er sich in der Gegenwart des Spiels noch als Nachgeborenen und Kopisten. Seine Frustration angesichts seiner Inkommensurabilität mit dem ästhetischen Imperativ der fortschrittsgläubigen Moderne klingt aus seinen Worten angesichts Medeas Frage, wann denn der Tag sein und woran er ihn erkennen werde, der seine Einzigkeit als der Velazquez bestätige: Mann, ich werde diesen großen verdammten Tag schon erkennen, wenn er erst eine einzige bleiche Fingerkuppe über den Horizont geschoben hat, da braucht er mir noch gar nicht zuzuwinken, da erkenn ich ihn schon, keine Sorge Ma’m. Und dann nichts wie weg hier. (11)
Cross-dressing, crossing borders Zwischen Wiederholung und Einzigartigkeit bewegen sich auch die anderen Figuren des Stücks. Gilt dies für Medea und Jason mit Blick auf ihre mythologischen und theatergeschichtlichen Vorgänger und für Velazquez als Kopisten und Neuschöpfer, so ist es im Falle von Deaf Daisy seine/ihre transgressive Identität als Transvestit, die eine Figur der Überschreitung darstellt. Auch hier wird ein bestimmter kulturell-gesellschaftlicher Code wiederholt und zugleich usurpiert. Deaf Daisy bricht mit ihrem/seinem Cross-Dressing in die Welt der binären Unterscheidungen ein, die ihre augenfälligste Repräsentation in der Kleiderordnung findet. Als ein System der Repräsentation ist die Kleiderordnung stets auf Wiederholung angelegt. Das “Re-” der “Repräsentation” signalisiert diese Wiederholung, die neben der Mobilität, die an der Kleiderordnung besonders deutlich wird, auch ein besonders scharf hervortretendes Element der Restriktion enthält. Denn gerade in Kleidung und Mode, dem, was als akzeptabel und was als gewagt gilt, zeigen sich gesellschaftliche Normen und Grenzen, aber auch Veränderungen dieser häufig ungeschriebenen Gesetze besonders auffällig. Die Überschreitung der durch die Kleidung markierten Grenze ist die
03-W4414.indd 307
9/4/07 1:27:41 PM
308
Sebastian Wogenstein
performative Praxis, durch die sich Deaf Daisy als Transvestit ausweist. Deaf Daisy scheint das Sprichwort, daß Kleider Leute machen, nicht nur mit Blick auf seine/ihre eigene Identitätskonstruktion ernst zu nehmen, sondern auch in seiner/ihrer Wahrnehmung anderer. Kleidung wird hier nicht etwa nur als Maskerade verstanden, vielmehr konstituiert—ganz im Sinne des etymologischen und eigentlich metonymischen Hintergrundes unseres Personenbegriffs, der auf die Theatermaske, persona, verweist— die Kleidung performativ die Figur. Dies zeigt sich beispielsweise, wenn er/sie von seiner/ihrer Herkunft spricht: “Mein Vater war eine rostbraune taillierte Jacke mit Samtkragen, unecht, und einem Manschettenknopf am linken Ärmel seines Hemdes. Meine Mutter hauptsächlich ein mauvefarben geblümter Wickelrock mit Totenköpfen am Saum. Oben trug sie nichts.” (42) Deaf Daisy führt diese Metonymie konsequent fort, wenn er/sie von den Eltern spricht. Es scheint, als erlaube nur diese vollständige und ausschließliche Materialisierung auf rhetorischer Ebene, die seine/ihre Eltern auf deren Kleidung reduziert, den narrativen Zugriff auf das traumatisierende Kindheitserlebnis, das nach Deaf Daisys Angaben auch seine/ihre Taubheit begründet: MEDEA Wie haben Sie Ihr Gehör verloren. DEAF DAISY Die Jacke schoß dem Wickelrock das Gehirn aus der Fassung. Es flog rechts und links an mir vorbei, ein Teil blieb in meinen Haaren kleben. Ich, ein Kind, hatte einen Hörsturz.—Das erste Lied, das ich lesen lernte, heißt “Accidents will happen”. Daran halte ich mich. (43)
Eine wichtige Rolle übernimmt Deaf Daisy in Medeas mörderischer Intrige, indem er/sie aus den ätzenden Abwässern der Sweatshops, die “von der Färberei in den Fluß hinausgepumpt werden,” ein hochgiftiges, explosives, rotes Kleid besorgt, das Medea dem naiven Jason als Hochzeitskleid überreichen wird, ein Geschenk für dessen junge Braut (59). Deaf Daisy scheint sich so tatsächlich an das Lied von Elvis Costello (1979) zu halten, daß “accidents” entgegen der kontextfreien Lesart des Liedtitels gerade nicht als zufällig betrachtet und darüber hinaus die Unterscheidbarkeit zwischen Opfer und Täter in Frage stellt, wie der Refrain zeigt: Accidents will happen We only hit and run He used to be your victim Now you’re not the only one.
An die Stelle des traditionellen weißen Brautkleides setzt Medea ein rotes. “Rot zur Hochzeit,” verkündet Medea ominös, soll das Kleid zugleich “eine zweite Haut vom Hals bis zu den Fußknöcheln und den Handgelenken” bilden. Dem unentschiedenen Jason, der am liebsten beide Frauen, Medea und Claire, als Bräute hätte (58f.), überreicht Medea das Kleid, und dieser bemerkt nicht die Ambivalenz in Medeas Worten, “[e]s wird nur eine Braut geben” (44, 59).
03-W4414.indd 308
9/4/07 1:27:41 PM
Dea Lohers Manhattan Medea
309
Die Frage nach Original und Kopie, die in Manhattan Medea bereits im Gespräch zwischen doorman Velazquez und Medea im Zentrum steht, wird hier erneut, wenngleich auf subtilere Weise, verhandelt. Die Hochzeit ist in ihrer traditionellen Konstruktion ein Akt, der zugleich als ein gesellschaftliches Ritual auf Wiederholung und in seiner individuellen Durchführung auf Einmaligkeit ausgerichtet ist. Zu diesem Schema gehört eine Kostümierung, die gerade durch ihre prohibitive und fast zwanghaft auf Eindeutigkeit zielende Logik zur Parodie oder Überschreitung reizt. Marjorie Garber bringt diesen Aspekt auf den Punkt, wenn sie schreibt, “[i]t is in the discussion of ‘marriage’ that the necessary questioning of the ‘original’ and the ‘copy’ has taken its most effective form,” und mit Blick auf die Rolle des Brautkleids hinzufügt, “[w]hat gets married is a dress.” 26 Das Brautkleid, das Claire in Manhattan Medea zum Verhängnis wird und sie am Ende des Stücks, wie die Bühnenanweisung suggeriert, in eine menschengroße Fackel verwandelt, ist so nicht nur als rhetorische Figur eine Haut. Die Kleidung ist nicht einfach zu trennen vom Körper, ein bloßer Überwurf, unter dem sich “das Wahre” verbirgt, sondern als eine Bezeichnungspraxis, die sich im gesellschaftlichen Code bewegt und von diesem abhängig ist, stellt sie ein konstitutives und doch auch immer schon ideologisches Element der Subjektbegründung dar. Zugleich aber ist der Akt des Sich-Kleidens als eine Form von Bezeichnungspraxis eine Möglichkeit politischen Handelns.27 Kleidung als potentiell subversive Handlungsmöglichkeit in einem Signifikations- und Resignifikationsprozeß zu verstehen, der soziale Subjekte hervorbringt, läßt Wege alternativer Geschlechtsidentitäten jenseits der zwanghaft binären Unterscheidung aufscheinen, wie das etwa für Deaf Daisy als Transvestiten gilt. Cross-dressing ist offenbar beides, eine Reproduktion der gesellschaftlich dominanten Kleiderordnung und zugleich deren Modifikation im Sinne einer Setzung innerhalb und jenseits des bereits Gesetzten. Die Gewalt, die der Akt des Cross-Dressings der Kleiderordnung antut, die doch gerade darauf ausgerichtet ist, eine eindeutige Unterscheidung treffen zu können, bei der dem Signifikanten auch das darunter liegende “wahre” Signifikat entspricht, liegt in deren Entmachtung durch Aufzeigen der arbiträren Zuordnung. Denn die auf Wiederholung basierende Ordnung, die ein kontinuierliches Kopieren der vorgegebenen Gleichung erfordert, entpuppt sich als nicht mehr anwendbare Matrix. Das Cross-Dressing, das nach außen eine eindeutige Geschlechtsidentität signalisiert und in vielen Fällen eine auf Perfektion zielende Kopie im Rahmen der auf Unterscheidung zielenden Kleiderordnung zu sein scheint, erweist sich als eine “Neuschöpfung.” Cross-Dressing ist der binären Kleiderordnung gegenüber subversiv, crosses out, durchkreuzt die für sie konstitutiven Zuordnungsoperationen. In Manhattan Medea ist es das rote Kleid, das die Ordnung der Familie, die mit Jasons und Claires Hochzeit ihre rituelle Grundlage erhalten soll, noch vor ihrem Zustandekommen zerbricht. Das geschenkte Brautkleid,
03-W4414.indd 309
9/4/07 1:27:41 PM
310
Sebastian Wogenstein
Gründungs-Insignie der Familienordnung, entspricht schon in seiner Farbe nicht dem traditionellen Code, dessen Weiß die Unschuld signalisieren soll. Ist das rote Brautkleid in seiner fast aufdringlichen Sinnhaftigkeit nur ein billiger dramaturgischer Effekt? Auch in einem früheren Medea-Stück, Heiner Müllers Medeamaterial (verfaßt 1968), trägt das vergiftete Brautkleid die Farbe des Blutes:28 Mein Brautkleid nimm als Brautgeschenk für deine Schwer geht das Wort mir von den Lippen Braut [. . .] Das Kleid der Liebe meiner andern Haut Gestickt mit Händen der Beraubten aus Dem Gold von Kolchis und gefärbt mit Blut Vom Hochzeitsmahl aus Vätern Brüdern Söhnen Soll deine neue Liebe kleiden wie In meiner Haut dir nah sein wird ich so29
Müllers Medeamaterial unterstreicht wie Lohers Manhattan Medea den Zusammenhang zwischen Kolonialisierung und männlicher Besitzergreifung, gegen die sich die Medea-Figuren durch die Zerstörung des Eigenen zur Wehr setzen. Ausbeutung, Verrat und Gewalt sind die Charakteristika der männlichen Figuren in Medeamaterial wie auch in Manhattan Medea. Sei es der von der Globalisierung profitierende Sweatshop-Boss, der Medeas aggressives Potential erkennt und fürchtet—“Ich bewundere dich für deine Härte” (51) —, Jason, der seine Mutter ertränkt, oder der Bruder, der die schwangere Medea auf dem Schiff mit einem Rohr zu schlagen versucht, um einen Abort zu erreichen—“Ich erschlage schlage dein Fleisch Hexe” (57) —, alle Männerfiguren zeichnen sich durch Skrupellosigkeit und kalkulierte Gewaltausübung zur Machtbefestigung aus. Die in der binär-ideologischen Geschlechterdichotomie diametral entgegengesetzten Figuren besonders feminin gezeichneter Frauen, Jasons Mutter, die das patriarchale Ideal mütterlicher Selbsthingabe und Selbstaufgabe verkörpert,30 und Claire, “süß, das Vögelchen, [. . .] ein Engel, [. . .] eine echte Schönheit” (13), werden lediglich im Gespräch erwähnt und betreten in Manhattan Medea nicht die Bühne. Während der Mutter die Rolle der sich selbst Aufopfernden zugeschrieben wird, nennt Jason seine künftige Braut “Unschuld” (38), und auch Medea bezeichnet sie im Gespräch mit Deaf Daisy als “Unschuld” und “Schönheit” (54f.). Medeas Frage, “Sollte ich Mitleid mit der Schönheit haben,” beantwortet Deaf Daisy mit der plakativen Umkehrung der Goetheschen Trias vom “Wahren, Guten, Schönen,” 31 die zum Inbegriff des klassischen Kunstverständnisses geworden ist: “Schönheit— die Lüge im Auge des Betrachters” (55). Die “Schönheit” wird sodann auch in der letzten Szene von Manhattan Medea verbrannt: “In der Tür des Hauses erscheint eine Fackel, menschengroß, lodernd” (61). Obwohl es zunächst scheint, als folge Manhattan Medea darin den Vorlagen—wobei Grillparzer die Flamme aus einem Gefäß schießen läßt
03-W4414.indd 310
9/4/07 1:27:41 PM
Dea Lohers Manhattan Medea
311
und eine Anekdote über Kreusas, ihren Tod antizipierendes Kindheitstrauma des Sich-Verbrennens einfügt,32 Müllers Medea gar davon spricht, “die Braut zur Hochzeitsfackel machen” zu wollen33 —, läßt sich die menschengroße Fakkel in Lohers Stück nicht ohne weiteres und ausschließlich als die brennende Braut verstehen. Die Belohnung für das Besorgen des explosiven Kleides soll ein “Schauspiel” sein, fordert Deaf Daisy: “Wird es eine Komödie, wird es eine Tragödie, es tut nichts, wenn es nur ein echtes Spiel ist.” Und Medea bietet hierauf ein “Feuerwerk” an, “[d]ie Unabhängigkeit, am East River zu feiern,” fügt Deaf Daisy hinzu (54).
“Wird es eine Komödie, wird es eine Tragödie, es tut nichts” Das “echte Spiel” im Spiel, das den Zuschauern mit der menschengroßen Fakkel präsentiert wird, scheint zunächst ein Spiel gegen die Dopplung zu sein, die konstitutiv für das Theater ist. Gefordert wird ein authentisches Spiel, das nicht Kopie ist, sondern im emphatischen Sinne “echt.” Im Spiel wird das “echte Spiel” durch die Inszenierung einer nicht wieder rückgängig zu machenden Zerstörung erreicht. Denn die produktionsästhetische Dopplung, d.h. daß Schauspieler spielen, indem sie physisch präsent sind und zugleich die gespielte Figur repräsentieren, wird durch den einfachen Akt der Verbrennung ersetzt. Die Fackel verbrennt und erweist ihre “Echtheit” durch ihr Verbrennen und schlußendliches Erlöschen. Das, was verbrennt, verwandelt sich im Verbrennen, wird zerstört und spielt nicht bloß sein Verbrennen. Dennoch ist das Verbrennen der Fackel auf der Bühne ein repräsentativer Akt, der auf die Figur Claire verweist. Claire wiederum erscheint nicht in der Liste der zu besetzenden Figuren und tritt vielmehr als Allegorie der Unschuld und Schönheit auf. Welcher Art wäre nun die Unabhängigkeit, die beim Verbrennen dieser Allegorie gefeiert würde? Wenn der Satz, “what gets married is a dress,” stimmt, dann, so ließe sich schlußfolgern, ist das, was hier verbrannt wird, “ein Brautkleid.” Wie der Akt der Hochzeit ein “echtes Spiel” ist, so auch der Akt des Verbrennens. Ein zynischer Gedanke, daß beides das in Szene gesetzte Ende der “Unschuld” bezeichnet. Ist das eine Tragödie, ist es eine Komödie? Heiner Müllers Medea spricht ebenfalls vom Verbrennen als einem Schauspiel, allerdings bezogen auf die Figur Kreusa: Jetzt schreit sie Habt ihr Ohren für den Schrei So schrie als ihr in meinem Leib lagt Kolchis Und schreit noch Habt ihr Ohren für den Schrei Sie brennt Lacht ihr ich will euch lachen sehn Mein Schauspiel ist eine Komödie Lacht ihr34
Walter Benjamin vertritt in seinem Aufsatz über “Schicksal und Charakter” die Auffassung, daß im Gegensatz zur “mythischen Verknechtung der Person
03-W4414.indd 311
9/4/07 1:27:41 PM
312
Sebastian Wogenstein
im Schuldzusammenhang” die Komödie mit der Entfaltung des “Charakters,” der “sonnenhaft im Glanz seines einzigen Zuges, der keinen andern in seiner Nähe sichtbar bleiben läßt,” im eigentlichen Sinne das Schauspiel der Freiheit ist.35 Das Hauptmerkmal der Komödie ist nach Benjamin nicht das lachende und gut unterhaltene Publikum, sondern der bis ins Lächerliche verzerrte, alles dominierende Charakter: Er ist die Sonne des Individuums am farblosen (anonymen) Himmel des Menschen, welche den Schatten der komischen Handlung wirft. (Dies führt [Hermann] Cohens tiefes Wort, daß jede tragische Handlung, so erhaben sie auch auf ihrem Kothurn schreite, einen komischen Schatten werfe, seinem eigensten Zusammenhang zu.)36
Die trotzige, widerständige, (auto)aggressive Selbstbehauptung, die Medea ist und die ohne Zweifel in ihrer gewaltig-gewaltsamen Manifestation das gesamte Schauspiel überstrahlt und am Ende die Selbstzerstörung herbeiführt, spricht in einem solchen, wie dem hier beschriebenen Verständnis von Komödie durch den höchsten, sich absolut setzenden Ausdruck der Subjektivierung Medeas für eine Verortung des Stücks zwischen Komödie und Tragödie. Wenn sich dieser Ort nicht genau bestimmen läßt, so liegt das nicht zuletzt an der ästhetisch selbstreflexiven Struktur eines Stücks, das sich selbst die Frage nach seiner Position stellt bzw. sich— wie seine Figuren— als Grenzgänger in verschiedener Hinsicht ausweist. Besonders deutlich wird der transgressive Charakter noch einmal am Ende von Manhattan Medea, wenn anstelle der verbrannten, von Velazquez aus Manhattan geschaffenen Kopie des Velázquez-Gemäldes Der Infant Philipp Prosper (1659) ein Bild Picassos auf der Bühne erscheint: “ Anstelle des ursprünglichen Bildes kann man nun Picassos ‘Las Meninas’ erkennen” (61). Diese Bühnenanweisung ist in mehrfacher Hinsicht irritierend. An die Stelle einer bis zur Ununterscheidbarkeit “originalgetreuen” Kopie tritt ein neues Original, das eine thematische Variation eines anderen Bildes von Velázquez und in gewisser Weise eine “nicht originalgetreue Kopie” ist. Irritierend ist darüber hinaus, daß Las Meniñas nicht ein Gemälde Picassos bezeichnet, sondern eine ganze Serie von Bildern, die alle den Titel Las Meniñas tragen. Diese folgen zum Teil vom Bildaufbau der Vorlage von Velázquez, zum Teil widmen sie sich aber auch einzelnen Elementen der Vorlage, wie der Infantin Margarita oder Dona Maria Augustina Sarmiento.37 Das erste Bild dieser Serie, das auf den 17. August 1957 datiert ist, weist hauptsächlich Grautöne auf, eine Beschränkung der Farben auf Schwarz und Weiß, in der Caroline Kesser “die Grundlage einer (notdürftigen) Reproduktion” sieht, die “dramatisiert und distanziert zugleich.” 38 Auf ihm lassen sich noch die meisten Elemente der Vorlage erkennen, die schwarze Silhouette des bereits erwähnten José Nieto im grellen Licht der Tür, der Künstler mit Palette und Pinseln, der sich in sich selbst zu spiegeln scheint, mit verzerrten oder
03-W4414.indd 312
9/4/07 1:27:42 PM
Dea Lohers Manhattan Medea
313
auch nur schematisch angedeuteten Gesichtern die Infantin und das restliche Personal des Bildes von Velázquez. Die Kronleuchtervorrichtungen hängen wie Fleischerhaken von der Decke. Unter all den bemerkenswerten Elementen der beiden Gemälde von Velázquez und Picasso fallen aber besonders die Spiegel ins Auge. Seit den frühesten Beschreibungen von Velázquez’ Las Meniñas irritiert der Spiegel und das in ihm gezeigte Königspaar die kunsthistorische Forschung. Das Spektrum der Hypothesen reicht dabei von der Interpretation des Spiegels als bloßer Erscheinung, der “nichts, das sich innerhalb oder außerhalb des Gemälde befindet,” reflektiere, über die These, der Spiegel sei eigentlich ein Gemälde bis zu Antonio Palominos Behauptung (1724), das gesamte Bild, das in der Tat lebensgroß gemalt ist und in seiner Perspektive echt erscheint, sei “die Wirklichkeit selbst.” 39 Für Michel Foucault tritt—natürlich eingeschränkt durch das charakteristische “vielleicht” seines Diskurses—in diesem Bild von Velázquez die “Repräsentation der klassischen Repräsentation” zu Tage.40 Der Logik des Bildaufbaus folgend, müßte sich das Königspaar an der Stelle der Betrachter des Bildes befinden: “Der Platz, auf dem der König mit seiner Gattin thront, ist ebenso der des Künstlers und der des Zuschauers. Im Hintergrund des Spiegels könnten und müßten das anonyme Gesicht des Vorübergehenden und das von Velasquez erscheinen.” 41 Das erwähnte erste Bild aus Picassos Las Meniñas zeigt im Spiegel schematisch ein Gesicht, erkennbar lediglich der für Velázquez charakteristische Bart. Das Königspaar ist aus dem Bild verbannt, an ihre Stelle tritt der Künstler, an dessen Platz, mit Foucault zu sprechen, die Betrachter erscheinen könnten und müßten. In Dea Lohers Manhattan Medea erfüllt Picassos Las Meniñas, von dem wir erst im Moment der Aufführung sehen, um welches der Bilder es sich handelt, die Funktion eines Verfremdungseffekts, der selbstreflexiv die Frage nach dem Kopieren, der Wiederholung und neuerschaffenden Variation stellt. Tatsächlich führt das Erscheinen dieser Wiederholung, die eine Neuerschaffung und eine Bezugnahme zugleich ist, die Antwort Medeas auf die Frage des Sweatshop-Bosses nach der Bedeutung des Namens Medea fort. Diese will Medea wörtlich und zugleich ausschließlich genommen wissen: “Der Name bedeutet, was er bedeutet. Mich. Nichts sonst” (46). Medeas Verweis auf sich selbst kann als Selbstreflexion der Subjektivität verstanden werden, wie in Picassos Spiegel aber zieht diese Selbstaussage die Zuschauer ins Innere des Stücks. Vielleicht ist das “echte” Spiel Medeas nichts als eine Emulation des Sujets, das gleichzeitig Subjekt ist. Teilt Manhattan Medea mit der Komödie das sich nicht hinterfragende, souverän selbstbewußte Subjekt, das keine Bedeutung außer sich selbst kennt, so erweist es sich als tragisch, daß es gerade durch den Akt seiner Begründung seinen Tod hervorbringt: “Von jetzt an / werde ich / eine lebend Tote sein” (61). Die entscheidende Frage aber nach dem Verbleib der Betrachter im Spiegel, dem “anonyme[n] Gesicht des Vorübergehenden,” wird in brechtscher Manier an das Publikum verwiesen.42
03-W4414.indd 313
9/4/07 1:27:42 PM
314
Sebastian Wogenstein
1 Johann Wolfgang Goethe, Dichtung und Wahrheit. Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Hrsg. von Erich Trunz. 16. Aufl., Bd. 9 (München: Beck, 1994), 363f. 2 Christa Wolf, Medea. Stimmen. (Frankfurt am Main: Luchterhand, 1996), 9. 3 Jürgen Wertheimer, Hrsg., Ästhetik der Gewalt. Ihre Darstellung in Literatur und Kunst. (Frankfurt am Main: Athenäum, 1986), 49. 4 Ibid. 5 Dea Loher, Manhattan Medea. Blaubart—Hoffnung der Frauen. Zwei Stücke. (Frankfurt am Main: Verlag der Autoren, 1999), 7– 63. 6 Eine umfangreiche, kommentierte und erläuterte Dokumentation der Rezeption des Bildes findet sich bei Caroline Kesser, Las Meninas von Velázquez. Eine Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte (Berlin: Reimer, 1994). 7 Paul Ricœur, “Die Metapher und das Hauptproblem der Hermeneutik,” Theorie der Metapher. Hrsg. von Anselm Haverkamp (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1996), 370. 8 Sigmund Freud, “Das Unbehagen in der Kultur,” Gesammelte Werke. Hrsg. von Anna Freud, Bd. 14 (London: Imago, 1948), 473. Interessant ist in diesem Kontext Nicole Lorauxs Kritik an Freuds Lektüre griechischer Tragödien. Sie hält ihm vor, sich auf Sophokles’ Ödipus beschränkt und damit seinen Horizont zu eng gefaßt zu haben. Im Gegensatz zu Freud, der die Beziehung der Mutter zu ihrem Sohn vom Umschlagen in Aggression ausnimmt, indem er den Satz, Aggression bilde den “Bodensatz aller zärtlichen und Liebesbeziehungener,” fortführt, “vielleicht mit alleiniger Ausnahme der einer Mutter zu ihrem männlichen Kind,” stellt Loraux fest, daß der Kampf der Geschlechter in den imaginären Konstrukten, die die griechischen Tragödien darstellen, durchaus auch die Mutter zur Mörderin der Söhne werden läßt. Dies sei gerade dann der Fall, wenn die Söhne, wie etwa im Falle Medeas, stellvertretend für das Kollektiv der Männer betrachtet werden können oder entscheidende Glieder der Patrilinealität darstellen und damit der besonders schmerzhaften Rache am einstigen Geliebten dienen können. Ein vergleichbares Verhalten der Mutter gegenüber der Tochter sei selbst bei bitterer Feindschaft in keiner der erhaltenen griechischen Tragödien nachweisbar, hier überwiege offenbar die weibliche Solidarität. Nicole Loraux, Mothers in Mourning, Transl. Corinne Pache (Ithaca: Cornell, 1998), 51, 55. 9 Johannes Volkelt, Ästhetik des Tragischen. 4. Aufl. (München: Beck, 1923), 384. 10 Euripides, Medea. Griechisch /Deutsch. Hrsg. und übersetzt von Karl Heinz Eller (Stuttgart: Reclam, 1992), 85. 11 Hans-Thies Lehmann, Theater und Mythos: die Konstitution des Subjekts im Diskurs der antiken Tragödie. (Stuttgart: Metzler, 1991), 188. Beinahe kalauerhaft fügt Lehmann hinzu: “An die Stelle des my´thos tritt der thymós— eigenartig, daß ein Wort das Anagramm des anderen bildet.” Ibid., 189. 12 Wolfgang Schadewaldt, Die griechische Tragödie. Tübinger Vorlesungen. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991), 390. 13 Ibid. 14 Vgl. hierzu den aufschlußreichen Abschnitt zu Medea in Wolfgang Schadewaldt, Monolog und Selbstgespräch: Untersuchungen zur Formgeschichte der griechischen Tragödie. 2. Aufl. (Berlin: Weidmann, 1966), 189 –206. 15 Michel Foucault, “Das Denken des Draußen,” Schriften zur Literatur. Übersetzt von Karin von Hofer und Anneliese Botond. (Frankfurt am Main: Fischer, 1988), 137. 16 In bemerkenswerter Weise entzieht sich allerdings die Figur des Türhüters in Kafkas Vor dem Gesetz sogar der Zuschreibung der Bestechlichkeit. Er ist zwar korrupt in dem Sinne, daß er “Geschenke,” die der Bestechung dienen, annimmt, aber nicht käuflich, da von ihm keine Gegenleistung erbracht wird: “Der Mann, der sich für seine Reise mit vielem ausgerüstet hat, verwendet alles, und sei es noch so wertvoll, um den Türhüter zu bestechen. Dieser nimmt zwar alles an, erwidert aber: ‘Ich nehme es nur an, damit du nicht glaubst, etwas versäumt zu haben.’ ” Franz Kafka, “Vor dem Gesetz,” Erzählungen. Hrsg. von Max Brod. (Frankfurt am Main: Fischer, 1983), 121. 17 Ellen Harlizius-Klück, Der Platz des Königs. Las Meniñas als Tableau des klassischen Wissens bei Michel Foucault. (Wien: Passagen, 1995), 78. 18 Sidur Sefat Emet. Übersetzt von Selig Bamberger. (Basel: Goldschmidt, 1986), 65.
03-W4414.indd 314
9/4/07 1:27:42 PM
Dea Lohers Manhattan Medea
315
19 Jorge Luis Borges, Labyrinths. Eds. Donald A. Yates and James E. Irby (New York: New Directions, 1964), 38. 20 Ibid., 39. 21 Ibid., 42. 22 Ibid., 43. 23 Johann Joachim Winckelmann. Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst (Stuttgart: Reclam, 1995), 4. 24 Vgl. Maria Moog-Grünewald, Hrsg., Das Neue: Eine Denkfigur der Moderne (Heidelberg: Winter, 2002). 25 Vgl. hierzu Immanuel Kants Auseinandersetzung mit dem Geniebegriff und der Frage der Originalität in §§ 46f. der Kritik der Urteilskraft. Werke in zehn Bänden. Hrsg. von Wilhelm Weischedel. Bd. 10 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1974), 241–246. 26 Marjorie Garber, Vested Interests. Cross-Dressing and Cultural Anxiety (New York: Routledge, 1992), 141f. 27 Mit Blick auf diskursive Verfahren der Gender-Identitätskonstruktion beschreibt Judith Butler ein Modell der Konstituierung des Subjekts durch Signifikations- und Resignifikationsprozesse in Gender Trouble, dem meine Überlegungen verpflichtet sind. Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter. Übersetzt von Kathrina Menke (Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991), 211–214. 28 Birgit Haas hat bereits in ihrer Untersuchung zu Dea Lohers Theater auf Ähnlichkeiten zwischen Manhattan Medea und Medeamaterial, vor allem mit Blick auf die Stilmittel, wie Wortwiederholungen, Weglassen des Fragezeichens und Zeilensprünge, hingewiesen. Birgit Haas, Das Theater von Dea Loher: Brecht und (k)ein Ende (Bielefeld: Aisthesis, 2006), 263. 29 Heiner Müller, “Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten,” Stücke. Hrsg. von Joachim Fiebach (Berlin: Henschel, 1988), 189. 30 Vgl. Simone de Beauvoirs pointierte Beschreibung dieses Zusammenhangs: “Die ganze Gesellschaft [. . .] lügt sie [die Frau] an, wenn sie den hohen Wert der Liebe, der Ergebenheit, der Selbsthingabe predigen [. . .] Und darin liegt das schlimmste Verbrechen, das gegen sie begangen wird. Von Kindheit an und ihr ganzes Leben lang verwöhnt, verdirbt man sie, indem man ihr als ihre Berufung jene Selbstaufgabe hinstellt, die jeden Existierenden versucht, der sich vor seiner Freiheit ängstigt.” Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Übersetzt von Eva Rechel-Mertens and Fritz Montfort (Reinbek: Rowohlt, 1979), 669. 31 Johann Wolfgang Goethe, “Epilog zu Schillers ‘Glocke,’ ” Werke. Hamburger Ausgabe, Bd. 1, 257. 32 Franz Grillparzer, Das goldene Vließ. Grillparzers sämtliche Werke in sechzehn Bänden. Hrsg. von Alfred Klaar. Bd. 5 (Berlin: Knaur, 1906), 222 –223. 33 Müller, “Medeamaterial”, 190. 34 Ibid. 35 Walter Benjamin, “Schicksal und Charakter,” Gesammelte Schriften. Hrsg. von Rolf Tiedemann and Hermann Schweppenhäuser. Bd. 2/1 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977), 178. 36 Ibid. 37 Christian Zervos, Pablo Picasso. Œuvres de 1956 à 1957. Tome 17 (Paris: Cahiers d’art, 1966), 115 –140. 38 Kesser, Las Meniñas von Velázquez, 171. 39 Victor I. Stoichita, “Imago Regis: Kunsttheorie und königliches Porträt in den Meninas von Velázquez,” Zeitschrift für Kunstgeschichte 2 (1986), 167. 40 Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. 14. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1997), 45. 41 Foucault, Die Ordnung der Dinge, 44. 42 Zu Lohers Theaterästhetik vgl. Haas, Das Theater von Dea Loher, 37– 82.
03-W4414.indd 315
9/4/07 1:27:42 PM
Comments
Report "“Meine Nachahmung eine Neuerschaffung” – Aneignung und Ent-Stellung in Dea Lohers Manhattan Medea "