Macht der Museen – In Theorie und Praxis

May 22, 2017 | Author: Tanja Becher | Category: Art History, Art Theory, Museum Studies, Museum, Institutional Critique, Kunstgeschichte, Art Theory and Criticism, Kunst, Macht, Daniel Buren, Institutionskritik, Kunstinstitution, Kunstgeschichte, Art Theory and Criticism, Kunst, Macht, Daniel Buren, Institutionskritik, Kunstinstitution
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Macht der Museen In Theorie und Praxis Fallstudie: Institutionskritik seit den 1960er Jahren (nst. K.) Dozentin: Barbara Reisinger Universität Wien WS 2016/17

Tanja Becher 15. Februar 2017


1. Einleitung

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2. Theoretischer Hauptteil

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2.1. Buren, Kontext und Terminologie

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2.2. Rolle, Macht und Funktion des Museums

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2.2.1. Rolle und Macht

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2.2.2. Funktion und Macht

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2.3. Zeitgenössische Kommentare

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2.4. Konklusion der Theorie

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3. Anwendung der Theorie

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3.1. Peinture-Sculpture

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3.2. House of Terror

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4. Zusammenfassung

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Literaturverzeichnis

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Abbildungsnachweis

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Abbildungsverzeichnis

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1. Einleitung Museen als gesellschaftlich anerkannte Kulturinstitutionen besitzen eine unumstrittene Machtposition gegenüber den potentiellen Ausstellern, den Besuchern und der Kunstwelt im Allgemeinen, aber auch über diese hinaus. Ziel dieser Arbeit ist es, die Strukturen und Mechanismen dieser Macht zu untersuchen. Ausgehend von den Texten des bildenden Künstlers Daniel Buren (*1938) werden drei verschiedene Machtbegriffe begründet und anschließend an zwei Beispielen erläutert – an Burens Werk Peinture-Sculpture und dem House of Terror -Museum. Daniel Buren gilt als einer der wichtigsten Vertreter der institutionskritischen Kunst seit den 1960er Jahren. Zusätzlich zu seinen visuellen Werken hat Buren zahlreiche Texte verfasst, in denen er scheinbare Selbstverständlichkeiten der Kunstszene zu durchleuchten ersucht. Besonders die Institution Museum wird von ihm in Bild und Text eingehend analysiert. Um die Hauptthesen seiner Kritik auszuarbeiten, wird hier in erster Linie auf Funktion des Museums aus dem Jahre 1970 eingegangen, in der er drei Rollen und drei Funktionen des Museums differenziert und beschreibt. Mithilfe dieses Textes werden drei Begriffe der Macht der Museen herausgearbeitet. Kontextualisiert und erweitert werden Burens Texte durch die Artikel Museum/Ausstellung aus Ästhetische Grundbegriffe, Funktionswandel des Museums des Kunstwissenschaftlers Werner Hofmann (1928–2013) sowie Die Kunst der Kunstpolitik: Kunstpolitik im Spannungsfeld zwischen Zensur und Marktversagen von Elisabeth Mayerhofer, Monika Mokre und Paul Stepan. Durch die Gegenüberstellung der Hauptthesen Burens, inklusive neu entworfener Machtbegriffe, mit Burens Beitrag Peinture-Sculpture für die sechste Guggenheim International Ausstellung in New York, wird die Frage untersucht, wie durch sein Werk die Rolle, Funktion und Macht des Museums entblößt wird. Als Quelltext über die Ausstellung und das Werk dient der Artikel The Turn of the Screw: Daniel Buren, Dan Flavin, and the Sixth Guggenheim International Exhibition des US-amerikanischen Kunsthistorikers Alexander Alberro (* 1957). Des Weiteren wird Burens Theorie und die erweiterten Machtbegriffe auf eine mögliche Ausweitung auf Museen im Allgemeinen – über die Kunstinstitution hinaus – untersucht. Hierzu bietet sich das ungarische Museum House of Terror an, welches über die Grausamkeiten des Nationalsozialismus und des Kommunismus aufzuklären sucht. Durch seine außergewöhnliche visuelle und auditive Konzeption sticht es aus der Menge der meist neutraleren Zurschaustellungen heraus. Da die Objekte nicht einfach dargelegt, sondern klar in ein bestimmtes Licht gerückt werden, wird ein direkterer Einblick in vorliegende Machtverhältnisse ermöglicht.

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Ziel dieser beiden Anwendungen ist es, Burens Theorie auf zwei verschiedene Arten mit der Praxis zu verknüpfen, wodurch diese besser durchleuchtet und verstanden werden kann. Zu guter Letzt werden die Ergebnisse der Untersuchung präsentiert und weitere Optionen aufgezeigt.

2. Theoretischer Hauptteil 2.1. Buren, Kontext und Terminologie Der französische Künstler Daniel Buren ist nicht nur für seine 8,7 cm breiten weiß-farbig wechselnden Streifen bekannt, sondern auch als Kunsttheoretiker. Parallel zu seinen praktischen Arbeiten veröffentlicht er deren theoretische Ausführungen, in denen er sich besonders mit dem Museum als scheinbar notwendigen Ort der „Initiation von Kunstwerken“1 auseinandersetzt. Durch seine Installationen und Schriften gilt er als einer der wichtigsten Vertreter der Institutionskritik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Als Institutionskritik wird die „Kunst der Beurteilung“2 von Institutionen verstanden. Kritik bedeutet ursprünglich „das unterscheidende und urteilende Vermögen des gebildeten Menschen“3 ; anders als im Alltagsgebrauch, in dem diese als die Suche von negativen Eigenschaften gedeutet wird. Tendenziell zielt Kritik auf reflektierte Voraussetzung und Erweiterung von Freiheit zur Infragestellung von Vorurteilen und Normensystemen. Philosophie definiert Kritik als „Grundform der Auseinandersetzung mit Handlungen, Handlungsnormen und -zielen“4. Institutionskritik bedeutet zusammenfassend Infragestellung, Unterscheidung und Beurteilung von Handlungen, Handlungsnormen und -zielen der Institutionen. Burens Kritik richtet sich nicht nur an Kunstinstitutionen, sondern auch allgemeiner an Gesellschaftshandlungen, -normen und -ziele. Der Begriff des Museums geht auf den „Ort für gelehrte Beschäftigung“5 zurück. Seit dem 18. Jahrhundert bezeichnet Museum öffentliche Sammlungen von künstlerischen und wissenschaftlichen Gegenständen und deren Gebäude.6 Museum bezieht sich jedoch nicht nur auf die Architektur um die Sammlung herum, sondern besteht zusätzlich aus einem komplexen inneren und äußeren Netzwerk aus Handlungen, Normen und Zielen. Der Internationale Museumsrat ICOM nennt in der Definition des Museums Eigenschaften und Funktionen wie Gemeinnützigkeit, Dauer, Studium, Bildung und Erleben materieller und immaterieller Zeugnisse von Menschen und ihrer

Meissner 1997, 193. Brockhaus 2006a, 786. „Kritik (frz. von griech. kritikḗ (téchnē) »Kunst der Beurteilung«“. Brockhaus 2006a, 787. 4 Brockhaus 2006a, 786. 5 Brockhaus 2006c, 145. Museum: „lat. »Ort für gelehrte Beschäftigung«, von griech. mouseīon »Musensitz«, zu moūsa »Muse«“. 6 Brockhaus 2006c, 145. 2 von 17 1 2 3

Umwelt. Im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung beinhalten die Aufgaben des Museums die Beschaffung, Bewahrung, Erforschung, Bekanntmachung und Ausstellung dieser Zeugnisse.7 Welche Machtbegriffe in diesem Netz entstehen, wird im Folgenden erörtert. Macht wird dabei als Summe aller Kräfte und Mittel verstanden, die dem Museum zur Durchsetzung seiner Absicht zur Verfügung stehen.8 Die politisch-sozialen Nuancen des Machtbegriffes werden ebenfalls in den Texten Burens deutlich. So bereits zu Beginn des zu untersuchenden Textes Funktion des Museums, indem er darauf aufmerksam macht, dass die Rollen des Museums aus „gesellschaftspolitischen Gründen in den verschiedenen Museen […] in unterschiedlicher Intensität wirken“9 .

2.2. Rolle, Macht und Funktion des Museums Buren erteilt Museen in Funktion des Museums (1970) eine ästhetische, eine ökonomische und eine mystische Rolle, und die Funktionen Aufbewahren, Sammeln und Zufluchtsort. Wie in Burens Text, soll auch im Folgenden der Begriff des Museums nicht einzig auf Kunstmuseen bezogen werden, sondern Galerien und ähnliche Orte mit kulturellem Anspruch einschließen. Im theoretischen Hauptteil werden die von Buren herausgearbeiteten Rollen und Funktionen kritisch analysiert und um die in dieser Untersuchung entstehenden Machtbegriffe erweitert.

2.2.1. Rolle und Macht Die erste Rolle des Museums nennt Buren die ästhetische. Sie bezieht sich auf den realen Träger, „in den das Werk sich einschreibt“10. Gemeint ist hier das konkrete Materielle wie Leinwand, Wand, Vitrine.11 Werke werden stets unter einem bestimmten topographischen und kulturellen Kontext verstanden: sowohl konkret, beispielsweise dem Ausstellungsort, als auch theoretisch, mit dargebotenen historischen Informationen. Da die Museumsästhetik Werke in beiden Ebenen kontextualisiert, entsteht aus der ästhetischen Rolle die kontextualisierende Macht. Objekte werden aus deren ursprünglicher Umwelt und Nutzungsweise entrissen. Das Museum wählt bestimmte Werke zu Ausstellungszwecken aus, wodurch manche innerhalb der Sammlung privilegiert und auch außerhalb der Sammlung als wertvoller eingestuft werden. Es entstehen die innere und die äußere Hierarchie. Dies sichert das Bekanntwerden und den Konsum der Werke. Jedes erhält einen kommerziellen Wert. Dies ist laut Buren die ökonomische Rolle des Museums. Durch den Fokus auf Auswahl und Bewertung, ist dies die hierarchisierende Macht der Museen. ICOM n.d. Brockhaus 2006b, 363: „Im allgemeinsten Verständnis bezeichnet M. die Summe aller Kräfte und Mittel, die einem Akteur […] gegenüber einem anderen Akteur zur Durchsetzung einer Absicht zur Verfügung stehen.“. 9 Buren 1995b, 144. 10 Buren 1995b, 144. 11 Buren 1995a, 128–129. 3 von 17 7 8

Die dritte Rolle der Museen – die mystische – verleiht den Ausstellungsobjekten „umgehend den Status der »Kunst«“12 . Durch diese automatische Kontextualisierung des Objektes als der Kunst zugehörend durch den Ort und die Institution des Museums, wird die Infragestellung der eigentlichen Grundlagen der Kunst im Allgemeinen verhindert oder zumindest gestört. „Das Museum […] ist der mystische Leib der Kunst.“13, so Buren. Burens mystische Rolle der Museen setzt sich aus den ersten zwei (ästhetische und ökonomische) Rollen zusammen, da durch den künstlichen topologischen und kulturellen Kontext und die Hierarchisierung innerhalb und außerhalb der Sammlung die Mystifizierung der Ausstellungsobjekte hervorgerufen wird. Somit entsteht aus der kontextualisierenden und hierarchisierenden Macht als Zusammenschluss die kategorisierende Macht. Dieser Terminus neutralisiert Burens schwer greifbaren Begriff der Mystik. Zwar sind alle drei Rollen und Mächte in jeglichen Museen auffindbar, jedoch variieren sie in ihrer Intensität, was Buren mit der unterschiedlichen Gesellschaftspolitik begründet. Buren macht darauf aufmerksam, dass die Rollen und Mächte des Museums keinesfalls von den ihm umgebenden und mit ihm in Interaktion stehenden Rollen und Mächten der Umwelt unabhängig sind.

2.2.2. Funktion und Macht Buren beschreibt drei Funktionen des Museums: Aufbewahren, Sammeln und Zufluchtsort, die sich aus der Geschichte des Museums entwickelt haben. Das Aufbewahren stellt die ursprüngliche, technische Funktion dar. Heutzutage muss hierbei jedoch zwischen dem Aufbewahren im Museum und in der Galerie entschieden werden: Die Intention des Museums ist meist das Ausstellen von Werken; bei der Galerie hingegen der Verkauf. Zu differenzieren sind daher zwischen dem langfristigen und dem kurzfristigen Aufbewahren. Des Weiteren kann zwischen dem Aufbewahren der Materie, dem Informationsgehalt und dem Wert unterschieden werden. Im Bezug auf das Aufbewahren des materiellen Werkes, sind Museen meist der Öffentlichkeit gegenüber verpflichtet, die aufgenommenen Sammlungen durch Restauration und Konservierung instand zu halten. Dieses physische Aufbewahren als Schutz der anfälligen Werke vor Witterungseinflüssen ist nach Buren die älteste Funktion des Museums. Durch die Instandhaltung der Leinwand und Farben beispielsweise bei einer Malerei, wird jedoch auch der darin dargestellte Inhalt am Leben gehalten. Es wird eine vergangene Realität anhand der

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Buren 1995b, 144. Buren 1995b, 144. 4 von 17

Informationen in einem Objekt aufbewahrt, wodurch laut Buren die „Illusion von Ewigkeit oder aufgehobener Zeit“14 entsteht, was die Ideologie der Kunst stärkt. Diese scheinbare Zeitlosigkeit erhält den Wert der Werke aufrecht. Bereits die Idee des Aufbewahrens ergibt nur Sinn im Zusammenhang mit dem Glauben an die Ewigkeit oder zumindest die Zukunft. Ohne Wert des Objektes wäre das Aufbewahren ebenso sinnfrei. Der Originalkontext des Werkes kann zwar nicht gänzlich aufrechterhalten bleiben, ein selektives Aufbewahren bestimmter Teile – materiell oder immateriell – ist jedoch möglich. Durch neue Untersuchungen, welche ein Objekt oder dessen Kontext in den Fokus der neuen Zeit rücken, und das wiederholte Ausstellen der Sammlung, wird die Relevanz der Sammlung gesichert. So bleiben die Idee der Ewigkeit und der Wert des Werkes intakt. Konventionen werden hierbei selten hinterfragt. Nichts sei zum Aufbewahren geeigneter als Kunstwerke15: Buren wirft der Kunst des 20. Jahrhunderts ironisch vor, bruchlos das System, die Mechanismen und die Funktion des Museums des 19. Jahrhunderts, der Blütezeit des Museums, übernommen zu haben. Selbst Kritiker des Systems seien an dem „lähmende[n] Mechanismus“ gescheitert, „ohne eines der wichtigsten Alibis“ aufgedeckt zu haben: den Rahmen der Ausstellungen.16 Dieser wird meist als gegeben hingenommen und in diesen zwingt das Museum das Ausgestellte durch seine kontextualisierende, hierarchisierende und kategorisierende Macht – was ein „tiefgreifender und nicht rückgängig zu machender Vorgang“17 sei. Ein Beispiel dafür ist, dass man sich an ein im Museum gesehenes Werk meist nicht ohne den physischen und nicht-physischen Kontext erinnern kann. Hierbei wird vor allem die kontextualisierende Macht des Museums deutlich. Die zweite Funktion des Museums stellt laut Buren das Sammeln dar. Beim Sammeln sei das Aufbewahren nicht die einzige Intention des Museums, sondern zusätzlich das Schaffen eines kulturellen und visuellen Monopols, unter dem die Werke erfasst werden. Die Interaktivität von Museen wäre ein Gegenargument: Werke werden verliehen, gemeinsame (Wander-)Ausstellungen konzipiert. So ist beispielsweise die erste große, europäische Alice Neel -Ausstellung als Zusammenarbeit des Hauptproduzenten Ateneum Art Museums in Helsinki mit dem unabhängigen Kurator Jeremy Lewison entstanden und als Wanderausstellung zusätzlich im Gemeentemuseum den Haag, in der Fondation Vincent van Gogh Arles und in Hamburgs Deichtorhallen zu sehen.18

Buren 1995b, 145. Buren 1995b, 146. 16 Buren 1995b, 146. 17 Buren 1995b, 146. 18 Ateneum 2016. 14 15

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Dass trotzdem Kunstinstitutionen im Allgemeinen einen Monopol der Kunstdarstellung einnehmen, geht wiederum mit Burens Argument einher. Zu rechtfertigen wäre dieses, indem man statt der Macht eines einzelnen, von der Macht der Gesamtheit der Museen spricht. Burens Theorie präsentiert sich dem Museum gegenüber skeptisch: „Das Museum ist ein abgegrenzter Bereich, in dem die Kunst entsteht und verlorengeht: zugrunde gerichtet von dem Rahmen, der sie präsentiert und konstituiert.“19 Er malt mit seiner Schrift ein Bild der Mumifizierung der noch lebenden Werke: durch die (Re-)Kontextualisierung der Objekte im Museum, wird das Werk und dessen Wert zwar künstlich am Leben gehalten, gleichzeitig jedoch erstickt. Ob dies tatsächlich zutrifft, ist in Frage zu stellen, da heutzutage Museen oft nach Interaktion mit dem Publikum und der Vergangenheit der Objekte streben. So werden neuartige Kunstprojekte gefördert, wie beispielsweise Mierle Lateran Ukeles’ Maintenance Art vom Queens Museum in New York, in dem sie die Grenzen zwischen Kunst und Instandhaltung verwischt.20 Ein Großteil der Maintenance Art besteht aus Performances, die nicht im Museumsgebäude stattfinden. Dennoch könnte man argumentieren, dass das Projekt in diesem Maße erst durch die museale Unterstützung ermöglicht wurde, da das Museum als Institution dennoch den Rahmen des Projektes bildet. Buren würde wohl behaupten, dass das Projekt in den musealen Kontextrahmen gezwängt und dadurch erstickt wurde. Durch Burens eigene Tätigkeit innerhalb des Kunstkontextes ist er sich dieses Konflikts der Argumentation wahrscheinlich bewusst. Das eigentliche Problem ist jedoch nicht der Rahmen selbst, sondern das unbewusste und unreflektierte Hinnehmen des Rahmens. Durch das Sammeln wird das historisch-soziologische Eigengewicht der Werke vereinfacht und gesichert und gleichzeitig die Bedeutung des Museums erhöht. Dies ist kaum vermeidbar; das Problem jedoch stellt die Unbewusstheit dieser Verschiebung dar. Die Geschichte, die physische Präsenz und das kulturelle Gewicht des Werkes und des Museums werden meist nicht differenziert, sondern als ein Ganzes wahrgenommen. Dies wird besonders in den Sammlungen der Museen deutlich, welche vereinfachend Werke oder KünstlerInnen zu Bewegungen zusammenfassen und diese als Gesamtheit – inklusive Institution – präsentieren. Zwei Sammlungstypen sind zu unterscheiden: die Gruppen- und die Einzelsammlung; entsprechend die Gruppen- und Einzelausstellungen. Erstere ist eine durch die hierarchisierende Macht „erzwungene Mischung von unterschiedlichen Dingen“21 . Laut Buren wird nach dem kommerziellen Wert der Objekte selektiert, wodurch eine finanzielle Hierarchie innerhalb der Gruppensammlung entsteht. Bereits dieses

Buren 1995b, 147. Queens Museum 2016. 21 Buren 1995b, 148. 19 20

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Unterscheiden sei falsch, da die künstliche Zusammenstellung von Werken und KünstlerInnen einen Vergleich zwischen oft unvergleichbaren Dingen erzwingt.22 Ebenso geschieht eine ökonomische Selektion bei der Erstellung und Instandhaltung einer Einzelsammlung durch die hierarchisierende Macht innerhalb der Gesamtproduktion eines Kunstschaffenden: eine Einteilung in Klassiker, Nebenprodukte und weniger gelungene Werke. Diese Gruppenbildung ist zusätzlich der kategorisierenden und kontextualisierenden Macht zuzuordnen; letzteres der kulturellen und finanziellen Einbettung wegen. Durch die innere Hierarchie stärken die weniger relevanten Werke den finanziellen und kommerziellen Wert der vermeintlichen Erfolgsstücke. Das Sammeln stärkt daher vor allem den finanziellen Wert der Werke innerhalb der Institutionen und somit den finanziellen Wert der Institution als Gesamtheit. Die dritte und somit letzte Funktion des Museums ist das Dienen als Zufluchtsort. Dieser Begriff hat bereits eine positive Konnotation, da er eine mögliche Flucht vor etwas Bedrohlichem durch das Museum impliziert. „Das Museum ist ein Hort“23 , welches Schutz vor Witterung und Vergänglichkeit bietet, wie bereits in der Funktion des Aufbewahrens erwähnt wurde. Laut Buren ist jedes Kunstwerk dafür gemacht, Zuflucht im Museum zu suchen. Dabei bezieht er in seinem Text Grenzen/Kritik auch Land Art mit ein, welches zwar außerhalb des Museumsgebäudes initiiert wird, dessen Dokumentation jedoch wieder Zuflucht im Museum findet. Anstatt die Problematik des Ortes aufzuwerfen, versucht Land Art lediglich an alternative Orte zu fliehen; und das vergeblich. Dies kritisiert Buren, da der Ausstellungsort einen großen Einfluss auf das präsentierte Werk ausübt. In Grenzen/Kritik stellt Buren mithilfe von Text und Graphiken die verschiedenen Rahmen dar, die jedes Kunstwerk – wie auch jedes andere museale Objekt – unausweichlich besitzt: beispielsweise bei einer Malerei die Rahmung selbst, das Material des Trägers, den kulturellen Ort und die kulturellen Grenzen (Epoche im Allgemeinen; Medien im besonderen). Diese lassen sich zwar nicht vermeiden, jedoch reflektieren. „Nur das (willentliche) Vergessen dieser wesentlichen Faktoren kann den Glauben an eine unsterbliche Kunst oder an den Ewigkeitswert eines Werkes aufrechterhalten.“24 Diese konstruierte Ewigkeit bezieht sich nicht nur auf das Werk, sondern auch auf den Menschen an sich. Die Darstellung der vermeintlich objektiven und apolitischen Zeit und Geschichte der Objekte impliziert das selbe für den Menschen. Die Konventionen und Mechanismen des Museums werden stabil gehalten. Durch die Nicht-Sichtbarkeit, das NichtNennen und das Nicht-Aufdecken der existierenden Rahmen, werden ebenso Konventionen und

Buren 1995b, 148 Buren 1995b, 149. 24 Buren 1995b, 150. 22 23

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Mechanismen der Gesellschaft aufrechterhalten. Geschichte und Wirklichkeit werden durch aktive – wenngleich nicht notwendigerweise bewusste – Transformation des Ausgestellten uniformiert. Burens Funktionen des Museums lassen sich in folgendem Satz zusammenfassen: Das Museum bewahrt auf, es sammelt und bietet Schutz. Die Funktion des Museums als Zufluchtsort wird von Buren auf ähnliche Aspekte bezogen, wie die des Aufbewahrens, wodurch diese beiden Funktionen nicht unabhängig voneinander definiert oder verstanden werden können. Zwar hängen insgesamt alle Funktionen, Rollen und Mächte des Museums stark zusammen, jedoch wäre eine Begründung der dritten Funktion unabhängiger von der ersten für dessen Rechtfertigung von Nöten.

2.3. Zeitgenössische Kommentare Buren ist bei weitem nicht der einzige, der sich mit dem Thema Museum kritisch auseinandergesetzt hat. Um Funktion des Museums und damit auch dieser Arbeit einen erweiterten Kontext zu verleihen, werden im Folgenden Aspekte der Rolle, Funktion und Macht des Museums kurz am Lexikon ästhetischer Grundbegriffe, an dem Text Funktionswandel des Museums von Burens Zeitgenossen Hofmann und an Die Kunst der Kunstpolitik von Mayerhofer et al. gespiegelt. Die europäische Institution des Museums entstand vor etwa 200 Jahren.25 Noch heute nimmt es eine zentrale kulturelle Position ein, wobei das moderne Museum eine Reflexion von Vergänglichkeit und Heterogenität bejaht, anders als in Burens Schriften behauptet. In Ästhetische Grundbegriffe wird beschrieben, wie „[i]n seiner repräsentativen Dimension […] der museale Raum Ausdruck einer Macht“26 ist. Die politische und ökonomische Macht werden genannt, die fest mit den drei in dieser Arbeit entwickelten Mächten in Verbindung stehen. In die politische spielt beispielsweise die hierarchisierende Macht mit ein, da das politische System Einfluss auf die Auswahl der ausgestellten und gesellschaftlich akzeptierten Werke hat – man bedenke die Zensur entarteter Kunst im dritten Reich. Ebenso kann die hierarchisierende Macht ökonomische Auswirkungen für das Museum entwickeln. Diese Position vertritt auch der österreichische Kunsthistoriker Werner Hofmann (1928–2013) in seinem Aufsatz Funktionswandel des Museums aus der Textsammlung Gegenstimmen – Aufsätze zur Kunst des 20. Jahrhunderts. Diese erschien etwa neun Jahre nach Burens Stellungnahme, im Jahre 1979, und ermöglicht eine interessante Kontextualisierung der Texte Burens innerhalb der Kunsttheorien seiner Zeit. Anders als Buren, der die vorliegende Situation lediglich kritisiert, entwickelt Hofmann ein Konzept eines neuen Museumsideals. Hierbei spricht er einige Punkte an, die Burens Funktionen 25 26

Vedder 2010, 148. Vedder 2010, 185. 8 von 17

des Museums ähneln. Anfangs differenziert Hofmann zwischen den zwei üblichen Meinungen über das Museum als Tempel versus Gefängnis der Kunst. Sehe man das Museum als Tempel sei man Fürsprecher des Museums, sehe man es als Gefängnis würde man zum Gegner des Museums, so Hofmann – wodurch Buren als Gegner des Museums eingestuft werden könnte. Dies wäre jedoch ein Missverständnis, da Buren selbst in zahlreichen Museen ausgestellt hat und noch immer ausstellt. Statt Buren einen Gegner zu nennen, ist der Begriff des Kritikers hier passender. Analog zu Burens Funktionen des Museums Aufbewahren und Zufluchtsort, merkt auch Hofmann an, dass das Museum Kunstwerke unbefleckt und von der alltäglichen Wirklichkeit abgetrennt aufzubewahren sucht. Dies gilt nicht allein für Kunstwerke, sondern schließt auch museale Objekte im Allgemeinen ein. Laut Hofmann wurden im 19. Jahrhundert „Museen zu Inseln des Schönen inmitten einer sich verhäßlichenden Welt“, zu „ästhetischen Kirche[n]“27 , zu Schutzräumen, zu Zufluchtsorten der Kunst. Ebenso lässt sich in beiden Theorien Kritik an der hierarchisierenden Macht finden, die in der Zusammenstellung der dargebotenen Ausstellungsobjekte sichtbar wird.28 Ein weiteres Vergleichsbeispiel findet sich im Aspekt der „müden, vergangenheitssüchtigen Selbstbespiegelung“, welche wie bei Buren ein „Wunschbild der reinen Objektivität“29 – sowohl des Ausgestellten als auch der Gesellschaft – propagiert. Hofmann sieht hier jedoch als Ausweg, das Museum lebendiger, subjektiver und zeitnäher zu gestalten, wodurch der Anspruch auf Objektivität und Ewigkeit verringert werden würde. Er beschreibt ein neues Museum, das sich der Wirklichkeit außerhalb der Institution öffnet und eine Behausung für Kunst bietet, die sonst kein Heim hat. Anders als Buren, beschreibt Hofmann einen Funktionswandel des Museums seit dem 19. Jahrhundert. In seinem Idealbild sieht Hofmann Museum und Kunstwerk wie Schale und Kern zusammengeführt, mit organischen Prozessen als Vorbild. Im Gegensatz zu Buren, der lediglich Kritik äußert, skizziert Hofmann konkrete Änderungsvorschläge, in denen das Museum als Auftraggeber und Umschlagplatz für neue Ideen dienen soll. In Die Kunst der Kunstpolitik – Kunstpolitik im Spannungsfeld zwischen Zensur und Marktversagen beschreiben Mayerhofer et al. die Problematik der Kunstförderung durch die Politik. Analog kann das unlösbare Dilemma der Verteilung der Fördermittel an die Kunst auch in der ökonomischen Rolle der Museen erkannt werden. Ob in der allgemeineren Politik oder innerhalb einer Institution, Kunstförderung erfordert immer inhaltliche Entscheidungen. Die hierarchisierende Macht zeigt sich nicht nur in Museen, sondern auch übergeordnet in der gesamten Kunstförderung. In noch weiterem

Hofmann 1979, 265. Hofmann 1979, 268. 29 Hofmann 1979, 268. 27 28

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Sinne betrifft sie auch Dritte, die nicht zwangsläufig zu Museumsbesuchern gehören, da Kunst beispielsweise zum gesellschaftlichen Diskurs beiträgt. Die hierarchisierende Macht und ökonomische Rolle der Museen wird bei der genaueren Betrachtung des Kunstmarktes noch deutlicher: Ein Markt ist nie natürlich gegeben, sondern wird als „ideologisches Konstrukt“30 gebildet. KünstlerInnen können laut Mayerhofer et al. nur geringfügig auf

den Markt einwirken, wobei stärkere Marktorientierung oder aggressivere

Marketingstrategien die Problematik keineswegs auflösen. Hinzu kommt, dass in der ökonomischen Rolle und hierarchisierenden Macht der Museen nicht allein Argumente der Kunst zu Rate gezogen werden, sondern auch kunstfremde, wie Tourismus und Publikumsmaximierung. Dabei wird meist risikoaverse und touristisch leicht vermarktbare Kunst bevorzugt, wodurch sie an eigenständigem Wert verliert und zusehends zum Instrument wird. Wie sowohl Buren als auch Mayerhofer et al. zugeben, kann die durch die hierarchisierende Macht entstehende Problematik nicht aufgehoben werden. Eine Förderung von Strukturen sei zwar weniger anfällig für direkte politische Ein- und Durchgriffe, kann jedoch von Seiten Burens kaum akzeptiert werden, da durch die alleinige Stärkung der Strukturen die Reflexion ausbleibt. Laut Mayerhofer et al. ist „[d]emokratische Kontrolle durch Öffentlichkeit der einzige wirksame Schutz davor, dass die Notwendigkeit kunstpolitischer Entscheidungen in blanke Zensur umschlägt.“31 Die Texte von Hofmann und Mayerhofer et al. bestätigen Burens Theorie. Thematisch, jedoch auch durch idealisierte und reale Beispiele wird sie durch diese beiden Aufsätze und den Artikel aus Ästhetische Grundbegriffe erweitert.

2.4. Konklusion der Theorie Mit Burens ästhetischer, ökonomischer und mystischer Rolle des Museums und dessen Funktionen Aufbewahren, Sammeln und Zufluchtsort gehen kontextualisierende, hierarchisierende und kategorisierende Mächte einher. Die Rollen und Funktionen sind keine Eigenschaften, die allein Buren dem Museum zuweist; diese werden – zwar mit anderen Begriffen, aber ähnlichem Inhalt – auch in späteren Schriften und Lexika bestätigt und kontextualisiert, wovon hier als Beispiele Aufsätze von Hofmann und Mayerhofer et al. und das Lexikon ästhetischer Grundbegriffe dienen. Somit spannt sich ein dichtes, verzweigtes Netz von Rollen, Funktionen und Mächten des Museums auf, welches umso interessanter wird, je mehr es durch Beispiele aus der Praxis verbunden wird. Die eigens herausgearbeiteten Mächte des Museums stehen hierbei im Mittelpunkt des Diskurses.

30 31

Mayerhofer et al. 2005, 184. Mayerhofer et al. 2005, 189. 10 von 17

3. Anwendung der Theorie 3.1. Peinture-Sculpture Indem Burens Theorie mit seinem eigenen praktischen Werk Peinture-Sculpture verglichen wird, lassen sich beide Teile nicht nur besser verstehen, sondern auch der augenscheinliche Paradoxon von Kritik an Museumsinstitutionen und Teilnahme an jenem System kann überprüft werden. Es wird untersucht, ob sich Theorie und Praxis widersprechen oder ergänzen und wie durch Burens Werk die Macht der Museen sichtbar wird. Peinture-Sculpture (Abb. 1) ist Burens Beitrag zur sechsten Guggenheim International Ausstellung in New York im Jahre 1971. Als einer von 21 international eingeladenen Kunstschaffenden, sollte Buren sein zweiteiliges Werk im sechsten Teil der Ausstellungsserie präsentieren, welche sich zum Ziel gesetzt hatte, die weltweit neueste und beste Kunst im Solomon R. Guggenheim Museum zu vereinen. Peinture-Sculpture besteht aus zwei fast identischen Stoffplanen mit den, für Buren typischen, 8,7 Zentimeter breiten weiß-blauen Streifen, wobei die Randstreifen jeweils mit weißer Farbe bemalt waren. Die erste Plane (20 Meter hoch und 10 Meter breit) sollte in der Mittelachse des Museumsschachtes und die zweite (1,5 Meter hoch und 10 Meter breit) über der 88th Street angebracht werden.32 Erstere sollte sich fast durch die gesamte Höhe und Breite des freien Museumsinnenraumes ziehen. Jedoch wurde Burens Werk kurz vor der Eröffnung von der Ausstellung ausgeschlossen, auf Beschwerden von anderen teilnehmenden Künstlern hin. Der Kunstkritiker und -historiker Alexander Alberro vermutet den wahren Grund der Zensur in den kritischen Aussagen über Museen im Allgemeinen, die Buren im Vorfeld der Ausstellung gegenüber der New York Times getätigt hatte.33 Anstatt die Gründe der Zensur genauer zu untersuchen, können auch die Folgen dieser betrachtet werden. Die Zensur von Peinture-Sculpture trägt dazu bei, die Macht des Museums besser zu erkennen und zu verstehen. Die außergewöhnliche Architektur des Solomon R. Guggenheim Museums kann bereits als ein eigenständiges Kunstwerk verstanden werden, anstatt als neutralere Trägerfläche für Ausstellungsstücke zu dienen. Dadurch ist es dominierender gegenüber dem Dargebotenen als viele andere Ausstellungsorte. Die physische, hierarchisierende Macht des Museums ist nicht zu missachten, wird jedoch durch Burens intervenierende Trennwand unterbrochen. Dort, wo sich normalerweise einzig das Museum entfalten kann, im leeren Zwischenraum der spiralförmigen Rotunda, platziert Buren seine massiv große Plane in vielerlei Hinsicht als Gegenstück zum Museum: Zum einen bilden die geraden Linien und die rechteckige Form der Plane einen Gegenpol 32 Alberro 33 Alberro

1997, 70. 1997, 81. 11 von 17

zu den runden Formen und schiefen Böden des Museums. Zum anderen kann es Burens Werk auch durch die scheinbar gleiche Größe mit dem Museum aufnehmen. Die hierarchisierende Macht des Museums wird gebremst, neu verteilt und dadurch aufgedeckt. Es handelt sich dabei nicht allein um die Auswahl der ausgestellten Werke, sondern zusätzlich um die Hierarchie zwischen ausgestellten und ausstellenden Kunstwerken. Peinture-Sculpture stört diese Hierarchie, trifft wie eine Axt in das Herz des Museums, spaltet dieses und kreiert dadurch eine neue Hierarchie. Er hebt die hierarchisierende Macht des Museums zwar nicht auf, setzt jedoch mit dem großformatigen Werk ein Gegenstück zur Architektur, welches ähnlich große Macht auszuüben vermag. Dadurch fordert er die ästhetische Rolle des Museums heraus und entblößt die sonst eventuell unreflektiert gebliebene Machtstellung des Museums im Bezug auf die Ausstellung. Durch die zweite Plane außerhalb des Museumsgebäudes verweist Buren auf die kontextualisierende Macht des Museums. Nicht nur die durch die Institution vorgegebenen Informationen verleihen den Objekten ihren bestimmten kulturellen und geschichtlichen Kontext. Oft ist stark von der direkten Umgebung abhängig, was als Kunst wahrgenommen wird. So werden gestreifte Planen innerhalb des Museums automatisch als Kunst kategorisiert; außerhalb der Institution ist dies jedoch nicht so eindeutig, was Buren mit seinem zweiteiligen Werk zu beweisen sucht. Die mystische Rolle des Museums wird dem Betrachter vor Augen geführt, indem auf die Vorurteile durch den physischen Kontext aufmerksam gemacht wird. Auf alle drei von Buren erarbeiteten Funktionen des Museums Aufbewahren, Sammeln und Zufluchtsort wird dadurch aufmerksam gemacht: Die erste und dritte Funktionen dienen dem Schutz des Werkes, was sich jedoch durch die Platzierung außerhalb des Museumsgebäudes als schwierig erweist. Der Verantwortungsbereich der Institution wird dadurch in Frage gestellt und künstlich ausgedehnt. Ob auch die kontextualisierende Macht ausgeweitet wird, ist nicht eindeutig. Auf die Funktion Sammeln reagiert Buren im Allgemeinen, indem er keinerlei Veränderungen an seinen Werken akzeptiert. Er arbeitet in situ, ortsspezifisch. Somit können seine Werke nicht wie beispielsweise Malereien gesammelt und ohne weiteres an anderen Orten nochmals ausgestellt werden. Dies deckt die ökonomische Rolle auf, da ein Werk, welches während des Ortswechsels seine Authentizität verliert, auch vom kommerziellen Wert labil ist. Paradoxerweise wird gerade durch die Zensur von Peinture-Sculpture weiter auf die kategorisierende Macht hingewiesen: Das Solomon R. Guggenheim Museum beabsichtigte mit der Guggenheim International Exhibition die TopkünstlerInnen der Zeit auszustellen. Die Auswahl, zu der auch Buren gehörte, traf wie üblich das Museum. Durch den Einfluss auf die Gesellschaft und den Kunstmarkt bestimmen Kunstinstitutionen zu einem großen Teil, wer als SpitzenkünstlerIn 12 von 17

kategorisiert werden. Dass Burens Werk noch einen Tag vor der Eröffnung abmontiert und ausgeschlossen wurde, zeigt die Hierarchie zwischen Museum und Künstler. Burens Künstlerkarriere erlitt durch die Zensur jedoch keineswegs langanhaltenden Schaden. Eventuell nutzte ihm die dadurch entstandene Aufmerksamkeit sogar. Die kategorisierende Macht des Museums hatte sich gegen die Institution gewendet. Dass dies nicht Burens ursprünglicher Plan war, ist beispielsweise aus seinen Briefen an Diane Waldman, eine Kuratorin des Solomon R. Guggenheim Museums, herauszulesen. In diesen kritisiert er scharf die Machtgier der Kuratoren, denen tote KünstlerInnen lieber seien als lebendige, da sie dadurch freiere Hand im Bezug auf die Präsentation der Kunstwerke hätten.34 Zusammenfassend ist anzumerken, dass Buren mit seinem Werk versucht, festgefahrene Normen zu sprengen oder zumindest auf diese aufmerksam zu machen. Es steht mit seiner Theorie nicht im Widerspruch, da er die Rolle und die Funktion des Museums nicht als statisch postuliert, sondern diese lediglich kritisiert. Die gleiche Intention ist in seinem praktischen Werk Peinture-Sculpture zu erkennen. Theorie und Praxis üben somit Hand in Hand Insitutionskritik aus.

3.2. House of Terror Anders als in Burens Werk, welches die Macht der Museen kritisiert, aufdeckt und dadurch teilweise aushebelt, ist diese im ungarischen Museum über Terror des Nationalsozialismus und Kommunismus House of Terror auf andere Weise erkennbar. Das im Jahre 2002 eröffnete Museum besticht durch seine multisensuale Konzeption, welche stark auf die Emotionen der Besucher einwirkt. So ist bereits im Eingangsbereich eigens für das Museum komponierte Geigenmusik zu hören; Kerzenlicht und ein Video, in dem ein Mann über den Terror klagt, unterstreichen die dramatische Atmosphäre. Durch den Einsatz von Dunkelheit oder vergleichbar mit dem Guggenheim nur einer möglichen Route durch das Museum, eignet sich das House of Terror zur Untersuchung der Rolle, Funktion und Macht des Museums außerhalb der Kunstinstitution. Zu klären gilt es, ob die Theorie ebenso auf „Nichtkunstmuseen“ zutrifft. Das Lexikon ästhetischer Grundbegriffe schreibt allgemein über Museen: „Durch eine mit Hilfe von Auswahl und Präsentationsästhetik fingierte historische Linearität kann sich der Museums- […]besucher entweder als letztes […] Glied in einer historischen Reihe begreifen, die alles Vergangene zur bloßen Vorläuferschaft des Heute reduziert, oder aber als souveräner Kritiker, der scheinbar zeitenthoben, jedenfalls aus dem geschichtlichen Überblick des Nachgeborenen nach Belieben und eigenen Interessen urteilt und verurteilt.“35

Dies zeigt sich im House of Terror: Durch gezielte Auswahl der präsentierten Daten und Informationen und eine moderne Präsentationsästhetik und -technik, führt es den Besucher durch 34 35

Buren 2012, 205. Vedder 2010, 183. 13 von 17

die im obersten Stockwerk anfangende und im Keller endende Ausstellung. Durch die Lenkung des Besuchers vermittelt es nicht nur den Eindruck einer historischen Linearität, sondern auch einer einzigen Realität, welche aus der Vergangenheit in die Gegenwart führte. Bei der Auswahl der Ausstellungsinformationen und -objekte und der Route wird besonders die hierarchisierende Macht des Museums deutlich. Gerade in einem Museum, welches vorgibt über einen bestimmten Teil der Vergangenheit aufzuklären, ist das Hinterfragen der präsentierten Realität noch geringer als in Kunstmuseen, da Kunst im Allgemeinen als etwas subjektiveres als Geschichte verstanden wird. Somit greift auch die kontextualisierende Macht des House of Terror: anders als im Kunstmuseum werden die Ausstellungsstücke zwar nicht zu Kunst erhoben, sondern zu Wahrheiten. Die ästhetische Rolle des Museums lässt die präsentierten Daten als Fakten gelten, sie werden als jene kategorisiert. Als scheinbar neutrale Fläche zeigt sich das House of Terror als Zufluchtsort der Geschichte, in dem Dokumente aufbewahrt und gesammelt werden. Der kommerzielle Wert von Objekten wird auch außerhalb der Kunstwelt durch das Ausstellen gehoben, was die ökonomische Rolle des Museums sichert. Ohne jegliches Wissen über den Terror des Nationalsozialismus und Kommunismus, wäre auch die Nachfrage nach derartigen Informationen und diese thematisierenden Museen geringer. Die mystische Rolle des Museums wird beispielsweise in den emotionalen und empathischen Reaktionen in den Rezensionen des Museums (jeweils 4 von 5 Sternen auf TripAdvisor36 und Google Maps37) deutlich. Die Anzahl der negativen Bewertungen ist gering und sie beziehen sich zudem meist darauf, dass viele der Museumstexte nur auf ungarisch vorhanden sind. Ein Hinterfragen beispielsweise der Präsentationsästhetik findet kaum statt. Das Museum beansprucht die Authentizität für sich und seine Ausstellungsobjekte durch die mystische Rolle und Macht. Durch diese Mystik wird die Vergangenheit künstlich von der Gegenwart getrennt und zwar als wahr, relevant und emotional verstanden, jedoch in einer gewissen Distanz zum alltäglichen Leben gehalten. Dies geschieht im House of Terror durch die außergewöhnlich dunklen Räume, in denen einzig durch Spotlights bestimmte Teile beleuchten sind oder durch die wachsähnliche Haptik der Trennwände in einem der Räume. Diese Wahrnehmung unterscheidet sich stark von der unseres Alltags und rückt den ausgestellten Inhalt in den Kontext des Museums statt des normalen Lebens. Letztendlich ist somit zusammenzufassen, dass sich die Rolle, Funktion und Macht der Kunst- und „Nichtkunstmuseen“ zwar unterscheiden – beispielsweise indem die Ausstellungsobjekte in andere Kategorien (Kunst beziehungsweise geschichtliche Fakten und Dokumente) geordnet werden, – 36 37

TripAdvisor n.d. Google Maps n.d. 14 von 17

dennoch die sechs von Buren thematisierten und die in dieser Arbeit untersuchten Aspekte in beiden Institutionstypen aufzufinden sind. Anzunehmen ist, dass sich dies nicht nur auf die beiden Beispiele Guggenheim Museum und House of Terror bezieht, sondern jene Eigenschaften in allen Museumsinstitutionen aufzuzeigen sind. Je nach Museumstyp und -einrichtung ist mit einer Varianz der Ausprägung der Rollen, Funktionen und Mächte zu rechnen, da sich auch die Konzepte zumindest teilweise sehr unterscheiden – man denke an die Präsentationsästhetik in einem Kunsthistorischen Museum im Gegensatz zu einem Museum der zeitgenössischen Kunst.

4. Zusammenfassung Durch den „Doppelcharakter des Museums als realer Ort und imaginärer Raum“38 entsteht ein komplexer Rahmen um die Ausstellungsobjekte – ein Netz von Rollen (ästhetische, ökonomische, mystische), Funktionen (Aufbewahren, Sammeln, Zufluchtsort) und Mächten (kontextualisierende, hierarchisierende, kategorisiserende) des Museums. In dieser Arbeit wurden Daniel Burens Rollen und Funktionen des Museums untersucht und durch eigene Begriffe des Themenbereiches Macht erweitert. Nach einer kurzen Kontextualisierung von Burens Schriften anhand des Artikels Museum/ Ausstellung des Lexikons ästhetischer Grundbegriffe, Werner Hofmanns Idee eines Idealmuseums in Funktionswandel des Museums und dem Aufsatz über die Kunstpolitik und -ökonomie von Mayerhofer et al. Die Kunst der Kunstpolitik, wurden die insgesamt neun Termini an praktischen Beispielen geprüft und erläutert: Zum einen an Burens Kunstwerk Peinture-Sculpture konzipiert für das Solomon R. Guggenheim Museum in New York und zum anderen an dem House of Terror Museum in Budapest. Es wurden somit jeweils zwei verschiedene Museumstypen (Kunst- und Geschichtsmuseum), Orte (USA und Osteuropa) und Herangehensweisen (mit Fokus auf das auszustellende Werk und auf das ausstellende Museum) herangezogen, um durch mehrere Dimensionen des Untersuchungsfeldes eine möglichst stabile Argumentation zu erreichen. Als weitere Forschung wäre eine genauere Differenzierung der verschiedenen Begriffe sinnvoll, um diese spezifischer anhand weiterer Beispiele untersuchen zu können. Dies könnte ein präziseres Verständnis des Netzwerkes bedeuten und neue Möglichkeiten in Theorie und Praxis aufdecken. Abschließend ist noch einmal anzumerken, dass Institutionskritik eine möglichst neutrale Analyse und Bewertung der vorliegenden Strukturen anstrebt und somit nicht zum Gegner der Institutionen, sondern zu deren Entwickler und Neuerfinder wird.

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Vedder 2010, 184. 15 von 17

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Abbildungsnachweis Abb. 1 Alberro 1997, 58.

Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Daniel Buren, Peinture-Sculpture, 1971, in „Guggenheim International Exhibition 1971“, The Solomon R. Guggenheim Museum, weiße Acrylfarbe auf Baumwollleinengewebe mit abwechselnd weißen und blauen senkrechten Streifen, jeweils 8,7 cm (± 0,3) breit. 2000 x 1000 cm (auf unbespannter Leinwand), New York City, USA.

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